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Versagen

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09.09.2015
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Versagen

Es ist Zeit, einen Kaffee zu trinken. Seit zwei Stunden bin ich auf der Piste und ohne wache Lebensgeister ist das Laufen eine Zumutung. Die verdammten Wolfskin-Wanderschuhe scheuern an den kleinen Zehen, der zentnerschwere Rucksack zieht heute besonders an den Schultern und ich befürchte, gleich in der Taille auseinander zu brechen. Aber was soll das, ich brauche keine Ausreden, um mir einen Kaffee zu gönnen. Ich muss niemandem Rechenschaft über meine Befindlichkeiten ablegen, nicht einmal mir selbst.
Die kleine Bar fällt mir nur auf, weil die roten Plastikstühle mitten auf dem Weg wie Signalbojen aus dem Meer der gelbroten Pflastersteine leuchten. Wie ferngesteuert peile ich einen der Tische an der Hauswand an. Mauern, Umzäunungen, Hecken geben mir die Illusion von Sicherheit. Immerhin habe ich so meine Flanken im Blick und bin für eventuelle Angriffe gewappnet. Angriffe, immer diese Übertreibungen. Aber seit ich diese Reise angetreten habe, überfallen mich oft solche bizarren Ideen. Man sagt, Pilgern mache den Kopf frei. Eine haltlose Behauptung, mehr nicht.
Umständlich winde ich mich aus den Trageriemen des Rucksacks, um bloß nicht den straußeneigroßen Bluterguss am Oberarm zu berühren. Ein Andenken an die Anfangszeit meiner Reise, als ich das Monster im freien Fall mit meinem Bizeps abfangen wollte. Ein Fall von fataler Selbstüberschätzung.
Auf dem Fußabstreicher kriecht eine winzige Nacktschnecke, achtsam steige ich über sie hinweg. Der Perlenvorhang klimpert leise, als ich mich in die düstere Bar schiebe. Dunkles Holz und Naturstein, schlicht und rustikal, eine archaische Höhle wie hundert andere auch.
„Buenos dias.“ Ich lächle den Mann hinter dem Tresen an. „Un café con leche, por favor.“ Ich sollte auch eine Kleinigkeit essen. „Y un bocadillo con queso“, füge ich schnell hinzu.
Er brummt etwas Unverständliches in seinen Schnauzer und macht sich mit schwerfälligen Bewegungen am Kaffeeautomaten zu schaffen. Ein verirrter Schafhirte, der die Rolle des Baristas nur mimt, genauso schlecht wie ich die Pilgerin. Ich trete von einem Bein aufs andere, es gibt jetzt nichts Wichtigeres für mich, als die Schnecke zu bergen. Ich habe Angst, sie könnte in der Zwischenzeit von groben Wanderstiefeln zerquetscht werden. Hätte ich mich nur gleich um sie gekümmert! Wie lange dauert das denn noch?
Mein Geld liegt schon lange auf dem Tresen, als ich Kaffee und Brötchen entgegennehme und nach draußen balanciere.

„Na, du Kleine, du lebst ja gefährlich“, spreche ich zur Fußmatte, nachdem ich die Teller abgestellt habe. Aus meiner Seitentasche angle ich ein Papiertaschentuch und breite es vor dem Winzling aus.
„Spielst du schon wieder den Schutzengel, mein Spatz?“, höre ich die warme Stimme meiner Mutter. So klar, dass ich glaube, sie stände neben mir.
Die Schnecke macht mir die Freude und bewegt sich in die Richtung, in der ich sie haben will. Anfassen wäre keine Option, ich ekle mich vor dem Schleim. Auf ihrem fliegenden Teppich lasse ich sie auf das angrenzende Mäuerchen schweben. Meine Mission ist geglückt und ich bin zufrieden, nun kann ich meinen Kaffee genießen, der allerdings in der Zwischenzeit kalt geworden ist.
Ich schiebe die Sonnenbrille auf die Nase, dann schließe ich die Augen und lasse meine Gedanken treiben. Sie landen bei Robert, sein Gesicht erscheint wie ein Zerrbild, aber sein mitleidiges Lächeln kann ich erkennen. „Wer weiß, wofür diese Reise gut ist? Vielleicht spricht man dich in Santiago heilig oder selig oder sonst was. Die heilige Klara, Schutzpatronin aller vergessenen und gequälten Wesen, aller Hinfaller-und-nicht-wieder-Aufsteher.“
Es macht mich traurig und unsicher, dass mein Mann nicht begreift, ich muss mich um Kreaturen sorgen, die sonst keiner wahrnimmt. Ich nenne es Achtung vor dem Leben. Vielleicht hätte ich ihm das klar und deutlich sagen müssen, um ihm seine Überlegenheit aus dem Gesicht zu radieren.
Wenigstens hat er mir keine Steine in den Weg gelegt, darauf kommt es an. Das Wortspiel gefällt mir: Steine in den Weg legen, da hätte er alle Hände voll zu tun, achthundert Kilometer Camino. Jetzt sitze ich hier, alleine, lasse mich von der Sonne wärmen.
Die Schnecke ist verschwunden. Der Nachbar wird sich freuen, wenn sie sich über den Salat in seinem Garten hermacht.
„Unnützes Viehzeug!“ Ich zucke zusammen. Oma? Noch während ich aufspringe, sehe ich einen Schatten über die Hauswand huschen, der augenblicklich mit ihr verschmilzt, selbst zu Stein wird.
Schwerfällig schultere ich den Rucksack. Buen camino!

Mit gesenktem Kopf trabe ich weiter, starre auf den roten Staub der Maragateria, als wäre unter ihm die Antwort auf die Frage verborgen: Wer bin ich wirklich? Ich müsse nur genauer hinschauen. Mit einem Mal erscheint mir das Pilgern wie eine Schnapsidee, lächerlich, sinnlos und dumm.
Was mir bleibt, weiterhin einen Fuß vor den anderen zu setzen und den gelben Pfeilen zu folgen, oder noch besser, wieder eine Pause einzulegen.
Ich nehme einen kräftigen Zug aus der Wasserflasche und schlucke die Zweifel hinunter. Wie aus dem Nichts erscheint ein Sandwirbel auf dem Pfad und tanzt wie ein verrückter Tornado. Ein Rotkehlchen flattert ein Stück neben mir her, lässt sich im Gestrüpp nieder und mustert mich mit dunklen Knopfaugen. Dann zwitschert es munter, einen Gruß oder ein Spottlied, ich verstehe die Botschaft nicht.
Nachdenklich beobachte ich eine einsame Wolke, die sich allmählich auflöst, so wie meine Hoffnung, jemals mein wahres Selbst zu erkennen. Mir ist, als wolle ich meinen Schatten fangen. Er ist so nah, doch immer wenn ich nach ihm greife, entwischt er.

Allmählich steigt der Weg an, vor mir erstreckt sich die Bergkette der Montes de León, sie ruft Erinnerungen an die Heimat wach, an Wanderungen durch dunkle Nadelwälder. Dahinter erwartet mich Ponferrada, wahrscheinlich die nächste Gelegenheit, um in den Fernbus nach Santiago zu steigen. Eine verführerische Idee, mich und meinen Rucksack die letzten zweihundert Kilometer über Schnellstraßen schaukeln zu lassen. Nur weg aus dieser Sinnlosigkeit. Irgendeinen Flieger würde ich finden, der mich nach Hause brächte. Endlich wieder im eigenen kuscheligem Bett schlafen, anstatt auf den durchgelegenen Matratzen in den Herbergen.

Der Anblick von Santa Catalina de irgendwas ist auch nicht geeignet, mein Stimmungstief zu heben. Im Glockenturm hat sich ein Storchenpaar niedergelassen. Die Idylle ist trügerisch, ich spüre es, das ist kein heiliger, sondern ein vergessener Ort.
Ich passiere Fassaden aus rotem Schiefer, die Fenster der Gebäude vergittert, die Türen geschlossen und ich frage mich, ob ihre Bewohner, Greise und Vergessene, das Licht der Mittagssonne scheuen. Die Werbetafeln und Blumenkübel vor dem Gasthaus und der Herberge sind die einzigen Farbtupfer, die die Eintönigkeit brechen. Irgendwo in der Ferne blafft ein Hund, die Luft flimmert über der gepflasterten Dorfstraße.
Auf den ausgetretenen Treppenstufen eines Bauernhofes sitzt eine dreifarbige Katze in der Sonne und putzt ihr glanzloses, struppiges Fell. „Hallo Miezi!“, begrüße ich sie. Unbeeindruckt schaut sie kurz zu mir auf, anscheinend hat sie keine Lust auf ein Gespräch von Frau zu Frau. Als ich sie streicheln will, huscht sie durch ein Loch des maroden Bretterzauns. Ich erhasche einen Blick auf ihren ausgemergelten Körper, auf ihren Bauch, der fast auf dem Boden schleift. Dann höre ich ihre Klagelaute, ihr jämmerliches Rufen. Wusste ich es doch, sie sucht ihren Nachwuchs.

Mir ist, als öffnete sich der Samtvorhang vor einer Kinoleinwand, bevor der Hauptfilm beginnt. Die erste Kameraeinstellung: Ein kleines Bauernhaus, weiß getünchte Wände, Geranien vor den Fenstern, gackernde Hühner im Garten. Ich sehe ein Mädchen aus der Haustür kommen und die Treppenstufen herunterspringen. Es summt ein Liedchen. Die leichten Sandalen sind viel zu groß und es rutscht in ihnen hin und her, als wären sie mit Schmierseife eingerieben. Die Frisur zum Schreien. Wahrscheinlich hat die Kleine selbst Hand angelegt.
Wie alt wird sie sein? Vier, fünf Jahre vielleicht?
Die Kleine legt den Kopf schräg, lächelt mich schüchtern an, nimmt mich bei der Hand und zieht mich mit. Bereitwillig folge ich ihr. Ich glaube zu wissen, was sie mir zeigen wird.
Wir schauen uns verstohlen um. Niemand hat gesehen, dass wir das Grundstück verlassen. Unser Weg führt zunächst am Zaun entlang, dann schlagen wir einen Haken zum nahe gelegenen Kornfeld. Am Rand des Feldes hat sich eine Katze im Gras ein Wochenbett gebaut. Nassglänzende Neugeborene drängen sich an ihren Leib und ringen mit piepsigen Stimmchen um die Milchdrüsen. So klein und schon so verfressen. Die alte Katze putzt und leckt die Feuchtigkeit vom Fell der kleinen Tiger.
Ein Schatten fällt auf das Gesicht des Kindes. Dann sehe ich das Entsetzen in seinen Augen.
Die Katze schleckt nicht. Sie frisst gerade ein Junges auf.
Beherzt, mit dem Mut der Verzweiflung rafft die Kleine ihr Schürzchen und packt ein Neugeborenes nach dem anderen hinein, um sie vor der Fressgier der Mutter zu schützen.
Ich schaue ihr noch nach, wie sie den Wurf ins Haus zur Mutti trägt. „Mama, Mama, die Miezi will ihre Babys fressen! Ich habe sie gerettet!“

Meine Mutter hatte über mich gelacht, mir zärtlich übers Haar gestrichen und mir erklärt, dass die Miezi niemals ihre Kinder fressen würde, dafür hätte sie sie viel zu lieb. Das weiß ich noch, als wäre es gestern gewesen. Es kostete sie einiges an Überredungskunst, mich davon zu überzeugen, die jungen Kätzchen zurückzubringen. Aber irgendwann glaubte ich ihren Versprechungen, dass alles gut werde. Ich brachte die Schreihälse dorthin zurück, wo sie hingehörten. Dankbar und flink leckte die alte Katze die drei Entführten ab.
Dummköpfchen, denke ich. Aber woher sollte ich damals auch wissen, dass die Katze nur die Nachgeburt gefressen hatte, und soweit ich mich erinnere, hat mich niemand aufgeklärt, kein Wort über Bienchen und Blumen verlauten lassen und auch nicht über die anderen Dinge des Lebens.

