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Wie es ist, eine Fledermaus zu sein

Monster-WG
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18.06.2015
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Wie es ist, eine Fledermaus zu sein

Fledermaus

Die Schüler zucken zusammen, drehen die Köpfe und beraten, was zu tun sei, denn ich habe ihnen gesagt, sie dürften nach Hause gehen, wenn sie wollten, und zwar jetzt sofort.
„Ihr seid, wozu ihr euch macht. Eure Entscheidung, eure Freiheit, euer Leben.“ Eine Minute lang wird gezögert und gezaudert, danach verstummt die Klasse. Jedes Mal. Noch nie hat jemand den Raum verlassen. Ich setze den Unterricht fort und halte fest, es sei eine Sache, den Existentialismus gut zu finden, danach zu handeln, eine ganz andere. So mache ich das seit zwanzig Jahren, wenn ich Sartre behandle, und die Schüler sind so berechenbar wie eh und je.
Bis letzten Frühling. Nadja erhob sich, noch bevor ich meinen Satz beendet hatte, griff nach dem Smartphone, das sie entgegen meinen Anweisungen zu Beginn jeder Stunde auf ihr Pult zu legen pflegte, und ging, ohne mich anzublicken, zur Tür. Sie drehte sich um, schaute in die Klasse und schüttelte langsam den Kopf.
„Tschüss!“, sagte sie.
Die Woche darauf gab ich der Klasse einen Test zurück. Unter Nadjas Note, eine Eins wie immer, hatte ich geschrieben:
Ich bewundere Ihren Mut.
Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie sie lächelte, als sie meinen Kommentar las. Ich konnte nicht erkennen, ob es ein spöttisches Lächeln war.
Das wusste man bei Nadja nie. Den Unterricht verfolgte sie stumm. Ab und zu warf sie einen Blick auf das Display ihres Handys, ansonsten starrte sie mich, den Kopf auf ihre ausserordentlich schmalen Hände gestützt, mit dunklen Augen an. Anfangs hatte ich sie ein paar Mal aufgerufen, worauf sie jeweils bloss mit den Schultern gezuckt hatte. Solches Verhalten stört mich nicht und ich lasse die Schüler sein, wie sie sind. Auch Nadja. Ich hatte nicht weiter über dieses kluge und schweigsame Mädchen nachgedacht. Doch seit dieser kurzen Episode beschäftigte mich die Frage, was in Nadja vorging.
Ich schaute mir ihre Facebook-Seite an. Von den Bands, die sie mochte, hatte ich noch nie gehört. Sie las viel, einiges davon kannte ich. Immerhin. Ich dachte darüber nach, auf welches Buch ich sie ansprechen könnte, als meine Frau ins Arbeitszimmer kam. Hastig klappte ich meinen Laptop zu.
„Was machst du?“, fragte sie.
„Nichts.“
„Pornos? Nicht dein Ernst.“
„Quatsch.“
„Mir egal. Ist dein Leben.“

Mein Leben: Ich war eine Fledermaus. Man hielt mich für interessant und speziell. Man glaubte, ich nehme wahr, was anderen verborgen bleibe. In Wirklichkeit hatte ich mich bloss in der engen Felsspalte meiner eigenen Existenz schlafen gelegt. Meine Frau war die einzige, die das wusste, und sie hasste sich dafür, dass sie es viel zu spät bemerkt hatte.
Doch Nadja nahm ich wahr. Ich nahm wahr, dass es da etwas gab, was anderen verborgen blieb und ich musste der Sache auf den Grund gehen. Sie hatte Into The Wild geliked. Das brachte mich auf die Idee, einen kleinen Exkurs zu Thoreaus Walden zu gestalten, mit den Schülern über die Kehrseiten der Zivilisation zu sprechen, über den Begriff der Natur, über Technik, Simulation und echte Erfahrung. Nichts. Die Klasse war begeistert, Nadja starrte und schwieg. Ich kam nicht an sie heran. Nach der Stunde bat ich sie, noch einen Moment zu bleiben.
„Sie wissen, dass ich niemanden zwinge, den Unterricht mitzugestalten?“, sagte ich.
„Ja.“
„In Ihrem Fall ist das sehr schade.“
„Was?“
„Dass Sie sich nicht melden.“
„Okay.“
„Langweilt Sie der Unterricht?“
„Nö.“
„Aber es interessiert Sie nicht besonders, scheint mir.“ Nadja schwieg. „Das Thema heute hat Sie nicht angesprochen? Ist doch spannend. Haben Sie vielleicht den Film gesehen, den ich erwähnt habe? Into The Wild?“
„Nö“, sagte sie.
Ich liess sie gehen. Sie schlenderte zur Tür, drehte sich zu mir um und lächelte.
„Tschüss!“

