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Von der Ergebung des Ergebens und der Macht des Machens

sim

Seniors
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13.04.2003
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Von der Ergebung des Ergebens und der Macht des Machens

Angefangen hat alles mit der Addition. Das kleine "ergibt" freute sich schon auf seinen Einsatz, während die Verkäuferin die Preise für die Waren auf dem Tresen addierte. Gleich würde es zum Zuge kommen, würde der hübschen jungen Frau in den Mund schlüpfen dürfen um in einem eleganten Satz wieder hinausgeschleudert zu werden. Das kleine "ergibt" trat schon ungeduldig auf seinen Zehen, als es sah, wie die Verkäuferin einen Strich unter die Rechnung machte, Luft holte und dem Kunden freundlich lächelnd bekannt gab: "Das macht 20 Euro 45"
Schmollend verzog sich das kleine "ergibt" wieder in die Ecke. Es wäre doch an der Reihe gewesen. Wieviel Macht hatte Bruder "macht", dass er immer wieder vorgezogen wurde, auch wenn er den Satz gar nicht bewältigen konnte?

Nun mag ich in dieser Hinsicht etwas pedantisch sein, aber mich stört es zusehends, dass Wörter einfach nicht mehr wahrgenommen und so ungerecht behandelt werden.
Sprache entwickelt sich, mag man mir entgegenhalten. Irgendwann werden Formulierungen wie "Sinn" oder "Unterschied" machen triumphal im Duden Einzug halten und richtig sein.
Und trotzdem würde das bedeuten, dass Dinge dann fähig wären, einen Unterschied oder einen Sinn aus sich selbst heraus herzustellen. So oft die Formulierung auch benutzt wird, sie drückt nie aus, was die Autoren meinen. Aber die Autoren bemerken das noch nicht einmal. Hartnäckig verweisen sie, wenn man es ihnen als Fehler ankreidet darauf, dass diese Formulierungen doch schon längst im allgemeinen Sprachgebrauch einzug gehalten haben. Deshalb würden sie sie auch benutzen und sogar den richtigen Formulierungen, die dem kleinen "ergibt" gerecht werden würden, vorziehen.
Ist es nicht aber anders herum? Gehen solche Redewendungen nicht deshalb so sehr in den Sprachgebrauch über, weil wir sie den Menschen auch immer wieder falsch vorschreiben?
Ich will ja nichts dagegen sagen, sie in wörtlicher Rede zu benutzen oder bei einer Ich-Erzählung damit den Prot zu charakterisieren. Oft ist aber beides nicht der Fall. Es wird schlicht falsch benutzt.

Bin ich da zu (sprach)empfindlich?

 

Nein, bist du ganz und gar nicht. Es ist leider tatsächlich so, dass viele schöne Wörter "unter den Tisch fallen". Ich bemühe mich selbst, auch im mündlichen Gebrauch, Sprache in einer Weise zu benutzen, die angemessen ist. Ich stehe der aufkommenden und erobernden Jugendsprache sogar sehr kritisch gegenüber. Zu viele Anglizismen, zu viele Kanten. Es gibt leider nur noch wenige Leser, die sich nicht nur an einer Geschichte oder einem Satz erfreuen, sondern auch einmal an einem einzelnen Wort. :crying:

 

"macht" hat die Macht, weil es nur eine Silbe braucht um vollständig ausgesprochen zu werden. "ergibt" zeichnet sich dagegen durch zwei Silben aus.
Gerade an der Kasse eines Supermarktes wird einem nur selten der Sinn nach sprachlichen Kunstfertigkeiten stehen. Daher drückt sich dort jeder so einfach und kurz wie möglich aus (auch von der Wortbildung her).

Nun mag ich in dieser Hinsicht etwas pedantisch sein, aber mich stört es zusehends, dass Wörter einfach nicht mehr wahrgenommen und so ungerecht behandelt werden.
Dafür kommen ständig neue hinzu...

Ist es nicht aber anders herum? Gehen solche Redewendungen nicht deshalb so sehr in den Sprachgebrauch über, weil wir sie den Menschen auch immer wieder falsch vorschreiben?
Wer war zuerst da: Die Henne oder das Ei?

 

Mit der Henne und dem Ei hat das meiner Meinung nach nichts zu tun, außerdem hat mein Sohn das Rätsel längst gelöst, indem er auf die Frage zur Antwort gab, Eier gab es schon bei Dinosauriern, also war natürlich das Ei zuerst da. :p

Genauso, wie man auch weiß, daß "Sinn machen" durch die Übersetzungen aus dem Englischen kommt, und daher "Sinn haben/ergeben/usw." zuerst da (bei uns) war, nämlich Teil unserer deutschen Sprache ist.

