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Wo die Schmetterlinge tanzen

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01.02.2016
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Wo die Schmetterlinge tanzen

[SUB]

"Du hinterläßt dich in uns.“

Manfred Hinrich
[/SUB]

Ich binde meine Schuhe, die Knoten wollen nicht zugehen. Da lasse ich sie eben offen.
„Komm, wir fahren los. Denk an das Bild und den Vogel."
Meine Mama. Sie vergisst nichts. Mir wäre es erst im Auto eingefallen und wir hätten auf halbem Wege umdrehen müssen.
„Prinzessin Vergißmichnicht" nennt mich Papa deshalb manchmal.
Ich laufe in das Wohnzimmer und lege das große Blatt in meine Künstlermappe. Auf die Vorderseite habe ich ein Foto von meinem kleinen Bruder und mir geklebt. Es ist zerknittert, erinnert mich aber an einen schönen Tag.

Wir saßen damals im Freibad und schleckten Eis. Justus sieht richtig niedlich aus, mit seinen blonden Haaren und den winzigen Sommersprossen auf der Nase. Auf dem Foto trägt er einen Schokoladenbart. Nachdem Papa das Bild geschossen hatte, feixte er: „Wenn du dein Eis nur ins Gesicht schmierst, dann gib es lieber mir", und wollte ihm die Waffel klauen. Mein kleiner Bruder rannte weg, stolperte und fiel auf den Boden. Als er aufstand, da tropfte die Schokolade aus seinem Nabel über die Hose. Er begann zu weinen und Papa kaufte ihm ein neues Eis. Ich lachte, bis mein Bauch schmerzte und meine Kugel fast von der Waffel plumpste. Justus war damals drei und ich acht.

Ich lege die Mappe in eine Tasche und betrachte das Kuscheltier. Ich streiche ihm über den Kopf und schließe es in den Arm. Ein kleiner Vogel, sein Lieblingstier. Am Abend des Eisunfalles verlangte Justus, in meinem Bett zu schlafen, weil ich "ihn gelacht" habe. Er krabbelte unter meine Decke, kuschelte seinen Kopf auf meine Schulter und wollte „Peter und der Wolf“ hören. Seine Lieblingsgeschichte. Und ich erzählte sie: Ich erzählte von dem kleinen Jungen, der nicht auf den Großvater hörte und den Wolf besiegte. Von dem mutigen, kleinen Vogel, welcher um die Nase des Bösewichtes flog, sich aber nicht fangen ließ.
Am Ende flüsterte mein Bruder immer denselben Satz: „Ich bin der kleine Vogel und du Peter."
Ich kicherte und sagte: „Ich bin doch deine Schwester, und Peter ist ein Junge."
„Aber in einer Geschichte kannst du alles sein." Ein kleiner Knuff in seine Seite und dann löschte ich das Licht. Es dauerte lange, bis wir schliefen, denn er wollte soviel wissen: „Warum ist die Nacht schwarz?" „Woher kommen die Träume?" „Warum fliegt die Ente nicht weg?" Fragen über Fragen. Opa sagt immer: „Wer keine Fragen stellt, der findet keine Antworten."

Ich setze mich auf die Rückbank und schnalle mich an. Mein Papa schaut zurück und lächelt: „Hast du deine Geschenke?"
„Ja. Und du?"
Er nickt. Ich betrachte mich im Autospiegel und zwirbele meine langen, braunen Haare.

„Ronja", nannte mich Justus manchmal, „Ronja Räuberdochder.“
Seine Stimme schlummert irgendwo zwischen meinem Bauch und meinem Herzen. Seine lustige Art zu reden. Drüffel, Dier, Diger ... ab und an fliegen seine Wörter in mein Ohr und flüstern mir zu. Dann schließe ich die Augen und lausche seiner Stimme. Ich atme tief ein und fühle sein Lachen. In mir beginnt es zu kribbeln. Ich denke an unsere gemeinsamen Samstage, die Fernsehabende. Wir aßen warmes Popcorn und kuschelten uns auf das viel zu enge, kleine rote Sofa.
Oft schauten wir Ronja. Bei der Szene mit den Rumpelwichten stoppte meine Mama den Film und kitzelte uns durch. Papa machte mit und sprach mit hoher Stimme: „Wiesu denn blus, wiesu tut sie su?!" und als die Graugnome kamen, riefen wir alle: „Schert euch doch zum Donnerdrummel!"
Eines Tages wollte Justus nicht in den Keller gehen. Er drückte meine Hand und sagte „Da unten sind die Wilddruden."
Ich ging mit ihm, auch wenn ich nicht wollte. „Die sind doch alle im Fernseher."
Dann lächelte er mich an und erschrak doch bei den ersten Geräuschen der Heizung oder des Trockners.

Das Auto fährt los und ich blicke aus dem Fenster. Wir kurven durch die Stadt, vorbei am Blumenladen und dem Friseur. Opa sagte immer: „Justus, du hast die Haare von deinem Papa und deine Schwester hat sie von ihrer Mama."
Nach der Therapie rasierte sich Großvater eine Glatze. „Jetzt hast du die Haare von mir", sagte er grinsend und zuckte mit den Schultern. Ich weiß nicht, warum, aber wir lachten. Und Mama und Papa lachten auch. Irgendwann lachten wir alle. Opa war immer da, für das Lachen und das Weinen. Als die Krankheit von Justus schlimmer wurde, übernachtete ich häufig bei ihm. Ich habe mit ihm gestritten, so heftig ich nur streiten konnte. Ich weiß nicht mehr, warum. Ich weiß nur: er stritt nicht mit. Irgendwann lag ich kraftlos in seinen Armen und seine Hand streichelte mein Haar. „Ich finde das alles ungerecht" , sagte ich eines Abends. „Es geht nur noch um Justus, nie um mich.“ Er streichelte weiter und sagte: „Stimmt, das ist ungerecht."

Wir fahren aus der Stadt hinaus, durch die Fichtenallee. Das Grün würde Justus gefallen, es war schließlich seine Lieblingsfarbe. Kurz bevor er in den Kindergarten kam, wollte er nur noch grünes Essen essen. Spinat, Gurken, Melonen und Salat. Ich warnte ihn: „Justus, irgendwann färben sich deine Haare oder dir wachsen Algen aus der Nase!“
Aber er sang nur „Grün, grün, grün sind alle meine Essen" und hüpfte durch die Wohnung wie ein Frosch. Einmal umhüllte meine Mutter eine Wurst mit Avocadocreme, sodass Justus sie aß. Von diesem Moment an war er geheilt und wollte nur noch Wurst essen. Ich drohte, ab nun nur mehr Pfannkuchen zu essen. Bekommen habe ich sie nicht. „Manchmal sind kleine Brüder verrückt", sagte mein Papa. „Das gehört dazu. Das musst du als große Schwester aushalten." Dann kniff er mich und lächelte schief. „Tz", sagte ich trotzig. Ich war eifersüchtig. Sehr oft.

Mein Blick springt von Fichte zu Fichte. Ich glaube, manches wird schöner, wenn ich mich daran erinnere. Grün ist die Farbe des Frühlings. Die Blumen blühen, die Raupen verwandeln sich. Wir waren oft am Bachlauf im Tale, saßen auf den Wiesen und wollten die bunten Schmetterlinge fangen. Barfuß auf den glitschigen Steinen, den Fliegerlingen hinterher, doch meistens rutschten wir aus und fielen in den Bach. Das Wasser war kalt, der Popo schmerzte, doch manchmal, wenn wir Glück hatten, kehrte ein Schmetterling um und setzen sich auf eine der ausgestreckten Hände. „Wenn ich groß bin, lerne ich das Fliegen, wie sie", flüsterte Justus einmal. „Schau nur, er mag mich", freute er sich und pustete das Tier an, sodass es wegflog. „Schmetterling, du kleines Ding, such dir eine Tänzerin", trällerte er und klatschte in die Hände. Ich vermisse ihn.

