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Wer schläft, sündigt nicht

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08.01.2002
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Wer schläft, sündigt nicht

Manchmal zerfrisst mich der Neid, wenn mein Mann Thomas so friedlich neben mir schlummert.
Seit zwanzig Jahren bin ich nachts nicht mehr vor mir sicher. Bevor ich ins Bett gehe, muss ich mich entscheiden: Entweder nehme ich ein Schlafmittel oder ich schrecke quälend oft aus dem Schlaf hoch.

Wenn ich damals nicht geschlafen hätte, würde Mutter noch leben.

Ich war zwölf Jahre alt und wir lebten in Pirmasens, einer Kleinstadt, deren Bevölkerung zur Hälfte aus dort stationierten Amerikanern bestand. Die Soldaten und die Schuhindustrie waren das wirtschaftliche Rückgrat.

Bis zur Scheidung meiner Eltern führte ich ein glückliches kleines Leben in dieser Stadt, die heute nur noch ein von den Amis und den Schuhfabrikanten lustlos liegengelassener Ort ist.

Meine Mutter war die rechte Hand eines Schuhfabrikanten und zusätzlich führte sie als Schuhmannequin den Kunden die neusten Modelle vor.
Mein Vater hatte sich selbstständig gemacht und anfänglich lief es gut.

Pirmasens, eingebettet in den Pfälzer Wald, entfaltet seinen Reiz erst vor den Stadttoren. Ich liebe die rotfelsigen Wälder, geschichtsträchtigen Burgen und Geheimnisse verbergende Ruinen, die schmalen Landstraßen, die sich durch moosfeuchte Täler schlängeln und ein Stückchen weiter die vielen enggassigen Winzerdörfer der deutschen Weinstraße. Sommertags ist die Pfalz ein laues Lüftchen, das meine Wangen streichelt. Der Herbst riecht nach Tannennadeln, würzigem Laub und in der Weingegend nach Maischesaurem.

Um seine Firma auszubauen, benötigte Vater ein hohes Darlehen. Damals gewährten die Banken noch Kredite, ohne nennenswerte Sicherheiten zu fordern. Es reichte aus, dass seine Ehefrau bürgte.
Vater wirtschaftete seine Firma in den Konkurs und zeitgleich seine Ehe. Er ging fremd und mit seiner neuen Gefährtin plante er ein künftiges Leben, in dem Arbeit keinen Platz mehr hatte.

Es folgte die Scheidung und die Bank verlangte von meiner Mutter die Erfüllung der Bürgschaft. Von einem Tag auf den anderen war sie bis an ihr Lebensende verschuldet, denn es gab damals noch nicht die Möglichkeit der Privatinsolvenz. Mit ihr wäre Mutter in sieben Jahren von allem erlöst gewesen.
So reichte ihr Einkommen gerade für uns beide und geringe Bankraten, die niemals eine Tilgung des gesamten Kredits herbeigeführt hätten.
Über meiner Mutter schlugen haushohe Wellen zusammen.

Wir zogen in eine kleine Dienstwohnung im obersten Stock der Schuhfabrik. Die Wohnung lag in der Nähe des Marktplatzes und der Lärm der parkplatzsuchenden Autos, die immer wieder den Häuserblock umkurvten, quoll bis zu uns hinauf.
Ich musste Kater Tom zurücklassen. Er war es gewöhnt, gleich aus der Wohnung über die Terrasse zu stürmen, um sich tagsüber, während ich in der Schule war, die Zeit in Feld und Flur zu vertreiben. Den Nachmittag verbrachten wir dann zusammen. Ich brauchte Wochen, bis ich mich endlich daran gewöhnt hatte, meine Schulaufgaben ohne seine Anwesenheit zu machen.

In der Schule, ich war eine mittelmäßige unauffällige Schülerin, verschlechterte ich mich in allen Noten. Die Mitschüler hänselten mich.
„Weißt du eigentlich, dass dein Vater ein Säufer ist? Wir haben ihn am Sonntagnachmittag durch eine Gasse in Hauenstein torkeln gesehen.“ Ich schämte mich für meinen Vater und wusste nichts auf solche Anschuldigungen zu erwidern. Ich wusste ja noch nicht einmal, wo er jetzt wohnte.
Meiner Mutter hatte man ebenfalls brühwarm von meinem Vater berichtet. In Pirmasens blieb Material zum Tratschen nicht lange verborgen.

Irgendwann fing Mutter an, sonderbare Dinge zu erleben.
„Vorhin ist mir ein Wagen bis vor die Haustür gefolgt“, berichtete sie zum Beispiel. Oder sie empörte sich: „Da ist ein Mann, der schaut immerzu zu uns rauf. In letzter Zeit ruft auch laufend jemand an, legt aber sofort wieder auf.“
Das waren normale harmlose Geschehnisse, die bei mir nur ein Achselzucken hervorriefen.
Aber ihre Erlebnisse verdichteten sich zusehends und nahmen größere Dimensionen an. Gegen Abend ging Mutter unzählige Male an die Wohnungstür und prüfte, ob sie abgeschlossen war. Vom Balkon unserer Wohnung konnte man zu zwei Seiten auf Straßen herunterblicken. Auch hier vergewisserte sich Mutter permanent, ob nicht jemand unten stand und zu uns hochschaute.
„Da steht ein Mann schon eine geschlagene halbe Stunde im Häusereingang im Halbdunkel“, flüsterte sie eines Abends.
„Na und?“, sagte ich schnippisch, „der wartet bestimmt auf jemanden.“
"Nein, der wartet auf eine gute Gelegenheit, bei uns einzubrechen. Wir müssen achtsam sein.“

