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Vorhölle

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01.01.2010
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Vorhölle

Immer wieder schlägt die Anwältin ihren Kopf gegen die Wand.
Ich kauere auf meinem Stuhl und beobachte sie. Jeder Aufprall tönt dumpf, überhaupt klingt alles seit zwei Tagen tonlos. Seltsam, wie sich die Sinne verändern.
Die Kopfstöße der Anwältin sind nicht hart genug für ernste Verletzungen, deshalb schreitet der Professor nicht ein. Ich frage mich, ob sie sich gleichmäßig bewegt und überprüfe das. An der Wand hängt eine Uhr, eine von den alten, deren großer Zeiger mit jeder Bewegung klackt. Ich habe eine Strichliste angelegt, um die Minuten zu zählen. Jedes Klacken führt zu einem Strich, fünf Striche bilden ein Gatter, zwölf Gatter eine Zeile, und nach zwölf Zeilen ist eine Seite gefüllt. Ich habe keine Minute verpasst und sieben Seiten voller Striche.
Insgesamt sind wir fünf. Bevor das Sterben begann, kannte keiner den anderen.
Die Kopfstöße der Anwältin erfolgen unregelmäßig.
Wir befinden uns in einem Einkaufszentrum, genauer gesagt im Aufenthaltsraum für Mitarbeiter der Elektronikabteilung und sind im Augenblick zu dritt. Der Professor sitzt an einem Funkgerät und wechselt Kanäle, auf denen niemand mehr sendet. Die Fernseh- und Radioprogramme fielen zuerst aus, kurze Zeit später die Internetverbindungen, anschließend der Strom. Der Professor hat ein spitzes Kinn – ich glaube nicht, dass ich ihm unter normalen Umständen trauen würde. Aber er klingt, als hätte er einen Plan, und im Notfall hören wir Menschen auf den mit dem Plan. Seine fünf Regeln prangen wie die Gesetze der Animal Farm an der Wand. Er sagt, wenn wir diese Regeln befolgen, überleben wir.
Der Pilot und die Tänzerin sind nebenan in einer Art Ruheraum; dort steht ein Bett. Alle vier bis sechs Stunden gehen sie dahin. Auch dafür habe ich eine Strichliste, hauptsächlich, weil mich das Zählen beschäftigt. Das Stöhnen der beiden dringt zu uns; es klingt immer mehr, als würden hungrige Wölfe um Futter kämpfen. Jeder hat seine Art, mit der Situation umzugehen.
Die Anwältin hat sich beruhigt. Sie befolgt die vierte Regel am häufigsten von uns – seit wir hier sind, war sie über dreißig Mal duschen. Gemäß zweiter Regel dürfen wir uns nicht zu sehr aufteilen. Am riskantesten ist die Benutzung der Toilette, deshalb gehen der Pilot und die Tänzerin auch dort zusammen hin. Wir anderen sind noch zu stolz dafür.
Jeder hat seine Art zu überleben.
Ich führe Listen und schreibe.
Worüber ich schweigen werde: meine Frau. Ihr Name war Rebecca. Mehr werde ich über sie nicht erzählen.

„Was schreiben Sie da die ganze Zeit?“
Die Anwältin will reden. Ihr vom Duschen aufgequollenes Gesicht schwebt wie ein Lampion vor meinem, ihre Haut wirkt im grellen Licht durchsichtig. Die letzte Regel befiehlt, den Raum maximal zu erhellen.
„Sind wohl Schriftsteller, hm?“ Sie trinkt mit Guarana-Pulver versetztes Wasser und raucht Kette. Der Bluterguss auf ihrer Stirn erinnert an einen untergründigen Vulkan.
Die Uhr klackt, und ich mache einen Strich.
„Und was sollen die ganzen Listen?“
Geplatzte Adern quellen durch das Weiß ihrer Augen, bilden rote Flüsse und münden in den Pupillen.
„Mein Mann hat auch geschrieben. War so’n Horrorfan. Hat ständig diese Romero-Filme geschaut und so. Kennen Sie die?“
Sie langweilt mich, und als Ablenkung zähle ich die doppelten Konsonanten ihrer Wörter.
„Er war Lehrer, hat aber von einer Karriere als Autor geträumt. Also hat er ein Buch geschrieben, über sechs Jahre lang. Hat es an Verlage geschickt, Absagen bekommen und umgeschrieben. Und so weiter. Sechs Jahre, immer dasselbe Buch, können Sie sich das vorstellen?“
Meine Augen ruhen auf ihren Lippen.
„Es hieß Fasten und war scheußlich. Es ging um vier Menschen, die sechzig Tage in einem Raum verbringen müssen und nichts zu essen kriegen. Jeder hat ein Skalpell, und das einzige, was sie essen dürfen, sind ihre Körperteile. Aber niemand darf die eigenen essen. Diese vier Menschen können nur überleben, wenn sie sich gegenseitig mit Teilen ihres Körpers füttern. Was halten Sie davon?“
Ich sage nichts, denke dreizehn und zähle weiter.
„Jeder hat ihm gesagt, was das für ein Schund ist, aber er wollt’s nicht einsehen. Hat ständig von der psychologischen Komponente geredet. Es geht nicht um Blut, hat er gesagt. Es geht darum, dass diese Menschen in etwas festsitzen, was der Psychologe Doppelbindung nennt. Wenn man überleben will, braucht man die anderen – aber wenn die überleben sollen, stirbt man selbst. Das macht einen wahnsinnig, hat mein Mann gesagt, und man wird verrückt, lange bevor man verhungert oder verblutet.“
Sie bläst Rauchschwaden in die Luft. Ich bin mit dem Zählen durcheinandergekommen.
„Was ist aus ihm geworden?“, will der Professor wissen.
„Aus wem?“
„Ihrem Mann. Was ist mit ihm passiert?“
Die Anwältin lacht oder hustet. Fährt sich mit der Hand durchs splissige Haar. „Wir werden krepieren. Jeder von uns. Die da drüben können ficken, bis sie schwarz werden, aber auch sie gehen drauf.“
Der Professor schüttelt den Kopf, murmelt von seinen Regeln.
„Das hier“, sagt die Anwältin. „Das kann keiner überleben.“ Sie klingt heiser. „Wir verrecken hier, alle zusammen.“
Der Minutenzeiger klackt. Nächster Strich. Mich beschleicht der Verdacht, einen vergessen zu haben, und das finde ich beunruhigender als alles andere.

Der Pilot hat einen Entschluss gefasst.
„Wir verschwinden, sie und ich.“ Er nickt in Richtung der Tänzerin, hält ihre Hand, die wie eine Klaue aussieht. In den letzten beiden Tagen ist diese Frau um Jahre gealtert, ist vertrocknet, vielleicht wegen der vielen vergossenen Tränen. „Wer mitkommen will, kann das ja tun.“
„Lassen Sie das“, sagt der Professor. „Sie bleiben hier. Wir können nur gemeinsam überleben.“
„Bringt doch nix. Wir wollen probieren, andere Menschen zu treffen. Vielleicht ist ja jemand dabei, der weiß, wie –“
„Andere Menschen?“ Der Professor springt auf, Speicheltropfen sprenkeln den Tisch vor ihm. „Wie denn? Draußen, in den Straßen? Niemand, der bei Verstand ist, verschwendet unnötig Kraft. Wenn was passiert, erfahren wir es hier drin zuerst. Wir haben CB-Funk. Einen Computer. Fernsehen.“
„Ist doch alles tot. Kapieren Sie nicht, dass das ein Wettkampf gegen die Zeit ist? Den können wir nur verlieren.“
„Meine Worte“, sagt die Anwältin. „Auf den Trichter bin ich schon vor Stunden gekommen.“
Die Tänzerin schwankt, und bevor sie umkippt, drückt sie der Pilot an sich.
Der Professor schüttelt den Kopf, und ich frage mich, worum es ihm geht. Vielleicht steht er auf die Tänzerin und ärgert sich, dass ihm die Idee mit dem Nebenzimmer nicht als sechste Regel eingefallen ist. Viel Licht, duschen, zusammenbleiben. Das waren die Vorschläge dieses Theoretikers, der Pilot war da pragmatischer. Und so schnell, wie die Tänzerin mitgemacht hat, ist ihre Berufsbezeichnung höchstwahrscheinlich ein Euphemismus.
„Wenn Sie da rausgehen, sind Sie allein. Und vermutlich in ein paar Stunden tot.“
„Hör nicht auf ihn“, sagt die Tänzerin, die vor Erschöpfung in abgehackten Sätzen spricht. „Er hat schon vor zwei Tagen gesagt. Dass Hilfe kommt. Lass uns abhauen.“
Der Pilot blickt zwischen der Tänzerin und dem Professor hin und her, fährt mit der Hand über sein zerknittertes Gesicht, schlottert – eine Nebenwirkung des Ephedrins. „Herrgott, ich weiß doch auch nicht. Mir platzt gleich der Schädel.“
„Hören Sie“, sagt der Professor, „ich weiß, was Sie meinen. Und Sie haben recht. Wir können so nicht ewig weitermachen. Wenn es so weitergeht, halten wir keine zwei Tage mehr durch. Aber es gibt eine Möglichkeit, wie wir unsere Zeit verlängern können.“
Es ist anstrengend, gleichzeitig der Unterhaltung und dem Minutenzeiger zu folgen.
„Mir ist das gestern eingefallen. Und ich hätte es früher vorgeschlagen, wenn der Plan nicht einen großen Nachteil hätte.“
„Und der wäre?“, fragt der Pilot.
„Dass wahrscheinlich einer von uns dabei sterben wird.“
Die Anwältin pfeift durch die Zähne. „Schlau“, sagt sie.
„Was meinen Sie?“, wiederholt der Pilot, wütend wie ein Schüler, der an der Division scheitert.
„Er meint“, sagt die Anwältin, „wir sollen schlafen.“
Kurze Stille. Das verbotene Wort ist gefallen.
Die Tänzerin reißt ihre Augen auf, abgelagerter Schleim zieht Fäden vor ihren Pupillen. „Nein. Bitte nicht. Haben Sie gesehen. Was passiert. Wenn sie schlafen?“
Der Professor nickt. „Ich weiß, was passiert. Meine Idee –“
Der Körper der Tänzerin bebt, sie reißt sich vom Piloten los. „Haben Sie es. Gesehen?“
„Hören Sie mir doch zu. Meine Idee ist, dass wir nur für kurze Zeit schlafen. Ein paar Minuten. Das machen wir abwechselnd, immer länger. Und so finden wir raus, wie lange es geht, bis – bis – nun, bis –“
„Nein.“ Die Tänzerin kotzt dem Professor die Worte ins Gesicht. „Niemals. Niemals.“
„Und wenn wir das wissen?“, will der Pilot wissen.
Der Professor zuckt mit den Schultern. „Dann kennen die Übrigen die Grenze, bis zu der Schlaf möglich ist. Wir müssen das versuchen, wenn keine Hilfe kommt. Wir können ja nicht ewig wach bleiben.“
Bis auf das Schluchzen der Tänzerin wird es still, und ich schaue in alle vier Gesichter.
Papieren, sumpfig. Wie aufgeweichte Masken.

Der Professor schreibt Zahlen von 1 bis 5 auf Zettel, faltet sie identisch zusammen und legt sie vor sich auf den Tisch. „So ist es fair. Die Nummern sind die Reihenfolge, in der wir schlafen. Nummer 1 fängt an, und so weiter. Es sei denn, jemand möchte freiwillig beginnen.“
Keine Wortmeldung. Der Kopf der Tänzerin pendelt hin und her, sie flüstert Unverständliches.
„Ich schlage vor, wir arbeiten uns in Schritten von fünfzehn Minuten vorwärts. Weniger ist sinnlos. Wenn alles gut geht, haben wir am Ende fünfundsiebzig Minuten geschafft. Das rettet unsere Leben.“
Weder seine Stimme noch seine Körpersprache strahlen Zuversicht aus. Er fällt immer mehr in sich zusammen, steht und sitzt mit jeder Stunde buckliger. Vermutlich weiß er, dass wir den Versuch nach der Nummer 1 abbrechen werden.
„Also, was ist? Ich weiß nicht, was wir sonst tun sollen. Wenn jemand eine bessere Idee hat, wäre jetzt der passende Moment dafür.“
„Ich mach da nicht mit“, sagt die Tänzerin, die Haut weiß, den Blick auf den Fußboden gerichtet. „Ich werd nicht schlafen. Nicht eine Sekunde.“
Der Pilot legt einen Arm um ihre Schulter. „Lass es uns versuchen, ja? Früher oder später schlafen wir eh ein, also lass es uns kontrolliert machen. Vielleicht hat er recht. Vielleicht dürfen wir einfach nicht zu lange schlafen.“
Die Tänzerin weint. „Ich kann nicht mehr. Versteh das halt. Ich kann. Nicht mehr.“
„Letale familiäre Insomnie“, sagt die Anwältin. „Kennen Sie das? Die Betroffenen erreichen die Tiefschlafphase nicht mehr. Anfangs sind sie nur müde. Können sich nicht mehr richtig konzentrieren. Schon einfache Handgriffe machen Probleme. Ähnlich wie bei uns jetzt. Mit der Zeit kommen Halluzinationen dazu. Die Betroffenen denken, sie würden träumen, dabei sind sie hellwach. Irgendwann können sie gar nicht mehr schlafen. Sie krampfen. Machen sich in die Hose und so. Am Ende fallen sie in ein Koma, und das war’s.“
„Woher wissen Sie das alles?“, fragt der Pilot und wird ignoriert.
„Es dauert ein Jahr oder so. Heilung gibt’s keine. Wenn wir nicht wenigstens einen leichten Schlaf kriegen, werden wir denselben Verlauf in sieben Tagen durchmachen. Wollen Sie das? Wenn die ersten Halluzinationen kommen, ist es zu spät. Dann können Sie nichts mehr frei entscheiden.“
Die Tänzerin hat ihre Kopfschwingungen eingestellt und blickt die Anwältin stumm an.
Der Professor nimmt die Zettel in die Hand. „Ich stimme dem zu. Jetzt haben wir noch die Wahl. Es wäre fahrlässig, die nicht zu nutzen.“
Er hält mir die gefalteten Zettel unter die Nase. „Ziehen Sie.“
Ohne zu zögern greife ich in seine Hand. In meinem Kopf ertönt ein Sirren, und drei neugierige Augenpaare sowie meins schauen auf den auseinandergefalteten Zettel. Er zeigt die 4.
Die Anwältin zieht als Nächste.
Um mich abzulenken, multipliziere ich vier wieder und wieder mit sich selbst.
Die Anwältin stöhnt, während Zahlen mein Bewusstsein fluten. Auf ihrem Zettel steht die 3.
„Jetzt Sie“, sagt der Professor und hält der Tänzerin die Zettel hin. Sie weicht zurück, dreht sich weg wie ein Kind, das nicht essen will.
„Ich ziehe“, sagt der Pilot. Seine Hände zittern, er bekommt den Zettel kaum auseinander. „Zwei“, ruft er, als ich bei der ersten fünfstelligen Zahl ankomme, deren Multiplikation mit vier mich vielleicht überfordert. Ich kann nicht sagen, ob der Pilot erleichtert oder ängstlich klingt.
„Und jetzt Sie“, wiederholt der Professor zur Tänzerin. In seiner offenen Hand liegen noch zwei Zettel. Einer davon ist das große Los.
Die Zahlen in meinem Kopf fallen in ihre Ziffern auseinander. Mir wird schwindlig.
„Nein.“
„Ziehen Sie! Wir haben gemeinsam entschieden. Keiner drückt sich.“
Sie schüttelt den Kopf. Ich frage mich, wie aus diesen kleinen Augen so viele Tränen fließen können. „Bitte.“ Sie blickt uns reihum an, am Ende den Piloten, doch niemand kann ihr helfen. Niemand will es.
„Gut, dann eben so“, sagt der Professor und wirft ihr einen Zettel in den Schoß. Er öffnet den eigenen, betrachtet ihn lange und zeigt ihn in die Runde: 5.
Die Tänzerin springt von ihrem Stuhl auf, der ungeöffnete Zettel fällt auf den Boden. „Nein“, schreit sie. „Das ist – das ist Betrug. Ich wollte den nicht.“
„Ich hab Sie zweimal gefragt, und Sie wollten nicht ziehen. Jetzt ist entschieden. Sie fangen an.“
„Nein! Das war Absicht! Das war Absicht! Damit Sie als Letzter dran sind.“
Sie legt beide Arme an den Körper, geht in die Hocke und brüllt. Ihr Gesicht läuft dunkelrot an, der Schrei wird wie ein Querschläger von den Wänden zurückgeworfen. Die Anwältin hält sich die Ohren zu, ruft: „Hören Sie auf.“
Stattdessen wird die Tänzerin noch lauter. Der Pilot macht einen Schritt auf sie zu, nennt ihren Namen, und in diesem Moment blitzt ein Gegenstand in ihrer Hand auf. Ich erkenne das Messer erst, als sie es über ihre Kehle zieht und der Schrei in ein Gurgeln übergeht. Blut quillt über ihren Körper. Alle brüllen und taumeln durch den Raum wie Planeten, deren Umlaufbahnen zusammenbrechen, weil ihre Sonne stirbt. Erst als die Tänzerin niedersackt, wirft sich der Pilot auf sie, hält ihren Kopf und weint. Es klingt leise und weit entfernt.
Ich habe das Bild vor Augen, wie er im Nebenzimmer mit ihrem besudelten Körper kopuliert. Eben sind wir Zeugen geworden, wie sich ein Mensch aufschlitzt, um nicht schlafen zu müssen. Wie weit mag dann ein anderer gehen, um wachzubleiben?