Den ganzen Nachmittag war ich damit beschäftigt, mich immer wieder heimlich zum Bett im Kornfeld zu schleichen, um zu prüfen, ob meine Mutter die Wahrheit gesprochen hatte. Ich konnte mich überzeugen: Alles war gut. Die kleinen, wunderschönen Tiger saugten gierig und die alte Katze, erschöpft von der Geburt, schnurrte leise vor sich hin.
Was weiß eine Vierjährige schon vom Wunder des Lebens. Trotzdem muss ich das Besondere, das Großartige dieses Ereignisses erspürt haben. Still und verzaubert kauerte ich im Gras. Zaghaft streichelte ich die warmen, samtweichen Körper, darauf bedacht, ihnen nicht wehzutun.

Ich lächle glücklich. Die Erinnerung beflügelt mich, meine Schritte sind leicht und federnd. Der Duft von gemähtem Gras und weidenden Kühen liegt in der Luft. Ein Blitz zuckt durch mein Hirn: Meine Oma, braun gebrannt, mit hartem Gesichtsausdruck.
Geh’ weg!
Nein, ich will das nicht sehen! Aber ich bin wehrlos, die Erinnerung greift mit eisigen Fingern nach mir.

Großmutter nähert sich mit energischen, raumgreifenden Schritten dem kleinen Gehöft.
Freudestrahlend renne ich ihr in meinen viel zu großen Sandalen entgegen. Schon von Weitem rufe ich: „Oma, Oma, die Katze hat Junge!“
Sie lässt sich von mir zu der kleinen Familie am Feldrain führen. Ich hüpfte vor ihr her, die Grashalme kitzeln an meinen Beinen.
Plötzlich hat sie es sehr eilig. Ein kurzer Blick auf den Wurf, mit geübtem Griff reißt sie ein Katzenkind nach dem anderen von der Milchdrüse der Mutter und auch sie nutzt ihre geraffte Schürze als Transportmittel für die wimmernde Brut. Jetzt stolpere ich hinter ihr her und will sie um jeden Preis aufhalten, denn mir ist klar, hier läuft etwas falsch. Ich falle hin, rapple mich wieder auf, renne weiter.
Wie ein entschlossener Krieger postiert sich meine Großmutter vor dem Scheunentor, ihr Gesicht versteinert. Mit ihrer linken Hand hält sie den Schürzensaum umfasst, ihre Rechte greift sich das erste Kätzchen und schleudert es mit aller Kraft an das Tor. Ein dumpfes Geräusch, ein Leben ausgelöscht.
„Nein“, schreie ich wie am Spieß und laufe zu ihr, zerre an ihrem Rock, präsent, aber nicht hinderlich. Ehe ich mich versehe, fliegt das zweite Geschwisterchen durch die Luft, piepst entsetzlich, bevor der Aufprall seiner Angst und seinem Leben ein Ende setzt.
Vielleicht gibt es eine Möglichkeit für mich, wenigstens das letzte Kätzchen zu retten. Ich umklammere Omas Bein - sie soll ihren Halt verlieren - und flehe sie an: „Oma, Oma, bitte nicht!“
Sie hört mich nicht. Wieder das ängstliches Quieken, die hilflose Kreatur im Flug, der Laut, der den Tod bedeutet. Stille.
Oma hat entschieden. Ich habe versagt.
Sie nimmt mich endlich wahr, nur um mich wie ein lästiges Insekt wegzuschieben. Dann bückt sie sich nach den winzigen Kadavern und schmeißt sie achtlos auf den Misthaufen.
Meine Großmutter blafft: „Lass das Geflenne!“ Dann lässt sie mich stehen. „Unnützes Viehzeug.“
Ich schluchzte, als könnte ich mein Leben lang niemals wieder damit aufhören. Meine Hände sind zu Fäusten geballt. Ein hilfloser Zwerg am Rande der Verzweiflung.

Eine erwachsene Frau Jahrzehnte später, die leise vor sich hin weint. Salzige Rinnsale des Schmerzes. Und obwohl ich weiß, es ist das Kind in mir, das unter dem Gefühl der Trauer leidet, kann ich nicht damit aufhören.
Ich erkenne, ich muss den Schmerz aus dieser vergangenen Zeit zulassen. Ich muss ihn akzeptieren, nur für eine Weile. Irgendwann wird er schrumpfen, dann kann ich mich befreien von allen Zweifeln an mir selbst.
Ich öffne die Fäuste. Ich muss weiter, muss meinen Weg gehen.

Schwarze Knopfaugen beobachten mich. Das Rotkehlchen legt sein Köpfchen schräg und singt sein Lied.

 

Hola josé,

Dankeschön für deine liebenswürdigen Anmerkungen, die mich erröten lassen:

Mir hat das Lesen Spaß gemacht, auch deshalb, weil ich jetzt meine, (‚bei einer Blindverkostung’ hätte ich beinahe geschrieben) beim Maskenball Deinen Stil mit fast untrüglicher Sicherheit herausfinden zu können.
Ja, das wäre durchaus möglich. Mir wäre lieber, ich könnte mehr Flexibilität an den Tag legen. Im Augenblick empfinde ich das selber so, dass bei den letzten KGs immer die gleiche Erzählstimme spricht, meist ernsthaft-melancholisch, dann kommt ein Spritzer Ironie (im ungünstigen Falle Zynismus) ins Spiel, von den ausgenuckelten „Gags“ will ich gar nicht sprechen. Habe endlich begriffen, die müssen eliminiert werden.

Da bist Du mit Sieben-Meilen-Stiefeln vorwärts gestürmt!
Es ist toll, wenn du eine Entwicklung feststellst. Kann es dennoch sein, dass dieses Urteil ein wenig von wohlwollenden, freundschaftlichen Gefühlen beeinflusst wird? Ich fände das nämlich … verständlich, menschlich, wärmend.

Ein paar minimale Pünktchen hätte ich eventuell und unter gewissen Umständen leicht hüstelnd anzumerken , jedoch werde ich jetzt – Caramba! – diesen ganzen kleinlichen Scheiß, den ich nicht als Kritik, sondern in Frageform posten wollte, löschen.

Ich verschiebe meinen Post auf die Zeit nach der Überarbeitung.
Abgemacht. Caramba wird nachgereicht.

Liebevoll, aber auch sorgfältig ist dieser Text geschrieben, die Autorin ist uneitel bis zur zarten Selbstironie und alles liest sich wunderbar, denn es ist wahr und schön.
Na ja, ein paar Vorkommnisse entsprechen der Realität, anderes ist reine Fiktion, zum Beispiel die Wolfskin-Schuhe sind meiner Fantasie entsprungen, du sagst ja selbst, es handelt sich um Sieben-Meilen-Stiefel.
Und Erinnerungen, besonders die, die älter als einen Tag alt sind, könnten romantisch verklärt oder dramatisch überzogen sein.

Es wäre schade gewesen, die Reise abzubrechen, weil dann weder Pilgerin noch Leser auf ihre Kosten gekommen wären.
Da blitz sie wieder durch, die Lebensweisheit von José.
Aber weißt du da womöglich mehr als ich? :confused:

Vielen Dank für den gigantischen Blumenstrauß. Ich stell ihn ins Wasser und die Vase rücke ich so, dass ich meine Selbstzweifel nicht sehen kann (wenigstens eine Zeit lang).

Liebe Grüße aus der Hochburg des Karnevals,
peregrina

Hallo The Incredible Holg,

nur eine Richtigstellung zu meiner letztlich getroffenen Aussage:

Innere Widersprüche existieren auf alle Fälle, aus unterschiedlichen Erziehungsansätzen resultieren sie sicher nicht.
Du antwortest mir:
Ich denke, jeder Mensch, mit dem wir interagieren, trägt - mehr oder weniger zielgerichtet - zu unserer "Erziehung" bei. Die drei Nebenpersonen in deiner Geschichte (Robert, Mutter, Großmutter) haben alle einen Einfluss auf Klara, jeder bringt sie in irgendeine Rolle, in der sie sich so oder anders verhält.
Natürlich, absolut, das kann gar nicht anders sein. Ich wollte ausdrücken, dass ich diesen Aspekt beim Schreiben gar nicht im Auge hatte. (Irgendwann lerne auch ich, Sachverhalte so korrekt auszudrücken, dass mich mein Gesprächspartner begreift.) :D

Aber durch unsere Diskussion darüber und durch den späteren Impuls von wieselmaus bin ich auf eine gute Lösung für die zu stark aufgeblähte Robert-Beziehungskiste gestoßen, bilde ich mir ein. Ich werde da Luft ablassen und die anderen Personen (Mutter und Oma) schon früher Gedanken äußern lassen. Da kommen sie in der zweiten Hälfte der KG nicht so unvermittelt.

Danke für dein nochmaliges Auftauchen und das intensive Auseinandersetzen mit der KG.
Ist schon bewundernswert, wie tief du in den Kopf der Figur Klara eingetaucht bist.

Sturmfreies Wochenende wünscht dir peregrina


Liebe wieselmaus,

du hast es sicher schon gelesen, deine Anmerkungen haben eine kleine, sympathische Lawine ins Rollen gebracht. Als ich deinen Komm las, war es mir, als würde sich ein bisher unscharfes Bild mit einem Mal klären.
Das ist er, der Schlüsseltext:

Ich möchte eher zum Thema Stringenz etwas sagen. Da geht es mir wie barnhelm. Eigentlich könnte ich auf Robert gerne verzichten. Er ist für mich höchstens als Katalysator von Bedeutung für einen Prozess, der schon in früher Kindheit begonnen hat:

... Wunder des Lebens. Trotzdem muss ich das Besondere, das Großartige dieses Ereignisses gespürt haben.

Meine Schlussfolgerung:
Die Rolle Roberts wird bei der Überarbeitung geschwächt, die anderen Personen dürfen ihre Gedanken im ersten Teil der KG äußern und, wie gesagt, fallen sie dann wenigstens im zweiten Teil der KG für den Leser nicht aus heiterem Himmel.
Könnte eine geschmeidige Lösungsvariante sein, die zarte Verbindung von Teil eins und zwei zu stabilisieren. Na ja, wird sich spätestens beim Ummodeln zeigen.
Nicht alle im Leben der Prota haben diesen frühen Blick als Stärke wahrgenommen, nicht die Familie, nicht der gefühlskalte Ehemann. So muss sie sich eben auf den Weg machen, um Gefühle in Gewissheit zu verwandeln.
Das ist es, diese Erkenntnis müsste beim Leser einschlagen wie eine Bombe.