Aus den Sätzen zum Achselzucken wurden solche zum Kopfschütteln und am Ende wurden daraus Sätze, die mich aufhorchen ließen.
„Wenn es klingelt, dann machen wir nicht auf. Hörst du? Wir gehen nicht an die Tür. Da unten sind zwei schwarzgekleidete Männer, die mir gefolgt sind.“
„Weshalb sind die dir gefolgt?“
„Sie wollen das Geld.“
„Welches Geld denn?“
„Das, das ich der Bank schulde.“
„Aber da schicken die doch nicht zwei Männer hierher zum Kassieren, Mutti. Du zahlst doch die vereinbarten Raten pünktlich.“
„Nein, das zählt nicht mehr. Sie wollen das ganze Geld. Ihre zu allem entschlossenen Gesichter, ich habe sie gesehen. Mein Gott, ich habe aber das Geld nicht.“ Mutter pendelte unstet zwischen Küche und Wohnzimmer. Dann klingelte es an der Haustür.
Panisch packte sie mich, schob mich in das fensterlose Bad, wo wir still bei abgeschlossener Tür verharrten. Es schellte ein zweites Mal.
„Oh Gott, sie werden jetzt die Tür einschlagen.“
Aber es brach keiner die Tür auf. Statt dessen klingelte das Telefon alle halbe Stunde, während wir immer noch hinter der Badtür kauerten.
Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und befreite mich, um ans Telefon zu gelangen.
Die Anruferin war meine Oma. „Kind, wo steckt ihr denn? Ich habe euch vorhin besucht und mehrfach geklingelt. Ihr wart nicht zu Hause, nicht wahr?“
Ein paar Tage später passierte es. Etwas hatte mich nachts geweckt. Ich stieg aus dem Bett und ging in Mutters Zimmer. Ihr Bett war leer. Auch in den anderen Räumen war sie nicht. Dann fand ich sie auf dem Balkon.
Sie hockte auf der gemauerten Balkonbrüstung, bereit zum Absprung.
Sanft zog ich sie herunter. Sie ließ es geschehen und bekam weder meine zitternden Hände noch meine Tränen.
Ich holte Hilfe. Onkel Georg, der Bruder meiner Mutter, brachte sie zum Arzt. Und der wies sie in Klingenmünster ein. Kein alteingesessener Pirmasenser hätte jemals das Wort Irrenanstalt benutzt, es reichte Klingenmünster zu sagen.
Die Hänseleien in der Schule nahmen zu. Jetzt hatte ich einen Säufervater und eine verrückte Mutter und meine Versetzung war gefährdet.
Zusammen mit Oma besuchte ich Mutter jede Woche in Klingenmünster. Mutter wirkte normal. Sie hätte doch längst gesund sein müssen. Aber man entließ sie monatelang nicht.
Als man es doch schließlich tat, wurde ich zu ihrer Bewacherin. Wie ein Seismograph registrierte ich jede noch so winzige Veränderung in ihrem Verhalten. Ich konnte nachts meine Augen nicht schließen, weil meine Sorge, dass sie erneut auf der Balkonbrüstung hocken könnte, sich nicht schlafen legen wollte.
Auch tagsüber, wenn ich Mutter sicher an ihrem Arbeitsplatz wusste, blieb meine Unruhe. Der Gedanke, sie könnte erneut diese Wahnvorstellungen entwickeln, schob sich überall wie ein Keil dazwischen. Ich kam oft so übermüdet in die Schule, dass mein Verhalten meiner Klassenlehrerin auffiel.
Zusammen mit meiner Mutter, überlegte sie einen Weg, mir mehr Ruhe und Schlaf zu verschaffen.
Und so kam meine Oma zu uns in die Wohnung, um nachts aufzupassen.

Oma litt seit Jahren an einer krankhaften Schläfrigkeit. Sobald sie auf einem Stuhl oder Sofa saß, fielen ihr unvermittelt die Augen zu, der Kopf kippte vornüber und sie schlief fest mit vor der Brust verschränkten Armen. Kein Lärm konnte sie dann wecken. Ausgerechnet Oma sollte also Mutti nachts bewachen, damit ich schlafen konnte.

Ich wusste, dass Oma keine Chance gegen den Schlaf hatte.
Und doch schlief ich ein.

Die Nebelschwaden der Sinnestäuschung zogen bald erneut durch Mutters Gehirn. Eines Nachts geriet sie wieder in den Strudel der Todesangst vor ihren Verfolgern. Sie muss geglaubt haben, sie könne sich nur von ihren Höllenqualen der Angst befreien, wenn sie sich vom Balkon stürzt. Während Oma weggenickt war und ich tief schlief, sprang Mutti hinunter.

Passanten fanden sie leblos auf dem Pflaster liegend. Ihre Hüfte war auf unnatürliche Weise verdreht.

An einem schwüldrückenden Sommertag beerdigten wir Mutter auf dem Waldfriedhof.
Ich wurde umarmt, man drückte mir mitleidsvoll die Hand und salbaderte Kondolenzen.
Ich hätte am liebsten geschrien:
„Sagt es doch endlich! Klagt mich endlich an. Ich habe meine Mutter im Stich gelassen.“
Aber sie straften mich viel schlimmer. Sie schwiegen.

Die Blumenkränze waren noch nicht verwelkt, als die Bank mich als Alleinerbin meiner Mutter für die Schulden in Anspruch nahm. Ich musste also das Erbe ausschlagen, um mich davon zu befreien. Onkel Georg verkaufte Mutters Golf und gab der Bank den Erlös.
„Was müssen wir denn noch alles der Bank geben?“, fragte ich ihn.
„Das weiß ich auch nicht so genau. Wir fragen die bei der Bank einfach.“
Das taten wir.
„Das Girokonto mit dem kleinen Guthaben haben wir bereits aufgelöst“, sagte ein graumelierter Bankangestellter, der immerzu auf seine goldene Armbanduhr blickte.
„Aber Ihre Mutter wird doch sicherlich Schmuck gehabt haben, vielleicht auch wertvolle Sammlungen, Porzellan, einen Pelzmantel und so weiter.“
Wir trugen Mutters Schmuck und einen kleinen Fotoapparat zur Bank.
In der Schatulle befand sich auch der Turmalinring.
„Der ist so grün wie deine Augen. Darf ich ihn auch mal tragen?“
Mutti lacht: „Ja, aber nur heute Nachmittag und nur in der Wohnung und verlier ihn bloß nicht.“
Vor dem Spiegel im Flur schlüpfte ich damals in Muttis für mich viel zu große Schuhe und spreizte geziert meine beringte Hand.
Ich werde immer noch wütend wegen des Bankangestellten. Zwanzig Jahre später fallen mir die richtigen Worte ein. Ich sehe ihn vor mir, wenn ich in kaltem Ton frage: „Und wie sieht es mit den Goldfüllungen aus? Mutter hat drei große goldene Plomben.“

Mein Vater kam damals, um mich zu sich zu holen. Ich sitze in seinem Auto.
„Lisbeth hat dir ein kleines Zimmer hergerichtet.“
„Ist Lisbeth deine Freundin?“
„Sie ist meine Frau. September bekommen wir einen Sohn.“
„Und wo wohnt ihr?“
„Am Ortsrand von Hauenstein, da haben wir eine kleine Gaststätte gepachtet.“
„Und wie komm ich jeden Tag von dort nach Pirmasens zur Schule? Da brauche ich ja unendlich mehr Zeit.“
„Beklag dich gefälligst nicht bei mir! Was bringt sich deine Mutter auch um.“

Und ich schwieg voller Scham.

 

hallo elvira,

du hast die story zwar umgeschrieben, aber sie ist noch voller flüchtigkeitsfehler - das ist sehr schade, denn du kannst das viel besser! Außerdem sind einige sehr unglückliche formulierungen drin - zumindest nach meinem empfinden. Mal im detail:

Seit zwanzig Jahren bin ich nachts nicht mehr vor mir sicher.
das klingt so, als ob sich die protagonistin selber bedrohen würde. will sie sich umbringen?

