Was ist neu

Vom Streitacker bis nach Leidenhausen

Mitglied
Beitritt
23.08.2013
Beiträge
176
Zuletzt bearbeitet:

Vom Streitacker bis nach Leidenhausen

Da die Sitzbezüge hier so frisch sind wie blaue Blümchen, denke ich für einen Moment, es hätte sich sonstwas verändert. Aber nichts ist passiert. Der 152er schleicht auf der gleichen Strecke wie schon Jahrzehnte zuvor, vom Streitacker bis nach Leidenhausen und drin hocken die selben dunklen Gesichter – feindselig auf den ersten Blick, auf den zweiten nur matt.
Sie haben den Notfallhammer abgerissen, sie haben Rechtschreibfehler gemacht im bunten Gekritzel auf den Rückenlehnen, sie bellen einander an; es ist nicht mehr mein Zuhause und ich schaue aus dem Fenster.
Über die Siedlung legt sich bleiern der Himmel, von blauen Flecken durchzogen rückt er an die Hochhäuser und nimmt sich ihre Dächer zur Brust. Ernst pustet er seine Launen gegen die Wäscheleinen, dass die Tücher zappeln und flattern wie angekettete Geister.
Als es anfängt zu dämmern, steige ich aus und gehe zu Fuß. Laufe vorbei an zugemauerten Durchgängen, vorbei an Mädchen mit Kinderwägen, vorbei an schartigen Gestalten, die mich mit Augen anschauen gemein wie Spinnenbeinchen.
Der Asphalt ist Mist und Müll, die Schatten der Stockwerke nehmen mir die Lust, aber dann leuchten und flimmern die Platten aus allen Höhlen, also wird es gemütlich.
Und da ist auch das Haus meiner Eltern. Der alte Rosinsky in seinem Rollstuhl glotzt aus dem Fenster, ich sage ihm Hallo, fünf Jahre ist das her, doch er starrt nur wie blöde.
Ich habe immer noch den Schlüssel, aber ich klingele lieber. Mutti scharrt an der Tür, ich höre eine Kette rasseln. Dass sie jetzt abschließen würden, hätte ich nicht gedacht, ist es denn so finster auf den Straßen geworden?
Bange muss Mutti zumute sein, der Sohnemann lässt sich wieder blicken, aus dem großen Draußen ist er zu Besuch, hat nur kurz telefoniert, dann und dann ist´s soweit und macht daraus keine irre Sache.
Aber sag das einer Mutti mal, keine irre Sache und der Vati ist bestimmt auch schon fahrig gerieben, von dem Geduldhaben in den Nächten auf Wache, dass ja niemand die Tomaten klaut und von den lahmen Tagen zwischen Sofa und Lidl.
Wir umarmen uns, da habe ich kein Problem mit, nur Mutti ist zaghaft aufgelegt, duftet arg nach Zwiebeln und Sehnsucht und kriegt nicht ein Wörtchen gestottert.
Mensch, ist sie alt geworden in den paar Jährchen, ihre Züge schmelzen die Wangen hinunter, die Falten voller Kerben, wie ich sie lieber nicht sehen möchte. Anders schaut Mutti heute und der Rest ist anders, der Flur zum Beispiel scheint mir heute viel enger zu sein, wenn er auch ordentlich ist und nicht ohne Würde. Ein Bildchen haben sie aufgehängt, was Hübsches aus dem Baumarkt, ist ja immerhin ein van Gogh und die Blümchen darauf sind reizend.
„Hallo Mutti, ist doch schön irgendwie“, sage ich laut, denn ich hab´s nicht mit Zittern und da weint sie schon einsam, wie ich ihre Augen kenne.
Vati ist nun auch im Flur, hat seine Weile im Wohnzimmer abgewartet – Trubel ist schließlich Weibersache – und will jetzt seinem Burschen Hallo sagen. Ob er mir die Hand drücken will, bin ich gespannt, stramm wird er kommen oder flockig – da liegen schon seine Arme auf meinen Schultern.
Müder Mann, mein Gott, Scheiße. Der Bart kann sich aber noch sehen lassen, mit einem Schuss Schwarz und auch von der Form – ein properer Spaten. Haare hat Vati noch auf dem Kopf, dicht wie ein Besen, da muss ich mir für die Zukunft ja keine Sorgen machen.
„Junge, du bist es. Wie konnte das nur passieren“, flüstert er heiser, aber ich mag keine Vorwürfe, da muss Vati gleich stocken.
„Mama hat seit gestern gekocht“, will er das ausbügeln.
„Papa hat sich den Tag frei genommen“, fällt ihm Mutti ins Wort.
„War doch alles nicht nötig“, murmele ich und es war auch nicht nötig; lästig irgendwie dieses Aufhebens, dann überlegen sie ewig und ich bin in der Pflicht.
„Ich habe einen großen Salat vorbereitet und noch ein Salätchen mit Eiern und Käse und Mayo vom Feinsten“, Mutti zieht mich in die Küche hinein, hastig ist sie, will gar nicht warten und ich behalte die Schuhe lieber an, so ist es mir wohler.
„Und dann noch einen Auflauf mit Auberginen von den guten und Bortsch, genau wie Oma ihn kochte“, sprudelt sie besorgt, zählt ihre Liebe auf, hat plötzlich Angst vor dem Schweigen, will, dass ich mit den Lippen schmatze.
„Papa sagte ja“, plappert sie weiter, „Fleisch – mach dem Jungen doch mal Golubzy, aber deftig, mit Hack, Kohl und ordentlich saure Sahne, aber ich sage nur, das isst Serjözhenka doch nicht, er mag es lieber gesund und moralisch.“
Vati schaut verlegen, sei ja wohl eine feine Sache mit den Golubtzy, knackt er noch stur mit den Fingern, sonst bliebe doch einer ganz hungrig. Was Oma und Opa schon gut tat, das könne ja nicht schlecht sein.
Ich sehe ihn an, nur was soll ich da sagen, mit Vorvergangenheit fährt Vati jetzt auf, aber die kann er behalten. Die Augenbraue habe ich kurz nicht im Griff, bloß ist alles ja gut gemeint.
Aber die „Grutons fürs Salätchen“, erzählt Vati mir stolz, die hätte Mutti selbst zubereitet. So gekaufte seien wohl reiner Mist. Ach, die Croutons, süß ist das schon, denke ich mir, hab mir auch mal welche gemacht. Eine nette Sache haben wir hier und es schmeckt wirklich feiner.
„Und erzähl doch mal Junge“, lehnt Vati über den Tisch mit seinen zotteligen Pranken, wie ist was gewesen und überhaupt.
Ja, wie ist was gewesen, wo soll ich da anfangen. Immer müssen sie fragen und wissen, mich anschauen mit großen Augen, vielleicht können sie nicht sehen.
Aus dem Topf in den Teller dampfen Muttis warme Mühen, milde wird mir im Bauch, also will ich nicht ätzen.
Mutti lächelt jetzt ängstlich, dass die Mundwinkel zucken, wartet geduldig, wie es dem Söhnchen denn geht. Sie legt mir die Hand auf den Ellbogen, streichelt ein bisschen, doch, wir haben uns lieb.
Nun, wie geht es dem Söhnchen, sie wollen es erfahren, blicken mich an, als brächte ich ihnen das Feuer.
Und ich erzähle gemächlich, wie es bei mir brodelt und sprüht.
Anders sei die Welt heute geworden, überall sei ihr Serjözhenka zuhause, ein Kosmopolit sozusagen, ein Lebemann, wie es sich gehört. Erzählen könne er ihnen, dass die Tomaten im Süden nach glühender Erde schmecken und im Osten nach körnigem Schnee.
Seine eigene Sprache hat er ein wenig vergessen, aber Französisch und Spanisch, das sei ja wohl klar.
In der Hauptstadt habe er studiert, kluge Sachen, versteht sich, am eifrigsten war er im Unterricht über sich selbst. Auch mit den hübschen Mädchen sei es dort bunt gewesen, verrückt und so wunderlich, dass es nun nicht mehr fetzt.
Tja, so ist das gewesen, lecker schmeckt es mir Mutti, gut hast du´s gemacht und wie läuft es bei euch?
Und hier schauen die beiden in alle Winkel und Fenster, wollen kein Salz auf Zucker streuen, denn leiser ist weiser.
Über alles können sie miteinander schweigen, aber ich will jetzt auch was hören, nicht zu viel, bitte schön, aber so grob, hätt` ich Lust.
„Ja, wie soll´s schon gewesen sein“, hüstelt mein Vater verlegen, die Nachtschichten zögen sich lang, aber der Fernseher sei neu. Und beim Friseur sei die Mutti gestern gewesen, hätte jetzt einen Schnitt wie Paris und die Tönung glänze märzjung.
Die Tante sei letzten Frühling gestorben, aber Aeroflot koste teuer, und mit den Zeiten ginge es schlecht. Grüßen hätte sie mich lassen, und küssen, bitte feste, da ist Mutti bei mir und bringt mir den Schmatz.
Flau wird mir im Magen von dem lahmen Leben, von dem Bortsch, von der Tante und auch von Paris.
„Aber wir wollen jetzt nicht von dem Schlechten“, scharf sieht die Mutti, das Söhnchen hat keine Lust.
Also brausen sie von damals, von einstmals, von vordem, als ich noch ein Kind war, ohne Welt und ohne Mädchen und wo sie Taten taten und nicht Bortsch mit Croutons. Ich höre nicht auf die Worte, ich kenne diese Geschichten, der Klang ist aber toll, da rührt sich auch was. Viele Jahre dösten die Töne unter dem Laub begraben, jetzt fiepen sie wieder ganz mutig.
Vati macht den Hausmeister und Mutti den Besen. Eifrig putzen sie vor dem Söhnchen das letzte Familiensilber. Das was wir getanzt haben, kann uns niemand nehmen, sagen sie sich und sehen mich an.
Von Zuhause erzählen sie, von Parks und Paraden, von Defizit und von Glasnost, da haben sie gelebt. Und heute, na wenn schon, heute lebe ja der Sergey, ein Mann sei er geworden und für Verantwortung reif.
Da wird das Tuch rot, was planen bloß die Alten? Verantwortung? Ich? Na für mich allerhand. Ansonsten, ich weiß nicht, das muss man mal sehen, im Moment ist es schwierig, ist nicht die schicklichste Zeit.
Ruhig wird es im Raum, ich beiße mir auf die Lippen, da sind sie, die Ketten, ich hab´s ja gewusst. Während Vati gerade schaut, zupft Mutti fiebrig die Schürze, die Situation ist heikel, jetzt muss sie was tun.
Und sie tut das, was Muttis tun, wenn sie etwas tun müssen, sie sagt mir: „Mein Junge, jetzt nimm doch Salat.“
Sie will ihn mir reichen, doch irgendwas klappt nicht, sie greift nicht gescheit und auf dem Boden ist Matsch.
Da sind die Croutons, vor mir liegt das ganze „Salätchen“, die Tomaten, die Gurken und sonst tolles Zeug. Mutti ist traurig und Vati ist traurig, Mutti greift schnell zum Kehrblech, so was passiert doch schon mal.
Wir essen weiter zu Abend, ohne viel zu reden, während die Küche uns warm und gewöhnlich wiegt. Vati atmet ruhig, Mutti atmet wenig, der Auflauf hat seine Stärken und ich hab meine Schwächen.
Nach dem Süßen und Kakis räuspert sich Vati und brummt leicht verlegen: „Wir haben einen Film von Onkel Pavel bekommen, hast du nicht Lust?“
Mutti schielt neugierig, sie hätte nichts dagegen und ich muss ehrlich sprechen, ich wäre auch dabei.
Der Film ist ganz witzig, über unglückliche Glücksritter und arme Millionäre, über Schicksal, über Liebe und was es sonst noch so gibt. Mutti sitzt neben mir und freut sich, dafür hat Vati die Fernbedienung und streckt sich. Ich ziehe die Schuhe aus und rülpse einen Ton.
Zwei Stunden sind vergangen, die Guten haben am Ende gewonnen, die Musik plätschert zuversichtlich und draußen ist schon Nacht.
Liebe Mutti, lieber Vati, ich flieg dann mal weiter, es saß sich lauschig bei euch und der Bortsch war trés delikat.
Wir drücken uns leise, Mutti gibt mir ein Küsschen. Sie stupst mich feucht unters Auge, wie ihre zwanzigjährige Katze, atmet noch einmal von mir und ich atme zurück.
Vati drückt mir die Schulter und schaut unverzagt: „Das mit der Verantwortung hat ja noch Zeit.“
Und unvermittelt, aus dem Inneren, rückt ihm heraus: „Wir haben mehr Filme von Pavel, komm doch gerne vorbei.“
Ich überfliege die Treppe und durchmesse die Straße, während sich der gleichgültige Wind gegen die Mülltonnen lehnt. Über mir frösteln einsam die Sterne, sie haben heute frei und rein gar nichts zu tun.
Den Hügel hinunter gleitet der 152er von Leidenhausen zum Streitacker. Es ist der letzte heute Nacht und der Nothammer ist futsch. Ich schmeiße mich nach hinten auf die buntgekritzelten Sitze, die Siedlung verdunkelt sich langsam und ich atme wieder allein.

