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Wie du mir, so ich dir
In der Lücke zwischen dem Hier und dem Jetzt fallen die Fesseln der gewöhnlichen Existenz wie verdorrte Blätter im Herbststurm.
In diesem Zwischen-Hier und Beinahe-Jetzt, dort, wo die Phantasie gebietet, ist die Last des Körpers Geschichte. Der Geist, befreit vom Diktat der Materie, schwebt mit den Wolken. Ein Blick nach unten offenbart die Welt der Zurückgebliebenen. Eine Patchwork-Welt aus grünen, gelben und braunen Flicken.
All das könnte man in eine simple Formel packen. Freiheit multipliziert mit öder Aussicht ergibt Langeweile hoch zehn. Ein Ergebnis, welches niemanden glücklich machen kann. Denn in Wahrheit wird der Mensch weder gut noch böse geboren, sondern als Abenteurer. So sieht’s aus.
Wir lassen uns ein wenig tiefer sinken, bis wir Straßen und Häuser erkennen. Höxter.
Wir fliegen über Höxter. Eine Kleinstadt fern jeder Autobahn. Milde gesagt, nicht sehr aufregend. Malerisch ja, wie die Weser sich am Ort vorbeischlängelt, grüne Auen, im Hintergrund Berge, ebenfalls grün. Unter uns liegt der Ortskern. Die schmale Hauptstraße ist gesäumt von Fußwegen, die eigentlich nur für Seiltänzer breit genug sind. Rechts wie links vornehmlich Fachwerkhäuser mit kleinen Geschäften, vom Bäcker bis zum Souvenirladen, die in diesem verträumten Örtchen auf Kunden warten.
Am Ortsausgang entdecken wir eine junge Frau am Straßenrand. Blonde lange Haare, schlank, Jeanshose und -jacke, beides mit Stickereien und Strass verziert. In der linken Hand hält sie eine kleine Sporttasche. Sie streckt ihren rechten Arm aus, und der Daumen der Hand, die zu diesem Arm gehört, zeigt nach oben. Eine Anhalterin.
Wir stoppen abrupt, gleiten geräuschlos tiefer, bis wir knapp über ihrem Kopf schweben.
Ihre Augen sind leicht gerötet, ihr Atem geht etwas schneller, als es fürs bloße Herumstehen und Daumenausstrecken nötig wäre. Vielleicht war sie bis hier hin gerannt, oder sie hat Angst, überlegen wir, weil sie vielleicht zum ersten Mal als Anhalterin unterwegs ist. Vielleicht ...
Ach was, alles wertlose Spekulation. Also noch näher heran, bis wir ihren Gedanken lauschen können und in ihren Erinnerungen stöbern.
Es gelingt. Genial!
Sie ist auf der Flucht. Eine kleine Bankräuberin, sieh an sieh an, wer hätte das gedacht. Doch ihr Gesicht, länglich mit hohen Wangenknochen, eine schmale Nase, nicht zu lang und nicht zu kurz, der Mund dünn und breit, hübsch geschwungen, sehr sinnlich, wirkt unschuldig und nett.
Seit sie gestern in Bremen eine Sparkassenfiliale ausgeraubt und die Beute mit ihren zwei Freundinnen geteilt hat, dann allein über Nienburg, immer schön an der Weser entlang, Richtung Kassel gefahren war, ging ihr kurz vor Höxter das Benzin aus. Zu tanken hatte sie sich nicht getraut, wegen der Kameras. Sie wusste, die Kripo wartet nur auf einen Fehler von ihr.
Doch Vergangenes interessiert uns nicht. Wir wollen Abenteuer. Mal sehen, ob sich für die kleine Anhalterin nicht rasch eine Mitfahrgelegenheit findet.
Zurück über dem Ortskern, verharren wir über einer Abzweigung mit Ampelanlage. Eine Handvoll Autos wartet davor, und eines fällt besonders ins Auge, ein knallgelber Camaro. Der Fahrer, Mitte dreißig, sitzt allein im Auto und trommelt mit den Fingern aufs Lenkrad. Vielleicht hat er ja einen eiligen Termin.
Nein, hat er nicht. Er ist auf der Jagd. Sein Fuß tippt aufs Gaspedal, der Zwölfzylinder röhrt, dass die alten Fachwerkhäuser erzittern. Die Ampel schaltet auf Grün. Der Golf vor ihm sprintet los. „Was für ein Spinner“, denkt der Jäger und lässt seinen Sportwagen langsam anrollen. „Wer so ein Geschoss fährt, hat es nicht nötig, an jeder Dorfampel den Wilden zu markieren“, denkt er sich. Außerdem will er nach einem geeigneten Opfer suchen. Weiblich selbstverständlich. Blond und knackig muss sie sein. In dieser Hinsicht ist er recht wählerisch.
