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Vor einer dunklen Nacht ging er aus seiner stillen Hütte

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25.11.2024
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Anmerkungen zum Text

Ein anderer Text auf dieser Seite hat mich dazu gebracht, selbst einen Account zu erstellen und ein wenig im Schreibfluss zu schwimmen :)

Vor einer dunklen Nacht ging er aus seiner stillen Hütte

Die Sonne hatte sich zurückgezogen, und mit ihr die flimmernde Schwere des Tages. Erste Tropfen fielen, kaum sichtbar auf der Fensterscheibe. Er stand am Glas, die Hände locker auf der Lehne seines alten Stuhls, und schaute. Bald folgten weitere Tropfen, zunächst vereinzelt, tastend, ehe dann der Regen wie ein graues Tuch über die Felder fiel. Vom offenen Fenster aus war der Geruch feuchter Erde, aufgeweichter Blätter und immer nasser werdender Hölzer zu vernehmen. In der Ferne, draußen, reckte eine Birke ihre schlanken Äste in den Regen. Das Laub war noch grün, doch an den Rändern zeichnete sich bereits ein Hauch von Gelb ab.

Das Zimmer hinter ihm lag still. Nur das Klopfen des Regens auf das Schieferdach unterbrach die Stille – ein gleichmäßiger Rhythmus, der das Drinnen und Draußen miteinander verband. Der Boden unter seinen Füßen raunte leise, als er sich umdrehte, um den Raum zu mustern. Ein Stapel Bücher lag auf dem Schreibtisch, ungeordnet, das oberste mit einem lose eingesteckten Lesezeichen. Daneben ein Notizheft, aufgeschlagen, die letzte Zeile abgebrochen. Seit Wochen hatte er über diesen Zeilen gehangen, neben ihnen geschlafen und war mit ihnen einen Bund eingegangen – einen Bund, den er jetzt hinterfragte. Schon bei der Festlegung des Themas musste der Professor die Angst in seinen Augen gesehen haben. „Keine Sorge. Sie haben doch bis zum Winter“, war seine Antwort gewesen. Heute Nachmittag würde er keinen nutzbaren Gedanken mehr zustande bringen – frühestens wieder in der Nacht.

Er nahm die Jacke vom Haken, zog sie über die Schultern und trat hinaus. Der Regen prallte auf das Leder, perlte ab und hinterließ matte Schlieren. Seine Schritte führten ihn über den Kiesweg, vorbei an den Büschen, deren Zweige schwer unter der Feuchtigkeit hingen, dann zum Gartentor. Hier blieb er stehen. Das Land vor ihm erstreckte sich in die graue Unendlichkeit des Regens. Die Felder, die Hecken, die schlanken Baumreihen – alles schien in Bewegung und dennoch seltsam still. Er schloss das Tor hinter sich, hörte das metallene Klicken des Riegels. Seine Schritte hinterließen kaum sichtbare Abdrücke auf dem aufgeweichten Boden, die sich im nächsten Moment mit Wasser füllten und verschwanden. Der Weg führte ihn an einem Strauch vorbei, der voller schwarzer Beeren hing. Tropfen sammelten sich an den Zweigen, glänzten wie Glas, ehe sie fielen. Er blieb stehen, streckte die Hand aus und pflückte eine Beere, die dunkel und prall in seiner Hand lag. Als er sie zerbiss, war der Geschmack überraschend herb, beinahe bitter, doch er ließ sie auf der Zunge zergehen und kaute weiter, bis sie all ihren Geschmack verloren hatte. Und auch dann kaute er noch weiter – kaute, bis er die geschmacklose Beere ausspuckte.