Wie ein Leichnam liegt der Pilot auf dem Sofa.
„Ich kann unmöglich einschlafen“, sagt er.
Gemäß meiner Liste ist die Tänzerin seit sieben Stunden und zweiundzwanzig Minuten tot. Es wurde diskutiert, ihre Leiche aus dem Aufenthaltsraum zu schaffen. Als die Anwältin den Einwand brachte, das Blut und sein metallischer Geruch würden davon nicht verschwinden, wurde es für einfacher befunden, dass die Lebenden statt der Toten den Raum wechseln.
Jetzt sind wir in der Leseecke einer Buchhandlung. Ich vermisse das Klacken des Minutenzeigers und muss die Uhr an der Wand noch aufmerksamer beobachten.
„Wie erkennen Sie, ob ich schlafe? Ich meine, braucht man dafür nicht irgendwelche Geräte, die Gehirnströme oder so was messen?“
„Ja“, sagt der Professor. „Nur erstens haben wir solche Geräte nicht hier, und zweitens wüsste auch keiner von uns, wie man die anschließt und auswertet. Wir machen das auf die Hausfrauenart: Ich hebe Ihren Arm in die Luft, wenn er zurückfällt, definieren wir das als Schlaf. Was Besseres weiß ich nicht.“
Durch den Tod der Tänzerin rückte jeder von uns in der Liste um einen Platz nach vorne.
„Eine Viertelstunde, ja? Dann wecken Sie mich auf, versprochen?“
Der Professor nickt. „Natürlich. Wie abgemacht. Wenn wir alle an der Reihe waren, haben wir eine Stunde geschafft. Das reicht. Wenn wir uns abwechseln, kann jeder von uns alle drei Stunden eine Stunde schlafen. Später können auch zwei gleichzeitig schlafen.“
„Warum erst später?“, will die Anwältin wissen.
„Die Regeln gelten erst mal weiterhin. Je größer die Gruppe der Wachen, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass einer einschläft.“
„Wir könnten Wecker stellen.“
„Klar. Wenn Sie Ihr Leben einem Wecker anvertrauen wollen.“
Die Anwältin schweigt, und wir warten. Ich spüre, wie meine Gedanken entfliehen. Um mich zu konzentrieren, gehe ich eine alphabetische Liste aller Fremdwörter durch, die mir einfallen.
Absolution. Agitation. Agonie.
Wir stehen vor dem Sofa wie vor dem offenen Sarg einer Aufbahrung.
Erinyen. Euphemismus. Exegese, Exodus.
Gleichzeitig führe ich meine Minutenliste fort, und nach siebzehn Strichen schließt der Pilot erstmals die Augen. Als der Professor drei Striche später den Arm des Piloten hebt, bleibt das Körperteil in der Luft hängen, und der Pilot öffnet die Augen wieder.
Limbus. Linguistik. Liquidierung.
Das Spiel wiederholt sich.
„Warum machen Sie ständig diese Striche?“, fragt mich die Anwältin zwischen Okklusion und Omnipotenz.
Nach dreizehn Gattern – fünfundsechzig Strichen – fällt der Arm des Piloten auf das Sofa zurück.
„Schläft er?“, fragt die Anwältin.
Die geschlossenen Lider des Piloten zucken nicht mehr, er atmet tief.
„Ja“, sagt der Professor. „Halten wir fest: Es ist vier Uhr einunddreißig. Um sechsundvierzig wecken wir ihn auf.“
Wir starren auf den schlafenden Körper; ich bereite mich innerlich auf das vor, was gleich geschehen wird.
Zwei Minuten vergehen.
Niemand spricht ein Wort.
Drei Minuten.
Nach fünf Minuten sagt die Anwältin: „Er schläft wie ein Baby. Das ist gut, oder? Wir wissen, dass fünf Minuten gut sind.“
Der Professor nickt. „Ja. Wahrscheinlich sind auch zehn Minuten gut. Ich vermute, es hängt mit der Schlafphase zusammen.“
„Aber die sind immer unterschiedlich. Man kann nicht sagen, nach wie vielen Minuten welche Phase kommt.“
„Stimmt. Das kann man nicht.“
„Was bringt uns dann die Zeit?“
„Einen Anhaltspunkt. Mehr nicht. Aber je genauer wir diese Zeit kennen, desto besser. Ich schlage vor, wir lassen ihn einfach schlafen, bis wir den genauen Zeitpunkt wissen.“
Die Anwältin versteht erst nach einem Augenblick. „Was? Sie wollen ihn nicht wecken?“
Der Professor schüttelt den Kopf. „Überlegen Sie. Er schläft jetzt. Wir können am meisten von ihm lernen, wenn wir warten, bis es – losgeht.“
„Aber das können wir nicht machen. Wir können ihn nicht einfach sterben lassen.“
„Warum nicht? In den letzten sechs Tagen sind so viele Menschen gestorben. Was macht er für einen Unterschied? Abgesehen davon, dass sein Tod möglicherweise unser Leben rettet?“
„Wir wären dafür verantwortlich. Das ist der Unterschied.“
„Wir waren uns doch einig, dass bei dieser Aktion jemand stirbt, oder? Er -“ hier zeigt der Professor auf den Piloten - „war sich des Risikos bewusst. Wir alle waren das. Und überlegen Sie mal, dass Sie als Nächste dran sind.“
Die Anwältin beißt auf die Unterlippe. „Aber das heißt doch nicht, dass wir ihn jetzt absichtlich ermorden können.“
„Das tun wir nicht.“
„Doch, wenn wir ihn nicht wecken, tun wir genau das.“ Sie blickt mich an. „Was meinen Sie denn dazu? Warum reden Sie die ganze Zeit kein Wort, verdammt noch mal?“
Sechs Minuten.
Der Pilot zuckt, in seinem Gesicht treten Adern hervor.
„Um Himmels willen, es geht los.“
„Warten Sie“, sagt der Professor und packt die Anwältin am Arm. „Das kann nicht sein. Nicht jetzt schon. Das ist zu früh.“
Derartiges habe ich noch nie gesehen: Die Haut des Piloten ergraut, und wäre sein Körper nicht angespannt, könnte man ihn für tot halten. Plötzlich reißt er die Arme hoch, knallt mit dem Rücken auf das Sofa und würgt. Dickflüssiger Saft – Speichel oder Erbrochenes – läuft aus seinem Mund. Er stöhnt durch die zusammengepressten Zähne.
Wir alle weichen zurück, dieses Mal auch ich.
Als aus seinen verkrampften Fäusten Blut tropft, nimmt die Anwältin ein Glas mit Wasser vom Tisch und schüttet den Inhalt in das Gesicht des Piloten. Sofort schlägt er beide Augen auf, blickt um sich wie ein panisches Tier.
„Ganz ruhig“, sagt die Anwältin. „Sie sind wieder wach. Sie sind wieder bei uns. Ganz ruhig.“
Der Pilot richtet sich auf und versucht zu sprechen, rutscht dabei halb vom Sofa. „Die Gräber“, keucht er. „Haben Sie die Gräber gesehen?“
Niemand antwortet.
Dann öffnet er den Mund und beginnt zu schreien.

Der Pilot umkrampft eine dampfende Tasse Kaffee. Seine Haut wirkt runzliger, die Haare grauer, vielleicht täusche ich mich auch. Bedauerlicherweise ist auf mein Kurzzeitgedächtnis kein Verlass mehr. Ich blättere meine Seiten durch, finde aber nirgendwo eine Beschreibung des Piloten.
„Im Traum stand ich auf einem Feld. Es hat geschneit, und überall lag Schnee. So weit ich sehen konnte war alles weiß. Eine Winterlandschaft. Weit und breit kein Baum. Kein Haus.“
Er macht lange Pausen, das ermöglicht mir, seine Erzählung im Wortlaut mitzuschreiben.
„Ich war allein. Nicht nur an dem Ort, sondern allein auf der Welt. Ich war der letzte lebende Mensch.“
Die Anwältin und der Professor sehen verwirrt und erschöpft aus.
„Ich bin über dieses Feld gegangen, ich meine, was macht man, wenn man das Gefühl hat, der Letzte zu sein? Ich weiß nicht, wohin ich wollte. Einfach weg von da. Dann bin ich zu den Gräbern gekommen.“
Pause.
„Es waren vier Kreuze aus Holz, die im Schnee steckten. Ich hab mich noch gefragt, ob die Leichen beerdigt sind, oder ob sie – na ja, nur unter dem Schnee liegen. Erst da hab ich das Schild gesehen. Da standen zwei Wörter drauf: Beweihwassern verboten. Noch nie haben mir zwei Wörter so viel Angst gemacht, und ich weiß nicht, warum, vielleicht wegen dem Gegensatz, das Schild und die Kreuze, ich meine, das passt doch nicht, oder? Mir ist klar geworden, dass vor mir die letzten Menschen begraben liegen, also abgesehen von mir. Und ich hab mich gefragt, ob ich derjenige war, der sie begraben hat. Aber dann hab ich plötzlich – diese Gestalt gesehen.“
Pause. Ich stelle mir vor, wie verschiedene Prominente das Wort beweihwassern aussprechen.
„Es hat ausgesehen wie etwas, das vorgibt, ein Mensch zu sein. Wie irgendein Ding, das sich als Mensch verkleidet und ein schlechtes Kostüm gewählt hat. Sein Gesicht war – irgendwie verrutscht, also die Augen und die Nase waren nicht in der Mitte. Die Arme und Beine waren viel zu lang für den Körper, und die Haut war übersät mit Beulen. Erst dachte ich an eine Krankheit, bis mir klar wurde, dass diese Beulen – dass sie nur die Umrisse von seiner wirklichen Gestalt waren. Unter dem Menschenkostüm. Ist schwer zu beschreiben. Jedenfalls wusste ich, dass es hier nicht her gehört. Also, ich meine nicht nur in meinen Traum, sondern – in meine Vorstellung, meine ich.“
Pause.
„Das Ding hat meinen Namen gesagt. Ich wollte schreien, wegrennen, aber das ging nicht. Und es hat gesagt: 'Sieh genau hin', und dabei auf die Gräber gezeigt. Dann bin ich aufgewacht.“
Nach langem Schweigen sagt der Professor: „Ihnen ist klar, dass das kein Traum gewesen ist. Sie haben fünf Minuten geschlafen, da ist ein solcher Traum unmöglich.“
Der Pilot nickt. „Ist mir klar. Dieses Ding, dieses als Mensch Verkleidete – das hat einen Weg in unseren Kopf gefunden, wenn wir schlafen. Vielleicht ist das eine Erklärung für alles.“
„Wie meinen Sie das?“, fragt die Anwältin. „Es kommt wie Freddy Krueger in den Traum und tötet uns?“
„Wie wer?“ Das kommt vom Professor.
„Nein. Das ist kein Traum. Das Ding will uns bloß – etwas zeigen, aber das kann es nur, wenn wir schlafen. Und was wir gezeigt bekommen, macht uns wahnsinnig und treibt uns direkt zu dem, was wir tun.“
Erneute Stille. „Was zeigt es uns?“, fragt die Anwältin. „Sie wissen das, oder?“
Der Pilot nickt.
„Was ist es?“
Der Pilot kämpft mit sich, versinkt mit den Blicken in der Tasse. Er sagt: „Ich glaube, das Jenseits. Das Ding zeigt uns, wo wir hinkommen, wenn wir sterben. Und den Anblick kann kein Lebender ertragen.“

„Wo waren Sie, als alles anfing?“
Wieder spricht die Anwältin mit mir. Sie hängt in einem der Sessel, die Augen kaum geöffnet. Ich führe meine Liste noch aufmerksamer, mir ist nur die mit den Minuten geblieben. Wir haben die Buchhandlung mit Taschenlampen ausgeleuchtet. Trotzdem ist es düster hier, die Regale werfen lange Schatten. Hin und wieder erspähe ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung, aber wenn ich länger auf die Stelle blicke, ist alles ruhig.
Der Professor blättert in einem Buch über Medizin. Er reibt sich ständig die Augen. Mir fällt auf, wie spindeldürr seine Arme geworden sind.
„Ich hab gearbeitet in der Nacht“, sagt die Anwältin. Ihr Blick schwebt an die Decke. „Musste einen Antrag vorbereiten. Ich hab gern nachts gearbeitet. Wenn man alleine ist, seine Ruhe hat. Gegen drei war ich fertig. Ich hab meinen Wecker auf sieben gestellt, ich weiß noch, wie ich mich geärgert hab, dass es bloß vier Stunden Schlaf sind. Bin noch eine Weile wach gelegen, und um kurz vor halb vier sind die Sirenen losgegangen.“
Der Pilot sitzt abseits auf dem Boden. Es ist dunkel da, man kann kaum sein Gesicht erkennen. Er verstößt gegen eine Regel, ich weiß nicht mehr welche, aber solange er sich nicht bewegt, ist er wach. Also am Leben.
„Sie haben nicht mehr aufgehört, das weiß ich noch. Im Gegenteil, es sind mehr geworden. Hab aus dem Fenster geschaut, den Fernseher eingeschaltet. Später konnte man sich zusammenreimen, dass es überall auf der Welt zur selben Zeit begonnen hat. Bei uns war es mitten in der Nacht, was für ein Segen. Ich hab Bilder aus den USA gesehen. Also, nachdem dort bekannt war, was in Europa passiert ist.“
Immer wieder klopft sie mit ihrer Hand auf die Lehne, beide Beine sind vom Restless-Legs-Syndrom befallen.
„Und Sie? Warum haben Sie mitten in der Nacht nicht geschlafen?“
Ich drehe mich weg. Mein Handgelenk schmerzt. Ich suche nach einer Beschäftigung für meinen Verstand, doch mir fällt keine mehr ein.
„Sie sind nicht stumm. Sie können reden, aber Sie tun es nicht. Schreiben Sie auf, warum nicht.“
Es aufschreiben. Warum mir das nicht früher eingefallen ist? Auf der anderen Seite – ich hätte ohnehin nichts zu sagen gehabt.
Ich reiße einen Zettel aus meinem Block, schreibe vier Wörter: Ich habe es versprochen.
Die Anwältin runzelt die Stirn. „Sie haben versprochen, nicht zu reden? Wem denn?“
Neuer Zettel, ein Wort: Rebecca.
„Wer ist das?“
Nein, darüber schreibe ich nicht.
„Und was sollen die ganzen Listen? Warum machen Sie diese Striche?“
Ich überlege einen Moment. Ich könnte schreiben: Weil man das hier nicht als Ganzes ertragen kann. Oder: Ich ertrage diese Hölle nur in Teilen. In ganz kleinen Häppchen. Aber sie würde nicht verstehen. Dazu müsste sie wissen, was mit Rebecca passiert ist.
Ich wünschte, das Gesicht des Piloten sehen zu können. Die Schatten zwischen den Regalen machen mich nervös. Immer wieder ist da ein Huschen, und ich habe das Gefühl, wir sind nicht alleine.
Plötzlich greift die Anwältin mein Handgelenk, rückt mit ihrem Gesicht ganz nah an mich heran. „Ich hab mir überlegt, dass dieses Ding aus dem Traum, wie hat er es genannt, dieses – als Mensch Verkleidete, wenn es uns wirklich das Jenseits zeigt, vielleicht ist das wunderschön? Vielleicht sterben wir nicht, weil wir uns fürchten, sondern weil es zu schön ist? Weil es das Paradies ist?“
Sie sucht Trost in der Vorstellung, zu schlafen.
„Was glauben Sie?“, fragt sie. „Kann das sein?“
Wieder schaue ich zum Piloten. Er lehnt an einem Regal, das Gesicht im Dunkeln, aber der Körperhaltung nach sieht er mich direkt an.
Die Anwältin folgt meinem Blick. „Was ist da?“
Seine linke Hand liegt auf dem Boden neben ihm.
Der Pilot, schreibe ich. Warum starrt er mich an?
Sie rückt von mir ab, öffnet mühsam ihre Lider. Ihr Gesicht zerfließt vor meinen Augen. „Er ist verschwunden. Vor langer Zeit.“
Ich sehe die Finger seiner linken Hand.
„Was immer Sie dort sehen, es ist nicht da.“
Die Finger sind gekrümmt. Sie haben vier Gelenke.
„Gehen Sie hin. Das Trugbild wird sich auflösen.“
Nein. Ich nähere mich nichts mit solchen Fingern.
Ich schließe meine Augen. Öffne sie. Sehe, wie der Professor in seinem Buch blättert und die Anwältin in ihrem Sessel versinkt. Der Körper am Regal ist verschwunden. Ich frage mich, ob ich mir die Bewegungen in den Schatten auch nur einbilde.
„In diesen Zombie-Filmen hat jemand mal gesagt: Wenn in der Hölle kein Platz mehr ist, kommen die Toten auf die Erde. Ich glaube, wenn wir uns weigern zu schlafen, kommen unsere Albträume in die Wirklichkeit.“
Ich blicke lange an die leere Stelle neben dem Regal. Irgendwann habe ich eine weitere Minute überlebt. Ein neuer Strich als Nachweis für einen überstandenen Abschnitt – zwar nur einen kleinen, dafür einen, den ich ertragen konnte.
Meine Hand zittert. Ich denke an das letzte Mal, als meine Hand zitterte, und denke an Rebecca.

