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Wo der Himmel anfängt

Wortkrieger-Team
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31.01.2016
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Wo der Himmel anfängt

Er fingert die Tablette aus dem Holzkästchen, schluckt sie ohne Wasser, setzt die Schutzmaske vor das Gesicht und schiebt die Tür auf.
Es ist Freitag, der 11. März.
Die Luft auf seiner Stirn fühlt sich weder kalt noch warm an. Sie kommt nie als Windstoß, steht jeden Morgen als eine durchsichtige, unheilvolle Mauer vor seinem Haus. Die milchig graue Wolkenschicht weckt in ihm den Gedanken an Regen. Nicht, dass es in jüngerer Vergangenheit geregnet hätte, aber er vermisst es, unter einem Schirm den Tropfen zu lauschen, wenn sie auf den Stoff prasseln. Er sehnt sich nach dem anschließenden göttlichen Geruch von Erde, vermischt mit dem Öl der Pflanzen, das sich während der trockenen Phasen gesammelt hat und dann mit dem Regenwasser zu dieser einzigartigen Komposition wird. Er sehnt sich nach dem großen hellblauen Himmel, der an heißen Sommertagen glitzerte wie die Muscheln, die er auf dem Schulweg sammelte, wenn er einen Umweg am Strand entlang machte. Die schönsten schenkte er seiner Schwester.
„Die schimmern wie die Fingernägel von Engeln", sagte sie einmal, hielt sie mit ausgestrecktem Arm ins Sonnenlicht und kniff ein Auge dabei zu.

Vor dem abgeblätterten Zaun, den sein Vater zuletzt gestrichen hatte, begegnet ihm die Nachbarin mit ihrer Tochter. Das Kind trägt die Haare zu kurzen Zöpfen, die straff hinter den Ohren gebunden im Takt der Schritte wippen. Sie muss schnell laufen, um dem Tempo der Mutter zu folgen, die sie an der Hand hinter sich herzieht. Er könnte es nicht mit Gewissheit behaupten, doch es kommt ihm vor, als erwidere sie seinen Gruß nicht mehr, seit er alleine lebt. Vielleicht spricht er aber auch zu leise oder sie, und er hört ihre Worte nicht, wenn sie schnell an ihm vorbeihuscht.

Auf dem kurzen Fußweg, den er gemeinsam mit den anderen zur Anlegestelle zurücklegt, ist es ihm nicht möglich mit Sicherheit zu sagen, ob es sich jeden Morgen um dieselben Menschen handelt. Sie sind alle mit der Fähre zum Festland unterwegs. Die Kleidung der Bewohner ähnelt sich in ihrer Farblosigkeit und Form. Gesichter kann er aufgrund der Schutzmasken sowieso nicht erkennen. Auch die Haare der meisten sind dunkel wie seine eigenen. Man besucht sich längst nicht mehr gegenseitig. Er selbst kauft der Einfachheit halber zweimal im Jahr seine Kleidung in vierfacher Ausführung. Hemden, Pullover, Hosen, Sakkos. Zwei Mäntel, Schuhe. Das kann er direkt in dem Haus, in dem er auch arbeitet. Gleich unten im Eingangsbereich befinden sich Bekleidungsläden, Geschäfte für Nahrungsmittel und Elektronik.
Die Wege sind kurz gehalten. Man hat sich eingerichtet nach der verheerenden Flutkatastrophe und folgt den Regeln, die entstanden sind als Reaktion auf menschliches Versagen und als nichts mehr war wie vorher.

Es leben nicht mehr viele Bewohner auf der Insel und während der zwanzigminütigen Überfahrt sitzt jeder für sich. Kaum jemand spricht oder telefoniert, denn das hat sich mit den Masken als umständlich erwiesen. Sie blicken auf ihr Gegenüber oder auf das dunkelgraue Meer, das nur dann in Bewegung kommt, wenn die Fähre darauf unterwegs ist. Auf den Sitzen neben ihm unterhalten sich zwei Mädchen im Teenageralter. Die Gesichtsmasken sind mit glitzernden Steinen in rosa und silber verziert, die seitlich sitzenden Filter sind pink oder goldfarben. Eine von ihnen hat mit einem goldenen Stift einen Blitz unter das Auge auf den Kunststoff gezeichnet. Ihre Stimmen klingen gedämpft und unnatürlich, als würden sie in Blechdosen sprechen. Die wenig sichtbare Haut an den Händen und auf der Stirn ist bleich. Sie kichern und legen die Hände dabei in ihren Schoß zwischen die Beine, sind auf dem Weg zur Schule, denn sie reden vom Sport, den sie nicht vermissen, seit er nicht mehr an Schulen unterrichtet wird. Er erinnert sich, dass seine Klassenkameradinnen früher beim Lachen die Hände vor den Mund hielten und verschämt die Schultern zu den Ohren zogen. Bei dem Gedanken daran lächelt er hinter seiner Maske und denkt an das Mädchen aus der Parallelklasse, dem er jeden Tag eine Muschel schenkte, nur damit sie ihn anlächelte.
Er hört das Wasser, das während der Fahrt vom Bug verdrängt wird und an die Außenwand der Fähre spritzt. Keinen Wind und keine Vögel, keine Fahrgeräusche. Wenn er die Augen schließt, das verhaltene Plätschern hört, erinnert er sich an frühen Morgenstunden, in denen er mit seinem Vater im kleinen Holzboot zum Fischen auf's Meer hinausfuhr. Dann bildet er sich ein, Möwengeschrei und das Tuckern des Motors zu hören.

Ein kleines Mädchen sitzt ihm schräg gegenüber, als er die Augen öffnet. Er hat es erst in diesem Moment bemerkt. Sie trägt ein rotes Kleid und ihr langes Haar ist oberhalb der Ohren zu Zöpfen gebunden. Sie dreht den Kopf, wobei ihre Zöpfe langsam um die weiße Maske fliegen, wie schwarze Algen um einen Stein im flachen Wasser. Ihr Gesicht zeigt in seine Richtung und er wendet sich hastig ab. Kurz darauf wagt er es, sie wieder anzusehen. Sie trägt eine Tasche mit einem Gurt quer über der Brust und sieht auf den leeren Sitz gegenüber. Unvermittelt dreht sie den Kopf erneut in sein Blickfeld zurück und sie sehen sich für einen Moment an, bevor er die Hände auf seinen Beinen fest zu Fäusten ballt und sich in den Falten seiner Stirn Schweißperlen sammeln.
Das Mobiltelefon gibt ein Signal. Kommst du heute nach der Arbeit?

Er verrichtet seine Arbeit still und während der Mittagszeit sitzt er meist allein an einem Tisch. Das Essen bietet in seiner Einseitigkeit wenig Grund für eine Unterhaltung und die wenigsten erleben etwas Außergewöhnliches in ihrer freien Zeit, worüber es sich zu reden lohnte. Seine Freunde aus Jugendtagen flohen von der Insel in die Großstädte, sofern sie nicht während der Katastrophe oder in den ersten Jahren der Notunterkünfte ums Leben kamen.
Und so wird er nach Dienstschluss wie jeden Tag seit mehreren Monaten ins Städtische Hospital gehen und auch dort wird er wenig zu sagen haben. Er wird zuvor seiner Frau ein Getränk im Laden für Nahrungsmittel kaufen, das mit einer Meereskoralle aus Südkorea angereichert ist. Darauf möchte sie keinesfalls verzichten. Dann wird er die letzte Fähre zur Insel nach Hause nehmen.
Ich komme pünktlich und freue mich auf dich. K.
Als er vom Telefon aufschaut, legt die Fähre bereits an. Er wischt sich mit dem Taschentuch die Stirn trocken und steigt aus. Auf der Rollbahn, die die Fahrgäste vom Hafen in das Viertel mit den Hochhäusern bringt, steht etwas weiter vorne, mit dem Rücken zu ihm, die Kleine im roten Kleid. Erst jetzt fällt ihm auf, dass sie viel zu jung ist, um alleine unterwegs zu sein. Möglicherweise ist sie fünf Jahre alt. Nicht älter. Er steht aufrecht während der Fahrt, die Fäuste vor seinem Körper, und stellt sich vor, wie sie aussehen mag, wenn sie lacht. Ob sie Zahnlücken hat, weil die Milchzähne ausgefallen sind. Er sieht sie an einem kleinen Tisch sitzen, malend und dabei hat sie den Kopf schief gelegt, die Zunge auf der Oberlippe. Er sieht sie, wie sie sich im Kreis dreht und selbst am Strand trägt sie die Maske nicht. Sie weigert sich, als man sie ihr aufziehen will und läuft lachend davon, hebt eine schwarze Muschel auf und stürmt in die Arme eines Mannes, der sie auffängt und sie drehen sich gemeinsam rundherum um sich selbst.