Er war vom kleinen Feldweg zu einem Fluss gekommen, den der Regen hatte anschwellen lassen. Das Wasser war nicht mehr leise und gleichmäßig wie an den heißen Tagen zuvor, sondern drängte, strömte mit einer Kraft, die ihn für einen Moment innehalten ließ. Das Ufer war übersät mit Zweigen, Blättern und kleinen Holzstücken, die die Strömung mit sich getragen hatte. Er folgte dem Feldweg in ein dicht bewachsenes Waldstück. Die Bäume standen eng beieinander, ihre Stämme dunkel und glänzend vom Regen, die Blätter dicht und schwer, sodass der Wind nur in flüchtigen Stößen hindurchdrang. Ein toter Baum lag niedergestreckt auf der Erde; die Wurzeln waren noch trocken. Er setzte sich auf diesen Baum, ließ die Jacke auf den Schultern liegen und vernahm, wie ihm der Regen ins Gesicht fiel – kühl und belebend. Er ließ den Kopf zurücksinken, die Augen halb geschlossen, und lauschte. Der Regen klang anders hier: weicher, gedämpfter, als hätten die Tropfen auf ihrem Weg durch die Blätter etwas von ihrer Schwere verloren. Er zog die Hände aus den Taschen und ließ die Finger über die feuchte Rinde gleiten und das kühle, samtige Moos ertasten. Noch niemals zuvor hatte jemand auf diesem Baum gesessen.

Eine Bewegung am Waldrand ließ ihn aufblicken. Ein Reh, vorsichtig, kaum mehr als ein Schatten, trat zwischen den Bäumen hervor. Seine Augen suchten, die Ohren zitterten bei jedem Geräusch. Für einen Moment schien es, als habe das Tier ihn bemerkt, doch dann senkte es den Kopf und begann, an den Grashalmen zu zupfen, die im Regen schlaff über den Boden hingen. Er hielt den Atem an, wagte keine Bewegung. Das Reh blieb noch eine Weile und zog sich dann mit einem leisen Rascheln zurück in den Wald. Die Stelle, an der es gestanden hatte, wirkte daraufhin seltsam leer und verlassen. Diese Stelle starrte er an, versuchte sich immer wieder das Reh in Erinnerung zu rufen, und gab sich selbst einen Ruck, wenn er kurz davor war, zu vergessen, wie die Augen geglitzert hatten.

Als es dunkler wurde, ließ der Regen nach, und es folgte ein leises Nieseln. Gleichzeitig, oder als Folge dessen, klarte der Himmel auf, und so fiel das Gewicht des Tages langsam von ihm ab. Zwischen den Baumkronen schimmerte Sternenschein nieder, als er aufstand, den Baum zurückließ und sich auf den Heimweg machte. Er warf einen letzten Blick zurück; auf einmal durchdrang ihn Zeitlosigkeit. Das leise Summen des Waldes war zurückgekehrt. Erst eine Grillenstimme riss ihn aus seinen Gedanken. Obwohl der Regen aufgehört hatte, fielen immer noch Tropfen von den Blättern. Von einem der Bäume fiel ein solcher Tropfen geradewegs hinunter, aber nicht auf den Boden, sondern genau auf die Schnauze eines Hundes. Dunkles Fell, nass bis auf die Haut, die schlanken Beine zitterten, und die großen, klugen Augen waren auf ihn gerichtet. Es war ein Straßenhund, kein Zweifel: Das Fell war verfilzt, die Flanken mager, und der Blick hatte etwas Unsicheres, Abwartendes, als wolle er zugleich Vertrauen fassen und fliehen. „Na“, sagte er leise, mehr zu sich selbst als zu dem Tier. Der Hund blieb reglos stehen, die Ohren zuckten leicht, doch er wich nicht zurück. Vorsichtig hockte er sich hin, hielt die Hände flach vor sich, ließ sie ruhen, als wolle er zeigen, dass er nichts verlangte. Minuten vergingen. Der Hund blieb, unsicher, das Gewicht auf den Hinterbeinen, bereit wegzuspringen. Er zögerte, senkte den Kopf, und dann – wider Erwarten – streckte er die feuchte Schnauze aus und stupste leicht gegen die ausgestreckte Hand.