Die Augen der Anwältin fallen zu.
„Was ist die früheste Erinnerung an Ihre Kindheit?“ Sie stellt so viele Fragen.
„Meine ist, wie ich als kleines Mädchen in meinem Bett liege. Meine Mama hat sich immer über mich gebeugt und mir einen Kuss gegeben. Wir hatten ein Ritual. Ich konnte nie schlafen ohne dieses Ritual.“
Der Professor beobachtet sie wie ein Löwe die Antilope an einem Flussufer.
Ich weiß, worauf er wartet.
„Das Ritual ging so: Sie hat mich gefragt: 'Von was träumst du heute Nacht?' Und ich hab immer geantwortet: 'Von der Mama.' Es war eine Kleinigkeit. Ich wollte von ihr träumen, weil ich dann sicher war. Im Schlaf.“
Meine Mutter hat gesagt, man schaut mit den Augen, nicht mit den Händen.
Die Anwältin bleibt still. Ihre Augen sind geschlossen, ihr Atem geht gleichmäßig.
„Wehe, Sie wecken sie“, sagt der Professor. „Lassen Sie sie schlafen. Wir müssen herausfinden, wie lange es geht. Dann können wir uns abwechseln.“
Ich glaube, er hat den Verstand verloren. Er hat sich zu sehr damit beschäftigt, diese Situation zu überleben anstatt zu akzeptieren. Das galt für alle. Ihr Fehler war, zu weit in die Zukunft zu denken, an die nächsten Tage, die nächsten Wochen – anstatt an die nächste Minute.
Ich kann nicht sagen, wie lange es dauert. Ich bin mit meinen Strichen durcheinander, habe manchmal zehn, manchmal elf Gatter pro Zeile. Ich nehme mir vor, das in Ordnung zu bringen.
Als ich mich frage, ob die Anwältin bei den Gräbern angekommen ist, bäumt sich ihr Körper auf.
„Lassen Sie sie“, schreit der Professor, „ich will sehen, was passiert.“
Ich schreite nicht ein. Nicht, als sie zu schreien beginnt und sich die Haare in Büscheln ausreißt. Nicht, als sie aufspringt und die Augen aufschlägt. Sie wirkt wach, aber ihre Augen sind leer, haben etwas gesehen, das ihren Verstand vernichtet hat, so wie Tageslicht die Aufnahmen von alten Filmen löscht.
Während ihr Kreischen die Welt erfüllt, zerkratzt sie sich das Gesicht. Ein fauliger Gestank zieht durch den Raum, als sie ihren Darm entleert. Dann packt sie ihre Zunge, zieht sie heraus und beißt hinein. Ich kann meinen Blick nicht abwenden, nicht mal, als sie die Zunge abbeißt und wie ein faules Stück Fleisch auf den Boden klatschen lässt.
Der Professor neben mir übergibt sich.
Die Anwältin – das, was von ihr übrig ist, dieser verstümmelte, Blut spuckende Haufen – bohrt sich die Finger in die Augen, und hier höre ich auf. Ich muss nicht schreiben, was anschließend geschieht. Aber sie schreit nicht mehr, das ist vielleicht noch wichtig, jetzt lacht sie, und als sie zusammenbricht, lachend, da überlege ich, ob sie das Paradies gesehen hat.

Meine Mutter hat gesagt, man schaut mit den Augen, nicht mit den Händen.
Ich habe mit meinen Händen nicht nur geschaut, sondern auch gesprochen.
Die Lichter der Taschenlampen werden schwächer.
Ich denke an die Anwältin, aber ich erinnere mich nicht an ihr Gesicht. Wenn ich daran denke, sehe ich Rebecca, wie sie nach Hause kommt, sehe die Lügen unter ihrem Rouge, rieche den Verrat unter ihrem Parfüm. Alles, was mich an sie denken ließ, war plötzlich vergiftet.
Der Professor hat eine neue Methode entwickelt, um wach zu bleiben. Das sollte ich noch erwähnen, der Vollständigkeit halber. Er hat seine Regeln den dezimierten Empfängern angepasst und aus fünf eine gemacht.
Ich wollte mit Rebecca reden. Normal reden. Ganz vernünftig. Hab auf sie gewartet und mir die Worte zurechtgelegt. Hab alles aufgeschrieben, um nichts zu vergessen. Aber als sie vor mir stand, konnte ich mich nicht erinnern, und sie hat gelacht und –
Schmerzen, hat er gesagt. Der Professor. Das ist seine einzige Regel. Man bleibt wach, wenn man sich Schmerzen zufügt. Er hat fast normal ausgesehen, als er das gesagt hat. Dann hat er einen Hammer geholt.
Als ich vor Rebecca stand und ihr Lachen in meinem leeren Kopf hallte, da war mir klar, wenn ich jetzt nichts sage, verliere ich sie endgültig. Ich musste Worte finden, aber weil meinem Kopf keine einfielen, haben meine Hände gesprochen.
Der Professor hat sich mit dem Hammer die Füße zertrümmert. Immer wieder hat er auf den Spann und die Zehen geschlagen, bis alles blau und blutig war. Gekeucht hat er dabei, nur gekeucht, nicht geschrien.
Ich hab versprochen, nicht mehr zu reden. Als ich vor Rebecca kniete, hab ich versprochen, nie mehr ein Wort zu sagen. Ich schwor – als ich vor ihr kniete, da schwor ich, jede Strafe anzunehmen. Alles würde ich akzeptieren, durch jeden einzelnen der neun Höllenkreise würde ich gehen, wenn ich am Ende wieder mit ihr zusammenträfe.
Kurze Zeit später hörte ich Sirenen.
Es hatte begonnen.

Und hier endet es. Erstmal.
Die Lichter erlöschen, der Vorhang fällt, und ich sehe Bewegungen zwischen den Regalen. Es sind Schatten. Ich höre ihr Flüstern.
Vielleicht war ich es, der alles auslöste, als ich vor Rebecca kniete und um Strafe bettelte. Vielleicht kommen die Schatten, weil ich der Letzte bin, der Schuldige, vielleicht haben sie darauf gelauert. Ich bin als Einziger übrig, seit der Professor in die Dunkelheit gekrochen ist, um Propofol zu suchen.
Vielleicht war dies nur die Vorhölle, der Ort der Unschuldigen. Ich bin bereit, mich von den Schatten an die Hand nehmen und in die inneren Kreise der Verdammten führen zu lassen. Bis in das Innerste der Hölle würde ich schreiten, bußfertig, und vielleicht – nur vielleicht – kann ich aus allem geläutert hervorgehen, vielleicht werden meine Begleiterinnen dann zu Wohlgesinnten und ich sehe Rebecca wieder.
Ich hoffe, dass es so kommt, dass dies nur der Anfang war und nicht das Ende, denn schlimmer als der Tod ist nur der sinnlose Tod. Ich sitze hier, allein, flehe Gott um meine Strafe an und bete, dass ich mir die Schatten nicht nur einbilde. Der als Mensch Verkleidete war die Erklärung des Piloten, die Schatten sind meine – wir werden sehen, wer Recht behält. Ich lege meinen Stift jetzt nieder und warte, wer zuerst kommt: der Schlaf oder die Schatten.
Ich glaube, sie flüstern meinen Namen.
Bei Gott, ich hoffe, sie beeilen sich.

 
Zuletzt bearbeitet:

Himmel noch mal, lieber Schwups. A wie ausgezeichnet, aber absolut.
Ich werde heute Nacht kein Auge zumachen.
Wollte vorhin nur mal neugierig lugen, was du da so verzapft hast, und obwohl ich eigentlich ganz andere Sachen machen muss, und das noch unter großem Zeitdruck, bin ich kleben geblieben. Das war echt spannend und ich bin neidisch und freu mich gleichzeitig, dass du so schön schreiben kannst.
Eine klaustrophobische, beklemmende Atmosphäre, die sich einem um den Hals legt. Ich finde die Geschichte richtig toll, auch das Ende gefällt mir.

Ein paar wenige Sächelchen hätte ich, aber die füge ich später an, weil die Zeit für mich arg drängt.
Ich wollte dir halt eine erste Rückmeldung geben, ich weiß ja selbst, wie gespannt man darauf wartet, was die anderen so zur Geschichte zu sagen haben.

Ich füge das dann schön sichtbar hier drunter.
Echt schöne Geschichte und noch ein vergnügliches Wochenende wünsch ich dir .
Novak

Hier kommt der Nachtrag:
Lieber Schwups, als ich die Geschichte heute noch einmal gelesen habe, gefiel sie mir immer noch so gut wie gestern.
Das beginnt schon mal mit deinem ersten Satz. Also intensiver kann man ja wirklich nicht direkt ins Geschehen springen.
Was ich eigentlich nicht so mag, das ist, Personen nur die Berufsbezeichnungen zu geben. Hier gefällt es mir aber. Es unterstreicht die beklemmende, morbide Atmosphäre, in der jeder seiner Identität und seiner Individualität beraubt wird. Vor dem Schlaf sind wir alle gleich.
Gut gefällt es mir, wie du dennoch (obwohl sie nur ihre Berufsbez. haben) die Personen unterschiedlich zeichnest, in ihren Abstufungen von Panik oder ihrem Umgang mit der Katastrophe.
Und der stumme Protagonist, der sich durch diese letzten Stunden hindurch zählt und zeichnet, um das, was geschieht, vor allem aber seine eigenen Empfindungen nicht wahrnehmen zu müssen. Im Laufe der Geschichte nützt ihm dann auch das Zählen und Zeichnen nichts mehr, wie sich das anschleicht, das ist dir finde ich sehr gut geglückt.
Die Gespräche wirken auch sehr echt, nicht so, als wolle man das Gespräch nur nutzen, um Infos über die Katastrophe unterzubringen, sondern authentisch. Ich denke da zum Beispiel an die Anwältin, die sich angesichts der "Schlafprobe" an ihre Kindheit erinnert und an ihren Versuch, die Mutter als Schlafschutz zu träumen.
Und was mir ja immer gefällt, das ist dieses langsame Sich-Verschlimmern.
Gestutzt habe ich jetzt allerdings beim Ende. Gestern hatte ich mir da was zurechtgelegt: Er hat seine Frau, die ihn betrogen hat, erwürgt. Und um wieder mit ihr zusammen sein zu können, hat er quasi einen Deal abgeschlossen, er wird büßen, sämtliche Teile von Dantes Inferno, die Höllenkreise, durchlaufen, um geläutert zu werden. Dafür aber muss der Preis gezahlt werden, dass das Jenseits on ganz alleine anrückt. Er hat sozusagen die Vorhölle, in der er sich nun befindet, auf den Plan gerufen. Tja, und heute steht das da aber eigentlich nicht. Deine Ende ist nebulöser. Wirkt fast ein bisschen so, als sei das Geschehen die Straf für sein Verbrechen an Eva. Und dann ist sie auch noch Gottes gefallener Engel. Ja, also heute finde ich das ein bisschen nebulös.
Nichtsdestotrotz, hat mir ausgezeichnet gefallen. Aber ich würd mich freuen, zu hören, wie das Ende denn nun gemeint war.

Diese Kleinigkeit hab ich gefinden. Mehr wars dann doch nicht. Das andere ist glaub eher geschmäcklerisch:

Folgendes geschieht: Sie legt beide Arme an den Körper, geht in die Hocke und brüllt. Ihr Gesicht läuft dunkelrot an, der Schrei wird wie ein Querschläger von den Wänden zurückgeworfen. Die Anwältin hält sich die Ohren zu, ruft: „Hören Sie auf.“
Da stört mich die Ankündigung: Folgendes geschieht. Ih finde nicht, dass das gut klingt und mir ist der Nutzeffekt hier auch nicht ganz klar.

Bis denn
Novak

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Schwups,

das ist eine wunderbar beklemmende Geschichte. Ich habe zwar manchmal Probleme mit Erzählungen in der Gegenwartsform, aber hier paßt es ziemlich gut, finde ich.

Mir gefällt besonders gut, wie Du zwischen den verschiedenen Aufmerksamkeitsebenen des Erzählers springst - während die Anwältin quasselt, zählt er die doppelten Konsonanten in ihren Sätzen. Solche Kunstgriffe machen es lebendig.

Vielen Dank für diese KG.

Ich habe noch eine Frage zur Schreibweise:

„Was ist aus ihm geworden?“, will der Professor wissen. - Bist Du Dir bei dem Komma sicher?


Hallo Novak,

"Ich wollte dir halt eine erste Rückmeldung geben, ich weiß ja selbst, wie gespannt man darauf wartet, was die anderen so zur Geschichte zu sagen haben."

Es wäre ganz toll, wenn Ihr Moderatoren solche Liebenswürdigkeiten nicht auf Eure Kollegen beschränken würdet. Ich finde es ein bißchen frustrierend, daß sich die Mods dabei überschlagen, die Texte anderer Moderatoren zu rezensieren, während sich Newbies, die den Support von erfahrenen Lesern und Autoren bestimmt nötiger haben, mit wesentlich weniger Kommentaren begnügen müssen.

