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Wachmacher
Es war wieder einer dieser Samstage, die sie noch nicht oft erleben durften. Petra und Paul hatten einen schönen Abend gehabt, sie setzte mal nichts an seinem Hemd aus, sie waren im Kino, der Film gefiel beiden – mehr oder weniger: musste man am Ende von "Alien" weinen? – und auch der Sex danach war toll. Wenn Paul bedachte, dass sie schneller einschlief als er war er wohl gerade zu fantastisch.
Paul wachte am Morgen danach auf, sie schlief noch immer in seinem tauben Arm und er hatte das unaufschiebbare Verlangen seinen Körperflüssigkeitshaushalt entscheidend auszugleichen. Nur, wenn er sich jetzt bewegte würde Petra sofort aufwachen, ihn mit halboffenen Augen anblinzeln, ein "Guten Morgen" brummen, darauf lauschen, ob er die Klobrille nachher wieder herunterklappte und einen Kaffee am Bett erwarten. Paul hatte nichts gegen einen halben Morgengruß auch das Klodeckelrunterklappen hatte er sich angewöhnt - nachdem Petra ihm sagte "Entweder der Deckel kommt runter oder du nich' mehr auf mich rauf" - aber Kaffeetrinken im Bett verhielt sich für ihn wie Spazieren gehen in einem von Hunden frequentierten Park: jede unachtsame Bewegung konnte eine Riesensauerei bedeuten.
Da sich sein Ego nicht mehr lange gegen seine Blase zu wehren wusste schälte er sich vorsichtig aus Petras Umarmung. Millimeterweise hob er ihren Arm an, wobei ihm die Szene einer Bombenentschärfung ins Gehirn schoss. "Das rote oder das blaue Kabel?" dachte er gerade noch als die Bombe mit einem "Gudn Mogn" explodierte.
Er stand jetzt also ein wenig rücksichtsloser auf und begab sich ins Bad. Deckel hoch, Brille unten lassen, hinsetzen … aaaaaah … Deckel wieder runter, spülen, Hände waschen, einen Blick in den Spiegel, bewundernd an sich herunter gucken und wieder ins Bett trotten. Wie immer kam ihm auf halbem Weg zurück ein Wort entgegen, was ihn entfernt an "Kaffee" erinnerte. Er trat freundlich zur Seite, ließ es vorbei und schleppte sich weiter ins baumwollene Reich der Träume. Ein paar Schritte weiter kam ihm nicht nur ein Wort entgegen, ganze Horden stürmten auf ihn ein. Sie klangen nach "Kaffee", "Schnell" und "Grmmmpf", sie klangen eindeutig nicht freundlich und sie trieben ihn, vollkommen chancenlos, in die Küche.
Dort angekommen, durch die Wortbrise einigermassen erfrischt und wach, machte Paul sich daran Kaffee zu kochen. Irgendwie freute er sich jetzt aber auch schon auf den Duft frisch aufgebrühten Kaffees und auf das Geräusch der letzten Reste Kaffees, welche die Maschine noch gerade aufsaugen kann, auch wenn es sich für ihn wie ein Blauwal mit Blähungen anhörte.
Ein paar Minuten später war das Heißgetränk dann auch fertig. Er trank eine Tasse in der Küche, damit er im Bett sagen konnte, dass sein morgendlicher Kaffeebedarf schon gedeckt sei. Somit reduzierte er das Unglücksrisiko eines schwarz gefärbten und ziemlich heißen Bettzeugs um mindestens fünfzig Prozent.
Paul balancierte also mit nur einer randvoll gefüllten Tasse zum Schlafzimmer, behielt die seiner Meinung nach physikalisch viel zu stark schwappende Flüssigkeit adlergleich im Auge, und stieß gegen die geschlossene Schlafzimmertür. Wie in Zeitlupe sah er die gefüllte Tasse nach unten fallen, sie überschlug sich dabei einmal, entleerte das koffeinhaltige Heißgetränk auf die empfindlichste Stelle eines Mannes, schlug dann mit einem dumpfen Geräusch auf seinem rechten großen Zeh auf, um von dort aus geschossartig gegen die Flurwand zu schliddern, wo sie klirrend in ihre Einzelteile zersprang.
Dampf schoss ihm aus den Ohren, er zog so stark die Luft an, dass er fast die Kaffeereste an Wand und Boden eingesogen hätte. "Jetzt bloss keinen heftigen Schmerzensschrei von mir geben", dachte er noch, Petra würde ganz erwachen, das Chaos hier sehen und ihre Morgenmuffeligkeit würde übergangslos in eine 3-Wochen-Muffeligkeit enden.
Durch die Schlafzimmertür hörte Paul das leise Geräusch eines sich in die Bettdecke einwickelnden Körpers. Kurz kam ihm der Gedanke eines ins Gesicht gedrückten Kissens in den Kopf, den er aber schnell wieder beiseite schob um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: SCHMERZ!
Mit verzerrtem Gesicht humpelte er ins nahe Badezimmer. Mühsam versuchte er dort sein bestes Stück unter den kalten Strahl des Wasserhahns zu halten, aber entweder war Paul zu klein oder der Wasserhahn zu kurz. Einem Impuls folgend griff er nach den Zahnputzbechern, entschied sich spontan für Petras, füllte ihn mit kaltem Wasser und ertränkte darin seinen kleinen Freund. Sofort ging es ihm besser und er atmete erleichtert auf. Den Becher entleerte er dann über seinen schon leicht angeschwollenen Zeh.
Vorsichtig und noch immer leicht hinkend ging Paul zurück in den Flur. Ein tiefer Seufzer und zurück in die Küche. Mit Schaufel und Handbesen beseitigte er erst einmal die groben Scherbenreste, feudelte leise die Kaffeereste von der Schlafzimmertür und freute sich, dass er das alles schaffte ohne weitere Geräusche aus der Höhle des Löwen gehört zu haben.
Er war glücklich, seine Schmerzen hatten sich während der morgendlichen Reinigungsarbeiten aufgelöst, nach den Geräuschen an der Tür zum Schlafgemach zu urteilen schlief seine Freundin wieder tief und fest und er konnte sich genüsslich dazu legen.
Gerade stand Paul am Bett, wollte sich umdrehen und sich hinlegen als Petra ihren im Kissen vergrabenen Kopf hob, ihn anblinzelte und freudig lächelnd "Hast du etwa Kaffee gemacht?" fragte sie.
"Ich wollte welchen machen", antwortete er.
Eine hochgezogene Augenbraue.
"Du wolltest welchen machen?"
Verlegen hob er die Achseln.
"Mir ist halt ein kleines Unglück passiert, die Tasse is' mir aus der Hand gefallen. Ich hab' mich ein wenig verbrannt" Er hoffte, dass sie ein wenig Mitleid vom eigentlichen Unglück abhalten würde, sie neigte dazu verrückt zu spielen, wenn sie morgens nicht ihren Kaffee erhielt.
Es schien zu funktionieren.
"Och du Armer" Es klang nicht sehr mitleidsvoll, es könnte auch sein, dass ihr Petras breites Grinsen zu diesem Urteil beitrug.
"Und extra wegen dir hab' ich nicht geschrien"
Das Grinsen wurde, auch wenn es kaum möglich schien, noch ein wenig breiter.
Als Paul ihr dann erklärte was er sich verbrannt hatte war es um Petra geschehen. Das Bett wurde diesen Morgen nicht durch Kaffeeflecken ruiniert, aber Petras Lachtränen waren ein adäquater Ersatz.
Im Aufstehen noch immer lachend sagte Petra: "So, ich geh mir jetzt die Zähne putzen"