Es war regnerischer Tag im Herbst, als meine Eltern zu mir ins Zimmer kamen und sagten, mein Bruder sei krank. Ich war zehn und wollte nichts darüber hören. Zu oft war Justus vorher beim Arzt gewesen, im Krankenhaus. Ich habe etwas in ihren Augen gesehen, in ihren Stimmen gespürt. Es war keine Krankheit, gegen die Hustensaft hilft. Es war keine Krankheit, welche mit Salzstangen und Cola behandelt wird. Meine Eltern erklärten viel, was der Arzt gesagt habe, wieviel Zeit verbleibe, was Justus fehle, und ich stark sein müsse. Sie erklärten mir Dinge, welche ich nicht hören wollte. Ich hatte nur eine Frage: „Gibt es keine Medizin?"
Papa blickte zu Mama. Dann zu mir und erklärte: „Menschen sind keine Maschinen. Du kannst eine Lunge nicht einfach auswechseln." Ich schlug mit den Fäusten gegen sein Knie. Ich versuchte zu schreien, doch ich bekam keine Luft. Sie sagten nichts und wollten mich in ihre Arme schließen, ich drückte sie aus dem Zimmer. An diesem Abend lag ich nur auf meinem Bett hoffte, dass die Therapie vielleicht doch hilft. Sie hatten doch keine Ahnung.

Das Auto wird langsamer, wir halten auf einem Parkplatz. Dort wartet Großvater auf uns. Er trägt einen schwarzen Anzug und seine graue Mütze. Irgendwie hat er immer schon gleich ausgesehen. In seinen Händen hält er einen Blumenstrauß und ein grünes Geschenk. Die Erwachsenen begrüßen sich kurz und meine Eltern gehen vor. Opa hat beim ersten Mal erklärt, wir dürfen sie in solchen Momenten nicht stören. Das will ich auch gar nicht, denn ich möchte weder Mama noch Papa traurig sehen. Wir sprechen kaum ein Wort, setzen uns auf eine der vielen Bänke und lauschen dem Wind. Plötzlich rücken die Wolken zur Seite und Sonnenstrahlen wärmen meine Haut.
„Der Wettermann meinte, heute gibt es kein gutes Wetter. Aber, ha! Die Sonne scheint“, sagt mein Opa mit seiner ruhigen Stimme. Dann wird er ernster, kratzt sich mit seiner Hand am Bart, streckt seinen Zeigefinger aus und schimpft: „Die Sonne sollte sich von keinem Wettermann der Welt vorschreiben lassen, wann sie zu scheinen hat. Das darf die Sonne sehr wohl immer noch selbst entscheiden."
„Aber Opa, die Wetterstationen errechnen doch nur, was es für Wetter geben könnte. Das nennt man Prognose. Wir haben eine Wetterkarte in der Schule gezeichnet, manchmal haben sie recht, manchmal nicht."
Er schaut auf den Boden und murmelt: „Mh“, dann blickt er mich an und fragt: „Was hast du in deiner Tasche?"
„Einen Vogel und ein Bild." Ich hole den Vogel heraus und reiche ihn Opa. „Den habe ich selbst gekauft."
„Der gefällt ihm sicherlich. Vögel waren doch immer sein Liebstes. Vögel und Schmetterlinge, ich glaube, er wäre ein guter Forscher geworden. Kannst du dich an die Regenwürmer erinnern, die ihr bei mir im Garten ausgebuddelt habt?"
„Wir haben eine Regenwürmerstation gebaut und Justus hat sogar einen gegessen. Naja, nur halb, dann hat er ihn wieder ausgespuckt. Du hast uns mit dem Gartenschlauch abgespritzt, weil wir so dreckig waren. Aber sogar die Unterhosen waren braun. Mama war ganz schön sauer, als sie es am Abend gesehen hat."
Mein Opa lacht. „Mütter müssen sauer auf Opas sein. Das gehört dazu. Sollen wir deinem Bruder unsere Geschenke bringen?"
Ich nicke, warte jedoch, bis er aufsteht und meine Hand nimmt.
Still und langsam schleichen wir an den zahlreichen Steinen vorbei.
„Viele Menschen liegen hier."
„Viele Menschen, die alt wurden und lange leben durften."
Manche Gräber sind zerfallen. Ich glaube, niemand kümmert sich, denn auf ihnen blühen keine Blumen. Vielleicht sind Partner und Kinder schon gestorben. Wie lange die Toten wohl hier liegen? Werden Grabsteine irgendwann ausgehoben? Ich weiß es nicht, ich will es nicht wissen. Es ist auch nicht wichtig. Ich hoffe nur, so wird es nicht bei Justus oder mir. Wir kommen zu den bunten Gräbern, dort wo die Kinder liegen. „Hier sieht es aus wie auf einem Spielplatz", flüstere ich und drücke Opas Hand.

Die Zeit der Krankheit dauerte nicht lange, zwei Jahre. Bei ihm von fünf bis sieben, bei mir von zehn bis zwölf. Einmal, beim Mittagessen, fragte Mama: „Gleich fahren wir ins Krankenhaus, o.k.?“
Justus warf seinen Teller auf den Boden, schleuderte das Messer auf mich und die Gabel auf Mutter. „Ich gehe nicht mehr da hin. Ihr wollt ja nur, dass ich nicht hier bin. Damit ihr schöne Sachen machen könnt.“ Dann stand er auf, trat mit dem Fuß gegen die Tür und verschwand in seinem Zimmer. Er dachte, er sei schuld an der Krankheit. Weil er eines Tages Süßigkeiten geklaut oder nicht auf Mama gehört hatte, deshalb müsse er ins Krankenhaus. Er war wütend, konnte und wollte nicht verstehen. Ich weiß nicht warum, aber nach der Therapie, den Medikamenten und den Strahlen wurde es leichter. Vielleicht war es die Gewissheit, denn kein Jahr nach der Diagnose kam Justus in ein Kinderhospiz. Wir gingen täglich dorthin und besuchten ihn. Viele Menschen sind dort. Frauen und Männer, welche den Familien helfen und mit den Kindern spielen. Krankenschwestern, die Tag und Nacht Wache halten. Kinder, die durch die Flure springen, lachen und singen. Es gab sogar einen Clown, mit Gitarren und Luftballontieren.

Marianna, eine ältere Dame, besucht uns heute noch. Bei unserem ersten Treffen sagte sie zu mir: „Wir machen uns eine schöne Zeit, denn die vergeht und dann bleiben nur noch die Erinnerungen.“
Deshalb machten wir viele Ausflüge: auf Spielplätze, in ein Fußballstadion, in einen Vogelpark und einmal sogar an den Bachlauf im Tale. Mit dem Rollstuhl fuhr Justus an das Ufer. Er wollte hinein, auf den kleinen Steinen sitzen. Da trug ihn Papa auf den Schultern bis zu einem größeren Felsen und stöhnte bei jedem Schritt. Seine Schuhe wurden nass und schließlich war es Winter. Aber Justus und Papa saßen eine ganze Weile auf dem Stein und schauten dem Bach beim Fließen zu.