Gruß Achillus

 

"Oh, eine neue Horrorgeschichte!", dachte ich,

lieber Schwups -

und jetzt hab ich den Salat. Ich hab einfach nicht mit einer wahrhaftigen Horrorgeschichte gerechnet, und jetzt müsste ich eigentlich schlafen gehen. Tja.
:Pfeif:

Ich mag deinen namenlosen Protagonisten. Erst fand ich ihn einfach toll, weil er genau so zählfixiert zu sein scheint wie ich, aber dann kam der erste Ich bin an allem Schuld-Hinweis. Da war mein erster Gedanke ganz ehrlich: Oh nein, bitte nicht so eine Story! :) Ich weiß nicht; wenn ich so was lese, dann gehen bei mir alle Warnlichter an ...
Dann hast du es aber über eine lange Strecke bei diesem ersten Hinweis gelassen und hast die richtigen Mittel gefunden, um dieses Klaustrophobische zu beschreiben. Dieser zusammengewürfelte Haufen, wie er da aufeinander hockt und um sein Leben wacht. Auch lässt du mich ganz schön lange rätseln, was es denn ist, das da droht. I like!

Der Professor, der erst rüberkommt wie diese ewigen Demokraten und Humanisten, mit Regeln, und alle sollen sich daran halten, zum Wohle aller ... und der dann im erstbesten Moment allen Idealismus über Bord wirft und eiskalt beschließt, das Vertrauen zu brechen und zu morden. Ich meine, das sind alles Fremde, das ist ja keine gewachsene Verpflichtung untereinander, da kann ich mir ein solches Verhalten schon vorstellen. Und auch die wirre Vorstellung des Professors, dass - sollte der Schlafende von selbst rechtzeitig aufwachen - sich auch nur irgendein anderer der Anwesenden zum Schlafen bereit erklärt, zeichnet schön diese Übermüdungslogik. Oder besser: Nichtlogik.

Dann kriegt der Prof seine Chance, und die Anwältin dreht durch. Ich finde, das hast du sehr bildhaft und erschreckend eindringlich geschrieben. Dass sie am Ende lacht, war fast abzusehen, und man könnte jetzt sagen: Lahm! - aber dem ist nicht so. Obwohl dieser Wahnsinn, dieses Verrücktwerden, schon so oft beschrieben wurde, haben mich deine Bilder schon kalt erwischt.

Dann die Idee des Profs, Schmerz würde das Einschlafen verhindern. Also an der Stelle habe ich mir gedacht, jetzt ist er wirklich verrückt geworden, da hat sich auch die noch vorhandene Restlogik endgültig verabschiedet, das ist die pure Verzweiflung.
Und dann das Ende mit der Auflösung.
Da ist die einzige Stelle, an der ich gestockt habe. Eva, der gefallene Engel. Ich bin nicht das, was man als bibelfest bezeichnen würde, aber ein solides Grundwissen ist da. Und da ist weit und breit kein gefallener Engel namens Eva. Irgendwie versteh ich da was nicht.
Vielleicht ist es gar nicht wichtig, und du magst den Namen einfach (passt ja auch, weil Gott und Hölle und so), aber da habe ich tatsächlich kurz festgehangen. Ansonsten, der Rest, gute Auflösung. Die Horrorgeschichte als Vorgeschmack dessen, was da noch kommt, der Leser aber nicht gezeigt kriegt. Gefällt mir wirklich gut, da hab ich echt versucht, einen noch größeren Horror zu denken (der erwähnte Traum mit dieser als Mensch zu erscheinen versuchenden Kreatur war mir ehrlich gesagt schon genug, dann die vier Fingergelenke ...), aber mein Hirn weigert sich. :D

Also ich bin jetzt nicht sehr kritisch, außer bei diesem Eva-Minifutzelchen, da ein bisschen. Mir hat die Geschichte einfach sehr gefallen, sie verdient die Kategorie. Auch diese teils reduzierte Schreibstil, das Charakterisieren des Prota durch das Zählen, das langsame Durchdrehen der Figuren - bis auf einen - das gefällt mir. Hab nicht wirklich was zum Herummäkeln gefunden.
Hatte mal einen Kollegen, der war immer recht pubertär drauf und hat mich mit seinem Lieblingsspruch permanent genervt. Und jetzt erwische ich mich dabei, wie ich festselle, dass eben dieser Spruch hier passt:

Leider geil!
:D

re-pubertierende Grüße,
PSS :)

 

Wow
Ich habe die geschichte gestern in der bahn gelesen, also angefangen, und beinahe meine station verpasst. Das ist schon ein mächtiger sog, den du hier aufmachst. Großes kompliment für dieses starke teil. Das setting ist dabei gar nicht so dolle, eine bunt zusammengemischte truppe überlebender versucht sich auf engem raum durchzuschlagen, verbündete wider willen. Jede figur isg so angelegt, dass an ihr etwas besonderes ist, sich von den übrigen unterscheidet.
Das klingt eigentlich nach einem rechg klassischem setting von steven king, ejnige kgs würden mir da einfallen, als erstes spontan "der nebel"
Und auch deine "dunkle macht", augenzwinkernd greifst du da ja schon nach dem narbengesicht mit der klauenhand. ;) aber auch hier fällt mir sofort king ein, jüngst ähnlicb angelegt in "die arena" mit den wesen da, die auch nicht wirklich als böse deklariert werden, so wie ja auch deinem Viech eine gekonnt andere interpretation untergejubelt wird, als möglichkeit versteht sich. Versiert wie du bist, gibt es natürlich keine auflösung.
Also so gesehen, kein wirklich innovativer stoff. Und trotzdem kommt das teil mit einer wucht, die mir echt eine gänsehaug verpasst hat. Weil es ver dammt gut geschrieben ist. Das ist so eine gekonnte zurückhaltung mit deinem schweigendem prot. Als quelle aller informationen hältst du ihn gekonnt bedeckt, lässt uns durch seine augen sehen, mit seinen ohren sehen und gewährst uns jmmer wieder mal ejnen blick in sejne gedaneknwelt. Das finde ich meisterlich dosiert. Auch, wie er sich mit seinen listen zu erden versucht, sich an diemdinge klammert, um nicht den verstand zu verlieren. Echg gut, aucb dein ideenreichtum dabei. Das kam jetzt auch nicht protzig und (da jüngst jnter mejnem werk bemängelt) keine nabelschau. Erst gen ende drehst du die spirale weiter ein jnd da muss es dann auch so sein, weil die luft ja spürbar dünner wird.
Das ende ist nur konsequent und quasi ja auch der einzig machbare ausklang, sjnd es doch alles die aufzeichnungen des prots. Klar, dass die auflösung offen bleiben muss. Ich für meinen teil habe aber genug input, damit der film weitergehen kann. Empfinde es jetzt also nicht als rausschummeln des autors, was bej solchen geschichtstypen jmmer eine gefahr ist, finde ich.
Einziger kritikpunkg ist die traumsequenz. Schwierig. Wie etwas darstellen, dass ejnen in den wahnsinn treibt? Das muss ja schon ganz schön krass sein. Muss sagen, das ist dir jetzt nicht so krass gelungen, wie es die geschichte in dieser form benötigt hätte. Da müsste entweder noch mehr gefeilt werden, um die bedrohlichkeit in mächtigere bilder zu zwängen, oder du umschiffst das mehr und versuchst den horror verstärkt über unklare andeutungen wirken zu lassen. Also in dieser form war mir das im verhältnis zu dieser überdurchschnittlich starken Schreibe jetzt eine deutliche flaute.
"Die Haut war verbeult, die Proportionen von Rumpf, Kopf und Gliedern haben nicht gestimmt. Ist schwer zu beschreiben."
Verbeulte haut? Das beißt sich. Verbeult ist metall, haut isg organisch. Wenn du dasnhier verschmelzen wolltest, ist es nicht gelungen
Dann noch was von proportionen und anschließend die kapitulation. Nee, damit verschenkst du dir zu viel. Unbedingt noch mal ran. Sage ich, anderen reicht das womöglich auch.

Sehr gern gelesen
Grüßlichst
Weltenläufer

 

Hallo Schwups!

Hat mich sehr gut unterhalten.

Weltenläufer hat ja schon geschrieben, dass das Setting recht klassisch ist, weißt du ja selbst. Dass es an Stephen King erinnert, wundert dich da sicher auch nicht. Der hat wohl schon so ziemlich alles abgegrast in seinen tausend Romanen. Aber: Deine Geschichten sind mir lieber. Du gibst dir mehr Mühe beim Schreiben, glaub ich. Das ist sehr eingängige Sprache, genau die richtige mischung zwischen Dialogen und Erzählteil. Einfache Sprache, präzise Sprache, nicht überfrachtet, nicht zu dünn, passt.


Es ist wirklich immer wieder die Spannung, die deine Geschichten auszeichnet. Man muss sie fertig lesen, hier auch wieder. Da stecken viele Überlegeungen drin, das merkt man. Überlegungen bezüglich der Logik. Da gibts nichts zu meckern. Ich will auch gerade gar nicht meckern. Wenn ich eine Geschichte von dir lese, weiß ich, dass da viele Überlegungen drin stecken, da weiß ich, dass die eine gewisse Qualität hat. Ich fang oft Geschichten an, gerade in Horror, da muss ich dann nach zehn Zeilen aufhören, weil mich nix reinzieht. Das kannst du wirklich. Das ist gute Unterhaltung.

Nix zu meckern


Lollek

 
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Hallo Schwups

Erstmal Textkram:

Immer wieder schlägt die Anwältin ihren Kopf gegen die Wand.
Das halte ich für einen gelungenen Einstiegssatz. Mich hat er jedenfalls sofort in den Bann gezogen. Sehr gut!

Jedes Klacken führt zu einem Strich, fünf Striche bilden ein Gatter, zwölf Gatter eine Zeile, und nach zwölf Zeilen ist eine Seite gefüllt. Ich habe keine Minute verpasst und sieben Seiten voller Striche.
Das hier finde ich komisch. Ich dachte er wollte zählen, wie oft die Anwältin ihren Kopf gegen die Wand rumst? Stattdessen zeichnet er den Minutenschlag der Uhr auf, was für mich keinen Sinn ergibt, da eine Uhr ja ein Zeitzähler ist. Wieso also etwas zählen, was man jederzeit ablesen kann?
Sinnvoller fände ich Strichlisten, die die einzelnen Aktivitäten der Anderen aufzeichnet.
Eine Liste für die Kopfschläge an die Wand. Eine für Toilettengänge, eine für etc.
Nachtrag: Nach dem Lesen der Geschichte macht die Liste mit der Anzahl der Minuten wieder mehr Sinn. Vielleicht magst Du das am Anfang noch irgendwie klarer machen. Vielleicht trennst Du das Zählen und die Kopfschläge expliziter voneinander ab.

Seine sieben Regeln prangen wie die Gesetze der Animal Farm an der Wand.
Der Satz sticht in meinen Augen raus und ich bin mir nicht ganz sicher, ob man da nicht besser noch etwas anfügt.
Sprich: Gut gefällt mir der Verweis auf den Klassiker „Animal Farm“. Andererseits bin ich mir ziemlich sicher, dass es nicht mehr viele Leute gibt, die wissen was damit gemeint ist. Kürzlich, in einem Kommentar von Dir zu einer SciFi-Story hast Du geschrieben, dass Dir der Begriff „Geoengineering“ nix gesagt hat; eine ähnliche Problematik sehe ich hier.
Davon abgesehen werden im Text nur drei Regeln genannt:
– nicht zu sehr aufteilen
– häufiges Duschen
– Raum maximal erhellen
Warum sich also nicht gleich nur auf drei Regeln beschränken, wenn eh nur drei genannt werden?


Sie langweilt mich, …
Da bin ich drüber geflogen. Ich meine, da müsste ein Grund stehen warum er sie langweilig findet. So liest sich das fast trotzig und das ist wohl eher weniger beabsichtigt.

Dreizehn.
Hab ich erst nicht kapiert. Später, als ich noch mal über die Geschichte drüber bin, hab ich erkannt, dass er die doppelten Konsonanten gezählt hat und Dreizehn das Ergebnis war.
Zwischen der Absicht des Zählens und dem Ergebnis, steckt zu viel Gerede der Anwältin. Ich denke, nur „Dreizehn“ zu schreiben, ist zu wenig.


Als ich vor Eva stand und ihr Lachen in meinem leeren Kopf hallte, da war mir klar, wenn ich jetzt nichts sage, verliere ich sie endgültig. Ich musste Worte finden, aber weil meinem Kopf keine einfielen, haben meine Hände gesprochen. …
… Ich hab versprochen, nicht mehr zu reden. Als ich vor Eva kniete, vor Gottes gestürztem Engel, da hab ich versprochen, nie mehr ein Wort zu sagen. Ich schwor – als ich vor ihr kniete, da schwor ich, jede Strafe anzunehmen. Alles würde ich akzeptieren, durch jeden einzelnen der neun Höllenkreise würde ich gehen, wenn ich am Ende wieder mit ihr zusammenträfe.
Kurze Zeit später hörte ich Sirenen.
Ich wusste, es hatte begonnen.
Hm, der Schluss war mir zu unklar. So wie ich es verstanden habe, hat er durch eine unheilige Tat das Ende der Welt heraufbeschworen. Was er jedoch genau gemacht hat, keine Ahnung. Ich denke er hat eine Frau namens Eva mit seinen Händen erwürgt und weil diese Frau ein gefallener Engel war, muss er jetzt büßen und die Kreise der Hölle durchschreiten.
So wirklich sinnig finde ich meine Schlussfolgerung jedoch nicht, zumal ich nicht begreife, warum die Welt gleich mit zum Teufel fahren soll.


Fazit:
Also Deinen Spannungsaufbau hier muss man großmeisterlich nennen. Da ist so vieles richtig gemacht, dass der Text über weite Teile als Paradebeispiel dienen kann – nach dem Motto: So wird’s richtig gemacht.
Persönlich hat es mich auch nicht gestört, dass Du so ein Weltuntergangssetting hattest. Warum auch nicht - wenngleich ich befürchtet hatte, dass es sich um die üblichen Verdächtigen, also um Zombies handelt.
Diesbezüglich fand ich sehr clever, dass Du sehr früh die Anwältin, von ihrem Mann, seinem Roman und dem darin enthaltenen psychologischen Experiment erzählst. Diese Geschichte in der Geschichte befreit Deinen Text recht früh vom Zombieverdacht. Was ich sehr schön fand!
Tja, und eigentlich würde ich jetzt auch sofort auf den Empfehlungsbutton hauen, wenn da nicht Dein Ende wäre. Ich mag einfach keine Plots, die sich erst ganz rational entwickeln, um dann zum Ende hin ins Religiöse zu kippen.
In meinen Ohren klingt das immer ein bisschen nach einer Ausrede, weil man, trotz tollem Szenario, Spannung usw. nicht mehr zu einem vernünftigen Ende zurückfindet. Davon abgesehen lässt Du ein paar ganz entscheidende Fragen offen. Erstens, warum fährt die ganze Welt zum Teufel, wenn sich einer an einem Engel(?) versündigt? Zweitens, worin bestand jene weltvernichtende Sünde?

Jo, soweit von mir.

Herzliche Grüße

Mothman

Kleiner Nachtrag:
Ich bin noch über den Begriff Propofol gestolpert. So wie sich das liest ist das der Name des als Mensch-Verkleideten. Jetzt gerade beim Googeln habe ich herausgefunden, dass Propohol ein Narkotikum ist. Derzeit wird es in der Anästhesie verwendet, soll aber womöglich auch bei Hinrichtungen in den USA zum Einsatz kommen. Keine schlechte Idee Propophol als Namen für das Phänomen des tödlichen Schlafes in Deiner Geschichte zu verwenden - da hat man noch mal was zum Nachdenken.

Eine Frage beschäftigt mich auch noch:
Warum verschanzen sich die Leute im Einkaufszentrum? Wieso ziehen sie nicht umher? Eine Gefahr von Außen (Zombies o.ä.) existiert ja nicht, und wenn man versucht wach bleiben, dann ist Bewegung doch das Mittel der Wahl, oder nicht?

 

Hallo alle zusammen

Erstmal vielen lieben Dank euch allen fürs Lesen & Kommentieren, das freut mich sehr wenn euch die Geschichte gut gefallen hat und spannend war.

