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Vor dem Fest

Seniors
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28.12.2009
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Vor dem Fest

Meinen Vater, der in der Einfahrt stand, hielt ich zuerst für den Typen, der die Zeitungen austrägt. Seine Haare hingen ihm bis zu den Schultern, der Bart lang und grau. Ich parkte vor dem Neubau gegenüber und ließ alles im Kofferraum.
„Willste bei den Stones einsteigen?“
Er lachte. „Haste kein Gepäck?“
„Hol' ich nachher.“
„Erst mal 'n Bier?“
„Bier ist gut.“

Ich öffnete das Tor und mein Vater sagte: „Weißte noch, wie de da runter bist? Mit der Stirn voll auf den Asphalt. Waren sogar im Krankenhaus.“
„Ja“, sagte ich. „Ist sicher was in meinem Hirn kaputt gegangen damals.“
Mein Vater schüttelte den Kopf. „Red nich.“
„War nur Spaß. Sind die beiden Mädels schon da?“
„Nicole ja“, sagt er. „Julia ist noch unterwegs. Haben eben angerufen. Stehen vor Leverkusen.“
„Ist ja immer Stau bei denen.“
„Bier is' im Eisfach. Gehen wir rein.“

Die Küche war dunkel und kühl. Sie hatten alles renoviert, es sah ungewohnt aus. Mein Vater nahm zwei Sünner aus dem Eisfach und öffnete sie mit einem Löffelstiel. Wir lehnten gegen die Spüle und tranken.
„Wo is'n die Mutter. Und Julia?“, fragte ich dann.
Mein Vater trank noch etwas vom Bier und sagte: „Im Wohnzimmer.“
„Ist da dicke Luft oder was?“
„Nee, alles in Ordnung.“
„Dann sag ich mal Hallo.“
„Mach das.“

Meine Mutter saß auf dem alten Sessel neben dem Kamin. Sie lächelte und umarmte mich. Sie hatte sich kaum verändert. Es war, als hätte ich sie erst gestern gesehen.
Für einen Moment standen wir so da, dann fragte sie: „Bist du gut angekommen?“
„Ja, alles gut, danke.“
Im Halbdunkel saß meine Schwester Nicole und rauchte eine Zigarette.
Ich sagte: „Hi, Nicole“, aber sie schwieg, und meine Mutter warf mir einen Blick zu, den ich gleich verstand.

Mein Vater saß jetzt am Küchentisch. Er grinste verlegen.
„Wasn mit der Nicole passiert?“
Er legte den Zeigefinger über die Lippen und bedeutete mir, die Tür zu schließen. „Sie meint, es sind die Drüsen.“
„Die ist ja echt das Dreifache!“
Er zuckte mit der Schulter. „Ich sach da nix mehr zu. Gibt nur Ärger.“
„Hab' schon verstanden. Lieber Schnauze halten.“
Er nickte. „Schon den Teich gesehen? Auch alles neu gemacht.“
„Nee, noch nicht. Aber lass mal gucken. Kann ich auch gleich eine rauchen.“

Drei Zigaretten später saßen wir immer noch auf den Rattanstühlen und sahen den Kois zu.
„Willste noch 'n Bier?“, fragte mein Vater.
„Soll ich holen?“
„Mach ich schon“, sagte er.
Ich drückte die Zigarette auf einer Untertasse aus, die er aus dem Verschlag geholt hatte. Er blieb eine Viertelstunde weg. Das Bier, das er mitbrachte, war eiskalt.
„Wie läuft's in Berlin?“
„Kennst das doch“, sagte ich.
„Von der Hand in den Mund.“
„So ähnlich.“
„Brauchste denn Geld?“
„Nee, lass mal. Alles okay.“
Wir schwiegen wieder und tranken das Bier.
Dann fragte ich: „Wo is' 'n eigentlich der Marco?“
Mein Vater räusperte sich. „Kannste dir doch denken, oder?“
„Nee, wie, was denn?“
„Will ja nix sagen, aber ich kann das schon verstehen.“
„Ach, die haben sich getrennt meinst du?“
„Er hat sich getrennt.“
„Ah, okay.“
Ein silberfarbener SUV bog in die Einfahrt.
„'s die Julia“, sagte mein Vater.
Ich erkannte ihr Gesicht hinter der Scheibe, auch das von Thomas, ihrem Mann.
„Haben die im Lotto gewonnen?“
„Die kaufen alles auf Raten“, sagte mein Vater. „Auto, Fernseher, Klamotten, schlimm. Denen wächst das über'n Kopf.“
„Hast du mal mit ihnen drüber gesprochen?“
„Thomas meint, sei alles unter Kontrolle.“ Er sah mich an. „Die Mia weiß schon gar nicht mehr wohin mit dem Kram. Hauen Geld raus, was sie noch gar nicht verdient haben.“
„Könnte mir nicht passieren.“
„Wieso?“
„Bin nicht kreditwürdig.“
Wir lachten, dann sagte mein Vater: „Gib mir auch mal 'ne Lulle.“
„Sicher?“
„Werd' morgen Siebzig, ich denk, ich kann das ganz gut alleine entscheiden.“
Ich reichte ihm Schachtel und Feuerzeug, er zündete sich eine an, ließ den Qualm ganz langsam durch die Nase entweichen. „Ja“, sagte er, „manchmal vermisse ich das.“

Julia und Thomas begutachteten das Blumenbeet, das meine Mutter neu angelegt hat, Mia winkte uns zu. Mein Vater seufzte, als sie näher kam.
„Ihr fangt ja früh an mit dem Saufen“, sagte sie und zeigte auf die Flasche in meiner Hand. „Gib mir auch mal 'n Schluck.“
Ich starrte auf ihren nackten Bauchnabel und sagte: „Deine Mutter dreht mir den Hals um.“
„Und du willst mein Onkel aus Berlin sein?“ Sie machte eine abfällige Handbewegung und verschwand im Haus.
„Mia“, sagte ich, „Wahnsinn.“
Mein Vater lehnte sich zurück und sagte: „Da haste wohl Recht.“
„Die feinen Herren lassen es sich gut gehen“, sagte Julia und gab meinem Vater einen Kuss auf die Stirn. Sie hatte sich eine dieser modernen Sonnenbrillen ins Haar gesteckt.
„Schön, dass du es geschafft hast“, sagte Thomas und gab mir ganz förmlich die Hand. „Deine Kiste da draußen?“
„Von 'nem Kumpel geliehen.“
„Dachten wir uns schon“, sagte Julia.
Ich sah auf den SUV, sagte aber nichts.
„Walkabouts“, Thomas schüttelte den Kopf und zeigte auf mein T-Shirt, „fand ich auch mal geil.“
Julia fragte mich: „Wie alt bist du nochmal?“
„Alt genug.“
Sie lächelte schief und sagte: „Naja.“
„Wir gehen mal rein, Hallo sagen“, sagte Thomas und winkte lässig mit zwei Fingern.
Mein Vater nahm meinen Blick auf. „Ich hab' nicht darum gebeten, dass meine Tochter den heiratet“, sagte er. „Mich hat ja keiner gefragt. Hab' ich schon beim ersten Mal gesehen, was das für einer is'.“
„Der hat nicht mal 'n Schatten“, sagte ich. „Und Julia sieht mittlerweile aus wie 'ne Tussi aus einer dieser Kochsendungen.“
„Komm, sie ist deine Schwester“, sagte mein Vater und hob die Augenbrauen.
„Gerade deswegen ja.“
„Weißt du noch, wie sie diesen Typen verprügelt hat, der Nicole nich in Ruhe lassen wollte?“
Ich lachte. „Jürgen Reis hieß der. Klar erinnere ich mich. Nicole hatte sich von dem getrennt, weil der eifersüchtig wie sonst was war, und dann hat er sich vors Auto geworfen.“
Mein Vater nickte. „Nicht vor's Auto - auf die Haube. Hier in der Einfahrt war das.“ Er zeigte auf den Carport. „Hat ihn 'n ganzes Stück mitgenommen, die halbe Straße runter.“
„Dann kam Julia, die ist ihm hinterher.“
„Mit dem Gitter vom alten Grill, der schon auf'm Sperrmüll stand – hat ihm eingeschenkt wie Sonny Liston.“
„Stimmt“, sagte ich. „Der hat geblutet wie sonst was.“

Ein Jahr später hat es Julia nach dem Feuerwehrfest mit Jürgen Reis auf dem Rücksitz seines Asconas getrieben. Ich habe damals ein Telefonat mitgehört, in dem sie die ganze Sache einer Freundin erzählt hat. Ich kenne seine Schwanzlänge und weiß auch, dass sie danach drei Tage lang wie John Wayne gegangen ist.