 

Hallo randunband,

die liegt einem schwer im Magen, die Geschichte, und das meine ich positiv. Du hast da dein eigenes Ding am laufen, mit deiner Sprache, sehr extrovertiert, sehr fordernd, sehr übersprudelnd, aber dazwischen sind so ganze leise Töne, so kleine Passagen, wo ich wirklich schlucken musste. Da ist eine Menge an Traurigkeit und Wahrheit drin, also die Wahrheit ist traurig, und irgendwie sind diese Eltern vielleicht auch Exempel. So kann es sein, und so ist es wahrscheinlich auch sehr oft. Da ist etwas Bedrückendes, aber dieses Gefühl, das bietest du dem Leser an, das ist ehrlich, und deswegen nimmt einen dieser Text auch so mit. Diesen Blick, den der Protagonist da entwickelt hat, der ist nur auf den ersten Blick jovial, das blättert schnell, dieses Überlegene, denn dann steht er mittendrin und begreift, das ist eine Entwicklung, der er sich versucht zu entziehen, mit allem was er hat, aber er wird auch so enden, vielleicht.

Also brausen sie von damals, von einstmals, von vordem, als ich noch ein Kind war, ohne Welt und ohne Mädchen und wo sie Taten taten und nicht Bortsch mit Croutons

wo sie Taten taten und nicht Bortsch mit Croutons - also echt, ein Hammersatz! Chapeau!

Ja, mehr kann ich dazu nicht sagen. Deine Sprache jetzt, ich könnte da vielleicht keinen ganzen Roman von lesen, das wäre mir zu viel, echt, aber auf die Länge einer Kurzgeschichte hat es einen eigenen Stil, eine eigenen Ryhthmus, wirkt auch nicht manieriert, sondern echt, da funktioniert das, da blitzt es überall. Ansonsten, top, hat mir sehr gut gefallen.

Gruss, Jimmy

 

Krasse Sache, randundband. Das ist so verdichtet, fast schon ein Gedicht. Jeden Satz möchte man lange anschauen und darüber nachdenken und über diese Bilder und die Wortwahl und Satzstruktur.
Allein über die Sprache wird eine Atmosphäre geschaffen, die zwar bedrückend ist, aber auch hoffnungsvoll.

An einigen Stellen hatte ich die Befürchtung, dass zu dick aufgetragen wurde, aber das ist der Reiz dieser Geschichte, die traut sich was, die ist konsequent und es macht unheimlich viel Spaß das alles zu lesen, weil sie tragisch komisch ist.

Der Text ist für mich ein grandioses Beispiel dafür, dass aus jedem vermeintlich "ausgelutschten" Thema etwas Neues rauszuholen ist.

Ich habe die Geschichte sehr gerne gelesen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Nun, wie geht es dem Söhnchen, sie wollen es erfahren, blicken mich an, als brächte ich ihnen das Feuer.
Ein wunderbarer Satz, randundband, und beinahe erscheint er mir wie eine Art Destillat des Textes.

So voller Seele und Gefühl ist deine Geschichte, da steckt schon wirklich viel drin, was mich zum Nachdenken bringen konnte. Nachdenken über so Kram wie Nachhausekommen, Melancholie, Heimweh, in einem fremden Land leben, Liebe zu den Eltern, die Verbundenheit innerhalb einer Familie und wie sich jede Generation aufs Neue in der Welt zurechtfinden muss.
Der Text klingt beinahe wie mündlich erzählt, wie vom Erzähler einfach so dahergeplaudert, in einer überdies wirklich sympathischen Sprache, ein wenig selbstironisch klingt sie, ohne jedoch distanziert zu wirken. Charmant und seelenvol halt. In jedem zweiten Satz spüre ich die Ambivalenz des Protagonisten seinen Eltern, der ganzen Situation gegenüber. Sowohl sein längst Emanzipiertsein, als auch seine (nachsichtige) Zuneigung den Eltern gegenüber.

Bei manch eigenwilligen Formulierungen war ich mir echt nicht sicher, ob sie dir einfach so rausgerutscht oder ein bewusst eingesetztes Stilmittel sind, um die (nicht genuin deutschsprachigen?) Figuren zu charakterisieren.
Aber genau diese Mischung aus salopper, gleichsam ungebügelter Umgangssprache und extravaganten Wortneuzusammenstellungen machen vermutlich auch einen Gutteil des Reizes der Geschichte aus. Eine lebendige, echte, sehr berührende Atmosphäre schaffst du damit.

Ein paar Sachen möchte ich trotzdem hinterfragen:

Über der [die] Siedlung legt sich bleiern der Himmel, von blauen Flecken durchzogen, [kein Komma] rückt er an die Hochhäuser und

... aber dann leuchten und flimmern die Platten aus allen Höhlen, also wird es gemütlich.
Ich habe lange gegrübelt über diesen Satz, ihn aber einfach nicht kapiert.

Mutti scharrt an der Tür, ich höre eine Kette rasseln. Dass sie jetzt abschließen würden, hätte ich nicht gedacht, so finster ist es auf den Straßen geworden.
Kapier ich auch nicht. Mit dieser Aussage stimmt doch irgendwas nicht, oder?
("Dass sie jetzt abschließen würden, hätte ich nicht gedacht. Ist es mittlerweile so finster auf den Straßen geworden?" So z.B. ergäbe es Sinn für mich. Aber vielleicht meinst du ganz was anderes.)

Der Bart lässt sich aber noch sehen,
Im Sinne von „kann sich sehen lassen“?

lästig irgendwie dieses Aufhebens,
Wieso Genitiv?

mit Auberginen von den Guten [guten]
bezieht sich hier ja adjektivisch auf die Auberginen.

Es sind noch mehr so Fragwürdigkeiten im Text, die hab ich aber nimmer rausgeschrieben. Vielleicht schau ich später noch mal drüber.

Zum Schluss noch:

Aus dem Topf in den Teller dampfen [das klingt ja beinahe wie aus einer Wagner-Oper, hähä] Muttis warme Mühen, milde wird mir im Bauch, also will ich nicht ätzen.
Mutti lächelt jetzt ängstlich, dass die Mundwinkel zucken, wartet geduldig, wie es dem Söhnchen denn geht. Sie legt mir die Hand auf den Ellbogen, streichelt ein bisschen, doch, wir haben uns lieb.
Also das schrammt schon gefährlich an der Grenze zum sentimentalen Overkill. Aber es bleibt doch souverän diesseits der Grenze. Der ganze Text ist ja im Grunde so eine Gratwanderung, aber es gelingt dir einfach, die Balance zu halten und niemals in die Niederungen der platten Gefühlsduseligkeit abzustürzen. Find ich toll.

Ein wirklich starker, schöner Text, randundband.

offshore

 

Tja, randundband,

recht hinterhältig kommt dieser Text daher. Zunächst wird beschrieben wie der Prot in der alten Buslinie anreist, seit langem mal wieder auf dem Weg in seine Heimat, er sieht die Schmierereien auf den Lehnen der Sitze usw. und jeden, der diese Elternbesuche in der Provinz kennt, hast Du jetzt im Boot. Man lässt sich richtig einlullen, so gut ist das (mit nur wenigen treffenden Bildern) beschrieben, so genau erinnert es einen an eigene Gefühle und Eindrücke.

Und wenn Du den Leser dann aber hast, so schickst du ihn in die Traurigkeit. Eine große Entwicklung findet nicht statt. Die Eltern sind alt und schwach geworden und leben in ihrer kleinen traurigen Welt. Der Sohn könnte doch jetzt mal Verantwortung übernehmen, deutet der Vater an, doch der Sohn lehnt ab. Nachdem man sich Jahre nicht gesehen hat, schaut man gemeinsam einen Film. Und schon verschwindet der Sohn wieder.

Wie da die Eltern zurückbleiben in ihrer Traurigkeit, das kriege ich gerade gar nicht mehr aus meinem Kopf.
Da denkt man sich: Wieso muss das alles so beschissen sein? Wieso muss der Sohn so hart und egoistisch sein? Wieso ist da alles so klein und kaputt und so viel unerwiderte Liebe?
Aber so ist es eben nun mal sehr sehr oft. Und mir fiele das gar nicht leicht, das so unversöhnlich zu beschreiben. Respekt dafür.

Wenn man unbedingt etwas kritiseren wollen würde, so, dass eben nicht mehr geschieht, keine große Entwicklungen, Wendungen etc. Aber mich stört das nicht. Ich finde das ist so geschrieben, wie viele KGs von Peter Stamm – nur der Blick auf einen Moment. Mir gefällt das wirklich sehr.

T.

 
Zuletzt bearbeitet:

Ach Randundband, gäbs noch Empfehlungen, ich hätte sie gleich empfohlen. Diese wunderbare Geschichte eines Sohnes und seiner Eltern und ihrer Liebe, die irgendwo auf der Strecke zwischen Leidacker und Streitenhausen, ähhh, nee, Leidenhausen und Streitacker, achwas, abhanden gekommen ist. Aber ganz, ganz tief ist doch noch was da. Das ist so rührend, wie hier jeder weiß, dass nichts mehr zusammengeht, wie hier aber trotzdem jeder versucht, für den anderen die Situation so zu gestalten, dass alle unbeschadet dieses Familientreffen überstehen können. Ob das nun der VATER macht oder die Mutter - ALLE drei machen das immer wieder.

Ich weiß noch, wie mir dein spezieller Blick auf Personen und Geschehnisse auffiel, bei diesem Radiomann war das mit den verschwurbelten Beinchen. Und das zieht sich durch bei allen deinen Geschicten. Du hast wirklich eine ganz besondere Gabe, auf Menschen und ihre Gefühle zu schauen und das ganz ohne Furcht vor einem Zuviel an Adjektiven, Wortneuschöpfungen oder einem möglichen Zuviel an rosarotem Gefühl.
Ich mein den Mut hätt ich ja auch, ich könnts nur trotzdem nicht. :)

Zwei Fragen habe ich. Die Namen der Orte - sind die bewusst gewählt. Ich meine, das muss ja fast so sein, bei den Namen!

Und manchmal wirkt es so, als steckte da ein Geheimnis in der Familie, als hätte der Sohn was gemacht, was die Eltern enttäuscht hat. Also es klingt jedenfalls danach, als wäre da mehr als die Ambivalenz eines Sohnes, der zu seinen alten Eltern fährt, in eine Heimat und Kindheit, die schon längst entschwunden sind.
Zum Beispiel hier:

„Junge, du bist es. Wie konnte das nur passieren“, flüstert er heiser, aber ich mag keine Vorwürfe, da muss Vati gleich stocken.
Vorwürfe wofür? Wie konnte was passieren? Also kann ja sein, du meinst nur, dass er ewig nicht gekommen ist. Hätt mich jetzt einfach interessiert. Könnte wie gesagt auch mehr dahinter stecken. Und immer hatte ich auch das Gefühl von Rätselhaftem, Unausgesprochenem in deinem Text. Das ist irgendwie auch sehr bedrückend, erinnert einen sehr an eigene Familienrätsel.