Das Ende der Rollbahnstrecke führt auf einen Platz aus grauem Granit. Von dort verteilen sich die Menschen in verschiedene Richtungen auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz oder in die Schule. Ältere sind nicht auszumachen und als er die bunte Wandmalerei der hohen Mauer passiert, sieht er die Kleine davor stehen, den Kopf in den Nacken gelegt. Seine Hände schwitzen und erst will er vorbeigehen, dann bleibt er, einem inneren Impuls folgend, stehen und geht neben ihr in die Hocke.
„Sag, was machst du denn hier so alleine? Wo ist deine Mutter? Hm?"
Seine Stimme klingt leise und verzerrt. Er spricht nicht gerne, wenn er die Maske aufgesetzt hat, überhaupt spricht er sehr wenig. Er hat sich an das Schweigen gewöhnt.
Das Mädchen reagiert nicht auf seine Ansprache, starrt weiter auf die Wand und er folgt ihrem Blick. Es ist ein überdimensionales Gemälde, das sich in seiner Größe anmaßt, den grauen Rest vergessen machen zu können. Es ist farbig, abstrakt und großflächig aufgetragen. Vereinzelt erkennt er Totenköpfe, Pflanzen, viele verschiedenartige Bäume, Blüten, auch Vögel. Derart phantasievoll, dass er sicher ist, nichts davon hat hier je existiert. Es gibt schon lange keine Pflanzen mehr in der Stadt. Die Straßen und Plätze sind von Kunstobjekten aus Metall oder Stein gesäumt und das Beton- und Glaseinerlei der aufragenden Gebäude vermischt sich mit dem Hellgrau des Himmels, so dass seine Augen keinen Unterschied erkennen können, wo die Häuser enden oder der Himmel anfängt.

Plötzlich nimmt die Kleine die Maske vom Gesicht ab. Erschrocken fällt er auf die Knie und stützt sich mit den Händen auf den Granitplatten ab.
"Was tust du denn? Um Himmelswillen, lass sie auf! Lass sie bloß auf!"
Und er versucht ungeschickt, sie daran zu hindern, will sie ihr wieder aufziehen.
Sie steht vollkommen ruhig vor ihm und wehrt ihn mit einer flüchtigen Handbewegung ab. Wie in Zeitlupe hebt sie den Arm und schiebt seine Hand mit der Maske zur Seite. Deswegen lässt er sie auf den Boden gleiten und nimmt auch seine vom Gesicht. Beider Augen befinden sich auf gleicher Höhe. Ihr Blick ist offen und sie lächelt ein wenig. Die Haut ist hell und zart, die Wimpern dunkel und dicht. Ihre Lippen formen ein zweisilbiges Wort. Er kann sie nicht hören. Dann öffnet sie die Tasche und holt eine kleine Muschel heraus. Rund und schwarz liegt sie in ihrer Handfläche, die sie ihm entgegenhält. Seine Augen füllen sich mit Tränen, als er sie nimmt und verschwommen bemerkt er die frische Narbe an ihrem Hals. Sie ist rot und geschwollen, mit etlichen, groben Stichen genäht. Er hebt einen Finger und fühlt zitternd die Wunde. Sie ist kalt und die Kleine rührt sich nicht, formt nur immer wieder dasselbe Wort mit ihren Lippen.

Ein Mann in Uniform zieht ihn am Arm, sodass er auf die Füße kommt. Er lässt sich ohne Widerstand die Maske auf das Gesicht setzen, hält die schwarze Muschel so fest in der Hand, dass die Fingerknöchel weiß hervortreten.
„Gehen Sie bitte weiter Ihrer Wege", hört er die rauschenden Worte des Mannes.

 

Liebe maria.meeraba,

dein kritischer Blick auf meine Neue ist, wie nicht anders zu erwarten, direkt und unerbittlich, wenn auch für mein Empfinden mild und beinahe liebevoll (was ' da los?:hmm:).

Na ja, Technik halt, aber gebe es nicht ein besseres Synonym statt diesem grauenhaften Wort?

Du meinst die Tablette, die der Protagonist jeden Morgen einnimmt und dir seltsame Assoziationen beschert. Aber weil mir tatsächlich kein anderes Wort dafür angenehm ist, belasse ich es dabei, einverstanden?

Wäre es so schlimm, wenn es der elfte März wäre? Zahlen soll man doch bekanntermaßen ausschreiben und ich bin auch dafür, diese bei Zeit- und Datumsangaben zu machen.

Nee du, schlimm ist anders, aber mir erscheint es so eindringlicher und bezeichnender.

Beider Augen? Stimmt das wirklich so?

Stimmen schon, aber daran scheiden sich die Geister. Ich möchte gerne die Sprache nicht allzu alltagstauglich anwenden. Viel fiel mir dazu nicht ein, so dass ich es gerne so beibehalte.

es ist vielleicht so, dass du nicht aus dem Alltag des Mannes herauskommst und mich deshalb die Geschichte nicht so sehr berührt.

Das ist wahr. Es handelt sich um eine ungewöhnliche Alltagsgeschichte, um eine Innenschau seiner Gefühlswelt des Protagonisten in einer abstrakten Welt. Ich freue mich aber, dass sie dich doch berührt hat, möglicherweise gestriffen hat, wenn auch nicht so ;).

Die Geschichte kann ich förmlich mit einem See stillen See vergleichen.

Das ist ein schönes Bild, symbolisiert es doch tatsächlich Emotionslosigkeit im asiatischen Sinn.

Und irgendwie verlange ich doch mehr von einer Geschichte. Dass etwas passiert. Dass sein Alltag von irgendetwas richtig verändert wird, oder so.

Das kann man erwarten. Also nicht, dass ich da eine Megastory im Kopf und nur nicht preisgegeben hätte, aber ich hatte für diesen Verlauf nichts anderes gedacht. :hmm:
Aber weil Fliege ähnliche Erwartungen hat, wäre es ein weiterer Versuch meinerseits. Bisher kam ich, mal ehrlich nachgedacht, wirklich selten über die Schilderung von Atmosphäre und einer Gefühlsebene drüber. Bin wohl nicht so die Aktivistin. :shy:

Ja, meckern hoch vierundzwanzig, aber lieber Kanji, ich kann dich doch nicht mehr wie eine gewöhnliche Anfängerin behandeln und dir nur Rosen in den Weg legen.

Und warum das jetzt nicht?

Du zeichnest eine tolle Atmosphäre, zeichnest tolle Bilder, bringst deinen Prot dem Leser näher, lässt ihn genauso leer fühlen und so weiter bla bla bla. Aber ich hätte doch erwartet, dass du das ganze Potential deiner Geschichte ausschöpfst.

Dennoch ist es für mich ein kleiner Erfolg, das von dir zu lesen, was aber auch bedeuten könnte, dass es an der Zeit wäre, einen Schritt weiterzugehen.

Und ich wünsche dir noch sonnige Tage, liebe meryem, Kanji

Hej Fliege,

natürlich freut es mich sehr, wenn du dich mit meiner Geschichte auseinandersetzt und mir deine Empfindungen schilderst, dein Wissen mit mir teilst.

Dystopie also diesmal. Autsch. Ich finde es ja immer wieder gruselig, diese Weltenentwürfe, die relativ nah am Zeitgeschehen entworfen werden.

Auch hier bist du mir voraus, denn ich habe darüber noch nicht nachgedacht und mich blindlings in diesen Gedanken geworfen.:shy:

Aber ich muss ganz ehrlich sagen, dass mich die vielen, vielen Erläuterungen auf die Dauer ermüdeten. Schon klar, dichte Atmosphäre schaffen und so, gelingt dir auch, würde aber auch mit einem Ticken weniger funktionieren.

Wie ärgerlich. Ich kann mich da zugegebenermaßen echt reinsteigern, habe Spaß daran und sollte mal wieder mehr an den Leser denken und mehr Maß halten (ein generelles Problem :shy:)

Wirklich, nicht jeder Satz benötigt einen Erklärsatz hintendran.

Verstanden. Aber da wird es kompliziert, denn nicht jeder Satz, aber mancher. Ich werde also weiterhin auf Kommentare wie deine angewiesen sein.

Vor dem abgeblätterten Zaun, den sein Vater zuletzt gestrichen hatte, begegnet ihm die Nachbarin mit ihrer Tochter. Das Kind trägt die Haare zu kurzen Zöpfen, die straff hinter den Ohren gebunden im Takt der Schritte wippen. Sie muss schnell laufen, um dem Tempo der Mutter zu folgen, die sie an der Hand hinter sich herzieht. Er könnte es nicht mit Gewissheit behaupten, doch es kommt ihm vor, als erwidere sie seinen Gruß nicht mehr, seit er ganz alleine lebt. Vielleicht spricht er aber auch zu leise oder sie, und er hört ihre Worte nicht, wenn sie so schnell an ihm vorbeihuscht.

Ja, so Nachschübe ohne wirklichen Zugewinn. Viel Kaugummi, Luftblasen, nenne es wie Du willst . Die beiden Abschnitte


Ich verstehe was du meinst. Beim letzten Beispiel genauer als beim ersten (obwohl mir das Bild des hinterhergezottelten Kindes gut gefiel), wollte ich doch ausdrücken, der Vater ist nicht mehr - das war seine letzte Tat. Ich sollte vielleicht generell direkter werden, obwohl ich es schon sehr gerne subtil und offen mag ...