Du traust dich was. Hast keine Furcht davor, ein Ambiente für dein Thema zu wählen, das in den letzten Jahren von sehr vielen Menschen vereinnahmt wurde, geradezu einen Boom ausgelöst hat.
Da hab ich mal die Suchmaschine bemüht und ein paar Zahlen angesehen. Trend steigend, die Menschenflut ist möglicherweise wirklich als Modeerscheinung zu werten.
Aber wer bin ich, dass ich mir darüber ein Urteil anmaßen dürfte?

Ist das nun schlecht, die Idee, zwecks Selbstfindung den Jakobsweg zu gehen, zu wählen? Nur weil andere schon vor deiner Prota dort unterwegs waren?
Ich habe lange überlegt.
Ich weiß es nicht. Wenn ich die Idee Klaras, den Camino zu gehen, als unklug angesehen hätte, dann hätte ich sie nicht dahin geschickt. Sie musste raus aus dem Alltag, ihre Komfortzone verlassen, Abstand zu Robert bekommen und nicht zuletzt, wie du so treffend ausdrückst, sollte das Setting diesen „Läuterungsnimbus“ haben.

Und dieser Weg führt zur Reflexion. Anders als @Kanji finde ich hier die reflektierenden Passagen ganz in Ordnung. Meditatives Wandern kann sehr wohl zu Klarheit für Klara führen. Dabei begleite ich sie gerne. (Da braucht es keinen Umweg über den Western).
Von dem Westernstadtgelaber hab ich mich gedanklich schon verabschiedet. Wo barnhelm recht hat, hat sie recht.

Außerdem gefällt mir deine Sprache gut. Da hast du einiges an Sicherheit dazugewonnen.
Und ich hab mir eingebildet, dass meine Sprache bisher der einzige Punkt war, den man nicht beanstanden konnte.
Aua, nur ein kurzer Höhenflug, bin schon wieder auf dem Boden der Realität aufgeschlagen.

Danke vielmals für deine Rückmeldung und auch für die aufmunternden Worte, die einfach nur Mut machen.

Auch dir ein sonniges Wochenende und sei ganz lieb gegrüßt von peregrina


Hallo Bea Milana,

hab gerade deinen Kommentar gesehen, erst mal danke dafür.
Morgen werde ich mich ausführlich äußern.

Einen angenehmen Abend wünscht dir peregrina

 

Hallo peregrina,

endlich komme ich dazu, auch Deine Geschichte ein wenig zu kommentieren. Zunächst ein paar Textstellen, sozusagen spitzfindiger Kleinkram:

Es wird Zeit, einen Kaffee zu trinken.

Ich mag diesen Ausdruck nicht, "es wird Zeit", weil er für mich so nichtssagend ist. Wann ist denn dann der Zeitpunkt gekommen, zu dem es Zeit wird, Kaffee zu trinken? Ich weiß, das ist spitzfindig.

Warum nicht einfach: "Es ist Zeit, einen Kaffee zu trinken."

Und gleich die nächste Spitzfindigkeit:

der tonnenschwere Rucksack drückt schwer auf die Schultern

"Drücken" meint eine Kraft, die in die Richtung geht, in die sie wirkt (denk an einen Pfeil, dann ist die Spitze des Pfeils an dem Punkt, wo die Kraft angreift). Danach müsste der Rucksack also auf den Schultern sitzen. Nachdem der Rucksack aber runterhängt, kann er nur an den Schulter ziehen.

Hier musste ich schmunzeln, bin mir aber nicht sicher, ob das Deine Absicht ist:

um bloß nicht den straußeneigroßen Bluterguss am Oberarm

Ich befürchte, wenn Deine Protagonistin nicht Arnold Schwarzenegger ist, dann bringt man auf ihrem Oberarm einfach keinen so großen Bluterguss unter. Wenn die Übertreibung Absicht ist, dann ist das Bild gut. Wenn nicht, sollte das Ei kleiner werden (Hühnerei dürfte passen).

Angrabschen wäre keine Option, ich ekle mich vor dem Schleim.

Das Wort "Angrabschen" passt für mich irgendwie nicht an dieser Stelle. Die Person, die ich vor Augen habe, würde das Wort hier nicht verwenden (eher vielleicht, wenn sie unsittlich berührt wird). Was hältst Du von "Berühren" oder etwas in der Richtung?

der allerdings in der Zwischenzeit kalt geworden ist.

So lange hat die Aktion nach meinem Empfinden nicht gedauert, dass er wirklich kalt geworden ist (außer die Außentemperatur wäre sehr niedrig, wofür es aber keinen Anhaltspunkt gibt [oder ich habe ihn überlesen]).

Ich weiß nicht ganz genau warum, aber hier:

als wären in den Schlaglöchern alle Antworten verborgen.

Fand ich das Wort "alle" unpassend. Vielleicht, weil mir das zu viel, zu übertrieben ist. Daher wäre das für mich ein Streichkandidat.

Den Satz finde ich für seine Aussage zu kompliziert bzw. der "geeignet" Teil ist überflüssig:

Der Anblick, der sich mir bietet, ist auch nicht geeignet, mein Stimmungstief zu heben.

Kürzere Variante: "Der Anblick, der sich mir bietet, hebt mein Stimmungstief auch nicht."

Wobei ich es auch ganz gut fände, gleich die Information zu bringen, um welchen Anblick es sich handelt.

"Der Anblick auf Santa Catalina hebt mein Stimmungstief auch nicht."

Ich habe gesehen, dass es hierzu eine Diskussion gab:

Mir ist, als öffnete sich der Samtvorhang vor einer Kinoleinwand, bevor der Hauptfilm begänne.

Ich habe da eine klare Meinung. Der Konjunktiv, der durch "mir ist" ausgelöst wird, erstreckt sich nur auf das Öffnen des Samtvorhangs und nicht auf den Beginn des Hauptfilms.

Danach müsste es heißen:

Mir ist, als öffnete sich der Samtvorhang vor einer Kinoleinwand bevor der Hauptfilm beginnt.

Der Grund ist, dass das "mir ist" nur eine Situation ausdrücken, an die sich die Protagonistin erinnert und diese Situation ist "Öffnen des Samtvorhangs vor einer Kinoleinwand vor Beginn des Hauptfilms".

Was dieser Satz aber nicht ausdrücken soll: mir ist, als begänne der Hauptfilm.

Der Beginn des Hauptfilms ist innerhalb des Bildes nicht eine Eventualität, sondern quasi in Stein gemeißelt.

Die leichten Sandalen sind viel zu groß und sie rutscht in ihnen hin und her, als wären sie mit Schmierseife eingerieben.

Hier gibt es ein Bezugsproblem. Das erste "sie" bezieht sich auf die Göre, das zweite auf die Sandalen. Das ist einem zwar klar beim lesen, aber unschön. Das lässt sich nicht so leicht lösen, zumindest nicht, ohne ein weiteres Substantiv einzuführen. Z. B.: "Ihre Füßen rutschen in den zu großen Sandalen hin und her, als wäre sie mit Schmierseife eingerieben". Hier ist zwar der Bezug auch nicht 100% klar, aber egal, ob man die Schmierseife auf die Sandalen oder auf die Füße bezieht, entsteht das richtige Bild.

dann schlagen wir einen Haken zum nahegelegenen Kornfeld. Wir sind angekommen. Am Rand des Feldes hat sich eine Katze im Gras ein Wochenbett gebaut.

Der Satz "Wir sind angekommen." ist aus meiner Sicht überflüssig.

Der Duft von gemähtem Gras und weidenden Kühen liegt in der Luft.

Ist Duft von weidenden Kühen anders, als der von nicht weidenden Kühen?

So, jetzt darfst Du mich für meine Spitzfindigkeiten hassen, aber vielleicht kannst Du mit der einen oder anderen etwas anfangen.

Ansonsten habe ich Deine kleine Pilgerreise gerne gelesen, trotz des etwas grausigen Endes. Ich hätte mir nur etwas mehr innere Aufarbeitung bei Deiner Protagonistin gewünscht. Es sind zwar viele Erinnerungen hochgekommen, aber oftmals macht man eine solche Reise auch, um etwas im Leben zu ändern. Diese Motivation kam mir etwas zu kurz und sie hätte der Geschichte vielleicht noch etwas mehr Tiefe verleihen können.

Gruß
Geschichtenwerker

 
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Hallo Carlo Zwei,

danke für deine Meinung. Sorry, die Beantwortung der Komms dauert bei mir immer etwas lange. Aber wer ist schon vollkommen? :D

beim Lesen deiner Geschichte sind mir viele gute Beobachtungen aufgefallen. Das Tempo war für mich stimmig und ich mochte das Bildhafte, Harmonische deiner Geschichte,
ausgesprochen wichtig zu erfahren, wie der Text wahrgenommen wird

… mit dem du ja dann Ende des zweiten Drittels brichst, was ich ebenfalls gut fand.
ebenfalls wichtig, wie dieser „Bruch“ empfunden wird, dass er für dich nicht negativ besetzt ist, beruhigt mich

Der Text hat sich für mich gelesen wie ein literarisch überformter Eintrag aus einem Reisetagebuch.
An dieser Stelle denke ich, vielleicht sollte ich wirklich mal ein paar tiefere Einblicke in das in meinen Augen total romantisch verklärte Pilgerleben (subjektiv) geben, als Abschreckung oder Aufforderung für alle, die sich mit dem Gedanken tragen …

Es gibt auf jeden Fall einen Bogen, aber es werden auch Dinge angesprochen (Robert, der Kaffee in der Bar) die nicht wirklich weitergeführt werden.
Der Kaffee spielt ja keine tragende Rolle, der wird halt getrunken, um aufzumöbeln, den kann ich in meiner selbstkritischen Betrachtung vernachlässigen.
Aber Robert, der ja einen Konflikt in Klaras Leben aufdeckt, der müsste nach dem „Bruch“ wenigstens erwähnt werden. Da hast du auf jeden Fall recht.
Ich habe das von Anfang an so gesehen, bin quasi sehenden Auges, nicht ins Verderben, aber in die Schlacht bei den WK marschiert (in Ermangelung einer besseren Lösung und in der Hoffnung auf Hilfe).

Manchmal, das ist mir aufgefallen, bin ich mit den humorvollen, so leicht ironischen Gedanken deiner Protagonistin nicht so auf einer Wellenlänge. Oft aber auch schon.
So wird das immer sein. Manches mag man, anderes empfindet man als abgenagten Knochen, wie nachfolgende Aussage.
Ein Witz, nur dass ich nicht gelacht habe.
Das hab ich als humorvolle Bemerkung schon zu oft gehört. Der Vergleich mit dem Witz hinkt ein bisschen und deshalb hört es sich für mich so dahergesagt an.
Schön, dass du deine Meinung an Beispielen festmachst. Mal sehen, was ich tun kann, ändern oder eliminieren.

die über die Dorfstraße rollen und der Sheriff, der hackedicht aus dem Saloon torkelt. Toll, der könnte dann wenigstens meinen Rucksack ein Stück tragen.
Das ist für mich irgendwie ein bisschen rausgefallen, auch wenn es zum assoziativen Erzählen deiner Story passt. Es war mir hier einfach etwas zu viel, glaube ich. Ich denke, der Sprung ist mir etwas zu groß und das "toll" hat sich so umgangssprachlich gelesen.
Diese Passage wird den Heldentot sterben, das ist schon beschlossene Sache.
Du bestätigst hier, was auch andere WK bemängelt haben.

