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Vergewaltigt

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29.01.2010
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Vergewaltigt

Starr blickte Rolf Hohl an die gekalkte Wand, als ob sie eine Projektionsfläche wäre. Das Unfassbare konnte er noch immer nicht begreifen. Er suchte nach Antworten, wobei die Fragestellungen ihm schon Mühe bereiteten. Immer wieder gelangte er wie in einer Endlosschleife zum Warum?
Als er festgenommen wurde, sprach man von Verdunklungsgefahr. Sein Pflichtverteidiger meinte, zwei, drei Tage, dann sei er wieder frei - bis zur Gerichtsverhandlung. Dabei hatte er doch nichts getan, war sich keiner Schuld bewusst, es konnte nur ein Missverständnis sein.
Missverständnis?
Rebecca hatte ihn angezeigt und ausgesagt, sie sei von ihm betäubt und in diesem wehrlosen Zustand vergewaltigt worden. Sexuelle Nötigung formulierte es der Untersuchungsrichter, Herr Girardot, das schreckliche Wort mildernd. Kein Kavaliersdelikt, das man ihm da vorwarf.

Mit einer Reisetasche war sie dem Zug entstiegen, lächelnd kam sie mir entgegen. Sie war hübsch, keine ausgesprochene Schönheit, doch wirkte sie mit ihren langen offenen Haaren schlank und attraktiv. Vor allem auf ihre wohlgeformten langen Beine war sie stolz, weshalb sie auch immer Jupes und Schuhe mit hohen Absätzen trug, niemals Hosenkleidung. Freundschaftlich reichten sie sich die Hand. Sie hatte sich freigenommen, um mit ihm am nächsten Tag die Messe, ein örtliches Ereignis, zu besuchen. Er hatte sich noch gewundert, dass sie schon am Vorabend anreisen wollte. Bequem hätte sie im Laufe des Morgens anreisen können, ohne das abendliche Gedränge. «Ich komme am Donnerstagabend», ihre Worte am Telefon waren bestimmt gewesen, gaben keinen Zweifel an ihrer Absicht.

Seine Erinnerung schweifte zurück zu dem Tag, als er ihr erstmals in der Central-Bar begegnet war. Nach einem Seminar ganz in der Nähe blieb ihm noch Zeit, bis der Zug fuhr. Die Inhaberin des Lokals und des gleichnamigen Hotels war eine Bekannte von ihm, doch an diesem Tag war sie abwesend, wie ihm auf Nachfrage gesagt wurde. So stand er an der Theke vor seinem Glas, sein Blick schweifte in der Runde. Berufstätige, die zum Feierabend für ein Glas Prosecco oder ein Bier einkehrten, nichts Ungewöhnliches. Da bemerkte er sie. Es war der Blick, mit dem sie ihn ansah, neugierig musternd. Ihr gegenüber ein fülliger Mann mittleren Alters, wahrscheinlich ein Berufskollege. Sehen und gesehen werden, das übliche Spiel der Langeweile, es war ihm vertraut.
Eine Viertelstunde noch, dann werde ich zum Bahnhof hinüber gehen. Er spürte leicht eine Berührung an seinem Arm, eine Hand legte einen zusammengefalteten Zettel vor ihm auf den Tresen und zog sich schnell zurück. Als er den Kopf wandte, ging die Frau, ohne sich umzuwenden, bereits auf den Ausgang zu und verschwand. Eine Telefonnummer, mehr hatte sie nicht hinterlassen. Eigentlich sah sie nicht wie eine Professionelle aus, … war eher von biederer Eleganz, dachte ich damals. Niemand schien diesen Vorgang beachtet zu haben, oder vielleicht schon, die Bardame hatte kurz, aber desinteressiert zu mir hingesehen. Er hätte ihn liegenlassen können, doch steckte er den Zettel ein.
Am nächsten Tag kam ihm dieses kurze Intermezzo in den Sinn, der Zettel steckte noch in seiner Jackentasche. Tagsüber war sie nicht erreichbar, erst am Abend nahm sie das Telefon ab. «Rebecca Winters», ihre Stimme hatte einen leicht rauchigen Klang.
«Rolf Hohl hier», er räusperte sich, kurz überlegend, ob es die richtigen Worte wären. «Wir sind uns gestern in der Central-Bar begegnet, ich stand an der Theke.» Er wartete einen Moment, doch sie reagierte noch nicht. «Vielleicht könnten wir uns mal treffen, ich würde Sie gern näher kennenlernen.»
«Ah, ich erinnere mich. Doch ja, dies wäre eine nette Idee. Diese Woche kann ich allerdings nicht, aber wie wäre es am nächsten Dienstag, am frühen Abend?»
Ein kurzer Blick in die Agenda, obwohl er sich sicher war, dass es ihm möglich war. «Ja, passt mir gut.»
«Haben Sie einen Vorschlag, wo wir uns treffen können?»
In der Central-Bar wollte er so kurz danach mit ihr nicht auftreten. Spontan fiel ihm nur ein exklusives Hotel ein. «Wie wäre es mit der Bar des Baur au Lac?»
«Gute Wahl, dort hat es eine angenehme Atmosphäre. Sagen wir um halb fünf, oder besser noch, können Sie mich um sechzehn Uhr abholen?» Sie nannte ihm die Adresse ihres Arbeitgebers, einer Repräsentanz eines amerikanischen Technologieunternehmens.
«Kein Problem, ich werde pünktlich sein.»
«Also dann, bis nächsten Dienstag. Auf Wiedersehen, Rolf.»
«Ich freue mich, bis dann, Rebecca.»

In dem Kleid mit farbigen Blumenmustern wirkte sie auf ihn etwas altmodisch trotz ihrer sonst jugendlichen Erscheinung. Sie wartete bereits, obwohl er pünktlich vorgefahren war. Ihre Begrüssung war noch etwas steif, ein erstes Beschnuppern, doch verlief es zusehends angenehm. Sie waren schnell beim vertraulichen Du und sprachen über sich selbst. Für sie kam vorrangig ihr Beruf als Sekretärin. So manchen Abend verbrachte sie im Büro, ehrgeizig bedacht, alle Arbeiten vor der gesetzten Frist zu erledigen. Als Freizeitvergnügen bevorzugte sie Segeln. Beinah etwas verträumt erschien sie mir, als sie von jenem älteren Herrn sprach, den sie auf seiner Jacht auf dem Bodensee manchmal begleitete und dessen Wochenendhaus in den nahen Hügelzügen der Voralpen lag.
«Aber, es ist vorbei.» Eine Begründung gab sie nicht ab.
Eigenartig, dass sie dies erwähnte. Ein vermögender älterer Herr ist wohl kaum eine Referenz für eine jüngere Frau. Siebenundzwanzig war sie, fünf Jahre jünger als ich, hatte sich im Gespräch herausgestellt. Der Gedanke trat mir damals wieder auf, ist sie etwa doch …?
«Mit einem Boot kann ich nicht aufwarten.Schwankende Unterlagen bereiten mir Mühe, ich schätze festen Boden unter den Füssen.» Es war mir bewusst, dies konnte das Ende unserer Bekanntschaft sein, doch ich wollte Klarheit. Sie sah wortlos darüber hinweg.
Selbst hatte er es vermieden, über verflossene Beziehungen zu sprechen, nur eine mehrjährige Partnerschaft gestand er ein. Seine Betonung lag darauf, dass sie sich im gegenseitigen Einvernehmen getrennt hatten, da im Laufe der Zeit das Erotische zwischen ihnen erodierte.
Ihr Lächeln signalisierte mir stillschweigend ihr Verständnis.
Trotz ihres rückblickenden Vorgeplänkels fanden sie zu gemeinsamen Interessen, wobei Abendessen in angenehmer Atmosphäre oder ein gutes Konzert im Vordergrund standen. Für ihn dominierte die Musik von Sibelius, während sie sich vorwiegend auf den Dirigenten Solti kaprizierte.

Es war bei unserem zweiten Treffen, als sie etwas eingeschnappt war, weil ich kein Kompliment zu ihren Beinen einbrachte und sie es selbst erwähnen musste. Dabei tat sie alles, um dies mir zu entlocken, präsentierte sich vor mir, wobei ich mehr ihr Kleid beachtete. «Nur die wenigsten Frauen haben solche Beine», meinte sie.
Zum Essen hatte er sie in ein koreanisches Lokal geführt. Sie schätzte eine exklusive Atmosphäre, was mir entgegenkam. Mit der koreanischen Küche nicht vertraut, stellte er arglos seine Gänge zusammen. Die Suppe schmeckte intensiv nach Knoblauch. Ausgerechnet etwas, das mir schlecht bekommt. Die Erwartung, dass die nächsten Gänge diesen starken Geschmack kompensieren würden, erwies sich als ein Irrtum. Ich machte an diesem Abend die Erfahrung, dass Knoblauch die koreanische Küche durch und durch beherrscht. Der Schnaps danach verstärkte meine Übelkeit, statt die Magensäfte zu regulieren.
Bei ihr zu Hause, sie hatten es sich auf der Couch bequem gemacht, bot sie ihm einen Cognac an. Doch er lehnte ab. Nippen hätte ich wenigstens daran können, die romantische Stimmung, welche sie sich wünschte, mitspielen. Es war sehr abrupt, wie sie mich nach Hause schickte. Neunzig Kilometer, die er trotz seines Unwohlseins noch Autofahren musste.

Bei einem nächsten Treffen, wir einigten uns nur alle paar Wochen auf einen Termin, holte ich sie zu Hause ab. Als sie öffnete, machte sie in Richtung der gegenüberliegenden Wohnungstüre eine Grimasse. «Die Alte da vis-à-vis, schaut immer durch das Guckloch, wenn ich Besuch erhalte», sprach sie laut. Und noch bevor sie die Türe schloss, doppelte sie nach. «Sie ist eine furchtbare Ziege, eigentlich gehört sie in ein Altersheim.»
«Vielleicht ist sie einfach einsam», bemerkte ich, aber sagte weiter nichts, da Rebecca eine säuerliche Miene aufsetzte. Manchmal war sie schon recht zickig.
«Ich muss mich noch umziehen. Warte bitte so lange im Wohnzimmer.»
Ein kleines Büchergestell weckte meine Neugierde. Vor allem Romane bekannter Autoren standen da, ein paar Bildbände sowie fünf leinengebundene Bücher ohne Titel. «Führst Du Tagebücher?», rief ich.
Wie eine Furie kam Rebecca aus dem Schlafzimmer gerannt, noch nicht fertig umgekleidet.
«Lass die Finger davon», schrie sie, nahm die Bände aus dem Gestell und verschwand damit. Ich hatte sie gar nicht angefasst, lediglich aufgrund der Musterung der Einbände geahnt, was sich darin verbergen könnte. Natürlich hätte es mich interessiert zu wissen, was sie im Stillen für sich denkt. Doch, niemals wäre mir ein solcher Vertrauensbruch in den Sinn gekommen. Ein wenig beleidigt war ich da schon. Aber gut, wir führten ja lediglich eine Zweckbeziehung, um ab und zu etwas gemeinsam zu unternehmen. Eine feste Bindung wollte ich so schnell nicht wieder eingehen.

Diese Sequenzen ihrer Bekanntschaft waren ihm jetzt gegenwärtig, Eigenarten von ihr, die er stets negiert und als kurzweilige Launen abgetan hatte, bedacht eine angenehme Bekanntschaft zu pflegen. Natürlich war er auch nicht makellos, zeigte etwa kein Interesse daran etwas zu unternehmen, was ihm nicht zusagte, doch von seinem Naturell her war er umgänglich. Wenn ich nach einem guten Essen eine Zigarre rauchte, störte sie sich nicht daran. Sie deutete es, vielmehr dahingehend in Gesellschaft eines Herrn von Welt zu sein.

An jenem Abend, vor dem Messebesuch, hatte er ein Abendessen bei sich zu Hause vorbereitet. Es war ihr sechstes Zusammentreffen und er glaubte, ihre kulinarischen Vorlieben einschätzen zu können.
«Nur etwas ganz Kleines», hatte sie ihn am Telefon gebeten, «ich habe am Mittag noch ein Geschäftsessen.»
Der Tisch war schön angerichtet, Blumen und eine Kerze gaben eine romantische Note. Im Hintergrund spielte leise klassische Musik. Zu Melonen mit Rohschinken und einer Baguette hatte er einen Tessiner Merlot gewählt, was ihre Anerkennung fand. Sie war ziemlich beschwingt an diesem Abend, freute sich offensichtlich über ihr trautes Zusammensein. Gemeinsam tranken sie die eine Flasche Wein, bis sie andeutete, sie möchte schlafen gehen.
Mir war es schon aufgefallen, als sie es bei ihrer Ankunft auspackte und auf das Bett legte. Sie trug ein Flanellnachthemd. So kalt war es nicht, es war anfangs Oktober. Den Gedanken, wie unerotisch es wirkt, schob ich damals kurzerhand beiseite, das Licht löschend.
Als ich mich ihr zärtlich zuwandte, liess sie mich wortlos gewähren. Eine Erregung konnte ich an ihr auch nach ausführlichem Vorspiel nicht anmerken. Nach meinen Erfahrungen musste ihr Verlangen bereits brennend sein. Doch sie verhielt sich, als wäre sie völlig unerfahren, staunend, was ihr widerfährt. Einzig die Beine zog sie hoch, mich zulassend. Sie kann ihre Gefühle nicht zeigen, war damals mein Gedanke, als ich mich zur Seite legte, um zu schlafen.

