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Wenn die Trauer sich nochmal eben kurz am Arsch kratzt
Die schmale Diele lag in fast völliger Dunkelheit, als sie die Tür öffnete.
Getrocknete Tränen auf ihren Wangen mischten sich in die Verlorenheit des Ambientes, und Trauer überflutete die wenigen Dinge, die noch vor wenigen Tagen bedeutsam gewesen sein mochten; in einer Welt, in der Erinnerungen mehr zählen als der bloße Hauch einer vorgestellten Glückseeligkeit.
Das grüne Lämpchen des Anrufbeantworters durchbrach in knappen Intervallen die Trostlosigkeit des Hauses; ordentlich bereitgestellte Lackschuhe funkelten schamlos durch die dämpfenden Wände der plötzlichen Einsamkeit und wenn es Hoffnung gab, so war diese vor weniger als einer Stunde zusammen mit dem leblosen Leib ihres Mannes anonym auf dem Hauptfriedhof beigesetzt worden. Zwischen unzähligen Gräbern, die mehr geistige Tote zurückließen, als sie selbst körperliche zu beherbergen vermochten.
Laura schleuderte ihren Mantel zu Boden und ließ sich auf die untersten Treppenstufen fallen. Erneut entledigte sie sich bitterer Tränen; die Vorhut eines Schmerzes, den sie niemals wieder vergessen sollte.
Es verstrichen ein paar Minuten. Ihr Leben - ohnehin die Frist überschritten - quälte sie zum Ende hin besonders grausam.
Sie stand auf und betrat die Küche. Die Flasche Weisswein im Kühlschrank war noch fast bis zum Hals gefüllt, aber heute benötigte sie weitaus mehr als schlaftrunkene Gleichgültigkeit. Das Glas zerschmetterte auf den dunklen Kacheln und sie vollführte einen seltsamen Tanz.
"Jetzt" - sagte sie schrill und lachte dabei. - "Jetzt hätte ich gerne etwas aus deiner Bar, Robert. Hörst du? Heute trinke ich mit dir und lasse den Wein Traubensaft sein."
Sie schob die Kommode an ihren ursprünglichen Platz zurück und ließ den ausziehbaren Wohnzimmertisch in seiner üblichen Stellung einrasten. Laura hatte viel freien Raum benötigt, um beim Schreiben der Einladungskarten nicht den Überblick zu verlieren. Erst im Tode wurde einem bewusst, wieviele Bekannte und Verwandte man tatsächlich hatte. Die meisten waren zu der Beerdigung erschienen, einige wenige hatten ihr kurz knappes Beileid ausgesprochen und eine handvoll Leute war sogar richtig berührt gewesen; beim Leichenschmaus war das Regiment der Trauernden dann aber schlussendlich wieder vereint gewesen.
Haufenweise Geier, die sich im Sturzflug Richtung Erbschaft und Vergünstigungen noch schnell einen Happen für zwischendurch auffangen.
Sie griff sich eine Flasche Whisky. Das Küchenmesser in der anderen Hand, setzte sie an zum Vergessen.
"Sie haben Post!", durchbrach eine roboterhafte, aus dem Keller hochdringende Stimme ihre endgültigen Absichten.
Seid Donnerstag hatte Laura den Keller gemieden. War sein Notebook noch immer eingeschaltet?
Die Klinge zuckte an der pochenden Ader und die Flasche geduldete sich währenddessen im letzten Winkel der ausströmenden Beruhigung.
Laura hielt inne; wie sehr sie ihn noch immer liebte.
Konnte sie noch mehr schmerzhafte Erinnerung vertragen?
Sollte sie die Mail eines Arbeitskollegen lesen, der noch nichts davon wusste, dass ihr Mann niemals wieder imstande dazu war, eine Antwort zu schreiben?
Sie betrachtete den blanken Stahl und dachte nach.
"Wirst dich noch einen Moment gedulden müssen, scharfer Junge", grinste sie der wartenden Klinge dann entgegen. - "Aber deine Zeit wird gleich kommen, also mach dir nicht in die Halterung, Loverboy!"
Die kalten Steinstufen erstreckten sich wie das Fegefeuer vor ihren bestimmten, dennoch zaghaften Schritten. Auf dem sündhaft teuren Schreibtisch stand das schwarze, zu Plastik gewordene Ohr Gottes und wartete auf jedwege Bestätigung seiner weltumspannenden Wissenheit.
Die Gefriertruhe summte den monochromen Gesang der Toten Maschinen und als Lauras blasse Finger die Maus umfassten, den Bildschirm manipulierten, Lotus Notes durchblätterten und diese eine Mail abriefen, da weiteten sich ihre Pupillen, Schweiss ließ die Stirn glitzern und saurer Speichel bahnte sich seinen Weg zu den trockenen Lippen.
