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Vergewaltigt
Starr blickte Rolf Hohl an die gekalkte Wand, als ob sie eine Projektionsfläche wäre. Das Unfassbare konnte er noch immer nicht begreifen. Er suchte nach Antworten, wobei die Fragestellungen ihm schon Mühe bereiteten. Immer wieder gelangte er wie in einer Endlosschleife zum Warum?
Als er festgenommen wurde, sprach man von Verdunklungsgefahr. Sein Pflichtverteidiger meinte, zwei, drei Tage, dann sei er wieder frei - bis zur Gerichtsverhandlung. Dabei hatte er doch nichts getan, war sich keiner Schuld bewusst, es konnte nur ein Missverständnis sein.
Missverständnis?
Rebecca hatte ihn angezeigt und ausgesagt, sie sei von ihm betäubt und in diesem wehrlosen Zustand vergewaltigt worden. Sexuelle Nötigung formulierte es der Untersuchungsrichter, Herr Girardot, das schreckliche Wort mildernd. Kein Kavaliersdelikt, das man ihm da vorwarf.
Mit einer Reisetasche war sie dem Zug entstiegen, lächelnd kam sie mir entgegen. Sie war hübsch, keine ausgesprochene Schönheit, doch wirkte sie mit ihren langen offenen Haaren schlank und attraktiv. Vor allem auf ihre wohlgeformten langen Beine war sie stolz, weshalb sie auch immer Jupes und Schuhe mit hohen Absätzen trug, niemals Hosenkleidung. Freundschaftlich reichten sie sich die Hand. Sie hatte sich freigenommen, um mit ihm am nächsten Tag die Messe, ein örtliches Ereignis, zu besuchen. Er hatte sich noch gewundert, dass sie schon am Vorabend anreisen wollte. Bequem hätte sie im Laufe des Morgens anreisen können, ohne das abendliche Gedränge. «Ich komme am Donnerstagabend», ihre Worte am Telefon waren bestimmt gewesen, gaben keinen Zweifel an ihrer Absicht.
Seine Erinnerung schweifte zurück zu dem Tag, als er ihr erstmals in der Central-Bar begegnet war. Nach einem Seminar ganz in der Nähe blieb ihm noch Zeit, bis der Zug fuhr. Die Inhaberin des Lokals und des gleichnamigen Hotels war eine Bekannte von ihm, doch an diesem Tag war sie abwesend, wie ihm auf Nachfrage gesagt wurde. So stand er an der Theke vor seinem Glas, sein Blick schweifte in der Runde. Berufstätige, die zum Feierabend für ein Glas Prosecco oder ein Bier einkehrten, nichts Ungewöhnliches. Da bemerkte er sie. Es war der Blick, mit dem sie ihn ansah, neugierig musternd. Ihr gegenüber ein fülliger Mann mittleren Alters, wahrscheinlich ein Berufskollege. Sehen und gesehen werden, das übliche Spiel der Langeweile, es war ihm vertraut.
Eine Viertelstunde noch, dann werde ich zum Bahnhof hinüber gehen. Er spürte leicht eine Berührung an seinem Arm, eine Hand legte einen zusammengefalteten Zettel vor ihm auf den Tresen und zog sich schnell zurück. Als er den Kopf wandte, ging die Frau, ohne sich umzuwenden, bereits auf den Ausgang zu und verschwand. Eine Telefonnummer, mehr hatte sie nicht hinterlassen. Eigentlich sah sie nicht wie eine Professionelle aus, … war eher von biederer Eleganz, dachte ich damals. Niemand schien diesen Vorgang beachtet zu haben, oder vielleicht schon, die Bardame hatte kurz, aber desinteressiert zu mir hingesehen. Er hätte ihn liegenlassen können, doch steckte er den Zettel ein.
Am nächsten Tag kam ihm dieses kurze Intermezzo in den Sinn, der Zettel steckte noch in seiner Jackentasche. Tagsüber war sie nicht erreichbar, erst am Abend nahm sie das Telefon ab. «Rebecca Winters», ihre Stimme hatte einen leicht rauchigen Klang.