Die Vergegenwärtigung der damaligen Situationen, sein Grübeln darüber, brachten ihm unerwartet auch andere Erinnerungen hoch. Als Zuhörer hatte er vor einiger Zeit ein Symposium besucht, dem Thema «Gesellschaft und Werte» gewidmet. In seinem Ausweis an Weiterbildungen fügte sich dies gut ein. Wirklich verstanden hatte er nicht alles, die Themen und Positionen waren unterschiedlich, doch manches markierte er später in seinen Unterlagen. Da war der eine Satz im Referat von Fellmann, einem Philosophen, der ihn damals irritierte, dessen Schlüssigkeit er dann aber nicht wie beabsichtigt weiter verfolgte:

«In der intimen Begegnung präsentiert sich jeder in seiner Begierde und Verletzbarkeit; jeder ist, handlungstheoretisch formuliert, Täter und Opfer zugleich. Mann und Frau gebrauchen sich gegenseitig als Lustobjekte, bestehen aber darauf, dass der Partner sich nicht nur passiv wie ein Objekt verhält, sondern sich auch aktiv als Subjekt verhält.»​
Passiv hatte sie sich verhalten. Aber was meinte Fellmann über das Handlungstheoretische hinaus? Lässt sich daraus ableiten, dass ich ein Täter war und sie ein Opfer? Ich hatte ihr doch keine Gewalt angetan. … Sie hatte mich zugelassen.

Beim Frühstückstisch, wir waren spät aufgestanden, sprach sie erstmals davon.
«Es ist nicht das erste Mal, dass mich ein Mann vögelte, ohne dass mir danach war.»
Einen Moment glaubte, ich mich verhört zu haben, oder dachte, sie mache einen Scherz. Sie hatte es gewollt und sich selbst über Nacht eingeladen. Ich war schockiert und sprachlos. Mir fielen keine passenden Worte ein, was ich darauf erwidern sollte. Nur die Frage war da, warum hatte sie am Abend nichts gesagt? Ein einziges Wort hätte mir gereicht.
Einer der Referenten erwähnte doch damals am Symposium die Hemmung, durch Scham erzeugt. … Breyer war es. Wie waren da seine Worte? …

«Das Hemmen eines Impulses ist intentional auf ein konkretes Ereignis bezogen und damit ebenso der situativen Scham zuzurechnen wie die entsprechende nachträgliche Reaktion.»​
War es Scham, die sie hemmte, ihren Widerstand auf weitegehende Passivität reduzierte? … Aber zugelassen hatte sie mich. … Fürchtete sie etwa meinen Zorn, wenn sie sich verweigerte? Unerfahren war sie nicht, auch was sie damals am Morgen sagte, … die Worte passten gar nicht zu ihr. Ab und zu war sie mir schon sprunghaft vorgekommen, als bewegte sie sich in einer Welt, die nicht die ihre ist. ... Ich verstehe es dennoch nicht. … Ich war doch nicht ihr Feind, wir hatten einen schönen Abend zusammen und der kommende Tag hob ihre Laune wieder an. Nur das Frühstück verlief einsilbig, bis wir uns auf den Weg zur Messe machten. Da blühte sie wieder auf, war sie selbst, so wie ich sie bis anhin kannte.

Zwei Wochen später hatte sie sich mit ihm verabredet, aber dann kurzfristig den Treffpunkt wieder geändert. Statt im Café Relax sollte er nun auf der Strasse warten. Knapp eine halbe Stunde nach der vereinbarten Zeit erschien sie endlich, machte mir öffentlich eine Szene, wobei sie ausdrückte, dass wir nicht zueinanderpassen. Seine beruhigenden Worte erreichten sie nicht, sie wehrte ab, weshalb er sich mit knappen Worten verabschiedete. Derart launisch hatte ich sie noch nie erlebt und dachte mir, vielleicht hatte sie Ärger bei der Arbeit. Doch, dass sie mich für nichts so weit fahren liess und die Szene auf der Strasse, waren nicht mehr normal. Ich nahm mir vor, wenn sie nächstes Mal anruft, sie erst mal hinzuhalten, bevor wir uns wieder treffen. Wenn überhaupt, korrigierte ich mich damals, ich kenne ja andere Frauen, die umgänglicher sind. Ich hörte nichts mehr von ihr, bis heute, sieben Monate später, und das nur indirekt, dafür massiv.

Ich Narr, … ihre Körpersprache damals. Das ist es!
Wie konnte ich dies missachten. In meiner Selbstgefälligkeit war mir nur bewusst, dass sie es wollte, sich wünschte. Wozu sollte ihre Selbsteinladung bei mir zu übernachten sonst gut sein?
Erwartete sie etwa eine feudale Wohnung mit Gästezimmern oder eine Villa? Wie ich wohne, darüber hatten wir uns nie unterhalten. Vielleicht war es etwas zögerlich, wie sie ihr Nachthemd beim Auspacken der Reisetasche auf die linke Seite des Doppelbetts legte? … Aber der Abend war dann doch stimmungsvoll, sie wirkte richtig aufgekratzt. Ich nahm sie zumindest so wahr.

Am liebsten hätte er seinen Kopf gegen die Wand geschlagen, sich bestraft für seine fehlende Sensibilität.
Hätte ich doch etwas logisch überlegt, sie gefragt, was los ist. … Verfluchte Sprachlosigkeit!
Nein, es war mir geradezu eine Fremdsprache, die ich nicht übersetzte, ja nicht mal zu verstehen versuchte.

Er merkte erst auf, als der Aufseher bereits in der Zelle stand. «Kommen Sie und nehmen Sie Ihre Tasche mit.»
«Meine Tasche?» Er verstand nicht, was dies zu bedeuten hatte.
«Ja, sie werden entlassen.»
Entlassen? Nach sechs Stunden? Der Verteidiger meinte … «Ich verstehe nicht.»
«Das wird Ihnen Herr Girardot genauer erklären. Seien Sie froh, nicht jeder solche Fall geht so glimpflich aus.»

Im schlichten Büro von Herrn Girardot wurde er auf den Stuhl dem Untersuchungsrichter gegenüber verwiesen, auf dem er Stunden zuvor bereits schon einmal Platz genommen hatte. Die Wand in seinem Blickfeld war mit Gesetzeswerken angefüllt, viele davon in blutrote Einbände gefasst, erdrückend für Betrachter.

«Also Herr Hohl, die Anzeige gegen Sie wurde fallengelassen. Bei einer neuerlichen Einvernahme von Frau Winters, die ich aufgrund der abweichenden Schilderungen von Ihnen anordnete, wiederrief sie ihre ursprüngliche Aussage. Nach reiflicher Überlegung kam sie zur Erkenntnis, dass sie ihre Pillen, welche sie damals bei sich hatte, wohl verwechselte. Irrtümlich hat sie wahrscheinlich ein Beruhigungsmittel eingenommen, dessen Wirkung sich mit dem Alkohol verstärkte.
Diese Einsicht hat sie ziemlich mitgenommen, sie wirkte völlig aufgelöst und ich denke, dies hatte sie keinen Moment in Erwägung gezogen. Es war folglich ein glaubhaftes Missverständnis, das man ihr nicht zum Vorwurf machen sollte.»
Hohl wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Er hatte die Worte verstanden, doch war da etwas, das ihn daran hinderte, sich zu freuen.
«Ihr Pflichtverteidiger wurde vorab bereits telefonisch orientiert. Er ist über diese gütliche Klärung sehr erfreut. Ich denke, für Sie ist dies ebenso ein gutes Ende.»
Der Untersuchungsrichter stand auf und reichte ihm die Hand. «Leben Sie wohl, Herr Hohl.»

Aber, ich habe ihre Körpersprache nicht wahrgenommen, ja krass missachtet. Ich bin schuldig!
Er fühlte sich rausgeschmissen, mit seinem Problem sich selbst überlassen. Da fielen ihm Worte jenes Juristen ein, der auch am Symposium referierte. Tiedemann war sein Name, er sprach über Menschenrechte und Würde.

«Nicht alle, aber bestimmte Wertüberzeugungen können wir so verinnerlicht haben, dass wir die vertraute Beziehung zu uns selbst verlieren würden, wenn wir sie im Handeln missachteten. Ob und welche Wertüberzeugungen derart verinnerlicht sind, erfährt man meist nur in extremen Krisensituationen, in denen so oder so viel auf dem Spiel steht. […] Menschen, die sich in einer solchen Situation über die identitätsbildenden Wertüberzeugungen hinwegsetzen, können in tiefe lebenslängliche Schuldgefühle geraten, die sie am Leben verzweifeln lassen können.»​

Der letzte Satz schwebte Hohl wie eine bedrohlich schwarze Wolke in der Erinnerung.
Aber er relativierte dies doch auch, sagte, solche Schuldgefühle könnten auch zu Unrecht auftreten. Auch präzisierte er, dass die Ethik und das Recht verschiedene Perspektiven sind.
Ich muss zu Hause die Texte der Referate nochmals lesen, vor allem Tiedemann. Er hatte da doch auch über den freien Willen referiert, … dass man entgegen dem in eine Situation geraten kann, in der man sich nicht sicher ist, was man will. Wenn es bei Rebecca so war, sie sich ihrer Absicht unsicher wurde, würde es doch ihr Verhalten erklären und mich entlasten? … Ich muss unbedingt auch mit Rebecca sprechen … ich muss es wissen.

 
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Hallo Anakreon,

ich schreibe beim Lesen mit.

Starr blickte Rolf Hohl an die gekalkte Wand, als ob sie eine Projektionsfläche wäre.

ich verstehe die Funktion des zweiten Satzteils nicht. Um Rolfs Verhalten in der Situation zu zeigen, hätte der Blick von außen gereicht. Wenn man etwas tiefer einsteigen will mit den Projektionen eines verwirrten Geistes, warum der Konjunktiv?

Sein Pflichtverteidiger, den man ihm stellte, meinte zwei, drei Tage, dann sei er wieder frei - bis zur Gerichtsverhandlung. Dabei hatte er, doch nichts getan, war sich keiner Schuld bewusst, es konnte nur ein Missverständnis sein.

"den man ihm stellte" das steckt schon im Pflichtverteidiger, denke ich.
Beim nächsten Satz habe ich das Gefühl, weniger wäre mehr gewesen. "Dabei hatte er doch nichts getan." Diese schlichte Feststellung umfasst zusammen mit der Festnahme alle hier relevanten Möglichkeiten: Unschuldig oder schuldig? Wenn er sich allerdings danach keiner Schuld bewusst sein will, dann engt sich das Feld des Möglichen wieder ein, deutet eben auf Rolfs Schuld hin. Auch wenn wir hier die Phil-Ecke ist, frage ich, ob es an der Stelle nötig ist, diesen Spannungsmoment zu verschenken.

Sexuelle Nötigung formulierte es der Untersuchungsrichter, Herr Girardot, das schreckliche Wort mildernd

Scheint mir ungewöhnlich, dass ein Richter aus einer Vergewaltigung eine Nötigung macht. Ist der Hinweis darauf, dass es kein Kavaliersdelikt ist, wirklich erforderlich?

Okay, wir sind in die Situation eingeführt. Dem Rolf Hohl wird eine Vergewaltigung vorgeworfen. Er denkt, nichts getan zu haben bzw ist sich keiner Schuld bewusst. Jetzt denkt er verzweifelt über die Situation nach, es wird wohl auf die Frage hinauslaufen, inwieweit sie ihm mglw missverständliche Signale gegeben hat. Darauf deutet ja das kursive "Missverständnis" hin, es könnte sich um das Erinnern drehen und wie jemand, der eine Schuld nicht wahrhaben will, das Geschehene anders zu bewerten versucht bzw eine andere Erinnerung zu erfinden. Ich bin gespannt, wir werden sehen!

Eigentlich sah sie nicht wie eine Professionelle aus

find' ich gut, die Bezeichnung. vllt die respektvollste, nicht so abwertend wie Nutte bspw.

biederer Eleganz

diese Formulierung ließ mich stolpern: es scheint mir, diese beiden Worte wollen nicht recht zueinander passen. bieder ist mausgrau und stocksteif, etwas, das in meinem Verständnis keine nähere Bestimmung einer Eleganz sein kann.

«Ah, ich erinnere mich. Doch ja, dies wäre eine nette Idee. Diese Woche kann ich allerdings nicht, aber wie wäre es am nächsten Dienstag, am frühen Abend?

klingt nicht, als hätte sie ihm ihre Nummer untergeschoben. Mir fällt jetzt auch nicht ein, wie so jemand reagieren könnte - die Professionellen, die hier an den Ecken stehen, fragen meist so was wie "Willst' ficken, Schatzi?"
Vielleicht, da es ja bei dieser Verabredung klar ist, worum es geht, und diese Absicht schon eine heftige Anspannung bei normalen Menschen auslöst, einfach gepresste kurze Sätze - "Ich will dich wiedersehen. Nächsten Dienstag habe ich Zeit, abends." Der Dialog müsste weg von der Nachmittagstee-Plauderstimmung. :)

Ein kurzer Blick in die Agenda, obwohl er sich sicher war, dass es ihm möglich war

das ist gut.

«Gute Wahl, dort hat es eine angenehme Atmosphäre. Sagen wir um halb fünf, oder besser noch, können Sie mich um sechzehn Uhr abholen?» Sie nannte ihm die Adresse ihres Arbeitgebers, einer Repräsentanz eines amerikanischen Technologieunternehmens.

das wird seltsam gerade. ihr Smalltalk-Tonfall -> wie angesprochen. dass sie sich aber von ihrem Arbeitgeber abholen lässt, von jemandem, den sie nicht kennt, zu einem Treffen, bei dem es nur um Sex gehen kann - das passt nicht.

