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Verrückt sind immer die Anderen

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12.12.2011
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Verrückt sind immer die Anderen

Schmidt wusste, noch 5 Minuten in diesem Raum und er müsste schreien, um sich schlagen und in die Ecke kotzen. Er wusste, dass er all das genau nicht tun durfte. Er musste zuhören, er musste sich konzentrieren, er musste an den richtigen Stellen nicken, Zwischenfragen stellen. Seine Hände waren schweißnass. Sein Rücken war schweißnass. Er hatte das dringende Bedürfnis auf die Toilette zu gehen. Er hatte das dringende Bedürfnis, sich das Hemd aufzuknöpfen. Er hatte das dringende Bedürfnis, sein Gegenüber zu würgen. Aber das durfte nie und nimmer geschehen. Darauf warteten sie nur. Sie, dass waren doch alle um ihn herum. Wie hatte es eigentlich so weit kommen können. Er hatte doch alles im Griff gehabt. Immer schon.
Und jetzt schaute er in dieses satte, selbstzufriedene Gesicht gegenüber und musste würgen.

Hanske war gelassen. Er hatte nichts zu verlieren. Nie war es ihm besser gegangen. Er hatte ja auch eine professionelle Routine in diesen Dingen. Es war ja auch nicht sein erstes Gespräch. Er konzentrierte sich auf sein Gegenüber. Er liess sich einfach ein auf dieses Gespräch. Ja, es war ihm in letzter Zeit nicht so gut gegangen, die verpasste Beförderung, der Unfall, der Ausraster. Na und? Jetzt war er auf der Höhe.

„Aber Sie, Sie müssen doch wissen, wie ich das meine. Haben Sie gerade verstanden, was ich gesagt habe?“ Schmidt schaute auf. Die Frage überrumpelte ihn, er war grad wirklich abwesend gewesen. „Könnten Sie ihre Frage noch einmal wiederholen?“ Hanske wurde ungeduldig: „Welche Frage, ich habe gerade eine Feststellung getroffen. Ich habe gesagt, wir alle können mal in Situationen kommen, in denen wir die Kontrolle verlieren. Das ist doch nur menschlich.“

Schmidt musste sich jetzt in den Griff bekommen, er setzte ein professionell, freundliches, verständliches Gesicht auf.“Ja, ja, da haben sie natürlich recht, wir alle sind fehlbar.“ Er war hier im falschen Film, er hätte weinen und brüllen können. Gleichzeitig. Das ging ihm in letzter Zeit öfter so.

Hanske merkte, dass er langsam die Geduld verlor. „Lieber Herr Schmidt oder besser Dr. Schmidt?“ Schmidt winkte müde ab, „fahren Sie fort.“ „Herr Schmidt, wir kennen uns ja jetzt schon einige Zeit“, er machte eine Pause und deutete ein Lächeln an. „Wir hatten jetzt, lassen Sie mich nicht lügen, 10 Sitzungen? Wir sollten langsam zu einem Ergebnis kommen.“ Schmidt musste jetzt irgendwas sagen. Er musste an Marie denken. Wenn es so gekommen war, wie sie angedroht hatte, war die Wohnung wahrscheinlich sowieso schon leer. Was hatte es überhaupt für einen Wert, nach Hause zu fahren. Frau weg, Kind weg, Job so gut wie weg. Er steckte in der Sackgasse. Hanske schaute ihn an, lauernd wie es ihm schien. „Ja, Herr Dr. Hanske, 11 Sitzungen waren es sogar. Ich habe auch das Gefühl, das wir weit gekommen sind.“

Die Tür ging auf, der Pfleger schaute rein. Nach einer halben Stunde, so war es vorgeschrieben, seit dem letzten gewaltsamen Zwischenfall. Hanske winkte fröhlich. „Alles in Ordnung Michael“. Der Pfleger schaute Schmidt prüfend an, der nickte nur.

„Dr. Schmidt, wo waren wir grad stehengeblieben? Ach richtig, die Entlassung.“ Schmidt nickte, müde: „Ja, also von meiner Seite aus spricht nichts gegen ihre Entlassung Herr Dr. Hanske."

Hanske nickte zufrieden.