Wo warst du am Dienstag, Robert? Wenn dir was dazwischen gekommen ist, hättest du wenigstens kurz von der Telefonzelle aus anrufen können, wenn diese Fotze von deiner Frau schon dein Handy kontrolliert. Ich hab mir auf diesem verpissten Parkplatz den Arsch abgefroren...Wichser! Wenn du trotzdem noch Interesse an meiner Muschi hast, dann solltest du dir was verdammt gutes einfallen lassen. Wünsch dir trotzdem schöne Weihnachten und wenn du deine Laura vögelst, denke an mich.
Deine geile, masturbierende Jaqueline!
"Arschloch", rief sie und dann bohrte sich die Klinge in die tiefsten Eingeweide hinein, ließ jegliches Leben unter den Tönen der Endgültigkeit entweichen. Schließlich wurde das Bild schwarz.
"Für dich werde ich mich nicht umbringen, du dreckiger Hurensohn!"
***
Er hatte die korrekte Ausfahrt verpasst. Sein Navigationssystem war den GPS-Daten bereits vor mehr als einer halben Stunde entkommen und die Autobahn erschien ihm immer mehr wie ein Auflauf raffgiergier Bürger in Stahlkarossen, die eine Guillotine in der unmittelbaren Nähe vermuteten.
Umso abwechslungsreicher war daher der eingängige, mehrstimmige Ton von ´Peter und der Wolf´, der ihn vom Stillstand ablenkte.
Georg griff nach dem Nokia und raunte ein knappes "Hallo" in das verborgene Mikrophon des Winzlings.
"Gute Arbeit. Die Frau lebt noch. Ihre Schwester überweist den Betrag auf das gängige Konto und der für Sie gedachte Betrag wird dann in den nächsten Tagen auf Ihre Bank abgezweigt. Mit dem nächsten Ziel wird es allerdings etwas enger. Wo sind Sie?"
"Am Kölner Ring vorbei. Dauert noch einen Augenblick."
Ein gereiztes Raunen offenbarte ihm die Missgunst des anderen über diese Verspätung.
"Ich muss wohl nicht betonen, dass es sich hierbei um etwas persönliches handelt?"
Georg kratzte sich am Bart. - "Sebi...wie lange sind Sie bei uns?"
Stille.
"Sie brauchen mir auch nicht zu antworten. Ich werde es für Sie tun. Ganze vier Monate sind es inzwischen. Sie können froh sein, dass ich Ihnen diesen Gefallen überhaupt erweise. Ich weiss doch, wie Ihre Frau unter den ständigen Wutausbrüchen leidet."
"Es war mein einziger Sohn! Sie wird es ohne ihn nicht aushalten, wenn Sie nicht..."
"Halten Sie die Klappe! Die Agentur kümmert sich für gewöhnlich nicht um interne, familiäre Angelegenheiten. Der Rat hält eine Menge von Ihnen...ich hingegen nicht. Ihre Frau kommt in einer Stunde von der Beerdigung zurück, bis dahin bin ich bei euch Zuhause und hab einige nette Dinge hinterlassen. Wie wäre es zum Beispiel damit, das Ihr Sohn einen Kinderpornoring unterhalten hat? Drahtzieher ist so ein verkorkster Typ von seiner Schule, dem können wir das locker anhängen."
Erneute Stille.
"Hängen Sie meinem Sohn an, was Sie wollen. Was darf Ihre Frau denn über Ihre Machenschaften wissen? Denken Sie schnell Georg, Ihr Wagen detoniert in zirka zwanzig Sekunden."
Er dachte wahrhaftig schnell, aber die Pinne der Automatik Verriegelung ließen sich nicht mehr bewegen. Aus dem Heckfenster des schäbigen Volvos, direkt vor seinem pervers gepflegtem Mercedes, lachte Georg ein kleiner Junge frech entgegen und schleuderte dabei seinen Plastik King Kong ununterbrochen vor die poröse Scheibe. Wenigstens würde er dieses dumme Kind mit ins Jenseits reißen. Ein sanftes Lächeln breitete sich über seinen Lippen aus. Dieses Spiel hatte er verloren; sollte Gott ihm doch eine größere Aufgabe im Jenseits erteilen.
"Wenn ich einen Vorschlag machen darf...wie wäre es mit der Wahrheit? Ob sie die glauben wird? Nein, dann doch lieber die Standard Geliebte. Nett, Sie kennengelernt zu haben. Ich weiss, wer meinen Sohn auf dem Gewissen hat. Die Wucht der Explosion wird sie ähnlich gen Himmel katapultieren, wie Ihre egoistischen Erfolgsgedanken."
Alles wurde grell. Georg wäre dennoch gerne einen letzten Satz losgeworden.
Der Junge vor ihm vermutlich auch.
Der King Kong ging in Flammen auf.