Ein vermögender älterer Herr ist wohl kaum eine Referenz für eine jüngere Frau.

ich schlage eine vorsichtige Änderung vor: "Was verbindet eine junge Frau mit einem älteren Herrn?" Referenz, das klingt für mich nicht nach Partnerschaft, eher nach Job- oder Wohnungssuche. Vielleicht sagt man das anderswo auf diese Weise? ich habe das noch nie in diesem Zusammenhang gehört.

eine mehrjährige Partnerschaft gestand er ein. Seine Betonung lag darauf, dass sie sich im gegenseitigen Einvernehmen trennten, da durch den Zahn der Zeit das Erotische zwischen ihnen erodierte.

das passt zu meinen Vorstellungen: dass er körperliche Anziehungskraft ins Spiel bringt. das ist gut.

Trotz ihres rückblickenden Vorgeplänkels fanden sie zu gemeinsamen Interessen, wobei Abendessen in angenehmer Atmosphäre oder ein gutes Konzert im Vordergrund standen.

würde so eine Beziehung nicht eher auf konventionelle Art angebahnt werden?

Es war bei unserem zweiten Treffen gewesen, als sie etwas eingeschnappt war, weil ich kein Kompliment zu ihren Beinen einbrachte und sie es selbst erwähnen musste. Dabei tat sie alles, um dies mir zu entlocken, präsentierte sich vor mir, wobei ich mehr ihr Kleid beachtete

hihi, das ist witzig. ich denke, Anakreon, der antike Dichter, hätte so agieren können! jedenfalls versteht sich so die Bemerkung zu Beginn, sie wäre besonders stolz auf ihre Beine, ich hielt es für einen Perspektivfehler, wollte aber erst den weiteren Verlauf abwarten. so klärt es sich auf.

Bei einem nächsten Treffen, wir einigten uns nur alle paar Wochen auf einen Termin, holte ich sie zu Hause ab. Als sie die Türe öffnete, machte sie in Richtung der gegenüberliegenden Wohnungstüre eine Grimasse.

Die Genauigkeit und Detailliertheit seiner Erinnerungen ruft nach einem Stück Papier. Das müsste in Haft doch zu kriegen sein. Das könnte auch den eher ruhigen und überlegten Tonfall seines Erinnerns erklären, obwohl er mit verzweifeltem Sinnieren beginnt, der Akt des Schreibens würde die Distanz glaubhaft machen.

«Führst Du Tagebücher?», rief ich.
Wie eine Furie kam Rebecca aus dem Schlafzimmer gerannt, noch nicht fertig umgekleidet. «Lass die Finger davon», schrie sie, nahm die Bände aus dem Gestell und verschwand damit

Etwas weniger Furie an dieser Stelle? die Szene wird ja schon einen Sinn haben, obwohl ich gerade nicht genau weiß, worauf du hinaus willst. man kann die Besorgnis um ihre geheimen Gedanken bestimmt anders darstellen - ihre Reaktion wirkt überzogen.
und: so delikaten Inhalt würde man doch verstecken.

«Nur etwas ganz Kleines», hatte sie ihn am Telefon beschworen, «ich habe am Mittag noch ein Geschäftsessen, an dem ich teilnehmen muss.»

anstelle des 'beschworen' schlage ich bspw ein 'gebeten' vor. scheint mir eher angemessen.

einer Baguette

die Baguette? ich kenne das Baguette.

anfangs Oktober

Anfang

Den Gedanken, wie unerotisch es wirkt, schob ich damals kurzerhand beiseite, das Licht löschend.

es gibt ein Kleidungsstück, das einer attraktiven Frau nach einer halben Flasche Wein die Erotik nimmt?

Als ich mich ihr zärtlich zuwandte, liess sie mich wortlos gewähren. Eine Erregung konnte ich an ihr auch nach ausführlichem Vorspiel nicht anmerken. Nach meinen Erfahrungen musste ihr Verlangen bereits am Brennpunkt sein. Doch sie verhielt sich, als wäre sie völlig unerfahren, staunend, was ihr widerfährt. Einzig die Beine zog sie hoch, mich zulassend. Sie kann ihre Gefühle nicht zeigen, war damals mein Gedanke, als ich mich zur Seite legte, um zu schlafen.

so ganz ohne Erregung dürfte 'zulassen' schwierig sein. vllt schreibst du, dass sie sich passiv verhält oder stumm ist.

«Es ist nicht das erste Mal, dass mich ein Mann vögelte, ohne, dass mir danach war.»

Komma nach ohne streichen. Sprachlich fällt sie da aus der Rolle.
Das steht in ihren Tagebüchern? Hm. Diese Furien-Szene braucht es nicht unbedingt, denke ich.
Wenn sie ihre Regalmeter mit Pilcher & Co füllt, ist das schrecklich genug. Schlimm, wenn solche Frauen dann über ihre Lese-Erfahrungen reden wollen.

Seine beruhigenden Worte erreichten sie nicht, sie wehrte ab, weshalb er sich mit knappen Worten verabschiedete. Derart launisch hatte ich sie noch nie erlebt und dachte mir

der Wechsel zwischen den Erzählern irritiert. wieso nicht die ganze Geschichte aus der Sicht des Ich-Erzählers schildern?

Ich Narr, das ist es, ihre Körpersprache damals!
Wie konnte ich dies missachten. In meiner Selbstgefälligkeit war mir nur bewusst, dass sie es wollte, sich wünschte. Wozu sollte ihre Selbsteinladung bei mir zu übernachten sonst gut sein?

war mir nur bewusst klingt wie ein Fakt - wenn du ihn an seiner Einschätzung zweifeln lassen willst, könnte man eher von Eindruck sprechen.

Bei einer neuerlichen Einvernahme von Frau Winters, die ich aufgrund der abweichenden Schilderungen von Ihnen anordnete, wiederrief sie ihre ursprüngliche Aussage. Nach reiflicher Überlegung kam sie zur Erkenntnis, dass sie ihre Pillen, welche sie damals bei sich hatte, wohl verwechselte. Irrtümlich hat sie wahrscheinlich ein Beruhigungsmittel eingenommen, dessen Wirkung sich mit dem Alkohol verstärkte.

heißt das nicht Vernehmung bei euch? Einvernahme klingt wie einvernehmlich, so verlaufen die Gespräche zwischen Ankläger und Angeklagtem wohl eher selten.
Beruhigungs-Pillen hat sie also genommen.
Benzodiazepine bspw, die in Kombination mit Alkohol ihr Verhalten erklären sollen: Das passive Mitmachen, die fehlende Erregung.
Wie kann man denn die eine Pille mit der anderen verwechseln? Was für Medikamente hatte sie zur Nacht denn sonst nehmen wollen? Und hat sie bei den anderen Männern, mit denen sie das Kopfkissen teilte, nach dem Saufen auch die Pillen verwechselt?

Aber, ich habe ihre Körpersprache nicht wahrgenommen, ja krass missachtet. Ich bin schuldig!

ich weiß nicht genau, was du mit Körpersprache meinst, Anakreon. es war dunkel, sie war passiv und hat geschwiegen. das ist befremdlich, ja, aber ist das eine ablehnende Verhaltensweise, die er missachten konnte? sie hat ihn doch 'zugelassen', hat ihre Beine 'hochgezogen'.
ist das nicht einfach Sex zwischen spießig-verschämten Partnern? Licht aus, schweigend rummachen, sie zieht die Beine hoch, er dreht sich danach von ihr weg und schläft ein. das Vorspiel passt da nicht so ganz rein.
ich habe da ja eine Geschichte zu dem gleichen Thema geschrieben, nur war mein Protagonist völlig anders drauf, der ist ungerührt aus der Situation gegangen, empathisch wie ein Stuhl.
woran es Rico fehlen lässt, das übertreibt Rolf in meinen Augen auf eine Art, die nicht zu seinem Agieren passt. seine Schuldgefühle, die nach seiner doch recht ungerührten Erinnerung / Schilderung ausbrechen sollen, passen nicht zu seinem Verhalten. wenn er einer ist, der so gestrickt ist, die Schuld sofort und ausschließlich auf seiner Seite zu verorten, warum fragt er während des Beischlafs nicht ein einziges Mal nach, ob es okay ist? Ist es normal, dass Gentlemen schweigend Geschlechtsverkehr ausüben, nachdem sie einen ganzen Abend mit ihrem Sexualpartner sprachen und tranken?
sie steckt ihm, einem völlig Unbekannten, einen Zettel zu und lädt sich nach mehreren Treffen, bei denen sie ihre Reize spielen lässt, zu ihm nach Hause ein, verwechselt ihre Pillen und wird gegen ihren Willen gevögelt, was nach ihrer eigenen Aussage nicht das erste Mal war?

und du lässt Herrn Hohl mit der Erkenntnis aus der Geschichte gehen, er wäre der alleinig Schuldige an dieser Situation, weil er eine Körpersprache missachtet habe.
du merkst schon, ich bin etwas ratlos, was ich als Leser von diesem Text halten soll, mit dem Titel "Vergewaltigt", in dieser Kategorie, "Philosophisches". ich hätte geglaubt, dass du es anders angehst, mit etwas Deutungsspielraum bspw, mit weniger eindeutig verteilten Rollen und souveräneren Figuren. das Thema jedenfalls ist sehr interessant. ich hoffe du kannst mit einigen Anmerkungen etwas anfangen.

Grüße
Kubus

 

Endlosschlaufe zum Warum?
Endlosschleife?
zum: Warum?
Sein Pflichtverteidiger, den man ihm stellte...
Würde ich "Der Pflichtverteidiger" nehmen, oder bei "Sein Pflichtverteidiger" den nächsten Halbsatz weglassen.
Dabei hatte er, doch nichts getan ...
kein Komma
"Professionelle"
gefällt mir
...das schreckliche Wort mildernd...freudig mir entgegenkommend...keinen Zweifel an ihrer Absicht zulassend...neugierig musternd... kurz überlegend...das Licht löschend...mich zulassend...
Ich mag Deine Schreibe, aber Vorsicht vor zu vielen Partizipkonstruktionen. Sie können einen Text langweilig machen, weil sie sich nicht selbst bewegen.
Sie war hübsch, nicht eine ausgesprochene Schönheit...
keine ausgesprochene Schönheit oder nicht gerade eine ausgesprochene Schönheit...
Ein kurzer Blick in die Agenda...
Da stolpere ich drüber. Agenda ist bei mir ein Reformprogramm, was Du meinst nenne ich Terminplaner, Kalendarium oder Organizer.
...spontan fiel ihm nur das Hotel Baur au Lac ein. «Wie wäre es mit der Bar des Baur au Lac?»
stört mich die Wiederholung, würde ich sagen: Er nannte den Namen des Lokals
...das Erotische zwischen ihnen erodierte.
Gefällt mir ;)
...wobei Abendessen in angenehmer Atmosphäre oder ein gutes Konzert im Vordergrund standen.
Würde ich Restaurant oder Konzert konkret benennen, um Resonanz in die Geschichte zu bringen
Aber, ich habe ihre Körpersprache nicht wahrgenommen, ja krass missachtet. Ich bin schuldig!
Nana. So schlimm finde ich den Rolf doch gar nicht. Und was stand nun in den fünf Büchern? Ist schon spät, vielleicht kapier ichs heute nicht mehr und lese morgen noch mal drüber.
Gute Nacht, nastro.

 
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Hallo Anakreon,
den Namen Horst Hohl fürs Erste ignorierend, habe ich trotz (oder wegen?) deiner exakten, gewählten Sprache weitergelesen und in den ersten zwei Absätzen wähnte ich mich beinahe am Beginn von Max Frisch’s Stiller. Und war dementsprechend gespannt und neugierig.
Den ersten Satz des dritten Absatzes allerdings musste ich schon zweimal lesen, um ihn zu verstehen.

Seine Erinnerung schweifte zurück, als er ihr in der Central-Bar erstmals begegnete.

Als ich den Satz umdrehte:

Als er ihr in der Central-Bar erstmals begegnete, schweiften seine Erinnerungen zurück.

war er noch irritierender.
„Wann schweiften seine Erinnerungen zurück?“ fragte ich mich. „Als er ihr in der Bar begegnete? Und wohin zurück schweiften sie?“
Oder erinnerte er sich schlicht daran, dass, wann, wo er ihr zum ersten mal begegnet war?
Mit meinem Lesefluss war’s fürs erste vorbei, sintemalen vier Zeilen später schon wieder etwas schweifte, diesmal sein Blick.
Und als sich dann die Dame zwei Absätze weiter dem „Rolf Hohl“ als „Rebecca Winters“ vorstellte war es endgültig vorbei mit meiner Contenance, weil diese Namenswahl meines Erachtens so überhaupt nicht zu deinem Stil passt, die erinnerte mich an Derrick – Folgen aus den 80ern, bzw. an die „Krimis der Woche“ aus diversen Illustrierten, in denen die Ärzte immer Horst Folker und die Detektive Mike Kowalski heißen. Immer.
Dann habe ich noch mal von vorne zu lesen begonnen, jetzt war‘s das

Als er festgenommen wurde, sprach man von Verdunklungsgefahr. Sein Pflichtverteidiger, den man ihm stellte, meinte zwei, drei Tage, dann sei er wieder frei - bis zur Gerichtsverhandlung.

über das ich, schon etwas sensibilisiert, stolperte, weil das doch eigentlich im Plusquamperfekt stehen müsste. Den Rest, muss ich gestehen, hab ich dann nur mehr überflogen, zwar immer wieder kurz innehaltend bei Formulierungen, die mich an, nun ja, Frisch gemahnten, um dann aber bei Sätzen wie

Der Tisch war schön angerichtet, Blumen und eine Kerze gaben eine romantische Note. Im Hintergrund spielte leise klassische Musik. Zu Melonen mit Rohschinken und einer Baguette hatte er einen Tessiner Merlot gewählt, was ihre Anerkennung fand.

wieder gehörig Gas zu geben, tschuldige. Nicht viel jünger als du, scheine ich stilmäßig wohl nicht in deiner Zielgruppe zu sein.