„Weißt du, was der heute macht, der Jürgen Reis?“, fragte ich und nahm den letzten Schluck Bier.
„Maler“, sagte mein Vater. „Selbstständig, kleine Firma, zwei Wagen hat der glaube ich. Sein Sohn ist letztes Jahr verunglückt.“
„Ach, verdammte Scheiße. Wie das?“
„Bei Hölscher unten am Neubau. Der Junge mit der Schubkarre auf der Planke unterwegs, kippt das Ding.“
„Und er hat nicht losgelassen?“
Mein Vater schüttelte den Kopf. „Aus'm dritten Stock. Hals gebrochen, alles vorbei.“ Er sah mich an. „Siebzehn Jahre.“
„Scheiße.“
„Kannste laut sagen.“
„Wie alt ist Mia jetzt eigentlich?“
„Fünfzehn.“

Mit Fünfzehn bin ich von zu Hause abgehauen, die Polizei hat mich ein paar Wochen später an der dänischen Grenze aufgegabelt. Ich hatte meinem Vater dreihundert Mark geklaut und bin nachts zur Raststätte Siegburg. Ein ungarischer Kraftfahrer nahm mich bis Hamburg mit. Paar Tage trieb ich mich bis zum Morgengrauen am Bahnhof herum. Einmal verlangte ein Junkie meine Schuhe, fuchtelte mit einem rostigen Schraubenzieher herum. Ich lief weg, und er machte nach ein paar Metern schlapp. Auf der Fähre nach Rodby hat mich die Schmiere dann gekascht.

Mein Vater sagte: „Mit fünfzehn haste den Teppich im Partykeller abgefackelt.“
„Stimmt“, sagte ich, ich lachte, weil ich etwas anderes erwartet hatte. „Hole mal grad meine Sachen aus dem Auto.“
Mein Vater streckte die Beine aus und nahm sich noch eine Zigarette aus der Schachtel. „Kannst in dein altes Zimmer“, sagte er. „Ist noch alles da.“
Ich nickte und ging los. Der Rucksack im Kofferraum wirkte in diesem Moment noch kleiner und schäbiger.

Das große Townes van Zandt Poster hing noch über dem Bett, die leeren Plattenhüllen von Whiskeytown und Chuck Prophet in der Wandschräge. Ich setzte mich an den Schreibtisch, öffnete die Schubladen. Sie waren leer, da war immer noch der Geruch nach Papier, Tinte, Dope. Auf dem Bett lagen ein paar frische Handtücher, ich nahm eins in die Hand, faltete es auseinander. Auch das Waschmittel hatte sich nicht verändert.

Meine Mutter klopfte gegen den Türrahmen. „Die Handtücher sind für dich.“
„Hab ich mir schon gedacht, danke dir.“
„Mehr hast du nicht?“, fragte sie und zeigte auf den Rucksack.
„Bleib ja nur 'n paar Tage, was brauch ich da groß?“
Sie nickte. „Und schmal biste geworden.“
„Nennt man Idealgewicht.“
„Idealgewicht“, wiederholte sie. Sie sah mich an. „Biste noch mit der zusammen - hier die mit den vielen Tätowierungen?“
„Schon was länger nicht mehr.“
Sie schüttelte den Kopf. „Wie kann sich ein so schönes Mädchen nur so verschandeln?“
„Keine Ahnung.“
Sie lächelte. „Naja, in Berlin ist so was normal, da gibt’s eben 'ne Menge verrückte Leute.“
„Ja“, sagte ich. „Mehr als hier auf jeden Fall.“
„Wenn du dich frisch machen willst“, sagte sie und zeigte auf die Badezimmertür gegenüber. „Kennst dich ja aus.“
„Ja, danke dir.“

Als sie gegangen war, legte ich mich aufs Bett und schloss die Augen. Die Freundin mit den Tätowierungen hatte ich Anfang des Jahres in den Tannenhof nach Brandenburg bringen müssen. Wir saßen in dem gleichen geliehenen Wagen, mit dem ich gekommen war, hörten Bottle Rockets, rauchten eine Zigarette nach der anderen. Irgendwann wurde es dann doch Zeit. Zwischen uns war schon ein paar Monate lang nichts mehr gelaufen, aber ich konnte sie nicht einfach so verlassen, das hätte sich falsch angefühlt. Auf der Treppe drehte sie sich noch einmal um, lächelte, winkte mir zu. Seitdem hatte ich nichts mehr von ihr gehört.

Ich stand auf und ging runter in die Küche. Das Haus war leer. Mein Vater saß immer noch vor dem Teich mit den Koi, die Augen geschlossen. Ich setzte mich neben ihn.
„Sind ausgeflogen“, sagte er. „Noch 'n paar Sachen für morgen besorgen.“
„Dachte ich mir, ist so ruhig.“
„Hab' mir 'nen neuen Dreher gekauft“, sagte er und öffnete ein Auge. „Steht unten im Partykeller. Und die Monolith auch.“
„Hast schwer aufgerüstet, ja?“
„Noch nicht ausgereizt – können wir nachholen, ist ja keiner da.“

Im Partykeller war es kühl und roch muffig. Mein Vater schaltete die Stereoanlage an, legte eine Scheibe von Rory Gallagher auf und drehte das Volumen hoch. Dann holte er zwei Schnapspinnchen und eine Flasche Zinn 40 aus dem Kühlschrank. Wir standen vor den Boxen, hörten die komplette erste Seite von Deuce - für jeden Song ein neuer Schnaps. Nachdem der Tonarm zurückgeschwenkt war, setzten wir uns auf die Hocker vor der Theke und starrten auf die halbleere Flasche.
„Leg mich mal was hin“, sagte mein Vater. „Will nachher beim großen Fressen fit sein.“
Ich klopfte ihm auf die Schulter. „Was wegpacken kannste jedenfalls immer noch ganz gut.“
Er lachte. „Bin ja auch im Training.“

Wir gingen hoch. Er legte sich auf die Couch im Wohnzimmer, machte den Fernseher an, die Zusammenfassung des Spieltags lief, Fortuna Köln gegen Bayer Leverkusen war grade dran. In der Küche trank ich zwei Gläser Leitungswasser hintereinander, suchte in den Schubladen nach Aspirin, fand aber keine. Das Wetter hatte aufgeklart, Sonnenschein, blauer Himmel. Ich nahm einen der Haustürschlüssel aus der Glasschüssel auf der Kommode und packte die Zigaretten ein.

Wo früher die KEPEC war - eine Fabrik für Chemikalien, die nach faulen Eier stank - stand jetzt ein REWE-XXL. Der Parkplatz umfasste einen ganzen Straßenblock, war bis auf ein paar Autos aber leer. Ich ging über den Parkplatz, schnippte die Zigarette in eines der Beete und las die Zettel auf dem schwarzen Brett. Jemand verkaufte einen gebrauchten Kinderwagen, ein anderer bot handwerkliche Dienste an.
„Machst'n du hier, Jimmy?“
Ich las noch einen der Zettel auf dem schwarzen Brett, da wollte einer für einen VW Polo noch fünfhundert Euro haben, Baujahr 1999, Farbe wie buntes Bonbonpapier.
„Dachte, bist in Berlin jetzt, Alter?“
Ich drehte mich um. „Frank“, sagte ich und hob meine Hand zu einem müden Gruß. „Wie isset?“
„Jut“, sagte er. „Bei dir, Jung?“
„Mein Alter hat morgen Geburtstag, Siebzich wird der, deswegen bin ich da.“
Er nickte. „Läuft bei dir, hab ich gehört. Berlin und so, geile Stadt, wa?“
„Klar, Mann, kein Vergleich zu dem Kaff hier“, sagte ich, er sah über meine Schulter und nickte abwesend. „Und bei dir? Schön, dich mal wiederzusehen, Frank, echt!“
Er zuckte mit der Schulter. „Muss gehen, ne?“ Dann grinste er. „Biste denn noch was hier?“
„Paar Tage nur.“
„Ach so“, sagte er. „Sonst hätten wir ma einen durchziehen können oben beim Tom.“
„Gibt’s das Baumhaus noch?“
„Klar“, sagte er und hob seine Augenbrauen. „Beste Zeit meines Lebens, Sommer '94.“
Ich lachte, beugte mich nach vorne und fragte: „Haste was da? 'n kleines Pickelchen nur – hätt' total Bock, mir einen zu buffen heute Abend.“
„Gehen wir da rüber“, sagte Frank. Wir blieben zwischen zwei Autos stehen, dann holte er einen Plastikbeutel aus der Jackentasche und öffnete ihn.
„Reicht das?“
„Alter!“, sagte ich und sah auf das Stück Dope in meiner Hand. „Reicht dicke! Was kriegste dafür?“
„Guck ma lieber, dass de vorbei kommst. Tom is meistens auch da. Kurbeln wir einen, quatschen was, verhaften paar Bierchen.“
„Klar“, sagte ich. „Gerne. Und vielen Dank.“
„Kein Ding. Lass dich blicken.“
Ich sah ihm nach, wie er in den Gängen vom REWE-XXL verschwand und ging über den Parkplatz wieder zurück.