Hab ich nicht gerafft, warum er da gleich Masseneinkäufe tätigt, wenn es doch praktisch auf dem Weg liegt.

Diese Aufzählerei und der Masseneinkauf sollte ein Hinweis sein auf Gleichgültigkeit, Belanglosigkeit, Desinteresse, Einerlei :shy:

Die Wege sind kurz gehalten. Man hat sich eingerichtet nach der verheerenden Flutkatastrophe und folgt den Regeln, die entstanden sind als Reaktion auf menschliches Versagen und als nichts mehr war wie vorher. Und genau diese Menschen erstellten dann wiederum diese Regeln, damit es sich weitermachen ließ.

Erklärend und wertend


Habe ich auch echt nicht gerne gemacht. Ich verbuche das unter Unvermögen, diesen Aspekt geschickter einarbeiten zu können. Also dieses Mal.

Es leben nicht mehr viele Bewohner auf der Insel und während der zwanzigminütigen Überfahrt sitzt jeder für sich und kaum jemand spricht oder telefoniert, denn das hat sich mit den Masken als umständlich erwiesen.

Zwei Sätze, dafür ein "und" weniger


Auf jeden Fall, danke. Ändere ich.

Wieso erzählst du mir den ganzen Kram über die beiden Mädels? Ich check es nicht. Kein Sport mehr, okay, das ist die Info. Da würde ich doch aber lieber an ihm dran bleiben, an seinen Erinnerungen, dass er jetzt fett wird, wie alle, weil die Bewegung fehlt. Und dass sich die Körpersprache auch verändert hat durch die Masken. Das finde ich grundsätzlich gut, das mit einfließen zu lassen, aber es führt halt in so einen luftleeren Raum so wie es hier steht. Schon klar, warum Du das Kinderthema immer wieder aufgreifst, trotzdem kommt sein Kind am Ende wie Kasper aus der Kiste. Ich finde das nicht elegant gelöst. Bleib doch bei der Nachbarin und deren Kind. Die wahnsinns Wut in ihm, dass ihr Kind überlebt hat, seines aber nicht. (Muss nicht ausformuliert werden, nur dass er es eben nicht erträgt, oder ihn wütend macht, oder wie er sich vorstellt, das Kind würde die Maske abnehmen und darunter würde seine Tochter zum Vorschein kommen ... what ever ... aber hin zum Ende, und nicht beliebig, sondern gezielt.

Das hat mir ewig Kopfzerbrechen bereitet. Und noch. Und ich komme zu dem Schluss, dass ich auf dieses Bild der Mädchen nicht verzichten kann, weil sie etwas ausdrücken, was diese Welt und Menschen so an und für sich ausmachen, aaaaaber, es wäre ja auch möglich, den Protagonisten mehr zu zeigen. Gut, deine Utopie ist ein Beispiel, schon klar ... in meiner Welt ist die Nahrung wohldosiert, so dass niemand davon fett werden könnte.
Zum anderen regst du einen Gedanken an, der mir gar nicht kam, wo ich davon ausging, die Mädchen quasi "zusammenzusammeln", damit klar werden kann, da kommt etwas, das mit einem Mädchen zusammen hängt. Aber eines hätte vermutlich gereicht und am Ende wäre es dann lediglich eine Verwechslung gewesen. :hmm:

Hier ist irgendwas falsch. Es fühlt sich nicht an wie Bootfahren, weil alles sinnliche fehlt. Was also fühlt sich jetzt an wie die Ausflüge mit seinem Vater? Eben doch nichts. Du willst den Gegensatz. Er muss ihn selbst herbeiführen. Er muss Geräusche und Wind heraufbeschwören, aus der Erinnerung hinzufügen, um bei den Bildern von gestern zu landen.

Guck, dann war hier also zu wenig Bild und Gefühl? Damn.

Das Schwitzen in Zusammenhang mit dem Mädchen ist super!

Schön. Ja, wenn man erst einmal eine Bildbedeutung hat, ist es leicht.

Schwierig. Weil man sich in dieser Situation wohl eher fragt, wo die Eltern sind, warum dieses Mädchen allein unterwegs ist, ob es vielleicht Hilfe braucht. Ich konnte auch überhaupt nichts mit den nachgestellten Erinnerungen nichts anfangen, weil ich nicht wusste, dass es welche sind. Die könntest du schon vorher auf das Nachbarkind projezieren. Und dann ist dieses Kind jetzt allein unterwegs - Leser merkt - okay, hier läuft was schräg und folgt Dir. Aber dadurch, dass du den Leser so plötzlich in eine Welt wirfst, zu der du zuvor keine Tür geöffnet hast, na ja, ich bin durch diese Tür eben nicht gegangen. Ich eher so, wo kommt das jetzt her?

Im Grunde hatte ich aber gehofft, darauf hingearbeitet zu haben, dass alles derart abstrakt ist, dass sich niemand mehr Sachliches fragen würde. Und du hast dann recht, wenn ich es von Beginn an auf das Nachbarkind zulaufen lasse. Dann würde sich auch für mich eine andere Denk- und Vorgehensweise ergeben.

Die Erklärung stört so ungemein. Du schreibst hier den Höhepunkt, Dramakurve ganz oben - und irgendwie Hä?, so Erklärkram - dann wieder Kamara auf den Höhepunkt zurück - und ich so, ach, die reden immer noch?

Das hab ich selbst gar nicht mitbekommen, diesen Höhepunkt. Für mich sollte alles beständig, gleichförmig verlaufen. Aber ja, Erklärungen. Schon klar. Da ist mir nicht immer klar, was ist Erklärung, was ist Beschreibung, was möchte ich mitteilen.

Am Anfang hattest Du den Muschel-Schwester-Bezug hergestellt. Also für mich hat er hier seine Schwester getroffen, was aber altersmäßig echt schräg verwirrend war für mich.

Ja, so gesehen, ist das verwirrend, aber für mich ist das, wie schon erwähnt, eine kleine Mädchenansammlung, um den Protagonisten zu zwingen, an seine tote Tochter zu denken. So kam das eben.

Super. Noch mehr super wäre es, Du würdest das Wort nicht schreiben. Am allermeisten super wäre es, du schaffst es, den Leser es selbst ergänzen zu lassen. Wenn die Geschichte das schaffen könnte, wäre ich ganz verzückt.

Ja, das wäre so super, dass ich mir vermutlich selbst auf die Schulter geklopft hätte. Aber leider, leider ... fehlt mir das etwas Entscheidenes.

„Gehen Sie bitte weiter Ihrer Wege", hört er die rauschenden Worte des Mannes.
Ein viel stärkerer letzter

Super! Da verlasse ich mich auf deine Erfahrung und mach das so.

Setting gefällt mir gut, Idee ist bisschen lau, Story auch für diesen Rahmen. Klar halluziniert man in dieser Situation, klar sehnt und träumt man sich in das Gestern, das ist alles nicht neu und spannend, wenn auch hübsch ausgeführt hier. Aber wenn ich am Ende das Wort Papa selbst hätte einsetzen können, dann hätte ich eine tiefe Traurigkeit gespürt, die so nicht aufkam. Und diese Traurigkeit hätte der Geschichte zu 10 Punkten mehr verholfen.

Reicht das für einen Trostpreis? Was Grünes? Mit Nudeln?

Das waren so meine subjektiven Eindrücke zur Geschichte. Vielleicht was dabei für dich, vielleicht auch nur eine Anregung, was die Geschichte könnte, und was sie für mich nicht kann. Subjektiver Kram halt.

Liebe Grüße und wirklich cool, dass du dieses Experiment eingegangen bist. An schweren Aufgaben wächst man.


Fundierte Subjektivität. Vielen Dank, liebe Fliege, für Zeit und Geduld und nette Worte. Ich habe alles verstanden und freue mich, dass du es als Versuch (hätte ich geahnt, dass es schwer wäre, hätte ich es wohl gar nicht erst gewagt - kann man mal sehen, wozu Unwissenheit gut sein kann) und Teil einer Strecke siehst, wie ich auch.

Gruß, Kanji

Liebe peregrina,

Wie nett, dass du noch mal vorbeischaust.

damit man von uns beiden nicht behaupten kann, "und wenn sie nicht gestorben sind, dann reden sie noch heute glücklich und zufrieden aneinander vorbei", will ich mich noch mal äußern zu unserer kleinen Diskussion.

Nee, du, das soll uns jetzt mal hier niemand nachsagen können.

Ein Jahrestag, klar, der schwemmt die Erinnerungen leichter noch oben.

Gar nicht mal so unclever, nicht wahr?

Fühlt sich aber wirklich nicht bequem an, immer nachzuhinken.

Besser, als ganz zurückzubleiben.