Wie alt wird sie sein? Vier Jahre, keinen Tag älter.
die Frage und die Präzise Antwort erzeugen für mich einen kleinen Widerspruch. Nach so einer schätzenden, suchenden Frage hätte ich eine Vermutung in der Art "Wie alt wird sie sein? Drei, vier Jahre vielleicht" erwartet.
Da bringst du mich ins Schleudern. Ich dachte, da die Erzählerin weiß, dass sie sich selber sieht, darf sie so präzise sein. Gegen mein Argument spricht, dass sie auch aus der Erinnerung heraus eigentlich nicht wissen kann, wie alt sie wirklich war.
Da nehme ich deinen Vorschlag wohl auf.

Die Katze schleckt nicht. Sie frisst gerade ein Junges auf.
Guter Kippmoment. Kam Plötzlich und hat mich beim Lesen ordentlich aufgeweckt.
Auch so eine wichtige Rückmeldung von dir. Da die Handlung ehe ruhig und beschaulich vor sich hin schleicht, musste dieser Moment sein. Wenn er wirklich aufweckt, dann ist es prima. Deswegen kann ich hier auch nicht mit der Möglichkeitsform arbeiten, die würde den „Schreck“ minimieren.

Ich rufe mich zur Ordnung, ich wollte doch nicht an Robert denken.
Hier hab ich mich wie meine Vorredner gefragt, ob es Bezüge zur Geschichte von Peeperkorn gibt, oder ob das zufällig ist (vielleicht erwacht ja auch bei mehr als einem/r SchriftstellerIn die Reiselust zur Zeit) :>
Wieso an dieser Stelle?
Vorredner The Incredible Holg wollte auch wissen, ob er wichtige Events und geheime Absprachen in unserem Clubs verpasst hat, wie zum Beispiel die „Wortkrieger-Wanderwochen“ und „Katzenkiller-Kampagne“. Da bin ich ihm eine Antwort schuldig geblieben, weil ich nicht weiß, was ich sagen könnte.
Als Erklärung: Mir hat es die Sprache verschlagen, als ich die Langgeschichte von Peeperkorn gelesen hatte.
Wobei die Fortbewegungsform des Wanderns mir nicht so viel zu denken gab als die Parallele zur Katzentötung. Also, Wandern und Katzen sind die einzigen Bezüge, die der Zufall angespült hat, was sonst. Der Erscheinungszeitpunkt könnte noch Anlass zur Verwunderung geben oder im ungünstigsten Falle Ideen-Diebstahl implizieren. (Ich denke aber nicht, dass mir das jemand unterstellen will.) Aber da ich weiß, dass meine KG schon klar war, als „Antons Versuch“ erschien (15.02.), und die Zielvorgabe zur Veröffentlichung meiner KG (20.02.) für mich feststand, habe ich insgesamt kein ungutes Gefühl.


Ich danke dir vielmals für dein Zeit-Investment, deine wichtigen Anregungen werden bei der Überarbeitung berücksichtigt,
bis bald und liebe Grüße,
peregrina

Hallo Bea Milana,
danke für deine differenzierten Gedanken zu meiner KG.

Sie ist gut geschrieben, aber ich tue mich etwas schwer mit zwei Dingen, Figur und Handlungsrahmen:…
Während ich den Handlungsrahmen selber als unzureichend, quasi den Einstieg nur als einen Teil der KG sehe (kein geschlossener Rahmen), würde ich gerne die Figur Klara verteidigen.
In letzter Zeit habe ich für mich den Ich-Erzähler entdeckt, weil er irgendwie „Narrenfreiheit“ genießt. Du weißt schon, unzuverlässige Erzählstimme und alle Wahrnehmungen durch den subjektiven Filter gejagt. Manchmal ist diese Perspektive für mich auch wie eine sichere Deckung, aus der heraus ich die Gedanken und Gefühle meiner Protagonisten von vorneherein wirr und widersprüchlich sein lassen kann. Die Charaktere bieten, denke ich, eine kleinere Angriffsfläche für Kritik von außen. Manche Menschen ticken halt so, na und, kann doch der Autor nix dafür. Es ist möglich, dass ich eines Tages dieses Versteck verlasse, so bald ich mich sicherer in der Wahl meiner Formulierungen fühle. Dass natürlich meine „vermeintliche Rede-Freiheit“ auch als Schuss nach hinten losgehen könnte, hab ich nicht eingeplant, weil ich die Wahrnehmung durch den Leser außer Acht lasse. Deswegen find' ich es hilfreich, dass wir anhand vom ersten Absatz ein wenig tiefer in die Materie eindringen können.
Zitat von peregrina
Es wird Zeit, einen Kaffee zu trinken. Seit zwei Stunden bin ich auf der Piste und ohne wache Lebensgeister ist das Laufen eine Zumutung. Die verdammten Wolfskin-Wanderschuhe scheuern an den kleinen Zehen, der tonnenschwere Rucksack drückt schwer auf die Schultern und ich befürchte, gleich in der Taille auseinander zu brechen. Aber was soll das, ich brauche keine Ausreden, um mir einen Kaffee zu gönnen. Ich bin frei und ungebunden,selbstbestimmt fällt mir ein, ich muss niemandem Rechenschaft über meine Befindlichkeiten ablegen, nicht einmal mir selbst.
Was vermittelt mir dieser erste Absatz an Gefühl für die Figur?

- Die Frau ist nölig, weil sie bereits seit zwei Stunden wandert und ohne Kaffee ist das eine Zumutung.
Nach zwei Stunden schon am Jammern! Nicht nach acht.
Sie hat noch nichts gegessen und getrunken, sie braucht Koffein, um sich aufzupeppeln,
sie jammert nicht nach außen, macht ihre Unzufriedenheit mit sich aus, sie lächelt den Barmann immerhin an

- Sie trägt einen tonnenschweren Rucksack. Warum tonnenschwer? Daraus schließe ich: Sie ist nicht nur nölig, sondern auch unerfahren. Sie schleppt immer noch den ganzen Ballast mit sich herum.
für sie wiegt der Rucksack Tonnen, sie ist noch nicht mit ihm „verschmolzen“
Wenn du mit Ballast unnütze Dinge meinst, dann nein, sie hat ihren Rucksack sorgfältig gepackt. Solltest du Sorgen meinen, dann ja, die schleppt sie mit.
Wahrscheinlich ist das so gewollt, aber ich schließe daraus eine gewisse Unreife und Unfähigkeit ihr Verhalten zu ändern. Immerhin ist sie bereits seit zwei Wochen unterwegs.
Das ist deine Schlussfolgerung, ich kann in dem Falle deinen Gedanken nicht folgen

- Sie will niemandem Rechenschaft ablegen. Tut sie dann aber im gesamten Text.
Der Text strotzt nur so von Reflexionen, das mag ich, deshalb meine bewusste Wahl der Ich-Erzählinstanz

Es tut mir leid, Peregrina, symphatisch ist mir deine Prot nicht.
Es muss dir nicht leid tun. Du wirst es nicht glauben, diese Aussage erfreut mein Autorenherz ungemein.
Über die Wirkung Klaras auf den Leser hab ich mir gar keine Gedanken gemacht, das muss ich zu meiner Schande gestehen. Ich war auf der Suche nach glaubhaften Eigenschaften (zurückhaltend, still, sanft), nach Verhaltensweisen, die ihre Nöte, ihre Probleme unterstreichen können.
Da aber auch ernst offshore zu der Vermutung kam, ich hätte versucht, eine Sympathieträgerin zu kreieren, kann ich mir nur erklären, dass resultiert daraus, dass Robert und die Oma recht unsympathisch gezeichnet sind. Allerdings, das habe ich in voller Absicht getan und das hat auch richtig Spaß gemacht. Die Bösen sind eben doch die Interessanteren.:baddevil:
Zitat von peregrina
Die kleine Bar ist unscheinbar, nur mein Verlangen nach Koffein sorgt dafür, dass ich nicht vorbeischleiche.
Auf einmal taucht wie aus dem Nichts eine Bar auf. Wenn jemand am Pilgern ist, noch dazu in Spanien, würde ich gerne etwas über das trostlose Dorf oder die Kleinstadt oder zumindest einen Eindruck für die Umgebung des Cafés an dieser Stelle erfahren wollen.
Hast absolut recht, muss ich mir mehr Mühe geben, werde ich bei der Überarbeitung berücksichtigen

Zitat von peregrina
„Buenas dias.“
Soll das mit Absicht falsch sein, weil sie eine Touristin ist? Richtig hieße es: "Buenos días."
Danke. Nein, keine Absicht, liegt an meinem flexiblen Umgang mit Fremdsprachen.

Zitat von peregrina
Hätte ich mich nur gleich um sie gekümmert. Wie lange dauert das denn noch?
Oh, die ist echt nölig ... Hat sie noch nicht bemerkt, dass die Uhren in den spanischen Bars anders ticken?
Klara hat Zeit ohne Ende, hier geht es nur um die Gefahr, in der die Schnecke kriecht,

Zitat von peregrina
Ich sehe eine Göre aus der Haustür kommen und ...
Warum nicht ein "Mädchen"? Göre ist abwertend, abfällig.
Ist mir schon klar, meine Entscheidung für den Begriff: Klara bezeichnet sich ja selber als Göre, da dachte ich, er wird entschärft (oder man könnte deuten, er ist Ausdruck eines geringen Selbstwertes)

Zitat von peregrina
Oma hat entschieden. Ich habe versagt.

Sie nimmt mich endlich wahr, nur um mich wie ein lästiges Insekt wegzuschieben.
... ich die Fäuste. Ich muss weiter. Ich habe ein Ziel.

Ich vermute, du wolltest eine Geschichte schreiben, die sich um den Wert des Lebens dreht, vor allem um den Schutz kleiner, "unnützer", hilfloser Lebewesen, die man eben schnell mal zertritt oder von einer brutalen Oma an den Zaun geschmissen werden. (Mein Opa hat sie immer in der Regentonne ersäuft.)
Ja, darauf läuft es hinaus (ich meine nicht die Regentonne). Es sollte aber auch die Tatsache erkennbar sein, dass mit dem Hochkommen derartiger Kindheitserinnerungen ein unvorstellbarer, unlogischer Schmerz vom Erwachsenen wahrgenommen wird. Diesen Aspekt konnte ich gar nicht oder nur schwach vermitteln.

Dieses Thema könntest du genauso gut auf irgendeiner anderen Reise (Urlaub) erzählen.
Da könntest du recht haben. Beim Schreiben der Geschichte habe ich unbedingt diese Ausnahmesituation gesucht (Schmerzen, fern der Heimat, viel Zeit, alleine, zweifelnd), die die DÜNNE HAUT hervorbringt und damit für Glaubwürdigkeit sorgen soll.

