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Wieder das Schwarz

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02.11.2001
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Wieder das Schwarz

Der Nachmittag floss träge dem Abend in die Arme. In den Straßen rannten die Leute, rannten gegeneinander an, hatten ihre Blicke überall und doch geschah das mit leeren Augen. Es lag angekündigter Schnee in der Luft. Doch das ließ sich Zeit. Alles roch zwar schon danach, doch es geschah noch nichts. Nichts war wichtiger, als Tempo, Eile, Ellbogengehabe.
Wenn der Schnee kommt, würde es stiller werden. Es würde damit das passieren, das er mit seinem ersten Erscheinen immer mit uns anstellte. Aber noch hastete Alles und das kommende Weiß steckte irgendwo über den Dächern.
Der Himmel ließ noch nicht los.

Wir beide, wir nennen uns Freunde schon eine lange Zeit, saßen im hinteren, dunkleren Teil des Kaffeehauses, raschelten mit den Blättern der Tageszeitungen und versanken dabei im Plüsch der Stühle. Es war unsere Variante, auf den Schnee zu warten. Und so eigenartig es auch klingen mag, über das Weiß des Schnees kamen wir auf die Farbe Schwarz zu sprechen. Es begann damit, dass mich Kurt veranlasste, meinen Daumen näher zu betrachten.
Der war vom Umblättern schwarz geworden. Druckerschwärze. Es verwunderte nicht, da ich die Angewohnheit hatte, vor dem Blättern den Daumen mit der Zungenspitze zu befeuchten, die Haftung auf dem sonst trockenen Papier zu erhöhen.

Schwarz ist eine schöne Farbe, sagte ich. Zeitlos, elegant, angenehm.
Schwarz ist die Leere, das Ende, der Tod, antwortete Kurt, nur scheinbar unbeteiligt und dem Thema gegenüber desinteressiert.

Ich kannte ihn. Es war sein Thema Es war es immer gewesen.
Wir hatten schon vor Jahren darüber gesprochen und das Schwarz zog sich wie ein roter Faden durch die Höhen und Tiefen unserer Freundschaft. Jetzt waren wir also wieder dort.
Ich hatte nichts dagegen einzuwenden. Kurt sprach auch am Strand des Badeteiches über den Tod. Er versuchte da, etwas zu verfolgen, etwas zu klären, vielleicht auch ein paar schattige Stellen seiner Vergangenheit aus dem Dunkel zu zerren oder darin zu zerstäuben.
Wir versuchten eben, über die Farbe Schwarz so manches zu definieren. Ich bin, ohne mich je von dieser Meinung entfernt zu haben, überzeugt von ihrer angenehmen Eleganz, ihrer erotischen Verruchtheit. Ich fuhr einen schwarz lackierten Wagen, trage gerne schwarze Kleidung und überrasche meine Freundin damit, ihr regelmäßig schwarze Strümpfe zu schenken, die, wie ich meine, ihren langen glatten Beinen eine für uns beide anregende Aufgeregtheit zulassen. Ich fahre mit den Fingern über diese schwarze Seide an ihren Beinen und denke dabei, welche Ausstrahlung diese in diesem Schwarz haben.

Kurt hält dem allen entgegen, dass er wüsste, dass der Tod auch eine erotische Komponente hätte, dass er mir recht gäbe damit, aber in all der Erotik das Schwarz als Handlanger des Todes nur die Aufgabe hätte, auf dessen unabdingbares Erscheinen vorzubereiten. Die Leere, sagte er, die Leere, die dahinter verborgen steckt, die erreichbare Traurigkeit, das letztgültige, unwiderrufliche Ende. Schwarz ist das Loch, in das wir fallen. Alle. Ohne Ausnahme.
Kurt trieb es mit aller Kraft hin zu diesen Vorstellungen. Es hielt ihn nichts zurück.
Wenn der Schnee kommt, so ist sein reines Weiß verlogen, sagte er. Warte eine Nacht, einen Tag. Alles färbt ab. Die Rinde der Bäume, die Spuren der gegeneinander Taumelnden, die leeren Blicke aus Plätzen heraus, wo es Seelen nie gab. Und wie ist es mit den Wolken vor den Blitzen und dem Donner? Welche Farbe haben die Wolken?

Dann hörte unser Gespräch abrupt auf.
Wir saßen, jeder mit seinen Gedanken hinter Zeitungspapier, und warteten darauf, dass der Himmel über den Dächern den Schnee losließ. Behielt das Schwarz tatsächlich die Oberhand, dachte ich und sah zu, wie der weiße Zuckerwürfel im Schwarz des Kaffees ertrank. Ist das Dazwischen ihrer bestrumpften Beine das schwarze Loch, in das ich falle, mich fallen lasse, weil ich es anbete? Hat mich der Anblick eines Rabengefieders, eines kahlen Geästs oder der Nacht selbst jemals an die Leere erinnert, die manches Mal in mir kauert, weil es mir zu bunt wurde mit alldem drum herum? Warum aber trägt der Totengräber schwarz, warum der Priester den Talar in derselben Farbe? Warum ist das schiefe Heer der Grabsteine schwarz gekleidet und warum ist das Schwarz Ausdruck der Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen?

