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Wie ich meinem Vater die Augen öffnete

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24.01.2003
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Wie ich meinem Vater die Augen öffnete

Entgegen falschen Vorurteilen bin ich der Ansicht, dass nicht die Männer die Starken in unserer Gesellschaft sind, sondern die Frauen. Sie sind es, die persönliche Beziehungen der Opportunität unterordnen, nicht wir Männer. Zu dieser Einsicht konnte ich nur kommen, weil ich neben einer wachen Neugier auch ein überragendes emotionales Verständnis für meine Mitmenschen habe. Diese beiden charakterlichen Vorzüge machte ich mir schon früh zunutze. Beispielsweise als ich es mit sechs Jahren für nötig hielt, meinem Vater in gewisser Hinsicht die Augen zu öffnen.

Es war Frühsommer in München, ich erlebte meine ersten Pfingstferien und schon die ganze Woche war blendendes Wetter. Mein Vater war gerade arbeitslos geworden, und so sahen wir uns oft gemeinsam das Vorabendprogramm im Fernsehen an. Mein Vater schlief dabei allerdings regelmäßig ein. So auch, als der Bericht über die Flugschau kam.

"Können wir da nicht hinfahren?" bettelte ich beim Abendessen. "Man kann sogar mitfliegen. Ach bitte."
"Humm, wann soll das sein", brummte mein Vater.
"Schau mal in der Zeitung", schlug meine Mutter vor.
"Die haben wir doch abbestellt."
Die Augen meiner Mutter wurden für einen Augenblick zu Schlitzen. Dann biss sie sich auf die Unterlippe und gab meinem Vater die Stadtteilzeitung, die gratis ins Haus kam. Schnell hatte er es gefunden.
"Da ist es. Ju 52, amerikanische F16, humm, vom fünften bis zehnten Juni. Der Fünfte, das ist Samstag. Also geht es morgen los."
"Ihr wollt doch nicht bei dem schönen Wetter die blöden Flugzeuge angucken", maulte meine Mutter. Sie wollte lieber ins Gebirge.
Mein Vater zögerte. Sicher wollte er nicht ins Gebirge, er wollte nie ins Gebirge. Aber er war nicht schnell zu begeistern. Er sagte immer, er müsse abwägen. Ich nannte das "einen Anlauf nehmen".
Doch allmählich rutschte sein Brummen vom tiefsten Bass in den Bariton hinauf. Schließlich hatte ich ihn so weit, dass es wie ein normales "hm" klang. Die Haltung meiner Mutter dagegen blieb ablehnend.
Das Telefon unterbrach uns. Meine Mutter lief hinaus und hob ab. Gott sei Dank dauerte es nicht allzu lang. Sie antwortete ein paarmal mit Ja und Nein, dann mit Okay, und sagte schließlich Ciao. Dann kam sie zurück zu uns. Sie hatte ein Lächeln auf den Lippen.
"Wie ist das jetzt mit morgen", drängelte ich, "fahren wir oder nicht?"
Mein Vater runzelte die Stirn, zögerte und fragte schließlich meine Mutter: "Was meinst du?"
"Also gut", sagte sie. "Fahrt ihr mal. Ich muss sowieso noch Hausarbeiten korrigieren."
Ich jubelte. Zum ersten Mal im Leben war ich froh, dass meine Mutter Lehrerin war. Sonst bedeutete das doppeltes Abfragen, einmal zu Hause, einmal in der Schule.
Auch mein Vater war begeistert, ich meine, zumindest im Rahmen seiner Möglichkeiten. Bei ihm drückte sich das so aus, dass er meiner Mutter einen Kuss auf die Wange gab. Er versprach, dass wir am frühen Nachmittag zurück sein würden.