Nach einigen Monaten ging es Justus schlechter, er wurde schwächer. Die Ausflüge wurden weniger, seltener und kürzer. Die Haut meines Bruders wurde bleich und seine Augen weiß, er lächelte kaum mehr. Ich hatte Angst und wollte nicht mehr zu ihm. Ich hatte Angst, dass der nächste Besuch der letzte wäre.
Eines Abends legte ich mich zu ihm, so wie er es früher bei mir machte, und kuschelte mich an seine Seite. Doch in dieser Nacht gab es nur noch eine Frage, die er stellte.
„Wohin komme ich, wenn ich tot bin?"
„Ich weiß nicht. Wohin willst du?"
„Nicht dorthin, wo die Wilddruden singen."
„Sondern?"
„Dorthin, wo die Regenwürmer husten und die Schmetterlinge tanzen."
„Wo der Vogel den Wolf besiegt und die Rumpelwichte wohnen?"
„Ja", hauchte er. Dann begann er zu schluchzen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Er weinte und ich wollte ihm helfen. Mein Opa sagte einmal, gegen die Trauer sind Tränen das Einzige, was hilft. Also half ich meinem Justus beim Weinen. Ich weiß nicht, wie lange wir uns in den Armen lagen und weinten, aber irgendwann, da gab es kein Wasser mehr. Da schliefen wir ein. Zu erst er, dann ich. Es war das letzte Mal, dass wir gemeinsam einschliefen. Ein Jahr und neun Monate ist es her.

Ich setze mich vor seinen Grabstein, eine Träne kullert über meine Wange. Ich lege den Vogel und das Bild vor mich. Es zeigt eine große "9" auf einer Blumenwiese. Mit Peter, dem Wolf, den Rumpelwichten und den tanzenden Schmetterlingen.
Mein Zeigefinger fährt über seinen Namen, über den rauen Stein und die Erinnerungen. Ich flüstere:

„Alles Gute zum Geburtstag, kleiner Bruder.“​

 

Hallo schwarze sonne

Boah! Da hast Du mich echt eiskalt erwischt. Der Kloß im Hals ist ganz schön groß.
großes Kompliment.
der Opa ist klasse!
mehr kann ich gar nicht dazu schreiben

Gruß
pantoholli

 
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Hallo ThomasQu und pantoholli,

vielen Dank.

Schön, dass mir der Opa geglückt ist.

Beste Grüße,

Sonne

 

Hey schwarze sonne !

Wow..mehr kann man eigentlich nicht dazu sagen. Ist echt ziemlich mitreissend! :)

Grüße,
Unperfektperfekt

 

Hallo schwarze sonne

Zunächst etwas Textkram:

lassen sie schön Frühlingshaft aussehen

frühlingshaft

Auf die Vorderseite habe ich ein Foto, von meinem kleinen Bruder und mir, geklebt.

Die Kommas darf man - glaube ich - setzen, aber das liest sich nicht besonders elegant.

Es ist schon etwas zerfleddert

Bei Zerfleddern denke ich an Hefte oder Bücher, aber ein einziges Stück Papier? Auf alle Fälle bin ich drüber gestolpert.

. Aber ständig hat er verloren.

hat er sie verloren. Und du meinst wohl eher „verlegt“.

Ein kleiner Vogel, Justus Lieblingstier.

Justus‘ (Das ist der Grund, weshalb ich nie Namen verwende, die auf „s“ enden.)

Ich lachte dabei [K] bis mein Magen schmerzte und verschüttete fast meine Kugel

Eine Kugel verschütten? Ich denke, verschütten lassen sich nur Flüssigkeiten.

Ich ging mit ihm, auch wenn ich nicht immer wollte.[Leerzeichen] "Die sind doch alle im Fernseher"

Schöne Erinnerungen, auf ewig gespeichert. Aber es wird nichts mehr so sein, wie es einmal war. Bei diesem Gedanken wird meine Brust schwer, mein Herz ein Anker und die Augen eine Wüste.

Schon früher kommentiert die Erzählerin ihre Erinnerungen und nennt sie „schön“ oder sagt, dass sie etwas „vermisst“. Hier aber war mir das definitiv zu viel, zu kitschig.

"Wild heult der Wolf des Nachts im Wald, [Leerzeichen] vor Hunger kann er nicht schlafen.

Ich mag das Grün der Pflanzen, das Grün der Wiesen. Grün war Justus Lieblingsfarbe. Kurz bevor er in den Kindergarten kam, wollte er nur noch grüne Lebensmittel essen. Spinat, Gurken, grüne Äpfel und Salat. Ich dachte, irgendwann wird er vielleicht grüne Haare bekommen, oder eine grüne Nase. Es gibt ein Kinderlied, "die kleine Hexe mit der grüne Nase." Ich habe mir gewünscht, er würde irgendwann aussehen, wie sie. Aber das hat er leider nie. "Grün, grün, grün sind alle meine Essen", sang er dann und hüpfte durch die Gegend. Einmal hat meine Mutter eine Wurst mit Avocadocreme umhüllt, sodass sie ganz Grün wurde und Justus sie aß.

Schon klar, grün ist das Thema. Da darf es auch mal eine, zwei Wortwiederholungen geben. Aber das waren mir zu viele.

als meine Eltern zu mir ins Zimmer kamen und sagten, mein Bruder sei Krank, da war ich gerade acht.

krank

Du hast „Kinder“ in den Tags, mir ist nicht ganz klar, was dein Zielpublikum ist. Was jetzt folgt, sind Gedanken dazu, wie ich das als erwachsene Person lese:

Grundsätzlich finde ich das gut gemacht, diese Erinnerungen an Justus, die kleinen Szenen. Die haben zum Teil auch eine schöne Farbe, haben Leben, zum Beispiel die Lieblingshose oder die Art, wie er spricht.

Aber: Insgesamt war mir das zu sehr darauf getrimmt, Ergriffenheit zu erzeugen. Mir war’s deutlich zu kitschig, zu viele Schmetterlinge, Vögel, Justus‘ Eigenheiten mit Jööh-Effekt, bis hin zum „Wenn-ich-mal-gross-bin …“ Zum Teil auch floskelhaft: „Nichts wird mehr so sein, wie es war.“ / „Wir müssen jetzt stark sein.“

Vielleicht liegt es daran, dass man als Leser sehr schnell merkt, dass Justus nicht mehr da ist, dass er gestorben ist - das wird auch sehr bald verifiziert. Danach merkt man halt, dass die ganze Geschichte dazu da ist, den Jungen dem geistigen Auge des Lesers vorzuführen und dessen Empathie anzusprechen. Ich sage nicht, dass es bei mir überhaupt nicht funktioniert hat - sogar noch ganz am Schluss. Aber ich fände es gut, wenn es auch noch andere Aspekte gäbe, einen (ernsthaften) Streit, ein Bedauern der Erzählerin darüber, etwas getan oder nicht getan zu haben. Etwas, was diesen Text von anderen Geschichten, die ähnlich verlaufen, unterscheidet. So bleibt der Text für mich etwas eindimensional auf die Tränendrüsen abzielend. Ich hoffe, dich mit dieser Rückmeldung nicht allzu sehr zu ärgern, ansonsten stell dir mich einfach als kaltherzigen Deppen vor. :)

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Danke fuer das Lob und das Lesen meiner Geschichte!

Dein Name gefaellt mir uebrigens Unperfektperfekt :) Wilkommen bei den Wortkriegern!

Beste Gruesse,

Sonne

 
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Seine Stimme schlummert irgendwo zwischen meinem Bauch und meinem Herzen.

Schöne Erinnerungen, auf ewig gespeichert. Aber es wird nichts mehr so sein, wie es einmal war. Bei diesem Gedanken wird meine Brust schwer, mein Herz ein Anker und die Augen eine Wüste.

Eines Abends legte ich mich zu ihm, so wie er es früher bei mir machte, und kuschelte mich an. Mit großen Augen schaute er mich an.
"Wohin komme ich, wenn ich tot bin?" Er sprach nicht, er hauchte.
"Ich weiß es nicht. Wo willst du hin?"
"Dorthin wo die Regenwürmer husten und die Schmetterlinge tanzen. Dort, wo der Vogel den Wolf besiegt und die Rumpelwichte wohnen."
Dann begann er zu schluchzen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Er weinte und ich wollte ihm helfen. Mein Opa sagte einmal, Tränen sind das Einzige, was hilft. Also half ich ihm beim weinen. Wir wurden eins, mein Bruder und Ich. Die Welt blieb stehen und dieser Moment wird immer da sein. Ich höre heute noch das Rauschen des Baches, welchen wir weinten. Er sprudelt in meinem Herzen und von ihm geht eine Wärme aus, eine Wärme die ich spüre, wenn ich traurig bin. Wir lagen uns in den Armen und schliefen ein. Zwei Tage später starb er, ein dreiviertel Jahr ist es her

Pff. Ein kleines Mädchen verliert seinen geliebten jüngeren Bruder an den Krebs.