Auf dem Rückweg folgte ihm das Tier, immer ein paar Schritte Abstand haltend. Manchmal so weit, dass er es aus den Augen verlor. Einmal bellte der Hund, als im Unterholz ein Ast knackte. Still standen beide da, warteten ab, lauschten in die Dunkelheit hinein. Dann ging er weiter und machte dabei die größten Bemühungen, nicht zufällig ein lautes Geräusch auszulösen. In dieser angespannten Stille wirkte das Pfeifen des Windes unbarmherzig. Als er das Haus erreichte, kam der Hund nach einiger Zeit ans Gartentor und blieb dort stehen. Er fühlte den Blick des Hundes, fast körperlich, sah das Nachdenken in seinem ganzen Wesen. Da der Hund aber nicht hereinkam, ließ er die Haustür offen stehen, zündete die warmen Lampen an und versuchte, die eindringende Kälte zu ignorieren. Er selbst trat nochmals vor die Tür, musterte die Hütte: „Wer würde freiwillig in diesen Schuppen eintreten?“ Der Gedanke hielt ihn fest, die Tropfen liefen ihm über die Stirn, und er konnte das Zittern seiner eigenen Hand spüren.

Irgendwann in der Nacht kam der Hund an die Eingangstür, streckte den müden Kopf hinein, schnupperte, kam schließlich herein und suchte sogleich in einer Ecke hinter einem Regal Schutz vor dem Wind. Es dauerte, bis er zur Ruhe kam, bis der Atem gleichmäßig und tiefer wurde. Doch er blieb wach, schloss die Tür erst, als der Hund schlief, zog jetzt erst seine Jacke aus und blickte aus dem Fenster. Der Mond schob sich langsam durch die Wolken, und mit ihm kam die ruhige Leichtigkeit der Nacht.

Er setzte sich an den Schreibtisch – und es gelang ihm zu schreiben.

 

Hallo Dehlmann,

ich hab deine Kurzgeschichte genossen, weil sie eine schöne Stimmung hat.
Die Handlung finde ich stimmig, denn Spaziergänge helfen nachweislich Wunder bei Schreib-, oder Denkblockaden. Das Setting, mit dem plätschernden Regen, dem Fluss, dem einsamen Hund und so weiter scheint mir die Emotionen des Protagonisten widerzuspiegeln. Daher scheint es mir nicht so gut zu passen, dass er offenbar an seiner Bachelor- oder Masterarbeit sitzt.

Zwischen den Baumkronen schimmerte Sternenschein nieder, als er aufstand, den Baum zurückließ und sich auf den Heimweg machte.
In dem Satz versuchst du sehr viel unterzubringen. Vielleicht funktionieren mehrere Sätze besser.

Er richtete sich auf, streckte die Arme vor und ging weiter.
1. Warum streckt er beim Gehen die Arme vor? Ist es inzwischen so dunkel geworden, dass er schlecht sehen kann?
2. "Er richtete sich auf" klingt, als würde er aufstehen, das hatte er aber vorher schon getan.

Du beschreibst sehr viele Details. Wie gesagt, ich mag diese Stimmung. Hier haben die vielen Details aber die Handlung verblassen lassen.

Er setzte sich an den Schreibtisch – und es gelang ihm zu schreiben.
Es entsteht kein Bild, weil du zwar sagst was passiert es aber nicht zeigst. Ich erlaube mir einen Vorschlag:

Er setzte sich an den Schreibtisch, atmete tief ein während sein Blick auf dem schlafenden Hund ruhte. Sein Blick wanderte auf das Notizheft. Er lies seinen Atem langsam entweichen, blätterte einige Seiten zurück und lies eine Seite offen liegen. Mit dem Blick ins Notizheft gebannt tastete seine Hand nach dem Stift. Er blätterte zurück zur letzten Zeile und begann zu schreiben.