Was kleine Sprachungenauigkeiten betrifft, könnt ich eins zu eins von offshore abschreiben Es sind die identischen Stellen.
Besonders die hier, deshalb führ ich sie nochmal auf:

Über die Siedlung legt sich bleiern der Himmel, von blauen Flecken durchzogen rückt er an die Hochhäuser und
legen + über braucht ein Akkusativobjekt
und nach durchzogen kein Komma

... aber dann leuchten und flimmern die Platten aus allen Höhlen, also wird es gemütlich.
Auch ich versteh kein Wort. Was ist damit gemeint?

Mutti scharrt an der Tür, ich höre eine Kette rasseln. Dass sie jetzt abschließen würden, hätte ich nicht gedacht, so finster ist es auf den Straßen geworden.

Das widerspricht sich einfach so. wenn du hinter den Straßen doch nicht einfügst, würde ich es verstehen. Oder so wie offshore es gemacht hat.

„Und dann noch einen Auflauf mit Auberginen von den Guten und Bortsch, genau wie Oma ihn kochte“, sprudelt sie besorgt, zählt ihre Liebe auf, hat plötzlich Angst vor dem Schweigen, will KOMMA dass ich mit den Lippen schmatze.

„Papa sagte ja“, plappert sie weiter, „Fleisch – mach dem Jungen doch mal Golubzy, aber deftig, mit Hack, Kohl und ordentlich saure Sahne, aber ich sage nur, das isst Serjözhenka doch nicht, er mag es lieber gesund und moralisch.“
Sowas meine ich, da sehe ich meine alte Oma, wie sie werkelt und fragt und die Zwiebeln in ihre Schürze wickelt. Und dann diese Zusammenstellung er mag es lieber gesund und moralisch. Toll.
Vorher irgendwann hast du auch die Zusammenstellung bös wie Spinnenbeinchen. Also wie kommt man auf sowas. Ich genieße einfach auch deine Sprache un deine Ideen.
Es ist schon wie Jo gesagt hat, das ist ein uraltes, klassisches Thema, und du schaffst es, mit deiner Art, die Dinge zu beschreiben, mir die Gefühle, die ich ja auch kenne, hervozulocken, mich aber auch ein bisschen zu trösten. Guck mal, dem Protagonisten geht es auch so. Der kennt das. Man ist als Tocher/Sohn da gar nicht allein. Un du schreibst das halt sehr berührend.

Anders sei die Welt heute geworden, überall sei ihr Serjözhenka zuhause, ein Kosmopolit sozusagen, ein Lebemann, wie es sich gehört. Erzählen könne er ihnen, dass die Tomaten im Süden nach glühender Erde schmecken und im Osten nach körnigem Schnee.
Mensch. Das klingt wie Bob Dylan auf Russisch. Das ist eine tolle Stelle. Der Sohn gibt da ja auch so ein wenig an vor seinen Eltern, will ihnen zeigen, was aus ihm geworden ist und wie erfahren er ist und wie klein das Örtchen, das Weltenteilchen, in dem seine Eltern da leben. Und gleichzeitig kommt auch das Reflektierende raus, dass alle diese eigenartigen Erfahrungen schön waren, ihn über seine Eltern haben hinauswachsen lassen, aber ihn vielleicht doch auch nicht glücklich gemacht haben, all das ausgedrückt in diesen schönen Bildern:
Seine eigene Sprache hat er ein wenig vergessen, aber Französisch und Spanisch, das sei ja wohl klar.
In der Hauptstadt habe er studiert, kluge Sachen, versteht sich, am eifrigsten war er im Unterricht über sich selbst. Auch mit den hübschen Mädchen sei es dort bunt gewesen, verrückt und so wunderlich, dass es nun nicht mehr fetzt.
Und dann die beiden alten Leutchen demgegenüber. Pahh, das ist alles sehr bitter und irgendwie zynisch und trotzdem ist der Blick einfach mit einem Quäntchen Verständnis gewürzt, weil man neben dem Abgeklärten des Sohnes auch die Traurigkeit merkt.
Tja, so ist das gewesen, lecker schmeckt es mir Mutti, gut hast du´s gemacht und wie läuft was bei euch?
Und hier schauen die beiden in alle Winkel und Fenster, wollen kein Salz auf Zucker streuen, denn leiser ist weiser.

Flau wird mir im Magen von dem lahmen Leben, von dem Bortsch, von der Tante und auch von Paris.
Auch eine tolle Stelle.

Also brausen sie von damals, von einstmals, von vordem, als ich noch ein Kind war, ohne Welt und ohne Mädchen und wo sie Taten taten und nicht Bortsch mit Croutons.
Mensch, du schaffst es aber auch, einen echt traurig zu machen.

Da wird das Tuch rot, was planen bloß die Alten? Verantwortung? Ich? Na für mich allerhand. Ansonsten, ich weiß nicht, das muss man mal sehen, im Moment ist es schwierig, ist nicht die schicklichste Zeit.
Ruhig wird es im Raum, ich beiße mir auf die Lippen, da sind sie, die Ketten, ich hab´s ja gewusst.
Das ist krass. Die Eltern fordern ja hier, dass der Sohn sich um sie kümmern soll, Verantwortung übernehmen soll. Aber klar, wer will schon für seine Eltern sein bisheriges Leben aufgeben? Sich selbst Ketten anlegen. Also das ist schon eine harte Situation. Jeder kennt sie. Man will dem entgehen, weiß auch, wie man handeln will, will nicht da leben, wo die Elrern leben, will vielleicht auch keinesfalls mit den Eltern leben und die Entscheidung ist klar, aber man will ihnen auch nicht weh tun und das schlechte Gefühl über die eigenen klaren Entscheidung, die trägt man trotzdem mit sich rum.
Das alles, dieses Diffuse, das hast du so gezeichnet, dass man die Empfindungen aller Beteiligten spüren kann.

Zwei Stunden sind vergangen, die Guten haben am Ende gewonnen, die Musik plätschert zuversichtlich und draußen ist schon Nacht.
Liebe Mutti, lieber Vati, ich flieg dann mal weiter, es saß sich lauschig bei euch und der Bortsch war trés delikat.
Puhh, es gibt Stellen in deinem Text, da hat dein Protagonist so einen sarkastischen Unterton. Ich glaub, das macht auch die Stärke deines Textes, da ist wirklich das ganze Gefühlseinerlei dabei, der Zynismus, das Traurige und Einengende, der Sarkasmus über das Kleine des Elternlebens, aber auch die Trauer über das Verlorene und die Beobachtung der Eltern, die man so lange nicht gesehen hat.

Vati drückt mir die Schulter und schaut unverzagt: „Das mit der Verantwortung hat ja noch Zeit.“
Und unvermittelt, aus dem Inneren, rückt ihm heraus: „Wir haben mehr Filme von Pavel, komm doch gerne vorbei.“
Ich mag die beiden Alten.

Ich überfliege die Treppe und durchmesse die Straße, während sich der gleichgültige Wind gegen die Mülltonnen lehnt. Über mir frösteln einsam die Sterne, sie haben heute frei und rein gar nichts zu tun.
Den Hügel hinunter gleitet der 152er von Leidenhausen zum Streitacker. Es ist der letzte heute Nacht und der Nothammer ist futsch. Ich schmeiße mich nach hinten auf die buntgekritzelten Sitze, die Siedlung verdunkelt sich langsam und ich atme wieder allein.
Schönes Ende.
Traurige, wunderschöne Geschichte voller Liebe und Sarkasmus und Wehmut und süßer Bitterkeit und Nostalgie.
Viele liebe Grüße von Novak

 

Hallo randundband,

wow! Was für ein beeindruckender Text.
Eigentlich ist der Plot ganz banal und birgt kaum so etwas wie Spannungselemente und doch ist das nicht ganz richtig, was ich da schreibe, weil es dir gelingt, auf eine ganz besondere Weise doch spannende Momente in die Geschichte zu bringen.
Du machst mich zum Voyeur dieser drei Gestalten. Und da rückst du manchmal so nah heran, dass ich mich peinlich berührt fühle und in genau diesen Momenten entsteht Spannung.

Eine wirklich beeindruckende kleine Geschichte, die sehr viel erzählt, weil so viel zwischen den Zeilen steht. Einfach gelungen. Chapeau!

Was bei mir aber einen besonderen Eindruck hinterlassen hat, ist deine Sprache. Du wählst Formulierungen, die erfrischend ungewöhnlich wirken, obwohl du ja keine neuen Wortschöpfungen erschaffst, sondern dich der vorhandenen Vokabeln bedienst. Aber wie du diese Worte einsetzt, das ist schon wunderbar zu lesen. Mich hat das sehr erfreut, weil ich mir wie eine Sammlerin von schönen Formulierungen vorkam und die waren durchgängig im Text zu finden.

Nachfolgend ein paar Dinge, die mir besonders auffielen:

Ernst pustet er seine Launen gegen die Wäscheleinen, dass die Tücher zappeln und flattern, wie angekettete Geister.
Gelungene Formulierung für "die Wäsche flatterte im Wind". Ich wünschte, ich würde eine Ecke deiner Fomulierkunst abbekommen.

die mich mit Augen anschauen böse wie Spinnenbeinchen.
Dies ist die einzige Stelle, an der ich mit deinen Worten nicht klar komme. Böse wie Spinnenbeinchen. Da wächst in mir kein Bild heran, sondern nur Widerspruch, weil ich finde, dass die dünnen Spinnenbeinchen ja nicht böse sein können.

Aber sag das einer Mutti mal, keine irre Sache und der Vati ist bestimmt auch schon fahrig gerieben, von dem Geduldhaben in den Nächten auf Wache, dass ja niemand die Tomaten klaut und von den lahmen Tagen zwischen Sofa und Lidl.
Genialer Satz.

ausbügeln.
Wie lange habe ich dieses Verb nicht mehr gelesen und wie schön, dass du dieses Wort hervorgeholt hast, um es zum Leben zu erwecken. Es ist so treffend und so schön deutsch.

„War doch alles nicht nötig“, murmele ich und es war doch nicht nötig;
Hier hat mich die Wiederholung "und es war doch nicht nötig" gestört, weil ich glaube, hier weichst du von deiner verdichteten Sprache deutlich ab, indem du wiederholst. Vielleicht verstehe ich das auch inhaltlich nicht, denn ich habe Zweifel, dass dir diese Doppelung so durchgerutscht sein könnte.
Warum hast du das so geschrieben?

hätte jetzt einen Schnitt wie Paris und die Tönung glänze märzjung.
Herrlich, besser kann man das alles nicht beschreiben. Am meisten hat mir "märzjung" gefallen.

Viele Jahre dösten die Töne unter dem Laub begraben, jetzt fiepen sie wieder ganz mutig.
Ich glaube, dir ist diese Gratwanderung gelungen, Worte und Begriffe, die unterschiedlicher nicht sein können, so zusammen zu fügen, dass sie ein wunderbares Bild ergeben. Normalerweise müsste man stur vorhalten, dass Töne nicht dösen können und schon gar nicht fiepen und erst recht nicht mutig, aber ich finde, hier passt es genial zusammen. Ich bewundere deinen Mut, so experimentierfreudig mit Worten umzugehen. Ich hätte dazu viel zu viel Angst, dass man mir Kitschigkeit und weiß der Henker, was noch alles, vorwerfen würde.

Sie stupst mich feucht unters Auge, wie ihre zwanzigjährige Katze, atmet noch einmal von mir und ich atme zurück.
Was ich mir nur getrauen würde, in einen Dialog zu fassen, fasst du in Gesten. Gelungen gut!

Ich überfliege die Treppe und durchmesse die Straße, während sich der gleichgültige Wind gegen die Mülltonnen lehnt.
Dieser gleichgültige Wind, der gegen die Mülltonnen lehnt, ist so ein herausragender Satz, den ich faszinierend finde. Auch hier ist es wieder diese Verpaarung von Ungleichem.

Großes Lob!

Lieben Gruß

lakita

 

Puh, so viel Lob. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Es tut schon fast weh, so gut tut mir das. Ich versuche jetzt mal, etwas Sinnvolles zurückzuschreiben.

