Von einer Winternacht
1
Als Kathy die Kirche betrat, tat sie es mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend.
Sie fühlte sich unwohl in ihrer Haut. Es war das erste Mal seit Jahren. Zwar war sie von ihren Eltern zum christlichen Glauben erzogen wurden, war aber schon vor langer Zeit aus der Kirche ausgetreten und hatte den Schritt seitdem nicht bereut. Sie kam nicht hierher, weil sie Gott für irgendetwas danken oder bitten wollte, sondern mit jemanden reden musste. Sie brauchte einen Zuhörer. Sie musste etwas los werden, was sie schon seit sechs Jahren bedrückte und ihr mehr und mehr die Kehle zuschnürte. Es erstickte sie innerlich. Noch nie hatte sie jemanden davon erzählt, auch nicht David oder Ethan, obwohl sie sonst keine Geheimnisse vor ihren besten und einzigen Freunden hatte.
Es würde das erste Mal sein, und sie wusste nicht, ob sie es einem Fremden, auch wenn dieser ein Geistlicher war, einfach so erzählen konnte. Aber es war an der Zeit. Sie hätte diesen Schritt viel früher machen sollen, das wurde ihr jetzt klar. Aber sie war stets zu feige gewesen.
2
In der Kirche war es kühl, und Kathy fror in ihren Shorts und ihrem T - Shirt das den Schriftzug der Red Sox zierte. Gänsehaut bildete sich auf ihren Unterarmen. Trotz der Sonnenstrahlen, die durch die bunten Fenster hereinfielen wirkte die Kirche dunkel. Die vielen Kerzen und Kreuze trugen ihren Teil dazu bei. Als Kind war sie gerne in die kleine Kirche von Hatfield gegangen. Damals hatte das alte Gebäude für sie Geborgenheit bedeutet. Die Geschichte von Jesus, Gottes eingeborenen Sohn, des Erlösers und die Tatsache, das Gott alle Menschen gleich liebte, egal ob arm oder reich, schwarz oder weiß, hatten ihr immer Zuversicht gespendet. Doch jetzt, nach all den Wirren und schmerzhaften Erfahrungen des Lebens war der alte Zauber verflogen. Jesus war für sie nicht mehr, als eine Sagengestallt, an die sich die Menschen klammerten, wenn es ihnen schlecht ging oder sie kurz vor der Schwelle zum Jenseits standen.
Mit vor der Brust verschränken Armen und schnellen Schrittes ging sie auf den Beichtstuhl zu, der neben einem kleinen Alter mit Marienstatuen stand. Eine besonders hässliche von ihnen, die das Jesuskind in ihren Armen hielt, starrte sie vorwurfsvoll an. Miststück, dachte sie. Ihre Mutter hätte sicherlich einen Herzanfall erlitten, hätte sie diesen Gedanken lesen können.
Am liebsten hätte Kathy den gesamten Altar umgestoßen. Ihr Blick verfinsterte sich, je näher sie dem Beichtstuhl kam. In wenigen Sekunden würde sie es tun. Sie würde die Sünde ihres Lebens beichten, würde alles erzählen, jedes noch so kleine Detail, würde nichts auslassen.
3
Als sie die Tür vom Beichtstuhl öffnete, empfing sie ein übler Geruch. Der Geruch von Schweiß und Angst. Es wurde stockdunkel, als sie die Tür wieder schloss.
Nur eine halbabgebrannte Kerze spendete ihr Licht. Sie kniete sich und faltete ihre Hände, ein Reflex aus Kindertagen. Ihre Mutter hatte darauf bestanden, dass sie jeden Monat mindestens einmal zur Beichte ging. Die Prozedur und das ganze Drumherum waren ihr also bestens bekannt. Sie betrachtete, wie sich die Flamme der Kerze hin und her bewegte. Es wirkte beruhigend auf sie.
"Pater", sagte sie.
Das kleine Fenster in der Innenwand des Beichtstuhls wurde geöffnet. "Gelobt sei der Herr", sagte die Stimme auf der anderen Seite.
"Gelobt sei der Herr", wiederholte Kathy.