Damit habe ich mich noch nie beschäftigt, hört sich total spannend an.

Das finde ich auch und wenn man davon ausgeht, das eh alles in allem ist, also das große Ganze auch im winzig Kleinen, schließt sich alles und man geht nicht verloren. (So mal kurz diffus angemerkt).

Und hier unser erstes Missverständnis:

Missverständnis kann ich gut.

Ich wollte nicht in erster Linie sagen, dass mir der Satz zu opulent ist (ja, zugegeben auch), sondern meinte, dass die Kernaussage falsch verstanden werden kann oder wird.
Die Konjunktion „weil“ gibt eine Ursache oder einen Grund an. Und da interpretiert mein Gehirn in der Kurzfassung:
Der hellblaue Himmel glitzerte aus dem Grund, weil der Junge einen Umweg am Strand machte.
Das WEIL begründet den glitzernden Himmel, nicht das Sammeln der Muscheln.
Ein ALS könnte helfen:
Er sehnt sich nach dem großen hellblauen Himmel, der an heißen Sommertagen glitzerte wie die Muscheln, die er auf dem Schulweg sammelte, als er einen Umweg am Strand entlang machte.

Und somit wird auch sehr deutlich, wie wir beide ticken, uns ergänzen und ich würde dich glatt engagieren, wenn ich es mir leisten könnte. Werde nachbessern. Danke für deinen Nachtrag.

Auch lustig. Ja, als neugieriger Mensch hinterfragt man, das Warum ist von Bedeutung. Allerdings akzeptiert der aufgeklärte Mensch (ich in diesem Falle) in der KG die Tatsache, dass ein kleines totes Mädchen seinem Vater eine Muschel (Stein) überbringt, die (den) sie früher gemeinsam am Strand gefunden hatten, ohne mit der Wimper zu zucken.
Und sehr mutig finde ich, dass du zugibst, dass du nicht weißt, was es damit auf sich hat, aber dass du es so und nicht anders haben willst.

Ja Komisch, oder? Mut ist jetzt eigentlich gar nicht so mein Metier, aber wenn du es so sagst ...

Du brauchst die Informationen auch nicht aufzustocken, ein simpler grammatikalischer Trick würde meinem Gehirn schon auf die Sprünge helfen:

Und du hilfst meinem Hirn auf die Sprünge. Du hättest den Job. Danke, mach ich gerne besser.

Über Geschmack lässt sich streiten, das ist eine alte Binsenweisheit und mit Sicherheit das nebensächlichste Beurteilungskriterium bei einer Geschichte.

Wenn wir ehrlich sind, kommt hier weit mehr zum Tragen als Geschmack. Und wenn ich das herauspfriemeln und nutzen kann, hat die Geschichte gewonnen und verwirrt weit weniger Leser als bisher.

In diesem Sinne wünsche ich dir weise Entscheidungen.

Achgottchen. I will do my very best. Herzlicher Gruß, Kanji

 

Hi Kanji,

ich hab hier noch was offen und mach mal schnell fertig. Wird ja Zeit, nicht wahr? Änderungen beachte ich jetzt mal nicht weiter, ich steig einfach ein, wo ich aufgehört habe.

Derart phantasievoll, dass er sicher ist, nichts davon hat hier je existiert.
Fällt mir jetzt auf, weil ich gerade eben in einem anderen Text allerlei Umkonkretes zu finden geminnt habe: "Derart phantasievoll" hört sich nach Platzhalter an, auch wenn du durchaus etwas dazu gesagt, hast, was sich auf dem Bild findet (Totenköpfe usw.).

Die Straßen und Plätze sind von Kunstobjekten aus Metall oder Stein gesäumt
Ein Vorschlag, der vielleicht über's Ziel hinaus schießt: "Kunstobjekten aus" streichen??

vermischt sich mit dem Hellgrau des Himmels, so dass seine Augen keinen Unterschied erkennen können, wo die Häuser enden oder der Himmel anfängt.
Zwei mal Himmel - ließe sich sicher vermeiden.

Ich greife mal einen Satz heraus, um den es mir gar nicht als einzelnen geht:

Deswegen lässt er sie auf den Boden gleiten und nimmt auch seine vom Gesicht.
Er, sie, seine: In dieser ganzen Passage vor und nach dem Satz stecken für meinen Geschmack ein bisschen viele Pronomen. Man versteht zwar immer gut, was gemeint ist, aber ich vermute, du könntest das eleganter sortieren.

„Gehen Sie bitte weiter Ihrer Wege", hört er die rauschenden Worte des Mannes.
Gefällt mir als Schlusssatz nicht voll und ganz, irgendwo ist mir das zu umständlich. "Hört er den Mann in Uniform sagen" - oder so ähnlich - fänd ich prägnanter. Das Rauschen hat eine Funktion, verstehe ich schon, und vielleicht sollte das auch drin bleiben. Aber geht das nicht anders?

Ja, das war's also. So viel ist ja gar nicht mehr übrig gewesen, hätte ich mich schon längst mal daranmachen können.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 
Zuletzt bearbeitet:

Hei liebe Kanji,

bevor es ab nächster Woche mit dem Internet eventuell schwierig wird, lös‘ ich noch meine Ankündigung ein. Vorab: Ich hab die anderen Komms und deine Antworten nur teilweise überflogen, mag also sein, dass sich was doppelt oder du was schon erklärt hast.

Also, das ist jetzt ziemlich lang geworden, aber vielleicht kannst du ein paar Sachen gebrauchen. Ich weiß: The road to hell is paved with good intentions. :D

Auch vorab: Ich hab deine Geschichte wirklich sehr gern gelesen, vor allem, weil du eine gute Beobachtungsgabe hast und die Bilder so ‚unangemessen‘ ruhig sind. Und ich kann den Text auf zwei Arten lesen (das geht mir sonst nicht so): Einmal mit allem in Verbindung, was ich sonst von dir gelesen habe – deine sehr persönliche, emotional-analytische individuelle Sicht auf Texte (und vllt. die Welt), die du pointiert aber nie scharf formulierst, deine freundliche Textkritik, die immer etwas Gutes findet (ich meine, noch nie einen negativen Komm gelesen zu haben). Und diese positive, frische Stimme lese ich auch hier und dann ist es eben deine ganz eigene Stimme, eine postapokalyptische Geschichte zu erzählen, ungeachtet von Vorgaben und Vorlagen, und das mag ich hier.
Und dann kann ich deinen Text, wie andere auch, normal analytisch durchgehen und auch Fragen und Stolpersteine zulassen, die ich wohlwollend versucht habe, wegzudrücken, und somit habe ich doch eine ganze Menge Anmerkungen.

Die Luft auf seiner Stirn fühlt sich weder kalt noch warm an. Sie kommt nie als Windstoß, steht jeden Morgen als eine durchsichtige, unheilvolle Mauer vor seinem Haus. Die milchig graue Wolkenschicht weckt in ihm den Gedanken an Regen. Nicht, dass es in jüngerer Vergangenheit geregnet hätte, aber er vermisst es, unter einem Schirm den Tropfen zu lauschen (…)
-> Das klingt, als ob es nie windig wäre, und das ist physikalisch selbst am Äquator unmöglich – außer, die Welt würde stehen bleiben, und dann gäbe es ganz andere Probleme. Globale Windsysteme werden v.a. durch die Erdrotation geformt (-> Corioliskraft) und können nicht allein durch lokale Gegebenheiten aufgehoben / verändert werden.

Gleiches gilt für dein Bild mit den Wolken. Das ist natürlich schön düster, nie mehr klarer Himmel, aber ebenfalls physikalisch auf Dauer nicht möglich. Wolken sehen nur dunkel aus, wenn sich flüssiges Wasser in ihnen angesammelt hat (Eis bes. in höher liegenden Wolken unterhalb der Tropopause lässt sie weiß aussehen) – und das regnet früher oder später ab. Oder vielleicht hast du an eine dunkle Wolkendecke durch massive Verschmutzung plus nuklearen Winter gedacht … aber offenbar ist es hier Sommer.

Dann gab es wie du sagst eine Flut (echt ein schönes Bild mit der Insel und der Fähre!!), aber das Wasser müsste verdunsten, und damit hast du wieder Regen. Diese extreme Windstille und Trockenphase würde ich raten, auf einen realistischen, konkreten Zeitabschnitt zu beschränken, anstatt es als die grundsätzlich seit Monaten (oder sogar Jahren?) vorherrschende Situation. Und deine Umgebung sollte eine realistische Ursache haben und nicht Auswirkungen verschiedener Urschen mixen. Möglich natürlich, dass dein Prot das emotional so tragisch übertreibt, und er wirklich von ein paar Wochen spricht, aber dafür wird zu viel von „er erinnert sich noch / damals“ gesprochen.


Eine Erbse:

vermischt mit dem Öl der Pflanzen
Ich mag mich gewaltig irren, aber nur Ölpflanzen wie Raps oder Hanf enthalten Öl, oder? Nur von nassem Gras meine ich kann das so nicht kommen.