Die vergebliche Suche nach dem philosophischen Hintersinn, der sich mir schlicht nicht erschließen wollte, ließ mich die Stirne runzeln. Warum steht diese Geschichte in dieser Rubrik? fragte ich mich.

Lieben Gruß
Ernst

 

Hallo Kubus

Ich ahnte es, die gewählte Rubrik könnte dich ausnahmsweise wieder einmal in einen meiner Texte locken.

ich schreibe beim Lesen mit.

Ich schreibe jetzt nicht, was ich beim Lesen dieser Worte spontan dachte, es wäre ein doch zu derber Scherz. :D

ich verstehe die Funktion des zweiten Satzteils nicht. … Wenn man etwas tiefer einsteigen will mit den Projektionen eines verwirrten Geistes, warum der Konjunktiv?

Die Wand nimmt hier eine Symbolfunktion wahr für die Leere. Die Projektionsfläche ist irreal. Dem wäre nur dann nicht so gegeben, wenn er ein Mensch wäre, dessen Fähigkeiten durch Meditationstechniken derart geschult sind, dass er seinen Geist darin analytisch reflektieren könnte.

"den man ihm stellte" das steckt schon im Pflichtverteidiger, denke ich.

Stimmt. Es gibt zwar Situationen, in denen ein solcher einem Angeklagten aufgezwungen wird, doch das ist hier kein Thema. Ist angepasst.

"Dabei hatte er doch nichts getan." Diese schlichte Feststellung umfasst zusammen mit der Festnahme alle hier relevanten Möglichkeiten: Unschuldig oder schuldig? Wenn er sich allerdings danach keiner Schuld bewusst sein will, dann engt sich das Feld des Möglichen wieder ein, deutet eben auf Rolfs Schuld hin. Auch wenn wir hier die Phil-Ecke ist, frage ich, ob es an der Stelle nötig ist, diesen Spannungsmoment zu verschenken.

Zweifel sind etwas sehr Reales. Natürlich gibt es Menschen, die solche nicht zulassen, sich immer im Recht fühlen. Es ist also mitunter eine Frage des Charakters. Beim Prot. ist dieser derart ausgestaltet, dass er sich hinterfragt. Wäre dem nicht so, gäbe es die Frage des Warum nicht. Für mein Empfinden ist kein Spannungsmoment verschenkt, nur anders gelagert.

Scheint mir ungewöhnlich, dass ein Richter aus einer Vergewaltigung eine Nötigung macht. Ist der Hinweis darauf, dass es kein Kavaliersdelikt ist, wirklich erforderlich?

Das ist Jurisprudenz, die Auslegung der deskriptiven Tatbestandselemente. Was im Volksmund schnell mal mit einem Schlagwort belegt wird, muss der Richter methodisch beurteilen, um den Norminhalt «lege artis» zu erkennen, um den «Normsinn» zu erhellen.
Was denkst du, wie viele Männer einen solchen Sachverhalt eben höchstens als Kavaliersdelikt deuten? Also einmal mehr ein Hinweis auf den Charakter des Prot.
Vielleicht ist ein kurzer Hinweis angezeigt, was mich auf die Idee dieser Geschichte brachte. Jüngste Statistiken von Soziologen weisen darauf hin, dass die meisten Vergewaltigungen im Bekanntenkreis stattfinden. An sich nichts Neues, doch jetzt wurde es mal systematisch untersucht, wobei mit einer hohen Dunkelziffer gerechnet wird.

Eigentlich sah sie nicht wie eine Professionelle aus

find' ich gut, die Bezeichnung. vllt die respektvollste, nicht so abwertend wie Nutte bspw.

Auch hier weist es eben aus, seine Denkweise ist nicht menschenverachtend, doch ist er deshalb objektiv? Manch einer könnte dies schon despektierlich interpretieren.

biederer Eleganz

diese Formulierung ließ mich stolpern: es scheint mir, diese beiden Worte wollen nicht recht zueinander passen. bieder ist mausgrau und stocksteif, etwas, das in meinem Verständnis keine nähere Bestimmung einer Eleganz sein kann.

Eleganz ist an sich nicht bieder, aber es muss es keineswegs ausschliessen. Auch ist „biedere Eleganz“ ein durchaus geflügeltes Wort, das in manchen Kreisen eindeutig interpretiert wird. Was Eleganz ausmacht, bestimmt nicht das Kleiderlabel, sondern wird durch den Träger oder die Trägerin verkörpert. Manch einer kann in Blue Jeans und Sakko rumlaufen und damit ein gewisses Etwas unterstreichen, das ihn elegant wirken lässst, wobei er mit Cargohosen höchstens lächerlich wirkte. Ein anderer sähe mit derselben Kleidung einfach gewöhnlich aus, eben bieder.

klingt nicht, als hätte sie ihm ihre Nummer untergeschoben. Mir fällt jetzt auch nicht ein, wie so jemand reagieren könnte - die Professionellen, die hier an den Ecken stehen, fragen meist so was wie "Willst' ficken, Schatzi?"

Hier muss ich deinen Erfahrungsschatz etwas kompromittieren und aus der Praxis plaudern. Eine Frau erzählte mir einst, dass sie auf diese Weise Menschen kennenlernt und sie war keineswegs eine Professionelle, sondern nur gehemmt, andere Menschen direkt anzusprechen.

Ein kurzer Blick in die Agenda, obwohl er sich sicher war, dass es ihm möglich war

das ist gut.

Wenn du mein Seufzer hören könntest, dass es doch Stellen gibt, die dich überzeugen. :shy:

das wird seltsam gerade. ihr Smalltalk-Tonfall -> wie angesprochen. dass sie sich aber von ihrem Arbeitgeber abholen lässt, von jemandem, den sie nicht kennt, zu einem Treffen, bei dem es nur um Sex gehen kann - das passt nicht.

Schön, wie du hier in die Machofalle getreten bist. Na ja, wenn man mitten in St. Pauli wohnt, wird dies von der Umgebung her schon suggeriert. Doch wer spricht hier von Sex? Es geht um ein Treffen, welchen Verlauf es einmal nimmt, ist bei den Beiden wohl eher noch offen.

ich schlage eine vorsichtige Änderung vor: "Was verbindet eine junge Frau mit einem älteren Herrn?"

Meine angewandte Formulierung ist tatsächlich eine Redensart, nicht die eleganteste, mit einem Unterton des Abschätzigen. Aber genau deshalb wählte ich es.

das passt zu meinen Vorstellungen: dass er körperliche Anziehungskraft ins Spiel bringt. das ist gut.

Du hast doch wahrlich einen machohaften Zug an dir. Das hätte ich jetzt nicht erwartet, wenn ich an deine sozialkritischen Werke denke, die du schreibst. :lol:

würde so eine Beziehung nicht eher auf konventionelle Art angebahnt werden?

Das Kennenlernen bahnte sich zwar unkonventionell an. In ihren Wesensarten sind jedoch beide von einer eher konservativen Einstellung, dass sich auch in ihrem Verhalten spiegelt.

weil ich kein Kompliment zu ihren Beinen einbrachte und sie es selbst erwähnen musste.

hihi, das ist witzig. ich denke, Anakreon, der antike Dichter, hätte so agieren können!

:lol: Nein, der Anakreontik hatte ich dies nicht entlehnt, aber es ist auch nicht ganz auf meinem eigenen Mist gewachsen. Ich hörte schon Frauen, die ihre eigenen Vorzüge so hervorhoben, ebenso wie das Gegenteil. Viele Leiden da etwa unter zu wenig ausgebildeten, ungleichen oder zu grossen Brüsten. Es wäre höchst ungerecht, ihnen da die Hervorhebung der vorteilhaften Stellen zu verdenken.

Die Genauigkeit und Detailliertheit seiner Erinnerungen ruft nach einem Stück Papier. Das müsste in Haft doch zu kriegen sein.

Es ist zwar nur angetönt, mit dem Seminar und seiner Möglichkeit, an einem Werktag neunzig Kilometer zu fahren, um jemanden privat zu treffen: Er ist ein selbständiger Denkarbeiter. Es gehört zu seinen Fähigkeiten, auch in einer verzweifelten Situation sich auf etwas zu konzentrieren und es ohne Aufzeichnung bedenken zu können. Umso mehr, der gegebene Vorfall mit der Grimasse war doch etwas entartet, so etwas bleibt haften.

Etwas weniger Furie an dieser Stelle? die Szene wird ja schon einen Sinn haben, obwohl ich gerade nicht genau weiß, worauf du hinaus willst. man kann die Besorgnis um ihre geheimen Gedanken bestimmt anders darstellen - ihre Reaktion wirkt überzogen.

Hast du schon mal erlebt, wie ein junges Mädchen darauf reagiert, wenn die Eltern in ihrem Tagebuch schmökern? Bei einer erwachsenen Frau, wenn sie überhaupt noch solches Skriptum führt, ist dies noch um einiges delikater. Dieser Stelle messe ich schon Gewichtung bei, es ist ein Anteil eben ihrer Wesensart.

anstelle des 'beschworen' schlage ich bspw ein 'gebeten' vor. scheint mir eher angemessen.

Frauen dünken mich diesbezüglich eher beschwörend, aber gut, ich verbuche es unter meiner Kompromissfähigkeit und habe es geändert.

die Baguette? ich kenne das Baguette.

Wörtlich übersetzt ist es ja eigentlich schlicht der Stab. Du hast aber schon recht, das Brotgebäck lautet im Deutschen korrekt: das Baguette. Ich habe das inkriminierte Wort einer Baguette jedoch als Zahlwort verwendet, statt zwei oder mehrere.

anfangs Oktober

Anfang

Hier sträuben sich die beiden Schriftgelehrten DUDEN und Wahrig, sich dieser Empfehlung einfach zu unterwerfen. Es lautet nach deren weisen Worten: … anfangs Oktober oder auch Anfang Oktober. Da es folglich nur eine subjektive Verbesserung darstellen könnte, nehme ich mal davon Abstand, bis du mich eines Besseren belehren kannst.

es gibt ein Kleidungsstück, das einer attraktiven Frau nach einer halben Flasche Wein die Erotik nimmt?

Um Sinnlichkeit zu unterlaufen, braucht es gar nicht so viel, schon gar nicht eine halbe Flasche Wein. Ich könnte mir vorstellen, dass es Ratgeberbücher gegen Erotikkiller gibt, die deinen Wissensschatz da aufpeppen könnten. Die Feinheit im Text ist, dass in dem Satz von Erotik die Rede ist und nicht aber von der Begierde, die ja aufrechterhalten blieb.

so ganz ohne Erregung dürfte 'zulassen' schwierig sein. vllt schreibst du, dass sie sich passiv verhält oder stumm ist.

Du interpretierst hier etwas hinein, dem nicht so ist. Erkundige dich doch mal bei den Damen in deinem Quartier, die es berufsmässig ausüben. Dass sie sich noch bei jedem ihrer Besucher erregen müssten, wäre doch etwas viel verlangt.

«Es ist nicht das erste Mal, dass mich ein Mann vögelte, ohne, dass mir danach war.»

Komma nach ohne streichen. Sprachlich fällt sie da aus der Rolle.
Das steht in ihren Tagebüchern? Hm. Diese Furien-Szene braucht es nicht unbedingt, denke ich.
Wenn sie ihre Regalmeter mit Pilcher & Co füllt, ist das schrecklich genug. Schlimm, wenn solche Frauen dann über ihre Lese-Erfahrungen reden wollen.

Richtig bemerkt, sprachlich fällt sie hier ein zweites Mal aus der Rolle.
Doch was hast du gegen Pilcher & Co.? Nur wer sich Erhaben wähnt, spottet über die Minderen, aber die Betonung liegt da auf Wahn, was also mit einem gewissen Risiko verbunden ist.

der Wechsel zwischen den Erzählern irritiert. wieso nicht die ganze Geschichte aus der Sicht des Ich-Erzählers schildern?

Ich hatte verschiedene Versionen davon aufgesetzt, mich letztlich aber für diese Form entschieden, mir bewusst, dass dies natürlich eine Angriffsfläche sein kann. Damit lebe ich nun. :(

war mir nur bewusst klingt wie ein Fakt - wenn du ihn an seiner Einschätzung zweifeln lassen willst, könnte man eher von Eindruck sprechen.

Für mich wäre das eine ganz andere Gewichtung. Ein Eindruck ist besetzt mit Flüchtigkeit, während das bewusst doch eine bestimmte Tiefe erfordert.

heißt das nicht Vernehmung bei euch? Einvernahme klingt wie einvernehmlich, so verlaufen die Gespräche zwischen Ankläger und Angeklagtem wohl eher selten.
Beruhigungs-Pillen hat sie also genommen.
Benzodiazepine bspw, die in Kombination mit Alkohol ihr Verhalten erklären sollen: Das passive Mitmachen, die fehlende Erregung.
Wie kann man denn die eine Pille mit der anderen verwechseln? Was für Medikamente hatte sie zur Nacht denn sonst nehmen wollen? Und hat sie bei den anderen Männern, mit denen sie das

Meine Güte, das ist ja ein Schwall, doch Punkt um Punkt.

Einvernahme ist ein korrekter Begriff sowohl in der Schweiz wie in Deutschland und nicht mal nur deshalb, weil beide Rechtsformen noch mit dem römischen Recht durchsetzt sind. Es ist synonym zum Vernehmen.

Weshalb man eine Pille mit einer andern verwechseln kann, dafür kann es tausend Gründe geben. Doch ich als Leser hätte bei dieser Aussage mein Augenmerk mehr auf die Deutung des erfahrenen Untersuchungsrichters gelegt und eine eigene Schlussfolgerung gezogen. Spricht hier jemand von Wahrheitsfindung? Soll ein gütlicher Ausgang umgestossen werden, um einen Fall aufzurollen, der letztlich mangels Beweisen geschlossen wird?

ich weiß nicht genau, was du mit Körpersprache meinst, Anakreon.