 

Hallo Taxifahrer und herzlich willkommen auf Kg.de.
Es ist hier so, dass es nicht gerne gesehen wird, wenn jemand soviele Geschichten auf einmal einstellt. Da kommt leicht das Gefühl auf, derjenige würde sich nicht sehr für Kritik interessieren (da es wirklich Arbeit ist auch nur bei einer Geschichte darauf einzugehen und sie umzusetzten) bzw. nur schnell ein paar Meinungen abgreifen möchte, ohne selbst an der Forenkultur wirklich teilzuhaben, sprich selbst zu kommentieren.
Ich will dir nicht unterstellen, du wolltest das eine wie andere - sondern nur einen Hinweis wollte ich geben, wie die Dinge hier gesehen werden.

Gruß,
Kew

 

Danke für den Hinweis Kew. Keine Sorge, ich will hier nicht meinen Müll abladen und dann weiterziehen. Ich habe sechs sehr unterschiedliche Geschichten aus verschiedenen Genres eingestellt, weil ich mich ausprobieren möchte und auf das Feedback gespannt bin, wo was wie ankommt und wo ich feilen muss. Sei versichert, dass ich mich sehr damit auseinandersetzen werde. Darum bitte ich Dich auch, denn außer dem Hinweis, dass es nicht so gern gesehen ist, hätte ich mir auch eine erste Reaktion gewünscht. Denn nur auf die Quantität eines Neumitglieds zu achten, ist ja noch keine qualitative Aussage. Gruß

 

Hallo nochmal.

Ich hab bisher nur keine Kritik geschrieben, da es genügend Neulinge gibt, die bereits nach so einem Hinweis nicht wiedergekehrt wären. Dafür ist mir die Mühe doch zu schade.

Aber so:

Schmidt wusste, noch 5 Minuten in diesem Raum und er müsste schreien, um sich schlagen und in die Ecke kotzen. Er wusste, dass er all das genau nicht tun durfte. Er musste zuhören, er musste sich konzentrieren, er musste an den richtigen Stellen nicken, Zwischenfragen stellen. Seine Hände waren schweißnass. Sein Rücken war schweißnass. Er hatte das dringende Bedürfnis auf die Toilette zu gehen. Er hatte das dringende Bedürfnis, sich das Hemd aufzuknöpfen. Er hatte das dringende Bedürfnis, sein Gegenüber zu würgen. Aber das durfte nie und nimmer geschehen.
Ich denke, die Wiederholungen sind Absicht und als Stilmittel gedacht. Aber in dieser Häufung wollen sie mir nicht gefallen. Ich denke weniger, wäre hier mehr.

Hanske war gelassen. Er hatte nichts zu verlieren. Nie war es ihm besser gegangen. Er hatte ja auch eine professionelle Routine in diesen Dingen. Es war ja auch nicht sein erstes Gespräch. Er konzentrierte sich auf sein Gegenüber. Er liess sich einfach ein auf dieses Gespräch. Ja, es war ihm in letzter Zeit nicht so gut gegangen, die verpasste Beförderung, der Unfall, der Ausraster. Na und? Jetzt war er auf der Höhe.
Hier springst du in der Perspektive. Zuvor warst du sehr nahe an Schmidt dran, hast seine Gefühle gezeigt, jetzt ist es Hanske. Kann man machen, aber bei so einem kurzen Text stört dieses Springen leicht, da es aus dem Erzählfluss wirft.

Nach einer halben Stunde, so war es vorgeschrieben, seit dem letzten gewaltsamen Zwischenfall.
Ist das recherchiert? Ich möchte da kein Urteil fällen, weil ich mich in dem Bereich nicht auskenne und somit für Belehrungen offen bin, aber was bringt einen Kontrolle alle halbe Stunde? Sollte bei akuter Gefahr eines Angriffes nicht dauerhaft ein Pfleger anwesend sein?

Allgemein:
Ich vermute, Schmidt ist der Arzt und Hanske der Patient.
Wenn dem so ist, reicht mir das nicht als Clou der Geschichte. Es handelt sich um eine Pointengeschichte und diese leiden häufig darunter abgesehen von der "Überraschung" nicht viel zu bieten.
Deine hat noch die Frage, wer bestimmt, wer Patient ist und wer Arzt und ob die Grenzen nicht fließend sind. Aber meiner Meinung nach würde die Geschichte gewinnen, würdest du ihr mehr Raum geben, den Figuren mehr Charakter. So lässt mich das Ganze doch sehr gleichgültig zurück. Auch deinem Thema, wenn ich es erkannt habe, würde eine komplexere Aufarbeitung gut tun, denke ich.

Soviel für diesmal.

