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Thema des Monats Wolfswind

Lev

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06.02.2007
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Wolfswind

Beugt euch, Brüder und Schwestern, die ihr nicht seid. Die Monde sind finster dieser Nächte – dieser Tage auch. Berstet in meinem Angesicht. Wie ich euch hasse, so wird mein Hass euer sein. Die mächtigen Geister schlafen, um nicht in Furcht zu erstarren, denn selbst für sie bin ich, was alle Hoffnung erstickt.

Pierre Lafitte lief unruhig in der stickigen Blockhütte herum. Alsoomse hätte schon längst zurück sein müssen. Nicht einmal der gut befeuerte Kamin konnte der Eiseskälte widerstehen, die der heftige Wind ins Haus trieb.
Pierres dritter Winter hier an der Grenze zu den Großen Wäldern, und so sehr er das Land und dessen Kinder, die Ojibwa, liebte – an die unbarmherzigen Jahreszeiten konnte er sich nicht gewöhnen. Zum tausendsten Mal verfluchte er seinen Schwager Tihkoosue und seine Weigerung, mit dem Clan weiterzuziehen. Stattdessen musste er, der große Jäger, unbedingt mit Frau und Kind an einer Stelle, an der angeblich alles Wild überwinterte, seinen Wigwam errichten. Doch bei jedem seiner seltenen Besuche sah er abgemagerter und hohläugiger aus, und beim letzten Mal war Tihkoosues Blick so starr gewesen, dass Alsoomse Angst um Schwester und Neffen bekommen hatte. Kaum war sein Schwager gegangen, hatte sie aus süßlich duftenden Zedernnadeln, harzigen Fichtenrinden und getrockneten Farnköpfen sowie den mit bitterem Grünzeug gefüllten Mägen der letzten Herbsthasen Medizin und ein paar Otemans bereitet. Es hatte keinen Sinn, Alsoomse nach ihrem Tun zu befragen, denn wie alle Algonkin war sie freimütig gegenüber ihm und seinen französischen Landsleuten, doch niemals würden Ojibwa ureigene Geheimnisse offenbaren. Danach packte sie eilends Waffen und Proviant, zog ein warmes Gewand aus Hasenhäuten an und wollte aufbrechen. Kurz nur hatte sie sich ihm zugewandt, ihn umarmt und geküsst und zum Abschied geflüstert: „Wenn der Wind wolfsgleich singt, rette dich.“
Zu viel Zeit war seither vergangen, und das klagende und wütende Lied des rüttelnden Sturmes ließ Pierre erschauern.

Sein eisiger Griff hatte den Winter zu einem Teil des Landes gemacht. Pierre schritt zügig auf den Schneeschuhen aus. Ständig schien ein Heulen um ihn zu sein, selbst dort, wo kein Wind wehte. Aus dem winterstarren Wald drang Stöhnen und Kreischen, als ob ermüdetes Holz berste. Immer mehr glaubte sich Pierre verfolgt und von gierig bohrenden Blicken beobachtet, doch wann immer er sich umdrehte, verschwand der mysteriöse Verfolger gerade noch aus seinem Sichtfeld. Rätselhafte Spuren im Schnee wie von einem mit Krallen bewehrten Riesen ließen ihn vermuten, dass da tatsächlich irgendetwas war. Die Angst um Alsoomse trieb ihn weiter und weiter.
Plötzlich stand er vor Shanias und Tihkoosues Wigwam, nach dem bedrohliche Schatten griffen.