Novak:

Das war echt spannend und ich bin neidisch und freu mich gleichzeitig, dass du so schön schreiben kannst.

Wow, was für ein nettes Kompliment.

Ich wollte dir halt eine erste Rückmeldung geben, ich weiß ja selbst, wie gespannt man darauf wartet, was die anderen so zur Geschichte zu sagen haben.

Ja da hast du natürlich recht, umso mehr freut es mich, wenn gleich der erste Kommentar so ausgesprochen positiv ausfällt. Und das auch noch unter Zeitdruck, super, vielen Dank.

Achillus:

das ist eine wunderbar beklemmende Geschichte

Auch darüber habe ich mich sehr gefreut, denn so sind die Ausgangslage und die Figuren auch angelegt. Schön, wenn das auch so rüberkam.

Ich habe zwar manchmal Probleme mit Erzählungen in der Gegenwartsform, aber hier paßt es ziemlich gut, finde ich.

Ich mag Erzählungen im Präsens gerne. Hier habe ich wirklich lange mit mir gekämpft, weil ich damit gerechnet habe, dass es Leute stört. Aber ich finde auch, dass es hier gut passt, weil es die Unmittelbarkeit der Erzählung unterstreicht. Wenn die Geschichte im Präteritum erzählt wird, weiss man nicht so recht, mit welchem zeitlichen Abstand das erfolgt - sind das Stunden, Tage, Wochen, Jahre? Das Präsens macht deutlich, dass er schreibt, während er erlebt.

„Was ist aus ihm geworden?“, will der Professor wissen. - Bist Du Dir bei dem Komma sicher?

Ja, wenn der Satz nach der wörtlichen Rede weitergeht, wird der Rest durch ein Komma getrennt. S. bspw. hier: http://www.duden.de/sprachwissen/rechtschreibregeln/anfuehrungszeichen

PSS:

Ich hab einfach nicht mit einer wahrhaftigen Horrorgeschichte gerechnet, und jetzt müsste ich eigentlich schlafen gehen. Tja.

Das ist ein sehr schönes Kompliment. Aber du hast dann auch ein "dankbares" Setting für die Lektüre gewählt, so gegen Mitternacht, kurz vor dem Schlafengehen ... da wirken solche Geschichten natürlich gleich ein Stück weit besser.

aber dann kam der erste Ich bin an allem Schuld-Hinweis. Da war mein erster Gedanke ganz ehrlich: Oh nein, bitte nicht so eine Story! Ich weiß nicht; wenn ich so was lese, dann gehen bei mir alle Warnlichter an ...

Ich weiss nicht genau, wovor du dich gefürchtet hast, bin aber froh, dass ich die Klippe noch erfolgreich umschiffen konnte :).

Auch lässt du mich ganz schön lange rätseln, was es denn ist, das da droht. I like!

Genau, so war es beabsichtigt. Die ersten zweieinhalb Absätze sollte der Leser noch im Dunkeln gelassen und mit Andeutungen "gefüttert" werden, um was es hier eigentlich geht. Das bekannte Setting sollte absichtlich Assoziationen zu einer Zombie-Apokalypse hervorrufen, um den Leser dann zu überraschen, dass es keine Gefahr "von aussen" gibt, sondern dass sie in dem Fall "von innen" kommt.

Der Professor, der erst rüberkommt wie diese ewigen Demokraten und Humanisten, mit Regeln, und alle sollen sich daran halten, zum Wohle aller ... und der dann im erstbesten Moment allen Idealismus über Bord wirft und eiskalt beschließt, das Vertrauen zu brechen und zu morden.

Genau - er besteht zwar immer darauf, dass die Gemeinschaft notwendig fürs Überleben ist, gleichzeitig weiss er aber auch, dass es in dieser Gemeinschaft Opfer geben muss, um seine eigene Überlebenswahrscheinlichkeit zu maximieren. Das ist ein Dilemma, das eigentlich nur ihm so richtig bewusst wird, und entspricht in etwa dem, was die Anwältin unter "Doppelbindung" versteht (auch wenn der Begriff hier etwas frei interpretiert verwendet wird). Anfangs wollte ich das noch viel mehr herausarbeiten, bin aber froh, dass es in dieser Version auch gut genug rüberkommt.

Dann die Idee des Profs, Schmerz würde das Einschlafen verhindern. Also an der Stelle habe ich mir gedacht, jetzt ist er wirklich verrückt geworden, da hat sich auch die noch vorhandene Restlogik endgültig verabschiedet, das ist die pure Verzweiflung.

Ich glaube, das ist ein naheliegender Gedanke, der in einem echten Szenario vermutlich früher aufkommen würde. Auch diesen Aspekt wollte ich anfangs viel mehr hervorheben, hatte aber Angst, dass es dann in einer Art Self-Torture Porn verkommen würde.

Und dann das Ende mit der Auflösung. Da ist die einzige Stelle, an der ich gestockt habe

Ja, das muss ich glaube ich etwas erklären. Ich mach das unter dem Beitrag von Mothman ausführlicher, da er noch zusätzliche Fragen gestellt hat, vielleicht an dieser Stelle erstmal so viel: Du darfst dem Erzähler an der Stelle nicht auf den Leim gehen. Er wird am Ende extrem unzuverlässig. Mit dem gestürzten Engel, da hab ich lang getüftelt. Es gab keinen Engel namens Eva (AFAIK), das ist hier mehr symbolisch gemeint: Er vergleicht seine Freundin / Frau mit einem Engel, der durch seine Hände zu Tode kam (daher: gestürzt und nicht gefallen). Und in seinem zunehmenden Wahn halluziniert er von einer apokalyptischen Strafe, eigens für ihn, was konsequent ist, wenn er Eva in den Stand eines Engels hebt. Aber natürlich sind die Ereignisse keine "persönliche" Strafe, er bildet sich das nur ein. Wie gesagt, mehr dazu weiter unten.

Hatte mal einen Kollegen, der war immer recht pubertär drauf und hat mich mit seinem Lieblingsspruch permanent genervt. Und jetzt erwische ich mich dabei, wie ich festselle, dass eben dieser Spruch hier passt:

Leider geil!


Ein Fan von Deichkind ;)?

Vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar, über den ich mich sehr gefreut habe.

weltenläufer:

Ich habe die geschichte gestern in der bahn gelesen, also angefangen, und beinahe meine station verpasst.

Cool wenn die Geschichte nicht nur um Mitternacht zuhause funktioniert, sondern auch beim Pendeln ;).

Das klingt eigentlich nach einem rechg klassischem setting von steven king, ejnige kgs würden mir da einfallen, als erstes spontan "der nebel"

Ja, King hat das natürlich auch verwendet. Aber bspw. auch Night of the Living Dead, auf das im Text ja auch angespielt wird, funktioniert so. Dabei find ich es immer spannend, wenn sich die Geschichte auf die Dynamik zwischen den "eingesperrten" Personen konzentriert, das schwingt ja bei NOTLD schon mit, viel mehr natürlich noch beim Nebel von King.

Und trotzdem kommt das teil mit einer wucht, die mir echt eine gänsehaug verpasst hat. Weil es ver dammt gut geschrieben ist. Das ist so eine gekonnte zurückhaltung mit deinem schweigendem prot.

Tja, was soll ich sagen ... vielen Dank für das tolle Kompliment.

Erst gen ende drehst du die spirale weiter ein jnd da muss es dann auch so sein, weil die luft ja spürbar dünner wird.

Genau, am Ende fängt der Prot. an, von sich zu erzählen, und ab da kann man ihm dann auch nicht mehr trauen. Weil eben "die Luft dünner wird", wie du es treffend formulierst. Man muss sich überlegen, da schreibt am Ende einer, der seit etwa sechs Tagen nicht mehr geschlafen hat.

Empfinde es jetzt also nicht als rausschummeln des autors, was bej solchen geschichtstypen jmmer eine gefahr ist, finde ich.

Ja die Gefahr besteht. Aber eigentlich gab es am Ende auch nichts mehr zu sagen. Ich wollte den unvermeidlichen Tod auch nicht weiter dramatisieren, durch absichtliche Rechtschreibfehler oder so. Solche KGs gibts ja auch, wo das dann noch als Stilmittel eingesetzt wird.

Einziger kritikpunkg ist die traumsequenz. Schwierig. Wie etwas darstellen, dass ejnen in den wahnsinn treibt? Das muss ja schon ganz schön krass sein. Muss sagen, das ist dir jetzt nicht so krass gelungen, wie es die geschichte in dieser form benötigt hätte.

Vorsicht hier: Es ist nicht die Gestalt, die die Personen in den Wahnsinn treibt, sondern das, was sie ihnen zeigt. Der Pilot äussert da eine Vermutung, aber mit Sicherheit kann es natürlich keiner sagen, da jeder, der es gesehen hat, tot ist.

Da müsste entweder noch mehr gefeilt werden, um die bedrohlichkeit in mächtigere bilder zu zwängen, oder du umschiffst das mehr und versuchst den horror verstärkt über unklare andeutungen wirken zu lassen.

Das ist immer der schwierige Spagat, du hast ja recht: Letzten Endes muss man, wenn man Horror-Geschichten schreibt, immer irgendwie mit Andeutungen arbeiten. Das finde ich recht schwierig. Der Horror muss sich ja im Kopf des Lesers abspielen, also man muss klar genug werden, um diesen Prozess im Kopf des Lesers anzustossen, darf aber auch nicht "zu viel" verraten, weil man dann entweder abgenutzte Bilder verwendet (bspw. Zombies, Vampire etc.) oder der Horror schnell zur Lachnummer verkommt. Ich hatte das Gefühl, hier ein gutes Mittelmass gefunden zu haben, aber vermutlich geh ich über die Stelle nochmal drüber. Du hast schon recht, "verbeult" kennt man eher in Verbindung mit Metall. Ich dachte hier an Beulen auf der Haut, was so Assoziationen zur "Beulenpest" wecken sollte, ist aber wohl nicht so gelungen. Also ich geh da nochmal drüber, werde aber auch bei der Überarbeitung nicht viel deutlicher, weil diese Gestalt selbst schon eher im Dunkeln bleiben soll, wo sie auch hingehört.

lollek:

Dass es an Stephen King erinnert, wundert dich da sicher auch nicht. Der hat wohl schon so ziemlich alles abgegrast in seinen tausend Romanen. Aber: Deine Geschichten sind mir lieber. Du gibst dir mehr Mühe beim Schreiben, glaub ich. Das ist sehr eingängige Sprache, genau die richtige mischung zwischen Dialogen und Erzählteil. Einfache Sprache, präzise Sprache, nicht überfrachtet, nicht zu dünn, passt.

Ok, jetzt werd ich definitiv rot ... ;)

Es ist wirklich immer wieder die Spannung, die deine Geschichten auszeichnet. Man muss sie fertig lesen, hier auch wieder.

Ja das ist schon etwas, worüber ich mir immer Gedanken mache: Wie kann ich den Leser dazu motivieren, weiterzulesen? Wenn es dann geklappt hat und noch so positiv hervorgehoben wird wie von dir jetzt, freut mich das natürlich ganz besonders.

Nix zu meckern

Hat mich sehr gefreut dein Beitrag!

Mothman:

Bei dir war ich auf die Reaktion besonders gespannt, weil du ein starker Kritiker meiner letzten Geschichte warst und ich hier versucht habe, die angesprochenen Punkte besser zu machen.

Das halte ich für einen gelungenen Einstiegssatz. Mich hat er jedenfalls sofort in den Bann gezogen. Sehr gut!

Das ist etwas, das ich früher unterschätzt habe und eines der vielen Dinge, die ich hier gelernt habe: Die Bedeutung des Anfangs. Entsprechend lang grübel ich da auch immer drüber, also bei dieser Geschichte habe ich am ersten und letzten Absatz mit Abstand die meiste Zeit verbracht.

Das hier finde ich komisch. Ich dachte er wollte zählen, wie oft die Anwältin ihren Kopf gegen die Wand rumst?

Nein, es ist nur eines seiner "Gedankenspiele", zu schauen, ob sie das regelmässig tut. Einfach nur, um sich irgendwie zu beschäftigen.

Vielleicht magst Du das am Anfang noch irgendwie klarer machen. Vielleicht trennst Du das Zählen und die Kopfschläge expliziter voneinander ab.

Ja ich werd da nochmal drüber gehen im Text und schauen, ob ich das besser trennen kann.

Sprich: Gut gefällt mir der Verweis auf den Klassiker „Animal Farm“. Andererseits bin ich mir ziemlich sicher, dass es nicht mehr viele Leute gibt, die wissen was damit gemeint ist.

Ja ich sehe den Punkt, auch in Verbindung mit dem Geo-Engineering. Ich denke, hier im Forum können die meisten etwas mit dem Begriff anfangen, wenngleich ich hier natürlich auch ein fremdes Bild verwende. Ich muss da nochmal drüber nachdenken, vielleicht pass ich an der Stelle noch was an.

Warum sich also nicht gleich nur auf drei Regeln beschränken, wenn eh nur drei genannt werden?

Es werden noch mindestens zwei weitere genannt:

- Konsum von "Wachmachern" (Koffein, Zigaretten, Guarana, Ephedrin etc.)
- Möglichst wenig Anstrengung, vergleiche:

Wie denn? Draußen, in den Straßen? Niemand, der bei Verstand ist, verschwendet unnötig Kraft.

(dies beantwortet auch deine letzte Frage)

Ich hab erst überlegt, alle Regeln einfach runterzuschreiben, wollte sie dann aber über den Text verteilen (und nicht immer mit "gemäss Regel soundso ..." einleiten). Eine Regel war auf jeden Fall noch, dass viel miteinander gesprochen werden muss, und die siebte fällt mir jetzt grad selbst nicht mehr ein ;). Also über diesen Regel-Teil werd ich nochmal drübergehen.

Da bin ich drüber geflogen. Ich meine, da müsste ein Grund stehen warum er sie langweilig findet. So liest sich das fast trotzig und das ist wohl eher weniger beabsichtigt.

Ist schwierig an der Stelle. Denn der Grund ist: Ihn interessiert das alles nicht gross. Der Erzähler soll in der ersten Hälfte der Geschichte (bis der Pilot von seinem Traum erzählt) desinteressiert, distanziert, eigentlich als reiner Beobachter auftreten. Ich weiss, das ist nicht ganz konsequent durchgezogen, aber es soll seine Absicht unterstreichen: Während jemand mit ihm redet, zählt er Konsonanten. Während eine Frau praktisch durchdreht, multipliziert er Zahlen. Ausserdem ständig diese Minuten-Zählerei. Das Schreiben dient ihm nur als Mittel zum Zweck, um wachzubleiben, aber wirklich involviert fühlt er sich nicht. Vgl auch hier:

In meinem Kopf ertönt ein Sirren, und drei neugierige Augenpaare sowie meins schauen auf den auseinandergefalteten Zettel.

Es interessiert ihn gar nicht, er hat auch überhaupt keine Meinung zu dem ganzen Prozedere.

Zwischen der Absicht des Zählens und dem Ergebnis, steckt zu viel Gerede der Anwältin. Ich denke, nur „Dreizehn“ zu schreiben, ist zu wenig.

Da war lange Zeit mehr, hab ich erst ganz zum Schluss wegbearbeitet. Werde da auch nochmal was anfügen, damit man nicht hängenbleibt.

Hm, der Schluss war mir zu unklar. So wie ich es verstanden habe, hat er durch eine unheilige Tat das Ende der Welt heraufbeschworen.