Seine Hand tastet nach dem Bowie Messer, das in einer selbstgefertigten Scheide in seiner Jacke steckt. Heute Morgen hat er die Klinge gewachst, damit sie schnell und leicht aus dem Leder rutscht. Manchmal kommt es auf Sekundenbruchteile an. Er hatte das schon ein paar Mal erlebt. Nicht angenehm, er hat es lieber langsam, er mag es nicht, wenn sie ihm zu früh auf die Schliche kommen. Das verdirbt das Vorspiel.
Nun, da gibt’s wohl Arbeit für uns. Wenn wir Schicksal spielen wollen, und das Schicksal nimmt bekanntlich seinen Job verdammt ernst, dürfen Wir nichts dem dummen Zufall überlassen. Der lässt die Dinge nur schleifen, der faule Sack, bis einer der Akteure über seine eigenen Füße stolpert. Da sind wir doch aus ganz anderem Holz geschnitzt!
Wir sausen zurück zu der Bankräuberin am Straßenrand.
Die Anhalterin sieht den Golf, hebt schon ihren Daumen, der Golf wird langsamer, aber schnell flüstern wir ihr zu: „Lass es, da kommt noch ein schnellerer Wagen, ein Fluchtwagen wie aus dem Bilderbuch. Genau das was du brauchst.“
Seht nur, sie lässt ihren Arm tatsächlich sinken, sie winkt den Golf durch!
Die Anhalterin lässt den Golf vorbei und springt dem ebenfalls bremsenden knallgelben Sportwagen fast vor den Kühler. Ihr gefällt der Wagen. Ein bisschen zu aufsehenerregend, aber falls es zu einer Verfolgungsjagd kommen sollte, würde er hervorragende Dienste leisten.
Der Fahrer bremst und kurbelt das Seitenfenster herunter.
„Hallo, junge Dame, wo möchten Sie denn hin?“
Wir können nicht auf zwei Hochzeiten zugleich tanzen, und konzentrieren uns zunächst auf die Anhalterin.
Sie bückt sich und schaut ins Wageninnere. Der Kerl, braune Wildlederjacke mit Fransen überall, ebenso die Hose, und hohe Stiefel aus Schlangenleder, erinnert sie an Lederstrumpf. Sein Gesicht wirkt dagegen bieder, rundlich mit Billigbrille und kurzen krausen Haaren. Alles zusammen genommen, macht er auf sie einen harmlosen Eindruck.
„Nach Kassel, oder wenigstens ein Stück in die Richtung.“ Sie hofft auf ein bisschen Glück. Uli wartet dort schon ungeduldig mit gepackten Koffern. Er ist ganz besessen von seinem Plan, mit ihr für ein, vielleicht sogar zwei Jahre in Kroatien zu leben. Sonne, Strand und jede Menge Spaß zu zweit. Die Kohle aus dem Raub würde reichen. Danach, zurück in Deutschland, würde er sie heiraten. „Und Kinder werden wir haben, so viele du willst.“ Diesen Satz spult ihr Herz ab wie ein Tonband mit Endlosschleife.
„Ich fahre nach Würzburg und will bei Kassel auf die A7, ich kann Sie da irgendwo absetzen.“
„Na prima“, sagt sie, öffnet die Tür, schmeißt ihre Sporttasche in den Fußraum und steigt ein. Müdigkeit und Stress sind plötzlich wie weggeblasen. Sie hat das Gefühl, ihr Urlaub begänne schon in diesem Moment.
Um nichts zu verpassen, wo es doch jetzt so richtig interessant wird, quetschen wir uns schnell mit hinein.
„Ich heiße Petra.“
Der Fahrer blinkt raus und gibt Gas.
„Na so ein Zufall, mein Name ist Peter.“ Er lacht.
Natürlich lügen beide, doch das stört uns nicht. Viel interessanter ist der Grund, warum Petra auf ihrem Sitz herumrutscht, als wäre er unbequem.
„Du kannst den Sitz verstellen“, sagt Peter.
„Ach, geht schon.“
Unbequem ist nämlich nicht der Sitz, sondern der handliche Trommelrevolver, der hinten in ihrem Hosenbund steckt. Er drückt ein wenig.
„Hast du denn gar keine Angst, so einfach zu einem fremden Mann ins Auto zu steigen?“
Ah, Peter eröffnet sein Vorspiel. Hat sich ja nicht viel Zeit gelassen.