Im Bett, nachdem ich das Licht ausgemacht hatte, sah ich die Flugzeuge schon vor mir, überlegte, wie es sein würde, mit einem Militärjet die Schallmauer zu durchbrechen. Zu meinen Favoriten zählten die französische Mirage und vor allem die amerikanische F16. Die Doppeldecker und Wellblech-Flugzeuge von anno dazumal überließ ich gerne meinem Vater. Schneller, höher, weiter - das war schon damals meine Devise. Meine Mutter dagegen lehnte alle Flugzeuge ab. Später erzählte sie mir, warum. Für sie waren das nur Projektionsflächen für Männerphantasien, vor allem von Allmachtsträumen. Natürlich ist das Unsinn - aber das gehört nicht hierher.
Ich drehte mich auf die andere Seite und musste an meine Mutter denken. Ihr plötzliches Einverständnis kam mir seltsam vor. Hatte es etwas mit dem Telefongespräch zu tun? Oder mit meinem Geburtstag? Vielleicht eine Überraschung für meinen Vater? Ich konnte mich nicht damit abfinden, dass etwas vor mir geheim gehalten wurde. Pädagogische Geheimnisse konnte ich gerade noch ertragen. Aber hier machte meine Mutter auch meinem Vater etwas vor. Das war keine kleine Lüge, sagte mir mein Gefühl. So sehr ich mich auch abmühte, so sehr ich mir den Kopf zerbrach - ich fand keine Erklärung. Es gab nur eine Möglichkeit, herauszufinden, was dahinter steckte: Ich musste ein Opfer bringen.

Am nächsten Morgen, nach dem Frühstück, machten mein Vater und ich uns auf den Weg. Ich glaube, wir waren beide aufgeregt, er voller Vorfreude auf die Flugzeuge, ich gespannt auf die Entdeckung, die mir heute bevorstehen würde. Meine Pläne standen im Groben fest, wenn ich auch bei den Details wie immer bereit war, spontanen Ideen nachzugehen.

An diesem Junitag machte es mir das Wetter leicht. Schon auf dem Weg zum Auto begann ich zu niesen, und es hörte auch im Wagen nicht auf. Obwohl ich mir die Nasenflügel fest mit den Fingern zuhielt, fanden irgendwelche Gräserpollen ihren Weg in meine Nase. Der Schleim an meinem Daumen und meinem Zeigefinger färbte sich allmählich rot. Ich hielt meinem Vater die blutigen Finger hin.
"Achje", sagte er und fuhr unseren Volvo-Kombi rechts ran. "Da hast du ein Tempo. Leg den Kopf in den Nacken, dann hört es schon wieder auf."
Jedes Kind weiß, dass es besser ist, sich bei Nasenbluten vornüber zu beugen. Aber um ihm einen Gefallen zu tun, tat ich, was er wollte. Als es nach einer Viertelstunde nicht besser war, sagte er: "Das hat keinen Zweck so."
Er wendete, und ich begann zu heulen.
"Aber Oliver, es hat doch keinen Sinn", versuchte er mich zu beruhigen.
"Wir werden die Flieger nicht sehen, nie nie wieder, ich werd sie im ganzen Leben nicht mehr sehen."
"Oliver, sei doch vernünftig. Vielleicht klappt es morgen oder übermorgen ..."
Die ganze Fahrt über versuchte er, mich zu beruhigen. Mich belustigte die Naivität, mit der er mir meine Show abnahm. Es war so einfach. Wer lange Heuschnupfen gehabt hat wie ich, weiß, wie man einen Niesreiz provoziert.

Eine halbe Stunde später standen wir wieder vor der Wohnungstüre. Meine Nase blutete stark vom Treppensteigen - wir wohnten im dritten Stock. Mein Vater kramte den Schlüssel hervor und wollte ihn ins Schloss stecken, da stutzte er: Das Schloss war blockiert, er brachte den Schlüssel nicht hinein.
"Warum sperrt Mami ab?" fragte ich ihn.
"Wahrscheinlich hat sie versehentlich den Schlüssel stecken lassen", antwortete er.
Wir klingelten und warteten. Es dauerte viel länger, als man in unserer kleinen Dreizimmerwohnung bis zur Tür brauchte.
"Vielleicht denkt sie, wir stehen unten auf der Straße", vermutete mein Vater und klingelte noch einmal, zweimal kurz hintereinander.
Es tat sich wieder nichts, und wir standen eine Ewigkeit im Treppenhaus herum. Meinem Vater gingen die Taschentücher aus, und meine Nase blutete auf den gebohnerten Boden.
"Vielleicht schläft sie", vermutete er schließlich. Er klingelte noch mal, dann ein drittes und ein viertes Mal. Schließlich klingelte er Sturm.
Endlich öffnete sich die Wohnungstür; die Kette war eingehängt. In dem Spalt erschien meine Mutter; ihr Haar war zerdrückt und sie trug nur einen Bademantel.
"Ihr schon", sagte sie und öffnete die Türe ganz. Sie blickte meinen Vater an, dann zu mir herunter. "Ach so, wieder Heuschnupfen", sagte sie, und ließ uns hinein.