Zu Körpersprache gibt es eindeutige fachliche Definitionen. Diese beziehen sich nun mal nicht einfach nur auf Mimik, sondern auf den gesamten Körperausdruck. Die Dunkelheit ist also nicht entscheidend, sondern das ganze Verhalten. Zugegeben, es ist verwirrend, wenn jemand die Zeichen nicht zu deuten vermag. Aber genau das ist einer der Punkte, weshalb Soziologen u. a. die Fallhäufigkeit statistisch auswerteten. Hier tappen Menschen in eigene Fallen von blinden Erwartungen, die nicht gegeben sind.

ich habe da ja eine Geschichte zu dem gleichen Thema geschrieben, nur war mein Protagonist völlig anders drauf, der ist ungerührt aus der Situation gegangen, empathisch wie ein Stuhl.

Du zeigst den Unterschied hier präzis auf. Der eine reagiert darauf sensibel, gibt sich die Schuld da er meint die Anzeichen nicht erkannt zu haben, der andere kennt dagegen keinerlei Skrupel, für ihn ist der menschliche Körper reine Ware.

du merkst schon, ich bin etwas ratlos, was ich als Leser von diesem Text halten soll, mit dem Titel "Vergewaltigt", in dieser Kategorie, "Philosophisches". ich hätte geglaubt, dass du es anders angehst, mit etwas Deutungsspielraum bspw, mit weniger eindeutig verteilten Rollen und souveräneren Figuren.

Es gibt ihn durchaus diesen Deutungsspielraum, ob er jedem Leser sich nun erschliesst, bleibt natürlich dahingestellt. Einige Hinweise diesbezüglich habe ich ja gegeben. Er steht auch nicht zufällig unter Philosophisches und nicht unter Gesellschaft.

Für deinen ausführlichen Kommentar, der mir eine regelrechte Auseinandersetzung war, danke ich dir herzlich. Ich konnte mich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass nachhaltig aufgestaute Pixel-Gefühle mitschwangen. Die Änderungsvorschläge, welche ich übernahm, habe ich vermerkt. Ich hoffe, dass sich dir im Nachhinein einmal das Verborgene erschliesst, das sich auf verschiedenen Ebenen weisen kann.


+​

Hallo nastro

Schön, dass dich die Geschichte auch lockte, sie zu lesen.

Endlosschleife?

Eindeutig, diese präzisere Wortwahl ist angepasst.

Dabei hatte er, doch nichts getan ...

kein Komma

Klar, es sind keine gleichrangigen Teile. Die Regeln bringen mich mal noch ins Grab.

"Professionelle"

gefällt mir

Ein einfaches Wörtchen und doch so unmissverständlich.

Ich mag Deine Schreibe, aber Vorsicht vor zu vielen Partizipkonstruktionen. Sie können einen Text langweilig machen, weil sie sich nicht selbst bewegen.

Das freut mich, dass meine Texte deinen Gefallen finden. Meine Neigung zu Partizipkonstruktionen läuft mit der gegenwärtigen Sprachästhetik nicht immer synchron, doch suche ich da meist den Kompromiss. So hatte ich vor dem Edieren den Text darauf noch durchgesehen und ausgesiebt, bis sie mir tragbar erschienen.

keine ausgesprochene Schönheit oder nicht gerade eine ausgesprochene Schönheit...

Das keine lässt es eleganter klingen, es ist dem Prot. nun in die Gedanken gelegt.

Da stolpere ich drüber. Agenda ist bei mir ein Reformprogramm, was Du meinst nenne ich Terminplaner, Kalendarium oder Organizer.

Terminplaner, Kalendarium oder Organizer sind Begriffe, die bei uns sehr wohl verstanden werden aber doch sehr fremd klingen. Ich habe noch den DUDEN und den Wahrig zu deren Interpretation hin konsultiert. Bei beiden Werken kommt an erster Stelle für Agenda, das Merkbuch, der Wahrig wie immer noch etwas präziser, auch Notizkalender. Das Politikum Agenda 21 ist da nachrangig, auch wenn dies nun keine politisch verbindliche Aussage ist.

stört mich die Wiederholung, würde ich sagen: Er nannte den Namen des Lokals

Du hast recht, es ist unschön. Allerdings hat die Bar keinen eigenen Namen, zumindest als ich letztes Mal dort war, doch das ist schon lange her. Ich habe es nun so gelöst: ... spontan fiel ihm nur ein exklusives Hotel ein.

...das Erotische zwischen ihnen erodierte.

Gefällt mir

Eine Wortspielerei. Ich war gespannt, ob mir dies jemand krummnehmen wird. :D

Würde ich Restaurant oder Konzert konkret benennen, um Resonanz in die Geschichte zu bringen

Da ich keine Lokalwerbung für Zürich betreiben möchte, die Erwähnung des Baur au Lac habe ich schon vergeben, wählte ich nun folgenden ergänzenden Kompromiss: Für ihn dominierte die Musik von Sibelius, während sie sich vorwiegend auf den Dirigenten Solti kaprizierte.

Nana. So schlimm finde ich den Rolf doch gar nicht. Und was stand nun in den fünf Büchern? Ist schon spät, vielleicht kapier ichs heute nicht mehr und lese morgen noch mal drüber.

Nein, nein, so schlimm sollte der Hohl auch nicht sein. Was in den fünf Büchern stand, das bleibt das Geheimnis der Rebecca Winters, eine öffentliche Indiskretion wäre da unerhört.
Obwohl es nicht kryptisch abgefasst ist, die Lösung liegt vor, kann der Leser durch Querdenken weitere Ebenen sich erschliessen. Es wäre der Sache aber nicht dienlich, es weiter zu benennen.

Auch dir danke ich herzlich für die Auseinandersetzung mit der Geschichte, deinen Kommentar und die stilistischen Hinweise.


+​

Hallo ernst offshore

An Max Frischs Stiller hatte ich in keinem Moment gedacht, als ich mich die Abfassung dieser Geschichte reizte. Aber du hast durchaus recht, auch dessen Prot. landete zu Beginn hinter Gittern. Ich überlegte, aber es gab auch keinen unbewussten Impuls dazu. Für meinen Text war es einzig ein logischer Rückschluss, dass es so beginnen musste. Was mich mit diesem Stück von Frisch trennt, ist das Frauenbild, nicht unbedingt das des Schriftstellers, doch das des Menschen. Warum dem so ist, dürfte einem Frisch-Kenner nicht schwerfallen. Du bist doch einer?

Den ersten Satz des dritten Absatzes allerdings musste ich schon zweimal lesen, um ihn zu verstehen.

Seine Erinnerung schweifte zurück, als er ihr in der Central-Bar erstmals begegnete.

Als ich den Satz umdrehte:

Als er ihr in der Central-Bar erstmals begegnete, schweiften seine Erinnerungen zurück.


Liest sich witzig, aber nicht viel mehr. Doch in meiner Kompromissfähigkeit habe ich das erstmals nun ein wenig nach links verschoben. Ob es schwerfälligen Lesern zu helfen vermag, wird sich weisen müssen.

Und als sich dann die Dame zwei Absätze weiter dem „Rolf Hohl“ als „Rebecca Winters“ vorstellte war es endgültig vorbei mit meiner Contenance, weil diese Namenswahl meines Erachtens so überhaupt nicht zu deinem Stil passt, die erinnerte mich an Derrick – Folgen aus den 80ern, bzw. an die „Krimis der Woche“ aus diversen Illustrierten, in denen die Ärzte immer Horst Folker und die Detektive Mike Kowalski heißen.

Das hätte ich dir als Frisch-Kenner, der sogar eine gewählte Ausdrucksform für Haltung kennt, jetzt nicht gegeben, dass du anscheinend vertieft mit den Klatschgeschichten der diversen Illustrierten vertraut bist. Ich erblasse vor Staunen.

über das ich, schon etwas sensibilisiert, stolperte, weil das doch eigentlich im Plusquamperfekt stehen müsste. Den Rest, muss ich gestehen, hab ich dann nur mehr überflogen, zwar immer wieder kurz innehaltend bei Formulierungen, die mich an, nun ja, Frisch gemahnten

Oh wie schön, wie du dieses Tempus deutest. Nur hier stört es mich momentan nicht, vielleicht kommt da aber noch eine Nachwirkung, über dem Gedanke der Herr Hohl bewegte.

Nicht viel jünger als du, scheine ich stilmäßig wohl nicht in deiner Zielgruppe zu sein.

Wenn deine Worte eine verdeckte Frage sein sollte, musst du sie dir schon selbst beantworten, wobei dein Altershinweis kein Charakteristikum dafür sein kann. Ich kann dir aber anvertrauen, du bist gewiss nicht allein, wenn du dich dazuzuzählen unterlässt. Wäre es anders, müsste ich annehmen, du bist so exotisch wie die Offshore Funds, welche die Welt auch heimsuchen.

Die vergebliche Suche nach dem philosophischen Hintersinn, der sich mir schlicht nicht erschließen wollte, ließ mich die Stirne runzeln. Warum steht diese Geschichte in dieser Rubrik? fragte ich mich.

Um dir die Antwort erschliessen zu können, muss ich dich dankenswerterweise nicht auf die Couch bitten. Beantworte doch einfach in zwei drei Sätzen: Was verstehst du unter Philosophie? Was ist für dich ein philosophisches Lesestück? Aber bitte nicht in Wikipedia o. ä. nachschlagen, sondern einfach, was du denkst.

Danke auch dir für deinen süffisanten Beitrag, der mich zwar mehr mitfühlend amüsierte als konstruktiv bewegt hat. Aber es ist immer schön zu sehen, wie sich die Menschen offenbaren.

Schöne Grüsse euch allen

Anakreon

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich schreibe jetzt nicht, was ich beim Lesen dieser Worte spontan dachte, es wäre ein doch zu derber Scherz.

So was lässt du mich verpassen? :D

Zweifel sind etwas sehr Reales. Natürlich gibt es Menschen, die solche nicht zulassen, sich immer im Recht fühlen. Es ist also mitunter eine Frage des Charakters. Beim Prot. ist dieser derart ausgestaltet, dass er sich hinterfragt.

Das ist vllt die Krux mit der Doppelgleisigkeit der Geschichte. :)
Hier fragt das nicht der Protagonist, sondern der Erzähler stellt es fest.

Jüngste Statistiken von Soziologen weisen darauf hin, dass die meisten Vergewaltigungen im Bekanntenkreis stattfinden. An sich nichts Neues, doch jetzt wurde es mal systematisch untersucht, wobei mit einer hohen Dunkelziffer gerechnet wird.

Mir ist neu, dass das so sein soll. Habe erst einmal von so was gehört.

„biedere Eleganz“

okay, ich kannte die Formulierung einfach nicht.

Schön, wie du hier in die Machofalle getreten bist. Na ja, wenn man mitten in St. Pauli wohnt, wird dies von der Umgebung her schon suggeriert. Doch wer spricht hier von Sex? Es geht um ein Treffen, welchen Verlauf es einmal nimmt, ist bei den Beiden wohl eher noch offen.

Problem ist, es geht ja letztlich doch um Sex in deiner Geschichte, es ist nur eine Frage der Zeit. und wenn man irgendeinem fremden Menschen seine Nummer unterschiebt, dann doch wahrscheinlich nicht, weil man auf Gemeinsamkeiten und interessante Gespräche hofft. für so was gäbe es Partnerbörsen, Single-Disco, Kontaktanzeigen. Sehr viele Möglichkeiten.
Worum es aber ursprünglich geht, das ist ja der Tonfall ihres ersten Telefonats: So sprechen Menschen nicht, zwischen denen alles unklar ist.
Machofalle ist ein gutes Stichwort. Ich bin natürlich ein Macho alter Schule, ein großmäuliger, innerlich ganz kleiner und bemitleidenswerter Gernegroß. auch wenn ich nicht in Sankt Pauli wohne, das ist der andere.
Davon unabhängig ist es halt schwierig, wenn es sich in einer ganzen Geschichte vor allem darum dreht, einen bestimmten Typ Mensch seiner Schuld zu überführen.
wenn man das weiterdenkt, liegt dann nämlich auch die gesamte Verantwortung bei ihm, dem Gentleman, das lässt sich leicht als Entmündigung in bester Absicht verstehen.

Hast du schon mal erlebt, wie ein junges Mädchen darauf reagiert, wenn die Eltern in ihrem Tagebuch schmökern? Bei einer erwachsenen Frau, wenn sie überhaupt noch solches Skriptum führt, ist dies noch um einiges delikater.

Dann lass sie doch nicht im Regal zwischen den Schmökern stehen! :)

 

Lieber Anakreon,

die Kommentare habe ich nur überflogen, im Gedächtnis blieb mir deine Aufforderung, sich zu überlegen, was denn Philosophie sei. Und der Hinweis, dass sich hinter dem vordergründigen Fall ein Hintersinn verberge.

Ich muss gestehen, ich sehe mich so gar nicht als philosophischen Menschen, in diese Rubrik gelockt hat mich dein Name und nicht die Rubrik als solche.
Aber vielleicht ist es nicht falsch, sich die Frage zu stellen. Ich probiere es mal, auch wenn ich dabei Gefahr laufe, mich ein bisschen lächerlich zu machen.

Die Ph. Ist für mich eine Grundlagenwissenschaft, die viele Gebiete umfasst, sie befasst sich mit der Deutung allgemein menschlicher Phänomene, ob das nun das Erkennen und Denken ist oder verschiedene Formen des Zusammenlebens. Sie stellt die Phänomene in Frage, hinterfragt sie und deutet sie, hat also oft ähnliche Fragen wie der Glaube (aber das nur am Rande), die sie jedoch mit Mitteln der Logik und der Rationalität stellt und beantwortet. Die Religion weiß die Antwort schon vorweg mit dem Stellen der Frage, die Philosophie nicht unbedingt. Wobei auch hier, ohne dass ich agententheoretisch sein möchte, Theorien ersonnen werden, um zu beweisen, dass ihr Erkenntnisgegenstand ein notwendiger ist. Das ist beispielsweise oft bei Moralphilosophie der Fall.