Ich verstand nicht, wie mich Nadja derart in ihren Bann ziehen konnte. Ich konnte nichts dagegen tun. Lange zögerte und zauderte ich, letzte Woche beschloss ich zu handeln. Ich schrieb Nadja eine E-Mail.
Liebe Nadja
Dass ich Ihren Mut bewundere, habe ich bereits geschrieben. Ich fühle, dass Sie ein besonderer Mensch sind. Nur mache ich mir etwas Sorgen um Sie. Sie wirken sehr verschlossen. Das dürfen Sie natürlich sein. Aber falls Sie die Dinge, die Sie bewegen, jemandem mitteilen möchten, finden Sie bei mir jederzeit ein offenes Ohr.
Herzlich
Roland Zumstein

Gestern las ich mit den Schülern Nagels What Is it Like to Be a Bat?
„Nun? Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?“, fragte ich.
„Das können wir nicht wissen“, sagte Vera.
„Gut. Weshalb wählt Nagel das Beispiel einer Fledermaus?“
„Ultraschall. Wir wissen nicht, wie es ist, Ultraschall zu hören.“, antwortete Yannick.
„Sehr gut. Und was hat das mit uns zu tun?“
„Eigentlich trifft das auf uns alle zu. Wir wissen nie, was im Kopf des anderen vorgeht.“
„Genau.“ Ich wiederholte den Satz. Die Schüler schrieben in ihre Hefte. Nur Tobias blickte mich an. Langsam hob er seinen Arm.
„Ja, Tobias?“
„Das stimmt gar nicht, Herr Zumstein.“ Er grinste. „Wir alle wissen, dass Sie scharf auf Nadja sind.“
„Raus!“, sagte ich. „Auf der Stelle.“ Mehr konnte ich nicht tun. Ich liess den Rest der Klasse den Text zu Ende lesen, verstaute meine Unterlagen, wartete auf die Pausenglocke und verliess beim zweiten Schlag den Raum.
Nadja holte mich ein, als ich in meinen Wagen steigen wollte.
„Ich habe Tobias von der E-Mail erzählt“, sagte sie.
„Klar.“
„Es tut mir leid.“
„Danke.“
„Ich meine, das geht doch nicht. Ich bin siebzehn und Sie sind, na ja, alt.“ Ich musste lachen. „Ich finde Sie echt nett und so, ehrlich, aber ich möchte nicht, dass Sie mir E-Mails schreiben, okay?“
„In Ordnung.“

Wir wissen nicht, was im Kopf des anderen vorgeht. Wissen wir, was in unserem eigenen Kopf vorgeht? Manchmal dauert es eine Weile, bis wir darüber Klarheit gewinnen.
Heute Morgen stand ich auf.
„Tschüss“, sagte ich zu meiner Frau.
Ich fuhr zur Schule und ging ins Büro des Rektors.
„Tschüss“, sagte ich zu meinem Chef.

 

Hallo Peeperkorn,

und sie hasste mich dafür
als langjährige Fledermaus wage ich diese Ausage zu bezweifeln. Vielleicht hasste sie den Tag, an dem sie gemeint hatte, den Fang ihres Lebens gemacht zu haben. Aber für die Fledermaus bleibt meistens nur Verachtung.

Guten Flug und viel schmackhafte Beute.

Gerne gelesen

Liebe Grüße

Jobär

 

Lieber Jobär

Verachtung ist viel plausibler, du hast recht. Vielen Dank für den Hinweis und auch dir eine gute Zeit. Möge es noch lange dauern, bis der Winterschlaf beginnt.

Liebe Grüsse
Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn,

ich mag deine Art zu schreiben total. Mochte ich schon bei "Ruben" und fand ich toll bei "Am Schwarzhorn". Auch diese Geschichte ist sehr speziell und hat Spaß gemacht. Diese Sätze sind mir im Kopf geblieben: In Wirklichkeit hatte ich mich bloss in der engen Felsspalte meiner eigenen Existenz schlafen gelegt. & Die Fledermaus ist erwacht. Ich verstehe Herrn Fledermaus, da ist ein Mädchen, dass endlich mal anders ist, als der Rest der Schüler. Ein Mädchen, dass anders reagiert, schlau ist und dennoch so gleichgültig zu sein scheint. Das reizt ihn. Lässt ihn sich voll blamieren. Und weckt ihn zum Schluss aber auf.