Julia stand am Herd und legte fein zerhackte Tomatenstückchen auf Weißbrothälften.
„Focaccia“, sagte sie und verdrehte die Augen.
„Kenn ich“, sagte ich. „Schmecken scheiße.“
Sie boxte mir in die Seite und sagte: „Mach dich mal nützlich, du faule Sau. Kannst die Paprika da schneiden.“
Ich nahm ein Messer aus dem Block und begann, die Paprika zu zerteilen. Julia öffnete den Kühlschrank und nahm die Flasche Weißwein heraus. Sie schenkte sich ein Glas ein, nippte daran und sagte: „Musstest du dich mit dem Alten besaufen?“
Ich nahm ihr das Glas aus der Hand, trank einen guten Schluck und sagte: „Musst du grad sagen.“
Wir machten weiter, sie schnitt Käse zurecht, spießte ihn mit Oliven und Weintrauben auf, ich schnitt die Paprika in schmale Streifen.
„Wo ist der Rest“, fragte ich dann.
„Mutter und Nicole sind spazieren – keine Ahnung, im Wald oder so, Thomas sieht Bundesliga mit Papa, und Mia sonnt sich draußen.“
Ich sah sie an, sie nickte, schnitt dann eine Grimasse und sagte: „Hab's auch gesehen, klar, bin ja nicht blind.“
„Was ist da passiert?“
Sie pfiff leise durch die Zähne. „Freßattacken würd' ich sagen, die Nicole war doch schon immer labil.“
„Labil“, wiederholte ich. „Ja, keine Ahnung.“
„Damals, als die ihre Prüfung hatte, da ist ihr doch schon das Auge weggeklappt, weil die so nervös war. Weißte nicht mehr?“
„Welche Prüfung?“
„Na, ihre beschissene Gesellenprüfung – und hier, ich meine, jetzt in allen Ehren und so, aber Friteuse? Das is' wirklich nicht so anspruchsvoll, dat ist ja keine Raketentechnik.“ Sie hantierte mit dem Messer, schnitt Schalotten zu Würfel, gab sie in die Schüssel zu den Avocados, nahm den Mörser, zerstampfte alles zu einem Brei, schmeckte mit Salz, Pfeffer und einem Schuss Honig ab.
„Mir hat sie immer die Spitzen geschnitten, als ich noch lange Haare hatte“, sagte ich.
„Keine Kunst“, sagte Julia und zuckte mit der Schulter. „Sag mal dem Rest Bescheid, Essen ist fertig.“

Mia lag auf einem Sauna-Tuch hinter dem Haus. Es war gerade frisch gemäht worden, das Gras zu einem großen Haufen zusammengekehrt. Sie hatte Kopfhörer in den Ohren und rauchte eine Zigarette. Ich stieß mit dem Fuß gegen ihren.
„Essen ist fertig.“
Sie nickte. „Komme gleich.“
„Weiß deine Mutter, dass du rauchst?“
„Hat dich gar nicht zu interessieren.“ Sie zog an der Zigarette, ließ den Zeigefinger der anderen Hand zwischen dem Bikini auf ihrer nackten Haut herabgleiten. „Wie is'n Berlin so?“
„Kommt drauf an“, sagte ich. „Was du so vorhast.“
Ihr Finger blieb kurz oberhalb des Beckenknochens stehen, fuhr dann langsam unter das Bändchen, das den Tanga zusammenhielt. „Was ich so vorhabe“, sagte sie, sie grinste und nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette.
„Wie gesagt, Essen ist fertig.“

Mein Vater und Thomas saßen immer noch vor dem Fernseher.
„Wie sieht's beim FC aus?“
„Spielen um die Champions League Plätze“, sagte mein Vater, und Thomas lachte laut auf. „In zehn Jahren nicht!“
„Ach, Thomas ist ja 'n Bayernfan, stimmt.“ Ich sah meinen Vater an und grinse.
„Sympathisant“, sagte Thomas, „nur Sympathisant, ja.“

Wir setzten uns an den Tisch im Wohnzimmer, vor den Schrank mit dem belgischen Bleiglas. Meine Mutter hatte gedeckt, Wildrose, Stoffservietten, das volle Programm. Julia holte Mia. „Wo is'n die Mama?“, sagte sie und goss sich Wein nach. „Immer noch mit der Nicole weg?“
Mein Vater sagte: „Ich weiß es wirklich nicht.“
Julia ging zurück in die Küche, kehrte mit den Focacce zurück, die sie auf einem Tablett angerichtet hatte.
„Mia, holst du noch den Käse, bitte?“, sagte sie und riss ihr unvermittelt die Kopfhörer aus dem Ohr. „Ich rate dir, es heute gar nicht erst zu probieren, alles klar?“
Mia winkte ab und stand auf. Julia blickte einmal in die Runde, keiner sagte etwas. Sie hatte sich viel Mühe gegeben, die Käsespieße mit Trauben und Oliven, die Focaccia, Melonen mit Parma-Schinken, Fingerfood - alles wirkte wie aus der Werbung für ein neues Restaurant.
„Magst du eigentlich Kochsendungen?“, fragte ich, Thomas stöhnte auf, Julia zuckte mit der Schulter und sagte: „Du magst Musik, die kein Schwein kennt.“
Ich hob meine Hände und sagte: „Schon gut.“
Mia brachte den Käse, dann saßen wir da, warteten.
Nach einer Viertelstunde kamen Nicole und meine Mutter. Sie setzten sich an den Tisch, als sei nichts gewesen.
„Können wir jetzt endlich?“, sagte Julia und nahm sich ein Stück Melone.
„Das sieht alles sehr gut aus“, sagte meine Mutter. Thomas versuchte uns ein amerikanisches Craft-Bier mit Kaffeearomen schmackhaft zu machen, das er mitgebracht hatte, aber mein Vater meinte, wenn er Kaffee trinken wolle, tränke er eben Kaffee und kein Bier. Ich probierte die Focaccia und lobte Julia überschwänglich. Mia aß einen Käsespieß und durfte danach Weinschorle trinken, die Julia ihr mixte. Nicole starrte die ganze Zeit auf den leeren Teller, der vor ihr auf dem Tisch stand. Manchmal sah es so aus, als ob sie sich gleich etwas von einem der Tabletts nehmen würde, dann zuckten ihre Finger kurz oder sie schürzte die Lippen. Meine Mutter legte ihr schließlich die Hand auf den Arm und drückte ihn leicht, aber Nicole hob nur ihr Kinn und trank einen Schluck Mineralwasser.

Wir sprachen über die Feier, wer alles kommen würde, über die Onkel und Tanten, die ich alle seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte, die alten Freunde meines Vaters – alles Verbrecher, wie meine Mutter meinte. Es klang nach einer tollen Feier mit vielen guten Leuten. Gegen zehn Uhr verabschiedete ich mich und ging auf mein Zimmer. Ich setzte mich aufs Bett, holte das Dope raus, suchte die OCBs. Es war ein richtiger Brocken, anderthalb Gramm, weich, geschmeidig, die Oberfläche schön ölig, der Geruch intensiv und süß. Ich rollte den Joint holländisch, brannte das überflüssige Papier ab, dichtete die Naht mit Spucke. Nach den ersten Zügen spürte ich die Wirkung, legte mich hin, genoss die Stille, wie mein Körper auf das Dope reagierte. Dann ging mein Mobiltelefon.