Auf der einen Seite finde ich total gut, dass du offen lässt, was genau passiert ist. Andererseits streust du aber deutliche Hinweise ein, und die ergeben für mich kein Bild. Das macht es schwer, die Tragweite der Katastrophe (und damit die Tragik für die Menschen) einzuschätzen. Zumal der Erzähler das ganz entspannt quasi wie mit einem guten Kräutertee vom gemütlichen Sessel aus erzählt: es gibt sehr wohl starkes Bedauern und Melancholie, aber nichts von Angst, Verunsicherung, Verstörung – der Prot hat das alles schon für sich hingenommen, und der Erzähler erst recht. Ich hab die story auch automatisch im Präteritum als Rückblick gelesen, obwohl ich immer wieder gesehen hab, dass du im Präsens schreibst – wäre das ne Überlegung wert? Dem distanzierten Rückblick die Vergangenheitsform zu geben? Es wird ja so gut wie nichts ‚akut‘ auf Spannung erzählt, und der Erzähler überlebt.

Das Datum 11. März muss ich gestehen, hat mir nichts gesagt. Ich habe kurz an eine nukleare Katastrophe gedacht, das aber wieder verworfen. Für eine Tschernobyl-Dystopie hatte ich mal sehr intensiv recherchiert (zusätzlich dem, was damals in den Zeitungen stand). Hast du Radioaktivität, brauchst du spezielle Bodysuits, nicht nur Masken. Dann sind die größten Gesundheitsprobleme – außer der Strahlenkrankheit, die zum Zeitpunkt deiner Geschichte aber schon zum Tod geführt hätte - Krebs und speziell bei Kindern Leukämie. Bei dir gibt es keine Wildtiere oder Vögel mehr, was bei radioaktiver Verseuchung nicht zutrifft – ich erinnere mich an das Thema ‚verlassene Haustiere in Fukoshima‘ und an die teils neuangesiedelten wilden in der Ukraine. Dann suggeriert die Atemmaske, dass etwas in der Luft ist (duh :D), aber die machen im Haus einfach so die Tür auf und zu – dann brauchten die bald aber auch innen Masken (-> Entropie, wenn keine Luftschleusen / Dekontaminationskammern, außerdem sind normale Häuser nicht luftdicht abgeschlossen). Ist etwas Giftiges in der Luft, ist das bald auch im Grundwasser, und auf allen Oberflächen draußen – das scheint hier aber kein Problem zu sein. Ebenso wie die Ernährung, die ja nicht mehr aus der Natur zu beziehen wär. Übersehe ich was ganz Offensichtliches?

Ich habe also Probleme, dir die Katastrophe abzunehmen, und das ungünstigerweise gleich am Anfang. Wenn ich dir die Katastrophe nicht glauben kann, wie kann ich dir dann den Prot abnehmen? Damit steht und fällt die ganze Geschichte (Ein Autor schießt sich selbst ins Knie, wenn er suspension of disbelief unmöglich macht). Falls du alles, was du erzählst, recherchiert hast (was ich mir sehr gut vorstellen kann, nur, dass das Ergebnis so verschleiert wird), würde ich eher raten, die Ursache auch konkret zu benennen. Oder du wirst eben ganz vage, ohne Wetterbesonderheiten ohne Maske, und leg dich nur auf eine Nachkriegsisolation mit stark dezimierter Bevölkerung und Rückfall in rurale Lebensformen fest. Das hätte ich bevorzugt hier.

Denn für eine Endzeitstory brauchst du keine Riesenkatastrophe – dies ist postapokalyptisch, nicht dystopisch (denn es gibt keine gescheiterte Utopie: dass der Prot sich ein normales Leben wünscht, ist – als literarischer Topos gesehen – nicht ausreichend). Für die Lage, in die du deinen Prot bringen möchtest, reicht weniger. Ein Grundsatz der Phantastik ist bedenkenswert: Es wird davon abgeraten, einen Konflikt, der genauso im Alltag stattfinden könnte, einfach aus Exotikgründen in eine phantastische Welt zu setzen. Die Konflikte, die ein Prot in einem spekulativen Setting hat, müssen auch genau mit diesem Setting zu tun haben. Sonst wirkt das schnell wie eine Masche, einen Text spannender zu machen, als er eigentlich ist. Das genau möchte ich dir keinesfalls vorwerfen! Aber: Die Tragik mit dem Kind, der Entfremdung von den Nachbarn und dem Tod der Tochter (das hab ich übrigens nur von einem Komm her geschnallt :shy:) hat mit deinem Setting nicht zwingend irgendetwas zu tun. Die Emotionen, Reaktionen und – nicht stattfindenden - Konsequenzen könnte es ganz genauso im Hier & Jetzt geben, mit einer Erkrankung und irgendwie erschwerten Lebensumständen (zerrüttete Ehe und Arbeitslosigkeit, nur mal ins Blaue als Bsp).

Das stelle ich mal nur zur Überlegung, weil ich weiß, dass das dann eine Geschichte wäre, die du nicht erzählen wolltest. Vielleicht für’s nächste Mal?

Zu der Postapokalypsen-Thematik noch was: Willst du das Thema erzählen, gibt es zwei klassische Varianten:
a) Die Tragik der Katastrophe spiegelt sich in der Beschreibung von Tod, Angst und Terror bei den Protagonisten als Hauptplot. Das kann durch viel Action passieren, oder / und psychologischen Horror (subtil oder deutlich). Setting und Plot / Charakterentwicklung / Konflikte entsprechen sich damit.
b) Du erzählst das als Diskrepanz (ich bevorzuge das als Leserin): Die explizit dargestellte Katastrophe und ihre spürbaren Auswirkungen werden vom Erzähler als etwas adäquat Dramatisches gesehen und beschrieben, aber die Prots sehen das als Normalität an (wie z.B. in Metro 2033, Picknick am Wegesrand, Die Baugrube etc.) – dadurch entsteht das starke Gefühl von Tragik, denn man sieht die Unschuld / Ausgeliefertheit der Prots, die ihre ausweglose Lage selbst vllt. völlig verkennen. (Die umgekehrte Diskrepanz – Prots reagieren hysterisch auf eine Scheinbedrohung – könnte man nur in der Satire oder Parodie schreiben).

Was du machst ist: Variante b) ohne Diskrepanz. Die Prots verhalten sich abgeklärt, aber die Katastrophe wird von Seiten des Erzählers/Autoren ebenfalls heruntergespielt (zudem ist diese wie gesagt im Vagen belassen). Hier würde mich brennend interessieren, warum du dann für die emotionalen Konflikte und Melancholie des Prots ein postapokalyptisches Setting gewählt hast.

Du weißt sicher, dass deine große Stärke deine individuelle Art ist, kleine Dinge zu sehen und zu beschreiben, wie mit einer Lupe herausgenommen. Ich schreibe das aus dem Glashaus raus, weil ich genau sowas auch wahnsinnig gern mache, von mir aus seitenlang. Es ist eine tolle Übung, spannende Welten zu schaffen und besondere Stimmungen zu deinen Prots zu erzeugen. Und grad deshalb sollte man nicht aus dem Blick lassen, was davon die Geschichte (äußere Handlung / innere Entwicklung) vorantreibt, und was ‚nur‘ eine schön zu lesende Reihung von fiktiven (oder autobiographischen) Anekdoten ist. Das ist wie bei kill your darlings, und ich bin da auch nicht gut drin. Auf lange Sicht würde ich dir aber durchaus raten, deine schönen Bilder in ein etwas größere Zwangsläufigkeit zu bringen, was sie genau in eben dieser (einer) story zu suchen haben. Letztlich bedeutet das kein Streichen und kein Verzicht, sondern nur die Entwicklung zu einem stringenteren / folgerichtigerem Erzählen. Ich meine, wenn du das meisterst, würden deine Geschichten einen ganz enormen Qualitätssprung machen (ein Bsp. für die besonders gelungene Art solcher individuell-schräger Details in subtil-unaufgeregten Dramen oder Alltagsgeschichten hier wäre für mich Ane, bei der ich immer den Eindruck habe, das was da steht, könnte nur so und nicht anders sein, egal, wie schräg oder assoziativ das sein mag. Und sie vermittelt immer einen Eindruck von ungeheurer Tragik und Reichweite, worauf man aber letztlich nie den Finger im Text selbst legen kann.)

Ein bissl Kleinkram:

Vor dem abgeblätterten Zaun, den sein Vater zuletzt gestrichen hatte,
-> Da stolpere ich jedes Mal, auch wenn das korrekt sein mag: Ist der letzte Anstrich vom Vater gemacht worden, oder hat der Vater als letzte Handlung vor seinem Tod den Zaun gestrichen? (Rückblickend: Der Vater wird nur noch einmal in der Erinnerung auf dem Boot erwähnt - aber von dieser Nebenfigur erfahre ich eingangs, als noch alles weitere unklar ist. Das kann an meinem Unvermögen liegen, aber ich erkenne aus dem Text nicht, was der Vater für eine Funktion im Text hat, außer, dass es den Prot noch melancholischer macht.)

um dem Tempo der Mutter zu folgen,
-> Im Tempo der Mutter, denn sie folgt ja nicht dem Tempo selbst. Der ganze Absatz könnte zart sortiert werden, sodass du nicht so viel zwischen den drei Figuren springst (Grüßen, Zöpfe wippen, folgen, hinterherziehen, sprechen, hören).

gemeinsam mit den anderen zur Anlegestelle
-> Anderen wer? Dorfbewohnern? Nachbarn? Arbeitern? Katastrophenschutzfreiwilligen?