"Du kannst jetzt deine Sünden Gott beichten und um Vergebung bitten." Die Stimme des Pfarrers hörte sich sanft und mitfühlend an. Trotzdem zweifelte sie noch einen Moment, ob sie es wirklich tun sollten. Feigling, sagte eine Stimme in ihrem Kopf und so begann sie schließlich zu erzählen, was sie noch niemanden sonst mitgeteilt hatte.
"Ich bin nicht hier um Gott um Vergebung zu bitten. Ich bin mir noch nicht einmal sicher ob es ihn überhaupt gibt." Sie hielt inne. War es nicht unklug einem Pfarrer so etwas zu offenbaren? Aber der Pfarrer machte ihr keinen Vorwurf.
"Erzählen sie nur weiter", sagte er. "Wieso sind sie dann hier?" Sie schluckte.
"Ich bin hier, weil ich etwas loswerden muss, was mich schon seit Jahren bedrückt. Ich will einfach mit jemanden reden, verstehen sie das?"
"Ja, durchaus", sagte der Pfarrer. "Es kommen oft Menschen an diesen Ort, weil sie einfach nur reden wollen. Im Grunde genommen ist das auch der wirkliche Zweck der Beichte." Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: "Man muss nicht unbedingt an Gott glauben, um beichten zu gehen."
"Das, was ich ihnen jetzt sage, habe ich noch niemanden zuvor erzählt. Sie sind bis auf einen Arzt und ein paar Krankenschwestern der einzige, der es wissen wird. Ich habe ein Kind abgetrieben." So jetzt war es endlich raus. Sie wartete ab, wie der Pfarrer darauf reagieren würde, als dieser aber keinen Ton von sich gab, begann sie ihre Geschichte zu erzählen und brach dabei in Tränen aus.
"Es ist im Winter vor sechs Jahren passiert", sagte sie.
3
Kathy sitzt auf der Couch und stopft massenweise Kartoffelchips in sich rein. Sie fühlt sich nicht gut. Ihr Magen fühlt sich an, als würde er jeden Augenblick explodieren und in ihrem Kopf spürt sie einen immer penetranter werdenden Schmerz. Sie hat an diesem Abend eindeutig zu viel Alkohol getrunken. Es ist die Geburtstagsparty von Cliff, ihrem Freund mit dem sie schon seit knapp zwei Jahren zusammen ist. Er ist heute dreißig geworden.
Seine Wohnung sieht aus wie eine Müllkippe: Leere Kippenschachteln und Bierdosen sind auf dem ganzen Boden verteilt. Überall um sie herum sieht Kathy tanzende Menschen. Alle scheinen Spaß zu haben, nur sie nicht. Da kommt Cliff. Er setzt sich neben sie und gibt ihr einen Kuss.
"Was ist los mit dir?", fragt er.
"Ich glaube, ich hab zu viel getrunken. Mir ist verdammt schlecht", antwortet sie.
"Hättest du nicht Lust mit in mein Zimmer zu kommen und ein bisschen zu Kuscheln?", flüstert er ihr ins Ohr. "Ich bin heiß. Ich könnte es jetzt hier auf der Stelle, vor allen Leuten, mit dir treiben!" Kathy findet den Gedanken daran abstoßend.
"Cliff, ich hab dir doch schon gesagt, dass es mir schlecht geht. Ich will jetzt nicht mit dir schlafen, okay? Ich werde nach Hause gehen. Ich wünsch dir alles Gute und trink nicht mehr soviel", sagt sie und gibt ihm noch einen zärtlichen Kuss auf die Wange. Dann drängelt sie sich durch die tanzende Menge zur Tür und verlässt dann die Wohnung, während ihr Freund ihr ungläubig hinterherschaut. Eine Woche später wird er mit ihr Schluss machen und sie wird ihn dafür hassen, mehr als sie bis dato jemanden gehasst hat.
