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Verkannt
Kanonier Huber liebte das Militärleben. Der Geruch der Panzerhaubitzen, die staubigen, weiten Felder, auf denen man sich als Panzerfahrer Mensch gegen Maschine, Maschine gegen Mensch, Haubitze gegen Mensch, Mensch gegen … jedenfalls genoss er diese Herausforderung. Diese rohen, unberechenbaren Fahrzeuge zu bändigen, den Weg zu zeigen, den man …
„Haben sie mir den Tagesbefehl für morgen schon kopiert, Kanonier Huber?“
Huber erwachte aus seinen Tagträumen. Er war seit eh und je im Kompaniebüro eingeteilt. Er erledigte Hilfsarbeiten. Das Kopieren von Dokumenten gehörte bereits zu den anspruchsvolleren Aufgaben, mit denen man ihn betraute.
Weiter war er auch für das Management im Reinigungswesen zuständig. Er putzte das Schuhwerk der Offiziere, erledigte den Abwasch und delegierte den Unterhalt der sanitären Anlagen. Meist an sich selbst, da in der Hierarchie beim besten Willen niemand weiter unten zu finden gewesen wäre.
Trotzdem war er ziemlich stolz auf seine Funktionen. Konnten saubere Toiletten oder frisch geputzte Schuhe für den Soldaten nicht doch noch die letzte Motivationsspritze sein, bevor er sich in die alles entscheidende Schlacht stürzte? Oder müsste es nicht gerade für den Feind ernüchternd sein, ob der pingeligen Sauberkeit, zu bemerken, dass er sich in der Schweiz, also in einem Land befand, wegen der Grösse den Aufwand zur Eroberung nicht lohnte.
Es schien für Kanonier Huber absolut klar, dass jene mit weniger Weitsicht und Intelligenz, seine Funktion und Wichtigkeit für die Armee immer wieder unterschätzten. Damit konnte er leben, da er genau wusste, dass wahres Genie meist erst spät erkannt wird. In seinem Fall wohl nie.
Beim Kopieren des Tagesbefehls war es dann endlich soweit: Seine Träume schienen sich auf einen Schlag zu verwirklichen. SEIN Name erschien bei den Wachablösungen der Übung „Aufzack“ als die Nummer 15. Huber! Huuber!!
Er, Huber, Huuber, war vorgesehen, als 15. Wachablösung das von einer Kinderspielgruppe des angrenzenden Ortes aufgebaute Waldversteck, bestehend aus ein paar Ästen und etwas Laub, gegen einen imaginären Feind aus dem Osten, vermutlich Liechtensteiner, zu verteidigen.
Sollten bei dieser zwölfstündigen Übung mindestens vier Soldaten ausfallen, wäre er, Huber, Huuber, an der Reihe die letzte einstündige Wacheinheit zu übernehmen. Er lächelte zufrieden in sich hinein, während er mit der einen Hand die Bürste hielt und mit der anderen in das leicht säuerliche Schuhinnenleben griff.
Möglicherweise war dies sein grosser Durchbruch. Jemand hatte sein Potenzial erkannt. Vielleicht verdankte er diesen Aufstieg gerade jenem Offizier, dessen Schuhe er in diesem Moment in seinen nun ebenfalls etwas säuerlich riechenden Händen hielt. Zärtlich strich er über die Dreckkruste, welche sich über die ganze Fläche dieser Schuhe, die das Zuhause von bestimmt sehr filigranen Füssen waren, erstreckte.
Seine Hoffnungen erfüllten sich nicht. Es war schliesslich ein Daniel Huber, der die 15. Wachablösung des strategisch so wichtigen Spielgruppenverstecks übernehmen durfte. Unser Bernd Huber war sich sicher, dass es sich um eine Vornamensverwechslung handeln musste, wollte aber, Menschenfreund wie er war, dem Daniel seine Chance nicht vermasseln. Er gönnte auch anderen den Ruhm. Wahre Grösse eben …
Zurück im richtigen Leben: Herr Bernd Huber. Mitarbeiter einer grossen Logistikfirma. Mitverantwortlich für Milliarden an Umsatz, welche dieser Betrieb jährlich generierte. Er musste lächeln, wenn er daran zurückdachte, welchen Prioritäten er als Armeeangehöriger nachrennen musste.
Hier konnte er wieder etwas bewegen.
Die Zeit als Kanonier Huber betrachtete er aber keinesfalls als verlorene Zeit. Das Kennenlernen der Arbeiten unterer Chargen, so sagte er sich, können der zivilen Sozialkompetenz nur zuträglich sein.
„Wo muss ich unterschreiben? „
„Hier bitte!“
Er überreichte der Kundin ihr Paket, schüttelte den an seinen Hosen klebenden, leicht röchelnden Pinscher ab, rückte seine Mütze zurecht und stieg, nicht ohne Stolz, auf sein gelbes Fahrrad.