„Du siehst nicht aus wie jemand, der ... na du weißt schon.“ Sie lächelt; hat keine Angst.
„Ich verrate dir jetzt mal ein Geheimnis.“
Theatralisch aufs Fahren konzentriert, will er sie offenbar ein wenig zappeln lassen. Wir lehnen uns zurück und genießen das Gespräch.
„Und das wäre?“, fragt Petra nach.
„Tja, also diese Typen, die so Dinge machen, na du weißt schon, die sehen nie so aus.“
„Ach, kennst du welche?“
„Ich bin so einer“, sagt er lächelnd zu seiner Mitfahrerin.
Sie lacht ihm ins Gesicht. „Wirklich amüsant, da bin ich mal gespannt, wie du das anstellen willst.“
Ja, das könnte fast unser Text sein.
„Aus Erfahrung kann ich sagen, es ist jedesmal überraschend einfach.“
Er überholt einen Tanklastzug. Der Motor knurrt und lässt die Karosserie erzittern.
„Soso. Und das soll ich dir glauben?“, fragt Petra belustigt.
Peter schweigt eine Weile. Die Bundesstraße führt zwischen Feldern über eine sanfte Hügellandschaft.
Wir haben eigentlich nichts weiter zu tun, als abzuwarten. Eventuell könnten wir ja ein diabolisches Grinsen aufsetzen.
„Ich kann dir zeigen, wie so etwas abläuft. Wenn du Zeit hast. Ich meine es dauert ja nicht lange.“
„Was dauert nicht lange?“
„So ein niedliches Ding wie dich zu überwältigen.“
„Du findest mich niedlich?“ Petra ist bester Laune.
Der Jäger schaut zu ihr hinüber. „Nun, ich benutze nicht jede. Da gibt es gewisse Merkmale, die vorhanden sein müssen.“
„Ah, verstehe, und ich besitze diese Merkmale. Da fühle ich mich aber geschmeichelt.“
Der Jäger runzelt die Stirn. Der Verlauf des Gesprächs missfällt ihm. „Kommen wir doch wieder zurück zum Thema, dem Vorgang an sich.“
Mit gespieltem Ernst erwidert Petra: „Bitte um ausführliche Einweisung, großer Meister.“
„Da vorn“, Peter zeigt mit dem Finger auf ein Wäldchen rechts neben der Straße. „Dort führt ein Forstweg hinein. Etwas rumplig für den guten alten Camaro, aber was tut man nicht alles, um einer jungen Dame ein paar neue Erkenntnisse zu vermitteln.“
„Kennst dich ja gut aus hier.“
„Oh, ich kenne viele schöne Stellen.“ Er nimmt etwas Gas weg und schaut in den Rückspiegel. „Der Forstweg wird nur im Herbst genutzt. Da schlagen sie dann Bäume, für Brennholz. Jetzt interessiert sich niemand für die Gegend.“ Er setzt den Blinker und bremst ab.
„Du willst da tatsächlich reinfahren?“ Petra lacht nicht mehr, sie denkt an ihren Revolver.
„Wie gesagt, dauert nicht lange.“
„Kommt drauf an, wie heftig ich mich wehre, oder?“ Sie denkt an ihren Revolver und daran wie es wäre, wenn sie diesen flotten Wagen für sich hätte. Damit könnte sie Uli abholen, und dann in null Komma nichts in Kroatien sein. Der Gedanke gefällt ihr.
Uns natürlich auch. Außerordentlich sogar.
Der Wagen biegt in den Forstweg. Zwei Rinnen aus getrocknetem Schlamm zwischen hohen Bäumen und dichten Sträuchern.
„Der Weg macht einen Bogen bis zur Waldmitte, und am Ende befindet sich ein Wendeplatz. Oder, in unserem Fall, ein Platz zum Parken. Ich liebe dieses Fleckchen. Es ist wunderbar verschwiegen.“ Er lässt den Sportwagen im Leerlauf rollen. „Ich habe ein Messer, sagte ich das schon?“
„Ich habe einen Revolver, sagte ich das schon?“, äfft sie ihn nach.
Der Jäger lacht leise und schüttelt den Kopf. Spätestens an dieser Stelle fangen sie an zu schreien und fuchteln mit den Armen. Dieses Weib dagegen hat eine Menge Mut. Er ist sehr zufrieden mit ihr.
