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Vor Sonnenuntergang
Die Prognose, die Dr. med. Gebhard Robert vor drei Monaten ihm mitgeteilt hatte, war niederschmetternd für ihn.
Prostatakrebs. Die Hormon- und Chemotherapie war die einzige Chance die ihm noch blieb.
Zu seinem Freund Thomas gewandt sagte er:
>>Wir schaffen das zusammen. Wir geben den Kampf gegen den Krebs nicht auf. Niemals! Ich bin so froh, dass du an meiner Seite bist<<.
Tränen schimmerten in seinen Augen.
Im gleichen Augenblick kam ihm der schwere Autounfall von Thomas in den Sinn.
>>Wir beide haben schon andere Dinge in unserer Partnerschaft gemeistert.
Wenn ich da nur an deinen schweren Autounfall vor drei Jahren denke.
Das war auch haarscharf am Tod vorbei.<<
Thomas dachte mit Grausen daran zurück.
Sie hatten sich in den Arm genommen und dieses wunderbare Gefühl von Liebe und Geborgenheit machten sich in beiden breit.
>>Ja, zusammen sind wir stark. Wir schaffen das.<<
Robert ließ keinen Zweifel daran, dass sie es zusammen schaffen würden den Krebs zu besiegen.
Die Zeit verstrich. Die Behandlung war mörderisch und quetschte
die Lebenskraft immer mehr aus Roberts Körper.
Thomas setzte es auch immer mehr zu.
Vor einer Woche hatte Dr. med. Gebhard Robert ihm mitteilen müssen, dass es keine Heilung mehr geben würde.
Es war, als wenn ihm der Boden unter den Füßen weggezogen würde.
Er wütete nicht nur gegen die Krankheit, sondern haderte auch mit Gott, obwohl er ein gläubiger Katholik war.
>>Du bist kein gerechter Gott. Du lässt mich hier verrecken. Ich will nicht sterben. Ich will leben.
Was soll Thomas nur ohne mich machen. Er braucht mich doch, und ich brauche ihn.<<
Thomas ging es nicht anders. Er liebte seinen Freund so, aber er konnte ihm nicht helfen.
Hilflos musste er mit ansehen, wie der Krebs immer mehr Besitz von ihm nahm.
Selbst seine unerschütterliche Liebe zu Robert konnte nichts mehr ausrichten.
Dr. med. Gebhard hatte ihnen das „Hospiz zum Guten Geist“ empfohlen.
Thomas hatte es erst zu Hause versucht, seinen Freund zu betreuen, aber es ging im letztendlich doch über seine Kräfte.
So hatten sie sich an Dr. med. Paulsen gewandt.
Der Krebs war weit fortgeschritten.
Gut, dass Robert hier im Hospiz einen Platz gefunden hatte.
»Bleibst du bei mir?«
»Natürlich bleibe ich bei dir. Wir haben uns doch versprochen: in guten wie in schlechten Tagen.«
»Das ist schön«, Robert lächelte gequält.
Thomas biss die Zähne zusammen. Er wollte nicht weinen.
Er tupfte Schweißperlen von der Stirn seines Freundes.
Wie furchtbar war es für ihn mit ansehen zu müssen, wie sein Freund mit dem Krebs einen aussichtslosen Kampf führte.
Dr. Paulsen hatte ihm vor zwei Tagen mitgeteilt, dass es nun nicht mehr lange dauern würde.
«Der Krebs ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass es keine Hoffnung mehr gibt.
Wir können ihrem Freund nur noch die Schmerzen lindern. Es ist ein aufrichtiges Anliegen
von uns, dem Patienten und auch den Angehörigen so weit als möglich in dieser Phase gerecht zu werden.
>>Nicht dem Leben mehr Tage, sondern den Tagen mehr Leben geben<<, zitierte der Doktor.
Es war so schrecklich für Thomas hilflos mit anzusehen, wie sein Freund immer mehr mit dem Tod zu kämpfen hatte.
Schwester Gerda betrat das Krankenzimmer. Sie ging auf das Bett von Robert zu, tippte Thomas auf die Schulter. Sie beugte ihren Kopf herunter und flüsterte ihm ins Ohr:
»Herr Christiansen, so geht es nicht weiter. Sie sind jetzt schon fast zwölf Stunden ununterbrochen hier. Irgendwann macht auch ihr Körper nicht mehr mit. Sie müssen sich jetzt eine Ruhepause gönnen.«
»Ich weiß, dass sie es gut mit mir meinen, aber ich kann ihn doch nicht einfach so hier allein lassen«, traurig, fast flehend kam es aus seinem Mund.