Jimmy

Ich danke dir sehr für deinen Besuch.

die liegt einem schwer im Magen, die Geschichte
Ja, mir geht es genau so. Das Schreiben war auch ziemlich anstrengend, da das Thema, das Verhältnis Eltern-Kind, nun mal so was verdammt Intensives hat und man nicht drum herum kommt, tief in sich zu gehen. Und wenn du sagst:
Da ist etwas Bedrückendes, aber dieses Gefühl, das bietest du dem Leser an, das ist ehrlich, und deswegen nimmt einen dieser Text auch so mit.
dann sehe ich, dass es so rübergekommen ist, wie ich das als Autor auch gefühlt habe. Mir ging es vor allem darum, eine ehrliche Geschichte zu schreiben und man legt da ja viele persönliche Empfindungen bloß. Das war deswegen auch die erste Geschichte, bei der ich ziemlich lange überlegt habe, ob ich sie reinstellen soll. Umso mehr freue ich mich, es getan zu haben. Es ist wirklich schön zu sehen, dass der Text berühren kann. Ist auch natürlich irgendwo klar, dass fast jeder seinen Kram mit den Eltern hat und dass die Geschichte es deswegen auch relativ leicht hat, bei dem Leser zu wirken.
So kann es sein, und so ist es wahrscheinlich auch sehr oft.
Ja, ich denke, das ist wirklich oft so und es tut auch weh, weil da so viele widersprüchliche Gefühle zusammenkommen und man dann wirklich ganz nah an sich selbst herankommt.
Du hast da dein eigenes Ding am laufen, mit deiner Sprache,
Nun, ich weiß eigentlich gar nicht genau, wie das kommt. Ich mache mir da nicht so viele Gedanken drum. Ich habe meistens ein Thema und ich lasse es in meinem Kopf reifen und dann irgendwann ist auch ein bestimmter Ton einfach da, so ein paar Sätze materialisieren sich, und dann fange ich an zu schreiben. Später, im Detail, klar, da hänge ich eigentlich an jedem Wort, damit es sich in den Klang fügt. Aber ich denke auch, so auf die Dauer, ein Roman, das wäre zu anstrengend. Da versuche ich grade auch was, aber gehe es anders an.
Jimmy, vielen Dank noch mal für deine Zeit und die lieben Worte. Ich hab mich sehr gefreut.

Ich mache später weiter.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo randundband,

ungern reihe ich mich in den Reigen der Gratulanten ein. Ich will immer entweder vorne tanzen, oder aus der Reihe tanzen. Aber was bleibt mir hier übrig? Der Text hat auch mich berührt. Da liegen trotz Liebe Welten zwischen Eltern und Sohn. Sie hatten mal Gemeinsamkeit, aber das ist jetzt nur noch Erinnerung. Er hat sich halt befreit aus dieser engen Welt und kann sich da nur ganz kurz wieder reinquetschen. Und das traurige ist, dass alle Figuren das spüren und wissen. Nichts, was die Eltern da an Erfahrungsschatz angesammelt haben, kann für sein Leben von Nutzen sein. Und auch ihre Wünsche für ihn, ich schätze mal bei Verantwortung geht es ums Familiengründen, sind nicht seine. So eine Entfremdung ist alltäglich und traurig. Das ist so ein Moment, über den ich schon oft nachgedacht habe, wo Eltern oder sonstige Vorbilder einem fürs eigene Leben nichts mehr raten können, weil sich da so eine Kluft der Zeiten oder Weltanschauungen und Lebensstile aufgetan hat. Hier wird das ja dadurch potenziert, dass die sich tatsächlich auch räumlich bewegt haben, weg aus ihrer Welt in die Fremde, wo sich dann erst der Sohn richtig souverän begewegen kann und die Eltern so halbintegriert zurückbleiben. Das stell ich mir auch immer krass vor in Immigrantenfamilien, wenn die Kinder sich schneller anpassen und dann zu Dolmetschern für die Eltern werden und ihnen die neue Welt erklären, wodurch sich die Eltern-Kind Rollen dann oft viel zu früh verkehren.
Interessant fand ich, dass er, als er anfängt von seinem Leben zu erzählen auch zu sich selbst auf Distanz geht, von sich selbst als Drittem spricht, also gewissermaßen die Perspektive der Eltern einnimmt, die diesen fremden großartigen Sohn bestaunen. Aber so einen Effekt der Selbstentfremdung haben solche Situationen, in die man nicht mehr hineinpasst, ja oft.
Ich hab mich auch an unseren Dialog zu meiner Omageschichte erinnert, wo Du meintest, die Details seien Dir alle so fremd. Aber jetzt so im Vergleich sehe ich da im Allgemeinen viel Übereinstimmungen, die Fürsorge über Essen, den Rollenwechsel zwischen Kindern und Eltern und dieses Gemisch aus Beklemmung und Nostalgie. Was sich dann unterscheidet, sind die Details, die sind fremd. Was bei mir typisch deutsche Makrameeeulen und Hähnchen sind, sind bei Dir eben Golubtzy unter denen ich nicht Konkretes riechen oder schmecken kann (ekelhafte Käse-Mayonaise-Salätchen musste ich erst kürzlich noch erdulden, das ist wohl ein kulturübergreifendes Übel). Mich hat das aber null gestört. Es war schön (auch traurig), in diese Familie einzutauchen. Du schaffst echt eine unglaublich dichte Atmosphäre. Das ist immer ein bisschen doof, wenn man fremde Texte mit eigenen vergleicht, zumal wenn man sich damit an sehr gute und zurecht gelobte Texte ranwanzt. Aber es kam mir halt so in den Sinn.
Die Sprache balanciert tatsächlich auf einem Grat. Die ist sehr üppig, aber hat doch genug Originalität, um (meist) nicht kitschig zu werden. Im Detail hätte ich aber durchaus noch viel anzumerken und auch zu bekritteln. Das ist wohl zum Teil einfach der Zweitsprache geschuldet. Wenn Du die Anmerkungen der anderen umgesetzt hast, guck ich da nochmal durch und schick Dir vielleicht ein Worddokument per pn, wenn das funktioniert. Mit Rauskopieren ist mir zu nervig.

Wirklich eine tolle, bewegende Geschichte!

Und damit gebe ich weiter zum nächsten, der sich einreihen, oder raustanzen will: Hier fliegen gleich die Löcher aus dem Käse, denn nun geht sie los unsere Polonäse, von Blankenese bis hinter Wuppertal. (Okay, das ist jetzt wieder ultra-deutsch ;))

lg,
fiz

 

Hallo randundband,

deine Sprache - außergewöhnlich, mutig, grenzwertig und stellenweise großartig (es wurde ja schon einiges rausgesucht) - hat unheimliche Sogwirkung auf mich ausgeübt. Auch ich hing an jedem Satz und wurde immer wieder überrascht von dir, da kam immer wieder etwas, was ich nicht erwartet hatte, worüber ich kurz nachdenken musste, was mich stocken, aber gerne stocken ließ. Das ist schon eine Kunst. Oft wird ein Autor "abgestraft" vom Kommentator, wenn dieser an Formulierungen oder Wörtern hängengeblieben ist. Da schaffst du ungewöhnliches.

Da ich aber nicht geblendet werden möchte, frage ich mich, ob der Inhalt zu kurz gekommen ist, ob du mir etwas vormachen willst, mich eben geblendet hast. Aber auch hier schaffst du für mich ungewöhnliches: Trotz der sprachlichen Fülle, gelingt es dir, Freiräume, sogar und vor allem, zwischen den Zeilen, zu schaffen. Da steckt wirklich viel in deinem Text. Liebe, Erwartungen, enttäuschte Erwartungen, Scham, Angst, Gewissen ... Generationenkonflikt - man denke an die zweite, dritte Einwanderergeneration: Die Alten, die alles für die Kinder gemacht haben (das zumindest behaupten), Verzicht geübt haben etc., damit die Kinder einmal was werden und die wollen davon nichts hören (Vielleicht besucht dein Prota deshalb seine Eltern so selten? Scheut er die Konfrontation mit dieser "Wahrheit"?), haben Individualismus im Kopf (wurden ja auch so erzogen, letztendlich). Da ist viel ungesagter Druck dahinter, der auf den Kindern dann lastet, Erwartungsdruck und so. Und die Alten brauchen ja auch eine Rechtfertigung für ihre Mühsal, das muss sich ja auch lohnen für die Lebensbilanz. Und um alles noch weiter zu Verkomplizieren, gibt es eine Portion Zuneigung obendrauf.

Na ja, du siehst schon, mich hat dein Text zum Nachdenken gebracht, hat mich berühren und sprachlich verführen können.

Das mit dem Essen hat mich übrigens an Lukjanenko erinnert.

Danke fürs Hochladen

hell

PS: Vielleicht suche ich die eine oder andere Passage noch raus. Habe auch ein, zwei Kommafehler gefunden, aber egal jetzt.

 

Hallo Jo,
vielen Dank für deinen Kommentar. Ich fühle mich gerade ein bisschen überfordert.

Das ist so verdichtet, fast schon ein Gedicht.
Ja, das ist mir auch aufgefallen, nachdem ich fertig war. Ich bin den Text natürlich tausend Mal durchgegangen und musste feststellen, dass da auch Reime drin waren, irgendwie ist schon der ganze Satzaufbau versartig. Hab da vieles umformulieren müssen, aber abgesehen davon, klar, ich wollte, dass jeder Satz eine Implikation hat und dann ist es irgendwie so zusammengekommen.
Schön auf jeden Fall, dass du mit der Sprache was anfangen konntest, sie ist hier natürlich ein sehr wichtiges Mittel und nimmt viel Platz ein.
weil sie tragisch komisch ist.
Tragisch-komisch ist gut. Will jetzt nicht groß über das Leben philosophieren, aber so ungefähr verhält es sich damit ja. Und sowas lese ich auch am liebsten.
Der Text ist für mich ein grandioses Beispiel dafür, dass aus jedem vermeintlich "ausgelutschten" Thema etwas Neues rauszuholen ist.
Ja Mann, ich weiß, mir fehlt auch einfach nichts Neues ein, immer wieder alte Geschichten. Aber schön, dass ich dich trotzdem erreichen konnte.
Danke für deine Zeit und das Lob.

Hallo ernst,
auch dir vielen Dank für deinen Besuch.