Eine sehr gute Geschichte, Peeperkorn. Nur bei einem Satz bin ich gestolpert: Meine Frau war die einzige, die das wusste, und sie verachtete mich dafür, dass sie es viel zu spät bemerkt hatte. Ich finde, hier ist der Bezug komisch. Warum verachtet die Frau IHN dafür, dass SIE es zu spät bemerkt hat. Klar, sie verachtet IHN dafür, dass Herr Fledermaus aus seiner Felsspalte nicht mehr rauskommt. Aber sie sollte doch eher auf SICH SELBST wütend sein, dass sie es so spät gemerkt hat, oder? Oder ist dieser eigensinnige Satzbau so gewollt und soll bedeuten, dass sie einfach alles ihrem Mann anlastet, was ihr nicht gefällt?

Ich freue mich auf die nächsten Geschichten von dir.
RinaWu

 

Hallo Peeperkorn,

wie du in dieser kurzen Geschichte das Fledermaus-Thema, den Existenzialismus und die Entwicklung dieses Lehrers miteinander verwebst, das hat mich sehr beeindruckt. Da ist kein Wort zuviel und das ist auch sehr spannend zu lesen. Anfangs konnte ich mich noch gut mit dem Lehrer identifizieren, verstand seine Faszination für das Mädchen. Dann wurde es immer unbehaglicher, bis er mit dem Brief die Grenze überschritt. Das Ende nach dem Debakel überraschend positiv.

Wir wissen nicht, was im Kopf des anderen vorgeht. Wissen wir, was in unserem eigenen Kopf vorgeht?

Tja, das Problem mit den blinden Flecken...
Als Leser geht man dem Protagonisten in diesem Fall vielleicht zuerst ein Stückchen voran. Um am Ende von ihm auf der linken Spur überholt zu werden. Er ist sympathisch, dein Protagonist, ich wünsche ihm einen guten Flug! :)

LG Chutney

P.S. Mit dem Titel bin ich nicht so ganz glücklich. Der klingt ein bisschen langweilig und bieder. Ich finde, er wird der Geschichte nicht gerecht.

 

Liebe RinaWu

Vielen vielen Dank für die lobenden Worte.

Oder ist dieser eigensinnige Satzbau so gewollt und soll bedeuten, dass sie einfach alles ihrem Mann anlastet, was ihr nicht gefällt?

Genau so habe ich mir das gedacht. Aber der Satz/Gedanke ist eine Stolperfalle, das ist mir klar geworden und ich habe ihn abgeändert. Merci für den Hinweis.

Liebe Grüsse
Peeperkorn


Hallo Chutney

Herzlichen Dank für deinen Kommentar. Er freut mich sehr.

Tja, das Problem mit den blinden Flecken...
Als Leser geht man dem Protagonisten in diesem Fall vielleicht zuerst ein Stückchen voran. Um am Ende von ihm auf der linken Spur überholt zu werden.

Besonders freut mich, dass du die Aussage, dass wir nicht wissen, was im Kopf des anderen vorgeht, auch auf das Verhältnis von LeserIn und Protagonist beziehst. Ich finde es sehr schön, wenn der Text dadurch eine zweite Ebene bekommt.

Den Titel habe ich angepasst, danke für den Hinweis.

Liebe Grüsse
Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn!

Wer sich wie ich weniger für Biologie und Zoologie, sondern mehr für Literatur interessiert, denkt bei Fledermäusen nicht an Ultraschall, sondern an Vampirismus. So verwandelt sich Bram Stokers Graf Dracula gerne in eine Fledermaus, um seine Opfer heimzusuchen.

Dein Ich-Erzähler, ein Fledermaus-Lehrer, ist scharf auf seine blutjunge Schülerin, so scharf, dass es die ganze Schulklasse merkt:

Er grinste. „Wir alle wissen, dass Sie scharf auf Nadja sind.“

Das Blutsaugen der Vampire ist von Literaturwissenschaft und Psychoanalyse natürlich als Symbol für sexuelle Ausbeutung gedeutet worden.

Der Lehrer will nun Nadja mit Thoreaus Walden beeinflussen, einem Werk, das Abkehr von der Zivilisation und Zurück zur Natur propagiert. Zur Natur im Menschen gehört ja auch die animalische Sexualität - wie gerne würde er zusammen mit Nadja zu ihr zurückkehren.

Der Lehrer fragt sich:

Wissen wir, was in unserem eigenen Kopf vorgeht?

Nein, das wissen wir oft nicht, weil wir Wünsche, die von der Gesellschaft tabuisiert und geächtet werden, lieber verdrängen.

Nun, in vielen Lehrern, Erziehern und Pfaffen steckt so eine Fledermaus.