Ein bisschen was hab ich bei PSS schon geschrieben. Also, das Ende ist so zu verstehen: Er hat nichts mit dem zu tun, was um ihn herum geschieht. Du darfst ihm am Ende nicht das glauben, was er erzählt. Es gibt Hinweise im Text, dass er jetzt unzuverlässig wird: Er kriegt bspw. nicht mit, dass der Pilot aus der Geschichte verschwindet (erst als die Anwältin ihm das sagt). Er sieht Trugbilder. Er fängt an, von Eva zu erzählen, obwohl er das zu Beginn ausgeschlossen hat. Er vermischt Gegenwärtiges mit Vergangenem. Aber am Wichtigsten: Er bringt seine Minuten-Liste durcheinander. Ab da darfst du ihm eigentlich nicht mehr glauben.
Wie ich schon geschrieben habe, er hat seine Freundin getötet (so wie du es auch verstanden hast, er hat sie erwürgt), aber die Ereignisse um ihn herum haben mit seiner persönlichen Tat nichts zu tun. Hier fängt er jetzt erstmals an, wirklich zu bewerten und zu interpretieren, was um ihn herum geschieht, und sieht das komplett falsch. Die Menschen wurden durch diese Traumgestalt in den Wahnsinn getrieben, aber er meint, das sei seine persönliche Strafe, und er müsse jetzt durch die Hölle, um geläutert zu werden. Deshalb bezeichnet er diesen ersten Zustand auch als "Vorhölle", weil er (der Schuldige) da mitsamt den Unschuldigen (allen anderen) verweilt. Die "Unschuldigen" verschwinden aber nach und nach, wohin, weiss er nicht sicher (vgl.

da überlege ich, ob sie das Paradies gesehen hat.

), und es interessiert ihn auch nicht gross, für ihn zählt nur, diesen "ersten Kreis der Hölle" zu überstehen. Die Erzählung des Piloten bekräftigt ihn in seiner Meinung, da er jetzt denkt, den Schlafenden werden die inneren Kreise der Hölle gezeigt, was sie wahnsinnig macht (vgl. letzten Abschnitt). Er denkt aber, dass er, im Gegensatz zu allen anderen, diese Kreise nicht nur sehen wird, sondern wirklich da durchgehen muss - und meint das zu schaffen. Er fühlt sich da so viel stärker, und die Wahrheit, warum er wirklich der Letzte aus der Gruppe ist: Ihn hat der "überwältigende" Wunsch nach dem Wiedersehen mit Eva wachgehalten, also tatsächlich sein Geist. Das war mehr Motivation und mehr Antrieb als die rein körperlichen Versuche der anderen: Letzten Endes ist langes Wachbleiben eine Frage der Disziplin, ähnlich wie ein Langstreckenlauf. Körperliche Voraussetzungen müssen zwar da sein, aber die letzte Rolle spielt das Mentale. Und das hat er richtig gemacht, wenn auch aus den falschen Gründen.

Gut - also soweit mal die Überlegungen, die ich mir gemacht habe. Jetzt ist immer die Frage, wieviel davon muss im Text stehen, damit das klar wird? Das kann ich so natürlich nicht alles da reinschreiben. Ich muss da wirklich nochmal nachdenken, wie ich das verpacken kann. Also wichtig ist eben, dem Erzähler am Ende nicht mehr zu glauben, er verfällt da in Wahnvorstellungen.

In meinen Ohren klingt das immer ein bisschen nach einer Ausrede, weil man, trotz tollem Szenario, Spannung usw. nicht mehr zu einem vernünftigen Ende zurückfindet.

Ja das ist halt die Sache: Wie soll so eine Geschichte enden? Die muss zwangsläufig mit dem Tod des Prot. enden, das geht nicht anders. Eine Möglichkeit wäre noch gewesen, die Schmerz-Geschichte auszudehnen. Aber was bringt das? Ich wollte hier einfach noch eine andere Ebene reinbringen, praktisch den Wahn des Prot. mit den "realen" Ereignissen verknüpfen, so dass es schlüssig wird, warum er sich das alles zusammenreimt.

Erstens, warum fährt die ganze Welt zum Teufel, wenn sich einer an einem Engel(?) versündigt? Zweitens, worin bestand jene weltvernichtende Sünde?

Ich hoffe, diese Fragen sind durch meine Erklärungen beantwortet.

Und nein, ich werde keine Erklärung liefern, warum sich dieses "Wesen" in die Träume aller Menschen schleicht und ihnen etwas zeigt, das sie wahnsinnig werden lässt :). Das bleibt ebenfalls im Verborgenen.

Also ich hoffe ich konnte etwas Licht ins Dunkel bringen. Ich muss jetzt echt noch überlegen, wie ich einen Teil dieser Erklärungen noch in die Geschichte einfliessen lasse, ohne dass es aufgesetzt wirkt. Das wird vermutlich nicht so einfach :).

Vielen Dank nochmal euch allen für das Lob, die Anregungen, eure Anmerkungen ... einfach fürs Lesen und Kommentieren.

Grüsse,
Schwups

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi Schwups, noch mal ich, wollte mich noch einmal zum Ende deiner story äußern.
Hatte gestern ja noch einen Nachtrag unter meinen ersten Beitrag geschrieben, weiß nicht, ob du ihn gelesen hast.
Ich musste lachen, denn meine erste Lesweise ging ja ziemlich an der Sache (ich mein das Ende) vorbei. Da war meine Phantasie schwer am Rumwackeln. Beim zweiten Lesen hab ich das gemerkt. Mit Interesse hab ich daher deine Antwort gelesen.

Es gibt Hinweise im Text, dass er jetzt unzuverlässig wird: Er kriegt bspw. nicht mit, dass der Pilot aus der Geschichte verschwindet (erst als die Anwältin ihm das sagt). Er sieht Trugbilder. Er fängt an, von Eva zu erzählen, obwohl er das zu Beginn ausgeschlossen hat. (...) Aber am Wichtigsten: Er bringt seine Minuten-Liste durcheinander. Ab da darfst du ihm eigentlich nicht mehr glauben.
(...)
Hier fängt er jetzt erstmals an, wirklich zu bewerten und zu interpretieren, was um ihn herum geschieht, und sieht das komplett falsch. Die Menschen wurden durch diese Traumgestalt in den Wahnsinn getrieben, aber er meint, das sei seine persönliche Strafe,
(...)
Deshalb bezeichnet er diesen ersten Zustand auch als "Vorhölle", weil er (der Schuldige) da mitsamt den Unschuldigen (allen anderen) verweilt. Die "Unschuldigen" verschwinden aber nach und nach, wohin, weiss er nicht sicher (vgl.

da überlege ich, ob sie das Paradies gesehen hat.
(...)
Die Erzählung des Piloten bekräftigt ihn in seiner Meinung, da er jetzt denkt, den Schln werden die inneren Kreise der Hölle gezeigt, was sie wahnsinnig macht
(...)
Er fühlt sich da so viel stärker, und die Wahrheit, warum er wirklich der Letzte aus der Gruppe ist: Ihn hat der "überwältigende" Wunsch nach dem Wiedersehen mit Eva wachgehalten, also tatsächlich sein Geist.

Wenn ich das so lese, kann ich es logisch absolut nachvollziehen und finde es als Ende auch passend: Ein Mann, der seine über alles geliebte Frau getötet hat und nun von einer äußeren Katastrophe überrollt wird, die darin besteht, nie mehr schlafen zu dürfen, weil man sonst in einem zersetzenden Nichts landet. Sein Verbrechen (Gewissensbisse gemixt mit der Hoffnung auf ein Wiedersehen) hält ihn wach, doch mit zunehmendem Schlafentzug entstehen bei ihm Wahnvorstellungen, die ihn glauben lassen, das sei alles wegen ihm geschehen und gleichzeitig sei es eine Chance, die Geliebte wiederzusehen, indem er in der Hölle büßt.
Und die Andeutungen stehen auch drin im Text.

Aber:
1. Die Sache hat einen Widerspruch. Wenn er doch zum Schluss glaubt, dass alles die Strafe für sein Verbrechen ist und er glaubt, durch das Durchwandern der Höllenkreise Läuterung zu erfahren, warum schläft er nicht dann absichtlich ein?
Kurz gesagt, damit das Ende für mich schlüssig und nachvollziehbar bleibt, müsste er dann die Vorstellung haben, dass er das Durchwander der Kreise nur schafft, wenn er wach bleibt.

2. Und dass es zum Schluss Wahn ist, das muss deutlicher werden. Irgendwie fehlt mir einfach mal ein Satz, wo er sich selbst anzweifelt oder unsicher ist und er dann doch zu der (Wahn)Erkennnis kommt, dass alles wegen ihm passiert ist.
Vielleicht könnte man so einen kleinen Zweifel, dass es seinetwegen ist, ja auch schon vorher einbauen, aber er schiebt ihn weg und sieht hinterher, dass zuviele Striche auf dem Blatt sind oder er ein Loch ins Blatt gehackt hat mit seinen Bleistiftstrichen oder dass da eine Lücke prangt . Oder dass die anderen ihn mal komisch angucken und er sich fragt, ob die denken, dass er Schuld hat. Nur sachte Hinweise, aber zusammen mit denen, die eh schon im Text stehen, sollte das dann klappen, dass der zunehmende Wahn eben auch erkennbar ist.
Jetzt finde ich die Andeutungen zu zart gesät, er wirkt noch zu rational. Es sind ja zwei Handlungsebenen, an denen du dran bist. Einmal das äußere Geschehen mit dem Schlaf und die Reaktionen der Überlebenden damit. Die zweite Ebene ist der Stumme, der sich zu seinem Verbrechen bekennt und die Kata. als persönliche Strafe wahrnimmt. Die zweite Ebene muss sich versteckt entwickeln. Aber auch nicht so, dass der Leser die Andeutungen nur mit Mühe entdecken kann. Deine Aussage "ab hier darf man dem Protagonisten nicht mehr glauben", die müsstest du aus meiner Sicht für den Leser klarer machen.

2. Und mit der Eva führst du die Leser einfach auf ein falsches Gleis. Klar, man will ja mal falsche Fährten legen, aber hier wolltest du das ja gar nicht, sondern seine Wahnvorstellung illustrieren und leider geht der Schuss nach hinten los. Als Leser gerät man sofort auf die religiöse Schiene und denkt in der Richtung weiter. Ganz ehrlich, was würde es deiner Geschichte schaden, wenn du die Frau nicht Eva nennst, oder einen anderen Ausdruck benutzt als gefallener Engel?

Deine Geschichte gefällt mir wirklich ausgezeichnet, ich geh da auch schreiberisch so ein bisschen mit, lern von dir viel, "mecker" aber auch an den Stellen, die mir noch nicht so stimmig erscheinen wie der Rest.
Von daher nimm den nochmaligen Komm bitte nicht als Nörgelei oder so oder als nochmalige Rumhackerei auf dem Ende, obwohl du doch schon geschrieben hast, dass du was ändern und deutlicher machen willst. Die Geschichte interessiert mich halt wirklich sehr und ich hab die winzige Hoffnung, dass die Punkte dir noch einmal ein bischen besser verdeutlichen können, woran es für mich gehapert hat.
Liebe Grüße
Novak

 

Hallo Schwups

Ich denke, dass bei so vielen Kommentaren alles gesagt wurde und möchte daher nicht näher darauf eingehen. Zwei Stellen sind mir allerdings besonders ins Auge gefallen.

Folgendes geschieht: Sie legt beide Arme an den Körper, geht in die Hocke und brüllt. Ihr Gesicht läuft dunkelrot an, der Schrei wird wie ein Querschläger von den Wänden zurückgeworfen. Die Anwältin hält sich die Ohren zu, ruft: „Hören Sie auf.“

Das passt überhaupt nicht und wirkt irgenwie störend.

Als die Anwältin den Einwand brachte, das Blut und der Kupfergeruch würden davon nicht verschwinden, wurde es für einfacher befunden, dass die Lebenden statt der Toten den Raum wechseln.

Hat Blut nicht einen relativ hohen Eisenanteil und hat daher den typischen Eisen-Geruch?

Ansonsten hat mich deine Geschichte an den Bildschirm gebannt. Spannung pur! Ich habe sie sehr gern gelesen.

LG
Nachtschatten

 

Hallo alle zusammen


Ein bisschen was hab ich bei PSS schon geschrieben. Also, das Ende ist so zu verstehen: Er hat nichts mit dem zu tun, was um ihn herum geschieht. Du darfst ihm am Ende nicht das glauben, was er erzählt. Es gibt Hinweise im Text, dass er jetzt unzuverlässig wird: Er kriegt bspw. nicht mit, dass der Pilot aus der Geschichte verschwindet (erst als die Anwältin ihm das sagt). Er sieht Trugbilder. Er fängt an, von Eva zu erzählen, obwohl er das zu Beginn ausgeschlossen hat. Er vermischt Gegenwärtiges mit Vergangenem. Aber am Wichtigsten: Er bringt seine Minuten-Liste durcheinander. Ab da darfst du ihm eigentlich nicht mehr glauben.


Genau das tat ich aber, und zwar aus mehreren Gründen. Obwohl du den Leser, ziemlich am Anfang des Textes, über die einzelnen Stadien aufklärst, die bei Schlafentzug einsetzen, habe ich deinem Erzähler seine Interpretation der Geschehnisse abgekauft. Daran konnte auch die gelungene Szene mit dem Piloten nichts ändern, ebenso wenig die Stricherlliste.
Für mich beginnt es bereits mit dem Titel: Vorhölle. Das harmoniert einfach zu gut mit der Deutung des Prot. Dazu kommt noch der Name Eva, der das alles noch mehr befeuert; da wäre ein unverfänglicherer Name besser gewesen. Auch die Sache mit der Minuten-Liste führte ich mehr auf Übermüdung als auf Wahnsinn zurück. Als Verfasser fällt einem das vielleicht nicht so auf, aber du musst Folgendes bedenken: Dir gelingt es, meisterhaft, ein Szenario zu kreieren, in dem jeder, der einschläft, stirbt. Das ist nun mal die Ausgangssituation. Und wenn man, dank deinem Talent, diese eigentlich lächerliche Prämisse akzeptiert, dann fällt es doppelt schwer, bei den von dir zu dezent gestreuten Hinweisen zu denken: "Jetzt wird der Prot aber paranoid."

Als die Anwältin vom Buchvorhaben ihres Mannes berichtet, hätte dein Prot gedanklich über sein Lieblingsbuch schwärmen können. (Göttliche Komödie) Dann hätte ich es wohl auf Anhieb richtig verstanden.:D

Ansonsten kann ich nur sagen: Tolle Geschichte! Vom ersten Satz an stellte sich eine Sogwirkung ein, der ich nur allzu gerne erlegen bin.

 

So,

erstmal noch ein Herzliches Dankeschön an Nachtschatten und Melkor für eure Anmerkungen. Die haben mir sehr weitergeholfen, ebenso wie deine weiteren Hinweise, Novak. Find es absolut in Ordnung, dass du die unklaren Stellen aufzeigst, deshalb steht die Geschichte hier (der Nachtrag in deinem ersten Posting ist mir gestern abend tatsächlich entgangen).

Also, da ich schon ziemlich müde bin mache ichs diesmal kurz. Ich habe eine überarbeitete Fassung der Geschichte eingestellt:

- Der Name Eva ist rausgefallen und wurde durch Rebecca ersetzt. Der kommt zwar auch in der Bibel vor, aber weniger prominent.
- Der gestürzte Engel ist rausgefallen. Der hat den Leser doch stärker in eine Richtung gedrängt, als es von mir beabsichtigt war.
- Diverse Anmerkungen von weltenläufer und Mothman sind eingearbeitet.
- Beide Anmerkungen von Nachtschatten berücksichtigt und geändert.

So. Ich gehe natürlich auf jeden Kommentar noch im Detail ein, aber erst beim nächsten Mal.

Viele Grüsse,
Schwups

 

Hallo Schwups

Dann geschieht etwas Unerwartetes:

Warum lässt du es nicht einfach weg? Der Text spricht von selbst. Er hat diese Erklärung nicht nötig. Für den Leser kommt es genauso unerwartet, wie für die Personen im Raum.

Die Tänzerin legt beide Arme an den Körper, geht in die Hocke und brüllt.

LG
Nachtschatten

 

Hallo Schwups

Die Geschichte hatte ich bereits vergangenen Sonntag gelesen und zögerte, ob ich dazu etwas sagen soll. Es hat sehr gute Formulierungen drin, eine gewählte Wortwahl, dennoch löste mir der Stoff und die Handlung zwiespältige Gefühle aus. Der Einstieg klang mir irreal, es dauerte bis ich Begriff, welcher apokalyptische Hintergrund da gesetzt ist. Eine Nähe zu Science-Fiction scheint mir da gegeben.