Ihre Stimme klang leise und brüchig. „Du weißt, von wo ich anrufe, oder?“
„Ich habe dich hingefahren.“
„Ach ja“, sagte sie und hustete.
„Wie geht’s dir?“
„'s Essen is' beschissen“, sagte sie. „Und mir ist ständig kalt.“
„Scheiße.“
„Die Leute sind auch zum Kotzen.“
„Bist nicht wegen den Leuten da.“
„Jaja“, sagte sie, „schon klar.“ Ich hörte sie so atmen, als läge sie direkt neben mir. „Und bei dir?“
„In meiner alten Heimat, in meinem alten Zimmer, mein alter Herr feiert morgen seinen Siebzigsten.“
„Familienfeier“, sagte sie leise.
Ich schloss die Augen und zog am Joint. „Ich mach's Beste draus.“
Sie hustete wieder, dann sagte sie: „Hör mal, ich glaub, ich komm nicht mehr zurück – also du weißt, wie ich das meine, ja? Nicht mehr zurück nach Berlin. Brauch einfach was Abstand, war alles was viel. Mein Körper rebelliertund so, weißt was ich meine. Vielleicht 'ne Zeitlang nach Hause. Hab deswegen schon mit meiner Mutter telefoniert, ihr macht's nicht aus. Is' Scheiße wegen der Wohnung und der Kohle, die ich dir noch schulde, aber ….“
„Kein Problem“, sagte ich. „Das geht vor.“
„Geld kriegst du, sobald ich flüssig bin, okay?“
„Okay.“
„Okay“, sagte sie. „Ich muss, die sind was streng hier, von wegen ab zehn Uhr Ruhe und so.“
„Klar. Schlaf gut.“
Sie sagte: „Du auch“, und legte auf.

Ich holte meinen MP3-Player aus dem Rucksack. 1000 Dollar Car war unser Song gewesen. Vor mir hatte sie mit einer Frau in einem kleinen, kalten Loch in Friedrichshain gelebt. Sie hatten einen Futon, einen Kleiderständer, ein hellblaues Kanapee und ein riesiges Charles Bukowski Poster. In ihrem Kühlschrank Rosè und Jelzin, den sie immer mit Orangensaft verdünnten. Sie war schmal, fast schon abgemagert, hatte schlanke Hände, lange Finger, die sie immer nachlässig lackierte. Wir hatten uns auf einer Open Scene für Singer-Songwriter kennengelernt, ihre Freundin war mit einem Gitarristen aus Texas dort, der angeblich an einer Albumproduktion von Lucinda Williams beteiligt gewesen war. Ich spielte ein paar meiner Songs und ließ mich danach draußen am Kiosk volllaufen. Später am Abend sprach mich an und meinte, meine Sachen würden sie an den frühen Chris Knight erinnern. Ich glaubte ihr kein Wort, aber sie schrieb mir ihre Nummer mit Edding auf den Unterarm.

Gegen zwei Uhr morgens wachte ich auf. Im Haus war es ruhig, alle schienen zu schlafen. Mein Mund war trocken vom Dope. Ich stand auf, ging pissen, dann ganz vorsichtig die Treppe runter in die Küche. Das Licht ließ ich überall ausgeschaltet, ich tastete mich langsam vorwärts. Nachdem ich die Kühlschranktür aufgezogen hatte, erkannte ich zuerst nur ihre Umrisse, stieß dabei gegen die geöffnete Geschirrspülmaschine.
„Nicole“, flüsterte ich.
Sie tauchte den Löffel in den Kartoffelsalat, der vor ihr auf dem Tisch stand. Sie saß hinten in der Ecke neben der Kaffeemaschine. Ich nahm eine Flasche Mineralwasser und schloss den Kühlschrank wieder.
„Hast du 'ne Zigarette da?“ Der Löffel kratzte am Plastik, dann schob sie die Schachtel über den Tisch, ich sah das Logo in der Dunkelheit schimmern. „Macht dir was aus?“
Sie schüttelte den Kopf und aß weiter den Kartoffelsalat, sie aß den ganzen Eimer. Als ich die Zigarette ausgedrückt hatte und schon aufgestanden war, sagte sie leise: „Jimmy.“ Ich hörte es in ihrer Stimme. „Alles gut“, sagte ich und nahm sie in den Arm, ihre Tränen liefen an meinem Arm herunter, tropften auf den Boden. Sie weinte, und ich hielt sie, bis sie damit fertig war. Dann reichte ich ihr ein Küchentuch, das über dem Stuhl hing, und sie lächelte und wischte sich das Gesicht trocken. „Geh schlafen“, sagte ich, als ich auf der Treppe stand und streichelte ihr noch einmal über den Kopf.

Ich pulte den toten Joint aus dem Aschenbecher und zündete ihn noch einmal an. Drei, vier Züge tat er es noch, ich behielt den Rauch solange in den Lungen, wie es ging. Danach legte ich mich wieder hin. Ich starrte auf die rot glühenden Ziffern auf dem Radiowecker: 3.25, 4.40. Mein Vater schnarchte, die Betten knarrten, in einem Rohr gluckerte Wasser und Luft. Um sechs Uhr stand ich auf, ging ins Badezimmer. Ich putzte mir die Zähne, rasierte mich, putzte mir noch einmal die Zähne. Der Duschstrahl war kräftig, ich stellte das Wasser so heiß ein wie möglich, benutzte das Duschgel meines Vaters, Moschus und Menthol.

Früher kamen Typen aus der Oberstufe zu mir, um mich nach Nicole auszufragen. Einer, Roland Jenning, wartete immer vor meinem Schließfach. Sein Vater war Bulle, aber kein Dorfsheriff, sondern was Höheres, immer bei den fiesen Sachen dabei – Leichen, Mord, Raubüberfälle. Roland war ein großer, athletischer Typ mit blonden, kinnlangen Haaren und einem zuckersüßen Lächeln - einer von denen, die mit Mädchen niemals Probleme haben. Es hieß, er habe die schärfsten Bräute flachgelegt, nur Nicole fehle noch auf seiner Liste. Er ging die ganze Sache Generalstabsmäßig an, fragte mich, in welche Disco sie geht, was sie für Musik mag, welches Parfüm. Wir hatten ziemlich schnell ein Tauschgeschäft am laufen - Infos über Nicole gegen ein paar Details von Verbrechen, mit denen sein Vater beruflich zu tun gehabt hatte. Nicole stand auf Sisters of Mercy und Fields of Nephilim, trug hautenge, schwarze Kleider und hatte sich die Haare grellrot gefärbt. Nach der Schule hing sie vor dem Kaufhof mit ein paar älteren Typen ab - sie rauchten Zigaretten, tranken Bier und Rotwein aus Kartons. Sie dachte keine Sekunde an jemanden wie Roland Jenning, aber davon ließ er sich nicht beirren, er ließ nicht locker. Irgendwann im Sommer fuhr er dann mit dem Rad ans Siegufer, wo Nicole und die anderen auf einer Insel mitten im Fluss rumhingen und kifften. Das Wasser an der Stelle war zwar nur bauchtief, doch es gab Untiefen, alte Bombenlöcher, Strudel. Wer den Stein geworfen hat, ist nie rausgekommen, jedenfalls hat er Roland Jenning an der Schläfe erwischt, er muss sofort bewusstlos gewesen sein. Sie haben ihn ein paar hundert Meter weiter aus dem Wasser gezogen, sein Körper hatte sich am Wehr in einer der Schleusen verfangen. Er hat es überlebt, aber sein Gehirn war minutenlang ohne Sauerstoff. Nicole hat ihn einmal im Heim besucht, sie hat sich als seine Verwandte ausgegeben. Er lag im Bett, war an ein Beatmungsgerät angeschlossen und vollkommen weggetreten - nur noch Gemüse, wie Nicole erzählte.