Meine Nase blutete immer noch stark, und so stürmte ich gleich zur Toilette. Aber die Tür war abgesperrt. Aha, dachte ich, und trat mit dem Fuß dagegen, damit mein Vater es auch merkte. Dann lief ich weiter zum Bad, hielt mein Gesicht übers Waschbecken und drehte den Hahn auf. Dicke dunkelrote Blutkleckse mischten sich mit dem Wasser. Es roch seltsam im Bad, nicht von dem Blut, und vor der Wanne stand ein Paar Herrenschuhe. Draußen im Flur stritten meine Eltern. Was sie sagten, war nicht zu verstehen, denn sie hatten die Tür hinter mir geschlossen. Aber sie stritten, ziemlich heftig sogar.

Etwas später kam mein Vater herein.
"Hat fast aufgehört", sagte ich.
"Warte", sagte mein Vater und säuberte mir mit einem Kleenex das Gesicht. "Wir gehen noch mal an die frische Luft, Oliver." Er nahm mich an der Hand und zog mich hinaus in den Flur. Meine Mutter stand in der Küche. Sie wendete uns den Rücken zu und starrte mit verschränkten Armen aus dem Fenster.
"Inzwischen räumt Mami die Wohnung auf", sagte er beim Hinausgehen. Ich glaubte, etwas Drohendes in seiner Stimme zu bemerken.

Unten auf der Straße stellte ich meinen Vater zur Rede.
"Was sollen wir hier?"
Vater brummte unwillig und bekam einen roten Kopf.
"Warum war die Klotür zu", fragte ich, mich naiv stellend.
"Das verstehst du noch nicht", antwortete er. Offensichtlich hatte ich die richtige Frage gestellt, er war aber nicht bereit, darüber zu reden.

Warum ich diese Geschichte erzählt habe? Nun ja, die Sache hat damals meinem Vater die Augen geöffnet. Sechs Jahre später ließ er sich scheiden. Und mir selbst ist auch so einiges klar geworden, was die Frauen angeht: Es hat mir ein gesundes Misstrauen eingeimpft.

 

Hallo leixoletti,

deine Art zu schreiben, dein Stil, gefällt mir sehr gut. Du erzählst flüssig und interessant, ziemlich professionell.

Den Plot deiner Geschichte hat mir allerdings nicht so gut gefallen. Das Ende ist schon sehr früh vorhersehbar, spätestens, als der Junge im Bett liegt und drüber nachdenkt, aber eigentlich bereits, nachdem die Mutter so plötzlich nachgibt.

Mir ging es so, dass ich, das offensichtliche Ende vor Augen, fast erwartete, dass du die Geschichte doch noch auf überraschende Weise anders auflöst. Daher war ich etwas enttäuscht vom Schluss.

Ein paar Details:

Zu dieser Einsicht konnte ich nur kommen, weil ich neben einer wachen Neugier auch ein überragendes emotionales Verständnis für meine Mitmenschen habe.
Der Satz hat mich irgendwie geärgert, klingt ziemlich überheblich. Würde ich abschwächen.
"Humm, wann soll das sein", brummte mein Vater.
Dieses "Humm" ist kein Laut, den ich schon mal von realen Menschen gehört hätte. Irritierte mich daher etwas beim Lesen.
Sechs Jahre später ließ er sich scheiden.
Sechs Jahre, nachdem ihm die Augen geöffnet wurden? Warum so lange? Kann man da noch von Ursache-Wirkung reden?
Dass meine Mutter meinen zugegebenermaßen etwas naiven Vater betrog, hat mir ein gesundes Misstrauen gegen die Frauen eingeimpft.
Würde ich komplett rausnehmen, wirkt etwas platt auf mich.

Gruß
Rainman

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Rainman,

erstmal danke für die Teil-Belobigung. Interessant find eich auch, was du zum Thema Spannung sagst. Da muss ich wohl meine Andeutungen viel nebulöser machen.

Schön, dass der Ich-Erzähler überheblich klingt. Das war beabsichtigt. Vielleicht sollte ich ihn noch arroganter machen, damit es nicht wie ein Versehen aussieht.

Zum "Humm": Da hast du wahrscheinlich recht.

"Sechs Jahre, nachdem ihm die Augen geöffnet wurden? Warum so lange?"
Weil der Vater immer etwas länger braucht - er braucht Anlauf, wie es einmal in der Geschichte heißt. Ich glaube, das passt zu seinem Charakter.