Daß an der Supermarktkassa denglisch gesprochen wird, kommt eben daher, weil es in der Literatur und im Fernsehen verwendet wird.
Letztendlich kann man die Schuld wohl schlechten Übersetzungen geben. Und ich finde schon, daß zumindest deutschsprachige Autoren ihre Sprache ein wenig pflegen und auf solche Sinnentstellungen verzichten könnten. Ganz einfach bewußter schreiben. Einem guten Koch ist auch die Qualität seiner Zutaten nicht egal, sonst wäre er kein guter Koch.

 

Sprache hat hier mindestens zwei Funktionen: Einmal die Übermittlung einer Information und einmal die genaue Spezifikation derselben. (Ich lasse jetzt mal alles andere außen vor.)

In einer Alltagssituation wird meist eine Formulierung gewählt, die zwar unmissverständlich ist, aber dennoch den Inhalt transportiert. Die Kassiererin weiß, dass ihr Satz selbst ohne Verb aus der Situation heraus verständlich wäre, deshalb wählt sie das leicht verfügbare "macht". Leicht verfügbar ist es nicht nur deshalb, weil es kurz ist, sondern auch, weil es ein Universalwort ist, das ähnlich wie "sein", "Ding" oder "Teil" in vielen Kontexten benutzt werden kann. Im Alltag solche Universalworte zu verwenden bedeutet für den Sprecher weniger Anstrengung.

Als Schriftsteller bin ich meist in der umgekehrten Situation: Ich weiß sehr wenig über meinen Leser, will also Unklarheiten vermeiden (wenn ich sie nicht bewusst als Stilmittel einsetze). In diesem Fall würde ich also ein spezielleres Wort wählen, wenn denn eines verfügbar ist.

Es gibt natürlich auch Leute, die das für elitäres Gequatsche halten, und für die Sprache bloßes Mittel zum Zweck ist. Na ja, deren Geschreibsel muss ich ja dann nicht lesen.

 

"

Bin ich da zu (sprach)empfindlich?
"Nicht wirklich!" ;)

Du hast Recht. Leider hat sich der Fehler inzwischen auch bei mir eingeschlichen. Warum Fehler und nicht "neuer" Sprachgebrauch? Weil ich denke, dass gerade das Deutsche eine Sprache der Nuancen ist. Es wird ja oftmals mit einem "dichten Wald" verglichen; nun, besonders in der leichtfertigen Übernahme von Anglizismen (gleich ob versteckt wie "Sinn machen" oder "Highlight", "Event" usw.) steckt dann wohl der Borkenkäfer...
Übrigens, ist "das macht..." in diesem Zusammenhang nicht auch gebräuchlicher, da schon älter?

 

das macht im Additionszusammenhang ist tatsächlich schon älter. Als Sinnspruch für das Ein mal eins wurde meinem Vater in der Schule schon beigebracht: Ist der Lehrer noch so fleißig, sechs mal sechs macht sechsunddreißig.
Ob sich den Deutschlehrern dabei die Zehennägel gekräuselt haben, darüber ist mir nichts bekannt.

Mir geht es dabei nicht einmal um die Anglifizierung der deutschen Sprache. Ich betätige mich nicht als Sprachnationalist. Eher geht es mir um den Klang und um die Erhaltung von Wörtern, die ihren Sinn haben. Eine Verkäuferin hinter dem Ladentisch würde ich auch nie verbessern, nicht einmal eine solche Formulierung in wörtlicher Rede würde ich ankreiden, aber ohne erkennbaren wörtlichen Zusammenhang finde ich solche Formulierungen in den meisten Fällen unklar.

 

Ich betätige mich nicht als Sprachnationalist. Eher geht es mir um den Klang und um die Erhaltung von Wörtern, die ihren Sinn haben.
Der Sprachnationalist ist im Zusammenhang eine blöde Aussage, weil auf Derartiges niemand eingegangen ist.
Man sehe den Zusammenhang: via Medien walzen ganz besonders Anglizismen ganze Wortfamilien platt:
Wie viele differenziertere Synonyme fallen dir z.B. für "Highlight" ein?

 

Das eine tun, doch das andere nicht lassen.
Ich freue mich, wenn mir für eine gewünschte Aussage das passende Wort einfällt. Manchmal fehlen mir die richtigen Worte, oder ich drücke mich zu umständlich aus, und dann "mache" ich einfach "Dinge", nur damit die Geschichte weiter geht.

Wenn ich Glück habe, gibt es einen konstruktiven Kommentar, und dafür bin ich dankbar, denn das Spiel mit der Sprache und das Abwägen anderer Vorschläge ist ein Bestandteil zur Verbessererung eines Textes.

Um bei unserem Beispiel zu bleiben:
"Das macht alles keinen Sinn" ist eine eher gleichgültige Aussage.
Da wurden doch aber sicher Fakten gesammelt, gegeneinander verglichen, zusammen addiert und weggekürzt und wie lautet nun das Resultat?
"Das ergibt einfach keinen Sinn".