Entweder nehme ich ein Schlafmittel oder ich schrecke aus dem Schlaf hoch und quäle mich, wieder einzuschlafen. Das Wort Morgengrauen ist für mich der unpassendste Begriff. Wenn ich es bis zur Morgendämmerung geschafft habe, fühle ich mich leicht und befreit, denn ich habe das Nachtgrauen überstanden.
den letzten satz kannst du weglassen. es ist alles schon gesagt!

In diesem Punkt bin ich unbiegsam.
meinst du UNBEUGSAM?

Hilflos erlebte sie wie der grausige Lungenkrebs ihr, den über alles geliebten Vater nahm. Die Scheidung, in die sie hineingezwungen wurde und die unbezahlbare Schuldenhöhe aus dem Betrieb meines Vaters. hilflos erlebte sie, wie ihr der grausige lungenkrebs den über.....
VATER hat hier natürlich eine zweifache bedeutung (der vater der protagonistin und gleichzeitig der vater der mutter der protagonistin). warum so verwirrend?

Sie schufen ein pompöses Monstrum, das so peinlich ist als ritte ein römischer Feldherr in voller Rüstung auf einem Schaf.
die formulierung gefällt mir ausnehmend gut.

aber insgesamt hat die beschreibung der stadt pirmasens immer noch keinen nutzen für deine geschichte. sie ist ein fremdkörper.

Schmale Landstraßen, die sich in den moosfeuchten Tälern schlängeln
... die sich durch die moosfeuchten täler schlängeln.

Damals gaben die Banken noch Kredite, ohne nennenswerte Sicherheiten her.
damals gewährten die banken noch kredite, ohne nennenswerte sicherheiten zu verlangen.

Wir zogen in eine winzige Dienstwohnung
so klein kann die wohnung nicht sein, denn du schreibst später noch von "anderen räumen". außerdem hat sie balkon (auch ein gewisser luxus).

und der Lärm der parkplatzsuchenden Autos, die immer wieder den Häuserblock umkurvten, belästigte unsere Ohren.
bei den echten sorgen, die die beiden hatten (schulden, krankheit), dürfte die lärmbelästigung keinen so hohen stellen wert haben.

rutschte ich mit allen Noten ab.
das ist umgangsprachlich.

Das waren alles ganz normale harmlose Geschehnisse für ein Achselzucken.
...harmlose geschehnisse, die bei mir nur ein achselzucken zur folge hatten.

„Na das, dass ich der Bank zu zahlen habe.“

Ich habe euch vorhin besucht und mehrfach geklingelt gehabt.
GEHABT streichen

Sanft zog (ICH) sie von der Brüstung.

[quoteSie muss geglaubt haben, sie könne sich nur von ihren Höllenqualen der Angst befreien, indem sie sich vor den Männern vom Balkon stürzt.]
du meinst wahrscheinlich "BEVOR DIE MÄNNER KAMEN", oder "sie wollten dem Besuch der Männer zuvorkommen".

Diesen ganzen schluss würde ich streichen:

Die Blumenkränze waren noch nicht verwelkt, als ich erfuhr, dass die Bank mich nun als Alleinerbin meiner Mutter für ihre Schulden in Anspruch nehmen würde. Ich musste also das Erbe ausschlagen, um mich davon zu befreien. Onkel Georg verkaufte Mutters Golf und gab der Bank den Erlös.
„Was müssen wir denn noch alles der Bank geben?“, fragte ich ihn und mir war ganz bang dabei.
„Ehrlich gesagt, das weiß ich auch nicht so genau. Wir fragen die bei der Bank einfach.“
Das taten wir.
„Das Girokonto mit dem kleinen Guthaben haben wir bereits aufgelöst“, sagte ein graumelierter Bankangestellter, der mit steif aufgerichtetem Oberkörper an seinem Nussbaumschreibtisch saß und auf seine goldene Armbanduhr blickte.
„Aber Ihre Mutter wird doch sicherlich Schmuck gehabt haben, vielleicht auch wertvolle Sammlungen, Porzellan, einen Pelzmantel und so weiter.“ Wir trugen Mutters Schmuck und einen kleinen Fotoapparat zur Bank. In der Schatulle befand sich auch der Turmalinring. „Der ist so grün wie deine Augen. Darf ich ihn auch mal tragen?“ Mutti lacht: „Ja, aber nur heute Nachmittag und nur in der Wohnung und verlier ihn bloß nicht.“
Vor dem Spiegel im Flur schlüpfte ich in Mutters für mich viel zu große Schuhe und spreizte geziert meine beringte Hand. Ich werde immer noch wütend wegen des Bankangestellten. Ich sehe ihn vor mir und ich sehe ihn blass werden, wenn ich in kaltem Ton frage: „Und wie sieht es mit den Goldfüllungen aus? Mutter hat drei große goldene Plomben.“

Mein Vater kam, um mich zu sich zu holen. Ich sitze in seinem Auto.
„Lisbeth hat dir ein kleines Zimmer hergerichtet.“
„Ist Lisbeth deine Freundin?“
„Ja, sie ist meine Frau. September bekommen wir einen Sohn.“
„Und wo wohnt ihr?“
„Am Ortsrand von Hauenstein, da haben wir eine kleine Gaststätte gepachtet.“
„Und wie komm ich jeden Tag von dort nach Pirmasens zur Schule? Da brauche ich ja unendlich mehr Zeit.“
„Beklag dich nicht bei mir! Was bringt sich deine Mutter auch um.“

Ich schwieg voller Scham.

sorry, war nicht sehr positiv....

trotzdem herzliche grüße
ernst

 
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Hallo Lakita!

Das Wort Morgengrauen ist für mich der unpassendste Begriff. Wenn ich es bis zur Morgendämmerung geschafft habe, fühle ich mich leicht und befreit, denn ich habe das Nachtgrauen überstanden.
Das ist so ein bemühter Witz. Wenn du ihn brauchst, dann ohne das Fette!

Ich weiß, dass Mutter noch leben würde, wenn ich damals nicht geschlafen hätte.
Es wäre für mich viel interessanter, den Grund für die Schlaflosigjeit voerst nicht zu erfahren.

Das ist die einzige unverrückbare Tatsache in meinem Leben. Meine Schuldkonstante, nach der sich alles Nachfolgende ausrichtet. Seit meinem unheilbringenden Schlaf weiß ich mit jeder Hautpore, dass Reue und Sühne höhnische Geister sind.
Ich allein trage an Mutters Tod die Schuld. In diesem Punkt bin ich unbiegsam.
Das ist sowas von zu viel Dramatik in den Worten ... für meinen Geschmack. Ohne das Fette wärs mir lieber :shy:

Als vor einigen Jahren der alte Stadtkern ein neues Gesicht bekommen sollte, verloren unsere Stadtväter ganz offenbar jedes gesunde Maß. Sie schufen ein pompöses Monstrum, das so peinlich ist als ritte ein römischer Feldherr in voller Rüstung auf einem Schaf.
Das gefällt mir gut.