Zum platten Schlusssatz: Da hab ich wohl dem Leser zu wenig zugetraut. Ich hab das gleich geändert.

Danke für deine Hinweise,
dein Stefan

 

Hallo leixoletti!

Die Handlung selbst, also alles vom zweiten bis vorletzten Absatz, finde ich ganz gut.
Die Einleitung und der Schluß machen das Ganze aber ziemlich kaputt, in meinen Augen.

als ich es mit sechs Jahren für nötig hielt, meinem Vater in gewisser Hinsicht die Augen zu öffnen.
Das trifft ja gar nicht in dem Sinn zu. Später erfahren wir doch, daß er gar nicht wußte, was los war:
Ihr plötzliches Einverständnis kam mir seltsam vor. Hatte es etwas mit dem Telefongespräch zu tun? Oder mit meinem Geburtstag? Vielleicht eine Überraschung für meinen Vater?
Es war also kein bewußtes Augen-Öffnen, sondern kindliche Neugier, die zu der Überraschung führte.
Nun ja, die Sache hat damals meinem Vater die Augen geöffnet. Sechs Jahre später ließ er sich scheiden. Und mir selbst ist auch so einiges klar geworden, was die Frauen angeht: Es hat mir ein gesundes Misstrauen eingeimpft.
Das hat eigentlich mit der Geschichte selbst nicht viel zu tun, jedenfalls nicht, so wie Du sie geschrieben hast.

Ich würde der Geschichte einen anderen Rahmen geben, indem Oliver zuerst mit seinem Mißtrauen konfrontiert wird, Schwierigkeiten hat, seiner Freundin zu vertrauen und deshalb öfter mal unerwartet nach Hause kommt. Dann könnte er sich erinnern und draufkommen, wo dieses Mißtrauen seinen Ursprung hatte. - Die Geschichte also mehr als Rückblende schreiben. Dann mußt Du dem Leser keine Erklärungen abliefern, wie sich das ausgewirkt hat usw. Man erkennt es dann durch die Geschichte selbst. - Ist aber nur ein Vorschlag. :)

Liebe Grüße,
Susi

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Häferl,

danke für deine Kritik.

ad 1: "Es war also kein bewußtes Augen-Öffnen, sondern kindliche Neugier, die zu der Überraschung führte."
Das sehe ich auch so. Meiner Ansicht nach war die Entdeckung reiner Zufall. Und dieser arrogante Ich-Erzähler stellt es nur im Nachhinein so dar, als habe er das aufgedeckt.

ad 2: Der Schluss "hat eigentlich mit der Geschichte selbst nicht viel zu tun"
Wahrscheinlich muss ich da noch einen Hinweis einfügen, wie es zu diesem Misstrauen kommt - vielleicht hat er später noch öfter ähnliche Erfahrungen machen müssen.

ad 3: "Die Geschichte mehr als Rückblende schreiben."
Für mich war das Erzählen aus Ich-Perspektive mit großer zeitlicher Distanz das eigentlich Interessante an der Geschichte. Ich hänge am Rahmen mehr als an Details der Handlung. Für mich steht und fällt die Geschichte mit diesem Rahmen.

Grüße,
dein Stefan

 

Wahrscheinlich muss ich da noch einen Hinweis einfügen, wie es zu diesem Misstrauen kommt - vielleicht hat er später noch öfter ähnliche Erfahrungen machen müssen.
Wie so ein Mißtrauen entsteht, ist mir durchaus klar, aber Du schneidest die Geschichte ab und erklärst etwas, das zum Zeitpunkt der Geschichte noch nicht relevant war.
Daher mein Tip, sie als Rückblende zu gestalten.
Rückblenden finde ich in Kurzgeschichten generell erzähltechnisch problematisch.
Wenn Du mit problematisch meinst, daß sie nicht einfach umzusetzen sind, hast Du Recht, es ist eine Herausforderung, eine Geschichte so zu schreiben, daß Rückblenden nicht deplatziert wirken - was sie manchmal auch tun. Genauso deplatziert wirkt aber meiner Meingung nach diese Vorschau, wie Du sie schreibst...
Ein Beispiel für eine gelungene Rückblende ist sims Verrat - vielleicht verlierst Du ja Deine Abneigung gegen Rückblenden noch...;)

Liebe Grüße,
Susi :)

 
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Hi

Erstmal, was mir beim Lesen aufgefallen ist:

"Beispielsweise als ich es mit sechs Jahren für nötig hielt, meinem Vater in gewisser Hinsicht die Augen zu öffnen"
>>Hier hat das "für nötig hielt" auf mich einen selbstironischen Beiklang, so als würde der Prot das mit einem Augenzwinkern berichten, als würde er heute anders handeln.