Draußen ist es dunkel und kühl. Die ganze Landschaft ist mit Schnee bedeckt. Sie hat Mühe durch ihn hindurch zu stapfen, weil sie müde und erschöpft ist. Ihre Wohnung ist ungefähr eine Meile von hier entfernt. Am heutigen Abend kommt ihr das, wie die Strecke eines Marathons vor. Trotz ihrer dicken Jacke und ihres Schaals friert sie. Besonders an ihren Ohren. Ihre Nase läuft ununterbrochen und sie wischt sich ihre Rotze an den Ärmeln ihrer Jacke ab. Sie hat zwar keine Uhr an, schätzt aber, dass es bereits nach Mitternacht ist. Keine Menschenseele ist auf den Straßen zu sehen. Noch nicht einmal ein Auto bekommt sie zu Gesicht. Plötzlich fühlt sie sich einsam. Vielleicht hat sie damals schon eine Ahnung, dass Cliff sie verlassen wird.
Sie versucht schneller zu gehen, weil ihr nach und nach unwohler wird und sie nur noch nach Hause ins Bett will. Ihre Kopfschmerzen sind stärker geworden und überhaupt fühlt sich ihr ganzer Körper krank an. Es kommt Kathy so vor, als würden ihre Beine aus Blei bestehen. Unter Qualen schleppt sie sich durch den tiefen Schnee.
Vor ihr sieht sie den Spielplatz. Er ist eingezäunt und umgeben von dichtem Gestrüpp. Durch das Licht des Mondes sieht er gespenstisch aus. Die Rutsche und die Schaukeln sehen bei Nacht aus wie Folterwerkzeuge aus dem Mittelalter, muss sie feststellen. Alles sieht aus, als wäre hier eben erst etwas Schreckliches passiert.
In einem Gebüsch links neben der großen Rutsche, hört sie ein Wimmern. Meine Güte, denkt sie. Zuerst nimmt sie an, dass es sich um eine Katze oder um irgendein anderes streunendes Tier handelt, aber als sie genauer hinhört, erkennt sie, dass es menschliche Geräusche sind. Unmöglich, sagt sie sich und ihr ganzer Körper wird von einer Welle der Angst durchflutet. Sie will nicht dort hin gehen, aber sie weiß, dass sie es tun wird. Es wird einer ihrer größten Fehler sein. Sie kämpft noch innerlich mit sich, überwindet sich dann aber doch. Was ist, wenn es ein Kind ist, das sich verlaufen hat, sagt sie sich. So leise wie möglich öffnet Kathy die kleine Holztür des Spielplatzes. Jetzt spürt sie unter dem Schnee Sand. Sie hält einen Moment inne. Es ist totenstill. Sogar der Wind ist für einen Augenblick verstummt. Das Wimmern ist weg, es ist ver...
Und dann hört sie es wieder. Es ist ein unbeschreibbares Geräusch, das sie noch eine ganze Weile in ihren Träumen verfolgen wird. Sie geht weiter und summt dabei eine Melodie, die sie selber nicht kennt. Bei jedem Schritt schlägt ihr Herz schneller. Unter ihren Schuhen knirscht der Schnee. Sie steht jetzt drei Meter vor dem Gebüsch. Ihre Gedanken malen sich schreckliche Szenarien aus. Sie kommt sich vor wie in einem Traum. Langsam beugt sie sich nach vorne.
Was sie sieht, wird sie ihr Leben lang nicht mehr vergessen. Es ist ein absurdes Bild. In dem Gebüsch, durch Laub und Äste gut verborgen, aber doch deutlich sichtbar, liegt ein kleiner Mann. Er ist vollkommen nackt. Sein weiches Gesicht und die Tatsache, dass er am ganzen Körper (so weit Kathy es von hier aus beurteilen kann) unbehaart ist, geben ihm ein babyhaftes Aussehen. Normal sollte sie jetzt wegrennen ohne noch einen Blick zurückzuwerfen. Aber sie tut es nicht. Sie steht einfach nur, mit offenem Mund, da und betrachtet die Gestalt vor ihr. Der Mann schaut sie scheu an. Und dann tut er etwas, das sie noch weniger vergessen wird, als sein Wimmern. Er lächelt. Es ist ein freundliches und ehrliches Lächeln. Die Zähne des kleinen Mannes sehen strahlend weiß aus, trotz der Dunkelheit. Das bringt sie ganz aus der Fassung.
