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Vielleicht liegt es daran, dass es so leicht aussieht

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27.10.2011
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Vielleicht liegt es daran, dass es so leicht aussieht

Niemand bemerkte sie, als sie in den Schacht sprang. Die schwarzen Steine knirschten unter ihren abgenutzten Turnschuhen. Sie hatte sie damals mit einer Freundin geklaut, in einem großen Kaufhaus. Wie oft hatte sie in ihrem Leben schon Scheiße gebaut? Wie oft hatte sie dafür die Quittung bekommen? Der dunkle Tunnel machte ihr Angst doch sie war fest entschlossen.

„5 Minuten“ schleuderte ihr die Anzeige entgegen, als sie die Treppen runterkam. Ihre Hände waren nass, sie wischte sie immer wieder an ihrer Jeans ab, doch es nützte nichts. Was würden ihre Eltern dazu sagen , würden sie es überhaupt bemerken?
Ihr Vater war nie sonderlich begeistert gewesen von seinem Mädchen.
Man wird in die Welt geworfen ohne gefragt zu werden, man bekommt sein Leben geschenkt und es gibt kein Rücktrittschein, keine Versicherung, keine Garantie.
Momente kommen und gehen doch man kann nicht einfach auf die Rückspieltaste drücken, wenn man versagt hat. Es gibt keine Möglichkeit, das Foto zu löschen, dass sich in den Kopf rein brennt.
Wollte sie es ihrem Vater verzeihen? In diesen 5 Minuten? Die Schläge, die Ignoranz, die Beleidigung, das erste, falsche Geschenk?
Sie roch die Kälte, die ihr in die Nase kroch, sie sog die kalte Luft ein, ballte ihre Hände zu Fäusten, lockerte sie wieder, schloss die Augen, öffnete sie wieder.
Schritt für Schritt der Erlösung entgegen, ihre Beine fühlten sich an wie Blei.
Was war ihr Leben? Was hatte sie schon erreicht? Ihre Familie ein Witz, was bedeutete ihr schon die Familie? Was bedeutete sie ihrer Familie? Im Dreck lag sie und niemand zog sie hoch, verächtlich betrachtete sie der Schatten ihrer Selbst. Die rettende Hand blieb aus, was blieb war der Staub in ihren Augen. Wer war sie?Von geglückter Selbstfindung war nie die Rede gewesen, doch versucht hatte sie es oft. Aufgerappelt hatte sie sich, ihre geschwärzten Fingernägel betrachtend wurde sie wieder zu Boden gerissen. Mehr Dreck im Mund als Zähne und würgend am Boden liegend, das war ihr Weg. Das war der Weg ihres Lebens. Ihre Schultern wogen leicht bis dahin, bis sie anfing sich selbst immer wieder reinzureiten. Welche Perspektive hatte sie? Verlassen von den Verantwortlichen, zu Boden geworfen von den Außenstehenden, Vertrieben aus ihrem zu Hause. Der junge Mann, der ihr nah stand, als grüne Oase in der Wüste. Die ständige Frage in ihrem Kopf: pure Realität oder eine gewaltige Fatamorgana?
Es war ein normaler Morgen, die Menschen gingen zum Bäcker und holten Semmeln, fuhren in die Arbeit oder schimpften mit ihren Kindern, die in die Pfützen sprangen. Wie neidisch war sie auf diese Zwerge, um die sich jemand kümmerte.
Sie verlor jegliches Zeitgefühl, die Zeit im Tunnel kam ihr schon ewig vor, das Leben wie ein Film vorüberziehend. Konnte ihre Erinnerung kürzer als 5 Minuten sein? Ihr Leben war geprägt von Mitteln, die das Vergessen einfacher machten, doch trotzdem konnte es doch nicht nur so wenige Erinnerungen geben.
Sie hatte die Stelle gefunden, der Tunnel war mehrspurig angelegt und relativ hell an diesem Ort.
Sie legte ihr hübsches Gesicht auf das Metall. Sie erschrak bei der Kälte, doch sie dachte, dass dies das einzig Richtige ist, was sie je in ihrem Leben tun würde. Noch einmal sog sie die Luft so tief in ihren Körper ein, Tränen rannen ihr über das Gesicht. Sie hatte nicht bemerkt, dass sie schon lang weinte, erst jetzt als der Schleier sich auflöste und quer über ihr Gesicht lief.
Sie weinte nicht, weil sie das hier tat. Sie weinte weil es so weit kommen musste. Sie weinte aus ihrer Verzweiflung heraus, dass ihr Geschenk kleiner ausgefallen war. Und sie weinte, weil sie es nicht hingenommen und das Beste daraus gemacht hatte, sondern es noch mehr zerstört hatte.
Das Gleis an ihrem Ohr fing an zu beben, sie hörte den leisen, knirschenden, eisernen Ton. So vieles tat ihr Leid in diesem Leben. Soviel hatte sie vor. Als kleines, naives Mädchen hatte sie geträumt eine Prinzessin zu sein, in einem großen Schloss und von jemanden der sie beschützte und liebte und nun lag sie hier auf dem Gleis auf dem Weg in die Unsterblichkeit ihrer Seele. Das Gleis war für viele das Symbol einer Reise, doch für sie würde es heute keine irdische Ankunft geben. Wo sie hinkommen würde, wusste sie nicht, sie hoffte nur auf etwas Besseres. Sie sah die Lichter auf sich zu rasen, sie hatte keine Ahnung, ob sie Engel in ihnen sehen sollte oder die Fratze des Teufels, das Geräusch war ohrenbetäubend. Nun war es soweit sie schloss die Augen nicht, ihre Pupillen wurden Stecknadel groß, ihr Mund öffnete sich ein letztes Mal, doch sie schrie nicht, sie weinte nicht mehr, sie zitterte nicht. Ihr Mund öffnete sich und hauchte, so leise dass sie es selbst kaum hören konnte "Und jetzt wird alles gut." .