Über so ein Thema zu schreiben, schwarze sonne, muss nicht unbedingt eine gmahde Wiesn (eine gemähte Wiese) sein, wie man bei uns in Wien so schön sagt, auch wenn es wohl nicht viele seelenlose Dreckskerle gibt, die dieses Thema nicht berührt.
Gleichzeitig nämlich lauert dabei auch die Gefahr, in schrecklichen Gefühlskitsch abzudriften, quasi Leidenspornographie zu betreiben. Ist halt immer die Frage, wie man sich dem Thema nähert.
Aber dir gelingt es hier wirklich ganz ausgezeichnet, all diesen Klischeefallen auszuweichen. Mit der Figur der Schwester hast du eine großartige (herzzerfetzende) Erzählstimme erschaffen, die so liebenswert und gleichzeitig glaubwürdig klingt, dass man beim Lesen (zumindest ich) beinahe ununterbrochen Gänsehaut hat.
Selbst solche beinahe poetisch-philosophisch wirkenden Sätze:

Die Bäume begrenzen hier die Fahrbahn wie der Schlaf einen schönen Traum.
Ich glaube manches wird schöner, wenn ich mich daran erinnere.
klingen aus dem Mund des Mädchens nicht altklug oder gar nach dem Autor, sondern einfach nur berührend schön.

Mag sein, dass die Welt in der Geschichte - trotz des Dramas - beinahe allzu heil wirkt, die liebe- und humorvollen Eltern, der altersweise Großvater, erst recht das tapfere Kerlchen, das sterben muss, aber meine Güte, drauf geschissen, wenn die kleine Erzählerin, und nur um sie geht es hier, das so empfindet, dann passt es auch.
Ehrlich, schwarze, Sonne, ich kann mich nicht erinnern, wann eine Geschichte mich das letzte Mal derart aus der Fassung gebracht hat, also wo ich mich beim Lesen dabei ertappte, wie ich mir hin und wieder so ein eigenartiges Ding aus dem Augenwinkel wischen musste.
Pff.

Fast fühle ich mich wie der allerletzte engstirnige Korinthenkacker, wenn ich dir jetzt mit einer Fehlerliste komme, aber irgendwie, ach verdammt, ich fand deinen Text dermaßen ergreifend und schön, dass ich ernsthaft über eine Empfehlung nachdenke - auch wenn ich mich selbst damit von der Titelseite stoße – und ein empfohlener Text sollte halt möglichst fehlerfrei sein.


Frühlingshaft
Adjektiv, ergo kleinschreiben

Auf die Vorderseite habe ich ein Foto, von meinem kleinen Bruder und mir, geklebt.
Besser ohne Kommas

den winzigen Sommersprossen über der Nase.
Besser: auf der Nase

… die er immer anziehen wollte. Aber ständig hat er [sie] verloren.

Am Ende flüsterte er immer den selben [denselben] Satz

ab und zu fliegen seine Worte in mein Ohr und flüstern mir zu. Dann mache ich die Augen zu
Dann schließe ich die Augen … so hätte es einen schöneren Klang.

dann kehrte ein Schmetterling um und setzen [setzte] sich auf unsere ausgestreckten Hände.
Ein Schmetterling gleichzeitig auf mehreren Händen?

mein Bruder sei Krank [krank]

Ich wollte es nicht wahr haben [wahrhaben]

Vögel waren doch immer sein liebstes. [Liebstes]

"Hier ist es aus wie auf einem Spielplatz"
ist es wie, oder … sieht es aus wie

Er dachte, er sei Schuld [schuld]

... und kuschelte mich an. Mit großen Augen schaute er mich an.
Könnte man auch eleganter lösen.

Also half ich ihm beim weinen [Weinen]

Ach ja, und dann hast du noch jede Menge Zeichensetzungsfehler drin. Leerzeichen zwischen Anführungszeichen und Komma, irgendwo zwei Punkte hintereinander, so Zeug halt. Musst du noch einmal drüberschauen.


offshore

 
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Liebe schwarze sonne,

ja, eine sehr traurige Geschichte. Das ist sie, so ist sie gedacht. Ich wundere mich, dass sie mich am Ende nicht wirklich erreicht hat. Dabei beschreibst du die Beziehung der beiden über weite Strecken sehr einfühlsam, im ersten Teil vielleicht ein wenig zu langatmig. Aber das war nicht mein Problem.

Was mich wirklich rauswarf, war, dass ich den Autor hörte und nicht das kleine Mädchen. Wie alt sollte es sein? Zehn? Habe ich das so richtig gelesen? Und dieses zehnjährige Kind sagt solche Sätze:

Und ich vermisse die Abende, diese gemeinsamen Nächte. Diese endlose Fragerei.
Schöne Erinnerungen, auf ewig gespeichert. Aber es wird nichts mehr so sein, wie es einmal war. Bei diesem Gedanken wird meine Brust schwer, mein Herz ein Anker und die Augen eine Wüste.
In meinem Kopf singt eine Stimme aus längst vergangener Zeit
"Ich finde das alles ungerecht" , brach es eines Abends aus mir heraus. Er streichelte weiter und sagte: "Das ist ungerecht." Mehr Worte brauchte es nicht.
Wir waren oft am Bachlauf im Tale,
Barfuß auf den glitschigen Steinen, den Wesen hinterher,
Doch irgendwann verfliegt auch die größte Wut und dann bleibt nur noch die Leere. Die Leere und die Hoffnung. Der Glaube daran, dass alles nur ein großes Missverständnis gewesen ist.
Ich musste lernenK Abschied von meinem Bruder zu nehmen, mein Bruder musste lernen, Abschied vom Leben zu nehmen.
Also half ich ihm beim weinen (Weinen). Wir wurden eins, mein Bruder und Ich (ich). Die Welt blieb stehen und dieser Moment wird immer da sein.

Es ist furchtbar, wenn ein Kind geht. Und wie du es im Text sagst: Wir empfinden es als ungerecht. Das tut weh und deshalb macht uns allein der Gedanke daran schon traurig. Dein Text thematisiert das, erzeugt in mir allerdings an den genannten Stellen eher Distanz zum Thema, als dass er es vertieft. An diesen Stellen glaube ich dem Text nicht. Ich glaube nicht, dass hier ein Kind erzählt. Dieses zehnjährige Mädchen spricht und reflektiert wie eine Erwachsene, nicht wie ein Kind, das den Tod des Bruders einordnen und verarbeiten muss.

Es gibt einige Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler, die ich mir nicht notiert habe, weil ich mich auf den Inhalt konzentriert habe.

Liebe Grüße
barnhelm

 
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Du hast „Kinder“ in den Tags, mir ist nicht ganz klar, was dein Zielpublikum ist. Was jetzt folgt, sind Gedanken dazu, wie ich das als erwachsene Person lese:

Hallo Peeperkorn,

ich danke dir vielmals für dein Feedback und deine Mühe. Ich möchte darauf eingehen und werde die klaren Fehler direkt im Text verbessern. Diese Kurzgeschichte ist für die Altersgruppe der 10 - 16 jährigen konzipiert. Aber (natürlich) nicht als reine Geschichte, sondern als Arbeitsmaterial für den Unterricht o.ä. Deshalb der Tag "Kinder" und "Jugend." Ich werde Kinder streichen und nur die Jugendlichen lassen.
Ich habe das nicht als Kommentar zum Text gepostet, weil ich einfach wissen wollte, wie der Text wirkt. Ziemlich egoistisch, oder?
Ich habe, hatte aber keine Ahnung, ob die Geschichte überhaupt ansatzweise in Ordnung geht. Fehlt eine "Story" in der Erzählung? Fehlen ein, zwei Erinnerungssequenzen, die etwas anderes skizieren als die heile Welt? Funktioniert diese Geschichte auch ohne Konflikt? Ist es überhaupt eine Geschichte? Vermutlich nicht.
Wenn ich so darüber nachdenke, gehört sie vielleicht in das Forum "Experimente." Aber ich glaube, da spricht auch viel dagegen.