«Rolf Hohl hier», er räusperte sich, kurz überlegend, ob es die richtigen Worte wären. «Wir sind uns gestern in der Central-Bar begegnet, ich stand an der Theke.» Er wartete einen Moment, doch sie reagierte noch nicht. «Vielleicht könnten wir uns mal treffen, ich würde Sie gern näher kennenlernen.»
«Ah, ich erinnere mich. Doch ja, dies wäre eine nette Idee. Diese Woche kann ich allerdings nicht, aber wie wäre es am nächsten Dienstag, am frühen Abend?»
Ein kurzer Blick in die Agenda, obwohl er sich sicher war, dass es ihm möglich war. «Ja, passt mir gut.»
«Haben Sie einen Vorschlag, wo wir uns treffen können?»
In der Central-Bar wollte er so kurz danach mit ihr nicht auftreten. Spontan fiel ihm nur ein exklusives Hotel ein. «Wie wäre es mit der Bar des Baur au Lac?»
«Gute Wahl, dort hat es eine angenehme Atmosphäre. Sagen wir um halb fünf, oder besser noch, können Sie mich um sechzehn Uhr abholen?» Sie nannte ihm die Adresse ihres Arbeitgebers, einer Repräsentanz eines amerikanischen Technologieunternehmens.
«Kein Problem, ich werde pünktlich sein.»
«Also dann, bis nächsten Dienstag. Auf Wiedersehen, Rolf.»
«Ich freue mich, bis dann, Rebecca.»
In dem Kleid mit farbigen Blumenmustern wirkte sie auf ihn etwas altmodisch trotz ihrer sonst jugendlichen Erscheinung. Sie wartete bereits, obwohl er pünktlich vorgefahren war. Ihre Begrüssung war noch etwas steif, ein erstes Beschnuppern, doch verlief es zusehends angenehm. Sie waren schnell beim vertraulichen Du und sprachen über sich selbst. Für sie kam vorrangig ihr Beruf als Sekretärin. So manchen Abend verbrachte sie im Büro, ehrgeizig bedacht, alle Arbeiten vor der gesetzten Frist zu erledigen. Als Freizeitvergnügen bevorzugte sie Segeln. Beinah etwas verträumt erschien sie mir, als sie von jenem älteren Herrn sprach, den sie auf seiner Jacht auf dem Bodensee manchmal begleitete und dessen Wochenendhaus in den nahen Hügelzügen der Voralpen lag.
«Aber, es ist vorbei.» Eine Begründung gab sie nicht ab.
Eigenartig, dass sie dies erwähnte. Ein vermögender älterer Herr ist wohl kaum eine Referenz für eine jüngere Frau. Siebenundzwanzig war sie, fünf Jahre jünger als ich, hatte sich im Gespräch herausgestellt. Der Gedanke trat mir damals wieder auf, ist sie etwa doch …?
«Mit einem Boot kann ich nicht aufwarten.Schwankende Unterlagen bereiten mir Mühe, ich schätze festen Boden unter den Füssen.» Es war mir bewusst, dies konnte das Ende unserer Bekanntschaft sein, doch ich wollte Klarheit. Sie sah wortlos darüber hinweg.
Selbst hatte er es vermieden, über verflossene Beziehungen zu sprechen, nur eine mehrjährige Partnerschaft gestand er ein. Seine Betonung lag darauf, dass sie sich im gegenseitigen Einvernehmen getrennt hatten, da im Laufe der Zeit das Erotische zwischen ihnen erodierte.
Ihr Lächeln signalisierte mir stillschweigend ihr Verständnis.
Trotz ihres rückblickenden Vorgeplänkels fanden sie zu gemeinsamen Interessen, wobei Abendessen in angenehmer Atmosphäre oder ein gutes Konzert im Vordergrund standen. Für ihn dominierte die Musik von Sibelius, während sie sich vorwiegend auf den Dirigenten Solti kaprizierte.
Es war bei unserem zweiten Treffen, als sie etwas eingeschnappt war, weil ich kein Kompliment zu ihren Beinen einbrachte und sie es selbst erwähnen musste. Dabei tat sie alles, um dies mir zu entlocken, präsentierte sich vor mir, wobei ich mehr ihr Kleid beachtete. «Nur die wenigsten Frauen haben solche Beine», meinte sie.