Weil du aber eine Pilgerreise als Rahmen wählst, weckst du hohe Erwartungen, beispielweise an Begegnungen mit Menschen, mit denen man billige Unterkünfte teilt, oder Begegnungen abseits der Straßen, in Bussen, Klostern, bei den Brunnen, an das leidige Wetter und Erkenntnisse (auch eigene Versäumnisse und Versöhnung, gewonnen durch Ruhe und Abstand), die sich während der langen Zeit des Wanderns einstellen.
Meine Erwartungen bezügl. Jakobsweg (unglaubwürdig, behauptet) und Erkenntnis der Figur (kindliches Verhalten, keine Entwicklung) haben sich nicht erfüllt, das mag sicher auch an meinen Ansprüchen liegen.
Hey, du bist gepilgert! Schön.
Ich bin mir bewusst, dass ich aufgebaute Erwartungen nicht erfülle.
Vielleicht sollte der Camino nicht nur Kulisse sein, sondern gar Teil der Lösung einer bestimmten Problematik, wie ich mittlerweile einsehe.

Wenn es um das Versagen geht, wie es der Titel vorweg nimmt, so wird die erwachsene Frau sicherlich vorher schon erkannt haben, dass sie als Vierjährige nicht in der Lage war, sich gegen die Großmutter durchzusetzen.
Nein, das war ihr nicht bekannt. Es gab lückenhafte Erinnerungen an diese Zeit, aber das Zusammensetzten der Bruchstücke macht es für Klara so schmerzhaft und führt erst in diesem Moment zur Erkenntnis des Versagens. Ich befürchte, eine Vierjährige kann nur Trauer empfinden und das Gefühl Versagen wird ihr nicht bewusst sein (sich eben nur im Unterbewusstsein einnisten).

Nachträgliches Edit:
Es ist die Frage, ob du "Ich habe ein Ziel" entweder streichen oder weiter ausbauen solltest. Denn nach diesem Satz fragt man sich schon, was das Ziel deiner Prot. ist. Wird sie ein Katzenhotel aufmachen oder Tierschützerin werden? Wird sie Santiago de Compostela mit ihrem schweren Rucksack erschöpft aber glücklich erschöpft erreichen? Was wird sie ändern? Man weiß es nicht ...
Wahrscheinlich werde ich den einfachen Weg gehen und diesen Satz entfernen.
Ich mach mich umgehend ans Überarbeiten, wollte aber vorher noch antworten und ja, ich nehme sehr viel aus deinem Komm mit, gerade aus den kritischen Einwänden. Es war mir eine Freude.

Vielen Dank für deine Mühe und deine Denkanstöße.
Liebe Grüße, einen schönen (närrischen) Rest-Sonntag und bis bald,
peregrina


Hallo Geschichtenwerker,

danke für die Spitzfindigkeiten. Meine Meinung dazu sag ich dir später.
Schönen Rest-Sonntag und liebe Grüße,
peregrina

 

Hallo Geschichtenwerker,

gleich vorneweg, nein, ich hasse dich nicht, ich freue mich über deinen Besuch in meiner KG und das Abschießen deine Spitzfindigkeiten.

der tonnenschwere Rucksack drückt schwer auf die Schultern
"Drücken" meint eine Kraft, die in die Richtung geht, in die sie wirkt (denk an einen Pfeil, dann ist die Spitze des Pfeils an dem Punkt, wo die Kraft angreift). Danach müsste der Rucksack also auf den Schultern sitzen. Nachdem der Rucksack aber runterhängt, kann er nur an den Schulter ziehen.
Physikalisch sicher nachvollziehbar, aber das würde sich schräg anhören: der Rucksack zieht stark an den Schultern :D

...um bloß nicht den straußeneigroßen Bluterguss am Oberarm ...
Ich befürchte, wenn Deine Protagonistin nicht Arnold Schwarzenegger ist, dann bringt man auf ihrem Oberarm einfach keinen so großen Bluterguss unter. Wenn die Übertreibung Absicht ist, dann ist das Bild gut. Wenn nicht, sollte das Ei kleiner werden (Hühnerei dürfte passen).
Natürlich ist das so gewollt, Klara ist eine zierliche Person, selbst an ihren Schenkeln würde ein blauer Fleck in dieser Größe keinen Platz finden

Angrabschen wäre keine Option, ich ekle mich vor dem Schleim.
Das Wort "Angrabschen" passt für mich irgendwie nicht an dieser Stelle. Die Person, die ich vor Augen habe, würde das Wort hier nicht verwenden (eher vielleicht, wenn sie unsittlich berührt wird). Was hältst Du von "Berühren" oder etwas in der Richtung?
die Erzählerin, die ich vor Augen hatte, sollte eigentlich so reden, hab’s trotzdem in „Anfassen“ geändert

...der allerdings in der Zwischenzeit kalt geworden ist.
So lange hat die Aktion nach meinem Empfinden nicht gedauert, dass er wirklich kalt geworden ist (außer die Außentemperatur wäre sehr niedrig, wofür es aber keinen Anhaltspunkt gibt [oder ich habe ihn überlesen]).
Nein, hast alles richtig gemacht, es ist warm. Aber hast du schon mal gesehen, mit welchem Tempo eine kleine Schnecke unterwegs ist.

...als wären in den Schlaglöchern alle Antworten verborgen.
Fand ich das Wort "alle" unpassend. Vielleicht, weil mir das zu viel, zu übertrieben ist. Daher wäre das für mich ein Streichkandidat.
„alle“ lautet jetzt „die“, vielleicht ist „alle Fragen“ doch zu kosmisch


Ich habe gesehen, dass es hierzu eine Diskussion gab:
]Mir ist, als öffnete sich der Samtvorhang vor einer Kinoleinwand, bevor der Hauptfilm begänne.
Ich habe da eine klare Meinung. Der Konjunktiv, der durch "mir ist" ausgelöst wird, erstreckt sich nur auf das Öffnen des Samtvorhangs und nicht auf den Beginn des Hauptfilms.

Danach müsste es heißen:

Mir ist, als öffnete sich der Samtvorhang vor einer Kinoleinwand bevor der Hauptfilm beginnt.

Der Grund ist, dass das "mir ist" nur eine Situation ausdrücken, an die sich die Protagonistin erinnert und diese Situation ist "Öffnen des Samtvorhangs vor einer Kinoleinwand vor Beginn des Hauptfilms".

Was dieser Satz aber nicht ausdrücken soll: mir ist, als begänne der Hauptfilm.

Der Beginn des Hauptfilms ist innerhalb des Bildes nicht eine Eventualität, sondern quasi in Stein gemeißelt.

Das klingt ebenso logisch, wie der Einwand von barnhelm, ich übernehme euren Vorschlag und danach muss ich wirklich mal die Regeln durchblättern.

Ich habe wirklich viele deiner Hinweise in die Überarbeitung einfließen lassen, nur hier
weiß ich keine andere Auflösung:

Der Duft von gemähtem Gras und weidenden Kühen liegt in der Luft.
Ist Duft von weidenden Kühen anders, als der von nicht weidenden Kühen?

Es sind zwar viele Erinnerungen hochgekommen, aber oftmals macht man eine solche Reise auch, um etwas im Leben zu ändern. Diese Motivation kam mir etwas zu kurz und sie hätte der Geschichte vielleicht noch etwas mehr Tiefe verleihen können.
Ich hoffe nach den kleinen und größeren Eingriffen kommen Motiv und Erkenntnis besser rüber und es klingt nicht zu erklärend.

Danke vielmals für dein Interesse und deine Ideen,

dankbare, liebe und närrische Grüße,
peregrina


Hallo ihr Lieben,

die Geschichte ist bearbeitet. Es gibt noch die zwei Blöcke, aber ihre Verbindung ist deutlicher, weniger flapsige Bemerkungen, jedoch noch jede Menge Reflexionen, mehr Lokalkolorit (hoffentlich liest sich der Text jetzt nicht wie ein Reisebericht) und die Figur Klara wird greifbarer. Soweit mein Empfinden.

Herzlichen Dank an RinaWu, barnhelm, Friedrichard, Kanji, The Incredible Holg, ernst offshore, joséfelipe, wieselmaus, Carlo Zwei, Bea Milana, Geschichtenwerker

für eure Eindrücke, Einwände, Ideen, Impulse, Fehlersuche, einfach für alles.

Ihr seht mich begeistert darüber, was Teamwork vermag,

Liebe Grüße,
peregrina

 

Hallo peregrina,

gleich vorneweg, nein, ich hasse dich nicht, ich freue mich über deinen Besuch in meiner KG und das Abschießen deine Spitzfindigkeiten.

Da bin ich aber froh, dass Du damit etwas anfangen konntest.

Zu dem Thema, ob der Rucksack zieht oder drückt, habe ich einfach mal in Google recherchiert und bin auf zahlreiche Seiten gestoßen, die das Wort "ziehen" verwenden (exemplarisch: http://www.outdoor-magazin.com/test...cksaecke-bis-60-liter-im-test.1300892.3.htm#1).

Damit möchte ich Dich nicht überzeugen, sondern Dir nur einfach zeigen, dass "ziehen" auch verwendet wird. Aber wenn für Dich "drücken" besser klingt, dann ist das für Dich und Deine Geschichte auch die richtige Wortwahl. Am Ende zählt nur, dass man als Autor verstanden wird und nicht jeder Leser ist so wie ich, dass er bei dem Satz den Rucksack auf den Schultern vor seinem geistigen Auge sieht (da bin ich mit Sicherheit eher die Ausnahme).


Hier

Ich habe wirklich viele deiner Hinweise in die Überarbeitung einfließen lassen, nur hier
weiß ich keine andere Auflösung:


Der Duft von gemähtem Gras und weidenden Kühen liegt in der Luft.
Ist Duft von weidenden Kühen anders, als der von nicht weidenden Kühen?

habe ich auch keine schöne Lösung. Auch hier gehe ich davon aus, dass meine spitzfindige Lesart nicht der Regelfall ist und daher den meisten Lesern nicht auffällt.

Eine Lösung wäre, einen Nebensatz einzufügen:

Der Duft von gemähtem Gras und Kühen liegt in der Luft, die grasend auf der Weide stehen.

Gruß
Geschichtenwerker

 
Zuletzt bearbeitet:

Hola peregrina, Teil II.

Gut, dass ich Dich treffe. Wir haben einen Deal:

Josè: schrieb:
Ein paar minimale Pünktchen hätte ich eventuell und unter gewissen Umständen leicht hüstelnd anzumerken, jedoch werde ich jetzt – Caramba! – diesen ganzen kleinlichen Scheiß, den ich nicht als Kritik, sondern in Frageform posten wollte, löschen.
Ich verschiebe meinen Post auf die Zeit nach der Überarbeitung.

peregrina: schrieb:
... wenn du dich doch dazu durchringen könntest, mich „den kleinlichen Scheiß in Frageform“ wissen zu lassen, den du mir vorenthalten hast, wäre ich sehr froh.
Ich weiß nicht, ob Dich mein Sulz froh macht, aber wenn Du darauf bestehst:
Auf ihrem fliegenden Teppich lasse ich sie auf das angrenzende Mäuerchen schweben.
Das ist fein.

Seit zwei Stunden bin ich auf der Piste ...
Ski-Langlauf, Loipe gut?

Die verdammten Wolfskin-Wanderschuhe ...
Die Anwälte der ehrenwerten Firma wollten von mir Deine Telefonnummer haben.

