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Wieder das Schwarz
Der Nachmittag floss träge dem Abend in die Arme. In den Straßen rannten die Leute, rannten gegeneinander an, hatten ihre Blicke überall und doch geschah das mit leeren Augen. Es lag angekündigter Schnee in der Luft. Doch das ließ sich Zeit. Alles roch zwar schon danach, doch es geschah noch nichts. Nichts war wichtiger, als Tempo, Eile, Ellbogengehabe.
Wenn der Schnee kommt, würde es stiller werden. Es würde damit das passieren, das er mit seinem ersten Erscheinen immer mit uns anstellte. Aber noch hastete Alles und das kommende Weiß steckte irgendwo über den Dächern.
Der Himmel ließ noch nicht los.
Wir beide, wir nennen uns Freunde schon eine lange Zeit, saßen im hinteren, dunkleren Teil des Kaffeehauses, raschelten mit den Blättern der Tageszeitungen und versanken dabei im Plüsch der Stühle. Es war unsere Variante, auf den Schnee zu warten. Und so eigenartig es auch klingen mag, über das Weiß des Schnees kamen wir auf die Farbe Schwarz zu sprechen. Es begann damit, dass mich Kurt veranlasste, meinen Daumen näher zu betrachten.
Der war vom Umblättern schwarz geworden. Druckerschwärze. Es verwunderte nicht, da ich die Angewohnheit hatte, vor dem Blättern den Daumen mit der Zungenspitze zu befeuchten, die Haftung auf dem sonst trockenen Papier zu erhöhen.
Schwarz ist eine schöne Farbe, sagte ich. Zeitlos, elegant, angenehm.
Schwarz ist die Leere, das Ende, der Tod, antwortete Kurt, nur scheinbar unbeteiligt und dem Thema gegenüber desinteressiert.
Ich kannte ihn. Es war sein Thema Es war es immer gewesen.
Wir hatten schon vor Jahren darüber gesprochen und das Schwarz zog sich wie ein roter Faden durch die Höhen und Tiefen unserer Freundschaft. Jetzt waren wir also wieder dort.
Ich hatte nichts dagegen einzuwenden. Kurt sprach auch am Strand des Badeteiches über den Tod. Er versuchte da, etwas zu verfolgen, etwas zu klären, vielleicht auch ein paar schattige Stellen seiner Vergangenheit aus dem Dunkel zu zerren oder darin zu zerstäuben.
Wir versuchten eben, über die Farbe Schwarz so manches zu definieren. Ich bin, ohne mich je von dieser Meinung entfernt zu haben, überzeugt von ihrer angenehmen Eleganz, ihrer erotischen Verruchtheit. Ich fuhr einen schwarz lackierten Wagen, trage gerne schwarze Kleidung und überrasche meine Freundin damit, ihr regelmäßig schwarze Strümpfe zu schenken, die, wie ich meine, ihren langen glatten Beinen eine für uns beide anregende Aufgeregtheit zulassen. Ich fahre mit den Fingern über diese schwarze Seide an ihren Beinen und denke dabei, welche Ausstrahlung diese in diesem Schwarz haben.
Kurt hält dem allen entgegen, dass er wüsste, dass der Tod auch eine erotische Komponente hätte, dass er mir recht gäbe damit, aber in all der Erotik das Schwarz als Handlanger des Todes nur die Aufgabe hätte, auf dessen unabdingbares Erscheinen vorzubereiten. Die Leere, sagte er, die Leere, die dahinter verborgen steckt, die erreichbare Traurigkeit, das letztgültige, unwiderrufliche Ende. Schwarz ist das Loch, in das wir fallen. Alle. Ohne Ausnahme.
Kurt trieb es mit aller Kraft hin zu diesen Vorstellungen. Es hielt ihn nichts zurück.
Wenn der Schnee kommt, so ist sein reines Weiß verlogen, sagte er. Warte eine Nacht, einen Tag. Alles färbt ab. Die Rinde der Bäume, die Spuren der gegeneinander Taumelnden, die leeren Blicke aus Plätzen heraus, wo es Seelen nie gab. Und wie ist es mit den Wolken vor den Blitzen und dem Donner? Welche Farbe haben die Wolken?
Dann hörte unser Gespräch abrupt auf.
Wir saßen, jeder mit seinen Gedanken hinter Zeitungspapier, und warteten darauf, dass der Himmel über den Dächern den Schnee losließ. Behielt das Schwarz tatsächlich die Oberhand, dachte ich und sah zu, wie der weiße Zuckerwürfel im Schwarz des Kaffees ertrank. Ist das Dazwischen ihrer bestrumpften Beine das schwarze Loch, in das ich falle, mich fallen lasse, weil ich es anbete? Hat mich der Anblick eines Rabengefieders, eines kahlen Geästs oder der Nacht selbst jemals an die Leere erinnert, die manches Mal in mir kauert, weil es mir zu bunt wurde mit alldem drum herum? Warum aber trägt der Totengräber schwarz, warum der Priester den Talar in derselben Farbe? Warum ist das schiefe Heer der Grabsteine schwarz gekleidet und warum ist das Schwarz Ausdruck der Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen?
Es stimmt beides, Kurt, sagte ich in die Stille. Wir waren uns nie näher.
Dein Schwarz stimmt mit dem Meinen überein.
Die zeitlose Leere ist es, die uns fasziniert.
Der elegante Tod ist es, den wir uns wünschen.
Das angenehme Ende ist der Schlussstrich, den wir zu ziehen versuchen.
Schau auf die Straße, antwortete Kurt. Ich folgte seinem Blick.
Der Himmel war dabei, das Weiß über den Dächern loszulassen. Das war jedoch nur für den Augenblick gedacht. Wir würden die Nacht und den nächsten Tag abwarten und schauen, was davon blieb. Wir würden wieder darüber reden und es nicht zu Ende reden können, weil wir den Schlussstrich nicht fanden. Weil es kein angenehmes Ende gab.
Wenn doch, so würde dieses der Farbe Schwarz ähneln.
Dann hätte das Schwarz seine Unendlichkeit bewiesen.