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Verloren im Wind

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16.08.2001
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Verloren im Wind

Mattes Sonnenlicht tauchte die enge Straße in ein gedämpftes Farbenspiel, kitzelte den schwarzen Feldspat in den Granitquadern des Gehsteigs wach und ließ die Einschlüsse glitzern. Eintönig klopften Absätze Vorübergehender über die unebenen Kopfsteinpflaster, wie ein Spielball verfing sich das Echo in den Hauseingängen, immer wieder zurückgeworfen, schwächer werdend und schließlich irgendwann nicht mehr hörbar.
Wie ein schwerer Samtvorhang hätte sich an diesem lauen Nachmittag Stille über den Ort ausgebreitet, doch etwas war immer wieder zu hören. Leise nur, zaghaft eigentlich, aber doch hörbar. Wie eine Melodie klang es, hell wie ein Glockenspiel, aber es fehlte eben das Selbstbewußtsein eines lauten und deutlichen Vortrags. Fast kam mir das Lied bekannt vor, das sich da Ton für Ton über die Straße erhob, sich leichtfüßig von den Bäumen in die Höhe schwang, dabei Finstersimse erklomm und schließlich wie ein kleiner Ballon in den Himmel wehte.
Mein Blick schweifte umher auf der Suche nach der Quelle der Melodie, bis ich sie sah, im Halbdunkel eines Geschäftseingangs stehend. Die Rolladen hinter ihr waren herabgelassen, der kalte Schimmer des Metalls wirkte sehr abweisend. Wohl musste das die junge Sängerin auch spüren, doch die Kälte und Ignoranz, die ihr eilig vorüberlaufende Manager und affektiert stöckelnde Damen entgegenbrachten, ließen sie in jenem Eingang Schutz suchen.
Begleitet von der Klaviermelodie einer Cassette, die eingelegt in einen Rekorder zu ihren Füssen schon leierte, wurde ihre Stimme immer leiser, als fürchte sie aufzufallen.
Zwei Meter vor ihr boten Sonnenstrahlen, die auf dem Gehsteig tanzten, die ideale Bühne für eine Gesangsdarbietung, und hätte sie dieses Angebot angenommen, so wäre auch der zerknitterte Filhut vor ihr besser gefüllt gewesen. So aber, in ihrer Angst durch ihre Musik Mißfallen zu erwecken, hatte sie sich zurückgezogen in das Halbdunkel des Eingangsbereiches. Traurig verfolgten ihre Augen Passanten, während sie verschiedene Lieder zum besten gab, manchmal senkte sie auch ihren Blick - es schien, als sei es ihr sogar peinlich hier zu sein.
Im Eissalon gleich daneben hatte eine Familie mit zwei kleinen Kindern Platz genommen. Zwillingsschwestern, beide in dunkles Rot gekleidet und die blonden Locken sorgsam zu Zöpfen geflochten, drehten sich immer wieder neugierig nach der schüchternen Sängerin um. Ganz versonnen betrachteten sie das junge Mädchen, dessen Musik sie vom genußvollen Verzehr ihrer Eiscreme abhielt. Schließlich konnten die Eltern ihre Töchter nicht mehr aufhalten. Noch auf wackeligen Beinen, aber doch schon kräftig genug, um vom Sessel zu springen und den eigenen Kurs zu bestimmen, liefen die Kleinen auf die Sängerin zu. Eine der Zwillinge hielt ganz vorsichtig eine Münze, die sie beide hartnäckig von den Eltern erbettelt hatten, in den kleinen Händchen. Einige wenige selbstbewußte Schritte und sie standen ganz erstaunt über die harmonische Melodie vor dem jungen Mädchen.
Und als wäre es dieser Augenblick wert, für alle Anwesend festgehalten zu werden, breitete gerade jetzt die Abenddämmerung ihr schönstes Farbenspiel über die Szene aus. Ein Lächeln huschte über das gerade zuvor noch so traurige Gesicht der jungen Musikstudentin - denn nichts Anderes konnte sie sein, beschämt und doch gezwungen, ihre Stimme zu üben.
Inzwischen hatte ein leichter Wind eingesetzt, der sanft über die Stadt strich. Einer Rebellion gegen das Festgefahrene und Starre gleich nahm er die Melodie auf, trug sie auf seinen leichten Böen dahin und ließ sie wie eine Siegesfahne weit durch das Stadtviertel wehen.