da steckt schon wirklich viel drin, was mich zum Nachdenken bringen konnte. Nachdenken über so Kram wie Nachhausekommen, Melancholie, Heimweh, in einem fremden Land leben, Liebe zu den Eltern, die Verbundenheit innerhalb einer Familie und wie sich jede Generation aufs Neue in der Welt zurechtfinden muss.
Ja, du sagst da eigentlich schon so vieles, worum es mir bei dem Text ging. Da kommt so ein Haufen Gefühle zusammen, gerade so in dem Verhältnis zu der Familie, das ist alles so uneindeutig und grenzwertig in diesem Mikrokosmos, da strahlt alles hinein und dort wirkt es auch mit am stärksten. Und klar, gerade so eine Auswanderung, ich habe es ja selbst erlebt, sie bringt alles durcheinander. Dieses Zurechtfinden in den neuen Verhältnissen ist für alle sehr fordernd und es gibt natürlich eine Menge Konfliktpotential. Und wenn man da nicht eine sehr innige Verbindung hat, driftet alles auseinander.
Bei manch eigenwilligen Formulierungen war ich mir echt nicht sicher, ob sie dir einfach so rausgerutscht oder ein bewusst eingesetztes Stilmittel sind, um die (nicht genuin deutschsprachigen?) Figuren zu charakterisieren.
Sprachlich, ja, ich hab mir eigentlich bei jedem Satz etwas gedacht, das war für mich der Ton, in dem diese Geschichte erzählt werden musste. Dass die Gratwanderung funktioniert, freut mich. Ich glaube das Mittel war, der Gefühlsduselei etwas Zynisches, Sarkastisches entgegenzusetzen, so bleibt die Balance erhalten, meine ich. Ich werde die Grammatiksachen gleich korrigieren, zu dem Verständnis noch:
... aber dann leuchten und flimmern die Platten aus allen Höhlen, also wird es gemütlich.
Ich habe lange gegrübelt über diesen Satz, ihn aber einfach nicht kapiert.
Seltsam, Novak hat das auch nicht verstanden. Gedacht war es aber so: der Prot läuft durch die Hochhaussiedlung, die ist ja am Anfang eingeführt und es ist ja schon dunkel geworden, also machen die Leute in ihren Wohnungen Licht an. Mit "Platten" sind halt die Häuser gemeint, Plattenbauten eben, aber ich dachte, das sei klar. Und wenn dann abends die Straßen durch warmes Licht erleuchtet werden, na ja, dann wird´s eben gemütlich, aber das kann ja nicht das Problem gewesen sein, oder?
Mutti scharrt an der Tür, ich höre eine Kette rasseln. Dass sie jetzt abschließen würden, hätte ich nicht gedacht, so finster ist es auf den Straßen geworden.
Kapier ich auch nicht. Mit dieser Aussage stimmt doch irgendwas nicht, oder?
("Dass sie jetzt abschließen würden, hätte ich nicht gedacht. Ist es mittlerweile so finster auf den Straßen geworden?" So z.B. ergäbe es Sinn für mich. Aber vielleicht meinst du ganz was anderes.)
Ne ne, du hast es schon richtig umgeschrieben. Ich hatte das als eine Feststellung gemeint, sie schließen ab, aha, also ist es auf den Straßen finster (im Sinne von gefährlich) geworden. Aber gut, wenn das jetzt auf Unverständnis stößt, dann werde ich das umformulieren. Danke für den Hinweis.
Mit dem Bart werde ich ändern, soll das heißen, was du meinst.
Aufhebens ist aber kein Genetiv, ich habs grad nochmal im Duden nachgeschlagen.
Ja, ernst, vielen Dank nochmal für deine Zeit und deinen kritischen Blick. Schön, dass die Geschichte auch für dich funktioniert.

Ich hoffe, es geht ganz bald weiter.

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich fühle mich gerade ein bisschen überfordert.
Hehe, druck die Kommentare aus und leg dich mit ihnen in die Badewanne. Ist das beste grad.
Antworten kannst du auch später. Muss man gar nicht gleich machen.

Ach ja, die Platten, ich dachte schon an Plattenbauten. Aber es sind ja nicht die Platten der Hauswände, die strahlen und schimmern, sondern die Öffnungen darin, die Fenster. Ich glaube das bewirkt das Unverständnis.

 
Zuletzt bearbeitet:

randundband schrieb:
offshore schrieb:
... aber dann leuchten und flimmern die Platten aus allen Höhlen, also wird es gemütlich.
Ich habe lange gegrübelt über diesen Satz, ihn aber einfach nicht kapiert.
Seltsam, Novak hat das auch nicht verstanden. Gedacht war es aber so: der Prot läuft durch die Hochhaussiedlung, die ist ja am Anfang eingeführt und es ist ja schon dunkel geworden, also machen die Leute in ihren Wohnungen Licht an. Mit "Platten" sind halt die Häuser gemeint, Plattenbauten eben, aber ich dachte, das sei klar. Und wenn dann abends die Straßen durch warmes Licht erleuchtet werden, na ja, dann wird´s eben gemütlich, aber das kann ja nicht das Problem gewesen sein, oder?

Klar drängte sich mir auch der Gedanke an Plattenbauten auf – nachdem ich kurz und vergeblich sogar mit „(Schall-)Platten in ihren Hüllen?“ versucht hatte, einen Sinn in dem Satz zu finden, kein Witz. Aber wie schon Novak sagt, ist deine Formulierung, Sprachkreativität hin oder her, einfach von der Syntax her missverständlich. Ich glaube, dass du mit nur geringfügiger Wortumstellung das um einiges verständlicher ausdrücken könntest.

Apropos Novak:

Novak schrieb:
Mensch. Das klingt wie Bob Dylan auf Russisch.
Novak, ehrlich, ich hab den halben Nachmittag gegrinst. Das ist Novaksche Rezensentenvirtuosität vom Feinsten.

 

Hallo T.,
auch dir vielen Dank für deinen Besuch. Es ist schön, wenn sich auch Leute melden, die ansonsten weniger aktiv sind.

recht hinterhältig kommt dieser Text daher. Zunächst wird beschrieben wie der Prot in der alten Buslinie anreist, seit langem mal wieder auf dem Weg in seine Heimat, er sieht die Schmierereien auf den Lehnen der Sitze usw. und jeden, der diese Elternbesuche in der Provinz kennt, hast Du jetzt im Boot.
Ja, ich kenne das selbst so ein bisschen im Kleinen. Meine Eltern wohnen in der gleichen Stadt, aber in einem Randbezirk. Ich besuche sie so gut wie jede Woche und merke trotzdem jedes Mal so stark diesen Kontrast, wenn man aus dem Zentrum nach draußen fährt. Das ist wie so ein Querschnitt durch alle sozialen Milieus. Ganz stark merkt man das natürlich, wenn man eine lange Zeit verreist war, da drückt es schon arg, wenn ich in diesen Bus steige.
Und wenn Du den Leser dann aber hast, so schickst du ihn in die Traurigkeit. Eine große Entwicklung findet nicht statt. Die Eltern sind alt und schwach geworden und leben in ihrer kleinen traurigen Welt. Der Sohn könnte doch jetzt mal Verantwortung übernehmen, deutet der Vater an, doch der Sohn lehnt ab. Nachdem man sich Jahre nicht gesehen hat, schaut man gemeinsam einen Film. Und schon verschwindet der Sohn wieder.

Wie da die Eltern zurückbleiben in ihrer Traurigkeit, das kriege ich gerade gar nicht mehr aus meinem Kopf.
Da denkt man sich: Wieso muss das alles so beschissen sein? Wieso muss der Sohn so hart und egoistisch sein? Wieso ist da alles so klein und kaputt und so viel unerwiderte Liebe?
Aber so ist es eben nun mal sehr sehr oft.

Ja, mich stimmt das Thema auch immer sehr traurig. Es gibt da eben diesen Riss zwischen den Generationen, das geht ja gar nicht anders, grade hier sind auch die Figuren Einwanderer, da kann dieser Bruch noch viel intensiver sein. Und alle haben verschiedene Vorstellungen vom Leben und sie kommen einfach nicht zusammen. Da geht vieles kaputt. Ich beobachte das auch im Umfeld meiner Eltern, da gibt es tatsächlich auch Familien, da sind die Kinder in andere Städte gezogen, melden sich alle paar Wochen, kommen monate- oder gar jahrelang nicht. Meine Mutter schüttelt da immer mit dem Kopf, wie kann das bloß passieren. Aber alle nehmen das als etwas ganz Normales hin, so ist eben der Lauf der Dinge. Und das ist ja bei weitem nicht nur auf die Einwanderer beschränkt, ich sehe das in deutschen Familien genauso, teilweise noch viel stärker. Die Kinder sind aus dem Haus und das wars. Vllt sieht man sich noch an Weihnachten oder so. Das ist wirklich etwas sehr trauriges.
Wenn man unbedingt etwas kritiseren wollen würde, so, dass eben nicht mehr geschieht, keine große Entwicklungen, Wendungen etc.
Ja, darauf verzichtet die Geschichte komplett, das würde ihr, glaube ich, auch gar nicht stehen. Ich wollte hier nur diesen Zustand, dieses Verhältnis, wie ich es mir vorstelle, einfangen.
Vielen Dank nochmal für deinen Besuch.

Hallo Novak!
Mensch, so viele liebe Sachen hast du mir geschrieben, du hast ja fast den halben Text zitiert, ich habe mich vor Freude gar nicht einkriegen können. Ich werde das Lob jetzt einfach mal nicht aufgreifen, das ist mir immer ein bisschen peinlich sowas, aber du kannst dir sicher sein, ich habe jeden Satz 20 Mal gelesen.
In der Geschichte ist viel Persönliches drin, klar, das merkt man ihr, glaube ich, auch an und was der Prot da beschreibt und fühlt, da sind so Dinge, die im kleinen auch bei mir passieren. Ich habe glücklicherweise ein sehr liebevolles und inniges Verhältnis zu meinen Eltern, aber ich komme gar nicht umhin festzustellen, wie stark das Leben in einem für sie fremden Land uns auseinanderbringt. Also wollte ich so ein, aus meiner Sicht jedenfalls, familiäres Horrorszenario zeichnen und es war erschreckend festzustellen, wieviel Wahres darin dann doch steckte. Insofern war ich auch irgendwie sehr erleichtert, als du, aber auch ein paar andere geschrieben haben, dass die mit diesen Gefühlen etwas anfangen können, dass sie sich da auch selbst wiederfinden. Das sind doch immer irgendwie Dinge, die man sich nicht eingestehen will, nicht unbedingt jedenfalls und daraus entsteht so ein furchtbar verworrenes emotionales Gemengelage, wie du es auch hervorhebst, das ich in der Geschichte abbilden wollte. Es freut mich daher unglaublich, dass es zu funktionieren scheint.
Auch diese Sache mit der Verantwortung für die Eltern, das sind auch diese vertauschten Rollen, von denen auch fiz spricht, da gibt es so viel unterschwelligen Druck, ob es jetzt das direkte Kümmern ist oder dass man bestimmten Vorstellungen nicht gerecht wird, ich meine, das kennt doch wirklich jeder. Deswegen ja, alte Geschichte, ich sehe im Moment einfach (fast) nichts anderes, worüber ich schreiben wollen würde (wobei im Moment trage ich da schon eine andere Sache im Kopf, von der ich meine, sie wäre irgendwie frisch, aber wahrscheinlich kommt es nur mir so vor. ja, egal).
Ich finds toll, dass dir die Sprache so zugesagt zu haben scheint, und mein Sicht auf die Dinge, ich weiß auch gar nicht, was ich da groß dazu sagen kann, ich freue mich einfach. Das haben mir jetzt mehrere Leute geschrieben, sie würden es mutig finden und so, ich hab da nie eine Sekunde darüber nachgedacht, ob ich jetzt für einen Satz oder ein zu gefühlsduseliges Adjektiv oder sonstwas abgestraft werden könnte oder nicht, ich hatte deswegen gar nicht das Gefühl, mich etwas zu trauen. Ich glaube nicht, dass man beim Schreiben an sowas denken sollte, sich nicht so eine innere Instanz einbauen, wenn´s schief geht, dann geht es eben schief, aber anderenfalls verklemmt man sich zu stark. So denke ich jedenfalls. Ich meine, es gibt doch nichts freieres als das Schreiben, also ich sehe das jedenfalls so, dann darf man doch auch alles machen.

Zwei Fragen habe ich. Die Namen der Orte - sind die bewusst gewählt. Ich meine, das muss ja fast so sein, bei den Namen!

Und manchmal wirkt es so, als steckte da ein Geheimnis in der Familie, als hätte der Sohn was gemacht, was die Eltern enttäuscht hat. Also es klingt jedenfalls danach, als wäre da mehr als die Ambivalenz eines Sohnes, der zu seinen alten Eltern fährt, in eine Heimat und Kindheit, die schon längst entschwunden sind.
Zum Beispiel hier:

Ja, die Namen. Solche Haltestellen bzw. Orte gibt es tatsächlich dort wo meine Eltern wohnen. Es sind jetzt nicht jeweils die Endhaltestellen, die liegen sogar recht nah beieinander, aber ich fands recht passend, schön, dass es dir aufgefallen ist.
Ansonsten, dieses andere Geheimnis, ich hatte da nichts Konkretes im Kopf. Aber ich glaube, innerhalb einer Familie passiert einfach so vieles, da kommen so ganz kleine Dinge zusammen, hier ein Streit, hier eine enttäuschte Erwartung, na ja, du weißt schon, und dann kommt es auch dazu, dass man sich voneinander entfremdet, sich aus den Augen verliert, hier der Prot will sich ja unbedingt selbst verwirklichen und nicht in Ketten leben, die ihm die lahmen Alten anlegen wollen. Ja, wie gesagt, keine konkrete Leiche im Keller.
Das Textungenauigkeiten und so habe ich weitgehend korrigiert, bei den Platten mache ich mir noch ein paar Gedanken. Vllt werden es einfach Häuser.
Ah ja
druck die Kommentare aus und leg dich mit ihnen in die Badewanne.
Hätte ich sehr gerne getan, aber ich habe keine Badewanne. :(
Also Novak, vielen lieben Dank nochmal für deinen so herzerwärmenden Kommentar, ich habe mich sehr gefreut.