Die kleine Bar ist unscheinbar, ...
Zwei Bars in fünf Worten.

Immerhin halte ich mir die Flanken frei für eventuelle Angriffe.
Ich lese das so, dass Du Deine Flanken ungeschützt frei hältst für den Fall, eventuell angegriffen zu werden. Das widerspricht allerdings der strategischen Überlegung bei der Wahl des Sitzplatzes.

Angriffe, immer diese Übertreibungen.
Sie sucht Sicherheit, weiß aber, dass Sicherheit eine Illusion ist:
Mauern, Umzäunungen, Hecken geben mir die Illusion von Sicherheit.
Aber wozu dann die freigehaltenen Flanken, bzw. der aufgesuchte Schutz von Mauern, Umzäunungen, Hecken – für mich ist das nicht nachvollziehbarer Aufwand für eine Illusion.
Wie wäre es mit: 'Hinter Mauern, Umzäunungen und Hecken fühle ich mich sicherer'?

Der Perlenvorhang klimpert leise, als ich mich in die düstere Bar schiebe. Dunkles Holz und Naturstein, schlicht und rustikal, ...
Schön, angemessen. Sicherlich auch kühl – ein Ort eben, sich wohlzufühlen.
Aber nein:
... eine archaische Höhle wie hundert andere auch.
Die Romantikerin hätte einen Sherry bestellen sollen. Die ist nicht gut drauf. Jedoch: Durch die Pilgerei kann’s nur noch besser werden. Lass sehen.

... mit schwerfälligen Bewegungen an dem Kaffeeautomaten zu schaffen.
Ich finde, statt ‚an dem’ liest sich ‚am’ flüssiger.

... die Rolle des Barista ...
Ich hätte ein Genitiv-‚s’ rangehangen.

Die Rettungsszene mit der Schnecke war hübsch, aber dann kommt:

Doch als ich mich umdrehe, ist da niemand.
Sie dreht sich tatsächlich um? Das wird ein Krankheitsbild, vermutlich?

Sie landen bei Robert, sein Gesicht erscheint wie ein Zerrbild, aber sein mitleidiges Lächeln kann ich erkennen. „Wer weiß, wofür diese Reise gut ist? Vielleicht spricht man dich in Santiago heilig oder selig oder sonst was. Die heilige Klara, Schutzpatronin aller vergessenen und gequälten Wesen, aller Hinfaller-und-nicht-wieder-Aufsteher.“
Der Robert ist ein Arsch. Einfach widerlich. Jedes Wort ist Müll.
Doch beide Seiten schneiden bei dieser Betrachtung nicht gut ab:
Ich nenne es Achtung vor dem Leben, aber das hab’ ich ihm nie gesagt.
Und wieso nicht? Mann und Frau haben ein Kommunikationsproblem. Wer ist schuld? Meiner Ansicht nach beide. Denn hätte die Frau mit ihrem Mann über solche Sachen gesprochen, würde er nicht einen solchen Scheiß labern.
Die Pilgerin gefällt mir nicht allzu sehr, denn Nacktschnecken zu retten und eine Ehe sausen zu lassen ist paranoid.
Vielleicht hätte ich ihm seine Überlegenheit aus dem Gesicht radieren können.
Statt mit Radiergummi mit der Bratpfanne? Doch nicht etwa mit Salzsäure, um Gottes Willen?

Wenigstens hat er mir keine Steine in den Weg gelegt, darauf kommt es an. Das Wortspiel gefällt mir: Steine in den Weg legen, da hätte er alle Hände voll zu tun, achthundert Kilometer Camino.
Lyam, ein englischer Freund, erzählte mir, dass der Camino stellenweise sehr steinig sei. So gesehen hat Robert alles richtig gemacht:shy:.

Augenblicklich verschmilzt der Schatten mit der Hauswand, wird selbst zu Stein.
Auf den ersten Blick ein interessanter Entwurf – nur: welcher Schatten?

Mit gesenktem Kopf trabe ich weiter, starre auf den grauen Asphalt, als wären in den Schlaglöchern die Antworten verborgen. Ich müsse nur genauer hinschauen.
Ein klares Bild, gefällt mir.
Der Satz danach allerdings ... :
Welche Antworten? Ich weiß ja nicht mal genau, wie die Fragen lauten.
... macht alles kaputt. April, April. Leider bleibt es ominös. Du schreibst von ‚Zeichen’.
Ja, Himmiherrgott, welche Zeichen denn? Wird’s jetzt esoterisch? Sandwirbel, Vögelchen, Wölkchen kann ich nicht ernst nehmen. Die Pilgerin macht mir Sorgen. Ein Vogel weiß mehr als sie?
Wenn wir nicht aufpassen, kommen wir nach Schwurbelonien. Du bist äußerst bemüht, dem Text Format zu geben; es liest sich prima, nur empfinde ich manches als ein bisschen angestrengt und gewollt.
Besser wäre, das beschissene galizische Wetter zu beklagen, die Konturen der Landschaft zu zeichnen. Wir sind in Nordspanien, und das muss der Leser auch serviert kriegen. Ich aber lese:
Mir ist, als wolle ich meinen Schatten fangen. Er ist so nah, doch immer wenn ich nach ihm greife, entwischt er.
Liebe peregrina, diese Schattenhascherei bringt mMn nichts. Das Befinden der Pilgerin bleibt mir bis hierher verborgen. Sie spinnt ein bisschen, hat paar Zweifel, Erinnerungen, Unsicherheiten, doch warum sie sich diese Tortur antut, bleibt mir verschlossen. Böserweise könnte man sagen, sie folgt dem Zeitgeist, mit all den Fragen ... und noch nicht formulierten Fragen – deshalb ohne Antworten:D.
Aber es geht auch anders:
Der Anblick von Santa Catalina de irgendwas ist auch nicht geeignet, mein Stimmungstief zu heben. Im Glockenturm hat sich ein Storchenpaar niedergelassen. Die Idylle ist trügerisch, ich spüre es, das ist kein heiliger, sondern ein vergessener Ort.
Nüchterner Blick aufs Eigene und aufs Fremde! Das gefällt mir.

Die Einheimischen, die nicht von hier geflohen sind, leben vom Strom der Pilger, überleben, indem sie Snacks, Getränke und Unterkünfte anbieten. Ich passiere Häuser mit roten Steinfassaden, mit vergitterten Fenstern und geschlossenen Türen und frage mich, ob ihre Bewohner wohl den freundlichen Tag fürchten.
Die Leute dort leben von den Pilgern, doch halten sie die Türen geschlossen und fürchten den freundlichen Tag? Verstehe ich nicht. Furcht vor dem freundlichen Tag? Keine Ahnung.
Übrigens kann ich den Titel nicht einordnen. ‚Versagen’ als Thema kann ich nicht erkennen.
Mein persönlicher Leseeindruck hat nichts zu bedeuten. Die Geschichte ist gut angenommen worden und auch mir gefällt sie, nicht zuletzt wegen Deiner sympathischen Art, die Dinge darzustellen.
Es ist nicht so, dass ich mit der Lupe etwaige Unstimmigkeiten heraussuche, sondern es hackt und hakelt ganz automatisch beim Lesen – und das markiere ich.

Der eigentliche Grund dieser Pilgerreise ist die Aufarbeitung des Traumas ‚Katzenmord der Oma’. Diese Szene ist eindrucksvoll.
Kleiner Hakler:

... mit dem Mut der Verzweiflung rafft der Knirps sein Schürzchen ...
‚Der Knirps’ klingt für meine Ohren nach einem kleinen Jungen, hämischerweise auch kleinen Mann.

Ich umklammerte Omas Bein, sie soll ihren Halt verlieren und flehe sie an: „Oma, Oma, bitte nicht!“
Zeitfehler
Ich umklammerte Omas Bein – sie soll ihren Halt verlieren – und flehte sie an ... – oder Komma nach ‚verlieren’.

Sie hört mich nicht. Wieder das ängstliches Quieken, die hilflose Kreatur im Flug, der Laut, der den Tod bedeutete
dto.

Eine erwachsene Frau Jahrzehnte später, die leise vor sich hin weint. Salzige Rinnsale des Schmerzes, Vorboten der Erkenntnis.
peregrina – ich bitte Dich!

Ich weiß, das Kind in mir lebt und leidet unter dem Gefühl der Trauer.
Jetzt kommt’s für meinen Geschmack ziemlich dicke. Der Camino hat sich in Luft aufgelöst und die zweite Geschichte hat die erste total verdrängt, hat sie zum Vorwort degradiert.
Zu den letzten Zeilen etwas zu sagen, steht mir als Kommentator Deines Textes nicht zu. Allzu deutlich dringt das private Anliegen des Autors durch und ich als Leser bin noch auf dem Pilgerweg, der auch ein Fahrradweg irgendwo hätte sein können. Aber als Statist bin ich ganz gut:).

Hätte ich’s auch netter sagen können? Schon möglich, aber in einer Schreibwerkstatt gelten die gleichen Regeln wie in der légion étrangère:D.
Und der letzte Satz hat mir dann den Rest gegeben:

Schwarze Knopfaugen beobachten mich. Das Rotkehlchen legt sein Köpfchen schräg und singt sein uraltes Lied.
Heiliger Bimbam! Das haut richtig rein. An anderen Tagen würde sich peregrina, ja, gerade peregrina, über so etwas kaputtlachen.
Bleibt die Essenz:
José: schrieb:
Da bist Du mit Sieben-Meilen-Stiefeln vorwärts gestürmt!
peregrina: schrieb:
Es ist toll, wenn du eine Entwicklung feststellst. Kann es dennoch sein, dass dieses Urteil ein wenig von wohlwollenden, freundschaftlichen Gefühlen beeinflusst wird? Ich fände das nämlich … verständlich, menschlich, wärmend.

Das behalten wir auch in Zukunft bei, Dein Einverständnis vorausgesetzt. Obwohl – die Grenze zu ziehen zwischen Text und Autor ist wie eine Herzoperation.
Einer blitzgescheiten Frau wie Dir sollte man keinen nörgeligen Komm schicken, sondern Blumen schenken (Komm mit nach Varasdin, solange noch die Rosen blüh'n:rolleyes:).

So, jetzt reicht’s aber.
Frühling in Holland soll ja wunderschön sein; ich wünsche stramme Waden, wenn die fiets wieder in Betrieb genommen werden. Manchmal denke ich, ich wäre gern Holländer – so wäre ich mit dabei. Tot kijk!

José

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Geschichtenwerker,

danke für den Link. Mich hat seltsamerweise in der Annonce der Begriff “ziehen” nicht gestört. Werde ihn nach reiflicher Überlegung doch verwenden.