Ich spürte noch den Luftzug, als sie die Tür zur Dusche aufzog. Sie drückte sich gegen mich, streichelte über meinen Bauch und ließ die eine Hand tiefer gleiten.
„Lass das besser“, sagte ich, Mia lachte nur.
„Hast du Schiss?“
„Nein.“
„Wärst nicht der Erste, keine Sorge“, sagte sie und wog meine Eier in ihrer Hand.
„Warst zu viel im Internet, das ist alles.“
Sie drückte mit zwei Fingern auf meinen Damm und strich mit dem Daumen über die Eichel. „Da lernt man 'ne ganze Menge.“
„Nein“, sagte ich und drehte mich um. „Lass das.“
Ihr Haar war nass und dunkel, lag wie eine Maske am Kopf an. Sie legte die Hand auf meine Brustmitte, beugte sich nach hinten, lehnte sich gegen die Kacheln und stellte ihre Ferse in die Seifenablage. Blut strömte in meinen Unterleib, und sie öffnete den Mund, leckte sich über die Lippen und sagte: „Na also.“
Sie krallte sich an meinem Oberarm fest und presste mir ihr Becken entgegen. Nach zwei Stößen packte ich sie am Hals und drückte sie gegen die Duschwand. „Du bist ja irre“, sagte ich und schnappte mir im Rausgehen ein Handtuch. Ich schloss die Zimmertür ab, stand da, hörte auf das Rauschen des Wassers. Sie blieb noch zehn Minuten unter der Dusche, ging dann wieder auf ihr Zimmer, ich hörte, wie sie mit Julia und Thomas sprach, ihren Eltern. Meine Knie zitterten, und ich wartete darauf, dass irgendetwas passiert, dass jemand an meine Tür klopft oder sonst was, aber nichts geschah, nichts.

 
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Hej jimmysalaryman,

da hab ich ja Glück, deine Familienkonstellation jungfräulich lesen zu können.

Ich habe mich auch überhaupt nicht schwer getan. In einem Rutsch weggelesen. So ein Famlientreffen ist ja auch jedem geläufig. So oder ähnlich und deine Dialoge sind authentisch, der Protagonist sympathisch und liebenswert, sowohl im Umgang mit seiner Freundin, als auch mit seinen Geschwistern. Die Nichte ist allerdings ein eigenes Kaliber.

Die Umgebung wird nach und nach deutlicher. Das gefällt mir sehr gut.

Na, ihre beschissene Gesellenprüfung – und hier, ich meine, jetzt in allen Ehren und so, aber Friteuse?

Soll sie wirklich 'Friteuse' sagen?

Eine Entwicklung ist sicher an einem Tag 'vor dem Fest' nicht möglich, lediglich ein Rückblick und eine Bestandsaufnahme.
Irritiert hat mich allerdings Nicoles Verschwiegenheit. Ich dachte erst, sie wäre taubstumm und nicht nur frustriert und übergewichtig/essgestört, war sie doch mal 'n flotter Feger und mutig (besuchte den Komapatienten).

Leider kannte ich mal wieder gar keine deiner 'Insider' aus Musik und Suff und gerade als ich dachte: Hey, van Zandt, da fiel mir ein, dass 'meiner' Steven heißt. Ok, das geht aber klar.

Der Schluss lässt Erwartungen offen und kommt plötzlich. Ich rechne mit dem Schlimmsten, Eskalation 'vor dem Fest'.

So mein Eindruck, freundlicher Gruß, Kanji

 

Hallo jimmysalaryman,

Ich kenn so gut wie gar nichts aus der Welt, in der deine Protas zuhause sind. Und doch kommt es mir immer so vor, als ob ich gerade neben ihnen stünde, rieche und schmecke ihre Aromen und spüre den Fatalismus in ihrem Leben. Aber auch die kleinen Fluchten und Nischen, Familienbande und Jugendfreundschaften. Das Blumenbeet der Mutter und die Kois im Gartenteich, so schöne Details für die Sehnsucht nach dem Besseren, was immer es für jeden bedeuten mag.

Großartig die Präsentation der Familienmitglieder durch die Dialoge, also das hast du jetzt wirklich perfektioniert. Und die "Friteuse" ist bestimmt kein Druckfehler, sondern drückt ziemlich genau die Wertschätzung aus, die diesem Beruf in manchen Kreisen entgegengebracht wird:hmm:

Nur Mia ist mir suspekt. Musst du sie wirklich in diese Fußstapfen treten lassen, bloß weil ihre Eltern ins Spießerlager gewechselt sind?

Sehr starker Text. Wüsste zu gerne, ob dein Nick und Onkel Jimmy identisch sind.

Herzliche Grüße
wieselmaus

 

Jimmy,

ich bin noch nicht ganz durch, nur gerade über Folgendes gestolpert:

„Wo is'n die Mutter. Und Julia?“, fragte ich dann.
Mein Vater trank noch etwas vom Bier und sagte: „Im Wohnzimmer.“

Ich glaube, an dieser Stelle müsste es "Nicole" heißen, denn kurz darauf geht er ins Wohnzimmer und sagt seiner Mutter und Nicole Hallo. Julia kommt ja dann erst später ...

Viele Grüße
RinaWu

 

Hi Jimmy,

hat mir gefallen.
Muss den Text aber wohl ein zweites Mal lesen. Bin zu oft an Songs und Bands hängengeblieben, die ich gar nicht kenne ;)

Zwei Sachen:

Später am Abend sprach sie mich an und meinte, meine Sachen würden sie an den frühen Chris Knight erinnern.

Er ging die ganze Sache generalstabsmäßig an, fragte mich,

Gruß,
GoMusic

 
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Hallo jimmysalaryman

Die unangenehme Pflicht, in regelmäßigen Abständen zurück ins heimatliche Kaff zu reisen; verbunden mit all den Gesprächen, Problemen und Erinnerungen, vor denen man meinte, entkommen zu sein.
Das hast Du unglaublich realistisch und ungekünstelt dargestellt. Der Lektor in mir, würde jetzt sicher einige Kleinigkeiten anstreichen - aber in meiner Eigenschaft als Leser genieße einfach diesen überaus gelungenen Text.

Keine Angst! Das Lob soll auch mit Manöverkritik gewürzt werden.
Ja, hier eröffnet sich das Potential eines Familienromans. Und darin steckt die Tücke;
Irgendwann beim Lesen hatte ich das Gefühl, dass Du auf einige Personen und Nebenstränge hättest verzichten sollen. Julias Mann wird erwähnt, die früheren Liebhaber der Schwestern, die Ex des Protagonisten. Eine kurze Rückblende hier - ein erklärender Dialog da ...
Innerhalb der Kurzgeschichte ist es unmöglich so vielen Figuren, die notwendige Tiefe zu verleihen. Deshalb wäre es besser gekommen, weniger Personen einzuführen und diese intensiver herauszuarbeiten. Julia und den Vater hast Du so super charakterisiert, da fällt es richtig auf, dass die Mutter und eigentlich auch Nicole, nur Nebenrollen spielen. Auch Mia könnte, wäre nicht ihr Auftritt am Ende, durchaus verschwinden, ohne die Wirkung der Story zu mindern.
Ich hatte keine Probleme am Ball zu bleiben - das ist nur meine Sicht in Hinblick auf die Ästhetik des Textes.

Mias erotische Anwandlung setzt zwar einen passenden Höhe- (Tief-) punkt an den Abschluss aber im Prinzip riecht das schon etwas nach ältere-Herren-Fantasie-ex-machina. Dieses Nympho-Ding wirkt auf mich zu aufgesetzt.Teenager aus gutem Hause rebellieren gern in dem Alter - aber es bleibt doch eher beim Flirten und großer Klappe. Es passt auch nicht so recht zu der Atmosphäre in diesem Haus. Bis dahin wird die Stimmung eher durch das Grauen der Normalität erzeugt.

Das ist natürlich nur mein Eindruck. Vielleicht muss es auch so enden. Vielleicht denke ich morgen schon anders darüber.

Danke für diese Geschichte

Das Kellerkind

 

Kanji

Danke dir für deinen Komm, du bist eine sehr fleißige Leserin. Ich denke, sie muss unbedingt Friteuse sagen, weil diese Worte, so wie sie gesprochen werden, viel zu wenig in der Literatur. Wie ich finde! Ja, hier ist viel mit Musik, ich hoffe, das kommt nicht so aufgeblasen. Ich bin hier sehr früh raus, weil es eben nur diese Stimmung vor dem Fest sein sollte, nicht das Fest selbst.