So mein kleiner Ausflug. Ob es mir gelingt, den philosophischen Gedanken des Textes zu erschließen? Wer weiß. Ob das dann an deinem Text liegt? Wer weiß. Ganz kritisch muss ich sagen, es kann dann immer noch an deiner speziellen Leserin liegen, nicht am Text.

Jetzt aber zu Dingen, die mir aufgefallen sind.

Starr blickte Rolf Hohl an die gekalkte Wand, als ob sie eine Projektionsfläche wäre.
Dieses Bild gefiel mir gut. Es ist interessant, weil man sofort bemerkt, dass der P. durch irgendetwas erschüttert ist, und dieses „spiegelt“ sich so schön in der kalkigen Wand, in der nichts erscheint als sein eigener Zweifel. Auch die nachfolgenden Sätze zeigen das Nachdenken, das Hängenbleiben an immer derselben Fragestellung (Endlosschleife: wunderbar gewählt). Alles für mich sehr gelungen.

Dabei hatte er, doch nichts getan, war sich keiner Schuld bewusst, es konnte nur ein Missverständnis sein.
Keine Komma nach hatte er. Du zerreißt sonst den Hauptsatz.

Von der Wand erhielt er keine Antworten, die Fragen blieben im Raum, seinem verzweifelten Sinnieren vorbehalten.
Über diesen Satz stolpere ich immer. Ich kann es dir leider nicht erklären, aber er nimmt irgendwie das schöne Bild mit der gekalkten Wand zurück. Als Leser weiß man ja, dass die Wand keine Fragen beantwortet und seiner Verzweiflung nicht helfen wird. Es ist ein bisschen, als ob du mir hier zu viel erklären würdest. Persönlich gefiele es mir besser, wenn du das Bild mit der Wand zwar noch einmal aufgreifst, aber eben nicht so beantwortend sondern nur einen „Rückgriff“ machend. Vielleicht ist das ja auch eine Geschmacksfrage, nimm den Eindruck, wenn er dir taugt.

Sie war hübsch, keine ausgesprochene Schönheit, doch wirkte sie mit ihren langen KOMMA offenen Haaren schlank und attraktiv. Vor allem auf ihre wohlgeformten KOMMA langen Beine war sie stolz, weshalb sie auch immer Jupes und Schuhe mit hohen Absätzen trug, niemals Hosenkleidung.

Seine Erinnerung schweifte zurück, als er ihr erstmals in der Central-Bar begegnete.
Über diesen Satz stolpere ich auch. 1. Muss es heißen begegnet war, denn es ist ja retrospektiv. Klingt sonst zeitlich nicht logisch. Und 2. Passt die Zusammenstellung von HS und NS hier von der inhaltlichen Logik nicht. Man versteht zwar genau, was du meinst, seine Erinnerung schweift zurück in die Zeit, als er ihr zum ersten Mal begegnet war, das ist gemeint. Aber die Konjunktion „als“ drückt eine Gleichzeitigkeit aus. Sie ist synonym zu „während“, da ist es dann noch deutlicher. Vielleicht fällt es dir auf, dass es nicht geht, wenn du schreibst :
Seine Erinnerung schweifte zurück, während er ihr erstmals in der Central-Bar begegnete.
Ich würde einfach in die Zeit o.ä.einfügen, dann sind alle Probleme beseitigt. Klingt weniger schön als dein Satz, aber man stolpert inhaltlich nicht mehr drüber.
Also so: Seine Erinnerung schweifte zurück zu dem Tag/in die Zeit, als er ihr erstmals in der Central-Bar begegnet war.

Er spürte leicht eine Berührung an seinem Arm, eine Hand legte einen zusammengefalteten Zettel vor ihm auf den Tresen und zog sich schnell zurück. Als er den Kopf wandte, ging die Frau, ohne sich umzuwenden, bereits auf den Ausgang zu und verschwand. Eine Telefonnummer, mehr hatte sie nicht hinterlassen.
Geil, mir gefällt das. Das machen wohl nur Frauen. Müssen übrigens keine Profis sein, sondern nur welche, die einen Mann anmachen wollen. Männer machen das wohl gar nicht, habe ich mir sagen lassen, die sprechen, scherzen, reißen Witze, versuchen eine Show abzuziehen (und „scheitern“ dabei oft grandios). Frauen legen unauffällig Zettel hin. Es ist klasse, wie du schreibst, dass der Hohl da sofort denkt, sie wäre eine Professionelle. Ist schon sein erster Fehler, zwischen Professionelle sein und anmachen ist ja schon ein entscheidender Unterschied und zwischen einen Kerl anmachen wollen und dann auch Sex mit ihm haben wollen, ist auch ein gewaltiger Unterschied. Vielleicht wäre er in Frankfurt besser geschult gewesen. Ich weiß noch, dass wir uns mal mit einem armen Tropf einen üblen Scherz erlaubt haben, unsere Schönste, eine Frau mit langen roten Locken, hat den Anfang gemacht und dem armen Kerl einen Zettel mit einer Phantasienummer zugesteckt. Meine Güte, der wurde um zwanzig Zentimeter größer. Dann kam die nächste usw. Ab einem bestimmten Punkt schlug die Größerwerdung ins Gegenteil um. Aber abseits von dieser dussligen kleinen Anekdote will ich sagen, dass Hohl eigentlich schon hier begonnen hat, fehlzuinterpretieren, auch wenn du das es. gar nicht so beabsichtigt hattest.

Eigentlich sah sie nicht wie eine Professionelle aus, war eher von biederer Eleganz, so mein Gedanke damals.
Biedere Eleganz in diesem Zusammenhang gefällt mir übrigens sehr gut. Es ruft bei mir, ohne dass du die Kleidung nun beschreiben müsstest, einen bestimmten Eindruck hervor. Die Kleidung selbst hier zu beschreiben (normalerweise würde man das ja einfordern) fände ich hier gar nicht gut, denn hier geht es um den Eindruck, den er sich von ihr macht. Und um seine Fehlinterpretationen. Scheinbar selbstverständliche Eindrücke, die er von ihr hat, entpuppen sich als nur scheinbar richtig, die biedere Eleganz (die Frauen, die sowas tragen, sind übrigens oft die schlimmsten), das Zettelchen zustecken, was doch nicht zu ihrer klassischen Erscheinung passt. All das zeigst du hier so ein bisschen spielerisch, es ist nur scheinbar so, wie er es aus dem bloßen Anschein heraus begreift.

«Rebecca Winters», ihre Stimme hatte einen leicht rauchigen Klang.
Oh bitte nicht, gib erotischen Frauen bitte keine rauchige Stimme. Ich weiß schon, es ist ja hier auch wieder dein Spiel mit seinen Eindrücken, denn so konstruiert er sie sich ja auch zurecht, sie macht schon am Telefon einen auf Erotikbombe, nur die Zündschnur muss noch angefriemelt werden, natürlich durch Rolf, den kleinen Schwerenöter. Ich weiß nicht, wieviele Generationen von Frauen sich in rauchigem Sprechen (und Singen, wie jetzt die süße kleine Lana del Ray, dieses Rehauge mit der Bardamenstimme) geübt haben, um die Männerwelt zu beeindrucken, und das mit einer Halsreizung bezahlt haben. Verzeih meine Tirade, vielleicht findest du ein Synonym. Vielleicht kommt ihm beim Klang ihrer Stimme was in den Sinn oder so.

Ein kurzer Blick in die Agenda, obwohl er sich sicher war, dass es ihm möglich war.
Cool, ja, das ist auch so ein Spiel. Man guckt erst mal in den papierenen oder digitalen Terminkalender, um zu zeigen, dass man eigentlich unabkömmlich und sehr wertgeschätzt ist. Dass man am Telefon allerdings „schaut“, das ist mir noch nicht untergekommen. Vielleicht lässt du ihn was sagen, oder kurz zögern, so als ob er in den Terminkalender schaut. Man kann den Satz natürlich auch so verstehen, dass er sich selbst von seinem Mut überzeugen will, das Date auch wahrzunehmen. Aber ich finde es passt auch hier in die andere Richtung, in dieses Spiel von gegenseitigen Signalen, die richtig interpretiert werden müssen. Deren richtige Interpretation er ja am Schluss dann gänzlich in Frage stellt und sich schuldig sieht.

In der Central-Bar wollte er so kurz danach nicht mit ihr auftreten und spontan fiel ihm nur ein exklusives Hotel ein.
Auch hier, das ist schon wieder so was, nur allein durch den ersten Teil erhälts so etwas Anrüchiges.

Ihre Begrüssung war noch etwas steif, ein Erstes beschnuppern, doch verlief es zusehends angenehm.
Es muss heißen: ein erstes Beschnuppern

Sie waren schnell beim Vertraulichen Du und sprachen über sich selbst.
Beim vertraulichen Du

Eigenartig, dass sie dies erwähnte. Ein vermögender älterer Herr ist wohl kaum eine Referenz für eine jüngere Frau. Siebenundzwanzig war sie, fünf Jahre jünger als ich, hatte sich im Gespräch herausgestellt. Der Gedanke trat mir damals wieder auf, ist sie etwa doch …? Bestätigt hatte sich dieser vage Verdacht dann allerdings nie.
Schade, den letzten Teil finde ich nicht gut, denn du hast ja vorher so schön gespielt mit seinen Eindrücken, er nahm sie da ja nicht wirklich als Professionelle. Aber als Frau, die erotischen Abenteuern zugeneigt ist, sehr wohl. Ich finde, das machst du ein bisschen kaputt, wenn du diese Überlegungen so direkt hinschreibst. Ich finde die Idee, dass ihm die Liebschaft zu dem älteren Mann auffällt, total gut (spielt wieder mit der Idee der Käuflichkeit) Vielleicht lässt du den letzten Satz dann einfach weg.

Selbst hatte er es vermieden, über verflossene Beziehungen zu sprechen, nur eine mehrjährige Partnerschaft gestand er ein.
Das finde ich richtig gut formuliert. Ich kann es dir nicht erklären, vielleicht ist es das, was Ernst offshore an Frisch erinnert hat?

Es war bei unserem zweiten Treffen gewesen, als sie etwas eingeschnappt war, weil ich kein Kompliment zu ihren Beinen einbrachte und sie es selbst erwähnen musste. Dabei tat sie alles, um dies mir zu entlocken, präsentierte sich vor mir, wobei ich mehr ihr Kleid beachtete. Ich schalt mich damals meines Taktes wegen einen Narren, ich hatte sie falsch eingeschätzt. «Nur die wenigsten Frauen haben solche Beine», meinte sie.
Auch hier wieder, dieses Spiel, die Signale und ihre Interpretation, es durchzieht die gesamte Beziehung. Und wieder würde ich von dem her, wie ich deine Erzählabsicht interpretiere, dir raten, vorsichtig zu sein, wenn er allzu schnell sagt, er hätte etwas falsch eingeschätzt. Man fragt sich erstens nun, was er denn nun falsch eingeschätzt hat, zweitens nimmt es so ein bisschen die Ungewissheit raus. Ich würde ich hatte sie falsch eingeschätzt einfach streichen.

Nippen hätte ich wenigstens daran können, die romantische Stimmung, welche sie sich wünschte, mitspielen. Es war sehr abrupt, wie sie mich nach Hause schickte. Neunzig Kilometer, die er trotz seines Unwohlseins noch Autofahren musste.
Und hier setzt sich die Spielerei wieder fort. Die arme Rebecca will ihm in diesem Fall vielleicht wirklich nur einen Cognac einflößen, damit er besser verdauen kann, und er denkt sofort , sie hätte sich eine romantische Stimmung gewünscht. Du bringst da wirklich sehr feine Beispiele, das gefällt mir und der hohle Rolf interpretiert es immer in ein und dieselbe Richtung, ohne, dass du das aufdringlich oder übertrieben gemacht hättest.

Mir war es schon aufgefallen, als sie es bei ihrer Ankunft auspackte und auf das Bett legte. Sie trug ein Flanellnachthemd. So kalt war es nicht, es war anfangs Oktober. Den Gedanken, wie unerotisch es wirkt, schob ich damals kurzerhand beiseite, das Licht löschend.
Ja und hier ist es. Der ultimative Beweis, dass eine Frau keinen Bock hat. Es sei denn, sie gehört zur absoluten Müslifraktion. Niemals würde eine Frau, die ein Stelldichein mit einem neuen Liebhaber hat, ein Flanellnachthemd mitbringen. Nein, sie trägt hübsche Unterwäsche, reizvolle Nachtsachen je nach Alter und Geschmack, aber ein Flanellnachthemd niemals und das dann auch noch so offensichtlich auf das Kopfkissen legen, das tut sie, wenn sie ganz ausdrücklich sagen will: Finger weg.

Als ich mich ihr zärtlich zuwandte, liess sie mich wortlos gewähren. Eine Erregung konnte ich an ihr auch nach ausführlichem Vorspiel nicht anmerken. Nach meinen Erfahrungen musste ihr Verlangen bereits am Brennpunkt sein. Doch sie verhielt sich, als wäre sie völlig unerfahren, staunend, was ihr widerfährt. Einzig die Beine zog sie hoch, mich zulassend. Sie kann ihre Gefühle nicht zeigen, war damals mein Gedanke, als ich mich zur Seite legte, um zu schlafen.