Über das "grüne" muss ich noch ein paar Nächte schlafen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das ändern möchte. Diese Hose, ja. Mh. Natürlich wäre "verlegt", der richtige Begriff. Ich vermute aber die Erzählerin hat die Stimme von Justus im Ohr. Und Kinder benutzen eher "verloren" als "verlegt." Ich wollte zumindest das ganze dadurch lebendiger wirken lassen. Auch darüber schlafe ich noch ein paar Nächte.

Ich bin immernoch ein bisschen verwirrt und planlos, was meinen Text anbelangt. Und hier kommt auch die Kritik von barnhelm ins Spiel. Vorneweg: Danke barnhelm für deine Mühe und dein Feedback. Auch deine Kritik empfinde ich als sehr wertvoll, ebenso wie die von Peeperkorn!

Ich bin mir sehr unsicher, welche Textstellen (zu) kitschig sind und welche Erinnerungen zu gekünstelt wirken. Es bedarf auf jeden Fall noch einer Überarbeitung und Selektion. Deshalb danke für eure Einwände, das ist mir wirklich wichtig. Vielleicht noch kurz etwas zur Erzählerin. Sie ist elf, zwölf Jahre alt. Also durchaus in der Lage zu philosophieren und die Geschehnisse in einen Kontext zu stellen. Ich glaube, sie fällt während der Erzählung in ein kindliches Muster zurück. Eine selektive Wahrnehmung und das "verschönern" empfinde ich als nachvollziehbar. Das Alter muss ich anpassen. Den Tod nicht ein dreiviertel Jahr, sonder 1 3/4 Jahre in die Vergangenheit setzten. Dann würde die Trauerphase mit dem emotionalen Zustand der Erzählerin ungefähr übereinstimmen. Das war tatsächlich ein grober Schnitzer, sorry dafür.

Also um auf den Punkt zukommen: danke für Euer Feedback und ich melde mich, wenn ich den Text überarbeitet habe. Über die Kitschigen stellen, und die zitierten Sätze deinerseits barhelm, werde ich mich nochmals gesondert melden ... Ich gestehe der Erzählerin nämlich eine bildhafte Sprache ein. Augen werden trocken, Herzen werden schwer. Wüste und Anker, ich glaube meiner Erzählerin. Aber das mit dem Kitsch ... das ist verzwickt! =)

Beste Grüße,

Sonne

Hallo Ernst ,

vielen Dank für dein fettes Lob und deine Hilfe, den Text zu verbessern!

Das freut mich riesig, dass er so von dir wahrgenommen wird. Auch die von dir explizit gezeigten Stellen helfen mir ungemein das ganze richtig Einordnen zu können. Meine Antwort auf dein Feedback ist zwar sehr kurz, aber glaube mir, innerlich tanze ich.

Dankeschön,

Sonne.

 

hallo schwarze Sonne,
der Text ist gut geschrieben, das Thema auf gefühlvolle, manchmal vieleicht etwas arg schmachtende weise, aber nie zu gefühlsduselig umgesetzt. Man leidet mit, man wird wütend auf die Welt und man fragt nach einem Warum. Vorallem deshalb, weil Justus so großartig gezeichnet wird. Diese Mischung aus kindlicher Verspieltheit, Infamität und der reifen Weisheit eines Menschen, der in viel zu jungen Jahren Dinge erlebt, die wir uns kaum vorstellen wollen. Das ist stark und glaubhaft und trägt den Text.
Im Kontrast dazu steht aber leider die Erzählerin, die beim besten Willen einfach keine 12 ist. Ich kaufs nicht ab. Die ganze Zeit habe ich mir wider besseren Wissens eine junge Frau vorgestelllt, die nach Jahren die Ereignisse refelektiert. Zu ihr würde dieser reflexive Ton passen, zu ihr die Melankolie. Ein 12 jähriges Mädchen erzählt so nicht, egal wie viel sie durchgemacht hat. Im Tonfall nicht, in der Art wie sie die Dinge betrachtet nicht und erst recht nicht in der Sprache.
Ich wollte das eigentlich mit Textstellen belegen und es gibt auch einige die ich Signifikant finde, aber im einzelnen Betrachtet kann man dann immer sagen: Ja so was kann eine 12 jährige schon sagen und denken.
Es geht um den Gesamtton. Für mich fühlt es sich komisch an, ich glaube das Kind nicht.
Ich denke es liegt schon alleine am Umfang und dem perfekten Aufbau. (Zeitformwechsel!) alles ist zu glatt zu sauber für ein traumatisiertes Kind. Tagebucheinträge von mir aus, aber eine perfekt sturktuierte Geschichte, in der die Erzählerin völlig geerdet und im Reinen mit sich wirkt. Nee, irgendwie nicht.

Aber wie gesagt, das macht den Text nichts schlecht. Er ist tief und traurig und ich lebe mit, nur eben nicht mit ihr.

Zwei zeitsachen hätte ich zu besprechen:

Justus sah richtig niedlich aus, mit seinen blonden Haaren und den winzigen Sommersprossen auf der Nase. Er trägt seine bescheuerte "Bob der Baumeister" Badehose, die er immer anziehen wollte.

"Justus sieht richtig niedlich aus, mit seinen blonden Haaren und den winzigen Sommersprossen auf der Nase. Er trägt seine bescheuerte "Bob der Baumeister" Badehose, die er immer anziehen wollte."

Es gibt keinen Grund erst Vergangenheit und dann Gegenwart zu verwenden. da sbild wird ja in gänze in der gegenwart betrachtet, ode rdu schreibt alles in Vergangenheit. Der wechsel wirkt unklar.

Mein Bruder war nicht krank, der Arzt hat gelogen.
Die Lüge des Arztes geschieht vor der Überlegung, das er nicht krank war.
Plusquam Perfekt: "der Arzt hatte gelogen"

Liebe Grüße
Marot

 
Zuletzt bearbeitet:

Marot schrieb:
Ein 12 jähriges Mädchen erzählt so nicht, egal wie viel sie durchgemacht hat. Im Tonfall nicht, in der Art wie sie die Dinge betrachtet nicht und erst recht nicht in der Sprache.
Ich wollte das eigentlich mit Textstellen belegen und es gibt auch einige die ich Signifikant finde, aber im einzelnen Betrachtet kann man dann immer sagen: Ja so was kann eine 12 jährige schon sagen und denken.
Es geht um den Gesamtton. Für mich fühlt es sich komisch an, ich glaube das Kind nicht.

Nachdem nach barnhelm nun auch Marot die Erzählsprache des zwölfjährigen Mädchens als nicht altersentsprechend - und folglich unglaubwürdig - bezeichnet, fühle ich mich, nein, nicht zu einer Relativierung, aber zumindest zu einer Erklärung meines gestrigen Urteils genötigt.

Den einen oder anderen Satz habe zwar auch ich als „beinahe zu poetisch-philosophisch“ empfunden, also nicht unbedingt dem Sprachduktus eines Kindes entsprechend, aber dass mich das nicht gestört hat, erkläre ich mir weniger mit meiner Unbedarftheit als Leser, sondern vielmehr mit schwarze sonnes Geschick, diese Sätze sehr behutsam und unaufdringlich in den ansonsten überaus liebenswerten und kindlich charmanten Tonfall des Mädchens einfließen zu lassen.