Die ganze Handlung beschränkt sich auf Verhaltensweisen, die wie eine „kollektive Agonie“ anmutet. Auch wenn Fiktion viel Spielraum erlaubt, erwarte ich einen tieferen Sinn oder Zweck dahinter, der mir nicht erkennbar durchkam. Gut, es ist meine subjektive Erwartung, die sich nicht erfüllte, meine Distanz zu apokalyptischen Szenen, wie sie in Filmen zeitweilig in Mode waren. Vielleicht sind auch Fingerzeige drin, die ich nicht so deute, sich einzig einem Horrorfreak eröffnen. Mir spielte es zu sehr auf einer Ebene von Absurdität. Nicht schlicht aussichtslose, menschliche Verzweiflung, kein realistischer Ansatz einer Suche nach wirklicher Überlebensstrategie. Da fehlte mir etwas Konkretes, das über das Horrorszenarium hinaus mir einen Gehalt gibt. Etwas das mir zeigt, wie die Ursache dieses weltweiten Untergangs sich bildete und entwickelte.

Kürzlich beschäftigte ich mich mit der Frage, wie in der Literaturwissenschaft Horror gedeutet wird. Da diese Disziplin einen retrospektiven Ansatz hat, bekam ich einen Eindruck der Quellen zu solcher Klassierung und des einschliessenden Spektrums. Es ist breitgefächert, kristallisierte aber einen Konsens, den des Schreckens. Ich bin in Horrorliteratur ja nicht sehr bewandert, genau genommen hatte ich nur ein Buch gelesen, bei dem mir vor Schreck wirklich ein kalter Schauer über den Rücken lief. Allein grausige Schilderungen erschrecken mich nicht, sie wirken mir zwar widerlich, können unappetitlich sein, die klassische Ästhetik ins Gegenteil verkehren, aber mehr ist mir da nicht. Da packt es mich nur, wenn der Inhalt auch tiefgreifende Gefühle zu wecken vermag und die Unterhaltung – die ich bei einer Geschichte grundsätzlich erwarte - Oberhand gewinnt.

Erst nachträglich, mit den Kommentaren wurde mir ersichtlich, dass sich für den Prot. seine abstruse Realität zum aussergewöhnlichen Geschehen noch zusätzlich wahnhaft veränderte. Man „darf ihm eigentlich nicht mehr glauben“, schriebst du. Das gibt mir zwar punktuell eine andere Annahme, aber wenn ich vom Beginn ausgehe, bleibt es mir doch sehr verstiegen. Die zweite Geschichte in der Geschichte hatte ich vielleicht überlesen, da mir eine Steigerung im bereits bestehenden, exzessiven Wahn zu utopisch war.

Meine Lesersicht steht insofern im Kontrast zu jenen, die sich vielleicht genüsslich purer Horror-„Ästhetik“ hingeben. Persönlich setze ich eine ästhetische Grenzziehung beim Unheimlichen, weshalb meine Interpretation aus dieser Warte zu verstehen ist. Dennoch wollte ich dir meine Sichtweise nicht vorenthalten.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Auf zur nächsten Runde,

liebe Novak:

Was ich eigentlich nicht so mag, das ist, Personen nur die Berufsbezeichnungen zu geben. Hier gefällt es mir aber. Es unterstreicht die beklemmende, morbide Atmosphäre, in der jeder seiner Identität und seiner Individualität beraubt wird. Vor dem Schlaf sind wir alle gleich.

Das ist eine schöne Interpretation. Mein Hauptbeweggrund dafür war, die Distanz des Erzählers zu den anderen hervorzuheben. Der Name seiner Freundin sollte absichtlich der einzige Name sein, der in der Geschichte genannt wird. Ich glaube aber auch, dass sich die Figuren so besser einprägen, als wenn ich gleich im ersten Absatz mit vier verschiedenen Namen herumjongliere.

Die Gespräche wirken auch sehr echt, nicht so, als wolle man das Gespräch nur nutzen, um Infos über die Katastrophe unterzubringen, sondern authentisch.

Das freut mich, gerade die Dialoge kamen bei meiner letzten Geschichte ja nicht so gut an. Schön, dass es diesmal besser geklappt hat.

Zu deiner Interpretation:

Ich musste lachen, denn meine erste Lesweise ging ja ziemlich an der Sache (ich mein das Ende) vorbei

Ich weiss gar nicht, ob das so schlimm ist, wenn du die Geschichte anders gelesen hast, als ich sie meinte. Du schreibst ja, dir war das Ende erst nicht klar, aber du hast dir Gedanken darüber gemacht - das finde ich toll, wenn die Geschichte dann auch einen solchen Prozess beim Leser anstösst. Also das empfinde ich echt als Top-Kompliment, wenn mir jemand sagt: Ich hab über diesen Text nachgedacht. Denn das bedeutet, dass er über das Lesen hinaus gewirkt hat. Und wenn du dann auf eine Erklärung kommst, die sich mit dem Text deckt - spielt es dann eine Rolle, wenn ich was anderes sagen wollte? Also ich als Autor finde es besser, wenn ein Leser sagt: "Ich hab nachgedacht und habe das anders verstanden, als du gemeint hast" als wenn er sagt: "Zum Glück stand alles da, so hab ich gleich kapiert, was du eigentlich gemeint hast." Natürlich hat man seine Vorstellung, seine Ideen und lässt die in den Text fliessen, und es ist dann auch schön, wenn das am Ende für den Leser aufgeht - aber auf der anderen Seite will man das auch nicht mit dem Holzhammer in den Kopf des Lesers prügeln.

Was jetzt dieses konkrete Beispiel angeht, ich hab ja einige Rückmeldungen bekommen: Ich sehe, dass ich hier noch zu wenig rüberbringe von dem, was ich eigentlich wollte. Auch sind / waren da Stellen im Text, die den Leser (ohne dass ich es wollte) auf die falsche Fährte locken (der Name Eva, der gestürzte Engel). Aber grundsätzlich finde ich eine andere Interpretation - sofern sie anhand des Textes schlüssig ist - nicht "falsch" oder so.

Kurz gesagt, damit das Ende für mich schlüssig und nachvollziehbar bleibt, müsste er dann die Vorstellung haben, dass er das Durchwander der Kreise nur schafft, wenn er wach bleibt.

Ja, das ist absolut richtig, und so meinte ich es auch. Für ihn ist das der Beginn seiner Busse, er muss diese Situation überstehen und darf sich nicht "davonstehlen", indem er einschläft (so seine Ansicht). Der Schlaf ist die Möglichkeit für die "Unschuldigen", zu entfliehen (sie sind ja dann tot), für ihn ist das keine Option. Die Läuterung kann nur erfolgen, wenn er die Strafe annimmt, und das heisst nunmal, diese Situation zu ertragen. Jetzt ist die Frage: Wenn du das schon richtig aus dem Text schliesst, warum soll ich es dann explizit erwähnen? Ist es nicht besser, wenn der Leser von selbst darauf kommt?

Und dass es zum Schluss Wahn ist, das muss deutlicher werden. Irgendwie fehlt mir einfach mal ein Satz, wo er sich selbst anzweifelt oder unsicher ist und er dann doch zu der (Wahn)Erkennnis kommt, dass alles wegen ihm passiert ist.

Ja, wie gesagt, sehe ich ein den Punkt. Wobei ich sagen muss, wir reden hier nicht von der Art von "Wahnsinn", dass er jetzt verrückt im Viereck herumhüpft. Er kann durchaus noch denken, zieht aber aus den Ereignissen um sich herum die falschen Schlussfolgerungen.

Jetzt finde ich die Andeutungen zu zart gesät, er wirkt noch zu rational.

Rational finde ich hier ein schwieriges Wort. Vielleicht kennst du Das verräterische Herz von Poe, wie würdest du da den Erzähler zu Beginn einschätzen, also vor dem Mord? Er ist ja da auch schon wahnsinnig, handelt aber noch rational, wie er bspw. unendlich langsam und leise die Schlafzimmertür seines Opfers öffnet. Das ist halt Poe, der kann das meisterlich, da wird dem Leser klar, der Erzähler ist nicht zurechnungsfähig, obwohl er - im Sinne des Erreichens seines "Ziels" - durchaus umsichtig und "rational" zu Werke geht. So was fehlt halt der Geschichte hier am Ende. Das würde den Wahn auch deutlicher hervorheben, wie du es forderst. Ich muss mir da noch was überlegen.

Nachtschatten:

Ansonsten hat mich deine Geschichte an den Bildschirm gebannt. Spannung pur! Ich habe sie sehr gern gelesen.

Vielen Dank für das Kompliment! Und für die beiden Stellen, die du aufgezeigt hast (habe ich beide übernommen).

Warum lässt du es nicht einfach weg? Der Text spricht von selbst. Er hat diese Erklärung nicht nötig. Für den Leser kommt es genauso unerwartet, wie für die Personen im Raum.

Ja du hast recht. Das war eine schwere Geburt, aber ich stand da irgendwie auf dem Schlauch. Hatte das Gefühl, es bräuchte eine "Überleitung", aber ohne klingt es echt kompakter. Danke fürs erneute Nachhaken :).

Melkor:

Herzlich Willkommen im Forum :)

Normalerweise schreibe ich das unter Geschichten, nicht unter Kommentare. Finde es cool, dass du hier gleich mit einem Kommentar einsteigst.

Für mich beginnt es bereits mit dem Titel: Vorhölle. Das harmoniert einfach zu gut mit der Deutung des Prot.

Das ist natürlich kein Zufall :D.

Dazu kommt noch der Name Eva, der das alles noch mehr befeuert;

Ja, guter Hinweis, der ist gestern rausgeflogen.

Auch die Sache mit der Minuten-Liste führte ich mehr auf Übermüdung als auf Wahnsinn zurück.

"Wahnsinn" - ich glaube, den Begriff hab ich aufgebracht, und bin nicht mehr glücklich darüber. Wie "normal" kann der Erzähler angesichts der Ereignisse um ihn herum bleiben? Ist es da nicht natürlich, dass er solche Vorstellungen entwickelt, dass die auch religiös angehaucht sind? Würde das nicht vielen von uns in der Situation so gehen? In der Realität braucht es oft viel weniger, damit Menschen, die keine Gläubigen sind, über Gott nachdenken, anfangen zu beten etc. Was anderes tut der Erzähler hier ja im Grunde nicht. Wie gesagt, letzten Endes sind es "nur" falsche Schlüsse, die er aus den Erlebnissen um sich herum zieht.

Als die Anwältin vom Buchvorhaben ihres Mannes berichtet, hätte dein Prot gedanklich über sein Lieblingsbuch schwärmen können. (Göttliche Komödie) Dann hätte ich es wohl auf Anhieb richtig verstanden.

Das ist ein guter Hinweis. Ich werde mal in die Richtung überlegen, ich bin noch nicht überzeugt, ob es sinnvoll ist, diese Hinweise so früh in die Geschichte einzubauen, aber versuchen kann ich es ja mal.

Ansonsten kann ich nur sagen: Tolle Geschichte! Vom ersten Satz an stellte sich eine Sogwirkung ein, der ich nur allzu gerne erlegen bin.

Vielen Dank für die Komplimente und dein Feedback.

Anakreon:

Danke auch für deine - gewohnt fundiert begründete - Rückmeldung. Schade, wenn die Geschichte nicht so deins war, aber ich finde es gut, dass du mir das mitteilst. Deine Anmerkungen verdienen einen ausführlicheren Kommentar, als ich ihn jetzt noch zustande bringe - insofern muss ich dich aufs nächste Mal vertrösten ;).

Viele Grüsse,
Schwups

 

Lieber Schwups,

deine Geschichte liest sich wie dein Name. Du arbeitest hier mit einer sachlichen Grausamkeit. Das dauert ein bisschen bis sie mich packt. Aber wenn man liest, will man unbedingt wissen, warum sie nicht schlafen dürfen, was Rebecca damit zu tun hat und wieso er nicht spricht. Spannend ist sie, deine Erzählung. Ein klassisches Setting sauber umgesetzt, die Personen (schön, dass du ihnen keine Namen gibst) und der Ich-Erzähler: herrlich. Sein Zählwahn, wie er sich abzulenken versucht, dokumentiert, aber nicht interagiert, was ihn zu einem Erzähler macht, der über dem Geschehen steht und irgendwie kommt er einem unverwundbar vor, er lässt ja auch nichts ran an sich - am Ende dreht er eben auch durch, verzählt sich, verstrichelt sich.

Übrigens: Vorhölle ist ein sehr schöner Titel, der wunderbar auf die Geschichte zutrifft. Allerdings heißt das auch, dass der Horror, den du hier beschrieben hast, erst der Anfang ist. Hier endet es - vorerst, schreibst du ja. Das streut noch einmal zusätzlich Horror zwischen die Zeilen.


Ein paar Anmerkungen:

Die Anwältin spricht nicht so elitär wie erwartet. Der Pilot fasst den Entschluss, die Anwältin kommt auf den Trichter. Ich kann verstehen, wenn du das als Stilmittel nutzt, weil die alle verrückt werden. Da fände ich es aber besser, wenn sie anfangs so spricht wie eine Anwältin und dann in die Sprache sackt, die du ihr in den Mund geschrieben hast. Bei dir ist es an machen Stellen sogar umgekehrt, da findet sie plötzlich Formulierungen wie „Letale familiäre Insomnie“.

Seltsam, wie sich die Sinne verändern – und unheimlich, wie bei dem Schleier, der von Zeit zu Zeit vor meinen Augen erscheint.
Kommt da noch was?

*Die Fernseh- und Radioprogramme fielen zuerst aus, kurze Zeit später die Internetverbindungen
Internetverbindungen? Meinst du damit LAN-Anschlüsse, WLAN, usw...?

Aber er klingt, als hätte er einen Plan, und im Notfall hören wir Menschen auf den mit dem Plan.
und im Notfall hören wir auf Menschen mit Plan.

Er sagt, wir überleben, wenn wir diese Regeln befolgen.
Hier fände ich es knackiger, wenn du die Reihenfolge änderst. Das macht das Überleben noch einmal abhängiger von den Regeln.

Die Anwältin will reden. Ihr vom Duschen aufgequollenes Gesicht schwebt wie ein Lampion vor meinem, ihre Haut wirkt im grellen Licht durchsichtig. Die letzte Regel befiehlt, den Raum maximal zu erhellen.*
„Sind wohl Schriftsteller, hm?“ Sie trinkt mit Guarana-Pulver versetztes Wasser und raucht Kette. Der Bluterguss auf ihrer Stirn erinnert an einen untergründigen Vulkan.
Die Bilder gefallen mir. Kann ich mir alles gut vorstellen.

„Es hieß*Fasten*und war scheußlich. Es ging um vier Menschen, die sechzig Tage in einem Raum verbringen müssen und nichts zu essen kriegen. Jeder hat ein Skalpell, und das einzige, was sie essen dürfen, sind ihre Körperteile. Aber niemand darf die*eigenen*essen. Diese vier Menschen können nur überleben, wenn sie sich gegenseitig mit Teilen ihres Körpers füttern.“
Das ist so ein Kunstgriff ... Jedenfalls: Der letzte Satz ergibt für mich wenig Sinn. Warum müssen sie sich füttern, sie können doch selbst essen.

„Wir werden hier drin krepieren. Jeder von uns. Die da drüben können ficken, bis sie schwarz werden, aber auch sie gehen hier drauf.“
Der Professor schüttelt den Kopf, murmelt von seinen Regeln.*
„Das hier“, sagt die Anwältin. „Das kann keiner überleben.“ Sie klingt heiser. „Wir verrecken hier, alle zusammen.“
Sind die 3 HIERS beabsichtigt?

Und so schnell, wie die Tänzerin mitgemacht hat, ist ihre Berufsbezeichnung höchstwahrscheinlich ein Euphemismus.
Sehr gut!

„Herrgott, ich weiß doch auch nicht. Mit platzt gleich der Schädel.“
Mir platzt ...