Fazit: Auch in direkter Rede darf man über ein "gebräuchliches" Wort kurz nachdenken.
Doch die Verkäuferin sagt auch bei mir weiterhin:
"Das macht dann fünf Franken achtzig."

 

Paranova schrieb:
Der Sprachnationalist ist im Zusammenhang eine blöde Aussage, weil auf Derartiges niemand eingegangen ist.
Man sehe den Zusammenhang: via Medien walzen ganz besonders Anglizismen ganze Wortfamilien platt:
Wie viele differenziertere Synonyme fallen dir z.B. für "Highlight" ein?
Hi Paranova,

du hast den Sprachnationalisten sicher in den falschen Hals bekommen. Ich ziehe auch die deutschen Begriffe den anglikanischen vor. Mich stört ja sogar oft die Aussage, dass deutsche Schauplätze und Namen für Geschichten einfach uncool wären. Nur muss ich eben nicht unkühl schreiben. ;)
Anstelle von Highlight würde ich eher Glanzlicht schreiben.
Natürlich sind es oft Anglizismen, die ganze Wortfamilien plattwalzen. Und da sehe ich uns als Autoren auch in der Verantwortung.
Nur finde ich im Umkehrschluss nicht etwas automatisch besser formuliert, weil es deutsch ist. Ich denke, das trifft auf dich genau so zu. Und mehr wollte ich nicht aussagen. ;)

Lieben Gruß, sim

 

"Das macht alles keinen Sinn" ist eine eher gleichgültige Aussage.
Da wurden doch aber sicher Fakten gesammelt, gegeneinander verglichen, zusammen addiert und weggekürzt und wie lautet nun das Resultat?
"Das ergibt einfach keinen Sinn".

Also, meiner Sprachkenntnis zufolge sind beide Wendungen möglich, aber nur in ihren jeweiligen Sinnzusammenhängen.
Spreche ich von einem Gedankengang oder einer Schlussfolgerung, sage ich "Das ergibt keinen Sinn".
Geht es aber um eine Handlungsweise, so schreibe ich "Das macht keinen Sinn".

 

Auch das würde doch aber bedeuten, dass diese Handlungsweise fähig ist, aus sich selbst heraus einen Sinn herzustellen.

 

...
...
...
Öööh... Stimmt! Jetzt wo du's noch mal sagst, raff' ich auch, was du meinst.
Ich glaube, diese "Mini-Sprachsünde" noch nie begangen zu haben, aber es ist eben eine Verkürzung, die den Sprachgebrauch für das einfache Volk erleichtert. Bestimmt gibt es solche "Unsinnigkeiten" zuhauf in unserer Sprache, ohne dass wir es merken. Das bringt die Entwicklung über die Jahrhunderte wohl so mit sich.
Ich glaube, mir sind in meinem Leben öfter schon solche Beispiele aufgefallen, einfallen will mir momentan allerdings keines... :hmm:
Es läuft für den Autor eben immer auf die Frage hinaus, ob er sich streng an das Wörterbuch oder an den Sprachgebrauch des Publikums halten soll.
Meine Intuition tendiert übrigens eher zum Wörterbuch.

 

Hey sim, ich hab's! Wie wär's, wenn du das "Sinn machen" als metaphorische Wendung, als Personifikation betrachtest? Dann wäre es auch wieder korrekt, in gewisser Hinsicht.

 

nein Megabjörnie, es bleibt die Übernahme eines richtigen und sinnvollen Wortes durch ein falsches.

 

"Sinn machen" -> Sinn schaffen. In gewisser Weise macht eine Religion Sinn, aber kaum die Erklärung eines Lehrers zum Zitronensäurezyklus, da sie bei mir nur Verständnis schafft.

Ähnlich "Nicht wirklich". Heißt doch im Grunde genommen "unwirklich". Gutes Deutsch? Eigentlich nicht.

usw.

 

Ähnlich "Nicht wirklich". Heißt doch im Grunde genommen "unwirklich". Gutes Deutsch? Eigentlich nicht.

Eigentlich doch. Denn beide Ausdrücke haben völlig verschiedene Bedeutungen:
Ersteres heißt, dass eine zuerst angenommene faktische Wirklichkeit so nicht stimmt.
Letzteres deutet auf das Gefühl hin, eine Art falsche Realität wahrzunehmen, die so eigentlich nicht sein kann.

Dieses Beispiel zeigt, dass man durchaus bereit sein sollte, die Regeln der Sprache etwas auszudehnen, um neue Ausdrucksmöglichkeiten zu bekommen.

@sim:

nein Megabjörnie, es bleibt die Übernahme eines richtigen und sinnvollen Wortes durch ein falsches.

Das hast du jetzt so einfach in den Raum gestellt. Aber mit welcher Begründung?

 

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