»Doch das können Sie. Sie brauchen Ihre Kraft noch. Fahren Sie für ein paar Stunden nach Hause. Wenn sie sich ausgeruht haben, kommen sie zurück. Sollte sich in der Zwischenzeit der Zustand gravierend verschlechtern, dann rufen wir sie sofort an.«
Er musste sich eingestehen, dass Schwester Gerda Recht hatte.
Die Müdigkeit war überall in seinem Körper zu spüren.
Klare Gedanken konnte er schon lange nicht mehr fassen.
»Aber ich habe ihm doch versprochen, ihn nicht allein zu lassen.«
»Es ist besser, glauben sie mir. Ich verstehe auch sehr gut, dass sie ihn jetzt nicht allein lassen wollen.«
Schweren Herzens und mit schlechtem Gewissen stand Thomas auf.
Er nahm seinen Mantel vom Stuhl, zog ihn an, knöpfte ihn ganz langsam zu,
dann wandte er noch einmal seinen Kopf zum Bett seines Freundes und flüsterte leise:
«Oh mein Liebling. Ich möchte nicht gehen.»
Er nickte noch einmal Schwester Gerda zu. Er öffnete die Tür, ging hinaus
und schloss sie hinter sich. Erschöpft lehnte er sich noch einen kurzen Augenblick an die Tür.
Ein tiefer Seufzer kam aus seinem Mund. Er drückte sich von der Tür ab, ging den Flur entlang zum Fahrstuhl. Unendlich lang kam es ihm vor, bis sich die Fahrstuhltür öffnete und er eintreten konnte.
Als er im Fahrstuhl war, packte ihn die Wut. Mit seinen Fäusten schlug er verzweifelt auf die Innentür ein.
»Gibt es noch einen gerechten Gott? Wo bist du, wenn man dich braucht? Warum er. Warum gerade jetzt?«
Fragen auf die niemand ihm eine Antwort geben konnte.
In der nächsten Etage stiegen andere Besucher zu. Er hoffte, dass sie nicht seine langsam trocknenden Tränen sehen konnten. Endlich war das Erdgeschoss erreicht. Ein paar Stufen herunter und er war im Parkdeck angekommen. Die Straßen waren heute Abend wie leergefegt.
»Ich hätte mich auch jetzt nicht so gut auf den Verkehr konzentrieren können.«
Nach einer Viertelstunde erreichte er seine Wohnung.
Vollkommen aufgelöst saß er nun im Wohnzimmer. Seine Gedanken waren bei Robert.
Nach ein paar Minuten wanderte sein Blick durch den Raum, sein Blick fiel auf ein besonderes Bild. Es war naive Malerei, schön bunt, und zeigte eine Szene von Pigalle. Ein Schmunzeln machte sich in seinem Gesicht breit. Das Bild hatte er Robert zu seinem 40. Geburtstag geschenkt.
Er erinnerte sich noch genau, warum er gerade diese Bild ihm geschenkt hatte.
Er hatte mit Robert einen Kurztrip nach Paris gemacht um auch Jérôme, einem Freund von Roberts Studienjahre in Paris zu besuchen. Robert hatte dort einige Jahre gelebt. Seine Mutter war Französin, sein Vater Deutscher. Der Vater war damals bei der Deutschen Botschaft in Paris beschäftigt. Mit zehn übersiedelten seine Eltern nach Berlin. Später studierte Robert dort an der Sorbonne Sprachen und Literatur. In der Zeit lernte er auch dort seinen Freund Jerome kennen.
Als Robert nach Deutschland zurückging blieb die Freundschaft aber weiter bestehen.
Als wir nun in Paris waren, machten wir mit ihm einen Bummel über Montmartre. Dort entdeckte Robert das Bild mit der naiven Malerei. Er freute sich wie ein kleines Kind.
Er war sofort her- und hingerissen. Mich dagegen sprach es gar nicht an. Ich war und bin ein Kunstbanause.
Bei dieser Gelegenheit fiel mir unsere Anfangszeit miteinander wieder ein.
Er der gebildete Akademiker und ich ein einfacher Handwerker.
Als wir uns kennenlernten fühlte ich mich nicht gleichwertig ihm gegenüber.
Zu Anfang hatte ich große Komplexe ihm gegenüber.
>>Was redest du da für einen Unsinn. Du bist in dem handwerklichen Raum viel besser als ich.>>
Hier legte er eine kleine Pause ein.
>>Außerdem kochst du auch noch besser als ich.<<
Das wurmte ihn manchmal, weil er doch viel von seinem Freund Jerome in Paris, von der französischen Küche gelernt hatte.
>>Findest du das Bild wirklich toll? Es ist doch nur naive Farbkleckserei.<<
>>Siehst du denn nicht die vielen kleinen Szenen?<<
Er deutete mit den Fingern auch die unterschiedlichsten Personen und auch die Hausfassaden.