Grüße
gerthans

 

Hallo gerthans

Ich mag deinen Kommentar sehr. Nachdem der Protagonist als sympathisch bezeichnet wurde, betonst du seine dunkle Seite. Das Fledermaus-Motiv bekommt eine zusätzliche Dimension. Du glaubst dem Protagonisten offenbar nicht, was er am Ende sagt. Ich finde deinen Ansatz stimmig und freue mich, dass der Text unterschiedliche Lesarten hergibt. Ich würde gerne behaupten, dass ich das alles so gewollt habe.

Liebe Grüsse
Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn,

also um es gleich vorneweg zu sagen: diesmal hat mich deine Geschichte nicht gepackt. Ich habe die anderen Kommentare erst gar nicht gelesen, weil ich mich davon nicht beeinflussen lassen wollte.

Denn generell finde ich deinen Stil wirklicht ausgezeichnet und du verstehst es meist klug zu komprimieren, was du zu sagten hast. Das hast du gewiss auch bei dieser Geschichte versucht. Mir erscheint das alles allerdings zu artifiziell. Da ist also ein Lehrer, der über Sartre spricht (haha) und seine existentialistischen Weisheiten verbreitet und da ist eine Schülern, die schweigt und irgendwie will er etwas von ihr. Was, weiß man nicht und er weiß es angeblich auch nicht. Am Schluss quittiert er den Dienst, wird aber wohl am nächsten Tag wieder da sein, wie seine Schülerin auch. Okay.

Und dann geht es noch um das tolle Leben der Fledermaus, die wie ein Wunderwesen offenbart werden soll und das auch noch mit mehr oder weniger widersprüchlichen Aussagen:

Fledermäuse gelten als empfindsam, alert und hochsozial.
Das alles können sie sein.
Den grössten Teil ihres Lebens verbringen sie jedoch schlafend in engen Felsspalten.

„Nun? Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?“, fragte ich.
„Das können wir nicht wissen“, sagte Vera.
„Gut. Weshalb wählt Nagel das Beispiel einer Fledermaus?“
„Ultraschall. Wir wissen nicht, wie es ist, Ultraschall zu hören.“, antwortete Yannick.
„Sehr gut. Und was hat das mit uns zu tun?“
„Eigentlich trifft das auf uns alle zu. Wir wissen nie, was im Kopf des anderen vorgeht.“

Was nun? Schlafen oder akzeptieren, dass sie Ultraschall verwenden?
Wird dein Lehrerchen mit den heimlichen Gelüsten in Höhlen weiterschlafen, wenn er dann mal kurzzeitig erwacht ist?
Nein, ich weiß nicht, was in seinem Kopf vorgeht und in dieser Geschichte weiß ich es auch nicht.
Weder die Schülerin noch der Lehrer werden mir mit ihren Motiven so gezeugt, dass ICH es ausreichend verstehe bzw. hinreichend berührt bin davon.

Dennoch: interessant und sprachlich gut :)
viele Grüße
Isegrims

 

“Men say they know many things;
But lo! They have taken wings, -
The arts and sciences
And a thousand appliances;
The wind that blows
Is all that any body knows.”
Thoreau​

Zwischen
„Ihr seid, wozu ihr euch macht. Eure Entscheidung, eure Freiheit, euer Leben.“
und
Heute Morgen stand ich auf.
„Tschüss“, sagte ich zu meiner Frau.
Ich fuhr zur Schule und ging ins Büro des Rektors.
„Tschüss“, sagte ich zu meinem Chef.
Die Fledermaus ist erwacht.
wird in einer auf knapp zehn Minuten bemessenen, nahezu perfekten Erzählung Thoreau „gelebt“, ein Mann der Tat, der nichts lehrte, was er nicht auch selber bereit war zu tun.

Alles schon gesagt? Von Sartre bis gerthans' Freud und nun Thoreau. Mitnichten!

Da wäre zunächst ein Komma nachzutragen

…, denn ich habe ihnen gesagt, sie dürften nach Hause gehen, wenn sie wollten[,] und zwar jetzt sofort
– wegen des nachgestellten, aber notwendigen Einschubs (sonst bliebe den Schülern, sicherlich keine Kinder mehr, formal keine Wahl, als zu gehen. Ein Seitenhieb auf den ach so freien Willen?, Freiheit verstanden als Möglichkeit zu wählen). Die Kommas können - selbstverständlich - auch durch Gedankenstriche ersetzt werden.