Zum Essen hatte er sie in ein koreanisches Lokal geführt. Sie schätzte eine exklusive Atmosphäre, was mir entgegenkam. Mit der koreanischen Küche nicht vertraut, stellte er arglos seine Gänge zusammen. Die Suppe schmeckte intensiv nach Knoblauch. Ausgerechnet etwas, das mir schlecht bekommt. Die Erwartung, dass die nächsten Gänge diesen starken Geschmack kompensieren würden, erwies sich als ein Irrtum. Ich machte an diesem Abend die Erfahrung, dass Knoblauch die koreanische Küche durch und durch beherrscht. Der Schnaps danach verstärkte meine Übelkeit, statt die Magensäfte zu regulieren.
Bei ihr zu Hause, sie hatten es sich auf der Couch bequem gemacht, bot sie ihm einen Cognac an. Doch er lehnte ab. Nippen hätte ich wenigstens daran können, die romantische Stimmung, welche sie sich wünschte, mitspielen. Es war sehr abrupt, wie sie mich nach Hause schickte. Neunzig Kilometer, die er trotz seines Unwohlseins noch Autofahren musste.
Bei einem nächsten Treffen, wir einigten uns nur alle paar Wochen auf einen Termin, holte ich sie zu Hause ab. Als sie öffnete, machte sie in Richtung der gegenüberliegenden Wohnungstüre eine Grimasse. «Die Alte da vis-à-vis, schaut immer durch das Guckloch, wenn ich Besuch erhalte», sprach sie laut. Und noch bevor sie die Türe schloss, doppelte sie nach. «Sie ist eine furchtbare Ziege, eigentlich gehört sie in ein Altersheim.»
«Vielleicht ist sie einfach einsam», bemerkte ich, aber sagte weiter nichts, da Rebecca eine säuerliche Miene aufsetzte. Manchmal war sie schon recht zickig.
«Ich muss mich noch umziehen. Warte bitte so lange im Wohnzimmer.»
Ein kleines Büchergestell weckte meine Neugierde. Vor allem Romane bekannter Autoren standen da, ein paar Bildbände sowie fünf leinengebundene Bücher ohne Titel. «Führst Du Tagebücher?», rief ich.
Wie eine Furie kam Rebecca aus dem Schlafzimmer gerannt, noch nicht fertig umgekleidet. «Lass die Finger davon», schrie sie, nahm die Bände aus dem Gestell und verschwand damit. Ich hatte sie gar nicht angefasst, lediglich aufgrund der Musterung der Einbände geahnt, was sich darin verbergen könnte. Natürlich hätte es mich interessiert zu wissen, was sie im Stillen für sich denkt. Doch, niemals wäre mir ein solcher Vertrauensbruch in den Sinn gekommen. Ein wenig beleidigt war ich da schon. Aber gut, wir führten ja lediglich eine Zweckbeziehung, um ab und zu etwas gemeinsam zu unternehmen. Eine feste Bindung wollte ich so schnell nicht wieder eingehen.
Diese Sequenzen ihrer Bekanntschaft waren ihm jetzt gegenwärtig, Eigenarten von ihr, die er stets negiert und als kurzweilige Launen abgetan hatte, bedacht eine angenehme Bekanntschaft zu pflegen. Natürlich war er auch nicht makellos, zeigte etwa kein Interesse daran etwas zu unternehmen, was ihm nicht zusagte, doch von seinem Naturell her war er umgänglich. Wenn ich nach einem guten Essen eine Zigarre rauchte, störte sie sich nicht daran. Sie deutete es, vielmehr dahingehend in Gesellschaft eines Herrn von Welt zu sein.
An jenem Abend, vor dem Messebesuch, hatte er ein Abendessen bei sich zu Hause vorbereitet. Es war ihr sechstes Zusammentreffen und er glaubte, ihre kulinarischen Vorlieben einschätzen zu können.
«Nur etwas ganz Kleines», hatte sie ihn am Telefon gebeten, «ich habe am Mittag noch ein Geschäftsessen.»