Noch immer prallten sämtliche Gefühlsregungen am eintönigen Klopfen verschiedener Absätze auf dem unebenen Kopfsteinpflaster ab, noch immer brachten ihr vorüberlaufende Manager und affektiert stöckelnde Damen die Kälte und Ignoranz entgegen. Doch jetzt konnte diese Mauer der Studentin nichts mehr anhaben. Sie war einen Schritt vorgetreten, hatte mit leichtem Lächeln das Angebot der Sonnenstrahlen angenommen und stand aufrecht darin, fröhlich trällernd und ihren dankbaren Blick auf die Kinder geheftet. Die Wirkung menschlicher Kälte war gebrochen. Sie ging verloren im Wind.

 

Seas!
Eine Live-Reportage von der Landstraße also...? :D
Ich gehöre auch zu denen, die schnell vorbeihuschen vor singenden Los Incas und so weiter.

Deine kleine Geschichte erzählst du sehr gut, wenngleich einige Metaphern, na ja, etwas überzuckert sind. Aber gut, nicht jeder ist so perfekt wie ich. ;)

Jedenfalls freut es mich, nicht mehr der einzige Österreicher hier zu sein und kann meinen lieben Piefkes eines schon verraten: Bald heißt das hier Kurzgschichtn.AT

Guten Abend und Mahlzeit!

 

@ Tinka Da sieht man mal wieder: Die negativen Eindrücke bleiben hängen, die positiven werden vergessen! Es gibt hier SEHR VIELE positive Kritiken die ich verteilt habe! Allerdings nicht in diesem Forum, das stimmt.
Nachdem mich eh keiner verstehen will werde ich nicht darlegen, wieso viele Kritiken eben negativ ausfallen bzw. nach welchen Kriterien ich beurteile. Nur eines noch: Ich mag auch heitere Geschichten, obwohl ich düstere SF vorziehe; aber irgendwie scheint sich meine Vorstellung "sonniger, humorvoller" Geschichten nicht mit dem zu decken, was ein Großteil der Autoren hier unter demselben Begriff versteht. ;)
Fthagn Cthulhu

 

@Tinka+Rainer:
Jetzt muss ich den armen, armen Rainer auch mal in Schutz nehmen. (ich hoffe, DAFÜR werd ich nicht gesteinigt!!) Meine GEschichten hat er beispielsweise noch nicht verrissen und man sollte ihm doch wenigstens zugute halten, dass er es versucht, sich mit solchen romantischen, leicht kitschigen Geschichten auseinanderzusetzen. Ich jedenfalls kann das nicht, kriege schon das große Grauen, wenn ich nur an Genres wie SF oder Fantasy denke...Würg!

@AndreaK:
Ich finde, du erzählst deine GEschichte mit sehr fester Stimme,deine Sprache ist bemerkenswert. Vielleicht solltest du an einigen STellen solche Hesse-ähnlichen Wendungen einschränken, es ist nicht immer zeitgemäß.
Gefällt mir, deine GEschichte!

kc

 

Hallo Andrea,

jeder sieht die Welt mit anderen Augen. Hätte ich an diesem sonnigen Nachmittag in dem beschriebenen Eiscafe gesessen, hätte Zeit und Muße gehabt, die beschriebene Szene zu beobachten, ich hätte auch in diese leicht melancholische Stimmung verfallen können, die du hier vermittelst. Ich kann sie jedenfalls gut nachempfinden.
Wäre ich jedoch einer der Vorübereilenden gewesen, hätte ich andere Ziele zu verfolgen gehabt und sicherlich wäre mir in diesem Moment die Sängerin gleichgültig gewesen.
Du schreibst sehr gut, ein wenig altmodisch, das stimmt, aber zu dieser Szene passt dieser Stil einfach.
Ich finde deine Geschichte schön, ich hab sie gerne gelesen.


Gruß.....Ingrid

 

Hallo Andrea!

Bei einem Blick in Deine Geschichtenliste hat mich dieser Titel hier besonders angesprochen. :)

Mir hat Deine Geschichte sehr gut gefallen, Du hast hier ein sehr schönes Stimmungsbild "gezeichnet".
Sehr schön hast Du beschrieben, wie sich die Sängerin in all der Kälte allein fühlt, sie ängstich und unsicher ist.
Wie die Kinder dann alles auflockern und der Sängerin Kraft geben, die Sonne alles erhellt, und die Singende ihre Angst verliert, weil sie durch die aufkommende Wärme die Kälte nicht mehr spürt, ist sehr gefühlvoll dargestellt.

Drei kleine Anmerkungen hab ich noch:

"der zerknitterte Filhut"
- sollte wohl Filzhut heißen ;)

Hier würde ich Beistriche machen:
"in ihrer Angst, durch ihre Musik"
"als sei es ihr sogar peinlich, hier zu sein."

"während sie verschiedene Lieder zum besten gab"
- zum Besten gab

Alles liebe,
Susi

 

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