 

hallo xdeniseex,

willkommen hier. Eine kleine Selbstmordgeschichte hast Du da geschrieben, nein, eigentlich eher einen düsteren Moment beschrieben.

Was für die Protagonistin bedrückend genug ist, um ihr Leben zu beenden, überträgt sich dem Leser leider nicht. Das liegt daran, dass die Last zu wenig konkret ist und nur allgemeine Verzweiflung angedeutet wird. Personen haben nicht einmal einen Namen, da gibt es nur den jungen Mann, der ihr nah stand - wenn schon die Hauptperson nur distanziert und berichthaft empfindet, wie soll dann ein Leser mitfiebern? Die Beschreibung von allgemeiner Normalität ('Semmeln holen') im Gegensatz zu den Tränen trägt das Ganze nicht, es ist zu wenig Fleisch am Gerippe und zu viel Klischee ('in die Welt geworfen') daran.

Viele Grüße vom
gox

 

Hallo gox,

danke für deine Kritik! Ich habe diese Geschichte reingestellt, um zu Lernen und werde mir deine Ratschläge zu Herzen nehmen.

Ich sollte vielleicht noch erwähnen warum ich diese Geschichte geschrieben habe. Ich habe mal in einer WG gewohnt und ein Mädchen, das vor mir dort gewohnt hat, hat sich auf diese Weise umgebracht. Ich kannte sie zwar nicht persönlich, aber Bilder, Erzählungen usw. von ihr / über sie.
Damals habe ich sehr viel darüber nachgedacht und dann diese Kurzgeschichte geschrieben. Ich weiß nicht mehr von ihr als das was sie getan hat, dass ihre Familie v.a. Vater nicht so gut zu ihr war und dass sie einen Freund hatte, mit dem sie manchmal glücklich war, manchmal nicht.
Zufälligerweise hat eine Bekannte von mir zu dieser Zeit ein Praktikum in der Patologie gemacht und sie hat genau dieses Mädchen wieder zusammen geflickt. Deshalb bin ich nicht mehr ins Detail gegangen 1. weil es auf einem Erlebnis beruht, das ich gemacht hab und 2. nicht mehr Informationen hatte.

Danke nochmal!

xdeniseex

 

hallo xdeniseex,

ja, man hat fast immer ein Problem damit, tatsächliche Geschichten aus dem Leben in eine funktionierende Kurzgeschichte umzuwandeln. Man selbst ist stark beeindruckt von den Geschehnissen, der Leser aber war nicht dabei und ist es nicht.

Insofern sind wahre Geschichten zwar völlig legitim, bedürfen für den Leser aber der literarischen Aufarbeitung, damit er nicht nur eine Art trockenen Zeitungsbericht vor sich hat. Wenn man so etwas in der Zeitung liest, lässt es einen meistens ziemlich kalt, weil man den Selbstmörder nicht kennt. Also hilf dem Leser, auf dass er das Mädchen und seine Motive kennen kann und mit ihm leidet.

Wenn Du keine konkreten Dinge kennt, hast Du ja Deine Fantasie!

Viele Grüße vom
gox

 

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