" Wer... ", beginnt sie. Wer sind sie und was machen sie da, will sie fragen, schafft es aber nicht. Es ist alles zu unwirklich für sie. Ihr Gehirn hat das, was sich hier abspielt, noch nicht richtig verarbeitet um einen Satz herauszubekommen.
Aber das muss sie auch nicht, denn der Mann beantwortet ihre Frage: "Ih in Bo!" Trotz der eigenartigen Ausdrucksweise, versteht sie was er meint. Ich bin Joe. Seine Stimme klingt hell, genau wie die eines Kindes.
"Fi eist tu?" Wie heißt du . Sie überlegt kurz ob sie antworten soll, und macht es dann: "Ich heiße Kathleen. Meine Freunde nennen mich aber Kathy." Sie ist überrascht, weil sie nicht nur ihren Namen, sondern auch noch ihren Spitznamen dem Fremden mitgeteilt hat, als ob es irgendeine Bedeutung für ihn hat. Das Lächeln der Mannes verschwindet von seinem Gesicht. Wieder entsteht ein scheinbar unendlich langer Moment des Schweigens.
Plötzlich streckt der kahlköpfige Mann seine Hand aus. Kathy geht zwei Schritte vor und ergreift sie, diesmal ohne groß darüber nachzudenken. Der Mann packt fest zu. Entsetzt muss sie feststellen welche Kraft er hat.
"Lass mich los!", keucht sie. Aber er lässt sie nicht los, ganz im Gegenteil, er umklammert sie richtig, sodass Kathy befürchtet, er wird ihre Finger brechen. Doch der Mann hat Anderes mit ihr vor. Schlimmeres. Er reißt sie mit aller Kraft herunter, so das sie direkt auf ihm landet. Er hält sie mit einer Hand fest und zerreißt mit der anderen ihr Oberteil. Kathy schreit und versucht sich aus dem Griff ihres Peinigers zu befreien, aber es gelingt ihr nicht. Sie gibt ihre Befreiungsversuche auf und konzentriert ihre ganze Kraft aufs Schreien. Sie brüllt sich fast die Seele aus dem Leib, als der Mann es geschafft hat, ihre Brüste zu entblößen und sich jetzt an ihrer Hose zu schaffen macht. Er lächelt immer noch, aber es sieht jetzt alles andere als freundlich und ehrlich aus. Ich werde vergewaltigt, denkt sie. Ihr Kopf ist wie gelähmt. Unter ihr stöhnt der Fremde. Vor Ekel kotzt sie beinahe. Sie spürt heißen Speichel an ihren Brüsten. Der Mann öffnet den Reißverschluss ihrer Hose. Ein lautes Rrrrr ertönt. Dann reißt er ihr die Hose runter. Der Schnee schmilzt unter ihrer Haut. Sie friert fürchterlich, nimmt es aber nicht richtig war. Zu schrecklich ist das, was hier mit ihr passiert. In diesem Moment wünscht sie sich, sie wäre tot. Lieber tot, als diese Demütigung und Qual miterleben zu müssen. Sie versucht noch ein letztes Mal zu schreien, aber der Schmerz schnürt ihr die Kehle zu. Sie gibt es auf und ergibt sich ihrem Peiniger. Plötzlich spürt sie Wärme zwischen ihren Schenkeln. Er dringt in sie ein. Heiße Tränen fließen an ihren kalten Wangen herunter.
4
Kathy hörte den Pfarrer schlucken. "Es tut mir Leid, was mit ihnen passiert ist", sagte er und das Absurde dabei war, sie glaubte ihm dies sogar.
"Das ist nicht der einzige Grund warum ich hier bin. Die Vergewaltigung habe ich verkraftet. Meine Mutter hat immer gesagt, dass ich ein starkes Mädchen bin."
"Das sind sie ohne Frage, wenn sie eine solch schreckliche Tat verarbeitet haben."