Ähnlich hier

So mache ich das, wenn ich Sartre behandle, seit zwanzig Jahren[,] und die Schüler sind so berechenbar wie eh und je,
wobei sich durch einfaches Möbelrücken ein Komma einsparen ließe, wenn es dann hieße: „So mache ich das seit zwanzig Jahren, wenn ich Sartre behandle, und die Schüler sind so …“ Und letztlich will mir hier
Man hielt mich für interessant und speziell. Man glaubte, ich nehme wahr, was anderen verborgen bleibt. Das hätte ich gekonnt, tat es aber nicht. In Wirklichkeit hatte ich mich …
der Rückfall vom korrekt verwendeten Konjunktiv I der indirekten Rede in den Indikativ nicht gefallen (obwohl das in gesprochenem Wort wahrscheinlich niemandem auffiele.)
Man glaubte, ich nehme wahr, was anderen verborgen [bleibe],
wobei der konsequentere Konjunktiv irrealis - KK lässt Grüßen -(„nähme“/“bliebe“) erst den zu zweifelhaften Glauben vollständig anzeigte.

Wie dem auch sei: Obiges Betz’sch Zitat zeigt in einem einzigen Satz an, wie der westlich gebildete Forscher seine Vorstellung der guten Ordnung auch auf die Tierwelt überträgt und Fledermäuse als Schlafmützen und faules Getier abqualifiziert. Quasi, Penner, die vielleicht ihr Obdach gar nicht verdienten!


Ich werd nun nicht versuchen, Hunden (die auch gerne und viel schlafen, wesentlich mehr als das zweibeinige Alphatier) Flugstunden zu geben. Was kurz den geneigten Leser auf die Wahl des Fledertiers hinweisen mag: Bis auf eine Unterart – dem Höhlenbewohner der Unterordnung Flughunde – bedarf es keines Echolots, sie können verdammt gut gucken … Wenn es den faulen Hund gibt, so müsste man Herrn Betz - gibt's den überhaupt?, oder ist er auch eine dann aber raffinierte Fiktion! - fragen, ob es auch faule Flughunde gäbe ...

Gern gelesen vom

Friedel,
der noch einen angenehmen Restsonntag wünscht!

 
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Hallo Isegrims

Ganz herzlichen Dank für deinen Kommentar. Du legst deine Finger auf zwei Punkte, von denen ich schon beim Schreiben befürchtete, dass sie wund sein könnten:

Da ist also ein Lehrer, der über Sartre spricht (haha) und seine existentialistischen Weisheiten verbreitet ...

Ja, plakativer kann man das Thema nicht einführen. Aber dieses Szenario gibt's. Bei uns steht der Existentialismus auf dem Philosophie-Lehrplan. Aber das ist wohl nicht dein Punkt: Zufälligerweise wollte ich mir vorgestern aus beruflichen Gründen den Film The Philosophers anschauen. Die Einstiegsszene spielt im Klassenzimmer. Unzusammenhängendes Namedropping, die Schüler sprechen, als hätten Sie Philosophie für Dummies verschluckt. Ich habe nach zwei Minuten weggezappt. Du hast den Text zumindest zu Ende gelesen.

Und dann geht es noch um das tolle Leben der Fledermaus, die wie ein Wunderwesen offenbart werden soll und das auch noch mit mehr oder weniger widersprüchlichen Aussagen:
Was nun? Schlafen oder akzeptieren, dass sie Ultraschall verwenden?

Nun, beides. Akzeptieren, dass sie Ultraschall verwenden, dies aber nicht immer tun, weil sie viel schlafen. Es gibt doch schon Menschen, die sehr sensibel sind, sich aber dennoch - vielleicht deswegen - emotional zurückziehen.
Aber vielleicht rührt dein Unbehagen daher, dass die Fledermaus für zwei unterschiedliche Ideen herhalten muss: 1. Wir wissen nicht, was im Kopf eines anderen vorgeht. 2. Menschen verwirklichen nicht immer ihre Möglichkeiten. Diese beiden Ideen widersprechen einander nicht, aber sie sind auf verschiedenen Ebenen angesiedelt und das macht die Sache evtl. etwas wackelig.

Dennoch: interessant und sprachlich gut :)

Besten Dank. Zur Zeit gilt für mich: Lieber einen schlechten Plot gut erzählen als umgekehrt. Insofern alles gut.

Liebe Grüsse
Peeperkorn

Lieber Friedrichard


Wenn es den faulen Hund gibt, so müsste man Herrn Betz - gibt's den überhaupt?, oder ist er auch eine dann aber raffinierte Fiktion! - fragen, ob es auch faule Flughunde gäbe ...

Tatsächlich könnte hier nur Herr Peeperkorn Antwort geben. Aber der weiss nichts über faule Flughunde.

Und letztlich will mir hierder Rückfall vom korrekt verwendeten Konjunktiv I der indirekten Rede in den Indikativ nicht gefallen (obwohl das in gesprochenem Wort wahrscheinlich niemandem auffiele.)wobei der konsequentere Konjunktiv irrealis - KK lässt Grüßen -(„nähme“/“bliebe“) erst den zu zweifelhaften Glauben vollständig anzeigte.