 

Hallo @Dehlmann,

erstmal herzlich Willkommen bei den Wortkriegern. :anstoss:
Deiner Geschichte stehe ich zwiegespalten gegenüber. Sie ist gekonnt geschrieben und man kann sie tadellos lesen. Sie hat mich nach dem ersten Lesen gleich an das Gedicht "The Thought Fox" von Ted Hughes erinnert. Hughes beschreibt darin die Entstehung eines Gedichtes, die Denk- und Schreibprozesse, anhand eines Fuchses im nächtlichen Wald.
Das habe ich bei dir ähnlich gelesen, zunächst das Reh, das scheuste Tier, das man sich gemeinhin vorstellen kann, als der Prot auf dem Baumstamm gerade zur Ruhe kommt und in Kontakt mit seiner Umwelt tritt. Dann der Hund, wiederum mit wilder Vorfahrenschaft, aber das domestizierteste Wesen, das man sich gemeinhin vorstellen kann. In deiner Geschichte in der MIschvariante: verwildert, aber immer noch in domestizierter Form. Die scheuen, widerspenstigen Schreibprozesse, die sich dann aber doch etwas an die Leine legen lassen, nicht in der ganz eleganten Form, wie das Reh sie mitbrachte und das man konzentriert festhalten wollte, eher wie ein räudiger, kluger, nasser Hund, der sich doch ein wenig zähmen lässt zum Schluss.
Das ist soweit schön beschrieben, auch das Setting. Was mir inhaltlich ein wenig fehlt, ist eine Auflockerung der Romantik, ein paar Kontrapunkte, die sie durchbrechen, und inhaltlich etwas Neues. Ein schreibender Mensch, allein in seiner Kajüte mit Schreibtisch und Büchern, es regnet schwer etc., er kann nicht schreiben, hat dann positive Naturerfahrungen, die ihm wiederum helfen, in den Schreibprozess zurückzufinden, das alles habe ich sehr oft gelesen, wobei ich deiner Variante zugute halte, dass sie durchdacht, auch oder gerade in den Details, und gekonnt gemacht ist. Trotzdem schrammt sie meist haarscharf am Klischee.
Was mir nicht gefällt, ist der Titel. Wieso "Vor einer ... Nacht"? Es ist doch schon Nacht? Dann "Vor einer dunklen Nacht" , puh, warum der Zusatz? Was sonst? :rolleyes:
Der Titel klingt gewollt getragen literarisch, trifft aber für mein Verständnis daneben.

Er nahm die Jacke vom Haken, zog sie über die Schultern und trat hinaus.
Ehrlich? Er zieht die Jacke nicht an, obwohl er vorhat, länger draußen zu bleiben?
Da der Hund aber nicht hereinkam, ließ er die Haustür offen stehen, zündete die warmen Lampen an und versuchte, die eindringende Kälte zu ignorieren.
Das finde ich ein schönes Detail. Denk- und Schreibprozesse sind nicht nur warmes Kämmerlein, es mischt sich sehr.

Cold, delicately as the dark snow
A fox's nose touches twig, leaf;
Two eyes serve a movement, that now
And again now, and now, and now

Sets neat prints into the snow
Between trees, and warily a lame
Shadow lags by stump and in hollow
Of a body that is bold to come​


from The Thought Fox,
Ted Hughes

Viele Grüße,
Helen

 

Vielen Dank!

@Mashomi
Es freut mich sehr, dass dir die Stimmung gefallen hat. Zum Thema mit der wissenschaftlichen Arbeit war für mich gerade der Kontrast reizvoll, weil im Gegensatz zum Schreiben eines Romans Wissenschaftliches Schreiben oft als rein rationaler, methodischer Akt gesehen wird. Du hast völlig recht, dass der Satz sehr verdichtet ist. Irgendwie ist das immer eine Gratwanderung: Einerseits möchte ich eine reiche, poetische Sprache verwenden, andererseits darf sie nicht die Lesbarkeit verlieren.

Den "Er richtete sich auf..."-Satz habe ich komplett gestrichen.