Ist es ihm nicht möglich(KOMMA) mit Sicherheit zu sagen, ob es sich jeden Morgen um dieselben Menschen handelt.
-> Schön gesagt!

Auch die Haare der meisten sind dunkel wie seine eigenen.
-> Das riecht nach Info des Autors. Irgendwie würde man sowas doch nie denken, oder? Klar, personale oder Ich-Erzähler müssen außerhalb eines reinen stream of consciousness auch was zum Setting und Handlung sagen, was ihre Gedanken nicht mehr realistisch macht – aber zu offensichtlich Autoreninfo ist auch nicht gut. (Wozu ist das wichtig? Willst da sagen, dass es in Japan spielt? Und der Prot auch ein Japaner ist? Dann würde einem so eine Selbstverständlichkeit noch viel weniger auffallen. -> Ich bin in Helsinki im Winter: Die Haut der anderen Partygäste war so ungebräunt, wie meine eigene? Nee.)

Man besucht sich längst nicht mehr gegenseitig.
-> Warum das? Schweißen Katastrophen nicht zusammen, würde man nicht alles tun, um menschliche Nähe zu suchen? Das sieht so aus, als hätten die alle z.B. Schuldgefühle gegenüber den anderen – das wär ne coole Idee, aber das meinst du vermutlich nicht so.

Das kann er direkt in dem Haus [tun / einlösen / etc], in dem er auch arbeitet.
-> Gönn dem Satz ruhig noch ein Vollverb, das ist keine echte Ellipse und klingt lieblos.

Elektronik
-> Ich denke dann mal, die haben noch Strom. Das hätte ich nicht erwartet. Auf Dauer hätte ich mir eine konkreter beschriebene (durchaus im show, don’t tell, nicht als Infoblock) Umgebung und Ausgangslage gewünscht. Ich muss meine Idee deiner Welt nahezu in jedem Halbabsatz korrigieren.

und folgt den Regeln, die entstanden sind als Reaktion auf menschliches Versagen und als nichts mehr war wie vorher.
-> Das ist mir zu vage, und klingt weniger interessant-geheimnisvoll, als einfach bissl faul. Entweder streichen, oder zumindest ein konkretes, nachvollziehbares Beispiel bringen, wie was verändert wurde. Hier bringst du nicht nur unnötige Distanz rein, sondern verspielst die Gelegenheit, unauffälliger als im Intro was zu deinem Setting einzubauen. Hake sowas nicht einfach ab.

Es leben nicht mehr viele Bewohner auf der Insel
-> Ich hab ja schon gesagt, die Idee mit der Insel ist toll. Richtig intensiv spielst du die Isolation zwar nicht aus, aber trotzdem. Bissl schade, dass ich das erst im 3. Absatz erfahre. Ich hatte bis dahin an eine weite Landschaft gedacht (intuitiv, weil er oben von der Erinnerung an einen weiten, klaren Himmel sprach).

dunkelgraue Meer, das nur dann in Bewegung kommt, wenn die Fähre darauf unterwegs ist.
-> Siehe Wind, und auch ab davon physikalisch absolut nicht möglich. Selbst in Gegenden, in denen du keine Gezeiten hast. Wellen bauen sich teils aus Entfernungen von bis zu Tausend Meilen auf (‚fetch‘), und entstehen nicht nur aus lokalen Windverhältnissen.

Die wenig sichtbare Haut an den Händen und auf der Stirn ist bleich. Sie kichern und legen die Hände dabei in ihren Schoß zwischen die Beine, sind auf dem Weg zur Schule, denn sie reden vom Sport, den sie nicht vermissen, seit er nicht mehr an Schulen unterrichtet wird.
-> Der Satz könnte ein bis zwei Punkte vertragen, so hastig muss das nicht erzählt werden, denn es passiert ja nix. Einen nach ‚Beine‘ (ihren Schoß könnte auch singular sein, übrigens, finde ich insg. etwas verkompliziert für das, was sie machen). Der zweite Teil ist insgesamt kaputt: Sie reden vom Sport, den sie nicht mehr vermissen, seit er nicht mehr unterrichtet wird – sie würden ihn vermissen, würde er generell noch unterrichtet? Warum vermissen sie ihn nicht trotzdem? Hatten die jemals Sport? Können sie den vermissen, oder ist das Autorinfo zum Setting? Warum machen die nicht drinnen Sport?
Den ganzen Part mit der Mode fand ich ziemlich irrelevant und viel zu lang für das, was du eigentlich erzählen willst (Plot). Die anderen Beobachtungen sind auch so zeitlos, und das verweist so auf Konsum und Kommerz, da komme ich auch ins Nachdenken, ob nicht diese Region isoliert betroffen ist, und es überall anders auf der Welt noch alles okay ist.

Außenwand der Fähre
-> das wäre dann die Bordwand. ;)

erinnert er sich an manchen Tagen an frühen Morgenstunden, in denen er mit seinem Vater im kleinen Holzboot zum Fischen auf's Meer hinausfuhr.
-> Tolles Bild hier, an schöner Stelle. Eine Korrektur: an frühe Morgenstunden oder an die frühen Morgenstunden

Ein kleines Mädchen sitzt ihm schräg gegenüber, als er die Augen öffnet.
-> Würde ich besser finden, wenn der Leser das mit dem Prot zeitgleich erlebt: Er öffnet die Augen und sieht ein Mädchen. Du erzählst schon sehr viel mehr personal als auktorial hier, und der Prot kann das nicht wissen, solange er nicht guckt.

Ihr Gesicht zeigt in seine Richtung und er wendet sich hastig ab. Kurz darauf wagt er es, sie wieder anzusehen.
-> Besser verdichten, als alle Bewegungen aufzulisten. Gilt für den Rest des Absatzes auch.

Das Mobiltelefon
-> Sein

Er verrichtet seine Arbeit still und während der Mittagszeit sitzt er meist allein an einem Tisch. Das Essen bietet in seiner Einseitigkeit wenig Grund für eine Unterhaltung und die wenigsten erleben etwas Außergewöhnliches in ihrer freien Zeit, worüber es sich zu reden lohnte. Seine Freunde aus Jugendtagen flohen von der Insel in die Großstädte, sofern sie nicht während der Katastrophe oder in den ersten Jahren der Notunterkünfte ums Leben kamen.
-> Finde ich zu hart als Bruch, das Präsens im Boot für’s Hier & Jetzt, und dann das Präsens für die Reflexion über sein generelles Verhalten und dann nachgeschoben nochmal Infos zum Setting. Das ist noch nicht aus einem Guss, selbst, wenn du das als Assoziation wolltest – warum wolltest du hier von der Spannung wegblenden, und von der ersten echten Interaktion mit jemandem wieder zurück auf unbeteiligtes Setting/Hintergrundinfo zurückfallen? Hier nimmst du viel Spannung raus, was kontraproduktiv ist, denn bislang gab es nahezu ausschließlich Setting, Infos und stille Beobachtungen. Handlung in Stories hat nunmal mit Veränderung / ggfs. Wachstum zu tun, und mit einem rein statischen Prot in einem statischen Plot wird das schwer. Ohne Handlung hast du letztlich keine Geschichte. Eigentlich wird geraten, alles rauszustreichen, was nicht die innere oder äußere Handlung vorantreibt. Bislang gab es bis auf Einsteigen auf die Fähre und die Fahrt nix – mach was mit der Begegnung hier, brems die nicht aus.

