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Vom Streitacker bis nach Leidenhausen
Da die Sitzbezüge hier so frisch sind wie blaue Blümchen, denke ich für einen Moment, es hätte sich sonstwas verändert. Aber nichts ist passiert. Der 152er schleicht auf der gleichen Strecke wie schon Jahrzehnte zuvor, vom Streitacker bis nach Leidenhausen und drin hocken die selben dunklen Gesichter – feindselig auf den ersten Blick, auf den zweiten nur matt.
Sie haben den Notfallhammer abgerissen, sie haben Rechtschreibfehler gemacht im bunten Gekritzel auf den Rückenlehnen, sie bellen einander an; es ist nicht mehr mein Zuhause und ich schaue aus dem Fenster.
Über die Siedlung legt sich bleiern der Himmel, von blauen Flecken durchzogen rückt er an die Hochhäuser und nimmt sich ihre Dächer zur Brust. Ernst pustet er seine Launen gegen die Wäscheleinen, dass die Tücher zappeln und flattern wie angekettete Geister.
Als es anfängt zu dämmern, steige ich aus und gehe zu Fuß. Laufe vorbei an zugemauerten Durchgängen, vorbei an Mädchen mit Kinderwägen, vorbei an schartigen Gestalten, die mich mit Augen anschauen gemein wie Spinnenbeinchen.
Der Asphalt ist Mist und Müll, die Schatten der Stockwerke nehmen mir die Lust, aber dann leuchten und flimmern die Platten aus allen Höhlen, also wird es gemütlich.
Und da ist auch das Haus meiner Eltern. Der alte Rosinsky in seinem Rollstuhl glotzt aus dem Fenster, ich sage ihm Hallo, fünf Jahre ist das her, doch er starrt nur wie blöde.
Ich habe immer noch den Schlüssel, aber ich klingele lieber. Mutti scharrt an der Tür, ich höre eine Kette rasseln. Dass sie jetzt abschließen würden, hätte ich nicht gedacht, ist es denn so finster auf den Straßen geworden?
Bange muss Mutti zumute sein, der Sohnemann lässt sich wieder blicken, aus dem großen Draußen ist er zu Besuch, hat nur kurz telefoniert, dann und dann ist´s soweit und macht daraus keine irre Sache.
Aber sag das einer Mutti mal, keine irre Sache und der Vati ist bestimmt auch schon fahrig gerieben, von dem Geduldhaben in den Nächten auf Wache, dass ja niemand die Tomaten klaut und von den lahmen Tagen zwischen Sofa und Lidl.
Wir umarmen uns, da habe ich kein Problem mit, nur Mutti ist zaghaft aufgelegt, duftet arg nach Zwiebeln und Sehnsucht und kriegt nicht ein Wörtchen gestottert.
Mensch, ist sie alt geworden in den paar Jährchen, ihre Züge schmelzen die Wangen hinunter, die Falten voller Kerben, wie ich sie lieber nicht sehen möchte. Anders schaut Mutti heute und der Rest ist anders, der Flur zum Beispiel scheint mir heute viel enger zu sein, wenn er auch ordentlich ist und nicht ohne Würde. Ein Bildchen haben sie aufgehängt, was Hübsches aus dem Baumarkt, ist ja immerhin ein van Gogh und die Blümchen darauf sind reizend.
„Hallo Mutti, ist doch schön irgendwie“, sage ich laut, denn ich hab´s nicht mit Zittern und da weint sie schon einsam, wie ich ihre Augen kenne.
Vati ist nun auch im Flur, hat seine Weile im Wohnzimmer abgewartet – Trubel ist schließlich Weibersache – und will jetzt seinem Burschen Hallo sagen. Ob er mir die Hand drücken will, bin ich gespannt, stramm wird er kommen oder flockig – da liegen schon seine Arme auf meinen Schultern.
Müder Mann, mein Gott, Scheiße. Der Bart kann sich aber noch sehen lassen, mit einem Schuss Schwarz und auch von der Form – ein properer Spaten. Haare hat Vati noch auf dem Kopf, dicht wie ein Besen, da muss ich mir für die Zukunft ja keine Sorgen machen.
„Junge, du bist es. Wie konnte das nur passieren“, flüstert er heiser, aber ich mag keine Vorwürfe, da muss Vati gleich stocken.
„Mama hat seit gestern gekocht“, will er das ausbügeln.
„Papa hat sich den Tag frei genommen“, fällt ihm Mutti ins Wort.