Gruß,
Kew

 

Hallo Taxifahrer,

ich finde deinen Text insgesamt gelungen. Das Gespräch ist so gestaltet, dass die Grenzen zwischen Arzt und Patient tatsächlich fließend sind und zu verschwimmen scheinen, wie es Kew anspricht. natürlich ist es eine konstruiert wirkende Situation, aber sie ist gut konstruiert. das so hinzukriegen ist schon besseres Handwerk. mehr lässt sich wegen der Konzeption des kurzen Stückes nicht sagen, es geht eben nur um diese Gesprächssituation und wie der Autor selbstgestellte Aufgaben löst.
da ist nichts literarisch interessantes, kein Versuch, der über das allzu Etablierte hinausweist, kein echtes Einlassen des Autors. das ist gut aber routiniert geschrieben. Texte, die nichts wagen, gehen nie über gutes Mittelmaß hinaus.
(1. den Leser bewusst darüber im Unklaren zu halten, wer hier wen behandelt, 2. die Auflösung oder 'Pointe', 3. die Wiederholungen zu Beginn, um die sich zuspitzende Innenwelt des Protagonisten anschaulich zu machen)

1. finde ich, wie geschrieben, gut dargestellt.
2. ist in meinen Augen fast immer enttäuschend, hier etwas weniger, weil du sie bis zuletzt in der Schwebe hältst. das Ende war absehbar, aber wer jetzt entlassen wird, das nicht. mir fällt nur eine Pointen-Geschichte der letzten Jahre ein, die mich nicht enttäuschte.
3. auch von Kew angesprochen: Die bewusste Wiederholung. sieht sehr nach Schreibratgeber aus, wirkt nicht organisch, macht den Charakter, seine Wut nicht lebendig.

Kleinigkeiten im Detail:

Er hatte ja auch eine professionelle Routine in diesen Dingen. Es war ja auch nicht sein erstes Gespräch.

zweimal 'ja ... auch' das sind zwei Worte, die ich aus meinen Texten ja auch immer herausstreichen muss, weil die anscheinend stets oben auf meinem Wortschatz liegen. aber im Nachhinein rausstreichen kann man sie

er war grad wirklich abwesend gewesen

vorher lässt du eine Figur 'gerade' sagen. warum jetzt diese Verkürzung? und dieses 'wirklich' ... an dieser Stelle ist es tatsächlich nicht bekräftigend, sondern wirkt gegensätzlich.

Könnten Sie ihre Frage noch einmal wiederholen?

wörtlich genommen bedeutete das, die Frage das zweite Mal zu wiederholen. spricht dein fiktiver Doktor so nachlässig?

Welche Frage, ich habe gerade eine Feststellung getroffen

seltsame Wendung ... 'Feststellung getroffen' ... etwas festgestellt

er setzte ein professionell, freundliches, verständliches Gesicht auf

das professionell kann so nicht stehen bleiben. entweder Komma weg, dann wäre es ein professionell freundliches Gesicht. oder professionelles, freundliches Gesicht. ich finde diese Kombination ohnehin etwas schief.
Und: nicht verständliches Gesicht, sondern verständiges Gesicht.

Ich habe auch das Gefühl, das wir weit gekommen sind.“

dass

Die Tür ging auf, der Pfleger schaute rein. Nach einer halben Stunde, so war es vorgeschrieben, seit dem letzten gewaltsamen Zwischenfall.

siehe Kew. ich halte das für unglaubwürdig, auch ohne Kenntnis von den Abläufen auf so einer Station, eine Kontrolle alle halbe Stunde wäre völlig sinnlos. wie lang sollte eine Sitzung eigentlich gehen? was willst du mit dem kontrollierenden Pfleger erreichen? ließe sich das bspw mit einer Kamera besser darstellen oder mit einem Pfleger, der dabei sitzt? dieser gewaltsame Zwischenfall wirft zum Ende noch das Problem auf, dass dieses Vorzeichen eine problemlose Entlassung sehr unglaubwürdig macht.

Hanske winkte fröhlich. „Alles in Ordnung Michael“. Der Pfleger schaute Schmidt prüfend an, der nickte nur.

gut :-)

Grüße
Kubus

 

Danke Kubus, so macht das Spaß. Es sind genau die Kleinigkeiten, auf die es zu achten gilt, warum ich mich hier angemeldet habe. Schleifen, schleifen, schleifen. Ein sehr sehr gutes Portal

 

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