Jetzt kann man natürlich die Frage stellen, ob das legitim sei, also wenn der Autor die Sprache auf ein der Erzählfigur vermeintlich nicht angemessenes Niveau hebt, sie quasi künstlich literarisiert, um dadurch mehr an Botschaft vermitteln zu können, mehr an Gedankentiefe und mehr an Gefühlen der Protagonistin.
Und ja, ich beantworte diese Frage für mich mit ja.
Vermutlich aus dem Grund, weil ich ansonsten das Lesen fiktiver Geschichten ja überhaupt bleiben lassen könnte.
Um ein vollkommen unbearbeitetes, ungeschminktes Abbild der Wirklichkeit zu erhalten, brauch ich mich ja nur im Alltag umzuschauen, da brauch ich nur meine Augen und Ohren aufmachen und Nachrichten gucken - oder den Schulaufsatz einer Zehnjährigen lesen.
Aber wenn ich Literatur lese, will ich zusätzlich über das reine Geschehen hinaus auch eine mitreißende sprachlich-stilistische Gestaltung, und wenn die wie in sonnes Fall eventuell auf Kosten der Glaubwürdigkeit (der Authentizität?) geht, sag ich mir einfach: Scheiß drauf, die Kleine denkt vielleicht nicht wortwörtlich in dieser Sprache, aber auf jeden Fall sind das ihre Gedanken, ihre Gefühle.
Also für mich ist dieses die-Erzählerin-quasi-an-der-Hand-nehmen ein Trick, dessen sich ein Autor allemal bedienen darf. Was bliebe denn sonst? Ein schlecht geschriebener Zeitungsartikel? Ein lausiger Schüleraufsatz?

 

hallo ernst,
juju, eine Diskussion über den Text, zumindest teilweise gelöst vom Autor. Das ist es um was es doch geht, da beginnt es Spaß zu machen. Es führt uns zur Frage, wie viel Autentiziät ein Text brauch:

Ich muss ehrlich sagen, ich habe vorhin hin und her überlegt ob ich meinen Kritikpunkt überhaupt anbringe, denn zum Teil finde ich das du völlig recht hast.
Literatur ist nicht Realität, zum Glück nicht. Sie muss sich nicht an die langweiligen Regeln halten, die uns hier unten Auferlegt sind, sie kann in höheren Gefilden wandeln, kann überspitzen, übertragen, übersetzten. Sie kann einem kleinen Mädchen Worte in den Mund legen, die sie selbst nicht finden kann um Gefühle auszudrücken, die sie sicherlich hat. Deshalb sagte ich auch der Text ist gut, aber es gibt hier ein kleines Problem.
Die Geschichte arbeitet eigentlich stark mit Autentiziät. Sie zeichnet einen sehr greifbaren kranken Jungen und den Leidensweg eienr ganzen Familie. Es wird hier nicht versucht künstlerische Weiten zu eröffnen sondern ein glaubhaftes Gefühlsbild zu zeichnen. Hier wird neben aller Poetik vor allem auf Gefühlsechtheit wert gelegt. Und genau die wird ein wenig, nicht sehr viel, das sage ich ja auch, aber ein wenig beinträchtigt durch das unglaubwürdige Erzähleralter.
Daran muss man sich nicht stören und warscheinlich ist es eine Kleinigkeit die den meisten Lesern egal ist oder mancher wird es sicher nicht zu unrecht auch als künstlerische Freiheit sehen.
Vollkommen in Ordnung, aber es gibt zwei Aletrnativen, die ich einfach inetressant finde:

1. Das Mädchen muss nicht 12 sein. Der Geschichte würde es nicht weh tun wenn sie 20 wäre.
Dann hätten wir ein 10 jähriges Jubiläum, eine glaubwürdige Erzählerin und vieleicht noch einen mittlerweile sehr alten Opa. Da könnte man dann fast noch eine Seitgeschichte einbauen, wie er sich verändert hat in der Zeit, oder der opa ist auch tot und liegt neben drann. Da geht einiges, was die Perspektive noch mal verdichtet.

2. Wenn das Alter aber wichtig ist, dann könnte man versuchen es tatsächlich in einem kindgerechteren Ton zu schreiben. Dass muss nicht automatisch schlecht sein, 12 Jährige können teilweise schon super schreiben und poetisch, nur eben nicht so gerissen wie schwarze sonne. das wäre ein spannendes Experiment, das ich gerne lesen würde. Denn dafür ist Literatur ja auch da, um erzählerische Grenzen auszutesten und Erzählperspektiven auszuprobieren.

3. Währnd ich schreibe kommt mir eine dritte Idee: Die Zeitwechsel sind eh schon im Text. da könnte man die Vergnagenheitspasagen mit den von mir erwähnten Tagebucheinträgen des kleinen Mädchens austauschen und die Konzeption der Geschichte und die Gegenwartspassagen der jungen Frau überlassen.

So jetzt hör ich auf, sonst klau ich den text :D

Ihr merkt vielleicht, ich will gar nicht gegen den Text argumentieren, er ist gut, aber zusätzlich zu ihm könnte man an weiteren Varianten schrauben und schauen was passiert, deshalb überhaupt nur meine Kritik.
Gruß marot

 

Nur kurz zu dem, was Marot schreibt:

Das Mädchen muss nicht 12 sein. Der Geschichte würde es nicht weh tun wenn sie 20 wäre.
Dann hätten wir ein 10 jähriges Jubiläum, eine glaubwürdige Erzählerin

Ja, genau in diese Richtung habe ich auch schon gedacht und überlegt, es schwarze sonne vorzuschlagen.

Liebe Grüße
barnhelm

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe schwarze sonne,

Die Geschichte geht unter die Haut. Und sie ist gut geschrieben.
Dass das Mädchen manchmal wie eine Erwachsene spricht und reflektiert, würde ich nicht ändern. In einer kindgerechten Sprache würde die Geschichte, meiner Meinung nach, an Stärke verlieren.

Zum andern gibt es für mich keine kitschigen Stellen. Es ist eine Geschichte wie aus dem richtigen Leben.
Es hat Aussagen drin, die mich angesprochen haben. Ich kann nur einige hervorheben:

"In einer Geschichte kannst du alles sein", sagt Justus, der so gern ein kleiner Vogel wäre.

Immer wollte er etwas wissen. Und Opa sagt: "Wer keine Fragen stellt, findet keine Antwort."
Ein weiser Opa, der sich sogar nach Justus Therapie eine Glatze rasiert und dem es gelingt, in aller Trauer immer wieder Hoffnung zu wecken.

"Wohin komme ich, wenn ich tot bin", fragt Justus.
Er wünscht sich dort hin zu gehen, wo die Schmetterlinge tanzen.

Eigentlich hätte ich erwartet, dass er fragt: "Gibt es im Himmel auch tanzende Schmetterlinge und Vögel?"
Darauf hätte vielleicht der Opa geantwortet: "Ganz bestimmt und zwar Schmetterlinge und Vögel in einer Farbenpracht wie wir uns das hier gar nicht vorstellen können."

Liebe schwarze sonne, vielen Dank für diese Geschichte.

Marai

 

Liebe schwarze sonne

Jetzt will ich von meinem Bruder erzählen. Von ihm, Jonathan Löwenherz, will ich erzählen. Es ist fast wie ein Märchen, finde ich, und ein klein wenig auch wie eine Gespenstergeschichte, und doch ist alles wahr. Aber das weiß keiner außer mir und Jonathan.
Anfangs hieß Jonathan nicht Löwenherz. Er hieß Löwe, genau wie Mama und ich.
Jonathan Löwe hieß er. Ich heiße Karl Löwe …
Jonathan wusste, dass ich bald sterben würde. Ich glaube, alle wussten es, nur ich nicht.

So beginnt Astrid Lindgrens (damals) umstrittenes Buch über die Brüder Löwenherz, über den Tod und sogar über den Freitod.