„War doch alles nicht nötig“, murmele ich und es war auch nicht nötig; lästig irgendwie dieses Aufhebens, dann überlegen sie ewig und ich bin in der Pflicht.
„Ich habe einen großen Salat vorbereitet und noch ein Salätchen mit Eiern und Käse und Mayo vom Feinsten“, Mutti zieht mich in die Küche hinein, hastig ist sie, will gar nicht warten und ich behalte die Schuhe lieber an, so ist es mir wohler.
„Und dann noch einen Auflauf mit Auberginen von den guten und Bortsch, genau wie Oma ihn kochte“, sprudelt sie besorgt, zählt ihre Liebe auf, hat plötzlich Angst vor dem Schweigen, will, dass ich mit den Lippen schmatze.
„Papa sagte ja“, plappert sie weiter, „Fleisch – mach dem Jungen doch mal Golubzy, aber deftig, mit Hack, Kohl und ordentlich saure Sahne, aber ich sage nur, das isst Serjözhenka doch nicht, er mag es lieber gesund und moralisch.“
Vati schaut verlegen, sei ja wohl eine feine Sache mit den Golubtzy, knackt er noch stur mit den Fingern, sonst bliebe doch einer ganz hungrig. Was Oma und Opa schon gut tat, das könne ja nicht schlecht sein.
Ich sehe ihn an, nur was soll ich da sagen, mit Vorvergangenheit fährt Vati jetzt auf, aber die kann er behalten. Die Augenbraue habe ich kurz nicht im Griff, bloß ist alles ja gut gemeint.
Aber die „Grutons fürs Salätchen“, erzählt Vati mir stolz, die hätte Mutti selbst zubereitet. So gekaufte seien wohl reiner Mist. Ach, die Croutons, süß ist das schon, denke ich mir, hab mir auch mal welche gemacht. Eine nette Sache haben wir hier und es schmeckt wirklich feiner.
„Und erzähl doch mal Junge“, lehnt Vati über den Tisch mit seinen zotteligen Pranken, wie ist was gewesen und überhaupt.
Ja, wie ist was gewesen, wo soll ich da anfangen. Immer müssen sie fragen und wissen, mich anschauen mit großen Augen, vielleicht können sie nicht sehen.
Aus dem Topf in den Teller dampfen Muttis warme Mühen, milde wird mir im Bauch, also will ich nicht ätzen.
Mutti lächelt jetzt ängstlich, dass die Mundwinkel zucken, wartet geduldig, wie es dem Söhnchen denn geht. Sie legt mir die Hand auf den Ellbogen, streichelt ein bisschen, doch, wir haben uns lieb.
Nun, wie geht es dem Söhnchen, sie wollen es erfahren, blicken mich an, als brächte ich ihnen das Feuer.
Und ich erzähle gemächlich, wie es bei mir brodelt und sprüht.
Anders sei die Welt heute geworden, überall sei ihr Serjözhenka zuhause, ein Kosmopolit sozusagen, ein Lebemann, wie es sich gehört. Erzählen könne er ihnen, dass die Tomaten im Süden nach glühender Erde schmecken und im Osten nach körnigem Schnee.
Seine eigene Sprache hat er ein wenig vergessen, aber Französisch und Spanisch, das sei ja wohl klar.
In der Hauptstadt habe er studiert, kluge Sachen, versteht sich, am eifrigsten war er im Unterricht über sich selbst. Auch mit den hübschen Mädchen sei es dort bunt gewesen, verrückt und so wunderlich, dass es nun nicht mehr fetzt.
Tja, so ist das gewesen, lecker schmeckt es mir Mutti, gut hast du´s gemacht und wie läuft es bei euch?
Und hier schauen die beiden in alle Winkel und Fenster, wollen kein Salz auf Zucker streuen, denn leiser ist weiser.
Über alles können sie miteinander schweigen, aber ich will jetzt auch was hören, nicht zu viel, bitte schön, aber so grob, hätt` ich Lust.
„Ja, wie soll´s schon gewesen sein“, hüstelt mein Vater verlegen, die Nachtschichten zögen sich lang, aber der Fernseher sei neu. Und beim Friseur sei die Mutti gestern gewesen, hätte jetzt einen Schnitt wie Paris und die Tönung glänze märzjung.
Die Tante sei letzten Frühling gestorben, aber Aeroflot koste teuer, und mit den Zeiten ginge es schlecht. Grüßen hätte sie mich lassen, und küssen, bitte feste, da ist Mutti bei mir und bringt mir den Schmatz.