Grüße,
randundband

 

Hallo randundband,

es ist sehr fies draußen. Sehr, sehr fies. Deshalb gibt's jetzt doch schon Detailanmerkungen, im althergebrachten Format.

Da die Sitzbezüge hier so frisch sind wie blaue Blümchen, denke ich für einen Moment, es hätte sich noch mehr verändert.
Der Satz hat mich erst irritiert, weil ich erst diese andere sonst-Bedeutung im Kopf hatte, so in dem Sinn: "Die Sitzbezüge müssen frisch sein, sonst verändert sich etwas." Für nen ersten Satz find ich den eh etwas kompliziert, weil man den Zusammenhang ja erstmal verstehen muss und dann noch der Blümchenvergleich und so. Ne Alternative wäre: "Die Sitzbezüge sind so frisch wie blaue Blümchen. Für einen Moment denke ich, es hätte sich noch mehr verändert."

von dem Streitacker bis nach Leidenhausen
Das hat mich schon in der Überschrift irritiert. Das fühlt sich für mich auch in Schreibsprache unidiomatisch korrekt an. Ich würd "von" und "dem" immer zu "vom" zusammenziehen.

und drin hocken die selben dunklen Gesichter – feindselig auf den ersten Blick, auf den zweiten nur matt.
Da dachte ich das erste Mal "Respekt"

sie haben Rechtschreibfehler gemacht in dem bunten Gekritzel auf den Rückenlehnen
Bild super, Syntax unidiomatisch: "sie haben Rechtschreibfehler im bunten Gekritzel auf den Rückenlehnen gemach"

Über die Siedlung legt sich bleiern der Himmel, von blauen Flecken durchzogen rückt er an die Hochhäuser und nimmt sich ihre Dächer zur Brust.
Fand ich gut. Das ist halt so ein Paradebeispiel für üppigen Stil, der trotzdem schön ist, weil er immer wieder mit neuen Bildern überrascht.

Ernst pustet er seine Launen gegen die Wäscheleinen, dass die Tücher zappeln und flattern, wie angekettete Geister.
Das "ernst" würd ich streichen, denn das ist ja gfast bschon selbst Laune und grenzt das Repertoire der damit kombinierbaren Launen sehr ein, denn eine fröhliche oder verspielte Laune kann man zum Beispiel nicht ernst pusten. Kein Komma vor vergleichendem "wie".

Als es anfängt zu dämmern, steige ich aus und gehe zu Fuß. Laufe
Das Prinzip der Interpunktion erscheint mir etwas willkürlich. kurz davor steht Semikolon, wo genausogut Punkt sein könnte, hier Punkt, wo es sich Komma anfühlt. Ich bin da kein Verfechter von Dudeninterpunktion, aber wenn man das freier hanhabt, sollte da wenigsten eine eigene Linie erkennbar sein. Ich kommentier jetzt nicht mehr die Einzelfälle, aber Du kannst das ja mal im Hinterkopf behalten, ob Du da ein konsequentes System hast.

vorbei an schartigen Gestalten, die mich mit Augen anschauen gemein wie Spinnenbeinchen.
Der Satz ist ein bisschen unpräzise, weil syntaktisch nicht klar ist, ob sich das "gemein" als Adjektiv auf "Augen" oder als Adverb auf "anschauen" bezieht. Inhaltlich ergibt ersteres mehr Sinn. Aber dadurch, dass es so elliptisch ist (es fehlen für Version 1 ja der relativische Anschluss und das Hilfsverb, die den Satz in der Tat korrekt aber recht hässlich machen würden), wird an dem Satz was schief und mir fällt nicht ein, wie man das minimalinvasiv reparieren kann. Also müsste man das evtl. ganz umbauen. Oder man sagt, scheiß auf korrekte Bezüge, ich will das so lyrisch. Fänd ich auch vertretbar, ich wollt's hier nur mal anmerken. Das Diminutiv hat übrigens einen interessanten Effekt, weil es irritiert, dass sowas fieses mit so nem Niedlichkeitssuffix kombiniert wird.

Dass sie jetzt abschließen würden, hätte ich nicht gedacht, ist es denn so finster auf den Straßen geworden?
Da brauchst Du keinen Konjunktiv, denn das Abschließen ist ja Realität. Und in Kombi mit dem "hätte" ist es auch nicht so schick.

kriegt keine Silbe gestottert
"kein Wort gestottert" fänd ich sinnvoller, denn wenn man stottert, stottert man ja eben nur Silben. Es sei denn, du willst sagen, dass die Mutter nicht mal stottern kann, also gar keine Töne hervorbringt. Aber das find ich schon ein bisschen zu viel Denkaufwand, um hinter die Bedeutung eines Sätzchens zu kommen. Das bremst mich im Lesen.

die Falten voller Kerben
Nee, darunter kann ich mir nix vorstellen. Falten sind doch im Grunde Kerben, also sagst Du im Grunde sowas wie "Die Falten voller Falten". Kein schlechter Gedanke. Vielleicht meinst Du, wenn so Haupfalten nochmalk von so kleinen Querfalten gekreuzt werden, was ein cooles Bild wäre. Aber bis man da als Leser ankommt, ist man aus dem Text wieder raus.

Anders schaut Mutti heute und auch der Rest ist anders

Ein Bildchen haben sie aufgehängt, was Hübsches aus dem Baumarkt, ist ja immerhin ein van Gogh und die Blümchen darauf sind reizend.
Da hatte ich direkt ein Messer im Herz. Baumarktbilder sind so tragisch. Und die van Gogh-Sonnenblumen noch dazu :heul:

da liegt schon sein Gewicht auf meinen Schultern.
Das ganze Gewicht? Ich hab da gar kein Bild zu. Umarmt er ihn nun? Legt er ihm eine Hand auf die Schulter, die bleischwer sein ganzes Gewicht trägt? Das ist mir so zu kurz und missverständlich.

„Mama hat seit gestern gekocht“, will er das ausbügeln.
Uh, kontroverse Redebegleitsätze. Überzeugt mich hier nicht so.

„War doch alles nicht nötig“, murmele ich und es war doch nicht nötig
"auch"; doch drückt ja einen Gegensatz aus, der aber zu seiner vorangegangenen Aussage nicht besteht, die der Satz ja bestätigt, sondern nur zum Gewese der Eltern. Sind so Feinheiten, die dann doch was ausmachen.

lästig irgendwie dieses Aufhebens
streichen. Die Szene find ich übrigens sehr gut, dass er nicht will, dass sie so ein Bohai machen, aber sie können nicht anders. Und je mehr sie das tun, desto seltener wird er kommen, desto mehr Bohai werden sie machen. Ein Teufelskreis.

Vati schaut verlegen, sei ja wohl eine feine Sache mit den Golubtzy, knackt er noch stur mit den Fingern, sonst bliebe doch einer ganz hungrig.
uhu, nee, so Redebegleitsätze, wo die Finger zu Sprechern werden, sind mir zu wild.

Aber die „Grutons fürs Salätchen“, erzählt Vati mir stolz, die hätte Mutti selbst zubereitet. So gekaufte seien wohl reiner Mist. Ach, die Croutons, süß ist das schon, denke ich mir, hab mir auch mal welche gemacht.
Das passt irgendwie zu den zweischneidigen Diminutiven, mit denen der Text durchzogen ist. Das ist Zuneigung, aber wenn man etwas niedlich findet, ist die Distanz schon riesengroß und man guckt von oben herab. Das ist genau der Rollen- und Perspektivwechsel. Von der Gegenseite kommen zwar auch noch Diminutive, aber die sind Vergangenheit und werden der Situation nicht mehr gerecht.

„Und erzähl doch mal Junge“, lehnt Vati über den Tisch mit seinen zotteligen Pranken
"zottelige Pranken" super, aber als Redebegleitsatz will mir das alles nicht schmecken. Warum in Gottes Namen nicht einfach Punkt in der Rede und dann: Vati lehnt sich mit seinen zotteligen Pranken übder den Tisch. Klingt das zu gewöhnlich? Na ja, ist bestimmt Geschmacksache.

wie sei was gewesen und überhaupt.
Ja, wie sei was gewesen
Das "sei" find ich schräg. Ich würd da umbauen.

Erzählen könne er ihnen, dass die Tomaten im Süden nach glühender Erde schmecken und im Osten nach körnigem Schnee.
Warum ist das auch in indirekter Rede? Gehört das noch zu seiner Rede dazu? Sagt er: "Ich kann euch erzählen, dass die Tomaten im Süden nach glühender Erde schmecken und im Osten nach körnigem Schnee"? Oder erzählt er ihnen: "Die Tomaten im Süden nach glühender Erde schmecken und im Osten nach körnigem Schnee", dann muss das nämlich nicht in indirekter Rede stehen.

Auch mit den hübschen Mädchen sei es dort bunt gewesen, verrückt und so wunderlich, dass es nun nicht mehr fetzt.
müsste strenggenommen auch "fetze" heißen, aber das fetzt dann natürlich nicht mehr. Mir will eh nicht in den Kopf, dass er dieses Wort seinen Eltern gegenüber benutzt.

wie läuft was bei euch?
"es"

Und hier schauen die beiden in alle Winkel und Fenster, wollen kein Salz auf Zucker streuen, denn leiser ist weiser.
Das mit dem Salz auf Zucker hab ich erst jetzt verstanden. Ist bestimmt ein Sprichwort, oder? Ansonsten wirklich genial ausgedacht.

und die Tönung glänze märzjung
da stell ich mir ein frisches Grün vor ;)

Grüßen hätte sie mich lassen, und küssen KOMMA bitte feste, da ist Mutti bei mir und bringt mir den Schmatz.
"küssen, bitte feste" muss auch sowas Traditionelles sein. Find ich voll cool.

Flau wird mir im Magen von dem lahmen Leben
Das macht auch viel am lyrischen Ton aus, diese vorangestellten Adjektive.

wo sie Taten taten und nicht Bortsch mit Croutons
Ich weiß, das wurde schon gelobt, aber mit war dieses "Taten taten" zu verspielt

Während Vati gerade schaut, zupft Mutti fiebrig die Schürze, die Situation ist heikel, jetzt muss sie was tun.
Und sie tut das, was Muttis tun, wenn sie etwas tun müssen, sie sagt mir: „Mein Junge, jetzt nimm doch Salat.“
Salätchen als Pflästerchen auf den Familienriss. Sehr gut! Das ist natürlich ein böses Omen, wenn der dann am Boden landet.

so was passiert doch schon Mal
schon mal

der Auflauf hat seine Stärken und ich hab meine Schwächen.
Das ist mir zu viel Kalauer

Also das war mein Kleinvieh. Aber darunter soll nicht begraben werden, wie hervorragend ich auch den Stil hier finde. Du kannst was!

lg,
fiz

 

Hallo lakita,
vielen Dank für deinen Kommentar und das ganze Lob. War echt schön zu lesen.