Und so wird er nach Dienstschluss wie jeden Tag seit mehreren Monaten ins Städtische Hospital gehen und auch dort wird er wenig zu sagen haben. Er wird zuvor seiner Frau ein Getränk im Laden für Nahrungsmittel kaufen, das mit einer Meereskoralle aus Südkorea angereichert ist. Darauf möchte sie keinesfalls verzichten. Dann wird er die letzte Fähre zur Insel nach Hause nehmen.
-> Dito. Du kannst bei einer zu actionreichen story oder zu viel Drama mal rausblenden, damit die Leser Luft holen und Neues besser aufnehmen können – aber hier hat man schon auf Handlung / Konflikt gewartet, und du zoomst immer weiter raus, indem du den Hintergrund und die emotionale Haltung - bzw. seine Apathie - des Prots einflechtest. An dieser Stelle finde ich das zu spät, Backstory gab es jetzt genug, Interaktion wär dran. Möglich, dass ihn die Begegnung mit der Nachbarin auf diese Gedanken bringt, weiter vorn?
Ein Prot ohne Wünsche und Ziele ist für's Mitgehen problematisch. Ich vermute, du willst mit dem Grundsatz brechen, dass eine Geschichte im Grunde ein Prot ist, der ganz dringend etwas will (das kann auch subtil innere Entwicklung sein), und dem es dann vom Autor schwer gemacht wird, dieses Ziel / Wunsch zu erreichen. Aber ich finde das ein bissl lauwarm, jemandem zu folgen, der sich mit der Lage abgefunden zu haben scheint, und der z.B. jetzt schon weiß, dass ihm im Krankenhaus die Worte fehlen würden. Für einen traumatisierten Prot sind mir aber seine Beschreibungen, seine Haltung zu Umwelt zu nebensächlich und teils austauschbar. Wenn er sich wenigstens vornehmen würde, seiner Frau etwas ganz emotional Elementares zu sagen, dass das Paar aus der Sprachlosigkeit rausbrächte, und man fiebert mit, ob es ihm gelingen wird - sowas reichte schon aus. Oder du belässt ihn, und beschreibst von Erzählerseite des Setting tragischer/bedrohlicher.

die Kleine im roten Kleid
-> Das Kleid sieht er jetzt erst? Warum? Im = in dem, ist aber hier kein Rückbezug, weil nicht vorher erwähnt. (Oder hab ich was übersehen?) Hier wär ich vorsichtig, Kinder oder Kleinwüchsige in Rot werden in Fiktion fast inflationär verwendet, das ist hier eine regelrechte Warnflagge: Die Carrollsche Red Queen „You‘re all going to die down here!“ in Resident Evil, die ertrunkene Tochter und dann der Mörder in Wenn die Gondeln Trauer tragen, das klassische Rotkäppchen … und 10, die ich vergessen hab. Wenn du eine auffällige Farbe nimmst, geht in dieser lichtarmen, grauen Welt auch ein starkes Türkis/Mittelblau oder überhaupt: Gelb.

Als er vom Telefon aufschaut, legt die Fähre bereits an. Er wischt sich mit dem Taschentuch die Stirn trocken und steigt aus. (…) Er sieht sie, wie sie sich im Kreis dreht und selbst am Strand trägt sie die Maske nicht. Sie weigert sich, als man sie ihr aufziehen will und läuft lachend davon, hebt eine schwarze Muschel auf und stürmt in die Arme eines Mannes, der sie auffängt und sie drehen sich gemeinsam rundherum um sich selbst.
-> Keine Kritik, nur ne Anmerkung Ich hab in einem Komm gelesen, dass das Mädchen der Geist / die Halluzination seiner toten Tochter sein soll. Das weiß man hier noch nicht. Als Erinnerung ist das echt toll beschrieben, sehr intensiv, berührend. Als Assoziationen eines Erwachsenen, der ein wildfremdes Kind anschaut, finde ich das (da ich nicht weiß, wohin die Reise mit deinem Prot geht) ziemlich creepy.

Erst jetzt fällt ihm auf,
-> Das glaube ich nicht so ganz. Ich hab nie mit Kids zu tun, aber könnte sehen, ob es sich bei einem um eines im Vorschulalter oder vor der Vorpubertät handelt. Müsste er also auch, besonders, wenn er selbst Vater war. Einen Grund, das mit ihrem Alter so spannend zu machen, sehe ich nicht. (Oder ist seine Tochter im Teenage-Alter gestorben und das Bild hat sich überlagert? Vermute, ja. Vllt besser: „Jetzt erkennt er … irgendwie, dass er deutlicher macht, dass es eine Wunschvorstellung war, ohne alles preiszugeben?)

Ältere sind nicht auszumachen und als er die bunte Wandmalerei der hohen Mauer passiert, sieht er die Kleine davor stehen, den Kopf in den Nacken gelegt. Seine Hände schwitzen und erst will er vorbeigehen, dann bleibt er, einem inneren Impuls folgend, stehen und geht neben ihr in die Hocke.
„Sag, was machst du denn hier so alleine? Wo ist deine Mutter? Hm?"
-> CREEPY!!!
Außerdem: Warum redet der in so einem Erlkönig-Slang? Du liebes Kind, komm geh' mit mir! Gar schöne Spiele, spiel ich mit dir, (...) Willst feiner Knabe du mit mir geh'n? Du schreibst doch in der unmittelbaren 21. Jahrhundert-Zukunft.
'Alleine' ist kein Wort, das e muss weg. (Okay, wörtliche Rede, aber das passt dann nicht ins Register vom Satzanfang.)

Die Idee dann mit dem Wandbild finde ich toll. Wenn das allerdings so ‚anmaßend‘ beeindruckend ist, kann ich mir nicht vorstellen, warum der Prot, der jedes kleine Stück Glitter an der Haarspange und jede zarte Welle vor’m Bug wahrnimmt, das völlig übersieht – selbst wenn er von dem Mädchen gefesselt war (denn er erwähnt ja durchaus schon eine Wand, an die sie schaut).

Es gibt schon lange keine Pflanzen mehr in der Stadt. Die Straßen und Plätze sind von Kunstobjekten aus Metall oder Stein gesäumt und das Beton- und Glaseinerlei der aufragenden Gebäude vermischt sich mit dem Hellgrau des Himmels, so dass seine Augen keinen Unterschied erkennen können, wo die Häuser enden oder der Himmel anfängt.
-> Nein, Kanji, nicht wieder rauszoomen und zum allgemeinen Setting zurück! :peitsch: Selbst wenn ein Teil des Settings grad vor ihm aufragt. Und: Der erste Satz ist schonungsloser Infodump.

Plötzlich nimmt die Kleine die Maske vom Gesicht ab.
-> Klasse Twist! An dem Satz könntest du frickeln, weil ‚plötzlich‘ so eine ungeschickte „Vorsicht, es wird spannend!“-Warnung ist. Wie wär’s mit einfach einer heftigen Bewegung, die das gleiche ausdrückt? Das Mädchen reißt sich die Maske herunter / vom Gesicht. Oder so. Halt mehr rein in die Szene, unmittelbarer für den Leser. Hier sollte der Erzähler langsam aus dem Sessel raus, jetzt ist man drin in der Handlung.

Erschrocken fällt er auf die Knie und stützt sich mit den Händen auf den Granitplatten ab.
-> Schön gemacht, harter Bruch. Wenn du ‚erschrocken‘ als Wertung des Erzählers rausnimmst, hast du gutes show, don’t tell.

Und er versucht ungeschickt, sie daran zu hindern, will sie ihr wieder aufziehen. Sie steht vollkommen ruhig vor ihm und wehrt ihn mit einer flüchtigen Handbewegung ab.
-> Warum ungeschickt? Die Bewegungen müsste er im Schlaf können, nicht nur bei sich selbst. Ich möchte sehen, dass er verzweifelt ist, weil es um Leben und Tod geht (und im Grunde um seine Tochter, implizit). Da sollte ein Kleinkind es nicht schaffen, einen Mann mit „einer flüchtigen Handbewegung“ davon abzuhalten, ihr das Leben zu retten. Du musst keine echte Action haben, aber zu weit runterkochen funktioniert – nach der gesamten unaufgeregt erzählten Vorgeschichte – auch nicht.

Wie in Zeitlupe
-> Zeitlupe ist eine Technik aus dem Filmbereich, auf Lebendes außerhalb des Mediums bezogen heißt das langsam / verlangsamt / verzögert etc. Etwas Natürliches mit etwas Technischem zu erklären, klingt für mich eh verquer, das geht nur umgekehrt. Es gibt eine Reihe Wörter, die Texten grundsätzlich schaden: Wie in Zeitlupe, wie ferngesteuert, leicht (als Adverb), komplett, panisch.

verschwommen bemerkt er
-> ???

Sie ist kalt und die Kleine rührt sich nicht,
-> Boa, cool, und so wie nebenbei, das ist echt brutal. Gut gemacht. Trotzdem ein Vorschlag: Das ist eine so wichtige Aussage, dass im Satz nicht das Subjekt gewechselt werden sollte. Selbst wenn das kurz wird, mach doch nen Punkt, oder schreib: Die Haut ist kalt. Das Mädchen rührt sich nicht.

Ein Mann in Uniform zieht ihn am Arm, sodass er auf die Füße kommt.
-> Am Arm ziehen ist mir hier zu schwach, zumal der Mann aus dem Nichts kommt (für den Prot wie für uns Leser). Du wechselst ganz hart aus dem Personalen zum Auktorialen (der Mann in Uniform, das kann der Prot in seiner – auch emotionalen – Lage gar nicht sofort sehen), das haut einen ganz schön raus, wo es gerade super intensiv war. Schreib doch personal aus der Sicht des Prots weiter: Jemand zerrt ihn hoch oder so. Mach das ruhig – wie oben bei dem Kind mit der Maske – zu einer heftigen, groben Bewegung. Du hast in der gesamten Geschichte circa 10 Zeilen wirklich relevante Handlung, verschenk die nicht.

hält die schwarze Muschel so fest in der Hand, dass die Fingerknöchel weiß hervortreten.
-> Vor meinem inneren Auge zerbricht die Muschel hier, aber das ist evt. gewollt.