Der Tisch war schön angerichtet, Blumen und eine Kerze gaben eine romantische Note. Im Hintergrund spielte leise klassische Musik. Zu Melonen mit Rohschinken und einer Baguette hatte er einen Tessiner Merlot gewählt, was ihre Anerkennung fand. Sie war ziemlich beschwingt an diesem Abend, freute sich offensichtlich über ihr trautes Zusammensein. Gemeinsam tranken sie die eine Flasche Wein, bis sie andeutete, sie möchte schlafen gehen.
Mir war es schon aufgefallen, als sie es bei ihrer Ankunft auspackte und auf das Bett legte. Sie trug ein Flanellnachthemd. So kalt war es nicht, es war anfangs Oktober. Den Gedanken, wie unerotisch es wirkt, schob ich damals kurzerhand beiseite, das Licht löschend.
Als ich mich ihr zärtlich zuwandte, liess sie mich wortlos gewähren. Eine Erregung konnte ich an ihr auch nach ausführlichem Vorspiel nicht anmerken. Nach meinen Erfahrungen musste ihr Verlangen bereits brennend sein. Doch sie verhielt sich, als wäre sie völlig unerfahren, staunend, was ihr widerfährt. Einzig die Beine zog sie hoch, mich zulassend. Sie kann ihre Gefühle nicht zeigen, war damals mein Gedanke, als ich mich zur Seite legte, um zu schlafen.
Die Vergegenwärtigung der damaligen Situationen, sein Grübeln darüber, brachten ihm unerwartet auch andere Erinnerungen hoch. Als Zuhörer hatte er vor einiger Zeit ein Symposium besucht, dem Thema «Gesellschaft und Werte» gewidmet. In seinem Ausweis an Weiterbildungen fügte sich dies gut ein. Wirklich verstanden hatte er nicht alles, die Themen und Positionen waren unterschiedlich, doch manches markierte er später in seinen Unterlagen. Da war der eine Satz im Referat von Fellmann, einem Philosophen, der ihn damals irritierte, dessen Schlüssigkeit er dann aber nicht wie beabsichtigt weiter verfolgte:
Beim Frühstückstisch, wir waren spät aufgestanden, sprach sie erstmals davon.
«Es ist nicht das erste Mal, dass mich ein Mann vögelte, ohne dass mir danach war.»
Einen Moment glaubte, ich mich verhört zu haben, oder dachte, sie mache einen Scherz. Sie hatte es gewollt und sich selbst über Nacht eingeladen. Ich war schockiert und sprachlos. Mir fielen keine passenden Worte ein, was ich darauf erwidern sollte. Nur die Frage war da, warum hatte sie am Abend nichts gesagt? Ein einziges Wort hätte mir gereicht.
Einer der Referenten erwähnte doch damals am Symposium die Hemmung, durch Scham erzeugt. … Breyer war es. Wie waren da seine Worte? …
Zwei Wochen später hatte sie sich mit ihm verabredet, aber dann kurzfristig den Treffpunkt wieder geändert. Statt im Café Relax sollte er nun auf der Strasse warten. Knapp eine halbe Stunde nach der vereinbarten Zeit erschien sie endlich, machte mir öffentlich eine Szene, wobei sie ausdrückte, dass wir nicht zueinanderpassen. Seine beruhigenden Worte erreichten sie nicht, sie wehrte ab, weshalb er sich mit knappen Worten verabschiedete. Derart launisch hatte ich sie noch nie erlebt und dachte mir, vielleicht hatte sie Ärger bei der Arbeit. Doch, dass sie mich für nichts so weit fahren liess und die Szene auf der Strasse, waren nicht mehr normal. Ich nahm mir vor, wenn sie nächstes Mal anruft, sie erst mal hinzuhalten, bevor wir uns wieder treffen. Wenn überhaupt, korrigierte ich mich damals, ich kenne ja andere Frauen, die umgänglicher sind. Ich hörte nichts mehr von ihr, bis heute, sieben Monate später, und das nur indirekt, dafür massiv.
Ich Narr, … ihre Körpersprache damals. Das ist es!
Wie konnte ich dies missachten. In meiner Selbstgefälligkeit war mir nur bewusst, dass sie es wollte, sich wünschte. Wozu sollte ihre Selbsteinladung bei mir zu übernachten sonst gut sein?