Du machst mich zum Voyeur dieser drei Gestalten. Und da rückst du manchmal so nah heran, dass ich mich peinlich berührt fühle und in genau diesen Momenten entsteht Spannung.
Ja, mir war es ganz wichtig, das Verhältnis innerhalb dieser kleinen Familie einzufangen, da passiert ja im Grunde wirklich nichts, es lebt alles von diesem Spannungsfeld, das zwischen den Personen herrscht, von allem was war und nicht mehr ist und von dem, was sich die Beteiligten wünschen, wie es vllt sein sollte. Ich wollte diesen Druck einfangen, der sich da unterschwellig breit macht und der durch die ganzen widersprüchlichen Gefühle in diesem Raum besonders intensiv spürbar werden soll. Daher freut es mich sehr, dass es für dich offenbar funktioniert hat.
Ist natürlich toll, dass du auch die Sprache mochtest, ich kann da gar nicht groß was dazu sagen, außer dass ich mich sehr über deine Einschätzung freue und dir für deine schönen Komplimente danke. Zu deinen Fragen aber noch:
die mich mit Augen anschauen böse wie Spinnenbeinchen.
Dies ist die einzige Stelle, an der ich mit deinen Worten nicht klar komme. Böse wie Spinnenbeinchen. Da wächst in mir kein Bild heran, sondern nur Widerspruch, weil ich finde, dass die dünnen Spinnenbeinchen ja nicht böse sein können.
Ich hab jetzt aus "böse" "gemein" gemacht, ist vllt treffender. Für mich haben Spinnenbeinchen irgendwie etwas fieses, weiß nicht, war so eine spontane Assoziation.
„War doch alles nicht nötig“, murmele ich und es war doch nicht nötig;
Hier hat mich die Wiederholung "und es war doch nicht nötig" gestört, weil ich glaube, hier weichst du von deiner verdichteten Sprache deutlich ab, indem du wiederholst. Vielleicht verstehe ich das auch inhaltlich nicht, denn ich habe Zweifel, dass dir diese Doppelung so durchgerutscht sein könnte.
Warum hast du das so geschrieben?
Ja, also hier werde ich das noch ein wenig ändern, hat auch fiz wazu geschrieben, aber so von der Dopplung bleibt es, werde nur das "doch" ersetzen.
Der Gedanke war, dass der Prot ja an vielen Stellen für sich die Geschehnisse bzw. das Verhalten seiner Eltern kommentiert, es gibt auch Stellen, wo er sich ganz auf die Seite stellt und von sich selbst in der dritten Person spricht. Hier war das auch so ein Element, bei dem er zunächst den Eltern etwas antwortet und dann es für sich selbst bekräftigt. Außerdem fand ich das so auch vom Rhytmus schöner.
Gut, ansonsten noch mal vielen Dank für deinen Kommentar.

Grüße
randundband

morgen gehts weiter

 

Hallo fiz,

ungern reihe ich mich in den Reigen der Gratulanten ein. Ich will immer entweder vorne tanzen, oder aus der Reihe tanzen. Aber was bleibt mir hier übrig?
Schön, dass die Geschichte dich dazu bringen konnte, wider deiner Natur zu handeln.;)
Da liegen trotz Liebe Welten zwischen Eltern und Sohn. Sie hatten mal Gemeinsamkeit, aber das ist jetzt nur noch Erinnerung. Er hat sich halt befreit aus dieser engen Welt und kann sich da nur ganz kurz wieder reinquetschen. Und das traurige ist, dass alle Figuren das spüren und wissen. Nichts, was die Eltern da an Erfahrungsschatz angesammelt haben, kann für sein Leben von Nutzen sein. Und auch ihre Wünsche für ihn, ich schätze mal bei Verantwortung geht es ums Familiengründen, sind nicht seine. So eine Entfremdung ist alltäglich und traurig. Das ist so ein Moment, über den ich schon oft nachgedacht habe, wo Eltern oder sonstige Vorbilder einem fürs eigene Leben nichts mehr raten können, weil sich da so eine Kluft der Zeiten oder Weltanschauungen und Lebensstile aufgetan hat.
Alltäglich und traurig, ja, ich finde, diese Alltäglichkeit ist das Allertraurigste daran überhaupt. Dem kann man doch überhaupt nicht entkommen, also ganz häufig jedenfalls nicht. Als gäbe es da von Anfang an so eine fiese Formel und sie geht einfach immer wieder auf, obwohl man so gut um ihre Existenz Bescheid weiß. Ich hab das schon echt Schiss vor, wenn ich selbst mal Kinder habe und dann merke, dass sie über mich hinauswachsen. Ich glaube, dieser Verlust an Souveränität und das beiderseitige Wissen um diesen Verlust, das ist ein ganz tragischer Moment. Und je mehr Brüche es irgendwie in der Gesellschaft während des Generationenwandels gab, desto ärger wird es.
Hier wird das ja dadurch potenziert, dass die sich tatsächlich auch räumlich bewegt haben, weg aus ihrer Welt in die Fremde, wo sich dann erst der Sohn richtig souverän begewegen kann und die Eltern so halbintegriert zurückbleiben. Das stell ich mir auch immer krass vor in Immigrantenfamilien, wenn die Kinder sich schneller anpassen und dann zu Dolmetschern für die Eltern werden und ihnen die neue Welt erklären, wodurch sich die Eltern-Kind Rollen dann oft viel zu früh verkehren.
Ja, das ist auch ganz krass, ich habs selbst sehr genau erlebt. Dieser frühe Rollentausch ist sehr ungesund. Dass das Bild von den Eltern, ihre Autorität, so früh durch den Anblick ihrer Hilflosigkeit untergraben wird, das kann zu ganz hässlichen Entwicklungen führen. Wenn man noch gar nicht in der Lage ist, die Situation richtig zu erfassen und sich dann als Teenager schon den Eltern überlegen fühlt, da läuft man stark die Gefahr, sich sehr früh zu entfremden. Und man ist dabei natürlich nicht frei von jedem Einfluss und im Herzen entsteht so ein fiebriges Kuddelmuddel aus Druck, Schuldgefühlen, Emanzipationswünschen, Zuneigung und so Zeugs. Ich glaube, das ist ein ganz klassisches Muster. Schwierig ist auch, die eigenen Erwartungen an das Leben zu formulieren, gerade so bei den Immigrantenkindern, das ist alles so hin- und her gerissen.
Interessant fand ich, dass er, als er anfängt von seinem Leben zu erzählen auch zu sich selbst auf Distanz geht, von sich selbst als Drittem spricht, also gewissermaßen die Perspektive der Eltern einnimmt, die diesen fremden großartigen Sohn bestaunen. Aber so einen Effekt der Selbstentfremdung haben solche Situationen, in die man nicht mehr hineinpasst, ja oft.
Ja, ist genau das. Dieser Effekt ist in solchen Situation natürlich sehr stark der Selbstreflektion geschuldet, weil man dann ja nicht blind ist und die Empathie einem sagt, wie das Gegenüber es aufnehmen muss. Und sobald man ja überhaupt sich einen Schritt neben sich stellt, dann kann man das doch gar nicht ohne eine gewisse Selbstironie betrachten. Du hast es alles wirklich gut erfasst, fiz, das ganze Durcheinander, was ich darstellen wollte.
Ich hab mich auch an unseren Dialog zu meiner Omageschichte erinnert, wo Du meintest, die Details seien Dir alle so fremd. Aber jetzt so im Vergleich sehe ich da im Allgemeinen viel Übereinstimmungen, die Fürsorge über Essen, den Rollenwechsel zwischen Kindern und Eltern und dieses Gemisch aus Beklemmung und Nostalgie.
Ich habe auch beim Schreiben an deine Geschichte gedacht. Da ist auf jeden Fall viel hängengeblieben bei mir. Ich hab sie gestern Nacht noch einmal durchgelesen, es gibt schon einen Haufen Parallellen. Das sind ja wirklich ganz universelle Muster und Empfindungen, die auch noch fast allen bekannt ist. Ich finde es sehr schön, dass du meinen Text mit deiner tollen Geschichte vergleichst, ist überhaupt nicht doof.
Soooo, zu dem Sprachlichen noch, es ist auch wirklich viel zu ernst geworden grade.
Erstmal großes merci für die Mühe, die du in meinen Text investiert hast, ist echt bemerkenswert.
Da die Sitzbezüge hier so frisch sind wie blaue Blümchen, denke ich für einen Moment, es hätte sich noch mehr verändert.
Der Satz hat mich erst irritiert, weil ich erst diese andere sonst-Bedeutung im Kopf hatte, so in dem Sinn: "Die Sitzbezüge müssen frisch sein, sonst verändert sich etwas." Für nen ersten Satz find ich den eh etwas kompliziert,
Komisch, jetzt hast du den Satz ja schon umgeschrieben zitiert. Ist schade, dass er bei dir so ankommt, ich mag ihn echt gerne. War auch wirklich der allererste Satz, der mir zu der Geschichte eingefallen ist. Gedacht wars ja: o! die Sitzbezüge sind neu, vllt ist auch der Rest anders geworden. Es ist echt schwer, sich von so Lieblingen zu trennen. Aber ich überleg mir da noch was.
von dem Streitacker bis nach Leidenhausen
Das hat mich schon in der Überschrift irritiert. Das fühlt sich für mich auch in Schreibsprache unidiomatisch korrekt an. Ich würd "von" und "dem" immer zu "vom" zusammenziehen.
Ich schwöre es dir, fiz, ich hatte das bis ganz kurz vor dem Reinstellen noch als "vom." Keine Ahnung was mich da geritten hat, es noch im letzten Moment zu ändern. Du hast aber vollkommen Recht. An den Titel komme ich ja selbst nicht mehr dran, wärest du so lieb?
sie haben Rechtschreibfehler gemacht in dem bunten Gekritzel auf den Rückenlehnen
Bild super, Syntax unidiomatisch: "sie haben Rechtschreibfehler im bunten Gekritzel auf den Rückenlehnen gemach"
Das "im" wird geändert, aber an der Satzstellung halte ich fest. Ich weiß schon, dass es so wie du schreibst, korrekt wäre, aber ich hatte hier bei dem Text sehr, ja, sagen wir mal, lyrisch gearbeitet und mir ging es viel um Betonungen und so Kram. Deswegen wollte ich ich den Hauptsatz auch nicht auseinanderschlagen und die Betonung zwei Mal hintereinander bei syntaktisch vergleichbaren Sätzen auf das Verb legen. Also: Sie haben (...) abgerissen, Sie haben (...) gemacht. Grade bei einer Aufzählung klang es für mich besser so.
Ernst pustet er seine Launen gegen die Wäscheleinen, dass die Tücher zappeln und flattern, wie angekettete Geister.
Das "ernst" würd ich streichen, denn das ist ja gfast bschon selbst Laune und grenzt das Repertoire der damit kombinierbaren Launen sehr ein, denn eine fröhliche oder verspielte Laune kann man zum Beispiel nicht ernst pusten.
Aber es soll doch auch ausgeschlossen werden, dass der Himmel eine fröhliche Laune hat, zumal er sich bleiern über die Siedlung legt. Das ist da ja alles eine sehr ernste Angelegenheit. ;)
Das Prinzip der Interpunktion erscheint mir etwas willkürlich.
Hast du Recht, ist völlig willkürlich. Ich gehe das nochmal durch.
vorbei an schartigen Gestalten, die mich mit Augen anschauen gemein wie Spinnenbeinchen.
Der Satz ist ein bisschen unpräzise, weil syntaktisch nicht klar ist, ob sich das "gemein" als Adjektiv auf "Augen" oder als Adverb auf "anschauen" bezieht. Inhaltlich ergibt ersteres mehr Sinn. Aber dadurch, dass es so elliptisch ist (es fehlen für Version 1 ja der relativische Anschluss und das Hilfsverb, die den Satz in der Tat korrekt aber recht hässlich machen würden), wird an dem Satz was schief und mir fällt nicht ein, wie man das minimalinvasiv reparieren kann. Also müsste man das evtl. ganz umbauen. Oder man sagt, scheiß auf korrekte Bezüge, ich will das so lyrisch.
Mann, fiz, du bist aber auch echt streng. Korrektheit muss hier leider der Lyrik weichen.
Dass sie jetzt abschließen würden, hätte ich nicht gedacht, ist es denn so finster auf den Straßen geworden?
Da brauchst Du keinen Konjunktiv, denn das Abschließen ist ja Realität. Und in Kombi mit dem "hätte" ist es auch nicht so schick.
Hast du Recht, wird geändert.
da liegt schon sein Gewicht auf meinen Schultern.
Das ganze Gewicht? Ich hab da gar kein Bild zu. Umarmt er ihn nun? Legt er ihm eine Hand auf die Schulter, die bleischwer sein ganzes Gewicht trägt? Das ist mir so zu kurz und missverständlich.
Echt? Ist das nicht ganz herkömmlich, sowas zu sagen? Er umarmt ihn halt.
„Mama hat seit gestern gekocht“, will er das ausbügeln.
Uh, kontroverse Redebegleitsätze. Überzeugt mich hier nicht so.
Das verstehe ich nicht, warum ist der Redebegleitsatz jetzt kontrovers? Verstoße ich da gegen irgendein mir unbekanntes Prinzip? Würde mich echt interessieren.
Vati schaut verlegen, sei ja wohl eine feine Sache mit den Golubtzy, knackt er noch stur mit den Fingern, sonst bliebe doch einer ganz hungrig.
uhu, nee, so Redebegleitsätze, wo die Finger zu Sprechern werden, sind mir zu wild.
Du scheinst wirklich ein Problem mit Redebegleitsätzen zu haben, da ist noch ein Beispiel im Text mit den zotteligen Pranken und bei "Gott segne unsere Fluren" hast du das auch angedeutet, obwohl du die Verwendung dort mochtest. Mit leuchtet das irgendwie nicht ein, ehrlich gesagt, was ist denn so falsch an Redebegleitsätzen, vllt sehe bzw. fühle ich irgendwas nicht.
„War doch alles nicht nötig“, murmele ich und es war doch nicht nötig
"auch"; doch drückt ja einen Gegensatz aus, der aber zu seiner vorangegangenen Aussage nicht besteht, die der Satz ja bestätigt, sondern nur zum Gewese der Eltern. Sind so Feinheiten, die dann doch was ausmachen.
Ja, das ändere ich. Eigentlich sollte dies so ein innerer Kommentar sein, bei dem er sich nur das bestätigt, was er auch nach außen gesagt hat, aber das wird mit "auch" auch funktionieren.
wie sei was gewesen und überhaupt.
Ja, wie sei was gewesen
Das "sei" find ich schräg. Ich würd da umbauen.
Hmm... Ist das wirklich so schräg? Ich kann da natürlich ein "ist" daraus machen, aber wäre das gramatikalisch korrekt? Und so komplett umschreiben ... heieiei.
Erzählen könne er ihnen, dass die Tomaten im Süden nach glühender Erde schmecken und im Osten nach körnigem Schnee.
Warum ist das auch in indirekter Rede? Gehört das noch zu seiner Rede dazu? Sagt er: "Ich kann euch erzählen, dass die Tomaten im Süden nach glühender Erde schmecken und im Osten nach körnigem Schnee"? Oder erzählt er ihnen: "Die Tomaten im Süden nach glühender Erde schmecken und im Osten nach körnigem Schnee", dann muss das nämlich nicht in indirekter Rede stehen.
Also das ist alles indirekte Rede. So einen Humbug kann er ja nicht ernsthaft laut sagen. Das ist ja so eine poetisierende innere Metapher für das, was er ihnen tatsächlich erzählt. Dann muss doch auch der erste Satz in indirekter Rede sein, oder? Oder muss ich schreiben: "Erzählen kann er ihnen"?
Und hier schauen die beiden in alle Winkel und Fenster, wollen kein Salz auf Zucker streuen, denn leiser ist weiser.
Das mit dem Salz auf Zucker hab ich erst jetzt verstanden. Ist bestimmt ein Sprichwort, oder? Ansonsten wirklich genial ausgedacht.
Ich weiß nicht so genau, ich meine, ich kannte das irgendwoher, aber vllt habe ich es doch ganz unbewusst erfunden :D
und die Tönung glänze märzjung
da stell ich mir ein frisches Grün vor
Was gibt es denn gegen ein frisches Grün einzuwenden?
wo sie Taten taten und nicht Bortsch mit Croutons
Ich weiß, das wurde schon gelobt, aber mit war dieses "Taten taten" zu verspielt
Nein, fiz, bitte nicht, ich finde das so toll.
der Auflauf hat seine Stärken und ich hab meine Schwächen.
Das ist mir zu viel Kalauer
Ach komm, einen Kalauer pro Text kann man sich doch erlauben.
Fiz, also, insgesamt vielen Dank auch für deine sprachlichen Anmerkungen, jetzt werde ich mal vor allem über den Sinn und Unsinn von Redebegleitsätzen nachdenken.
Danke für deinen Besuch und die viele aufgewendete Zeit.