In gewisser Weise erinnert mich deine Geschichte daran, du stellst ja selber in deiner Geschichte den Bezug zu Astrid Lindgren mit ‚Ronja Räubertochter’ her. Lindgren schafft es in diesem, wie überhaupt in fast allen anderen ihrer Kinderbücher, sich nicht nur in die Gedankenwelt, sondern auch in die sprachliche Welt der Kinder zu versetzen. Auch du, ‚schwarze sonne’ machst das über sehr weite Strecken wirklich gut. Und natürlich können Kinder auch in einer philosophisch-bildhaften Sprache sprechen. Das siehst du völlig richtig. Nur schienen mir die Stellen, die ich angemerkt habe, zu abgehoben, wie von einem Erwachsenen formuliert. Deshalb stockte ich hier.

Aber noch etwas zu deiner Auseinandersetzung mit unseren teilweise kritischen Äußerungen: Was immer wir sagen, keiner von uns muss recht haben. Wir drücken nur Meinungen und Empfindungen aus, selten gibt es hier ein Richtig oder Falsch. Letztendlich entscheidest du darüber, wie du deine Geschichte lässt. Und unsere Wahrnehmung ist ja, wie du aus den Kommentaren gesehen hast, durchaus unterschiedlich.

Auf jeden Fall gratuliere ich dir zur Empfehlung.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Hallo schwarze Sonne,

es ist wunderbar, dass dein Text von barnhelm empfohlen wurde. Gleich beim erstenmal Lesen war ich so gerührt, dass ich erstmal unterbrechen musste. Da hast du eben eine Ecke in meinen Erinnerungen erwischt, in der immer noch Schmerz sitzt. Es wird nicht jedem so gehen. Das ist wohl auch nicht von dir beabsichtigt. Du wolltest diese Geschichte für Jugendliche schreiben. Sie sollen Empathie lernen und vielleicht auch Mut finden, über eigene Verluste zu sprechen. Vielleicht hast du mit traumatisierten Kindern zu tun. Da ist es ganz wichtig, Gefühle zuzulassen. Da ich selbst direkt betroffen bin, konnte ich keinen Gedanken verschwenden an literaturtechnische Gedanken. Hier im Forum gibt es natürlich sehr kompetente Menschen, die auf mögliche Verbesserungen hingewiesen haben und noch tun werden. Das finde ich ok, auch für dich, der du ja hier sehr engagiert bist. Ich sage nur Friedrichard. Ich bin gespannt, wie es hier mit dir weitergeht.

Herzliche Grüße
wieselmaus

 

Dann lächelte er mich an und erschrak doch bei den ersten Geräuschen der Heizung oder des Trockners.

schwarze sonne, du bist auf dem besten Weg, ein großer Erzähler zu werden, auch und wegen solcher Sätze.

Natürlich drückt das auf die Tränendrüse. Vielleicht solltest du etwas auf ausgelutschte Bilder verzichten und den Text abklopfen. Weniger ist manchmal mehr, du musst diesen Effekt der Ergriffenheit nicht noch überstrapazieren, denn die ganze Geschichte ist so schon tief. Die Szenen mit dem Bruder sind gut, aber da würde ich vielleicht noch verdichten, die Perspektive von ihr verknappen, die Szenen sprechen auch aus sich schon selbst heraus, das muss nicht überkommentiert werden, es wirkt dann manchmal so, als ob du dich direkt an ein Publikum richtest und nochmals nachfragst: Habt ihr es auch verstanden?

Ansonsten, großes Kompliment. Dein Sound ist gut, und ich denke, wenn du dran bleibst, werden wir von dir noch großartige Geschichten lesen.

Gruss, Jimmy

 
Zuletzt bearbeitet:

"Blackbird singing in the dead of night
Take these broken wings and learn to fly
All your life
You were only waiting for this moment to arise."
McCartney/Lennon, The Beatles (Weißes Album, '68) "Black Bird"​

Opa sagt immer: "Wer keine Fragen stellt, findet keine Antworten."
Und wie recht Opa hat, meint ein anderer,

Grund genug, mal wieder vorbeizuschauen,

schwarze sonne,
sind wir doch nun durch ein seltsames Spiel irgendwie einander verbunden. Und - ehe noch ein paar Wehmutstropfen in hoffentlich nur kleinen homöopathischen Dosen fließen - herzlichen Glückwunsch zur Empfehlung!

Aber ach, wie kommt ein solches Thema vom November in das Frühjahr? Weil das Sterben keine Rücksicht auf irgendeine Gefühlswelt nimmt und Freund Hein zum Leben gehört wie die versöhnliche Lindgrens Geschichte der Rövardotter und ihren Nachbarn zum Leben Justus, dem Gerechten, gehörte. Aber ach, wer immer vorher die Flusen aufhob, es gilt noch einiges auszukämmen (incl. mutmaßlicher Flüchtigkeit, wenn das eine oder andere hier gelingt und dort eben nicht).

Und es geht gleich los

„Komm, wir fahren los. Vergiss das Bild und den Vogel nicht."
Der Imperativ klingt sehr nach Befehl!, nicht einmal nach bloßer Bitte.

Und dann die Zeichensetzung incl. im Zusammenhang mit der wörtl. Rede

"Ich ziehe nur diese Hose an"[,] sprach er dann und stapfte mit den Füßen auf den Boden.

„Wenn du dein Eis nur ins Gesicht schmierst, dann gib es lieber mir." , und wollte Justus die Waffel klauen.
Aber, aber, Papas klauen nicht, das tun nicht mal Opas! Aber der Punkt vorm Gänsefüßchen kann weg – sonst wäre das ein großes „und“ und das Komma entbehrlich. Das nun wiederum rückt in die Leerstelle zwischen sich höchstselbst und dem Gänseklein. (Keine bange, bin kurzsichtig und weniger ein Hawkeye als ein Blindfisch. Ich nutz gelegentlich das Steuerzeichen Strg. + F 10 und koch auch nur mit Wasser. Aber das Steuerzeichen solltestu einfach mal nutzen, denn diese winzige Misere setzt sich wenigstens noch einmal fort und an einer Stelle wäre ein Doppelpunkt zu empfehlen. Würd jetzt nur zu weit führen, alles aufzuzeigen.)

Wird hier das Komma nicht ganz gut von der Konjunktion ersetzt?

Ich kicherte, und sagte:
(Okay, ich geb's zu, bei Kleist hätt ich nicht gefragt - aber hier auf jeden Fall, da macht jeder geradezu automatisch eine Atempause, behaupt ich mal)
irgendwann wird er vielleicht grüne Haare bekommen, oder eine grüne Nase.
Mal ohne Komm
Seine lustige Art[,] die Dinge zu sagen.
Und hier zeigt sich die Flüchtigkeit deutlich
Ich musste lernen[,] Abschied von meinem Bruder zu nehmen, mein Bruder musste lernen, Abschied vom Leben zu nehmen.

Hier schnappt zwomal die Fälle-Falle zu
Er kuschelte sich unter meine Decke …
Ja, es gibt den Schlager (mir an sich mit wenigen Ausnahmen ein Folterinstrument), wo's heißt "Komm unter meine Decke" ... Aber wohl kröche/käme er unter „meine“ Decke (wohin kriecht er?), aber wenn er das hinter sich hat (offensichtlich hat er's, meine ich zu erkennen) „kuschelt er sich unter meiner Decke“. Und dann noch einmal
Dann kniff er mich in die Seite und lächelte mich schief an.
Kniff er mich, wär's gut, wie er mich ja auch nur schief anlächelt. Aber schaute/lächelte er mir schief ins Auge wie er mir in die Seite kniffe. Und hernach bin ich sprachlos
Ich hole den Vogel heraus und reiche ihm Opa.

Und ich? Ich durfte Warten.
Sicherlich ein sehr langdauerndes Warten … halt bis es groß ist.