Ich habe das so oft hin und her geändert, dass am Ende der Zufall entschieden hat. Besten Dank!
Die Kommata habe ich ebenfalls angepasst.

Es war wie immer eine grosse Freude, einen Kommentar von dir zu erhalten.
Ich wünsche dir ebenfalls einen schönen Sonntag

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo Peeperkorn!

Ich bin gleich zu Anfang deiner Geschichte hängengeblieben: "sie dürften nach Hause gehen, wenn sie wollten, und zwar jetzt sofort." "Noch nie hat jemand den Raum verlassen." Ich habe mich gefragt: Ernsthaft? Was ist denn das für eine Schule? In den Schulen, in die ich gegangen bin, wäre das nie so passiert, ist das nie so passiert, denn es gab durchaus Gelegenheiten, wo Lehrer/Lehrerin das Nach-Hause-Gehen angeboten hat. Die, die das gerade behandelte Thema interessierte, blieben, die anderen (und die, die meinten, Besseres zu tun zu haben) gingen.
=> Und schon funktioniert die ganze Geschichte für mich nicht. Nadja ist nichts Besonderes und der Lehrer hat keinen Grund, sie (weil sie geht) so schmachtend anzuhimmeln.

Grüße,
Chris

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Chris

Danke für die Rückmeldung. Es ist wichtig für mich, zu erfahren, welche Ideen für wen funktionieren und welche nicht. Lustig ist, dass dieser Einstieg das Einzige ist, was ich nicht frei erfunden habe. Ich mache das im Rahmen des Existentialismus tatsächlich seit etwa zwölf Jahren (zumindest ab und zu) und tatsächlich ist noch nie jemand aufgestanden und gegangen.

Liebe Grüsse
Peeperkorn

 

Lieber Peeperkorn,

dies war meine erste Geschichte von dir und sie hat mich ganz eigentümlich berührt. Irgendwas an deiner Art zu schreiben triggert ein Empfinden bei mir, das am ehesten dem Lauschen nach einem weit entfernten Gewitter entspricht. Viel besser kann ich es nicht beschreiben. Jedem Anfänger hätte ich ein solches Komma-Monster ...

Die Schüler zucken zusammen, drehen die Köpfe und beraten, was zu tun sei, denn ich habe ihnen gesagt, sie dürften nach Hause gehen, wenn sie wollten, und zwar jetzt sofort.

... um die Ohren gehauen, aber bei dir geht das auf. Der Rest fließt an meinem Auge vorbei wie ein im Unterholz verborgener Bach, den man nur hören kann, aber nicht sieht. Deine Art zu schreiben korrespondiert angenehm mit den Themen, die du aufgreifst. Und ich maßen mir nicht an, zu glauben, alle gefunden zu haben.

Ich werde tiefer in deine Schreibe eintauche und gucken, ob mir eine Bewertung besser gelingt. Bis dahin ziehe ich den Hut!

Nocturne Grüße

Exilfranke

 

Hallo Peeperkorn,

zum Anfang deiner Geschichte: Lustig, dass du das wirklich machst. Bist du auch Lehrer? Lustig, weil: Ich kann mich tatsächlich daran erinnern, dass unser Ethiklehrer das mit uns gemacht hat. Da haben viele kurz gezuckt, aber keiner ist gegangen. Schon verrückt. Es funktioniert tatsächlich :) Selbst die Coolsten aus der Klasse haben nur verdutzt aus der Wäsche geschaut. Daher wäre auch bei uns ein Mädchen aufgefallen, dass tatsächlich den Klassenraum verlässt. Für mich funktioniert der Anfang also sehr gut :thumbsup:

Ich freue mich auf die nächste Geschichte!
RinaWu

 

Lieber Exilfranke

Du weisst, dass ich deinen Umgang mit Sprache mag. Umso mehr freue ich mich über die von dir formulierte Charakterisierung meiner Erzählweise. Wenn ich jetzt bloss wüsste, wie ich es geschafft habe, diese Leseerfahrung zu vermitteln. Ich schreibe drum erst seit Kurzem. Zumindest habe ich bemerkt, dass ich mittlerweile schon während des Schreibprozesses (halb)laut mitlese und nicht erst danach. Vielleicht hilft das mit, den Rhythmus zu finden. Auf jeden Fall ganz lieben Dank für diese Rückmeldung, die eine so ganz andere Ebene des Lesens anspricht.

Bestimmt werde ich mir ebenfalls noch weitere deiner Geschichten ansehen.