Es stimmt beides, Kurt, sagte ich in die Stille. Wir waren uns nie näher.
Dein Schwarz stimmt mit dem Meinen überein.
Die zeitlose Leere ist es, die uns fasziniert.
Der elegante Tod ist es, den wir uns wünschen.
Das angenehme Ende ist der Schlussstrich, den wir zu ziehen versuchen.

Schau auf die Straße, antwortete Kurt. Ich folgte seinem Blick.
Der Himmel war dabei, das Weiß über den Dächern loszulassen. Das war jedoch nur für den Augenblick gedacht. Wir würden die Nacht und den nächsten Tag abwarten und schauen, was davon blieb. Wir würden wieder darüber reden und es nicht zu Ende reden können, weil wir den Schlussstrich nicht fanden. Weil es kein angenehmes Ende gab.
Wenn doch, so würde dieses der Farbe Schwarz ähneln.
Dann hätte das Schwarz seine Unendlichkeit bewiesen.

 

Ach Aqua,

was soll man sagen. Ist ein ganz beachtlicher, tiefsinniger Text geworden, wie ich finde. Würde auch gut unter Philo passen. Konnte mir das Kaffeehaus so gut vorstellen. Prag, Wien, Barcelona. Sehe das Jugendstil-Ambiente, höre das Gemurmle der Leute ringsum. Die Zeit steht still, in solchen Kaffeehäusern. Man liest Kafka oder philosophiert, so wie du in diesem Text mit Kurt.

Einfach nur schön!

lg
liz

 

Hallo Aqua!

ICh muss einfach Liz rechtgeben, sie hat die meisten Gedanken, die ich im Kopf hatte beim Lesen Deiner Geschichte schon aufgeschrieben. Die Gemütlichkeit, die die Hektik aussperrt, der weiße Schnee, der bald kommt, die Gedanken zu Schwarz... ja, beihnahe schon was für Philo, diese Gedanken. Und so schön in Sprache verpackt...

"...und überrasche meine Freundin damit, ihr regelmäßig schwarze Strümpfe zu schenken, die, wie ich meine, ihren langen glatten Beinen eine für uns beide anregende Aufgeregtheit zulassen. Ich fahre mit den Fingern über diese schwarze Seide an ihren Beinen..." in so vielen Deiner Texte begegnen mir irgendwo Frauenbeine, Aqua... :)

Schöne Grüße, Anne

 

hallo aqualung!

dein text hat mich schon alleine deshalb bewegt, weil schwarz seit jeher meine lieblings"farbe" ist. hab mir allerdings noch nie so genau ueberlegt warum. moeglicherweise deshalb, weil schwarz fuer mich etwas kompromissloses hat. naja, irgendwie sieht es einfach auch gut aus. menschen die schwarz tragen, sind mir in vielen faellen eher sympathisch als die "bunten voegel". hmm .. warum eigentlich ... vielleicht ist das auch ein gewisser "dresscode".
naja, vielleicht liegt ein teil der antwort ja in deiner geschichte.

eine kleine nebensaechlichkeit, die aus meiner sicht die schoene melancholie der geschichte stoert:

Es verwunderte nicht, da ich die Angewohnheit hatte, vor dem Blättern den Daumen mit der Zungenspitze zu befeuchten, die Haftung auf dem sonst trockenen Papier zu erhöhen.
eek .. ich hasse diese angewohnheit .. egal ..

ansonsten :thumbsup:

klara

 

Spät aber doch melde ich mich und sage jedem von euch ein herzliches Dankeschön für die gespendete Kritik.

Ja, Liz,
die Kaffeehausatmosphäre, in der Gedanken wachsen können, geprüft werden und verworfen werden dürfen, nur um neue entstehen lassen zu können.
Der Ort dazu wäre in diesem Fall Wien, Palais Ferstl, Kaffee Central.

palladon,
ein verpackt servierter Gedanke, ein hauchdünnes Seil und doch die Sicherheit darauf. Es freut mich sehr, dass du es so siehst.

Maus, Maus,
du findest dich regelmäßig ein bei meinen Geschichten. Danke dafür. Mit den Frauenbeinen hast du recht. Ich zähle mich zwar nicht zu den Fetischisten, die nur mit ihrem Fetisch und ohne schon gar nicht können. Doch Frauenbeine hatten für mich immer schon den Reiz des Besonderen. Darum haben sie immer wieder Platz zwischen und in den Sätzen.