Im Rückblick vermag ich dies zu erkennen. Denn ist Glück nicht die Abwesenheit von Unglück?
brauchst du das unbedingt?

Aber das Schlimmste war, dass ich meinen geliebten Kater Tom zurücklassen musste. Er war es gewöhnt, gleich aus der Wohnung über die Terrasse zu stürmen, um sich tagsüber, während ich in der Schule war, die Zeit in Feld und Flur zu vertreiben
da hats dein Kater ja besser als der in meiner "Am Fenster" Geschichte. Trotzdem ist das so auf die Drüse gedrückt.

„Schau, da ist ein Mann, der guckt immer zu unserem Balkon empor.
Vielleicht verkehrst du in anderen Kreisen, das meine ich vollkommen ernst. Ich kenne dich ja nicht. Aber bei uns sagt niemand der guckt zu unserem Balkon empor... das ist für wörtliche Rede nicht passend, oder?

Aus den Sätzen zum Achselzucken wurden Sätze zum Kopfschütteln und am Ende wurden daraus Sätze, die mich aufhorchen ließen.
Das ist schön kompakt, klar und wichtig.

Wenn die Pirmasenser unter sich sind, nennen sie dieses Krankenhaus die Irrenanstalt.
Also bitte ... die Pirmasenser sind ja kreativ ;)

Ich habe meine Mutter in Stich gelassen
im Stich

Ich sehe ihn vor mir und ich sehe ihn blass werden, wenn ich in kaltem Ton frage: „Und wie sieht es mit den Goldfüllungen aus? Mutter hat drei große goldene Plomben.“
ja, das ist gut, aber das passt überhaupt nicht zum Charakter der Erzählerin

Insgesamt ist die Geschichte mir zu einseitig. Das Opfer ist das Mädchen... okay, aber das macht die Sache nicht gerade rund. Der Vater ist böse, es ist alles so nacherzählt und mit Adjektiven zugemauert. Daraus könnte man mit halb so viel Text und halb so viel Adjektiven eine wirklich berührende Geschichte machen. Hier hat dir die Betroffenheit ein Bein gestelt (hab ich von Katla) und die erzählenswerte Geschichte geht im Selbstmitleid unter.

Gruß

herrlollek

 

Hallo lieber Ernst,

nee, positiv ist es nicht, wenn ich jede Menge Flusigkeitsfehler mache und genau die habe ich auch beiseitigt.
Schönen Dank für das Korrekturlesen.

Einige deiner Bemängelungen habe ich aber nicht textlich abserviert, weil ich noch nicht so ganz davon überzeugt bin, dass sie entfernt werden müssten. Und zwar diese:

"Nicht vor sich sicher zu sein" möchte ich erstmal so stehenlassen. Ich fand es einen treffenden Ausdruck dafür, dass man nie genau weiß, was nachts auf einen zukommt. Sowas wie das Gegenteil von verlässlich, aber eben nicht unzuverlässig.

Die Passage mit dem Schlaf, von der du einiges gelöscht wissen möchtest, lasse ich auch erstmal so stehen. Das Thema meiner Protagonistin ist ja ihr quälender Schlaf seit dem Vorfall mit der Mutter. Daher möchte ich dem auch mehr Gewicht geben.

unbiegsam ...tja, unbeugsam trifft es nicht. Meine Protagonistin möchte sich in diesem Punkt nicht verbiegen lassen von den vielleicht sinnvollen Aussagen anderer, die ihr gewiss mitteilen, sie habe keine Schuld an dem Tod der Mutter. Sie ist davon überzeugt.

Der Lärm, der um den Häuserblock kurvenden Autos soll eigentlich nur verdeutlichen, dass beide nunmehr eine schlechtere Wohnsituation haben.


Dass du den letzten Teil komplett streichen würdest, finde ich schade. Ich werde ihn erstmal stehen lassen. Mit dem Tod der Mutter ist ja für die Tochter noch lange nicht alles ausgestanden. Für sie geht die Geschichte weiter. Sie ist doch diejenige, die die Rechnung für alles zahlt. Das wollte ich damit klar machen.

Auf jeden Fall danke ich dir nochmals recht herzlich für Lesen und Kritisieren und Korrigieren.

Herzlichst
Elvira

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Lakita,

ich habe jetzt die Vorgeschichte samt Kommentaren nur ueberflogen, kann mich also nur wenig zum Unterschied zwischen beiden Versionen aeussern. Natuerlich ist es schon mal besser, das Geschehen aus Sicht der Betroffenen als aus Sicht einer Aussenstehenden zu schildern. Trotz dieser Aenderung komme ich allerdings nicht so recht an die Tragik der Geschichte ran, auch wenn das Beschriebene natuerlich schlimm ist. Ich denke das liegt hauptsaechlich daran, dass das Geschehen ueber mehrere Monate, vielleicht sogar Jahre nur berichtet wird. Als wuerde mir jemand seine schlimme Kindheit zusammenfassen, dann kam das und dann das und spaeter dies. Abgesehen von der Pirmasensbeschreibung gibt es zum Beispiel kaum irgendwelche Bilder, Gerueche, durch die man sich ins Geschehen reinversetzen kann. Um solche langen Zeitraeume zu erzaehlen eignen sich Kurzgeschichten nicht so recht. Die sind eher stark, wenn wenige aussagekraeftige Szenen ausgemalt und erlebbar gemacht werden - so dass man in den kleinsten Details, das ganze dahinterstehende Drama spuert. Hier koennte man zum Beispiel eine Zubettgehszene beschreiben, zeigen, wie sehr sich das Maedchen vorm Einschlafen fuerchtet, welche Strategien sie entwickelt, um wach zu bleiben, dann wuerden nur wenige Andeutungen zur Paranoia der Mutter und zum vorhergehenden Selbstmordversuch ausreichen. Der Vater ist weg, Schulden sind erdrueckend, das muss alles nicht so haarklein erklaert werden, damit es wirken kann. Im Moment versucht der Text Tragik dadurch zu erzeugen, dass er staendig behauptet "das war ganz fuerchterlich" (herrlollek hat da einige Passagen aufgelistet), aber es geht doch eher darum, den Leser in die Situation mit reinzunehmen, damit er das selbst spueren kann, anstatt, dass es ihm nur so gesagt wird.