„Wir sind hier also ungestört? Gut. Ich hab nämlich gestern eine Bank ausgeraubt und brauche jetzt dringend einen neuen Fluchtwagen.“
„Nette Geschichte, nur längst nicht so wahr wie meine. Willst du nicht endlich am Gurt zerren und an der Tür rumfummeln?“
„Dann halt an.“
„Das dürfte dein letzter Wunsch sein, der in Erfüllung geht. Jedenfalls in diesem Leben.“ Er lenkt den Wagen mitten auf den Wendeplatz und stellt den Motor ab.
Petra greift mit der rechten Hand nach ihrem Revolver hinten im Hosenbund.
Peter zieht sein Messer, hält es hoch und dreht es leicht mit der Hand, als würde er es begutachten. „Siehst du?“
Ihre Fingerspitzen erreichen den Revolverknauf. Mehr geht nicht. Der verdammte Gurt ist zu eng, drückt sie zu fest in den Sitz. Mit der linken Hand versucht sie, ihn zu weiten, doch die Abrollmechanik klemmt.
„Siehst du den matten Glanz? Hab die Klinge gewachst. Und weißt du auch warum? Weil Öl mir das Leder versaut. Tolle Idee, was?“
„Ja, du bist ein Genie“, knurrt sie und drückt auf die breite Taste am Gurtverschluss.
„Vergiss es, die Taste hab ich präpariert. Geht nur mit diesem Messer zu öffnen. Wie so manches andere auch.“
Sie ruckt mit ihrem Oberkörper vor und zurück, der Gurt gibt keinen Millimeter nach. Um ihrer Hand am Rücken etwas mehr Raum zu verschaffen, dreht sie sich so weit es geht nach links.
„Wenn ich mein Messer wieder einstecke, den Motor starte und dich nach Kassel fahre, wirst du dann auch niemandem von unserem kleinen Abstecher erzählen?“, fragt er und platzt ein lautes Lachen heraus. „Abstecher! Abstecher! Das ist gut, nicht?“
„Nein, werde ich nicht“, antwortet sie gepresst, während sie ihren gestreckten Zeigefinger endlich hinter den Knauf zwängen kann.
„Ach wie langweilig, immer die gleiche Lüge. Kann nicht mal eine von euch die Wahrheit sagen?“
„Leck mich!“ Sie krümmt den Finger etwas und zieht vorsichtig an der Waffe. Der Revolver rutscht ein paar Zentimeter aus dem Hosenbund und verhakt sich dann mit dem Korn am Stoff ihrer Hose. „Scheiße!“
„Was fummelst du dir da eigentlich am Rücken herum?“
„Mach endlich den scheiß Gurt auf!“
„Sag bloß, du hast da tatsächlich ´ne Knarre.“ Sofort drückt er sein Messer an ihre Kehle. „Deine Hand nach vorn, aber langsam“, flüstert er ihr ins Ohr.
Petra riecht seinen ranzigen Atem. So gut es geht weicht sie nach rechts aus. Der Druck des Messers verringert sich nicht. Endlich umschließt ihre Hand den Revolverknauf.
„Na wird’s bald?“ Er verstärkt den Druck der Klinge. „Ich mag keine Geheimnisse, weißt du.“
Etwas Blut rinnt an ihrem Hals hinab. Er leckt seine Lippen. Das Öffnen hat begonnen. Zu früh, ermahnt er sich, das Weib würde ihm den Sitz vollbluten. Erst will er sie aus dem Wagen schaffen, aber zuvor muss er ihre rechte Hand sehen. „Na los, zeig mir deine Hand! Sofort!“
„Ja doch, sie ist eingeklemmt.“ Ihr Finger berührt den Abzug.
Zu gern würde er sie mit der Klinge ritzen, sie stechen. In seiner Fantasie sieht er ihr Blut aus ungezählten Wunden sprudeln. Ihr schlanker, nackter Körper windet sich in ihrem köstlichen roten Saft.
Petra sieht, wie seine Augen blicklos werden, als wäre er in Gedanken weit weg. Mit aller Kraft zerrt sie am Revolver, der Lauf rutscht aus dem Hosenbund. Für eine Sekunde denkt sie an Uli, an den Inhalt ihrer Tasche, das Geld für seine Träume in Kroatien, die Heirat und ihre Kinder. Dann fasst sie einen Entschluss und richtet den Lauf etwas höher aus.
Peter öffnet seinen Mund, will etwas sagen.
Sie kneift ihre Augen zu und drückt ab. Für Sekunden besteht die Welt aus Schmerz. Der Knall zerreißt ihr fast die Trommelfelle, die Kugel pflügt eine glutheiße Schramme in ihren Rücken.
Peter schreit auf, als die Kugel seine rechte Niere zerfetzt. Das Messer verschwindet von ihrer Kehle. Sie zieht ungelenk ihren rechten Arm nach vorn. Er fühlt sich etwas taub an, war zu lange zwischen Sitz und Körper eingeklemmt.