Hier nun fehlt was, vorzugsweise das Personalpronomen (oder noch mal die biologische/soziale Rollenbezeichnung)

Mama war ganz schön sauer, als es am Abend gesehen hat."

Alles halb so wild, findet der

Friedel,
der ja weiß, dass Du dran arbeitest, ein guter Erzähler zu werden

 

Hallo wieselmaus,
nur der Korrektheit halber: ernst offshore hat den Text empfohlen, ich habe nur gratuliert.

Liebe Grüße
barnhelm

 
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Hallo Marot,

ich beginne mal bei dir. Hier hat sich seit gestern ja einiges "angestaut", ich bin überrascht. Danke für das Lesen, dem Ausmerzen der Fehler und vorallem der tiefgreifenden Auseinandersetzung mit dem Text. Und danke natürlich für die Komplimente. Das wird ja häufig vergessen, zwar ist dein Beitrag kritisch, aber ich empfinde ihn als positiv und sehr wertvoll.

Man leidet mit, man wird wütend auf die Welt und man fragt nach einem Warum. Vorallem deshalb, weil Justus so großartig gezeichnet wird. Diese Mischung aus kindlicher Verspieltheit, Infamität und der reifen Weisheit eines Menschen, der in viel zu jungen Jahren Dinge erlebt, die wir uns kaum vorstellen wollen. Das ist stark und glaubhaft und trägt den Text.

Das ist schön zu hören. Der Gedanke war ursprünglich den Jungen zu zeigen und seine Handlungen, Fragen für sich sprechen zu lassen. Vielleicht ein bisschen wie der kleine Prinz, nur eben realistisch.

Aber wie gesagt, das macht den Text nichts schlecht. Er ist tief und traurig und ich lebe mit, nur eben nicht mit ihr.

Das ist einerseits sehr schade, aber anderseits wiederum großartig. Für mich aber schwer greifbar, dass du mit dem Text lebst, aber nicht mit der Erzählerin. Musst du aber nicht erklären, das ist halt so. Mir hängt mittlerweile die Erzählerin ein bisschen zum Hals raus, sich über Stunden in ein melancholisches zwölfjähriges Mädchen zuversetzen, ist irgendwie auch keine Dauerlösung. Da komm ich so schwer wieder raus.

Dass du der Erzählerin nicht glaubst, ist natürlich dein Empfinden, deshalb möchte ich es gar nicht widerlegen, sondern nehme es zur Kenntniss und werde mir darüber Gedanken machen. Die Diskussion zwischen ernst offshore und dir spiegelt eigentlich mein Seelenleben perfekt wider. Mein streben war es, ein zwischending zufinden. Realistisch, Glaubhaft, aber trotzdem Literarisch. Ich muss an der Chemie noch pfeilen. Bin aber sehr Dankbar um eure Gedanken. Sie bestärken mich darin, dass ich noch weiter am Text pfeilen muss und das richtige Rezept noch nicht gefunden habe.

So nun zu Dir, barnhelm =)

In gewisser Weise erinnert mich deine Geschichte daran, du stellst ja selber in deiner Geschichte den Bezug zu Astrid Lindgren mit ‚Ronja Räubertochter’ her. Lindgren schafft es in diesem, wie überhaupt in fast allen anderen ihrer Kinderbücher, sich nicht nur in die Gedankenwelt, sondern auch in die sprachliche Welt der Kinder zu versetzen.

Astrid Lindgren, Michael Ende, Ottfried Preußler. Das klingt jetzt vielleicht absurd und unrealistisch, aber genau da möchte ich hin. Oder besser: diese Autoren inspirieren mich und haben mich zum Schreiben gebracht. Natürlich versuche ich meinen eigenen Stil zufinden, aber ich glaube, das dauert noch ein paar Geschichten. Aber dein Einwand bestärkt mein ureigenes Gefühl, dass der Text einfach noch nicht perfekt ist. Noch nicht so, wie ich die Geschichte erzählen möchte. Danke für deine Gedanken, deine Auseinandersetzung und Ideen. Und natürlich für das Beglückwünschen! =)


Abschließen werde ich diese Antwort mit den Ideen von Dir, Marot

Deine Ideen sind interessant. Manche sind mir auch schon beim Denken durch den Kopf gegangen. Ich habe mich letztendlich für die große Schwester aus vorallem zwei Gründen entscheiden:

- Ich wollte keine Erwachsenengedanken. Eine ältere Erzählerin bedeutet, sie muss irgendwie reflektieren, die Erinnerungen schließen. Ich wollte, dass die Erinnerungen sich mit der Realität verbinden und fließen, deshalb dreht sich die Geschichte auch nur von Zuhause bis zum Friedhof. Eine kleine Autofahrt, mehr nicht.

- Ich habe schon Dinger aus den Mündern von Kindern gehört, da klappte mir die Kinnlade herunter. Es sind die einfachen Wahrheiten, welche sie aussprechen. Weil sie vom Herzen auf die Zunge gelegt werden und keinen Umweg über das Gewissen, das Gehirn machen, wie bei uns Erwachsenen.

Das ist mir nicht immer gelungen, das sehe ich. Aber deshalb habe ich schließlich den Text gepostet, damit mir diese Stellen aufgezeigt werden. Es ist ja immernoch die Schreibwerkstatt und kein Verlag :)

Wenn diese Geschichte irgendwann fertig ist und du immer noch den Text klauen willst, lässt sich ja vielleicht ein Copywrite arrangieren :P =) Danke für Mühe und die Zeit!

Ich hoffe ich habe nichts vergessen oder ausgeklammert, sonst einfach nochmals beschweren! =)

Beste Grüße,

Sonne

Hi jimmysalaryman

eigentlich hätte ich dich in meinem vorhergehenden Beitrag noch unterbringen können, fällt mir beim Schreiben auf. Irgendwie ähneln sich alle Kritikpunkte und sind 'glücklicherweise' genau dieselben, welche mich Zweifeln ließen.

Erstmal aber: vielen Dank für die Lorbeeren. Das freut mich sehr und motiviert ungemein. Super! =)

Natürlich drückt das auf die Tränendrüse. Vielleicht solltest du etwas auf ausgelutschte Bilder verzichten und den Text abklopfen. Weniger ist manchmal mehr, du musst diesen Effekt der Ergriffenheit nicht noch überstrapazieren, denn die ganze Geschichte ist so schon tief. Die Szenen mit dem Bruder sind gut, aber da würde ich vielleicht noch verdichten, die Perspektive von ihr verknappen, die Szenen sprechen auch aus sich schon selbst heraus, das muss nicht überkommentiert werden, es wirkt dann manchmal so, als ob du dich direkt an ein Publikum richtest und nochmals nachfragst: Habt ihr es auch verstanden?

Da triffst du genau den Nerv. Ich erkläre oft das, was ich sage, dannach nochmals. Ebenso das was ich schreibe, was ich mache. Es ist eine Berufskrankheit. Abklopfen, verdichten, auf das wesentliche Konzentrieren, die ausgelutschten Bilder bzw. das Erwachsene entfernen. Das wird meine Aufgabe in der Überarbeitung sein. Ich freue mich, aber habe auch Respekt davor. Ich bin gespannt, wie ich es meistern werde. Aber eins habe ich mir geschworen und gelernt, ich lasse den Text ein wenig ruhen.


Dann lächelte er mich an und erschrak doch bei den ersten Geräuschen der Heizung oder des Trockners.

Ist das einer dieser Sätze, die verdichtet sind? Und ich nehme an folgender Satz, ist einer, der nochmals erklärt wird?
Und Mama und Papa lachten auch. Irgendwann lachten wir alle. Er hat es immer irgendwie geschafft. Und er schafft es immer noch. Wenn es einen Menschen gibt, der die Trauer nimmt, und Hoffnung gibt.

Vielen Dank Jimmy und wir lesen uns. :)

Beste Grüße,

Sonne

 

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