RinaWu

Vollkommen richtig, ist geändert, danke!

wieselmaus

Ja, hier konnte ich schön mit den Dialogen spielen, das hat auch echt sehr viel Spaß gemacht. Mia finde ich so gut wie sie ist. Sie ist sexuell überhitzt, auch wenn sie jung ist. Sie ist der Faktor, der alles um Überlaufen bringen kann. Nicole finde ich so ruhig besser, weil dadurch, durch diese Stille, ja ihre Situation noch viel drastischer wird, jeder sieht, was los ist, aber keiner will mit ihr reden, aus Angst, es schlimmer zu machen. Deswegen braucht sie auch nur diesen einen richtigen Moment, um loszulassen.

Danke dir für deinen Komm und deine Zeit!
GoMusic

Sorry wegen den Bandnamen, ich gelobe Besserung. :D Habe alles verbessert, vielen Dank für deine Zeit!

Gruss, Jimmy

 
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Großartige Dialoge, Jimmy, großartige Dialogregie, großartige Figurenzeichnung, großartige Sprachpräzision und -ökonomie, großartige … äh, Lebensechtheit.
Wahnsinn, irgendwie hab ich das Gefühl, mir wird hier mit wenigen Szenen eines einzigen Tages eine ganze Familiengeschichte erzählt, Buddenbrocks für Eilige sozusagen, wobei du stilistisch den alten Langeweiler natürlich sehr, sehr alt aussehen lässt.
Jou, du merkst schon, Jimmy, ich komme ziemlich ins Schwärmen, wenn ich zu diesem Text was sagen will, und ich hoffe, ich tu das nicht, weil wir uns persönlich kennen, und die Geschichte mir deshalb so einehmend und sympathisch erscheint, weil natürlich ab dem Punkt, wo der Name des Ich-Erzählers fällt, ich dich als den Protagonisten vor Augen hatte. Ja, spooky irgendwie, weil’s mir dann halt schon schwer fiel, Autor und fiktive Figur zu trennen. Macht aber eigentlich nix, weil geschrieben ist es so oder so … ich sag jetzt mal brillant. Wunderbare, stimmige, liebevoll beschriebene Details, eine vollkommen nachvollziehbare Interaktion der Figuren, lebensechte, ja, lebendige Charaktere.

Spannungsbogen? Konflikt? Twist? Drauf geschissen, sag ich mal. Für mich ist der Text wieder ein wunderbares Beispiel dafür, wie zweitrangig, ja, wie hinterfragenswert dieser ganze erzähltechnische theoretische (dogmatische?) Krempel eigentlich ist, sofern die sprachliche Gestaltung stimmt und die Geschichte darüber hinaus eine Seele hat.
Und eine Seele hat die deine ohne Zweifel.


Aber kein Licht, wo kein Schatten:

Drei Zigaretten später saßen wir immer noch auf den Rattanstühlen und sahen den Koi zu.
entweder Singular: dem Koi
oder Plural: den Kois


„Der hat geblutet wie 'nen (einen?) angestochenes Schwein.“

„Ach, Thomas ist ja 'nen (einen?) Bayernfan, stimmt.“

Das mit der korrekten Widergabe der mundartlich verkürzten unbestimmten Artikel wirst du wohl nie lernen, was? Oder willst du mir ernsthaft erzählen, dass ihr bei euch in Köln sagt „einen Schwein“? :confused:


Großartiger Text, Ohrenmann.

offshore

 
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Hey Jimmy,

hat mir gut gefallen, deine Familienzusammenführung. Nicht so Doom&Gloom wie vieles, was so gewöhnlich über Familien geschrieben wird, jedenfalls wirkt es so am Anfang. Da ist die Schwester mit der Essstörung, die "gute" Tochter, die dem Leben aus den Livestyle-Magazinen hinterherläuft samt passendem Anhang und der erfolglose Glücksritter aus Berlin, der nicht so richtig erwachsen geworden ist. Klar, da sind Probleme und Animositäten, aber jetzt nichts, was nicht auch in den besten Familien vorkommt. Der Vater ist sympathisch, da möchte man im Partykeller gerne ein Pintchen mittrinken. Gut, am Ende muss ja noch irgendwas passieren, die überreife 15-Jährige, die dem nicht ganz so reifen Onkel aufdringlich an die Wäsche will ... ist eine schöne Variation des alten Onkel-Themas, nein, des Familienfeier-Klischees schlechthin. Ich bin mir ja sicher, dass das deine Intention war. Fand ich gelungen. Stilistisch wie immer knapp und authentisch aus dem Milieu heraus, aber niemals abschätzig. Abseits davon habe ich nur kleine Anmerkungen:

Die Küche war dunkel und kühl. Sie hatten alles renoviert, es sah ungewohnt aus. Mein Vater nahm zwei Sünner aus dem Eisfach und öffnete sie mit einem Löffelstiel. Wir lehnten gegen die Spüle und tranken schweigend.
„Wo is'n die Mutter. Und Nicole?“, fragte ich dann.

Das klingt irgendwie nicht. "Wir lehnten gegen die Spüle und tranken" ohne den Zusatz macht auf mich bereits den Eindruck, dass man da für ein paar Schluck schweigend rumsteht. Würde ich reduzieren.

„Spielen um die Champions League Plätze“, sagte mein Vater, und Thomas lachte laut auf. „In zehn Jahren nicht!“
„Ach, Thomas ist ja 'nen Bayernfan, stimmt.“ Ich sah meinen Vater an und grinste.
„Sympathisant“, sagte Thomas, „nur Sympathisant, ja.

Die Spießerzuschreibung von vorhin kannst du dir eigentlich sparen, das hier ist viel treffender. Beste Charakterisierung der ganzen Story.

Wir hatten uns auf einer Open Scene für Singer-Songwriter kennengelernt, ihre Freundin war mit einem Gitarristen aus Texas dort, der angeblich an einer Albumproduktion von Lucinda Williams beteiligt gewesen war. Ich spielte ein paar meiner Songs und ließ mich danach draußen am Kiosk volllaufen.

Der Wahlberliner könnte alternativ auch Späti sagen. Büdchen oder Bude, wenn er noch mental im Pott verwurzelt ist.

Ich lachte, beugte mich nach vorne und fragte: „Haste was da? 'n kleines Pickelchen für 'n Spliff nur – hab's nich mehr geschafft, was zu checken vor der Fahrt, hätt' aber total Bock, mir einen zu buffen heute Abend.“
„Gehen wir da rüber“, sagte Frank. Wir blieben zwischen zwei Autos stehen, dann holte er einen Plastikbeutel aus der Jackentasche und öffnete ihn.
„Reicht das?“
„Alter!“, sagte ich und sah auf das Stück Dope in meiner Hand. „Reicht dicke! Was kriegste dafür?“
„Guck ma lieber, dass de vorbei kommst. Tom is meistens auch da. Kurbeln wir einen, quatschen was, verhaften paar Bierchen.“

Das kommt mir gekünstelt vor, so als ob du versucht hast, alle Slangworte fürs Kiffen in einem Dialog unterzubringen. Aber auf mich wirkt das gerade deswegen nicht authentisch. Kiffen, drehen und Gras, das ist ehrlicher.

Das wars aber auch schon, davon ab, ein tolles Lesevergnügen!

Gruß und besten Dank für die Musik-Tipps

Der Exilfranke :)

 

ernst offshore

Mann, echt, ich habe mich sehr gefreut über deinen Kommentar! Ja, ich habe den Text so runtergeschrieben, hatte den vor einem halben Jahr mal begonnen, und dann in einer Pause vom Roman fertiggeschrieben. Ja, ich glaube, was hier gut funktioniert ist das mit dem Dialog, der halt alles zusammenführt, der auch die Personen charakterisiert, weil nix anderes da ist, oder nur wenig.

Plot ist da nicht viel, stimmt. Ich finde auch oft, Plot muss nicht immer sein, oder Entwicklung, wenn der Charakter da ist, und wenn er interessant ist, kommt es darauf an, wie der Autor diesen etabliert. Ich bin immer erstaunt, wenn sich einmal ein Prot angekumpelt hat, nimmst du ihm fast alles ab. Schön, wenn es hier läuft.