Also ich glaube, der Text muesste ganz anders aufgezogen werden, damit er funktioniert. Deshalb mache ich jetzt auch keine Detailkritik, obwohl mir einiges aufgefallen ist, "unbiegsam" hat mich zum Beispiel auch irritiert, und man koennte wohl einiges ein bisschen praegnanter formulieren, z. B:

Sie befand sich auf der gemauerten Balkonbrüstung in der Hocke, bereit zum Absprung.
Sie hockte auf der Balkonbruestung, bereit zum Absprung.

lg,
fiz

P.S. Achso, zu den Hautporen noch, das fand ich sehr seltsam, dass die so zum Organ der Schuldempfindung werden. Die sind ja im Grunde nur kleine Loecher in der Haut, also eigentlich gar nichts. Als wuerde man Schuld in den Zahnzwischenraeumen spueren.

 

Hallo herrlollek und feirefiz,

euch beiden ganz lieben Dank, dass ihr euch mit dieser Geschichte befasst habt, auch, wenn sie euch nicht zugesagt hat.

Soweit ihr beide den Eindruck habt, die Geschichte würde nicht funktionieren, kann ich dagegen nicht viel ausrichten. Nein, besser gesagt, ich möchte es nicht, denn ich müsste dann eine dritte Geschichte schreiben.

Die einzelnen Punkte allerdings, die ihr beide herausgegriffen habt, habe ich schon mal in die Korrektur genommen und insbesondere geschaut, wo ich Überfrachtungen rausnehmen konnte. So ist auch bei dieser Gelegenheit die Hautporengeschichte und unbiegsam und so einiges mehr rausgeflogen.

Mit ein bisschen mehr Abstand werde ich nochmals über die Geschichte gehen und schauen, was ich an überflüssiger Dramatik tilgen kann, ohne die Geschichte sinnzuentstellen.

Nochmals lieben Dank für eure Mithilfe, die ich gerne annehme.

Lieben Gruß
lakita

 

hallo Lakita,

so ganz konnte mich dein Text auch nicht überzeugen. Du hast viel erklärt und erzählt und ich hätte mir gewünscht, dass du den ein oder anderen Satz einfach mehr wirken lässt.

Manchmal zerfrisst mich der Neid, wenn mein Mann Thomas so friedlich neben mir schlummert.
Seit zwanzig Jahren bin ich nachts nicht mehr vor mir sicher. Bevor ich ins Bett gehe, muss ich mich entscheiden: Entweder nehme ich ein Schlafmittel oder ich schrecke aus dem Schlaf hoch und quäle mich, wieder einzuschlafen.
Hier hätte ich eher eine Szenerie beschrieben, wie sie z.b. aufsteht, zum Fenster geht, ein Glas Milch trinkt, letztendlich ein Schlafmittel nimmt, neidisch auf ihren Mann blickt und dann einfach den Satz "Mutter würde noch leben, wenn ich damals nicht geschlafen hätte" denkt, also auch das "ich weiß" weglassen.

Ich weiß, dass Mutter noch leben würde, wenn ich damals nicht geschlafen hätte.

Das ist die einzige unverrückbare Tatsache in meinem Leben. Meine Schuldkonstante, nach der sich alles Nachfolgende ausrichtet. Reue und Sühne sind höhnische Geister.
Ich finde, der Text braucht diese Erklärung nicht. Sie hat ein schlechtes Gewissen, fühlt sich schuldig. Das geht aus dem Text hervor.

Natürlich gab es noch mehr Gründe für Mutters Tod
mit dem Satz nimmst du komplett die ganze Spannung raus. Warum nicht einfach weglassen?

„Nein, diese irrsinnigen Schulden waren nicht die Ursache ihres Todes. Mutter würde noch leben, wäre ich damals wachgeblieben.“
Würde ein Erwachsener ein Kind, was sich schuldig fühlt nicht trösten? Aufklären? Es wäre sinnvoller, wenn sie diese tiefe Schuld mit sich selbst ausmacht, aus Scham schweigt und fest davon überzeugt ist, dass allein sie für den Tod der Mutter verantwortlich ist. Sie kann es nicht verarbeiten und schleppt diese Last noch heute als erwachsener Mensch mit sich rum. Das wäre für mich der Kern der Geschichte.

Auch fehlt mir ein bisschen die kindliche Sicht in der Geschichte.

In diesem Sinne - das war mein Senf
lg
Engelchen

 

Hallo Engelchen,

auch dir lieben Dank für dein Feedback und die Kritik.

Sie kann es nicht verarbeiten und schleppt diese Last noch heute als erwachsener Mensch mit sich rum. Das wäre für mich der Kern der Geschichte.

Genau das ist der Kern der Geschichte. Deswegen schläft sie bis heute schlecht oder gar nicht. Und was auch für Gründe noch für den Tod der Mutter existieren, sie fühlt sich lebenslang schuldig.

Ich fürchte, ich sehe im Moment nicht, wo ich an welchen Stellen unklar bin.

Die von dir vorgeschlagene Änderung der Anfangsszene werd ich mir gern überleben, das klingt wesentlich lebendiger.

Und die Passage mit den weiteren Gründen für den Tod der Mutter, nehme ich raus. Ich kann wirklich auf sie verzichten.

Lieben Dank für deinen "Senf".

Lieben Gruß
lakita

 

Hallo Elvira,

dieser Text ist besser als die erste Version, aber richtig rund finde ich ihn nicht und es wäre eine anspruchsvolle Aufgabe, ihn gut zu machen. Wenn es um die Geschichte der eigenen Familie geht, kommt man leicht vom Hundertsten ins Tausendste. Das ist mein erster Kritikpunkt: Viele Passagen sind für das Erzählen der Geschichte nicht notwendig und verzögern den Lesefluss. Der Erzählton, den Quinn in der ersten Version unsympathisch fand, scheint immer noch durch. Er wirkt etwas überheblich: diese dummen, undankbaren Pirmasenser! Dazu kommen Formulierungen, die künstlich klingen, so als wollte die Autorin die Leser durch eine besonders literarische Ausdrucksweise beeindrucken, anstatt einfach zu erzählen, was passiert ist.

Meiner Meinung nach ist das Wichtigste – falls du diese Geschichte überarbeiten willst - eine Struktur zu finden, die das Wesentliche einfängt. Ich weiß nicht, inwiefern diese Geschehnisse autobiographisch sind. Falls sie es sind, tut es sicher weh, damit zu arbeiten. In der momentanen Version klingen viele Passagen nach Rechtfertigung, nach Vermeidung, nach Nacherzählung.

Einige Anmerkungen noch:

Ich weiß, dass Mutter noch leben würde, wenn ich damals nicht geschlafen hätte.
Das bringt den zentralen Konflikt der Geschichte auf den Punkt.

Das ist die einzige unverrückbare Tatsache in meinem Leben. Meine Schuldkonstante, nach der sich alles Nachfolgende ausrichtet. Reue und Sühne sind höhnische Geister.
Das klingt künstlich und ist unnötig.