„Du Fotze! Du verdammte!“, schreit Peter.
Sie will ihm in den Kopf schießen, sieht wie der Bastard mit schmerzverzerrter Fratze sein Messer umgreift; die Klinge ragt nun aus seiner Faust nach unten. Ihr rechter Arm bewegt sich schwerfällig.
Peter holt aus, ihre Abwehr mit Links ist viel zu schwach, und rammt ihr das Messer in die rechte Schulter. Der Revolver fällt ihr in den Schoß. Er zieht am Messer, das in ihrer Schulter steckt.
Petra brüllt ihren Schmerz heraus. Wie von selbst tastet ihre linke Hand zum Revolver. Sie hebt die Waffe. Peter schlägt mit seiner freien Hand von oben auf den Revolver. Der Schuss trifft sein Knie. Der Schmerz gibt ihm genug Kraft, das Messer aus der Schulter zu reißen und sofort sticht er nach ihrer Brust. Die Klinge rutscht an einer Rippe ab, reißt bloß die Haut auf. Er will nur noch stechen, abstechen, Blut sprudel lassen.
Petra ist am Sitz gefesselt, keine Bewegungsfreiheit, kein Ausweg. Er hält ihren Revolverarm in festem Griff schräg nach unten. Nutzlos, denkt sie, aber als die Klinge wieder auf sie zu saust, drückt sie dennoch ab. Der Schalthebel zwingt die Kugel in eine andere Richtung, und das deformierte Geschoß zerfetzt Peters Unterschenkel. Er zuckt zusammen, die Klinge verfehlt Petras Bauch und dringt in ihren linken Oberschenkel.
Die Luft ist grau vor Pulverdampf. Sie starren sich mit tränenden Augen an.
„Du Sau“, keucht er ihr ins Gesicht. „Du verfluchte Sau.“
Sie kann nicht antworten, bekommt kaum Luft.
Die Sitze saugen gierig das Blut auf, rote Sprenkel verzieren das beige Armaturenbrett.
„Jetzt mach ich Schluss mit dir.“ Sein Blick verschwimmt. Er lässt das Messer in ihrem Schenkel stecken, greift unsicher nach dem Revolver, und stöhnt vor Schmerz.
Schnell lässt Petra die Waffe fallen. Mehr kann sie nicht tun. Sie poltert in den Fußraum. Unerreichbar für beide.
Peter schaut sie an. „Das nützt dir nichts, du Aas.“ Er lässt ihren Arm los und fummelt mit zittrigen Fingern an seinem Gurtschloss, öffnet es, hält sich stöhnend die Seite. Blut quillt zwischen seinen Fingern hervor, dann bückt er sich zur Waffe.
Petra zieht sich das Messer aus ihrem Fleisch. Es geht überraschend leicht. Es steckte nicht tief. Sie sieht, wie der Bastard ihre Waffe greift und sich mühsam mit der anderen Hand am Lenkrad aus seiner gebückten Haltung wieder hochziehen will. Sie überlegt, wo sie ihm die Klinge
hineinrammen soll. Es gibt nur diese eine letzte Chance.
Schwerfällig zieht er seinen Oberkörper hoch.
Sie zielt auf seine Halsschlagader. Sein Kopf sinkt aufs Lenkrad. Er rührt sich nicht mehr. Seine Augen sind blicklos. Sie sticht nicht zu.
Nach einer Weile untersucht sie ihr Gurtschloss. In der breiten Taste befindet sich ein länglicher Schlitz. Sie drückt die Messerspitze hinein und der Gurt löst sich aus der Halterung.
Wir schauen ihr noch ein wenig zu, wie sie Peter aus dem Wagen bugsiert, wieder einsteigt, den kleinen Knopf am Schalthebel findet, mit dem das Schaltgetriebe auf Automatik gestellt wird, und Richtung Kassel, zu ihrem Uli fährt. Tapfer ertragen wir ihre Schmerzensschreie. Blut sickert aus ihrer Schulterwunde. Manchmal schlenkert der Wagen ein Stück auf die Gegenfahrbahn.
Doch irgendwie schafft sie es bis ins westliche Gewerbegebiet. Dort lässt sie den Wagen ausrollen, schließt die Augen und sinkt, soweit es der Gurt zulässt, in sich zusammen.
Der Motor läuft, das Seitenfenster ist geöffnet, und die Sporttasche mit dem gestohlenen Geld liegt immer noch auf der Beifahrerseite im Fußraum.