So long!
Peeperkorn

Hallo RinaWu

Ach, das ist ja witzig, da bin ich offenbar nicht der Einzige, der diese Idee hatte. Ja, ich unterrichte Philosophie. Man muss ja auch bedenken, dass es ein ganz anderes Setting ist, wenn die Lehrperson in Chemie beiläufig erwähnt, man könne nach Hause gehen, wenn es nicht interessiere, oder ob man die Schüler zunächst ins Bewusstsein ruft, warum sie eigentlich hier sind, und sie dann vor die Entscheidung stellt. Meine Schüler haben die obligatorische Schulzeit hinter sich und sitzen insofern freiwillig in meinem Unterricht. In diesem Setting wäre das Aufstehen und Gehen auch ein Statement zur eigenen Lebenssituation.

Mit liebem Gruss
Peeperkorn

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Peeperkorn,
das Thema hat mich aufgrund des Titels sofort angesprochen, weil mir der Text von Nagel bekannt war.
Ich fand auch deinen Text sehr schön zu lesen, das aber in erster Linie eher aufgrund der interessant formulierten Sätze als aufgrund des Inhalts, der auch gut rüberkommt, aber besonders zum Ende hin etwas abflacht, fand ich. Außer dann die allerletzten Sätze, die kurz und spannend den "großen Flügelschlag" beschreiben.
Das Mysteriöse hat mir auch sehr gefallen und auch die feinfühlige Fähigkeit des Erzählers, das Unbekannte wahrzunehmen und mehr zu sehen als andere.
Der Satz

und sie hasste sich dafür
ist mir auch sofort sehr stark (und recht negativ aufgefallen), da doch sehr verachtend und einvernehmend der Ehefrau gegenüber. Scheinbar lautete der Satz zuerst "und sie hasste mich dafür", was ich fast genauso provozierend finde. Hinter Hass steckt doch meist Angst und letztendlich hasst doch der Erzähler sich selbst, weil sich seine wahre Natur schlafen gelegt hat. Das ist also vielleicht nicht stimmig oder etwas unklar.
Das übertriebene Interesse des Erzählers an Nadja könnte man als von sexueller Natur deuten, wobei ich das beim Lesen nicht tat und dann von Tobias' Meldung sehr überrascht war. Daher missfiel mir auch diese Wendung ein wenig, denn logisch ist, dass sich der Erzähler durch Nadja hin zu seiner eigenen, verdeckten Natur hingezogen fühlt. Zur Natur des Menschen kann letztendlich auch das Sexuelle zählen, und somit ist das wirklich eine gute philosophische Frage, die hier aufgedeckt wird und die im Zusammenhang mit der Frage steht, ob ein solcher Text inhaltlich logisch und schlüssig sein sollte oder nicht.
Was meinst du?
Liebe Grüße,
-sarah.

 

Liebe Sarah

Ja, das "hassen" ragt etwas aus dem Text heraus. Ich wollte verdeutlichen, dass es um die Ehe der beiden nicht gut steht, und habe den Bogen dabei vielleicht etwas überspannt.

Zur Natur des Menschen kann letztendlich auch das Sexuelle zählen, und somit ist das wirklich eine gute philosophische Frage, die hier aufgedeckt wird und die im Zusammenhang mit der Frage steht, ob ein solcher Text inhaltlich logisch und schlüssig sein sollte oder nicht.
Was meinst du?

Spannende Frage. Zumindest so schlüssig, dass keine Widersprüche auftauchen. Aber ein solcher Text will ja eine Geschichte erzählen und keine Abhandlung sein, da darf m.E. etwas auch mal vage daherkommen. Hier denke ich schon, dass die Sache aufgeht: Der Protagonist braucht etwas Zeit, bis er selbst merkt, was genau ihn an Nadja fasziniert. Da drängt sich das Sexuelle womöglich für eine Weile auf, bzw. in den Vordergrund. Und wenn Tobias erfahren hat, dass der Prot. Nadja private Mails mit persönlichem Inhalt schreibt, dann scheint mir seine Interpretation nicht unplausibel.

Besten Dank für deine Lektüre und deine Anmerkungen

Liebe Grüsse
Peeperkorn

 

Hi Peeperkorn,

gerade wird zwar eine andere Geschichte von dir diskutiert, die ich sogar auch schon beschnuppert habe. Kürzlich habe ich aber diese Geschichte hier von dir aufgestöbert, und seither wollte ich dir drei Sätze dazu sagen. Bevor du dich selbst immer weiter von dem Text entfernst, mache ich das mal schnell.

Von den drei Sätzen fallen mir aber nur noch zwei ein:
- Ich fand die Geschichte ganz toll, vor allem auch den Schluss, wie der so leichtfüßig daherkommt, während alles umgekrempelt wird.
- Das Motto am Anfang fand ich zu viel des Guten: Im Text selbst ist genug von Fledermäusen die Rede, selbst die Felsspalten kommen vor; da braucht's den Vorspann nicht.