Natürlich gab es noch mehr Gründe für Mutters Tod. Hilflos erlebte sie wie der Lungenkrebs ihr, den geliebten Vater nahm. Die Scheidung, in die sie hineingezwungen wurde und die unbezahlbare Schuldenhöhe aus dem Betrieb.
Das steht schon an anderen Stellen.


Meine Familie pflegte nicht den geringsten Kontakt zu den Amis. Man sah durch sie einfach hindurch. Und sie waren letztendlich gezwungen, mit uns dasselbe zu tun.
Heute ist Pirmasens nur noch ein lustlos von den Amis und den Schuhfabrikanten liegengelassener Ort mit einem lächerlich wirkenden Marktplatz. Als vor einigen Jahren der alte Stadtkern ein neues Gesicht bekommen sollte, verloren unsere Stadtväter ganz offenbar jedes gesunde Maß. Sie schufen ein pompöses Monstrum, das so peinlich ist als ritte ein römischer Feldherr in voller Rüstung auf einem Schaf.
In dieser Länge gehört das nicht zur Geschichte und die Metapher zieht (bei mir) nicht.

Pirmasens ist eingebettet in den Pfälzer Wald, den ich immer geliebt habe. Meine Heimat entfaltet ihren Reiz vor den Stadttoren. Da sind die rotfelsigen Wälder, dazwischen geschichtsträchtige Burgen und Geheimnisse verbergende Ruinen. Schmale Landstraßen, die sich durch moosfeuchte Täler schlängeln und ein Stückchen weiter sind die vielen enggassigen Winzerdörfer der deutschen Weinstraße. Sommertags ist die Pfalz ein laues Lüftchen, das meine Wangen streichelt. Im Herbst riecht es nach Tannennadeln, würzigem Laub und in der Weingegend säuerlich nach Maische.
Diese Beschreibung fand ich sehr schön.

Im Rückblick vermag ich dies zu erkennen. Denn ist Glück nicht die Abwesenheit von Unglück?
Wieder eine unnötige, künstliche Stelle.

Wann genau meine Mutter anfing, sonderbare Dinge zu erleben, kann ich nicht sagen.
Solche Formulierungen, die Unwissen und Zögern ausdrücken, wirken generell nicht gut, in literarischen Texten.

Panisch packte mich Mutter und schob mich in das fensterlose Bad. Dort verharrten wir beide still bei abgeschlossener Tür. Es schellte ein zweites Mal.
„Oh Gott, sie werden jetzt die Tür einschlagen.“
Das ist sehr dramatisch und man kann die Sinneseindrücke gut beschreiben.

Oma litt seit Jahren an einer krankhaften Schläfrigkeit. Sobald sie auf einem Stuhl oder Sofa saß, fielen ihr unvermittelt die Augen zu, der Kopf kippte vornüber und sie schlief fest mit vor der Brust verschränkten Armen. Kein Lärm konnte sie dann wecken. Ausgerechnet Oma sollte also Mutti nachts bewachen, damit ich schlafen konnte.
Für diese Geschichte ist das zu ausführlich.

„Und wie komm ich jeden Tag von dort nach Pirmasens zur Schule? Da brauche ich ja unendlich mehr Zeit.“
„Beklag dich nicht bei mir! Was bringt sich deine Mutter auch um.“
Das ist heftig!

Tut mir leid, dass ich Dir keine erfreuliche Kritik schreiben konnte.

Liebe Grüße,

Berg

 

hallo Lakita,
ich nochmal.
[

Genau das ist der Kern der Geschichte. Deswegen schläft sie bis heute schlecht oder gar nicht. Und was auch für Gründe noch für den Tod der Mutter existieren, sie fühlt sich lebenslang schuldig.
Da hab ich mich etwas falsch ausgedrückt. Klar, ist das auch schon in deiner Version der Kern der Geschichte, aber ich fände es eben besser, wenn das alles etwas indirekter wäre...bäh...wie drücke ich das jetzt aus was ich meine? :confused:
Also : Ich würde die Geschichte anders anpacken. Dem Leser nicht von vorneherein erzählen, warum sie so schlaflos ist. Vieleicht dehnst du das erstmal aus und so nach und nach kommt der Brocken "Mutter" hoch. Vieleicht träumt sie immer wieder Szenen, die sie dann nachts schweissgebadet aufwachen lassen und so erfährt der Leser Löffelchenweise, was damals passiert ist. Vieleicht hat sie deswegen Eheprobleme, weil sie es nie jemanden anvertraut hat, auch nicht ihrem Mann. Der könnte von ihr genervt sein, ständig bohren, warum sie nachts durchs Haus geistert statt zu schlafen....Irgendwie sowas, also mehr Handlung.

In deiner Version wird mir das für meinen Geschmack zu sachlich erzählt, so wie man es einem Therapeuten erzählen würde. "Ich fühle mich am Tod meiner Mutter verantwortlich, obwohl andere Gründe die Ursache waren". Ich will den Konflikt den deine Prot hat mehr miterleben. ...so, ich hoffe du verstehst, was ich damit sagen will.

lg Engelchen

 

Hallo Lakita

Manchmal zerfrisst mich der Neid, wenn mein Mann Thomas so friedlich neben mir schlummert.
Seit zwanzig Jahren bin ich nachts nicht mehr vor mir sicher. Bevor ich ins Bett gehe, muss ich mich entscheiden: Entweder nehme ich ein Schlafmittel oder ich schrecke aus dem Schlaf hoch und quäle mich, wieder einzuschlafen.

Diesen Einstieg finde ich sehr gelungen, denn er gibt mir einen entscheidenden Eindruck über die Befindlichkeit der Protagonistin. Natürlich taucht mir die Frage auf, was sie bisher dagegen zu unternehmen versuchte, aber dies ist ein Nebengedanke von mir als Leser. Die Figur, ihre Belastungen, welche sie mit sich da wohl herumträgt, interessieren mich da als Leser.

Gleich darauf kommt auch der Hinweis auf die Ursache, die Chronifizierung einer Traumatisierung. Sie fühlt sich verantwortlich für den Tod ihrer Mutter. Mehr wird an dieser Stelle noch nicht preisgegeben, was die Spannung aufrechterhält.

Die Rückbesinnung auf ihre Zeit als Kind macht Sinn, denn da generierte sich ihr Problem. Was etwas fremd wirkt, ohne dass es mich gross stört, ist die relative Ausführlichkeit, mit der Pirmasens beschrieben wird, das Verhältnis und die Abhängigkeit zu den stationierten amerikanischen Soldaten und der Schuhfabrik. Der Kausalbezug zum Geschehen um die Prot. scheint mir da etwas ausgereizt.