Grüße peregrina


Hola josé,

Ich weiß nicht, ob Dich mein Sulz froh macht, aber wenn Du darauf bestehst:
Ja,ja, hüte dich vor deinen Wünschen! Sie könnten in Erfüllung gehen. :gelb:
Aber ich bin wirklich froh, dass du mit scharfem Blick, scharfem Verstand und scharfem Skalpell den Text seziert hast.
Bei vielen meiner Textpassagen und Formulierungen habe ich nichts anderes als missbilligendes Kopfschütteln deinerseits erwartet. Ich glaube mittlerweile, deine Sicht der Dinge zu kennen. Viele kritische Anmerkungen kann ich nachvollziehen, über manche muss ich nachdenken, bei einigen werde ich massiv widersprechen.
Besonders ärgerlich allerdings sind die Stellen, an denen sich sachlich falsche Darstellungen, unlogische oder nicht nachvollziehbare Zusammenhänge präsentieren. Trotz intensiver Prüfung sind sie mir durch die Lappen gegangen.
Konkret:
Seit zwei Stunden bin ich auf der Piste ...
Ski-Langlauf, Loipe gut?
Die Ich-Erzählerin Klara ist ein watje, für sie ist die Strecke eine echte Herausforderung,
deshalb muss der Begriff Piste aus dem sportlichen Bereich herhalten.

Die verdammten Wolfskin-Wanderschuhe ...
Die Anwälte der ehrenwerten Firma wollten von mir Deine Telefonnummer haben.
Die haben sich schon gemeldet. Du weißt schon, Rückrufaktion der fehlerhaften Charge und so. Wir verhandeln gerade die Höhe des Schmerzensgeldes.

Immerhin halte ich mir die Flanken frei für eventuelle Angriffe.
Ich lese das so, dass Du Deine Flanken ungeschützt frei hältst für den Fall, eventuell angegriffen zu werden. Das widerspricht allerdings der strategischen Überlegung bei der Wahl des Sitzplatzes.
Das ist mir nicht aufgefallen, dass die Aussage genau das Gegenteil von dem, was ich sagen wollte, bedeutet. Das sagt über mich, ich bin in taktisch-strategischen Angelegenheiten eine Null. Wird korrigiert.

Mein Text:

Angriffe, immer diese Übertreibungen.
Du sagst:
Sie sucht Sicherheit, weiß aber, dass Sicherheit eine Illusion ist: ...
Aber wozu dann die freigehaltenen Flanken, bzw. der aufgesuchte Schutz von Mauern, Umzäunungen, Hecken – für mich ist das nicht nachvollziehbarer Aufwand für eine Illusion.
Das ist Frauenlogik. Klara sucht die Wand als Schutz, um auf eventuelle „Angriffe“ vorbereitet zu sein. Sie weiß, dass im Ernstfall aber auch deren Abwehr nur eine Illusion sein kann (sie ist ein watje). Im Prinzip stellt aber auch schon der „Angriff“ nur ein Hirngespinst ihrer aufgewirbelten Gedanken dar.
Muss so bleiben.
Ein anderes Beispiel, wie ich versuche die Widersprüchlichkeit, Unentschlossenheit, die Zweifel und den Sarkasmus Klaras zu zeigen:
Ein verirrter Schafhirte, der die Rolle des Barista nur mimt, genauso schlecht wie ich die Pilgerin.
Sie sieht in ihm eine Fehlbesetzung (Schafhirte), nennt ihn aber gleichzeitig Barista, der ja eigentlich ein Könner der Kaffeezubereitung sein sollte. Irgendwie tröstet sie auch die Idee, dass nicht nur sie falsche Entscheidungen getroffen hat, darum ist der Mann gleichzeitig auch ein Verbündeter. Genitiv-‚s’ wird angehängt.

Doch als ich mich umdrehe, ist da niemand.
Sie dreht sich tatsächlich um? Das wird ein Krankheitsbild, vermutlich?
Bisschen dick aufgetragen, stimmt, sie ist ja nicht in der Geisterbahn.

Sie landen bei Robert, sein Gesicht erscheint wie ein Zerrbild, aber sein mitleidiges Lächelnkann ich erkennen. „Wer weiß, wofür diese Reise gut ist? Vielleicht spricht man dich in Santiago heilig oder selig oder sonst was. Die heilige Klara, Schutzpatronin aller vergessenen und gequälten Wesen, aller Hinfaller-und-nicht-wieder-Aufsteher.“
Der Robert ist ein Arsch. Einfach widerlich. Jedes Wort ist Müll.
Rober labert freilich dummes Zeug, er hat gar nix begriffen. Die zwei Sätze charakterisieren ihn gut: Er ist uninformiert, an Klara uninteressiert, sprachlos, zynisch.

Du meinst:

Doch beide Seiten schneiden bei dieser Betrachtung nicht gut ab:
Ich nenne es Achtung vor dem Leben, aber das hab’ ich ihm nie gesagt.
Und wieso nicht? Mann und Frau haben ein Kommunikationsproblem. Wer ist schuld? Meiner Ansicht nach beide. Denn hätte die Frau mit ihrem Mann über solche Sachen gesprochen, würde er nicht einen solchen Scheiß labern.
Das sehe ich genauso. Ich füg mal noch ein „deutlich“ in Klaras Gedanken ein. Wenn man überhaupt von Schuld sprechen kann, jeder Partner trägt seinen Anteil.

Die Pilgerin gefällt mir nicht allzu sehr, denn Nacktschnecken zu retten und eine Ehe sausen zu lassen ist paranoid.
Sie lässt die Ehe nicht sausen, sie hinterfragt, denkt nach und zweifelt, dafür auch die Entscheidung alleine zu pilgern

Mit gesenktem Kopf trabe ich weiter, starre auf den grauen Asphalt, als wären in den Schlaglöchern die Antworten verborgen. Ich müsse nur genauer hinschauen.
Ein klares Bild, gefällt mir.
Der Satz danach allerdings ... :
Welche Antworten? Ich weiß ja nicht mal genau, wie die Fragen lauten.
... macht alles kaputt. April, April. Leider bleibt es ominös.
Es darf etwas geheimnisvoll sein. Aber vielleicht kann ich mir ein paar Fragen überlegen, ohne zu konkret zu werden.

Du schreibst von ‚Zeichen’.
Ja, Himmiherrgott, welche Zeichen denn? Wird’s jetzt esoterisch? Sandwirbel, Vögelchen, Wölkchen kann ich nicht ernst nehmen. Die Pilgerin macht mir Sorgen. Ein Vogel weiß mehr als sie?
Wenn du recht hast, hast du recht! Die Frage muss ich mir gefallen lassen. Die Esoterik kommt ins Spiel, bringt Verwirrung, ich such nach einer Lösung, von den „Zeichen“ werde ich den Text befreien, aber von dem Wölkchen und dem Rotkehlchen kann ich mich nicht trennen.

Wenn wir nicht aufpassen, kommen wir nach Schwurbelonien. Du bist äußerst bemüht, dem Text Format zu geben; es liest sich prima, nur empfinde ich manches als ein bisschen angestrengt und gewollt.
Freilich hab ich mich angestrengt. Was denkst du denn?

Besser wäre, das beschissene galizische Wetter zu beklagen, die Konturen der Landschaft zu zeichnen. Wir sind in Nordspanien, und das muss der Leser auch serviert kriegen.
Wir sind in Kastilien-León, die Sonne scheint und die Pilgerin ist trotzdem ziemlich schlecht drauf. Stell dir vor, es würde regnen, dann … Suizid sollte nicht thematisiert werden

Mir ist, als wolle ich meinen Schatten fangen. Er ist so nah, doch immer wenn ich nach ihm greife, entwischt er.
Liebe peregrina, diese Schattenhascherei bringt mMn nichts. Das Befinden der Pilgerin bleibt mir bis hierher verborgen. Sie spinnt ein bisschen, hat paar Zweifel, Erinnerungen, Unsicherheiten, doch warum sie sich diese Tortur antut, bleibt mir verschlossen.
Hier musste ich lachen. Schattenfangen sollte erlaubt sein. Daneben braucht der Leser natürlich mehr Infos zur Motivation, das stimmt allerdings. Ich werde in mich gehen, meditierend nach einer Lösung suchen.
Das Befinden Klaras aber, dachte ich, wäre mit dem Gefühl der Überforderung und daraus resultierender Selbstzweifel bzw. durch ihre Unsicherheit und unbegründeten Ängste ganz gut dargestellt.


Die Einheimischen, die nicht von hier geflohen sind, leben vom Strom der Pilger, überleben, indem sie Snacks, Getränke und Unterkünfte anbieten. Ich passiere Häuser mit roten Steinfassaden, mit vergitterten Fenstern und geschlossenen Türen und frage mich, ob ihre Bewohner wohl den freundlichen Tag fürchten.
Die Leute dort leben von den Pilgern, doch halten sie die Türen geschlossen und fürchten den freundlichen Tag? Verstehe ich nicht. Furcht vor dem freundlichen Tag? Keine Ahnung.
Da habe ich mehrmals um die Ecke gedacht, meine Schlussfolgerungen nicht konsequent zu Papier gebracht, Widersprüche heraufbeschworen und gehofft, es bemerkt niemand.
Zur Vereinfachung:
Es gibt drei Gruppen von Menschen: Die jungen Leute, die in größeren Orten Arbeit finden, die Pfiffigen, die in der Tourismusbranche ihr Brot verdienen (inwieweit sich das lohnt, weiß Klara nicht) und die Alten, die sich vor der Mittagshitze in Sicherheit bringen.
Mal sehen, ob ich den Gedankenstrom noch bändigen kann.

Übrigens kann ich den Titel nicht einordnen. ‚Versagen’ als Thema kann ich nicht erkennen.
Das ist nicht gut. Muss ich die Verantwortung bei mir suchen. Trotzdem wundere ich mich, dass du
nicht erkennen kannst, sie fühlt sich als Versagerin, wenn die Ehe scheitern sollte und falls sie Santiago nicht zu Fuß erreichen sollte. Und auch nicht, dass sie die Kindheitserinnerung als Versagen wertet?
Dann hab ich entweder als Geschichtenschreiber oder Titelfinder versagt oder als beides.

Es ist nicht so, dass ich mit der Lupe etwaige Unstimmigkeiten heraussuche, sondern es hackt und hakelt ganz automatisch beim Lesen – und das markiere ich.

Eine erwachsene Frau Jahrzehnte später, die leise vor sich hin weint. Salzige Rinnsale des Schmerzes, Vorboten der Erkenntnis.
peregrina – ich bitte Dich!
Ich weiß, das Kind in mir lebt und leidet unter dem Gefühl der Trauer.
Jetzt kommt’s für meinen Geschmack ziemlich dicke.
Wieder schallendes Gelächter meinerseits! Natürlich ist das sehr süßlich, aber da war mir so zumute, ich lass mich von Stimmungen treiben. :cry: Da kommt nicht nur ein Hang zum Pilgertum, sondern auch der zum Pilchertum stark zum Vorschein.

Der Camino hat sich in Luft aufgelöst und die zweite Geschichte hat die erste total verdrängt, hat sie zum Vorwort degradiert.
Ja, so ist es. In diesem Falle könnte der Rezipient zwei Urteile sprechen:
Ein vernichtendes: Peregrina setzt sich aus Unfähigkeit über alle Richtlinien für das Schreiben von KGs hinweg, klebt ungeniert zwei Handlungsstränge aneinander.
Ein wohlwollendes: Peregrina beschreitet neue Wege, mutig und konsequent verleugnet sie ungeschriebene Regeln und Merkmale und markiert so eine bahnbrechende Wende …
Lieber José,
beides ist natürlich hanebüchener Unsinn. In Wirklichkeit versuche ich Erlebtes aufzuarbeiten und Ordnung in die verschlungen Pfade meiner Gedanken zu bringen. Probiere theoretisches Wissen anzuwenden oder auch nicht, spiele mit Formulierungen, teste mich selber. Kurz und knapp: Ich bin eine Lernende. Wobei die Rückmeldungen der WK, nicht zuletzt deine, ein schöner Gradmesser sind, wie weit ich von meiner eigentlichen Absicht noch entfernt bin.