Mann, ich freue mich immer noch! Danke dir für Zeit und Komm!

Gruss Jimmy

wird fortgesetzt ...

 
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Lieber Jimmy,

ich möchte nur eine kurze Rückmeldung geben:
Deine Geschichte hat mich vom ersten bis zum letzten Satz gepackt und voll reingezogen. Ich stand neben dem Protagonisten, betrachtete mit ihm seine Familie, seine Vergangenheit, konnte mir jede Szene, jede Person vorstellen, konnte mit ihnen empfinden, und hätte beinahe mit Nicole geweint. Ausgezeichnete Dialoge und feine, gut gesetzte Andeutungen skizzieren die Personen, ihre Beziehungen zueinander und lassen so die gesamte Familie vor meinem Auge erscheinen. Ich nehme ernst offshors Gedanken auf: In diesem kurzen Text gelingt dir ein analytisches und gleichzeitig Empathie erzeugendes Bild einer Familie, ‚Buddenbrocks im Kleinen’ eben.

Schon deine vorige Geschichte hat mir sehr gefallen, aber diese empfinde ich als deine bisher ausgereifteste.

Liebe Grüße
barnhelm

 
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Lieber jimmy

Lesegenuss pur, soviel mal vorausgeschickt.

Ein paar Details

„Der hat geblutet wie 'nen angestochenes Schwein.
Ich kann dir nicht sagen, wieso, aber das löste so ein "kenn ich schon" Gefühl aus, will nicht sagen ausgelutscht. Einfach "Der hat vielleicht geblutet." o. ä. reicht doch.

Die Freundin mit den Tätowierungen hatte ich Anfang des Jahres in den Tannenhof nach Brandenburg bringen müssen.
Das finde ich immer so mutig. Es braucht nämlich keine Erklärung, das wird halt irgend so eine Einrichtung sein. Passt!

... und eine Flasche Zinn 40 aus dem Kühlschrank.
Der muss einfach dabei sein, war ja klar, Alter.:D

Wir setzten uns an den Tisch im Wohnzimmer, vor den Schrank mit dem belgischen Bleiglas.
Ein Beispiel, wie man mit nur einem Satz eine ganze Wohnungseintrichtung charakterisieren kann.


Thomas versuchte uns ein amerikanisches Craft-Bier mit Kaffeearomen schmackhaft zu machen, das er mitgebracht hatte, aber mein Vater meinte, wenn er Kaffee trinken wolle, tränke er eben Kaffee und kein Bier.
Lesefluss, pingelig, aber vielleicht so: Thomas versuchte uns ein mitgebrachtes, amerikanisches Craft-Bier mit Kaffeearomen schmackhaft zu machen, ...
Ausserdem gebe ich dem Vater recht, Bier mit Kaffeearoma WTF! :


„Familienfeier“, sagte sie leise.
Boah, fein gezeichnet. Sie hat wohl keine Familie (mehr).

Mein Körper rebelliert[_]und so,

ihr macht's nicht aus. / „Macht['s] dir was aus?“
Bin nicht sicher, ob das jetzt noch Umgangssprache ist oder doch eher Tippfehler sind?

Ja, eine feine Geschichte, jimmy, habe ich sehr gerne gelesen. Vor dem Fest, die Familie noch unter sich, die Rollen mit den Jahren klar manifestiert, eine temporäre Vereinigung bevor dann morgen die Masken aufgesetzt werden.

Die Dialoge lesen sich sehr authentisch, besonders im ersten Teil verzichtest du fast komplett, das Setting zu erklären, es erschliesst sich durch die fein gesetzten Anspielungen in der direkten Rede. Man merkt dir die gewissenhafte Textarbeit an, da sitzt jedes Wort und entfaltet seine Kraft. Kein Gramm zuviel. (Sorry Nicole, nix gegen dich.)

Ich bin so was von abgetaucht in deiner Familienepisode, konnte mir alles vorstellen, riechen, schmecken, dass mir am Ende die überraschend quer einfahrende Duschszene komplett entfallen ist. Klar, die Mia ist ein pubertierendes Luder, der Finger unterm Tangabündchen hat's vorgespurt, trotzdem, ich dachte noch, der wird jetzt nicht, also ich mag mir das gar nicht ausmalen, hat er die Nichte gerade entjungfert oder hat Mia ihre Tage? Ich weiss nicht, der verbotene Quickie ist toll geschrieben, kein Thema, und doch bin ich mir noch unschlüssig. Ok, der Jimmy ist ja gerade irgendwie verlassen worden, lässt sich deshalb gehen, andererseits kennt er meiner Meinung nach so was wie Verantwortung, wie er da seine Freundin zum Tannehof brachte. Schwierig, das beschäftigt mich jetzt irgendwie, und somit hat der Autor alles richtig gemacht. :)


Fazit: Toll gemacht, mit Genuss gelesen.

Liebe Grüsse
dot

 

Hi Jimmy,

ja, was soll ich sagen? Ich hab' sie empfohlen, reicht dir das mal für heute? :D

Nur noch eine kleine Anmerkung, Exilfranke gebe ich hier recht:

Ich lachte, beugte mich nach vorne und fragte: „Haste was da? 'n kleines Pickelchen für 'n Spliff nur – hab's nich mehr geschafft, was zu checken vor der Fahrt, hätt' aber total Bock, mir einen zu buffen heute Abend.“

Das wirkt auf mich fast parodistisch, und es fällt natürlich noch mehr auf, weil die anderen Dialoge so gut sitzen.

Liebe Grüße
bernadette

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Jimmy

Ich habe die Geschichte gestern gelesen und eine Weile darüber nachgedacht, weshalb ich diesen Text einen deiner besten finde. Ich denke, es liegt daran, dass nicht nur der Erzähler, sondern auch die anderen Figuren mehrdimensional gestaltet sind, das sind echte Menschen, keine typische Figuren mit Eigenschaft A, die anhand Verhalten x und anhand Dialog y gezeigt wird, und gut ist. Das kannst du auch sonst sehr gut, aber hier ist es dir in besonderem Masse gelungen.

Das liest sich in keiner Zeile als ein Konstrukt, als eine Geschichte, die sich jemand ausgedacht hat, um irgendwen zu unterhalten, der Text ist direkt, unmittelbar, authentisch. Eine starke und ausgereifte Arbeit.

Die zwei, drei Kleinigkeiten, die ich hatte, sind schon angemerkt worden. Ich wollte noch kritisieren, dass Mia in der Schlussszene etwas aus dem Nichts kommt, dass du ihr vielleicht vorher noch eine Szene schenken solltest. Dann habe ich nochmal in den Text geschaut und da liegt sie ja, auf dem Sauna-Tuch und raucht. Verdammt, du hast einfach alles richtig gemacht!

Lieber Gruss
Peeperkorn

 

Hallo jimmysalaryman,
Ein richtig starker Text, Kompliment! Vor allem die Dialoge fand ich klasse, streckenweise Weltklasse.
Obwohl ich das Mundartige teilweise etwas anstrengend fand. Klar, es gehört dazu, schafft Atmosphäre, aber ich finde so etwas auch immer schwer zu lesen.
Deine Beschreibungen des elterlichen Hauses und der Protagonisten sind gelungen, wieder mit wenig Worten viel erreicht. Das ist technisch wirklich gut.
Und das die Geschichte keinen klassischen Spannungsbogen hat, sondern eher so "vor sich hin dümpelt" (bitte nicht falsch verstehen), hat mich auch nicht gestört. Zumindest nicht bei der Länge. Nein, der Text lebt für mich als eine Art Milieustudie, mit klasse Dialogen und pointierten Beschreibungen. Echt gut!
Nur das Ende hat mich leider auch nicht wirklich überzeugt, das war zu plötzlich und irgendwie zu direkt (vulgär?).

Eine Anmerkung/Frage noch: Erst redest du von Fortuna Köln gegen Bayer Leverkusen (BTW: wann haben die denn das letzte Mal zusammen in der Bundesliga gespielt?) und später dann vom FC, worunter ich den 1. FC Köln verstanden habe. Oder habe ich da etwas übersehen?

Fazit: weiter so.

Beste Grüße,
Fraser

 

Kellerkind,

danke dir sehr für deinen aufschlussreichen Kommentar.