Flau wird mir im Magen von dem lahmen Leben, von dem Bortsch, von der Tante und auch von Paris.
„Aber wir wollen jetzt nicht von dem Schlechten“, scharf sieht die Mutti, das Söhnchen hat keine Lust.
Also brausen sie von damals, von einstmals, von vordem, als ich noch ein Kind war, ohne Welt und ohne Mädchen und wo sie Taten taten und nicht Bortsch mit Croutons. Ich höre nicht auf die Worte, ich kenne diese Geschichten, der Klang ist aber toll, da rührt sich auch was. Viele Jahre dösten die Töne unter dem Laub begraben, jetzt fiepen sie wieder ganz mutig.
Vati macht den Hausmeister und Mutti den Besen. Eifrig putzen sie vor dem Söhnchen das letzte Familiensilber. Das was wir getanzt haben, kann uns niemand nehmen, sagen sie sich und sehen mich an.
Von Zuhause erzählen sie, von Parks und Paraden, von Defizit und von Glasnost, da haben sie gelebt. Und heute, na wenn schon, heute lebe ja der Sergey, ein Mann sei er geworden und für Verantwortung reif.
Da wird das Tuch rot, was planen bloß die Alten? Verantwortung? Ich? Na für mich allerhand. Ansonsten, ich weiß nicht, das muss man mal sehen, im Moment ist es schwierig, ist nicht die schicklichste Zeit.
Ruhig wird es im Raum, ich beiße mir auf die Lippen, da sind sie, die Ketten, ich hab´s ja gewusst. Während Vati gerade schaut, zupft Mutti fiebrig die Schürze, die Situation ist heikel, jetzt muss sie was tun.
Und sie tut das, was Muttis tun, wenn sie etwas tun müssen, sie sagt mir: „Mein Junge, jetzt nimm doch Salat.“
Sie will ihn mir reichen, doch irgendwas klappt nicht, sie greift nicht gescheit und auf dem Boden ist Matsch.
Da sind die Croutons, vor mir liegt das ganze „Salätchen“, die Tomaten, die Gurken und sonst tolles Zeug. Mutti ist traurig und Vati ist traurig, Mutti greift schnell zum Kehrblech, so was passiert doch schon mal.
Wir essen weiter zu Abend, ohne viel zu reden, während die Küche uns warm und gewöhnlich wiegt. Vati atmet ruhig, Mutti atmet wenig, der Auflauf hat seine Stärken und ich hab meine Schwächen.
Nach dem Süßen und Kakis räuspert sich Vati und brummt leicht verlegen: „Wir haben einen Film von Onkel Pavel bekommen, hast du nicht Lust?“
Mutti schielt neugierig, sie hätte nichts dagegen und ich muss ehrlich sprechen, ich wäre auch dabei.
Der Film ist ganz witzig, über unglückliche Glücksritter und arme Millionäre, über Schicksal, über Liebe und was es sonst noch so gibt. Mutti sitzt neben mir und freut sich, dafür hat Vati die Fernbedienung und streckt sich. Ich ziehe die Schuhe aus und rülpse einen Ton.
Zwei Stunden sind vergangen, die Guten haben am Ende gewonnen, die Musik plätschert zuversichtlich und draußen ist schon Nacht.
Liebe Mutti, lieber Vati, ich flieg dann mal weiter, es saß sich lauschig bei euch und der Bortsch war trés delikat.
Wir drücken uns leise, Mutti gibt mir ein Küsschen. Sie stupst mich feucht unters Auge, wie ihre zwanzigjährige Katze, atmet noch einmal von mir und ich atme zurück.
Vati drückt mir die Schulter und schaut unverzagt: „Das mit der Verantwortung hat ja noch Zeit.“
Und unvermittelt, aus dem Inneren, rückt ihm heraus: „Wir haben mehr Filme von Pavel, komm doch gerne vorbei.“
Ich überfliege die Treppe und durchmesse die Straße, während sich der gleichgültige Wind gegen die Mülltonnen lehnt. Über mir frösteln einsam die Sterne, sie haben heute frei und rein gar nichts zu tun.
Den Hügel hinunter gleitet der 152er von Leidenhausen zum Streitacker. Es ist der letzte heute Nacht und der Nothammer ist futsch. Ich schmeiße mich nach hinten auf die buntgekritzelten Sitze, die Siedlung verdunkelt sich langsam und ich atme wieder allein.