Wenn ich jetzt so durch die Geschichte hindurchgehe, fallen mir so ein paar sprachliche Kleinigkeiten auf, die ich, wenn der Text neu wäre, ansprechen würde. Aber heute würdest du es ja eh nicht mehr genauso machen, insofern wäre das wahrscheinlich nicht mehr interessant.

Na, vielleicht ein, zwei Details:

Eine Minute lang wird gezögert und gezaudert, danach verstummt die Klasse.
Aktiv klingt besser, finde ich.

Hübsche Szene:

„Was machst du?“, fragte sie.
„Nichts.“
„Pornos? Nicht dein Ernst.“
„Quatsch.“
„Mir egal. Ist dein Leben.“
Ein ganz kleines Bild, aber genug, um etwa vor Augen zu haben, wenn er am Ende geht. Fein.

Man glaubte, ich nehme wahr, was anderen verborgen bleibe. Das hätte ich gekonnt, tat es aber nicht.
Finde ich merkwürdig, das so über sich selbst zu sagen. Woher soll er das wissen, wenn er es nicht tut? Anders wäre: Damals stimmte das nicht, heute schon. (Aber das wäre wiederum ein Vorgriff.) Oder aber: Das stimmte früher, jetzt hatte ich die Fähigkeit verkümmern lassen (sinngemäß).

und ich musste der Sache auf den Grund gehen.
Könnte vielleicht weg, klingt nach Detektivgeschichte.

Ich konnte nichts dagegen tun.
Könnte wahrscheinlich auch weg, das ist ja eh typisch für einen Bann, das man nichts dagegen tun kann.

Gestern las ich mit den Schülern Nagels What Is it Like to Be a Bat?
„Nun? Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?“, fragte ich.
„Das können wir nicht wissen“, sagte Vera.
„(...) Und was hat das mit uns zu tun?“
„Eigentlich trifft das auf uns alle zu. Wir wissen nie, was im Kopf des anderen vorgeht.“
„Genau.“
(...)
„Das stimmt gar nicht, Herr Zumstein.“ Er grinste. „Wir alle wissen, dass Sie scharf auf Nadja sind.“
Ich würde ja sagen, Tobias hat recht. Menschen können wissen, was im Kopf von Menschen vorgeht. Manche Dinge muss man aber erfahren haben, um zu wissen, wie sie sind, man kann sie sich nicht vom reinen Erzählen erschließen. So z.B. das Denken und Fühlen von Fledermäusen, das so ganz anders ist als das menschliche. Für einzelne Erfahrungen trifft sicher auch zwischenmenschlich zu, dass da ein unüberbrückbarer Abstand besteht zwischen selbst erfahren und erzählt bekommen (z.B. blind geboren werden; bzw. umgekehrt: Farben sehen, wenn man blind geboren ist). Aber "scharf auf jemanden sein" gehört zu den vielen Dingen, die alle kennen.
Jetzt frage ich mich nur: Ist das Absicht? Sollte es so sein, dass Tobias Zumsteins Interpretation nebenbei korrigiert und es selbst gar nicht merkt? Das fänd ich genial. Und schon frage ich mich auch gar nicht mehr, denn Absicht hin oder her: wichtig ist, was da steht. Schöne Sache!

Wir wissen nicht, was im Kopf des anderen vorgeht.
Dann passt nur das nicht so ganz. "Manchmal" könnte Abhilfe schaffen.

Die Fledermaus ist erwacht.
Ich frage mich, ob der Schlusssatz nicht zu viel ist.

So viel für diesmal.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo erdbeerschorsch

Merci, dass du in diesen Text reingeschaut hast, was auch mich dazu veranlasst hat, den Text noch einmal durchzulesen. Mir fällt auf, wie kurz die Geschichte ist; mir fällt ein, wie wenig Zeit ich damals auf sie verwendet habe. Der Text ist mir fremd, obschon mir einzelne Formulierungen ganz gut gefallen. Am auffälligsten aber, wie sehr ich mich in dieser Geschichte bemüht habe, ja keine Missverständnisse aufkommen zu lassen.

Ich habe, gemäss deinen Vorschlägen, das Motto und den letzten Satz gestrichen, ebenso die erklärende Passage im zweitletzten Abschnitt.

Es gibt Texte von mir, die über ein Jahr alt sind und an denen ich weiterhin arbeite. Dieser hier gehört aber nicht dazu. Dennoch fand ich es schön, dass du mich darauf gestossen hast - war fast sowas wie eine nostalgische Erfahrung.

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

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