„Gehen Sie bitte weiter Ihrer Wege", hört er die rauschenden Worte des Mannes.
-> Wie hören sich ‚rauschende Worte‘ an? Warum spricht der in so einem antiquierten Stil? Den Satz würde ich ersatzlos streichen. Das ist emotionale Deeskalation, im Englischen gibt es dafür das Wort ‚bathos‘ – so, wie wenn man eine Treppe runtergeht, und zu hart aufkommt, weil die letzte Stufe unerwartet niedriger war als die davor. Damit komme ich als Leser wieder in eine enorme Entfernung. Der Satz bietet mir weder sinnvolle Information, noch ist er ein besonders hartes, poetisches Schlussbild, das besser funktionieren würde, als der Satz davor. (Das wäre ein schöner Übergang, wenn die Geschichte jetzt erst richtig anfangen würde, mit dem Konflikt zwischen dem Paar oder so.)

Ich muss zu meiner Schande gestehen, das ich das Kind niemals nie als seine Tochter gesehen hätte, wär das nicht in einem Komm erwähnt gewesen. Und auch bei dem, was sie sagen soll, hätte ich auf dem Schlauch gestanden. (Ist aber ne tolle Idee, an sich.) Was ich mich frage: Wenn sie ein Geist ist, bildet er sich die Muschel auch ein? Das ist dann der Grund, aus dem sie nicht kaputtgeht. Das ist natürlich geschickt gemacht.

Zum Textkram hab ich noch ne Anregung: Du variierst so gut wie nie die Syntax und hast extrem kurze Sätze. Damit wird der Stil ziemlich schlicht-naiv (dass das so wirkt, hat was mit dem Spracherwerb bei Kindern in den verschiedenen Altersgruppen zu tun). Du balancierst das aus durch deine philosophischen Betrachtungen, aber ist das Absicht? Und was möchtest du damit erreichen oder vermitteln?

Nur zur Übung: Such dir mal die ganzen Satzanfänge raus. Wie oft fängst du mit einem Pronomen oder Artikel an? (Wird dadurch verstärkt, dass dein Prot namenlos bleibt) Wie oft weichst du von SPO ab? Da ließe sich wirklich ne Menge machen – wenn du wolltest. Guck mal:
Er / Es / Die / Sie / Die / Nicht / Er / Er / Die / Die / Vor / Das / Sie / Er / Vielleicht / Auf / Sie / Die / Gesichter / Auch / Man / Er / Zwei / Die / Man / Es / Kaum / Sie / Auf / Die / Eine / Ihre /Die / Sie / Er / Er / Keinen / Wenn / Ein / Sie / Sie / Ihr / Kurz / Sie / Unvermittelt / Das / Er / Das / Seine / Und / Er / Darauf / Dann / Ich / Als / Er / Auf / jetzt / Möglicherweise / Nicht / Er / Ob / Er / Er / Sie

Das ist circa die halbe Geschichte – einmal steht an Substantiv am Satzanfang, nie ein Verb.

Guck nur mal, ob das anders auf dich wirkt: SciFi, Dystopie, kaum Dialog, personaler/auktorialer Erzähler (Arkadi & Boris Strugatzki: Die Wellen ersticken den Wind)
Und / Oleg / Vielleicht / Ekel / Ekel / Er / Er / Ja / Mancher / Fredow / Und / Grigorjan / Irgendwohin / Sossja / Sie / Und / Wenn / Misch‘ (dich) / Wenn / Nein / Sossja / Als / Es / Aus / Nämlich / Freilich / Sie / Als / der / Jemand / Bis / Aber / Sie / Nichts / Ein / Oleg / Übrigens / Er /

Und die Sätze sind im Durchschnitt dreimal so lang wie deine, mit diesem Beispiel hab ich ungefähr die gleiche Textlänge abgedeckt. Da ist also auch sehr viel Dynamik und Abwechslung in den einzelnen Sätzen.

Nur so als Denkanstoß – müssen musst du ja gar nichts.

P.S. Wie lustig, eine meiner absoluten Lieblings-Postapokalyptikromane heißt "Der Tag, an dem der Himmel leer war". Von Tiina Raevaara, leider nicht übersetzt. Auch völlig unaufgeregt. Da kriegt man einen Herzkasper, wenn auf S. 150 der Antagonist aus dem Haus tritt und nur die Arme verschränkt (kein Scherz). Allerdings - und da ist tatsächlich ein Gegensatz zu deiner Geschichte, so gern ich sie gelesen hab - steht emotional für die Hauptprotagonistin extrem viel auf dem Spiel, und eben das macht das Unaufgeregte da hochspannend, wo du (noch) Zeit mit dem Setting verbringst. Aber das wird, ich bin mir sicher. Raise the stakes!

Ich bin eh kein Freund dieser tags, aber da die hier sind: Diese Geschichte hat keinerlei Fantasy-Elemente, das ist reine SciFi (Zukunft kann ja auch bei entspr. Veränderung in ein paar Stunden bedeuten). Mit Fantasy kannst du - außer in Parallelwelten, denen du dann eine wissenschaftlich stimmige alternative Physik geben müsstest - ebensowenig wie in SciFi die Naturgesetze ignorieren. Wenn der tag die Wahl war, um deine Katastrophe nicht wissenschaftlich korrekt sein zu lassen, hilft das gar nix. ;)

Liebe Grüße, und ich hoffe, du kommst, um in Hamburg oder Kiel ein paar Blumen auf den Tischen zu arrangieren! :herz:
Gojira aka Katla

 

Liebe Kanji,

Tausend Dank für deine liebe Rückmeldung per PN - klar, lass dir mit der Antwort Zeit, solange du magst. :gelb:

Übrigens: Dein PN-Fach ist voll - man kann dir nix Neues schicken, bevor du nicht was aus deiner Inbox löscht.

Liebe Grüße, Katla

 

Hej Katla,

nachdem ich vier Tage lang hyperventiliert habe, um deinen Kommentar zu verdauen, krieche ich jetzt aus meiner Schockstarre und wage mich Schritt für Schritt hervor, aber nur erst einmal, um mich aus tiefem Herzen zu bedanken, gemischt mit Scham, weil die Geschichte plötzlich so viel mehr Gewicht bekommt, als mir lieb ist. Dieses Forum steckt voller Tücken und Wunder.

bevor es ab nächster Woche mit dem Internet eventuell schwierig wird, lös‘ ich noch meine Ankündigung ein.

Und während du auf hoher See klar Schiff machst, wird mir Zeit geschenkt, deinen Kommentar zum x-ten Mal zu lesen, versuchen zu verstehen und ... davon Gebrauch zu machen. Du bist somit mit Leben beschäftigt und ich mit meiner kleinen Schreibwelt.

Auch vorab: Ich hab deine Geschichte wirklich sehr gern gelesen, vor allem, weil du eine gute Beobachtungsgabe hast und die Bilder so ‚unangemessen‘ ruhig sind.

Du bist offenbar nicht bloß irre kompetent und fix im Hirn, du bist auch noch clever und smart. :D Natürlich will ich jetzt alles wissen, was du weißt. Ich ahne schon, dass du mit mir umgehen kannst. ;)

Einmal mit allem in Verbindung, was ich sonst von dir gelesen habe – deine sehr persönliche, emotional-analytische individuelle Sicht auf Texte (und vllt. die Welt), die du pointiert aber nie scharf formulierst, deine freundliche Textkritik, die immer etwas Gutes findet (ich meine, noch nie einen negativen Komm gelesen zu haben). Und diese positive, frische Stimme lese ich auch hier und dann ist es eben deine ganz eigene Stimme, eine postapokalyptische Geschichte zu erzählen, ungeachtet von Vorgaben und Vorlagen, und das mag ich hier.

Also Respekt: um einen Wortkrieger derart einschätzen zu können, benötige ich etwas ein Jahr. Das ist alles enorm vertrauenerweckend und individuell, wie es eigentlich am meisten Sinn macht, sich einem fremden text so dass ich mir die allergrößte Mühe geben werden, zu verarbeiten, was du vorschlägst, in der Hoffnung, das diese Geschichte geschmeidig und stimmig wird.

Und dann kann ich deinen Text, wie andere auch, normal analytisch durchgehen und auch Fragen und Stolpersteine zulassen, die ich wohlwollend versucht habe, wegzudrücken, und somit habe ich doch eine ganze Menge Anmerkungen.

Eine Vorgehensweise, von ich mir ne Scheibe abschneide, wenn du teilen kannst.

Und hier pausiere ich, bevor es ans Eingemachte geht und husche ans Meer wegen der Sonne und weil der Wind weht und der Hund Lust zu haben hat.

Herzlich, Kanji

 

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