Erwartete sie etwa eine feudale Wohnung mit Gästezimmern oder eine Villa? Wie ich wohne, darüber hatten wir uns nie unterhalten. Vielleicht war es etwas zögerlich, wie sie ihr Nachthemd beim Auspacken der Reisetasche auf die linke Seite des Doppelbetts legte? … Aber der Abend war dann doch stimmungsvoll, sie wirkte richtig aufgekratzt. Ich nahm sie zumindest so wahr.
Am liebsten hätte er seinen Kopf gegen die Wand geschlagen, sich bestraft für seine fehlende Sensibilität.
Hätte ich doch etwas logisch überlegt, sie gefragt, was los ist. … Verfluchte Sprachlosigkeit!
Nein, es war mir geradezu eine Fremdsprache, die ich nicht übersetzte, ja nicht mal zu verstehen versuchte.
Er merkte erst auf, als der Aufseher bereits in der Zelle stand. «Kommen Sie und nehmen Sie Ihre Tasche mit.»
«Meine Tasche?» Er verstand nicht, was dies zu bedeuten hatte.
«Ja, sie werden entlassen.»
Entlassen? Nach sechs Stunden? Der Verteidiger meinte … «Ich verstehe nicht.»
«Das wird Ihnen Herr Girardot genauer erklären. Seien Sie froh, nicht jeder solche Fall geht so glimpflich aus.»
Im schlichten Büro von Herrn Girardot wurde er auf den Stuhl dem Untersuchungsrichter gegenüber verwiesen, auf dem er Stunden zuvor bereits schon einmal Platz genommen hatte. Die Wand in seinem Blickfeld war mit Gesetzeswerken angefüllt, viele davon in blutrote Einbände gefasst, erdrückend für Betrachter.
«Also Herr Hohl, die Anzeige gegen Sie wurde fallengelassen. Bei einer neuerlichen Einvernahme von Frau Winters, die ich aufgrund der abweichenden Schilderungen von Ihnen anordnete, wiederrief sie ihre ursprüngliche Aussage. Nach reiflicher Überlegung kam sie zur Erkenntnis, dass sie ihre Pillen, welche sie damals bei sich hatte, wohl verwechselte. Irrtümlich hat sie wahrscheinlich ein Beruhigungsmittel eingenommen, dessen Wirkung sich mit dem Alkohol verstärkte.
Diese Einsicht hat sie ziemlich mitgenommen, sie wirkte völlig aufgelöst und ich denke, dies hatte sie keinen Moment in Erwägung gezogen. Es war folglich ein glaubhaftes Missverständnis, das man ihr nicht zum Vorwurf machen sollte.»
Hohl wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Er hatte die Worte verstanden, doch war da etwas, das ihn daran hinderte, sich zu freuen.
«Ihr Pflichtverteidiger wurde vorab bereits telefonisch orientiert. Er ist über diese gütliche Klärung sehr erfreut. Ich denke, für Sie ist dies ebenso ein gutes Ende.»
Der Untersuchungsrichter stand auf und reichte ihm die Hand. «Leben Sie wohl, Herr Hohl.»
Aber, ich habe ihre Körpersprache nicht wahrgenommen, ja krass missachtet. Ich bin schuldig!
Er fühlte sich rausgeschmissen, mit seinem Problem sich selbst überlassen. Da fielen ihm Worte jenes Juristen ein, der auch am Symposium referierte. Tiedemann war sein Name, er sprach über Menschenrechte und Würde.
Der letzte Satz schwebte Hohl wie eine bedrohlich schwarze Wolke in der Erinnerung.
Aber er relativierte dies doch auch, sagte, solche Schuldgefühle könnten auch zu Unrecht auftreten. Auch präzisierte er, dass die Ethik und das Recht verschiedene Perspektiven sind.
Ich muss zu Hause die Texte der Referate nochmals lesen, vor allem Tiedemann. Er hatte da doch auch über den freien Willen referiert, … dass man entgegen dem in eine Situation geraten kann, in der man sich nicht sicher ist, was man will. Wenn es bei Rebecca so war, sie sich ihrer Absicht unsicher wurde, würde es doch ihr Verhalten erklären und mich entlasten? … Ich muss unbedingt auch mit Rebecca sprechen … ich muss es wissen.