Ich musste Kater Tom zurücklassen. Er war es gewöhnt, gleich aus der Wohnung über die Terrasse zu stürmen, um sich tagsüber, während ich in der Schule war, die Zeit in Feld und Flur zu vertreiben.

Schön die Einfügung dieser Szene. Nach der Scheidung ihrer Eltern, welche für ein Kind stets eine Belastung darstellt, dies es verarbeiten muss, noch eine Trennung von ihrem geliebten Kater. Es sind solche Spuren, welche bei späteren noch grösseren Enttäuschungen oder schweren Ereignissen den Belastungsfaktor mitprägen können.

Wann genau meine Mutter anfing, sonderbare Dinge zu erleben, kann ich nicht sagen. Es schlich sich zunächst als alltägliche Begebenheiten in unser Leben.

Wiederum sehr glaubhaft, diese Entwicklung der Mutter, welche das Kind aus seiner Sicht mitbekam und mit Unverständnis reagierte.

„Nein, das zählt nicht mehr. Sie wollen das ganze Geld. Ich habe es in ihren Gesichtern gesehen. Sie sind zu allem entschlossen. Sie werden sich brutal alles Geld holen. Mein Gott, ich habe aber das Geld nicht.“

Was hier, wie dem folgenden Text entnommen werden kann, einer paranoiden Angstvorstellung der Mutter zuzuschreiben ist, klingt nicht mal so extrem fremd. Es gibt durchaus Inkassofirmen, die insolvente Gläubiger verbal äusserst massiv bedrängen und diese hierfür auch persönlich aufsuchen.

Die Nebelschwaden der Sinnestäuschung zogen bald erneut durch Mutters Gehirn.

Eine sympathische Formulierung für ihren Zustand, die den Gefühlen der inzwischen reiferen jugendlichen Protagonistin durchaus zugeordnet werden kann, scheint mir.

„Sagt es doch endlich! Klagt mich endlich an. Ich habe meine Mutter im Stich gelassen.“
Aber sie straften mich viel schlimmer. Sie schwiegen.

Sehr realistisch dünkt mir auch hier, das Schuldbewusstsein, welches über die Protagonistin hereinstürzt. Auch wenn die Protagonistin es ziemlich sicher nicht allein dem Schlaf zurechnet, sondern eine Kumulation vergangener vermeintlicher Unterlassungen aufreiht, ist es denkbar, dass sie gerade dies in den Fokus stellt.

„Ist Lisbeth deine Freundin?“
„Ja, sie ist meine Frau. September bekommen wir einen Sohn.“

Das Ja sie ist meine Frau, scheint mir ein kleiner Widerspruch in der Antwort. Ich stelle mir vor, dass sie verheiratet sind, dann entfällt das Ja. Es klingt dann auch bestimmter.

„Beklag dich nicht bei mir! Was bringt sich deine Mutter auch um.“

Ich schwieg voller Scham.


Das Ende erschien mir so stimmig, die Lieblosigkeit in der die Prot. dann heranwuchs, wurde ihr ein Verstärker ihrer unaufgearbeiteten Belastungen.

Ich weiss, du ziehst Kritiken vor. Dennoch möchte ich es aus meiner subjektiven Lesersicht so formulieren. Ich finde zusammenfassend, deine Geschichte von starker Aussagekraft und den Inhalt der Entwicklung deiner Protagonistin gut erarbeitet.
Die Schwierigkeit ist, so wie ich es einschätze, dass es in der Form von Erinnerung ist, vieles darum aus retrospektiver Sicht erzählt werden muss und dadurch weniger aktives, unmittelbares Geschehen zulässt. Dies betrifft meines Erachtens vor allem die erste Hälfte, nachher lockert es sich mehr auf.

Ich hatte auch schon die erste Version von Pirmasens gelesen. Es stimmt schon, dass es beim Lesen sich hinzieht. Eine Nuance dieses Stils ist auch hier vorhanden. Doch ich denke, es sind eben Teile, die dir wichtig, aber möglicherweise schwierig sind, in andere Formen zu pressen. Manchmal findet man ja nach einer grösseren Distanz andere Formulierungen. Ansonsten finde ich es berechtigt, dass es mir als Leser und vor meiner eigenen Subjektivität, nicht immer in allen Details genau entsprechen muss.

Gern gelesen.

Gruss

Anakreon

 

Hallo Berg,

danke für deine ausführliche Kritik, mit der ich durchaus etwas anfangen kann, aber zu der ich auch noch Fragen habe.

Der Erzählton, den Quinn in der ersten Version unsympathisch fand, scheint immer noch durch. Er wirkt etwas überheblich: diese dummen, undankbaren Pirmasenser!
Magst du mir da Beispiele geben, denn ich scheine vielleicht betriebsblind zu sein.

Ich würde nur auf diese Stelle tippen, aber deine Kritik wirkt auf mich so als habe ich da an noch weiteren Stellen überheblich formuliert.


Das ist die einzige unverrückbare Tatsache in meinem Leben. Meine Schuldkonstante, nach der sich alles Nachfolgende ausrichtet. Reue und Sühne sind höhnische Geister.
Ich denke drüber nach, ob ich es tilge.

Natürlich gab es noch mehr Gründe für Mutters Tod. Hilflos erlebte sie wie der Lungenkrebs ihr, den geliebten Vater nahm. Die Scheidung, in die sie hineingezwungen wurde und die unbezahlbare Schuldenhöhe aus dem Betrieb.
schon gelöscht


Meine Familie pflegte nicht den geringsten Kontakt zu den Amis. Man sah durch sie einfach hindurch. Und sie waren letztendlich gezwungen, mit uns dasselbe zu tun.
Heute ist Pirmasens nur noch ein lustlos von den Amis und den Schuhfabrikanten liegengelassener Ort mit einem lächerlich wirkenden Marktplatz. Als vor einigen Jahren der alte Stadtkern ein neues Gesicht bekommen sollte, verloren unsere Stadtväter ganz offenbar jedes gesunde Maß. Sie schufen ein pompöses Monstrum, das so peinlich ist als ritte ein römischer Feldherr in voller Rüstung auf einem Schaf.
ich werde versuchen, es zu kürzen.

Seltsamerweise findest du den nachfolgenden Absatz nicht zu lang, obwohl er auch nur Lokalkolorit enthält.


Im Rückblick vermag ich dies zu erkennen. Denn ist Glück nicht die Abwesenheit von Unglück?
möchte ich behalten.

Wann genau meine Mutter anfing, sonderbare Dinge zu erleben, kann ich nicht sagen.
stimmt, formulier ich um.