Grüße,
randundband

 

Hallo randundband,
ja, da wirst Du völlig zu recht in Grund und Boden gelobt und in - wenngl. nicht vorhandene - Badewannen. Was soll ich sagen, was nicht schon Gutes und Teures gesagt? Der Text ist sehr gelungen, insbesondere die sprachliche, syntaktische Ebene. Hat einen fulminanten Wiedererkennungswert, so, wie man ihn von schon so einigen Deiner Texte kennt. Und es ist keine Kritik, nein, bloß meine geäußerte Vorliebe, dass mir die "Gramen Seelen" besser gefielen. Das hat mit der Dimension zu tun, der Größe, der metaphysischen Gewalt, die für mein Empfinden dort schillert. Hier schillert 's, aber im Kleinen, Brillianzleinchen.
Gern gelesen
7

 

Hallo hell,
vielen Dank für deinen Kommentar und die vielen lobenden Worte. Hab mich riesig gefreut. Dass der Leser durch die Sprache angezogen wird, ist natürlich sehr wichtig. Ich kenne das ja von mir, wenn die Sprache nicht passt, wenn mich die Stimme nicht mitnimmt, steige ich sehr schnell aus. Es ist halt so extrem wichtig, den richtigen Ton für eine Geschichte zu finden, die richtige Formel sozusagen. Ich finde, jedes Thema, jede Stimmung verdient eine eigene Sprache, eine bestimmte, nur dafür komponierte Melodie. Toll, dass es in diesem Fall aufgegangen ist.
Das Thema, ja, ist ein emotionales Thema, für mich persönlich auch ein wichtiges Thema, ich denke da viel drüber nach und es war mir wichtig diese widersprüchlichen Gefühle, die du so richtig aufführst in literarische Formen zu bannen, die Empfindungen in diesem ganzen Durcheinander irgendwie einzufangen. Diese Dinge passieren halt in den Immigrantenfamilien, ich beobachte auch viele ähnliche Entwicklungen in meinem Freundeskreis, das ist echt traurig, aber irgendwie auch der natürliche Lauf der Dinge. Dass du da Freiräume zwischen den Zeilen erkennst, freut mich ganz besonders. Ich wollte da sehr gerne Raum lassen, hatte aber immer auch Angst durch die sprachliche Verdichtung zu viel zu sagen. Schön, dass es auch für dich funktioniert hat.
Ich danke dir für deinen Besuch und hoffe bald auch einen Text von dir hier zu sehen.

Grüß dich 7,
schön, dass die Geschichte dir zugesagt hat und du dich entschieden hast, mir dein Lob auszusprechen. Ich fühle mich wirklich geschmeichelt, das mit dem Wiedererkennungswert bedeutet mir viel.
Dass du Fräulein Wunsch lieber mochtest kann ich gut verstehen. Sie hat es mir auch ziemlich angetan und ich habe da auch was Längeres mit ihr angefangen, hoffentlich bringe ich das irgendwann zu Ende. Das ist ja immer so eine Stimmungssache, wie tief man in eine bestimmte Thematik einsteigen will, auch was man gerade so liest, auf welche Gedanken es einen bringt, auch mit wem man sich alles unterhalten hat, wo man gewesen ist usw. Grade fördern meine Umstände die Beschäftigung mit metaphysischen Gewalten nicht, aber vllt wird sich das bald auch wieder ändern.
Danke für deinen Besuch.

Grüße,
randundband

 

Nee, dagegen. Für mich ist das nix.
Das ist auch so ein Heimspiel für einen Autor, so einen Text vor dem Publikum hier zu spielen, wenn es um Aufbruch und Rückkehr geht, sich aus bescheidenen Anfängen zu erheben, und intellektuell zu werden, wieder zurück zu kommen und sich zu groß für das Kleine zu fühlen, zu anders für die Eltern, zu lebendig für den Stillstand. Es gab mal vor Jahren hier einen Text von Bolderson über die Banalität des Lebens in Routine, wurde begeistert aufgenommen, weil das ein tiefer Trieb in jedem Schreibenden ist, aus der Routine auszubrechen und sich "mit Höherem" zu beschäftigen. So wie es auch ein typischer Trieb des Schreibenden ist, aufzubrechen und auf (Geistes-)Reisen zu gehen.

Ich hab zwischendurch angefangen den Text zu deklamieren in so einer Singer/SongWriter-Märchenonkel-Stimme, das ging immer 3 Zeilen gut und dann nicht mehr - da merkt man übrigens auch das Starre des Textes, diese 6-Sekunden-Sätze mit einem 18-Sekunden-Satz als 4. dann. Ich weiß nicht, wann ich das probiert hab, im 2. Drittel oder so - und das ist mir krass aufgefallen.
Wenn man das macht, kriegt man auch so einen Blick - ich hab den halt auch - so einen Blick für das Handwerkliche hinter so einem Text. Und es ist viel so schmückendes Zeuch. Es gibt Schlagzeuger, die fügen zu ihrem Stil lauter kleine Halbdrehungen und Wirbelchen und dies und das hinzu: Bringt nix, sieht aber aus, als würden sie da ein Feuerwerk abbrennen.

So hatte ich das Gefühl bei dem Text. So ein Budenzauber, so grundlos auch, wo ist das im Text verankert? Warum ist der so? Wo folgt hier die Form dem Inhalt? Was sagt die Sprache über diesen Erzähler? Was ist das für eine Art zu formulieren? Erhöht er sich dadurch? Erhöht er seine Umgebung, seine Geschichte? Oder ist das ein Autor, der nicht viel hat und viel draus machen will.

Also natürlich ist dann im Kern mal ein Halbsatz "in nuce" getroffen. Wenn es heißt, der Vater sitze da zwischen Sofa und Lidl. Aber nur Rosinen machen doch keinen Kuchen.

Also ich mag in der Tat solche Highlight-Reel-Texte nicht. Und ich finde eine Sprache, die vom Autor und nicht vom Erzähler ausgeht, hat für mich einen künstlichen Beigeschmack. Das ist um Gottes Willen keine Lehrmeinung, und ich geb zu, dass es ziemlich weit draußen ist, so zu empfinden. Aber das ist auch so ein bisschen ein Steckenpferd von mir, dass ich finde ein Autor sollte sich fragen: Was ist der Stoff, wer könnte den erzählen, wie würde der klingen? Und ich hab das Gefühl, es gibt so diesen Trend: Da ist der Autor, der erzählt den Stoff jetzt so. In "seinem Stil". Und da kann er erzählen, wie sich morgens einer die Zähne putzt, und es ist noch spektakulär.

Es gibt bei youtube einen bösen Clip: Michael Bay makes himself breakfast oder getting the mail. Wo einfach auf ein Format "Da holt sich einer die Post rein", das riesige Pathos eines typischen Michael Bay-Films gepackt wird, wo die Form die Form ist - und der Inhalt fügt sich dann schon.

Bei mir fängt der Text hier wirklich vor meinen Augen an, sich in die einzelnen Stilmittel zu zerlegen, die Manierismen sind ganz klar, da die Inversion, da die Synäthestie, z.B. "märzjung", so Wörter müssen in dem Stil vorkommen, da gibt es irgendwie ein Gesetz dafür. Es ist sicher cool, wenn man Zugang zu so einer Sprach-Ebene hat und es ist auch wichtig, dass du so Texte hier einstellen kannst, ohne dass du dir bei jedem einzelnen Satz irgendwie denkst: Oh, da geb ich wem Angriffsfläche mit. So ist die Kritik überhaupt nicht gemeint.

Für mich ist das halt ein Weg, den ich nicht mag. Wenn du Figuren hättest, die diesen Stil rechtfertigen würden. Bei denen sich durch den Stil eine zweite Ebene der Figurenzeichnung öffnet, dann wär ich Feuer und Flamme dafür, aber so ... Nee.

Aber es ist eine Einzel-Meinung. Ich fand auch Doktor Faustus blöd, was weiß ich schon?

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom