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Wie ein Echo
„Wie ein Echo“
Ich versuchte aus dem Fenster zu sehen, doch es gelang mir nicht. Nur mein eigenes Gesicht vor dunkler Nacht. Dieses Ziehen in meinem Kopf würde mich noch umbringen. Meine Augen waren blind für die vorbeirauschende Landschaft. Sie sahen nur sich selber und sie sahen, wie müde sie waren, müde und erschöpft.
Das gelbliche Licht der Bahn ließ mein Gesicht bleich und matt erscheinen und vermutlich war es das auch. Meine Mundwinkel waren erschlafft vom erstarrten Lächeln der letzten Stunden und meine Augen verquollen vom Rauch in den Bars. Ich starrte bloß sinn- und ziellos vor mich her. Mein Geist war träge, und doch entwischte mir jeder Gedanke sofort, sobald ich ihn zu greifen versuchte. Am Ende blieben nur Wortfetzen, Szenen und Gefühle in meinem Kopf, die ich nicht loszuwerden im Stande war. Ich fühlte mich leer.
In wenigen Stunden, wenn die Sonne wieder scheinen und ich aufwachen würde, würde dieses verdammte Ziehen hinter meinen Augen noch immer nicht fort sein. Es hatte sich dort eingenistet und ich hatte keinen Einfluss darauf, wann es wieder verschwand. Irgendwann würde es von selber gehe, wie der pelzige Geschmack im Mund und der Rauchgestank meiner Haut und dann wäre diese Nacht, eine Nacht, wie unzählige zuvor in den letzten Jahren. Beinahe nur noch eine Erinnerung, die bald verblassen würde, weil es in ihr nichts gegeben hatte, an das es sich zu erinnern lohnte.
Ich schlief auf dem harten Polster ein.
Sie war ein knappes Jahr älter als ich und trug ein ganz enges, langärmeliges, grünes T-Shirt, als ich sie das erste Mal auf der Party eines Freundes traf.
Ich holte mir ein Bier und sagte: „Hallo.“
Und sie sagte: „Hi.“
Dann unterhielten wir uns und ich schwieg während sie redete, denn es war mir genug ihr zuzuhören. Und ich trank nicht, während sie redete, denn es war mir genug sie anzusehen, um nicht mehr durstig zu sein. Ihre Augen lachten, wenn sie etwas erzählte und ihre Stimme klang warm und wahrhaftig. Und ich dachte bei mir, dass nur die Worte von Menschen lügen können, aber die Augen eines Menschen es niemals vermochten.
Alles was sie sagte sog ich in mich auf, woher sie kam, was sie machte, wie sie roch und wie sie mit ihrem Finger im Haar spielte während sie sprach. Ich sammelte es und packe es in ein Kästchen in meinem Kopf, denn ich wollte nichts von ihr vergessen.
Als sie ging, verabschiedete auch ich mich im Stillen. Allein stand ich am Rande der Party. Wofür ich hier war, war nicht mehr wichtig. Beinahe begann ich zu zittern, denn bei der Erinnerung an sie vibrierten meine Gedanken wie bei einem Echo im Gleichklang mit meinem Herzen.
Noch in der Nacht schrieb ich ihren Namen und ihre Nummer in mein Gedankenbuch und versah ihn mit einem Herzen, und im selben Augenblick versah ich mein Herz mit ihrem Namen. Sabine, Sabine, Sabine, schrieb ich als Eintrag und dachte daran, wie lächerlich und überzogen das war. Doch das war nicht mehr wichtig. Nichts war mehr wichtig, so lange ich liebvoll ihren Namen schreiben und leise vor mich hin murmeln konnte. Ich baute einen Altar in meinem Herzen und schmückte ihn mit den Erinnerungen von ihr und ich war glücklich.
Als ich am nächsten Tag die sieben Ziffern, die zu ihr führten wählte, war ich schrecklich aufgeregt und ich lachte über mich als sie sich meldete, denn alle Angst und Aufregung waren fort, durfte ich nur ihre Stimme hören. Wir sprachen, redeten, verabredeten uns und ich war so glücklich wie am Abend zuvor.
Ich besuchte sie zu Hause. Wir saßen uns gegenüber, so nahe, dass ich beinahe ihren Atem auf meiner Haut spüren konnte. Sie erzählte, ich hörte zu und mir gefiel was sie sagte. Sie erzählte vieles von sich, doch einiges war anders als beim ersten Mal. Aber ihre Augen lachten dabei und so musste es die Wahrheit sein, an der ich nicht zweifeln durfte.
So saßen wir dort, auf der Couch, hörten einander zu und sahen uns an. Mir fiel der kleine Leberfleck auf ihrem Nasenflügel auf und ich verliebte mich in ihn, und ich sah die widerspenstige Locke, die ihr ins Gesicht fiel und ich verliebte mich in sie und ich hörte alles was sie sagte und ich verliebte mich in sie.
Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich die ganze Nacht und den nächsten Tag und die Woche und für immer neben ihr sitzen und ihr zuhören können. Doch das konnte weder sie noch ich, Pflichten, die es zu erfüllen galt, riefen uns beide und setzten dem Zauber dieses Abends ein Ende.
Ich verließ sie spät in der Nacht, nicht aber ohne ihr das feste Versprechen des nächsten Treffens in sechs Tage zu entlocken. Alles an ihr strahlte, als sie lachte und einwilligte und ich war glücklich. Ganz betäubt und verzaubert von diesem Glück, das mir so unverhofft zu Teil wurde, fuhr ich nach Hause, um von ihr träumen zu können.
Die Nacht war sternenklar, eine eisige Winternacht im Dezember. Das Licht des Vollmondes stahl sich durch die Ritzen meiner Jalousie und ließ in meinem Zimmer fremdartige Silhouetten entstehen. Meine Augen starrten an die Decke und fanden keinen Schlaf. Es war weit nach Mitternacht und mein Verstand wisperte von einer Müdigkeit, die mein Herz nicht begreifen wollte.
Der Schlaf rief nach mir und ich hörte ihn, doch fand ich den Weg nicht und blieb stecken in einem Dämmerschlaf, der keine Erholung brachte. Ich schob es auf den Mond, ich schob es auf meine ungesunde Ernährung, ich schob es auf die Prüfungen. Aber ich wusste es besser. Denn es waren die Gedanken an sie, die mich nicht schlafen ließen. Ich stand auf, sicherlich zum vierten Mal in dieser Nacht. Die kalten, roten Digitalzahlen zeigten 2:12, als ich mein Gedankenbuch aufschlug und zu schreiben begann. Es wurde besser als ich ihren Namen schrieb. Der im Wort verfasste Gedanke machte mich ruhiger, als sein freies herumtreiben in meinem Geist. Ihr Lachen zu hören, ist wie in den Armen von Engeln zu schlafen, schrieb ich. Und ich glaubte es in meinen Erinnerungen hören zu können, wurde müde und schlief minutenspäter mit einem Lächeln ein.
Ich träumte, doch ich vergaß was es war und erwachte mit dem drückenden Gefühl etwas verloren zu haben. Kein Mond schien mehr in mein Zimmer, keine Sterne waren mehr am Himmel, Wolken hatten den Nachthimmel verdunkelt und ihm seine Schönheit geraubt. Ich schloss mein Fenster, es hatte zu schneien begonnen und hüllte mich tief in mein Laken. Mir war plötzlich furchtbar kalt und ich konnte ein unkontrolliertes Frösteln nicht unterdrücken. Jemand laufe über das zukünftige Grab von einem, hieß es, wenn so etwas geschah. Es war 5:42 als ich die Augen schloss und erneut einschlief.
Hässlicher Schneematsch lag auf dem Rasen, als der nächste Morgen kam. Mein Kopf schmerzte, als ich aufstand und ich fühlte mich, als hätte ich keine Minute geschlafen. Ich war unruhig, so als wartete ich auf irgendetwas, doch ich wusste nicht auf was und ahnte nicht einmal das Warum.
Meine Augen waren verquollen und schmerzten, als ich mich im grellen Badezimmerlicht rasierte. Unkonzentriert wie ich war, schnitt ich mich zweimal in Oberlippe und Hals. Das Vibrieren meines Handys im Nebenraum unterbrach meinen zornigen Fluch.
Das Display war erhellt und neben dem Zeichen einer Nachricht, las ich ihren Namen. Sabine, eine neue Nachricht, stand dort.
Liebe Sabine,
es mag mittlerweile ein ungewöhnlicher, ja beinahe altmodischer Weg sein, jemanden einen Brief zu schreiben und doch tue ich es, denn ich denke, dass es der beste Weg ist.
Menschen versuchen stets ihre Gefühle auf die Art auszudrücken, die ihnen geeignet erscheint. Viele reden miteinander über das, was sie fühlen, doch ich bin kein großer Redner und auch das Singen liegt mir nicht richtig. Zum Künstler tauge ich nicht viel und dein Talent Emotionen in Bildern auszudrücken besitze ich nicht. So bleibt mir nur das geschriebene Wort, um Dir zu sagen, was ich glaube, Dir sagen zu müssen.
Eigentlich möchte ich gar nicht viele Worte verlieren, denn vielleicht war alles ganz einfach. Vielleicht habe ich es nur völlig falsch verstanden, vielleicht war die Realität doch anders als meine Wirklichkeit.
Eines aber weiß ich ganz sicher, dass, während ich dort in den Stunden neben Dir auf der Couch saß, ich davon überzeugt war, dass mir etwas gutes widerfuhr, dass mein Leben eine Abzweigung ins Glück gefunden hatte. Und obwohl das Herz in meiner Brust so schnell schlug, das es bald zu zerspringen drohte, fühlte ich mich geborgen, so nahe neben Dir. Stunde um Stunde hätte ich so zubringen können, denn bei Dir zu sein, Dich anzusehen und Dir zuzuhören, erschien mir für diese Stunden als ein so hohes, reines Glück, welches ein Mensch kaum jemals erhoffen durfte.
Ich war nicht so vermessen zu glauben, dass es Dir exakt ähnlich ging. Meine Gefühle schlagen manchmal schnell hohe Wellen, ohne dass ein echter Sturm dahinter steckt. Dennoch hoffte ich, und ich glaubte auch hoffen zu dürfen, nach allem was Du erzähltest, was Du sagtest und wie Du dich gabst. Ich hoffte, dass Du zumindest einen Bruchteil dieser Zuneigung, die ich für dich fühlte, auch in dir trugst.
Doch was hilft sich darin zu suhlen, was war oder hätte sein können? Was hilft es sich den Empfindungen und Tatsachen der Vergangenheit hinzugeben, wo es doch die Gegenwart und die Zukunft sind, in denen wir zu leben haben?
Ich werde es nicht mehr zu tun. Denn an die Illusion eines Glückes zu denken, das man niemals besaß, ist vielleicht noch viel schmerzhafter, als an ein Glück zu denken, das man verlor…
Gruß
S.
-Nachricht 9-
Hi, ich komme am Sa. nicht mit, weil ich mich mit meinem Freund treffe, aber danke für die Einladung. Gruß Sabine
7:12 10/12/03