"Nein, das sehe ich anders, Pater. Ich habe es verkraftet, weil ich es verkraften musste, um nicht zu sterben. Und ich glaube, dass es allen Frauen so geht, die so etwas miterleben mussten." Ihre Stimme wurde sanfter mit jedem Wort, das sie sprach. Sie holte aus ihrer Tasche ein Taschentuch und wischte sich damit über ihre tränenden Augen.
"Ist alles in Ordnung mit ihnen?", fragte der Pfarrer.
"Nein, nichts ist in Ordnung. Verstehen sie? Gar nichts!" Sie schrie fast. Nachdem sie kurz nach Luft geschnappt hatte, fuhr sie fort: "Der eigentliche Grund weswegen ich hier bin, ist weil ich getötet habe. Ich habe ein wehrloses Leben ausgelöscht, Pater."
"Erzählen sie es mir ruhig. Dafür bin ich ja schließlich da." Ja, dafür bist du ja schließlich da, dachte Kathy verbittert.
"Ich bin Schwanger geworden", sagte sie. "Von meinem Vergewaltiger. Ich hab mich eine Woche später vom Arzt untersuchen lassen. Ich hatte Angst, dass ich mich mit Aids infiziert haben könnte. Dabei kam es heraus. Ich überlegte, was ich jetzt machen sollte, ob ich es Cliff, meinem damaligen Freund, sagen sollte. Ich tat es nicht. Ich erzählte bis zum heutigen Tag niemanden davon und ließ das Kind heimlich abtreiben." So, jetzt ist es raus. "Können sie verstehen, wie es mir all die Jahre über erging? Können sie sich vorstellen, mit einem Geheimnis zu leben, das einen innerlich auffrisst, weil man es jemanden sagen will, es aber aus Scham doch nicht tut, haben sie eine Ahnung davon, wie es ist, einen Mord zu begehen, auch wenn er vom Gesetz legal ist? Können sie das?"
"Besser als sie glauben", sagte der Pfarrer. "Oft kommen Frauen mit genau diesem Problem zu mir. Manche von ihnen Christen, aber die meisten glauben, genau wie sie, nicht an Gott, sondern wollen einfach nur mit jemanden reden, weil es sie belastet. Besonders oft kommen Teenager die gerade Mal 15 oder 16 Jahre alt sind."
"Und was sagen sie diesen Frauen?" Es hörte sich mehr wie ein Flehen, als eine Frage an.
"Ich rate ihnen, zu einem Psychologen zu gehen. Er ist ein Fachmann, im Gegensatz zu mir. Ich bitte nur Gott um Vergebung. Anders kann ich ihnen nicht helfen."
"Glauben sie nicht auch, ich hätte nicht selbst daran gedacht, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen? Das habe ich, glauben sie mir Pater. Aber ich habe Angst davor, mich einem Menschen zu offenbaren, den ich nicht einmal kenne." Kathys Augen brannten von den Tränen und ihre Stimme hörte sich kratzig an.
"Aber sie offenbaren sich mir doch auch?"
"Nein, ich offenbare mich ihnen nicht. Ich erzähle ihnen nur einen kleinen Ausschnitt aus meinem Leben, auch wenn es ein bedeutender ist. Anders als bei einem Psychologen muss ich hier nicht meine ganze Vergangenheit offen legen."
"Ist sie denn so schlimm?", fragte der Pfarrer.
"Schlimm ist kein Ausdruck dafür." Sie schluckte. Die Panik nahm immer mehr Besitz von ihr.
"Versuchen sie mich zu verstehn," begann der Pfarrer. Doch Kathy unterbrach ihn: "Ich will sie nicht verstehn! Ich musste mein ganzes scheiß Leben jeden verstehn! Ich will verstanden werden! Ich weiß so wie so nicht, warum ich überhaupt her gekommen bin." Tief schluchzend stand sie auf und öffnete die Tür des Beichtstuhls. Mit vor der Brust verschränkten Armen rannte sie durch die Kirche, vorbei an zwei alten Frauen, die ihr neugierig hinterher schauten, ins Freie. Die klare Luft die sie einatmete tat ihr ausgesprochen gut.