Dein Vorschlag für die Schreibszene ist sehr schön und anschaulich, und ich verstehe, was du meinst, wenn du sagst, dass meine Version „kein Bild“ entstehen lässt. Ich wollte diesen Moment bewusst knapp halten, um den Fokus nicht auf den Akt des Schreibens selbst, sondern auf die Tatsache zu legen, dass es ihm endlich gelingt.

Trotzdem finde ich deinen Vorschlag gut!

Ich hoffe du bist immer so spät noch wach und hast nicht durch meinen Text keinen Schlaf gefunden! :)

@Helenesthe
Vielen Dank für die Begrüßung ;)
Ich schätze es sehr, dass du dir die Zeit genommen hast, so tief in den Text einzutauchen und deine Gedanken zu teilen. Die Assoziation mit Ted Hughes’ The Thought Fox ist eine spannende Lesart, die ich nicht aktiv im Kopf hatte, die mir aber gefällt. Was Klischees angeht: Ich habe versucht das bekannte Motiv aufzunehmen. Mein Fokus lag dann darauf, den Moment so intensiv wie möglich erlebbar zu machen – nicht durch große Wendungen, sondern durch Details, Stimmungen und eine Nähe zum Elementaren. Wenn das für dich noch nicht genug frische Akzente gesetzt hat, ist Wenn das nicht genug frische Akzente sind, ist das aber auch eine legitime Lesart.

Deine Kritik am Titel nehme ich ernst, auch wenn ich persönlich die Entscheidung mag. „Vor einer dunklen Nacht“ spielt bewusst mit der Schwelle – der Moment "in der Dämmerung", bevor man wirklich eintaucht, sei es in die Nacht, die Dunkelheit oder den Prozess des Schreibens. Vielleicht klingt der Titel etwas getragen, aber er sollte zur Stimmung passen, auch wenn er nicht für jeden sofort eingängig ist. Zusätzlich ist es eine kleine Anspielung...

Nicht alles im Text ist minutiös geplant oder analytisch durchdacht. Manche Szenen haben sich im Schreibprozess einfach ergeben und fühlten sich richtig an – so auch die Jacke. Ich stelle mir den Protagonisten nicht als pragmatisch handelnden Menschen vor; vielmehr ist er jemand, der in seinen Gedanken verloren ist und oft impulsiv agiert. (So auch bei der Jacke.)

Cool, dass dir das Detail mit der Kälte und der Wärme gefallen hat! ;)
Es war mir wichtig, die Verbindung zwischen Innen und Außen zu zeigen – wie der Schreibprozess nicht nur im „warmen Kämmerlein“ stattfindet, sondern von der äußeren Welt beeinflusst wird, mit all ihrer Widersprüchlichkeit.

Ich freue mich sehr, dass dich der Text angeregt hat, und deine Rückmeldung zeigt mir, dass er genau das tut, was ich mir erhofft habe: unterschiedliche Gedanken und Assoziationen wecken!

Es grüßt;
Der Dehlmann

 

Die Sonne hatte sich zurückgezogen, und mit ihr die flimmernde Schwere des Tages.

Hallo,

die Sonne zieht sich ja nicht zurück, so wie sich ein lebendiges Wesen zurückzieht, die geht unter, das ist eine Gesetzmäßigkeit. Mit der Sonne zieht sich die flimmernde Schwere des Tages zurück. Was ist denn die Schwere des Tages nun genau? Und warum flimmert die? Flimmernde Schwere des Tages, ja, das klingt schön poetisch, aber das sind so Begrifflichkeiten, die man schon so oft gehört hat, die auch beim genauen Nachdenken nicht wirklich passen, die kein Bild ergeben, die im Grunde Hülsen sind. Wäre es jetzt Hochsommer in Louisiana, und die Sonne geht unter und die brutal heiße, brüllende Hitze lässt nach, dann wäre das immer noch arg verspielt und abgenutzt, das Bild, aber ich würde es vielleicht eher kaufen. Es fehlt auch an Örtlichkeit, an Rahmen.