Heiko, danke.
Ja, die von dir angesprochene Wortwiederholung entstand im schnellen Schreiben. Wie du sagst: Aus dem Bauch heraus, Heiko. Ich kanns nicht anders. Ich möchte es aber so belassen. Das Wort ,doch' intensiviert das Geschriebene gerade am Beginn der Geschichte, läßt was ahnen...

Klara,
das Befeuchten des Daumens mit der Zungenspitze ist eine furchtbare Sache. Ich mags auch nicht. Ich wollte mit diesem kleinen Detail der Geschichte den Touch von ,wir sitzen hier und reden und sind ganz normal' geben. Muss nicht ungewöhnlich sein, diese Angewohnheit. Ähnlich ist es ja mit den langen Beinen.

Liebe Grüße an euch alle - Aqua

 

Huiiii Aq,

Metapherattacke! Der Philosoph und der Philosoph.
Zwei weitere mögliche Überschriften?
Mal was anderes von Dir. Trotzdem anfangs lebt diese Geschichte für mich doch vom Stil.
Mal wieder nichts für Oberflächenschwimmer (Schnee.eules Ausdruck)
War Wolto schon da?
Ich könnt´ mich den ganzen Tag mit dem Text beschäftigen und mitmachen!

Liebe Grüsse Arche

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus Aqua!

Konsequenz trägt sicher nicht den Namen Eva, also komm ich nicht herum, die von Arche lieberweise erwähnte Oberfläche zu durchbrechen und ganz tief einzutauchen in deine Zeilen die wunderschön zu lesen sind.
In einer Geschichte Arches ist der Junge unter dem Eis, erwartet den Tod, hell und erlösend. Dein Freund sieht eben diesen als schwarze Leere und unaufhaltsam an. Du selbst wartest auf die Stille des weißen Schnees und liebst aber gerade das Schwarz, welches er verdeckt. Alles vermischt sich.
Die Schneeeule mit ihrem weißen Gefieder wirft erst recht wieder einen schwarzen Schatten, wie der schneebedeckte Baum auf dem sie regungslos sitzt.
Und doch kehrt sich in einem Negativ alles um. Das Dunkel wird hell, der Schatten zum Licht, das schwarze Loch zu einem weißen Sprungtuch, das Sicherheit bietet. Was ist wahr, was nur Trug?

Lieben Gruß an dich und an euch - schnee.eule

 

Hallo Aqua!

Ein sehr berührender Text. Philosophisch, ja.
Aber er berührt mich sehr unangenehm. Ich mag Schwarz nicht. Will auch nicht auf den Tod sehen, habe das Leben lieber. Viel lieber. Bunt...

Ja, ich hatte eine Zeit, da trug ich viel schwarzes Gewand, mir gefielen schwarze Möbel und ich schrieb sogar mit schwarzem Kugelschreiber. Und das hat schon was auf sich, mit dem Schwarz - damals ging es mir schlecht, über jedem Gedanken hätte die Überschrift "Scheiße" stehen können...
Aber seit es mir immer besser geht, liebe ich auch immer mehr alles Bunte - Du kennst ja meine Wohnung... :D

Eigentlich hab ich mir hinter dem Titel ja auch etwas erhofft, was das Schwarz eher abstoßend beschreibt - aber es stimmt schon so, was Du schreibst, ist schwarz...

Eigentlich bin ich schon zu müde, aber damit ich nicht wieder die blöde Nachrede habe ("und das, obwohl Häferl schon da war..."):

"Es lag angekündigter Schnee in der Luft. Doch das ließ sich Zeit."
- Müßte, meine ich, "Doch der ließ sich Zeit" heißen.

"den Daumen mit der Zungenspitze zu befeuchten, die Haftung auf dem sonst trockenen Papier zu erhöhen."
- befeuchten, um die Haftung

"dass er wüsste, das der Tod auch"
- wüsste, dass

Liebe Grüße
und bunte Weihnachten,
Susi :xmas:

 

Hallo Arche, schnee.eule, Häferl,

Mann, Arche, ja, Metapherattacke ist genau richtig.
Komm und mach mit. Das Philosophikum ist eröffnet.
Danke dir.

schnee.eule,
jippieh, du schaust mal wieder aus dem Nest. Die von Arche angeführte Oberflächenschwimmerei hat dich neugierig gemacht, hmm? Alles kehrt sich um, richtig.

Häferl,
auch unangenehme Berührungen sind Berührungen.
Die ersten beiden Punkte sind so gewollt, den dritten verbessere ich. Danke für deine Korrektur, Susi.

Liebe Grüße an euch drei - Aqua

 

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