Ja, zu viel Personal. Ich weiß, dass ist ein berechtigter Einwand. Man könnte auch so argumentieren, dass man sagt, es ist schon etwas konstruiert, also von der Erzähllogik her, jede kriegt so seine Portion. Allerdings empfinde ich das nicht als so krass. Klar kann man da jetzt noch 100 Seiten mehr erzählen, aber hier ging es um diese kurze Zeitspanne vor dem Fest, und auch, was da zwischenmenschlich passiert. Zu den Erinnerungen: Das sind konkrete Momente, in denen die Person charakterisiert wird. Julia hilft ihrer Schwester, hat aber kein Problem damit, ein Jahr später mit dem gleichen Typen, den sie noch verprügelt hat, rumuvögeln. Das sagt etwas aus, darüber wie sie denkt, wie sie handelt, was sie für eine Person ist. Auch diese Erinnerung mit diesem Roland - Nicole war nicht immer fett, irgendetwas ist passiert, wir wissen nicht, was genau. Aber er nimmt diesen Gedanken mit, er kennt sie anders, deswegen ist er auch so geschockt, das stellt sich ja auch für den Leser nachher, nachdem er die Information bekommen hat, nochmal anders dar. Sie war mal begehrt und wurde auch so wahrgenommen, und jetzt nicht mehr. Also, das soll heißen, die stehen (für mich jetzt) nicht umsonst dar, die haben Hand und Fuß, weil sie Markierungen sind, an denen sich der Leser entlanghangeln kann.

Ich denke aber darüber nach, und kürze eventuell nochmal, um mehr Zug dort reinzubekommen.

Kellerkind, danke dir für deine Zeit und deinen Komm!

Gruss, Jimmy

wird fortgesetzt

 

barnhelm

vielen Dank für deinen Kommentar und deine Zeit.

Ich mag die Geschichte auch. Ehrlich gesagt, habe ich die so in zwei Sitzungen runtergeschrieben, weil ich die plötzlich total vor Augen hatte, genau wusste, wer wie was sagt und warum. Passte einfach alles auf einmal, und dann hat es gefunzt. Ich mag den Erzähler, der zwar irgendwie immer ein wenig verpeilt wirkt, aber doch da ist, doch Verständnis hat für jeden, der ist sozusagen der Klebstoff. Ich glaube auch, dass er der einzige ist, dem sich Nicole offenbaren kann. Er durchdringt das alles, nimmt auch alles hin, er ist ein Loser, aber ein sympathischer. Er kann sogar mit Thomas und Julia auskommen!
Danke, dein Lob freut mich sehr. Ich finde diesen Text auch sehr reif.

Gruss, Jimmy

wird fortgesetzt

 

Hallo @jimmysalaryman

beim Lesen deiner Geschichte hatte ich das Gefühl, diese Familie gut zu kennen – fast als wären sie meine Nachbarn. Da hast du schon sehr gut die Charaktere beschrieben. Der Protagonist ist mir besonders ans Herz gewachsen und die Gespräche mit seinem Vater mochte ich am Liebsten. Ein höflicher und liebenswerter Kerl und ein cooler Typ mit seiner verwegenen anderen Seite. (Hierbei habe ich allerdings keinen blassen Schimmer: Pickelchen für 'n Spliff, mir einen zu buffen, OCBs. Auch die Musik sagt mir gar nichts. Aber das ist ja auch egal, klingt jedenfalls abenteuerlich.)

Obwohl du sehr viele Personen hast und genügend Konflikte, so war ich aber von Anfang an sicher, dass du Nicoles Geschichte erzählen willst. Sie wird "bedeckter" gehalten und nur wie nebenbei erfährt man von ihrem Leben. Ich denke, dass ihre Essstörung mit dem schweren Unfall von Roland Jenning zu tun hat. Bin mir nur nicht sicher, was das Steinewerfen betrifft. Jimmy behauptet zwar, es wäre nie rausgekommen wer geworfen hat, doch vielleicht weiß seine Schwester ja mehr. War sie es? Ist es ihre Schuld, dass Roland schwerverletzt im Heim liegt? Man weiß es nicht und ist auch nicht schlimm. Aber es darf ja spekuliert werden.
Doch ja, ich bin mir sicher, dass das die Geschichte in der Geschichte ist.

Gut gefallen haben mir auch deine genauen Beschreibungen. Das Anrichten der Häppchen beispielsweise - da kann ich mir sehr gut ein Bild davon machen. Als würde ich daneben stehen und denen zuhören. Auch das, was Jimmy am schwarzen Brett liest – nicht wirklich von Bedeutung, aber so lebensnah. Ich lese sehr gerne detaillierte Beschreibungen und versuche mich auch immer wieder selbst daran. Bin jetzt aber verunsichert, dachte seither, dass es nicht typisch für ein KG sei, dieses detaillierte Schreiben. Darf man das also?

Die Szene um den Jürgen Reis (und seinen verunglückte Sohn) beschäftigt mich. Inwieweit ist sie wichtig für die Geschichte? Was wolltest du mit der bezwecken? Man erfährt, dass Jürgen einst hinter Nicole her war und Julia ihn erst verprügelt und ein Jahr später gevögelt hat. Ich finde, dass sie etwas über den Protagonisten sagt – seine teilnahmsvolle Seite zeigt. Ist es das, was du damit aussgen willst? Oder Interpretationssache? Ich frage weil ich hier bin um zu lernen und ich mich mit der Wirkung von Dialogen auseinandersetze.

Dann die letzte Szene, die unter der Dusche. Echt Jimmy, ich kriegs nicht aus dem Kopf: Ferse in der Seifenablage … Unsere ist ein Meter über dem Boden angebracht … machbar ist das schon … herrje …

Hier ein "Dass" das ein "Das" sein sollte:

Dass große Townes van Zandt Poster hing noch über dem Bett, die leeren Plattenhüllen von Whiskeytown und Chuck Prophet in der Wandschräge.

Lieber Gruß
Tintenfass

 

Hallo jimmysalaryman,

Alles was Du jetzt noch nachträglich klarstellst, ist bereits genau so bei mir angekommen. Das ist auch eine große Stärke des Textes, dass exakt so viele Hinweise kommen, wie man braucht, um ein Bild über die Figuren und die Situation zu haben. Nicht zuviel - nicht zuwenig.
Von einer Kürzung würde ich abraten, so lange die ganze Konstellation gleich bleibt. Die Rückblenden, zum Beispiel, sind absolut notwendig, damit die Charaktere nicht zu Pappfiguren verkommen.

Mir waren es grundsätzlich zu viele Personen in zu kurzer Zeit. Das kann aber auch immer mit der Lese-Situation zusammenhängen. Irgendwie hat mich die Art der Geschichte in einen Roman Modus versetzt. Mir fehlten nicht die Informationen, sondern einfach etwas Zeit der Muße zwischen den einzelnen Charakteren.
Entschleunigung, sozusagen.

Grüße
Kellerkind

 

dotslash

Danke dir sehr für deinen tollen Kommentar.

Deine Ideen und Vorschläge, sowie die der anderen auch, werde ich am WE einarbeiten. Zu deinem Fazit mit dem Ende: Das hat mich in den Fingern gejuckt. Klar, ist schon so etwas "American Beauty" mässig, eben nur andersherum, hier ist die Lolita eben auch eine und tut nicht nur so. Vielleicht ist die auch so abgekoppelt vom Rest, das ist ja einigen Lesern aufgefallen, und das haben sie auch angemerkt. Ich denke, ich wollte hier noch mal richtig mich ins Fett setzen - das kann sein!:D

Ja, ich finde es gut, dass du die Dialoge so liest. Die sind halt schon sehr monolithisch, stehen da für sich, da muss man mitgehen, jemand der noch gerne Geschwurbel liest, also ganz wertfrei, für den ist das eher nichts, denke ich. Ich kann mittlerweile ganz gut den sound an und ausstellen, also auch mal mehr mit Beschreibungen arbeiten, nicht direkt alles verdichten, Strecke machen, und dann wieder, so wie hier, den Minimalismus voll ausreizen. Dialogzeilen aneinanderreihen, es einfach mal knallen lassen. Klasse, wenn es für dich so funktioniert, das hört man gerne.

Ja, vielen Dank für deinen Kommentar und deine Zeit, hat mich sehr gefreut, dass du reingeschaut hast.

Gruss, Jimmy

tbc

 

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