Und der letzte Satz hat mir dann den Rest gegeben:
Schwarze Knopfaugen beobachten mich. Das Rotkehlchen legt sein Köpfchen schräg und singt sein uraltes Lied.
Armer José, das wollte ich nicht. Aber ich mag den Gedanken, dass dieser kleine gefiederte Kerl überlegener, klüger ist als die peregrina loca. Unbeeindruckt von ihren kleinlichen Nöten singt er vom Heiligen Bimbam!
Das haut richtig rein. An anderen Tagen würde sich peregrina, ja, gerade peregrina, über so etwas kaputtlachen.
Das ist wirklich Tagesform abhängig, aber oftmals hat sie keine andere Wahl als zu lachen, um den Kopf hübsch über Wasser zu halten.

Einer blitzgescheiten Frau wie Dir sollte man keinen nörgeligen Komm schicken, sondern Blumen schenken (Komm mit nach Varasdin, solange noch die Rosen blüh'n :hmm:).
Den Strauß von letzter Woche habe ich noch stehen, gleich neben dem Krug mit den Tulpen (du weißt schon: Wenn der Frühling kommt, dann schenk ich dir Tulpen aus Amsterdam.)

Vielen Dank Großer für das Caramba, da hast du viel Aufwand betrieben. Es war mir eine Freude, werde den Kuddelmuddel noch mal überarbeiten und deine Anregungen beherzigen :herz:.

Und du musst nicht traurig sein: met fietsen heb ik sowieso niks.

Saludos de peregrina loca

 

Aber was soll das, ich brauche keine Ausreden, um mir einen Kaffee zu gönnen. Ich muss niemande[m] Rechenschaft über meine Befindlichkeiten ablegen, nicht einmal mir selbst

und Recht hat sie / hastu,

liebe peregrina,

und so nenne ich aus dem potentiellen Umkreis noch den verunsichernden Robert, die versteinerte Großmutter und mich oder irgendeinen andern in Sachen Grammatik.

Aber was selbstbewusst klingt und in der Achtung vorm und Liebe zum Leben (Stichworte wie Nacktschnecke und Katzenjunge) wird durch den nächsten Absatz wieder infrage gestellt, denn wo kommt der Verfolgungswahn oder auch nur die Angst her?, "an"-gegriffen zu werden - zu dem sich noch – für ein auf dem Land aufgewachsenes Kind eher ungewöhnlich - der Ekel vor der Natur in natürlichem Schleim zugesellt, ohne den es buchstäblich für eine Schnecke gar nicht ginge.

So will ich die Wanderung/Pilgerschaft als Versuch deuten, sich zu emanzipieren von den Vormündern und der Angst, die nicht erst seit Rainer Werner Fassbinder die Seele frisst. Kurz: Als den stillen Versuch des Mündels, Vormund zu werden - für sich selbst.

Triviales (mit dem ja eigentlich schon das von mir gewählte Eingangszitat beginnt, s. o.)

Hätte ich mich nur gleich um sie gekümmert.
Klingt nach mehr als einer bloßen Aussage!

Die Kleine legt den Kopf schräg, lächelt mich schüchtern an, nimmt mich an der Hand und zieht mich mit sich.
Besser: „nimmt mich bei der Hand“ oder auf, sofern es beim doppelten „an“ bleiben soll (anlächeln, annehmen) jeden Fall „nimmt mich an die Hand“ und das letzte Reflevivpronomen ist entbehrlich (keineswegs falsch!, weil wer, wenn nicht eben das Mädchen, das meine Hand in seine Hand legt/nimmt, eben das nimmt mich mit. Klingt sonst eher nach dem Hund, den der Halter an der Leine mit sich führt …)

Und dann doch mal der Konj., aber nicht weil irgendwas in „Stein“ gemeißelt wäre außer den Gesetzestafeln in mosaisch-prosaischen Zeiten, sondern wegen der Herrschaft der Hilfsverben, hier eben „werden“, denn hier reicht ein werden

Aber irgendwann glaubte ich ihren Versprechungen, dass alles gut werden würde.
ob als „… dass alles gut werde“ oder „würde“, gar ein futuristisches „wird“ hätte den erwünschten Effekt.

Und gleich noch einmal „war … gewesen“

Den ganzen Nachmittag war ich damit beschäftigt [...], mich immer wieder heimlich zum Bett im Kornfeld zu schleichen, um zu prüfen, ob meine Mutter die Wahrheit gesprochen hatte.

Und weil wir der "schönen" Literatur frönen, gleich noch ein Vorschlag hierzu
… bevor der Aufprall seiner Angst und seinem Leben ein Ende machte.
Nicht, dass „machen“ falsch wäre, aber „seinem Leben ein Ende bereiten“ oder „setzen“ zeigt die Überheblichkeit manchen Täters wie der Großmutter auf, „Herr“ über Leben und Tod zu sein.

Zwei vielleicht sogar entbehrliche Bemerkungen

..., der zentnerschwere Rucksack zieht heute besonders an den Schultern und ich befürchte, gleich in der Taille auseinanderzubrechen.
Die alte Formulierung „drücken“ stellte auch mehr auf die Last im („Monster“) Rucksack ab. Ein leerer Rucksack wird weder drücken noch ziehen, ist eher "lästig", wenn Wortspiele erlaubt sind - obwohl die „Erdanziehung“ aufs Leichteste wie‘s Schwerste seine Wirkung hat - immer nach unten.

Die Gezeitenwechsel (vor allem in der Vorstellungswelt der Pilgerin) werte ich als Passagen, die unterschiedliche Grade ausdrücken, inwieweit die Pilgerin in ihren Erinnerungen immer noch mitgenommen wird, wie nahe es ihr immer noch "geht". Insofern erledigt sich auch die Leinwand Passage, ob es eine Leinwand gibt oder nicht: Bevor etwas sei, muss es zuvörderst möglich sein.

Gruß und schönes Wochenende ausm Pott vom

Friedel

 

Hallo Friedrichard,

alle guten Dinge sind drei, nicht nur bei den BG, sondern auch bei den WKn, konkret: es handelt sich um deinen dritten Besuch in dieser KG, für den ich dir sehr danke.

Aber was soll das, ich brauche keine Ausreden, um mir einen Kaffee zu gönnen. Ich muss niemande[m] Rechenschaft über meine Befindlichkeiten ablegen, nicht einmal mir selbst.
und Recht hat sie / hastu,

und so nenne ich aus dem potentiellen Umkreis noch den verunsichernden Robert, die versteinerte Großmutter und mich oder irgendeinen andern in Sachen Grammatik.

Was die Grammatik anbelangt, da muss ich schon noch Rechenschaft ablegen.
Das Witzige ist, in der ersten Fassung stand ein „m“, es geht hier wirklich nicht mir rechten Dingen zu.

Aber was selbstbewusst klingt und in der Achtung vorm und Liebe zum Leben (Stichworte wie Nacktschnecke und Katzenjunge) wird durch den nächsten Absatz wieder infrage gestellt, denn wo kommt der Verfolgungswahn oder auch nur die Angst her?, "an"-gegriffen zu werden - zu dem sich noch – für ein auf dem Land aufgewachsenes Kind eher ungewöhnlich - der Ekel vor der Natur in natürlichem Schleim zugesellt, ohne den es buchstäblich für eine Schnecke gar nicht ginge.
Von Verfolgungswahn will ich nicht sprechen, es ist zwar eine unbestimmte, aber noch „gesunde“ Angst in Klara, die viele Interpretationen zulässt (Woher kommen Ängste? Sind doch auch Erfahrungen, Glaubenssätze aus der Kindheit). Du deutest an, es könnte unter anderem Angst vor Berührungen sein, auf körperlicher oder vielleicht auch auf geistiger Ebene. In der KG kommen auf jeden Fall keine Pilgerbegegnungen vor, das ist natürlich bewusst so gestaltet, weil das „Viehzeug“ Mittelpunkt sein soll. Der Leser könnte aus dieser Tatsache noch andere interessante Schlussfolgerungen ziehen, das darf er gerne. (Freud hätte seine wahre Freude.)
Sie handelt nach der Devise: Wenn ich bestimmte Ereignisse in meinem Leben („Angriffe“) schon nicht verhindern kann, dann will ich sie rechtzeitig auf mich zukommen sehen, vielleicht habe ich dadurch die Möglichkeit, sie zu beeinflussen.
Da wollen wir ihr mal wünschen, dass dieser naive Plan aufgeht.

Und obwohl sie den Schleim als unangenehm empfindet, entschließt sie sich, die Schnecke zu transportieren. Und ich weiß nicht, ob Aufwachsen auf dem Land eine Garantie dafür ist, sich nicht zu ekeln. Wenn ich bei der Gartenarbeit einen Regenwurm treffe, spring ich mit einem spitzen Schrei in die Höhe. Und rat mal, wo ich meine Kindheit verbracht habe?

So will ich die Wanderung/Pilgerschaft als Versuch deuten, sich zu emanzipieren von den Vormündern und der Angst, die nicht erst seit Rainer Werner Fassbinder die Seele frisst. Kurz: Als den stillen Versuch des Mündels, Vormund zu werden - für sich selbst.
Nennen wir es: die Befreiung von den Vormündern der Angst. Für manch einen das Lebensziel überhaupt, genannt seien nur stellvertretend die Angst vor Veränderung, Verhöhnung, nicht zuletzt die, nicht geliebt zu werden und bei allen schwingt die Versagensangst mit (da sprechen wir noch nicht über Angststörungen).

Lieber Friedel,
das von dir genannte Triviale hab ich ausnahmslos übernommen. Wir gehen davon aus, dass sich bei jeder Überarbeitung neue Fehlerteufel einschleichen, aber wir tragen es mit Fassung.

..., der zentnerschwere Rucksack zieht heute besonders an den Schultern und ich befürchte, gleich in der Taille auseinanderzubrechen.
Die alte Formulierung „drücken“ stellte auch mehr auf die Last im („Monster“) Rucksack ab. Ein leerer Rucksack wird weder drücken noch ziehen, ist eher "lästig", wenn Wortspiele erlaubt sind - obwohl die „Erdanziehung“ aufs Leichteste wie‘s Schwerste seine Wirkung hat - immer nach unten.
Na ja, ich hab’s ja noch rechtzeitig eingesehen.
„Die Last des Rucksacks zwingt mich in die Knie …“ wäre auch eine Möglichkeit gewesen, um gleichzeitig die mataphorische Ebene zu betreten.

Du hast dich intensiv mit meiner kleinen KG auseinander gesetzt und mir zumindest damit die Angst vor Nichtbeachtung genommen.:thumbsup:

Liebe Grüße von peregrina, die schmunzelnd ob ihrer huis-, tuin- en keuken- Psychologie es für heute gut sein lassen will.
Bleib gesund und munter, bis demnächst.

 

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