*In meinem Kopf ertönt ein Sirren, und drei neugierige Augenpaare sowie meins schauen auf den auseinandergefalteten Zettel.
auseinander gefalteten?

Sie schüttelt den Kopf. Ich frage mich, wie aus diesen kleinen Augen so viele Tränen fließen können.
Gefällt mir!

Alle brüllen und taumeln durch den Raum wie Planeten, deren Umlaufbahnen zusammenbrechen, weil ihre Sonne stirbt.
Ein schönes Bild, dem ich leider widersprechen muss. Du machst die Tänzerin damit zur Sonne. Wolltest du das? Also für mich ist sie keine Sonne. Allerhöchstens ein Mond.

„Ja“, sagt der Professor. „Nur erstens haben wir solche Geräte nicht hier, und zweitens wüsste auch keiner von uns, wie man die anschließt und auswertet. Wir machen das auf die Hausfrauenart: Ich hebe Ihren Arm in die Luft, wenn er zurückfällt, definieren wir das als Schlaf. Was Besseres weiß ich nicht.“
Du sagst so oft HIER! Die Definition von Schlaf macht wenig Sinn, so kann der Pilot ja trotzdem Schlaf vorspielen.

„Einen Anhaltspunkt. Mehr nicht. Aber je genauer wir diese Zeit kennen, desto besser. Ich schlage vor, wir lassen ihn einfach schlafen, bis wir den genauen Zeitpunkt wissen.“
Die Anwältin versteht erst nach einem Augenblick. „Was? Sie wollen ihn nicht wecken?“
Der Professor schüttelt den Kopf. „Überlegen Sie. Er schläft jetzt. Wir können am meisten von ihm lernen, wenn wir warten, bis es – losgeht.“
ALTER, was geht mit dem Professor ab! Richtig geil gemacht!

„Ich bin über dieses Feld gegangen, ich meine, was macht man, wenn man das Gefühl hat, der Letzte zu sein? Ich weiß nicht, wo ich hin wollte. Einfach weg von da. Dann bin ich zu den Gräbern gekommen.“
Pause.
Warum nicht: Ich weiß nicht, wohin ich wollte. (Inzwischen musst du mich für die kleinen Änderungsvorschläge hassen, sorry!) =)


Beweihwassern verboten.
Heftig!

Der Pilot nickt. „Ist mir klar. Dieses Ding, dieses als Mensch Verkleidete – das hat einen Weg in unseren Kopf gefunden, wenn wir schlafen. Vielleicht ist das eine Erklärung für alles.“
wenn wir schlafen, findet es einen Weg in unseren Kopf oder so. So wie es hier steht, stolpre ich über das nachgeschobene WENN WIR SCHLAFEN.


Das ist kein Traum. Das Ding will uns bloß – etwas zeigen, aber das kann es nur, wenn wir schlafen.
Das Dinge könnte auch im Traum etwas zeigen wollen. Warum das "bloß"?

Der Pilot nickt. „Ja.“
Ich hätte kein "Nein." erwartet.

Hin und wieder erspähe ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung, aber wenn ich länger an die Stelle blicke, ist alles ruhig.
auf die Stelle

Der Professor blättert in einem Buch über Medizin.
einem medizinischem Buch?

Bin noch eine Weile wachgelegen, und um kurz vor halb vier sind die Sirenen losgegangen.“
wach gelegen

*Ich nähere mich nichts mit solchen Fingern.
Da stimmt was nicht.

Ich glaube, wenn wir uns weigern zu schlafen, kommen unsere Albträume in die Wirklichkeit.
Das erinnert mich an ES von Stephen King.

Ich blicke lange an die leere Stelle neben dem Regal. Irgendwann habe ich eine weitere Minute überlebt. Ein neuer Strich als Nachweis für einen überstandenen Abschnitt – zwar nur einen kleinen, dafür einen, den ich ertragen konnte.
Gefällt mir sehr gut!

Der Professor beobachtet sie wie ein Löwe die Antilope an einem Flussufer.
Vielleicht schaut er sie wirklich so an, aber das Bild führt in eine andere Richtung. Der Professor will die Anwältin ja nicht reißen, er will sie schlafen lassen.

Meine Hand zittert. Ich denke an das letzte Mal, als meine Hand zitterte, und denke an Rebecca.
Meine Hand zittert. Ich denke an das letzte Mal, als meine Hand zitterte, und an Rebecca.

Sie wirkt wach, aber ihre Augen sind leer, haben etwas gesehen, das ihren Verstand vernichtet hat, so wie Tageslicht die Aufnahmen von alten Filmen löscht.
Das ist cool! Vor allem der Vergleich mit Licht, das ja gerne mit Wissen oder Erleuchtung in Zusammenhang steht. Dass das was löschen kann, dass das einen blenden kann, vergessen viele.

Während ihr Kreischen die Welt erfüllt, zerkratzt sie sich das Gesicht. Ein fauliger Gestank zieht durch den Raum, als sie ihren Darm entleert. Dann packt sie ihre Zunge, zieht sie heraus und beißt hinein. Ich kann meinen Blick nicht abwenden, nicht mal, als sie die Zunge abbeißt und wie ein faules Stück Fleisch auf den Boden klatschen lässt.
Jetzt geht's rund! Zwei Sachen gefallen mir hier allerdings nicht:
1. ihr Kreischen die Welt erfüllt (so verbraucht dieser Satz, zudem stimmt er nicht oder hören alle ihr Kreischen?)
2. als sie ihren Darm entleert (das ist wirklich zu sachlich für: sie scheißt sich in die Hose.) Da musst du ein bisschen mutiger sein.


Finde die Geschichte echt gut gemacht. Meine Vorredner haben ja schon gesagt, dass sie keinen Innovativpreis gewinnt, aber du ziehst das konsequent durch. Wie sie mit der Situation umgehen, jeder auf seine Weise - Zahlen, Sex und Schmerzen. Du beschreibst die Charaktere nicht sonderlich ausführlich, aber bei mir bekommt jeder ein Gesicht und jeder handelt auf seine Art menschlich unmenschlich. Wunderbar fand ich hier den Professor, hab ich ja schon bei den Anmerkungen geschrieben, wie der den Piloten nicht mehr aufwecken will und am Ende die Anwältin. Seine Unmenschlichkeit wird richtig ansteckend, später tödlich. Dein Schluss ist nicht klar, nicht verständlich, da ist kein Aha-Effekt drin, aber das wäre auch Blödsinn: du verwirrst den Leser und man wird hineingezogen in die Vorhölle. Das steht da schwarz auf weiß und es stimmt.

Fand's schon ein bisschen gruselig. An manchen Stellen kommt es mir allerdings so vor als hätte dir dein innerer Zensiermensch ein paar kräftigere Ausdrücke geklaut.

Beste Grüße
markus.

 

Hallo Schwups,


habs auch gern gelesen. Das liest sich gut. Ich hab jetzt zurückgeblättert, wie der Schluss zu verstehen ist … du wolltest wohl, dass man irgendwann merkt, dass der Erzähler unzuverlässig wird, dass er Dinge sieht und falsch interpretiert und so. Ich denke, ein Problem wird da sein, dass hier eh alles ein bisschen fantastisch anmutet, Leute können nicht einschlafen, da huscht was in den Schatten, die Welt geht unter, die Geschcihte heißt Vorhölle … also man geht hier beim Lesen sowieso ein bisschen davon aus, dass man nicht allzu realitätstreu denken sollte. Und dann wirds schwer, wenn man den Erzähler nicht glauben kann. Also mir hats Spaß gemacht, die verschiedenen Figuren zu beobachten, den Verlauf und so weiter zu verfolgen … die Sprache auch, die Stimme, das Zählen, der Sex, der Prof, das ist echt gut, aber das Schicksal des Ich-Erzählers kam jetzt nicht so bei mir an. Weiß auch nicht genau, ob das so befriedigend ist, also die Vorstellung, die Welt geht unter und mein Erzähler bezieht das auf sich, aber das stimmt gar nicht, es liegt nicht an ihm, es liegt an irgendwelchen anderen fantastischen Dingen, auf die mein Erzähler aber nicht eingehen kann, weil er jetzt müde wird. Weiß nicht. Der Erzähler ist halt auch ein blasser Typ. Als Erzähler taugt der was, das Zählen ist interessant, aber sonst macht der nicht viel. Und dann das mit seiner Frau. Man kennt die gar nicht. Das ist halt so ne vage Rückblende für den Leser.
Aber das war jetzt auch viel Kritik. Das Gute ist, die Geschcite funktioniert auch so, finde ich, das ist eine sehr gut beschriebene Desaster-Situation. Hab ich gern gelesen.

Jeder Aufprall tönt dumpf, überhaupt klingt alles seit zwei Tagen tonlos. Seltsam, wie sich die Sinne verändern – und unheimlich, wie bei dem Schleier, der von Zeit zu Zeit vor meinen Augen erscheint.

Der Schleier, der vor den Augen erscheint, gefällt mir nicht so. Ich les da immer drüber bei so was. Kommt so häufig. Ein grauer dusterer nebeliger Schleier … Was soll man sich darunter vorstellen? ich find man hat da kein Bild vor Augen. Da verschwimmt bloß alles. Selstam, wie sich die Sinne verändern. Gut. Punkt. Und unheimlich ist es auch noch! Okay. Geht auch noch. Und dann: Wie bei dem Schleier der von Zeit zu Zeit vor meinen Augen … na ja, ist jetzt nicht so meins, aber furchtbar ist es auch nicht.


Wirklich gern gelesen.

MfG,

JuJu

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus Schwups,

seit ich weiß nicht wie vielen Jahren ist deine Vorhölle die erste Horrorgeschichte, die ich gelesen habe. (Ist einfach nicht mein Genre, genauso wenig wie Fantasy, weil in den meisten Fällen die Existenz von Übernatürlichem vorausgesetzt wird, damit die Geschichte überhaupt funktioniert. Und dieses mein Vorurteil wurde mir am Schluss deiner Geschichte bestätigt, wo ich einfach akzeptieren musste, dass die Verursacher der Apokalypse halt irgendwelche Schattenwesen aus irgendeiner Geisterwelt sind. Ein aus dem Ruder gelaufenes Drogenexperiment irregeleiteter Weltverbesserer hätte mich als Auflösung allerdings auch nicht wirklich befriedigt.)

Aber egal. Reingelockt in die Geschichte wurde ich von deinen ersten Sätzen und war dann von der ersten bis zur letzten Zeile regelrecht gefesselt. Von der Story, von deiner Sprache, von deiner Fähigkeit, die Spannung bis zum Schluss zu halten, von all diesen schrägen Figuren, von deinem Prot mit seinem dunklen Geheimnis, von all den Sachen, die meine Vorkommis um einiges eloquenter als ich, der ich wie gesagt ein Horrorlektüredilettant bin, ohnehin schon gelobt haben.

Aber:
Ich habe den Text in der ursprünglichen Fassung gelesen und dann das Kommentieren der Leser verfolgt. Und da sind mir ein paar kuriose Dinge aufgefallen:

Folgendes geschieht: Sie legt beide Arme an den Körper, geht in die Hocke und brüllt.
Zitat Novak:
Da stört mich die Ankündigung: Folgendes geschieht. Ich finde nicht, dass das gut klingt und mir ist der Nutzeffekt hier auch nicht ganz klar.

Folgendes geschieht:…
Zitat Nachtschatten:
Das passt überhaupt nicht und wirkt irgenwie störend.

In einer deiner Antworten auf die Kommentare schriebst du dann, du hättest die Stelle geändert, und ich hab mir gedacht, verdammt, wieso? Das ist doch genau eine der Formulierungen, die mir so gefielen, wo ich beim Lesen das Gefühl hatte, echt stark, wirkt so hingeknallt, so eigenständig, irgendwie eckig. Ganz ehrlich, genau dieses Folgendes geschieht machte für mich die Story nicht besser oder schlechter, aber es stach hervor, erschien mir als deine unverwechselbare Art, spannend und eindrücklich zu schreiben. Sowas nenne ich eigenständigen und selbstbewussten Stil.

Worüber ich schweigen werde: Meine Frau. Ihr Name war Rebecca. Mehr werde ich über sie nicht erzählen.
Zitat Morlou:
Würde ich auch streichen. Wenn du mit Rebecca endest, stürze ich mich noch lieber in den nächsten Absatz. Der nachfolgende Satz schmälert meine (Neu)Gier irgendwie.

Ja, und das ist auch sowas. Eine meiner Lieblingsstellen. Da kann ich so viel herauslesen aus diesen kurzen lapidaren Sätzen, wirklich schön geschrieben für einen wie mich. Aber ich bin wohl ein etwas langsamerer Leser, und entsetzlich stilverliebt.

Und lese solche Vorschläge einfach zu oft hier im Forum:

Morlou: Will sagen: Hat mich aufgehalten beim Lesen.

Morlou: Vielleicht könnte man da auch abspecken?

Noch einmal, ich bin keiner, der im Lesen von Horrorkram bewandert ist und möglicherweise darf der Leser dieses Genres einen extrem rasanten Stil einfordern, keine Ahnung wie gesagt, aber dann denk ich mir halt: hallo, wir reden aber schon vom Lesen, oder?
Und wenn ich sehe, da hat einer Spaß am Spielen mit der Sprache, warum soll das meine Neugier schmälern? Wenn ich einen tollen Satz lese, dann freue ich mich erst recht auf den nächsten, lese ihn vielleicht sogar ein zweites Mal, ich bin ja nicht im Kino, verdammt. Die Forderung, unnötiges Zeug rauszuhauen, mag in vielen Fällen durchaus berechtigt sein und mit z.B. Adalbert Stifter würde man selbst mich nicht mehr hinterm Ofen hervorlocken, aber man kann’s meiner Meinung nach übertreiben. Jede sperrige Formulierung glattbügeln oder rausschmeißen? Was bleibt denn dann übrig?

Ich schweife ab, tschuldige, Schwups. (Aber ich lege mich ja für deinen Schreibstil ins Zeug)
Lass mich Resümee ziehen:
Du schaffst es, einem gottverdammten Rationalisten wie mir das Horrorgenre schmackhaft zu machen, also das verdient schon Respekt.

Ganz tolle Geschichte, ganz toll und stark und schön geschrieben!

offshore


beinahe vergessen:

Diese vier Menschen können nur überleben, wenn sie sich gegenseitig mit Teilen ihres Körpers füttern.
Zit. M. Glass: Jedenfalls: Der letzte Satz ergibt für mich wenig Sinn. Warum müssen sie sich füttern, sie können doch selbst essen.

Fand ich wunderhübsch, das Füttern. Bitte nicht ändern!

 

Ach offshore,

dein Ernst? ;) Kleinkrams ist auch manchmal schön:

ernst offshore schrieb:
Schwups schrieb:
Diese vier Menschen können nur überleben, wenn sie sich gegenseitig mit Teilen ihres Körpers füttern.
Fand ich wunderhübsch, das Füttern. Bitte nicht ändern!
Weißt du, was das bedeutet? Sie schneiden sich meinetwegen einen Finger ab, nehmen den dann, ein bisschen eingeschränkt durch ihre Neunfingrigkeit, stopfen den in den Mund von jemand anderem. Warum? Das ist absurd! Sicher klingt das Füttern in diesem Zusammenhang herrlich gruselig, aber die Szene dahinter ...

Gruß
markus.

 
Zuletzt bearbeitet:

Zitat von Markus:

Zitat von Schwups
Diese vier Menschen können nur überleben, wenn sie sich gegenseitig mit Teilen ihres Körpers füttern.

Falsche Quellenangabe sozusagen, lieber Markus,
nicht Schwups sagt das, sondern die Anwältin! (Beachte die Anführungszeichen im Originaltext von Schwups):

„Es hieß Fasten und war scheußlich. Es ging um vier Menschen, die sechzig Tage in einem Raum verbringen müssen und nichts zu essen kriegen. Jeder hat ein Skalpell, und das einzige, was sie essen dürfen, sind ihre Körperteile. Aber niemand darf die eigenen essen. Diese vier Menschen können nur überleben, wenn sie sich gegenseitig mit Teilen ihres Körpers füttern.“

Gruß
offshore

 

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