Mit gezogenem Messer tauchte Pierre in das Halbdunkel des Wigwams. Seine angespannten Sinne nahmen alles wahr: das heruntergebrannte Feuer, den leichten Ekel erregenden Geruch von Exkrementen und kalter, abgestandener Luft und auch Shania, die, sich wiegend und eine Ojibwa-Weise singend, den kleinen Ahanu säugte. Erleichtert steckte er das Messer weg und sprach seine Schwägerin an:
„Entschuldige die Störung, doch ich bin in Sorge. Alsoomse müsste schon längst zu Hause sein.“
Shania zeigte keinerlei Reaktion und verharrte in ihrem Tun. Plötzliche Panik erfasste Pierre.
„Sie war doch hier? Oder? Rede mit mir. War sie hier? Und wo ist dein Mann? Verdammt noch mal! Shania! So sag doch etwas!“
Pierre ging zu der Indianerin, packte sie bei den Schultern und schüttelte sie. Shania schien ihn weiterhin nicht wahrzunehmen – ihr Singsang wurde schriller und schriller. Mit einem erstickten Aufschrei prallte Pierre zurück, als er etwas entdeckte, was ihn zutiefst verstörte.
Shanias entblößte Brust bestand nur mehr aus einer blutigen Masse und Ahanu saugte an dem rohen und fleischigen Hügel, blutverschmiert mit herausgelutschten Fetzen im Mund.
„Heilige Mutter Gottes!“ Reflexartig riss Pierre das Kleinkind von der Mutterbrust und warf es angeekelt zu Boden. Kein Weinen drang aus dem mit Gewebeteilen besudelten Kindermund – stumm starrte Ahanu zu dem Erwachsenen hoch – gefangen im Saugreflex und mit dem Blick eines uralten Mannes.
Der Franzose hätte nicht sagen können, ob es dieser Blick war, der in ihm hemmungslose Wut weckte. Er trat auf das „Ding“ ein, als wollte er es durch den Boden stampfen. Ein entsetzlicher Schmerz ließ Pierre aufschreien. Shania war auf seinen Rücken gesprungen, krallte sich mit unglaublicher Kraft fest und biss ein Stück seines Ohres ab. Pierre taumelte durch den Wigwam und sogar aus diesem hinaus in dem verzweifelten Versuch, seine wild auf ihn einbeißende Last loszuwerden. So stolperte er bis zum Ufer eines kleinen Sees, auf dessen zugefrorene Fläche er rücklings stürzte. Knirschende und splitternde Geräusche vermischten sich mit Shanias Schmatzen und Kauen, das ihn nahezu wahnsinnig machte. Während sein Leben aus ihm herausfloss, gelang es endlich, das Messer zu ziehen und an Shanias klammernden Fingern zu säbeln. Dieses Bemühen und ziehendes Eiswasser halfen ihm, sich vom Griff der Indianerin zu befreien und keuchend auf festen Boden zurückzukehren. Am liebsten hätte er sich ewig ausgeruht, doch seine Sorgen um Alsoomse ließen ihn sowohl Verletzungen als auch Shania vergessen, und er schleppte sich zum Wigwam zurück, wo seine Muskete abgestellt war.
Frischer Schnee milderte die Blutungen und er machte seine Waffe bereit. Gehetzt schaute sich der Franzose nach einem Lebenszeichen seiner Frau um und begann zu hoffen, als er flackernden Feuerschein tiefer im Wald wahrnahm.
Ohne Rücksicht auf Äste und Unebenheiten rannte er dort hin. Schon bald kam Pierre zu einem uralten, senkrecht geborstenen Baum, in dem ein Lagerfeuer errichtet war. Pierre brach schluchzend in die Knie. Kopfüber hing dort Alsoomse, nackt mit aufgeschlitztem Bauch, unter ihr ein befeuerter Topf und neben ihr Tihkoosue, der gerade Innereien heraustrennte, welche in den Topf platschten. Der Ojibwa-Jäger hatte Pierre gehört, drehte sich mit glückseliger Miene um und sagte mit einladender Geste:
„Sieh meine Beute. Eine junge, starke Karabu-Kuh voll Saft und reich an Fleisch. Shania wird ein Festmahl daraus machen. Wir werden nicht mehr hungern müssen.“
Pierre hob unter Tränen die Muskete und schoss. Der Einschlag der Kugel ließ Tihkoosue gegen den Topf prallen und ins Feuer rutschen – heulend verteilte der Wind den Geruch verbrennenden Fleisches zwischen den Bäumen. Pierre stolperte schluchzend zu dem kalten und ausgeweideten Körper seiner Frau und umarmte ihn weinend. Plötzlich krallte sich eine Hand durch das Gewand in seine Weichteile und riss ihm diese mit einer einzigen Bewegung aus dem Leib. Als er schreilos zu Boden sank, sah er ein triumphierendes Leuchten in den greisenhaften, leblosen Augen seines Schwagers.

Mit dem Wind wandere ich und er ist mir untertan. Erstarren werden alle Herzen, die meinen Weg beschmutzen und mein wird sein, wo Manabus Schutz versagt, denn ich bin der Wendigo und so hört denn mein Lied.

 

Hallo Christian,

also es kann schlimmeres passieren als gegen Blackwood abzustinken. Und auf alle Fälle ist es eine gute Anregung, um wieder mal Blackwood zu lesen. Wahrscheinlich hab ich die von dir angesprochene Geschichte gelesen, aber schon vor langer Zeit. Sollte ich da abgekupfert haben, dann war es mein "Es", denn alle anderen Bewußtseinsebenen wissen nichts davon ;) Sollte hingegen Blackwoods "Wendigo" ähnliche Verhaltensmuster wie meiner zeigen, dann haben Blackwood und ich die gleichen "indianischen" Legenden recherchiert und das wäre auch trotz des gewaltigen Altersunterschieds zwischen ihm und mir jederzeit möglich, denn was sind ist unser Alter schon gegen jenes von Wendigo :D

Dürfte dir aber trotzdem gefallen haben und dann ist ja schon etwas gewonnen. Danke für Lesen und Kritik.

lg
lev

 

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