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Wie der Jet-Lag entstand
Eines Tages verlangte ein kleiner aufgebrachter Engel wegen einer wichtigen Beschwerde zum lieben Herrgott vorgelassen zu werden.
Er flatterte so aufgeregt mit den Flügeln, dass sich aus ihnen ein paar Federn lösten und als Schnee mitten im Sommer zur Erde fielen.
Petrus schüttelte unwirsch den Kopf. "Lasst den kleinen Engel schnell zum Herrgott, bevor wir jede Menge Klagen von unten raufbekommen wegen des Schnees." Der kleine Engel durfte vortreten und Gott, der seine rechte, besonders buschige Augenbraue hochzog, weil er das immer tat, wenn er eine Frage stellte, sagte in seiner beruhigenden Tonlage:
"Kleiner Engel, was ist das denn für eine wichtige Beschwerde, die du vortragen willst?"
Dem kleinen Engel rauschte vor Verlegenheit der Kopf, aber er nahm sich sehr zusammen und sagte so laut es nur mit seiner piepsigen Stimme ging:
"Lieber Herrgott, bitte schaffe diese großen metallenen Engel ab, die laufend in der Luft herumfliegen. Sie achten niemals auf meine Flugbahn und obendrein dröhnen sie noch unerträglich laut. Ich bin täglich mehrere Male als Botenengel von hier zur Erde und zurück unterwegs. Wenn ich nicht höllisch aufpasse, streift mich einer dieser Blechengel und ich muss dann in den himmlischen Flügelhangar, um meine schönen weißen Federn wieder richten zu lassen. Und Psalmen", des kleinen Engels Stimme überschlug sich vor Empörung, "die kann ich schon seit langem nicht mehr auf den Flügen singen, denn die Riesenengel machen Riesenkrach."
"Das sind ja schlimme Nachrichten, kleiner Engel", sagte Gott und man sah ihm an, dass er grübelte.
"Lass mich überlegen, wie wir Abhilfe schaffen können." Es blieb eine Weile himmlisch still im Himmel und keiner wagte sich zu bewegen, um den lieben Herrgott nicht beim Nachdenken zu stören.
"Ich hab’s", sagte Gott unvermittelt und alles schreckte aus der Starre hoch.
"Kleiner Engel, die Menschen brauchen diese Metallvögel, um reisen zu können", belehrte er und sprach dann weise weiter, "ich könnte ein Unwetter aufkommen lassen, dann könnten diese Blechvögel nicht starten, denn sie können bei schlechtem Wetter nicht sicher fliegen. Aber das wäre keine gute Idee, denn die Menschen sollen ja nicht bestraft werden. Daher ist mir eine andere Idee gekommen und zwar... ", Gott blickte sehr verschmitzt in die Runde.
Der kleine Engel trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und seine Flügel zitterten vor Spannung.
"...und zwar werde ich eine besondere Art von Müdigkeit, nämlich den Jet-Lag erschaffen. Was du nicht weißt, kleiner Engel, das ist, dass diese Blechvögel nicht von alleine fliegen können, sie müssen von Piloten gesteuert werden. Jedes Mal, wenn ein Pilot eine ganze Weile und eine weite Strecke geflogen ist, werde ich ihm eine besonders tiefe und lange Müdigkeit bescheren und seinen Passagieren gleich mit. Denn, wenn die Menschen schlafen, können sie ausser träumen nichts anderes mehr tun."
„Das stimmt, das hab ich selbst schon gesehen, wie das ist, wenn die Menschen schlafen“, sagte der kleine Engel sogleich eifrig, „sie liegen dann da und bewegen sich kaum und fliegen können sie dann ganz bestimmt nicht.“
"Richtig!", stimmte der liebe Gott zu. „Ich kann zwar nicht dafür sorgen, dass alle Blechvögel zur gleichen Zeit am Boden bleiben, das ginge zu weit, aber du wirst sehen, kleiner Engel, es werden wesentlich weniger herumfliegen.“
Der kleine Engel strahlte und machte artig einen Knicks, um sich zu bedanken.
Der liebe Herrgott freute sich, dass der kleine Engel nun zufrieden wieder seine Botendienste tat. Und ab und zu, wenn die Piloten tief und fest schliefen, konnte man am Horizont den kleinen Engel leise singen hören.