"maulte meine Mutter"
Bei "maulen" denke ich eher an nervige Kinder, jedenfalls nicht an eine erwachsene Frau.

"Auch mein Vater war begeistert, ich meine, zumindest im Rahmen seiner Möglichkeiten"
Irgendwie kommt mir hier der Wechsel von seinem "normalen Hm" zu der Begeisterung zu abrupt, außerdem müsste er doch grundsätzlich eher geknickt sein im Hinblick auf seine Situation, es sei denn, er nimmt seine Arbeitslosigkeit auf die leichte Schulter.

"Natürlich ist das Unsinn - aber das gehört nicht hierher." Hm, dann gehört das vielleicht wirklich nicht hierher ;) Bringt hier meiner Meinung nach nicht viel, zeigt nur nochmal die Arroganz des Prots.

"Ich glaubte, etwas Drohendes in seiner Stimme zu bemerken."
Hier finde ich das "ich glaubte" überflüssig, wenn der Prot schon von seiner Menschenkenntnis prahlt. Generell sind solche Zusätze nicht immer erforderlich, wenn man sowieso nur aus einer Sicht schildert.

Genau wie Rainman hatte ich schon an der Stelle mit der verschlossenen Tür die Ahnung, was nun folgen würde. Da fehlt vielleicht eine geschickte falsche Fährte oder sowas. Dadurch geht die Spannung etwas verloren, die Geschichte wird mehr zu einer Anekdote.

Sehr gut hat mir die Stelle im Auto gefallen, wo durch den falschen Tip des Vaters und die Reaktion des Jungen einiges über die beiden ausgesagt wird.

Gut fand ich eigentlich auch, dass du mit Emotionen gespart hast, obwohl die in der Situation ja sicher da waren. Allerdings widerspricht die nüchterne Darstellung so ein bisschen der großartigen Menschenkenntnis, selbst wenn die nur geheuchelt ist. In dem Fall hättest den Prot ja auch offensichtlich missdeuten lassen können.
Gefallen hat mir auch, dass du nicht aus der Sicht eines unschuldigen, liebenswerten Kindes schreibst und auf der Mitleidsschiene fährst, wie es wohl am naheliegendsten wäre bei dem Thema. Allerdings hätte ich die Hinterlistigkeit des Jungen noch stärker betont, indem er den Vater zum SChluss beispielsweise für seine Gutgläubigkeit demütigt.

Mit dem Schluss kann ich mich auch nicht so anfreunden. Es wird zwar klar, weshalb die Geschichte für den Prot wichtig ist, aber nicht, warum sie für uns Leser wichtig ist, bzw. was denn die Aussage ist.

Zum Stil gibts nicht viel zu sagen, klassisch, kein Wort zuviel.

"Rückblenden finde ich in Kurzgeschichten generell erzähltechnisch problematisch"
Hm, da weiß wohl noch jemand, "Wie man einen verdammt guten Roman schreibt" ;)

Gruß
Christoph

 

Hi Christoph,

danke für deine Anmerkungen. Werd mir das alles überlegen. Recht hast du auf jeden Fall mit "Ich glaubte, etwas Drohendes zu bemerken."

Vor allem werd ich mir den Schluss nochmal vornehmen müssen. Und den Ich-Erzähler werd ich noch gemeiner, noch arroganter machen.

Das Buch von Frey über den verdammt guten Roman kenn ich zwar nicht, aber in anderen Schreibbüchern steht dasselbe.

Grüße,
dein Stefan

 

Hallo Leixoletti,

ich fand deine Geschichte sehr spannend und ich habe erst als deine Protagonisten wieder zu Hause sind und nicht hinein können, eine Idee davon gehabt, was los ist.
Dein Schreibstil hat mir gefallen, zügig zu lesen und lässt einen auch nicht los.