>>Ich könnte daraus sehr viele amüsante Geschichten schreiben.<<
Er legte eine kurze Überlegungspause ein und meinte dann:
Vielleicht habe ich ja doch manchmal einen kuriosen Geschmack. Na gut, dann nicht.<<
Wir schlenderten weiter.
Später, als wir wieder in unserem Hotel waren, tat es mir leid, denn ich merkte, dass er doch sehr an diesem Bild hing. Jérôme hatte uns an diesem Tag zum Essen in ein französisches Restaurant eingeladen. Als es Zeit war zu gehen, täuschte ich starke Kopfschmerzen vor, und bat ihn ohne mich zu der Einladung zu gehen. Als Robert fort war, machte ich mich auf nach Montmartre.
Das Bild war tatsächlich noch da. Ich ärgerte mich zwar stark über den unverschämten Preis.
Egal. Gut, dass es nur ein kleinformatiges Bild war, deshalb konnte ich es gut im Koffer unterbringen.
Vier Wochen später war sein vierzigster Geburtstag.
Ich hatte das Bild schön verpackt und auf unserem Wohnzimmertisch gelegt.
Nachdem er die Geschenkte von seinen Eltern ausgepackt hatte, fiel sein Blick auf das Geschenk auf dem Tisch. Neugierig, aber ganz vorsichtig entfernte er das Geschenkpapier.
>>Das glaube ich jetzt nicht? Das Bild vom Montmartre. Woher hast du das?<<
Ein paar Träne kullerten ihm vor Rührung aus seinen Augen.
>>Erinnerst du dich noch an die Einladung von Jérôme zum Mittagessen? Ich hatte Kopfschmerzen. Nicht ganz!<<
Hier konnte ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen.
>>Du bist mir einer.<<
Er kam auf mich zu, nahm mich in den Arm und küsste mich leidenschaftlich.
>>Das ist das schönste Geschenk, was du mir machen konntest. <<
Nun kam Wehmut auf, als er hier so verloren im Wohnzimmer saß, und Robert im Hospiz mit dem Tod kämpfte.
Er schluchzte, und ließ den Tränen ihren Lauf. Sein ganzer Körper bebte vor Verzweiflung. Er ballte seine Fäuste und trommele auf seinem Brustkorb.
Immer wieder kam ihm die Frage in den Kopf:» Warum er? <<
Kurz vor 16:00 Uhr klingelte sein Handy. Schwester Gerda war es.
»Ich denke, sie sollten sich jetzt auf den Weg machen. Fahren sie aber bitte vorsichtig.«
Um sein Herz krampfte sich eine kalte Hand. Nach zwanzig Minuten war er zurück im Krankenhaus. Er warf seinen Mantel achtlos auf den Besucherstuhl. Kurz darauf trat er an das Bett.
Er wollte nicht wieder weinen. Er wollte jetzt stark sein. Es gelang ihm aber nicht.
Er hatte sich ein neues Tuch genommen und tupfte damit die Schweißperlen von Roberts Stirn.
Wie furchtbar war es für ihn, mit ansehen zu müssen, wie der Tod immer mehr nach ihm griff.
Robert öffnete angestrengt die Augen. Ein gequältes Lächeln trat in sein Gesicht.
Ganz leise, kaum verständlich flüsterte er:
»Du bist da. Schön.«
Thomas beugte sich ganz tief zu ihm herunter und nahm seinen todkranken Freund in den Arm.
Er wiegte ihn wie ein kleines Kind, dann legte er ihn wieder ganz sanft auf das Kissen zurück.
Noch einmal beugte er seinen Kopf nach unten, sein Ohr war nun unmittelbar über dem Mund von Robert. Kaum noch wahrnehmbar hauchte dieser:
»Ich liebe dich.«
Dann war sein letzter Lebenshauch von ihm gewichen.
Starr blickten seine Augen. Thomas schloss sie ihm.
Er beugte sich noch einmal herunter zu ihm und küsste ihn ein letzten Mal. Dann flossen seine Tränen. Er mussten seinen toten Freund einfach noch einmal spüren, deshalb zog er ihn noch einmal an sich. Langsam legte er ihn zurück.
Die ganze Verzweiflung durchschüttelte seinen Körper.
Auf das Warum - gab es keine Antwort.
Irgendwann betrat Schwester Gerda das Zimmer. Sie ließ ihm genug Zeit um Abschied zu nehmen. Dann trat sie auf das Bett zu und nahm Thomas in den Arm, um ihn zu trösten.
Nach einem kurzen Moment löste er sich dann von ihr.
Thomas trat an das Fenster und blickte unter sich.
Der Sonnenuntergang kündigte sich an. Langsam begann die Sonne am Horizont zu versinken. Überall gingen langsam die Lichter in den Wohnungen an.
Nun war sein Mann gegangen. Für immer.