Er stand am Glas, die Hände locker auf der Lehne seines alten Stuhls, und schaute.
Das klingt, als sei er Alkoholiker. "Der Jupp steht wieder am Glas!" Du meinst ja: vor oder hinter dem Glas der Scheibe, das ist aber mißverständlich.
Bald folgten weitere Tropfen, zunächst vereinzelt, tastend, ehe dann der Regen wie ein graues Tuch über die Felder fiel.
Diese Antromorphisierung der Natur - Regen, der tastet, etc - das ist of ein Mangel an Beobachtung. Emerson sagt in seinem Essay Natur, man solle die Natur zum Gegenstand von Fragen machen, sie befragen. Dann weiter: der Regen legt sich wie ein graues Tuch über die Felder. Ein Tuch ist ein Stück aus einem festen Material, das sich aufspannen lässt; ist das wirklich, was du meinst? Kann sich Regen wie ein festes Stück über die Felder legen, so wie man ein Tuch über die Felder legen könnte? Für mich passt das vorne und hinten nicht, und da kann mir auch keiner mit poetischer Freiheit kommen, das ist einfach ein schiefes Bild.
Seine Augen suchten, die Ohren zitterten bei jedem Geräusch.
Ein wenig übertrieben, dass die Lauscher bei jedem Geräusch zittern. Ich habe das so noch nie beobachtet.

Diese Stelle starrte er an, versuchte sich immer wieder das Reh in Erinnerung zu rufen, und gab sich selbst einen Ruck, wenn er kurz davor war, zu vergessen, wie die Augen geglitzert hatten.
Auch das hier, hier wird mit solchen unwahrscheinlichen Lativen gearbeitet: Er versucht sich das Reh in Erinnerung zu rufen. Warum? Hat er das sofort wieder vergessen? Und warum muss er sich einen Ruck geben, wenn er kurz davor ist (!), die glitzernden Augen zu vergessen? Also, erstens muss er da verdammt nah dran gewesen sein, denn wenn ich einem Bock in die Lichter sehen kann und ich sehe, wie sie glitzern (was ich bezweifeln möchte, da spiegelt sich vielleicht das einfallende Licht oder ähnliches) dann stehe ich fünf Meter vor dem. Ich halte die ganze Situation also nicht für sehr glaubwürdig. Zweitens; was macht der Ruck, wie stelle ich mir das vor? Richtet er seinen Oberkörper auf, holt er tief Luft, haut er sich auf den Schenkel? Und warum bezweckt es, dass er die Erinnerung dann wieder herstellen kann? Warum will er sich überhaupt erinnern? Eine narrative Leerstelle muss doch mit einer Erwartung gefüllt werden, die im Text verankert ist. Hier kommt das Reh aus dem Nichts, und auch das Symbolische daran findet keinen Halt, weil es keinen Subtext gibt. Das Reh steht hier für nichts, weil es aus dem Nichts eingeführt wird.

Ich habe dann hier abgebrochen. Mir ist das sprachlich zu unpräzise, es ist zu gewollt und wirkt dadurch aufgebläht, manieriert und gespreizt. Man kann so schreiben, aber dann muss jedes Bild passen, ich muss erfahren können, dass der Autor seine Beobachtung in Text transkribieren kann, dann wird es fühlbar, nicht durch groß klingende Worte, die aber hohl bleiben, bleiben müssen.

Schwierig, hier konstruktiv was zu sagen. Poetisch schreiben, schön und gut, aber Poesie entsteht nicht durch dicke Worte, nicht durch aufgeblähte Sentenzen, sondern durch tiefe und wahrhaftige Sätze, die sich aus einer gründlichen, präzisen Beobachtung speisen. Ich denke, runterfahren, runterkochen, genauer werden, auf die Details achten, für was soll das stehen?, was ist mein Objekt, was sehe ich, für was steht das, welche Eigenschaften hat das? Nicht groß abstrahieren, nah am Echten, an der Empirie bleiben.

Gruss, Jimmy

 

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