Was mir allerdings Sorgen bereitet hat, war dein Ich-Erzähler. Sein Verhältnis zu seinen Eltern wird arg fokussiert dargestellt. Sein kühles Verhältnis zum Vater vermag ich ja noch emotional einzusortieren, aber die noch kühlere Distanz zur Mutter irritiert mich sehr.Sie ist wie eine Fremde für ihn. Ich finde es zu unterkühlt und damit eine Spur unglaubwürdig.

Mein Problem ist zudem, dass ich deine Intention nicht ganz nachvollziehen kann.
Soll das Kind nun so eine Art altkluges durchtriebenes Kerlchen sein, das zwischen den Eltern Unruhe stiften möchte? Oder soll alles eine Mischung aus jugendlichem Streichespielen an den Eltern sein?
Und in welcher Position befindet sich dein Ich-Erzähler in der Geschichte? Der Vorspann spricht eher für einen erwachsenen Protagonisten, der in die Rückblende geht.

Weshalb er Vater 6 Jahre benötigt, um letztendlich zur Scheidung zu gelangen, ist mir auch zu wenig im Text nachvollziehbar. Ich wünschte, du würdest hier ein wenig mehr kommentieren. Mir war nicht klar, dass ein Vater, der immer einen Anlauf benötigt, dann auch 6 Jahre für die Trennung bzw. Scheidung braucht.

Aber nichts desto trotz, ich fand deine Geschichte sehr lesbar.

Lieben Gruß
lakita

 

Hi lakita,

danke fürs Lesen. Die Story arbeite ich zur Zeit gerade nochmal um, auch als Reaktion auf die Kritik von rainman, wolkenkind und Häferl. (Danke nochmal an diese, es braucht immer ein bisschen, aber irgendwann fällt der Groschen)

Ich-Erzähler: In der von dir gelesenen Version ist der Ich-Erzähler auktorial gefärbt: "...machte ich mir schon früh zunutze. Beispielsweise als ich es mit sechs Jahren für nötig hielt.." Das zeigt, dass die Geschichte aus 30 Jahren Abstand erzählt ist. Jetzt will ich ohne zeitliche Distanz aus der Sicht eines Zwölfjährigen schreiben. Außerdem fand ich es unglaubwürdig, dass der Junge auf den Flugtag verzichtet. In der neuen Version ist die Frau nicht mehr die Mutter von Oliver, sondern die zweite Frau des Vaters. Das macht die Skepsis des Jungen verständlicher. Sie schickt die beiden ins Museum, wo Oliver überhaupt nicht hin will. Das alles soll das Umkehren glaubwürdiger machen. (Vielleicht erklärt es auch das unterkühlte Verhältnis zu der Frau)

Intention: Ersteres, also eine Art altkluges durchtriebenes Kerlchen sein, das zwischen den Eltern Unruhe stiften möchte.

Weshalb der Vater 6 Jahre benötigt: In der Geschichte heißt es, aus der Sicht von Oliver: "Aber er war nicht schnell zu begeistern. Er sagte immer, er müsse abwägen. Ich nannte das 'einen Anlauf nehmen'." Aber die Scheidung fällt bei meiner neuen Version raus.

Grüße,
dein Stefan

 

Hallo Stefan,

Respekt! Ja, genauso wird es runder werden, denn dass der Junge auf den Flugtag verzichtet, ist etwas unglaubwürdig. Das wollte ich auch noch angemerkt haben, ist mir dann aber entfallen, es noch zusätzlich zu erwähnen.
Und dass es sich um seine Stiefmutter handeln soll, macht die Geschichte insgesamt wesentlich glaubwürdiger, es erklärt die Kühle. Vielleicht solltest du bei der Gelegenheit eine Spur deutlicher werden, was der Junge mit dieser "Frau" als Lehrerin zu Hause auszuhalten hat. Du deutest es nur ein bisschen an, ich finde, es könnte kräftiger auftauchen.
Das macht dein Glaubwürdigkeitsgerüst stabiler, weil der Junge dann erst Recht einen Grund für sein Misstrauen und den anschließenden Streich dadurch hat.

Nunmehr aus der direkten Sicht des 12jährigen zu schreiben, halte ich auch für einen klugen Gedanken, es nimmt die abgehobene Distanz aus der Geschichte und macht sie garantiert plastischer.

Ich freue mich schon auf deine Neu-Version und mein Kompliment, welches ich anfänglich brachte, gilt deiner Fähigkeit, sich derartig gründlich von einer Geschichte zu lösen. Mir fehlt da häufig die Distanz auch noch nach Monaten.

Lieben Gruß
lakita

 

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