Oma litt seit Jahren an einer krankhaften Schläfrigkeit. Sobald sie auf einem Stuhl oder Sofa saß, fielen ihr unvermittelt die Augen zu, der Kopf kippte vornüber und sie schlief fest mit vor der Brust verschränkten Armen. Kein Lärm konnte sie dann wecken. Ausgerechnet Oma sollte also Mutti nachts bewachen, damit ich schlafen konnte.
ich finde, dass hier kein Wort zu viel ist. Wo würdest du da kürzen, ohne den Sinn zu entstellen?


Und wie komm ich jeden Tag von dort nach Pirmasens zur Schule? Da brauche ich ja unendlich mehr Zeit.“
„Beklag dich nicht bei mir! Was bringt sich deine Mutter auch um.“
du schreibst, das sei heftig. Weil es dir textlich missfällt?

Tut mir leid, dass ich Dir keine erfreuliche Kritik schreiben konnte.
Das muss dir nicht leid tun. Mir gefällt auch nicht jede Geschichte.

Nochmals lieben Dank für deine Mühe und konstruktive Kritik.


@ Engelchen,

danke, dass du es nochmals präzisiert hast. So verstehe ich deinen Einwand viel besser. Deine Hinweise, wie man diese Geschichte besser aufbauen können, sind gut. Ich möchte diese Geschichte zwar nicht daraufhin umschreiben, aber deine Einschätzung, wie es auch gehen könnte, hilft mir für zukünftige Geschichten weiter.
Lieben Dank dafür.


@ Anakreon,

herzlichen Dank für dein positives Feedback.

Deine Hinweise greife ich ebenfalls gerne auf. An anderer Stelle habe ich schon mitgeteilt, dass ich mit etwas mehr Abstand nochmals über die Geschichte gehen werde, um mich vielleicht doch von einigen Sätzen zu trennen. Ich kenne mich in diesem Punkt ganz gut und bin meist nach einer gewissen Zeit in der Lage auf der anderen Seite, nämlich der des Lesers zu stehen.

Auf jeden Fall hat es mich sehr gefreut, dass du die Sätze rausgeholt hast, die dir gefielen. Für mich stellt deine Kritik insoweit ein gesundes Gegengewicht zu all den anderen Kritiken dar und gibt mir auf diese Weise den Mut, mit Ausdauer weiterzumachen. Dankeschön dafür! :kuss:

Deine kritischen Anmerkungen habe ich aber dennoch nicht überlesen und werde sie zu beherzigen wissen. Zum Teil sofort, zum Teil mit etwas Distanz zur Geschichte.

Die Sache mit den Amerikanern erscheint mir selbst zu wenig in die Geschichte einbezogen. Ich wollte Lokales aufzeigen, aber ich sehe ein, das ist mir nicht gut gelungen. Es steht wie ein Fremdkörper im Text.
Ich könnte es im Moment nur wegkürzen oder gar löschen, aber mir ist die Tatsache, dass Pirmasens im Grunde genommen eine Garnisonsstadt war, irgendwie wichtig. Ich kenne so viele deutsche Städte, jede hat ihren eigenen Charakter. Aber dieses Besetztsein durch die Amis empfand ich immer als etwas Ungewöhnliches.


Es gibt durchaus Inkassofirmen, die insolvente Gläubiger verbal äusserst massiv bedrängen und diese hierfür auch persönlich aufsuchen.
oh yes, z.B. Moskauinkasso :D
Aber vor 20 Jahren träumten die noch in ihren Windeln zu Balalaikaklängen.


„Ist Lisbeth deine Freundin?“
„Ja, sie ist meine Frau. September bekommen wir einen Sohn.“

Das Ja sie ist meine Frau, scheint mir ein kleiner Widerspruch in der Antwort. Ich stelle mir vor, dass sie verheiratet sind, dann entfällt das Ja. Es klingt dann auch bestimmter.

stimmt, ändere ich.

Ansonsten finde ich es berechtigt, dass es mir als Leser und vor meiner eigenen Subjektivität, nicht immer in allen Details genau entsprechen muss.
stimmt!

Gern gelesen.
dito ;)


Herzlichen Dank und lieben Gruß

lakita

 

Hallo lakita,

du fragst, wo in dem Text ich noch Reste des überheblichen Erzähltons finde. Ich würde sagen, in folgenden zwei Absätzen:

Meine Familie pflegte keinen Kontakt zu den Amis. Man sah durch sie einfach hindurch. Und sie waren letztendlich gezwungen, mit uns dasselbe zu tun. Im Grunde genommen verhielten sich alle Pirmasenser so.

Heute ist Pirmasens nur noch ein lustlos von den Amis und den Schuhfabrikanten liegengelassener Ort mit einem lächerlich wirkenden Marktplatz. Als vor einigen Jahren der alte Stadtkern ein neues Gesicht bekommen sollte, verloren unsere Stadtväter ganz offenbar jedes gesunde Maß. Sie schufen ein pompöses Monstrum, das so peinlich ist als ritte ein römischer Feldherr in voller Rüstung auf einem Schaf.


Oma litt seit Jahren an einer krankhaften Schläfrigkeit. Sobald sie auf einem Stuhl oder Sofa saß, fielen ihr unvermittelt die Augen zu, der Kopf kippte vornüber und sie schlief fest mit vor der Brust verschränkten Armen. Kein Lärm konnte sie dann wecken. Ausgerechnet Oma sollte also Mutti nachts bewachen, damit ich schlafen konnte.
Das fand ich zu lang. Hier genügt doch, zu schreiben, dass der Oma oft unvermittelt die Augen zufielen und sie daher keine vertrauenswürdige Bewacherin war.

Und wie komm ich jeden Tag von dort nach Pirmasens zur Schule? Da brauche ich ja unendlich mehr Zeit.“
„Beklag dich nicht bei mir! Was bringt sich deine Mutter auch um.“
du schreibst, das sei heftig. Weil es dir textlich missfällt?
Nein, diese Äußerung einem Kind gegenüber finde ich heftig.

Liebe Grüße,

Berg

 

Hallo Berg,
danke für deine Beantwortung.

Ich finde nicht, dass die beiden Absätze überheblich wirken. Es sei denn, du würdest jede Form der Kritik, denn ich halte die Sätze für kritische Bemerkungen, für überheblich halten. Vielleicht haben wir beide jeder eine andere Definition für den Begriff "überheblich".

Mich hatte es nur irritiert, weil deine Aussage in deiner Kritik für mich so klang als sei dir die ganze Geschichte wegen des überheblichen Tons verleidet, denn du schriebst:

Der Erzählton, den Quinn in der ersten Version unsympathisch fand, scheint immer noch durch. Er wirkt etwas überheblich: diese dummen, undankbaren Pirmasenser!

Ich bin nun beruhigt, dass du damit nur die beiden Absätze gemeint hast.

Der Absatz mit der Oma ist mir ansich nicht zu lang, aber ich denke nochmals drüber nach.

Lieben Dank fürs nochmalige Erklären.


Lieben Gruß
lakita

 

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