Was mir hier, bei diesem seltsam passiven Liebesspiel gut gefällt, das ist, dass sie eben nicht so ganz regungslos ist, sondern die Beine anzieht. Rolf hat die Situation falsch verstehen wollen, falsch interpretiert, sich wie ein absoluter Vollpfosten benommen. Weil er eben gerne vögeln wollte und sonst nichts, hat er eine Menge übersehen wollen. Aber es wäre zu viel des Guten gewesen, wenn sie völlig komatös dagelegen hätte.
Irgendwo hast du ja geschrieben, dass du auf eine Untersuchung gestoßen bist, dass ein hoher Bestandteil von Vergewaltigungen im häuslichen oder Bekanntenbereich stattfinden. Ich finde, du hast das dargestellt, wie man die scheinbar eindeutigen Signale zum Sex hin zielgerichtet in seinem Sinne interpretiert, so dass mit einer folgenschweren Scheinlogik genau das rauskommt, was man eben so haben will: Klr, sie will doch auch. Und dem Rolf wird das irgendwann am Ende klar.
Der scheinbar normale, selbstverständliche Punkt des menschlichen Zusammenlebens erfährt durch den Wechsel der Perspektive, die Zulassung einer anderen Interpretation eine Infragestellung all dessen, was ihm so selbstverständlich erschien. Und dann ist er, obwohl juristisch ein Stück weit „reingewaschen“, dennoch schuldig im moralischen Sinne.
So, also als Infragestellung all dieser scheinbare Selbstverständlichkeiten und insofern auch philosophisch, verstehe ich deinen Text.

Ein bisschen schade fand ich die Auflösung, dass sie die Tabletten geschluckt habe und von daher die Anzeige zurückgenommen wird, es kommt mir ein bisschen so vor, als wolltest du eine Lösung konstruieren. Aber mit ein bisschen Augenzwinkern geht es. Es hat ja hier den unabweisbaren Vorteil, dass es sie, die Frau ist, die ihn aus der Verantwortung lässt. Eine andere Lösung, die ich im Moment besser fände, aber 100% sicher bin ich mir da auch nicht, das ist, dass das Verfahren niedergeschlagen wird, weil die Vernehmung Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Frau erbracht hat (Medikamenteneinnahme). Dann ist er vor der Welt reingewaschen, die bedenkliche Perspektive der Frau gegenüber würde durch die Juristerei auch noch bestätigt.
Aber ich weiß nicht, wer will das entscheiden, was das besser Ende wäre, außer dir, es spricht für beides etwas.
Ich hoffe, ich konnte mich da ein bisschen verständlich machen, wie ich das meine.

«Es ist nicht das erste Mal, dass mich ein Mann vögelte, ohne dass mir danach war.»
Einen Moment glaubte ich mich verhört zu haben oder dachte sie mache einen Scherz. Sie hatte es gewollt und sich selbst über Nacht eingeladen. Ich war schockiert und sprachlos.
Das zeigt das Dilemma deutlich. Hat mir gut gefallen, wie du das zusammengeknüpft hast.

und das nur indirekt KOMMA dafür massiv.

Im schlichten Büro von Herrn Girardot wurde er auf den Stuhl dem Untersuchungsrichter gegenüber verwiesen, auf dem er Stunden zuvor bereits schon einmal Platz nahm.
Platz genommen hatte

« Einvernahme von Frau Winters, die ich aufgrund der abweichenden Schilderungen von Ihnen anordnete, wiederrief sie ihre ursprüngliche Aussage.
Es muss heißen widerrief.
Es stammt von dem Wörtchen wider= gegen. Nicht von dem wiederholenden wieder.

Er hatte die Worte verstanden, doch war da etwas, das sich wie bei einer Durchblutungsstörung hemmend auswirkte, ihn daran hinderte KOMMA sich zu freuen, dass sich das Missverständnis auflöste.
Stärker fände ich es, wenn du den Satz mehr verdichtest. Du willst dieses untergründige Gefühl beschreiben und tust da aus meiner Sicht zuviel des Guten. Ich würde echt einfach nur schreiben:
Er hatte die Worte verstanden, doch da war da etwas, das ihn daran hinderte KOMMA sich zu freuen.

Hab in der Zwischenzeit dann noch mal Kubus Antwort gelesen. Ich finde echt spannend, wie er das sieht, wie ich das sehe, einfach wie unterschiedlich man das Verhalten der Personen interpretieren kann.

Hoffe, du kannst mit meinen Eindrücken etwas anfangen.
Ich wünsch dir mal wieder ein ganz schönes Wochenende.

 

Hej Anakreon,

Jüngste Statistiken von Soziologen weisen darauf hin, dass die meisten Vergewaltigungen im Bekanntenkreis stattfinden.
Ich lese hier erstmal nichts von einer Vergewaltigung, sondern von zwei Menschen, die schlecht kommunizieren.
Ohne einsichtige Gründe dafür gibt das der Geschichte eine sperrigen Charakter.

Die verhuschte Frau hat ihre Tabletten nicht richtig eingenommen, der Mann war nicht aufmerksam genug, ups! - vergewaltigt.
Mir erscheint das arg an den Haaren herbei gezogen.
Vergewaltigung hat für mich auch absolut nichts mit schlechter Kommunikation zu tun, sondern wie das Wort sagt, mit Gewalt.

"Hab ich sie nun vergewaltigt oder nicht, bin ich schuldig?", diese Frage ist (auch oder gerade wenn man sie wie der Mann am Ende mit "ja" beantwortet) absurd.
Wenn man jemanden vergewaltigt, weiß man es, denn ausgemachtes Ziel einer Vergewaltigung ist zu vergewaltigen. Mann stellt das nicht erst Tage später fest, sondern weiß es in dem Moment, in dem man es tut.
Das ist der Witz dabei.
Ob man es zugibt, ist eine andere Sache.

Du ahnst es schon, mir hat diese Geschichte nicht gefallen. Ich finde die Schuldfrage sowieso nur bedingt spannend, aber hier ist alles uneindeutig, vllt war eher die Frau irgendwie auch schuld, nein, der Mann, nein beide, woran überhaupt? - und am Ende spielt es gar keine Rolle.

Tut mir leid, trotzdem schöne Grüße,

Ane

 

War Lady de Winter nicht eine - was sag ich - die Gegnerin von Aramis, Athos und Porthos, aber besonders d'Artagnans, den ich gleich zwanzig Jahre später hinterherzog? Aber nee, ich weiß, eine wundersame Welt, in der unerwünschte Kollegen und Nachbarn mit dem behaupteten Vorwurf der sexuellen Belästigung bis hin zum Missbrauch das Ende ihrer Karriere finden, gar ein Wetterfrosch von der medialen Karriereleiter hinabgestoßen wird - hauptsach, ein gewisser Schaden ist angerichtet und man selbst hat in bunter Presse Gewinn abwerfen dürfen. Vornehmlich aber das Recht wird missbraucht – ein Kind der Philosophie.

Vergewaltigt -

lieber Anakreon -

ist darum ein vertrackter Titel und Bemerkungen über Missverständnisse und gestörte Kommunikation liegen da schon ganz richtig. Da erscheint die gewählte Rubrik sehr gewagt. Aber was zählt nicht heute alles als Liebe zur Weisheit, gar als besondere Kultur? Unternehmen pflegen ihre je eigene Kultur und liefern den ideologischen Rahmen mittels besonderer Unternehmensphilosophien fest. Es will mir erscheinen, als wäre nicht die Philosophie Mutter aller Wissenschaft, sondern die Tochter der Betriebswirtschaftslehre. Und sinnigerweise steht immer (angeblich) der Mensch im Mittel, Punkt!
Wenn Geschäftstüchtigkeit in private Beziehungen eindringt, ist immer die Frage: wer Täter, wer das Opfer ist.

In der Geschichte gibt es zwei Opfer: das Rechtssystem und der Beschuldigte.

Etymologisch leitet sich das Wort von der Gewalt und das wiederum vom Verb „walten“ ab – aber erst in der Bedeutungsvielfalt des Althochdeutschen „waltan“ fällt auf, was in dem Worte steckt:
herrschen (über), beherrschen, Herr sein (über), regieren, mächtig (sein), in seiner Gewalt haben, die Aufsicht haben, wachen (über),
aber auch sorgen (für/über)
und vor allem: walten, verwalten,
die Verwaltung also, wie sie Max Weber als Herrschaftsinstrument analysiert hat mit ihrer Rationalisierung in angewandter Mathematik (Buchhaltung, Bilanzwesen) und dem Übergang zur höheren Mathematik (Finanzmathematik, lineare Optimierung etc.).

Immerhin noch ein wenig für die - passend hierzu - Kleinkrämerseele:

Dabei hatte er, doch nichts getan, war sich keiner Schuld bewusst, es konnte nur ein Missverständnis sein.
Ein entbehrliches Komma zwischen er - doch

«Also dann, bis nächsten Dienstag. Auf Wiedersehen[,] Rolf.»
«Ich freue mich, bis dann[,] Rebecca.»
Besser vor den Namen/der Anrede je ein Komma

Vorschlag:

Einen Moment glaubte ich[,] mich verhört zu haben[,] oder dachte[,] sie mache einen Scherz.

... wiederrief ...
widerriefe ich aber nun gegen Ende!

Gern gelesen trotz eines unangenehmen Themas vom

Friedel
(& natürlich ein schönes Restwochenende!)

 

Ich Narr, das ist es, ihre Körpersprache damals!

Aber,
lieber Anakreon,
war es wirklich ihr Körper, der sprach? Ich meine, nicht. Körpersprache ist eine unbewusste Ausdrucksform. Rebecca hat jedoch willentlich ihre Beine gespreizt, und als reife Frau ist sie auch mit dem Wissen ausgestattet, welche Folgen das haben könnte.
Rebecca macht Rolf ein „Angebot“, so würde ich es bezeichnen. Es steht ihm durchaus zu, es anzunehmen. Ob er es dann auch tun sollte, ist eine andere, wenn auch nicht uninteressante Frage. Vor dem Gesetz jedenfalls wäre er unschuldig.

Ich stelle mir eben den umgekehrten Fall vor: Die Brustwarzen sind steif, das Höschen ist feucht (Körpersprache). Doch die Frau sagt mit Worten: nein. In dem Fall wäre Rolf vor dem Gesetz schuldig.

Aber ich denke, das Gesetz sollte hier nicht im Vordergrund stehen. Die Moral erfasst mehr Bereiche des Zusammenlebens als das Gesetz es tut, auch sind (amtliche) Gesetze zum Teil vom Zeitgeist geprägt. Und der Zeitgeist sollte, wenn wir hier über Moral philosophieren, außen vor bleiben. Oder ist das gar nicht möglich?

Eine Art Leitgedanke könnte helfen. Vielleicht dieser: Was du nicht willst, das man dir antut, das tue auch keinem anderen an.
Klingt auf den ersten Blick nicht schlecht, nur ist dieser Leitsatz wirklich hilfreich? Wird da nicht zu Vieles vorausgesetzt? Zum Beispiel: Das der „Andere“ als ein vollwertiger Mensch betrachtet wird (siehe Kants Irrungen und Wirrungen zu diesem Thema). Und dann noch, dass Gleichgestellte auch gleiche Toleranzgrenzen haben. Und selbst die Toleranzgrenze einer einzigen Person ist keine absolute. Sie kann sich, wenn auch nur leicht, zeitweilig verschieben, je nach Stimmung oder wie in deiner Geschichte, unter Einfluss von Medikamenten.
Ich meine, die Befolgung dieses (oben erwähnten) recht logisch klingenden Leitgedanken kann immer noch zu dem führen, was Rolf am Anfang als „Missverständnis“ bezeichnet.
Etwas später schalt er sich als unsensibel. Er vollzieht in seiner Zelle etwas, was er, seiner Meinung nach, schon an dem bestimmten Abend hätte tun sollen, er vollzieht, oder besser, er versucht einen Perspektivwechsel.
Perspektivwechsel klingt hübsch, ist jedoch, wiederum bei genauerer Betrachtung, so wenig hilfreich wie obiger Leitgedanke. Perspektivwechsel gelingt im Roman, nicht im wirklichen Leben. Selbst mit fundierter Ausbildung bleibt das Resultat strittig.
Nun zu sagen: Nur Gott weiß, was in einem Menschen vorgeht, ist weit übertrieben, aber ein Quäntchen Wahrheit hängt dran, und das wird wohl immer so bleiben.

Ich könnte jetzt noch über Seiten hinweg faseln, aber ich glaube, das ist nicht nötig. Deine Geschichte, lieber Anakreon, erlaubt keine Lösung im Sinne einer Wertung. Sie zeigt vielmehr Grenzen auf. Sie zeigt, wie grob das „Werkzeug“ Moral sein kann, nachdem wir Handlungen als gut oder schlecht einstufen.
Gesetze regeln nicht alles. Auch die Moral, die tiefer in unser Leben eindringt, als Paragraphen es tun, kann nicht, und ich meine, sie darf auch nicht, alles bis in den kleinsten Winkel des menschlichen Zusammenlebens erfassen. Dann wären wir, oder richtiger, jeder Einzelne von uns, unfrei.

Lieben Gruß

Asterix

 

Hallo Kubus

So was lässt du mich verpassen?

Ich hatte gerade letzthin ein Buch eines ehemaligen Mentors in den Händen: Wie man sich Feinde schafft. Als ich deine Worte mit dreisten Gedanken besetzte, kam mir assoziativ die Erinnerung daran auf, was mich umgehend zur Demut ermahnte.

Das ist vllt die Krux mit der Doppelgleisigkeit der Geschichte.
Hier fragt das nicht der Protagonist, sondern der Erzähler stellt es fest.

Aber es ist doch ein personaler Erzähler, kein auktorialer. Seine Wahrnehmung ist also mit der Sicht des Protagonisten identisch, dessen Subjektivität einschliessend. Ach, manchmal frage ich mich, ob es die Geschichtenerzähler in den Kaffeehäusern im Orient es einfacher haben, oder ob sich bei denen auch so Komplexitäten ergeben. :confused:

Mir ist neu, dass das so sein soll. Habe erst einmal von so was gehört.

Ist auch nicht so mein Ding, Soziologie. Statistik noch weniger. Ich ziehe den Einzelnen der Gruppe vor, aber es ist für manche Belange nützlich, zuweilen einen Blick über den Gartenhag zu werfen. Wie verbindlich eine Statistik sein kann, hängt zudem von den selektierten Fragen und der Messgrösse ab.

Problem ist, es geht ja letztlich doch um Sex in deiner Geschichte …. für so was gäbe es Partnerbörsen, Single-Disco, Kontaktanzeigen. Sehr viele Möglichkeiten.

Die junge Frau nutzte solche Möglichkeiten vielleicht auch, aber in diesem Fall wählte sie diesen Weg. Das Erscheinungsbild von Hohl hatte es ihr vielleicht spontan angetan.

Worum es aber ursprünglich geht, das ist ja der Tonfall ihres ersten Telefonats: So sprechen Menschen nicht, zwischen denen alles unklar ist.

Obwohl ich Aussagen nicht selten widerspreche, dass Menschen dieses oder jenes nicht tun oder nicht so sprechen, verstehe ich deinen Einwand. Es wirkt zielgerichtet - literarisch vielleicht nicht perfekt. Zielgerichtet ist es auch und dennoch mit der Scheu ihrer eigentlichen Wesensart besetzt. In einer Kurzgeschichte dies ausdrücklich umzusetzen, ohne zu überzeichnen, lässt sich eben oft nur mit derartigen Verhaltensweisen.

Machofalle ist ein gutes Stichwort. Ich bin natürlich ein Macho alter Schule, ein großmäuliger, innerlich ganz kleiner und bemitleidenswerter Gernegroß. auch wenn ich nicht in Sankt Pauli wohne, das ist der andere.

Das Stichwort könnte man Alice Schwarzer zuschreiben, doch erinnere ich mich nicht es je bei ihr gelesenen zu haben, also doch lediglich ein Impuls von mir.
Direkt als Macho nahm ich dich eigentlich nie wahr, auch wenn Mäuse in die Mausfalle tappen, eher einer im Geiste der Neuen Wilden, wenn diese auch Maler waren. Obwohl, das machohafte ist ja meist nur Maskerade, das Make-up von manchen Männern.
Mit St. Pauli aber bin ich in die Falle der Gutgläubigkeit gelaufen, denn ich war überzeugt, dass du auch in Kommentaren schon von den Damen unten an der Ecke gesprochen hattest. Ich werde da künftig kritischer Lesen müssen.

Davon unabhängig ist es halt schwierig, wenn es sich in einer ganzen Geschichte vor allem darum dreht, einen bestimmten Typ Mensch seiner Schuld zu überführen.

Ich meinte es in einer leichten Kost darzubieten, anscheinend ist es aber doch schwerer verdaulich.

Dann lass sie doch nicht im Regal zwischen den Schmökern stehen!

Aber es sind doch keine Pornohefte, sondern nur Tagebücher im trauten Heim. :rolleyes:

Ich danke dir für deinen neuerlichen Kommentar.


+​

Liebe Novak

Ich muss gestehen, ich sehe mich so gar nicht als philosophischen Menschen, in diese Rubrik gelockt hat mich dein Name und nicht die Rubrik als solche.
Aber vielleicht ist es nicht falsch, sich die Frage zu stellen. Ich probiere es mal, auch wenn ich dabei Gefahr laufe, mich ein bisschen lächerlich zu machen.

Es freut mich sehr, dass du trotz einer Hemmschwelle gegenüber dem grossen Wort Philosophie dich zum Lesen und Kommentieren entschlossen hast. Dass es mehr mein Name war, der dich hierher leitete, ehrt mich, umso mehr, da dieser mit einer Figur der Antike verbunden ist, dem der Makel anhaftet, ein unbedeutender Dichter zu sein.
Sich lächerlich machen kann man nicht, wenn man sich bewegt fühlt, nachzudenken. Es ist ja ein Vorhof der Philosophie, sich Fragen zu stellen und Antworten zu suchen. Wer da lacht, wäre höchstens selbst beschränkt, da ihm die Fähigkeit differenzierten Denkens abgeht.

Ist für mich eine Grundlagenwissenschaft, … Das ist beispielsweise oft bei Moralphilosophie der Fall.

Mit deinen zusammengetragenen Fakten, auf welcher Basis der Stoff eingebettet sein könnte, hast du dich auf dieses Einlassen ja recht gut vorbereitet. Wobei ich der Meinung bin, auch einem unbefangenen Leser, also ohne spezifische Vorkenntnisse, kann sich der Sinn des Textes erschliessen.

Dieses Bild gefiel mir gut. Es ist interessant, weil man sofort bemerkt, dass der P. durch irgendetwas erschüttert ist, und dieses „spiegelt“ sich so schön in der kalkigen Wand, in der nichts erscheint als sein eigener Zweifel. Auch die nachfolgenden Sätze zeigen das Nachdenken, das Hängenbleiben an immer derselben Fragestellung (Endlosschleife: wunderbar gewählt). Alles für mich sehr gelungen.

Ha, das freut mich, da ich bei der Abfassung dachte, es klinge steril und wie auf ein philosophisches Lesestück zugeschnitten.

Dabei hatte er, doch nichts getan, war sich keiner Schuld bewusst, es konnte nur ein Missverständnis sein.

Keine Komma nach hatte er. Du zerreißt sonst den Hauptsatz.

Ärgerlich, diesen Fehler hatte ich auch anderswo drin, das zwanghafte Verlangen vor doch ein Komma zu setzen. :sad:

Von der Wand erhielt er keine Antworten, die Fragen blieben im Raum, seinem verzweifelten Sinnieren vorbehalten.

Über diesen Satz stolpere ich immer. Ich kann es dir leider nicht erklären, aber er nimmt irgendwie das schöne Bild mit der gekalkten Wand zurück. Als Leser weiß man ja, dass die Wand keine Fragen beantwortet und seiner Verzweiflung nicht helfen wird. Es ist ein bisschen, als ob du mir hier zu viel erklären würdest. Persönlich gefiele es mir besser, wenn du das Bild mit der Wand zwar noch einmal aufgreifst, aber eben nicht so beantwortend sondern nur einen „Rückgriff“ machend. Vielleicht ist das ja auch eine Geschmacksfrage, nimm den Eindruck, wenn er dir taugt.

Damit hast du mich in eine arge Krise gestürzt, der Satz war mir Bedeutungsschwanger. Nun steh ich da wie ein Rabenvater. Auch nach Stunden fand ich keinen Platz, an den ich ihn weggeben könnte. Wehmütig wie zu einer Adoptionsfreigabe gezwungen blickte er mir im Manuskript entgegen.
Dann geschah das Unfassbare, ein Abortus, spontan durch die Taste Delete erzeugt, ein Mord! … Da keine Trauer aufkam, verzichtete ich auf eine Beerdigung, der Satz ist einfach eliminiert.

Seine Erinnerung schweifte zurück, als er ihr erstmals in der Central-Bar begegnete.

Über diesen Satz stolpere ich auch. … Ich würde einfach in die Zeit o. ä. einfügen, dann sind alle Probleme beseitigt. Klingt weniger schön als dein Satz, aber man stolpert inhaltlich nicht mehr drüber.

Das Kausalereignis hat ja fatale Folgen, die sich mehrfach mit Formen von Sündenfällen vermengen. Du hast mich gerettet! Da ich trotz hingebender Betrachtung noch nicht zu einer andern Version kam. Nun hat es einen Tag und eine andere Zeitform erhalten, ohne gleich abzuserbeln.

Er spürte leicht eine Berührung an seinem Arm, eine Hand legte einen zusammengefalteten Zettel vor ihm auf den Tresen und zog sich schnell zurück. …

Geil, mir gefällt das. Das machen wohl nur Frauen. Müssen übrigens keine Profis sein, sondern nur welche, die einen Mann anmachen wollen.

Ha, da bin ich jetzt aber froh über diese beweiskräftige Rückendeckung. Es wirkt mir nun beinah wie eine Selbstbehauptung für die Sache der Frauen, was Rebecca da machte. Ich hatte es auch nie als verwerflich eingeschätzt, auch wenn es unter Umständen mit der Phalluslastigkeit von Männerfantasien kollidieren kann. Hohl war da eben einfach nur der Durchschnittsmann, nicht böse, aber etwas undifferenziert in seinem Verständnis zum andern Geschlecht.

Biedere Eleganz in diesem Zusammenhang gefällt mir übrigens sehr gut. Es ruft bei mir, ohne dass du die Kleidung nun beschreiben müsstest, einen bestimmten Eindruck hervor. Die Kleidung selbst hier zu beschreiben (normalerweise würde man das ja einfordern) fände ich hier gar nicht gut, denn hier geht es um den Eindruck, den er sich von ihr macht. Und um seine Fehlinterpretationen. … (die Frauen, die sowas tragen, sind übrigens oft die schlimmsten), … All das zeigst du hier so ein bisschen spielerisch, es ist nur scheinbar so, wie er es aus dem bloßen Anschein heraus begreift.

Da bin ich froh, dass dieses Bild doch funktioniert. Ich hatte schon den Verdacht, heute kenne man nur noch den Freizeitlook, der Widerborstigkeit zur Eleganz, oder die kostümierten Büromenschen, welche glauben, uniformiert sähen sie wie Manager aus. Dass die Frauen, die so was tragen oft die schlimmsten sind, amüsierte mich, ohne dem aber zu widersprechen. Oh Schreck, dies gilt hoffentlich nicht auch für die Männer? Ach, wenn auch, bieder trifft auf mich ja nicht zu, was mein Selbstbewusstsein wieder ins Lot bringt. :pah:

«Rebecca Winters», ihre Stimme hatte einen leicht rauchigen Klang.

Oh bitte nicht, gib erotischen Frauen bitte keine rauchige Stimme. Ich weiß schon, es ist ja hier auch wieder dein Spiel mit seinen Eindrücken, denn so konstruiert er sie sich ja auch zurecht, … Ich weiß nicht, wieviele Generationen von Frauen sich in rauchigem Sprechen (und Singen, wie jetzt die süße kleine Lana del Ray, dieses Rehauge mit der Bardamenstimme) geübt haben, um die Männerwelt zu beeindrucken, … Verzeih meine Tirade, vielleicht findest du ein Synonym. Vielleicht kommt ihm beim Klang ihrer Stimme was in den Sinn oder so.

Auuu, jetzt hast du aber den Absatz deiner Stöckelschuhe auf meinem Fuss gedreht. Ich mag doch die rauchige Stimme, die ich Rebecca Winters verpasste. Ja, Lana del Rey, das ist gut und ihre Songs stimmig, auch wenn sie lieber nur texten würde, statt singen. Vom Aussehen her, da finde ich sie bieder, direkt geeignet für die Rolle der Rebecca in einer Verfilmung. [Bei Facebook + Twitter figuriert sie übrigens mit einem falschen Namen: korrekt ist Rey, nicht Ray. :teach: ]
Aber ernsthaft, da habe ich jetzt Mühe einen gehaltvollen Ersatz für diese Stimmlage zu finden. Das Witzige bei diesen Frauen mit rauchigen Stimmen – ich mag sie wirklich – sie sind eben oft nicht Sexy in ihrer Erscheinung, oder spätestens dann nicht, wenn man sich das Make-up wegdenkt.
Aber wenn es zu arg wirkt, wir sind hier ja in einem achtbaren Genre, werde ich mich mal bei den Stimmlagen der Damen umsehen, was sich sonst noch bieten könnte. Wann es mir gelingt, diese zu entdecken, steht allerdings in den Sternen. Wenn du also eine geniale Idee hast, wie dieses anrüchige sich zu damenhaften Trillern ändern lässt, bin ich offen dafür. Mir kam da nur noch flöten in den Sinn, aber für Rebecca, nein, das wäre schon Verleumdung.

Ein kurzer Blick in die Agenda, obwohl er sich sicher war, dass es ihm möglich war.

Cool, ja, das ist auch so ein Spiel. Man guckt erst mal in den papierenen oder digitalen Terminkalender, um zu zeigen, dass man eigentlich unabkömmlich und sehr wertgeschätzt ist. Dass man am Telefon allerdings „schaut“, das ist mir noch nicht untergekommen.

Lustig, du bist die Erste, die den Fakt der Zeit indirekt anspricht, mit dem digitalen Terminkalender. Ich hatte die Szenen rund zwanzig Jahre zurückversetzt, als es erst funkgerätgrosse Natels gab, aber noch keine digitale Terminkalender, Handys oder Internet gab. Solche Möglichkeiten hätten mir den Ablauf unpassend beeinflusst. Seine Handlung in dieser Szene interpretierte ich deshalb so, dass er ungewohnter Weise sich unsicher fühlt, und die papierene Agenda, wie eine Krücke verwendet. Du hast es also sehr treffend analysiert, mit dem, dass er sich Mut zuspricht, das Date wirklich wahrzunehmen.

In der Central-Bar wollte er so kurz danach nicht mit ihr auftreten und spontan fiel ihm nur ein exklusives Hotel ein.

Auch hier, das ist schon wieder so was, nur allein durch den ersten Teil erhälts so etwas Anrüchiges
.

Man muss mich ja noch für einen ausgekochten Schlingel halten. :D

Ihre Begrüssung war noch etwas steif, ein Erstes beschnuppern, doch verlief es zusehends angenehm.

Es muss heißen: ein erstes Beschnuppern

Sie waren schnell beim Vertraulichen Du und sprachen über sich selbst.

Beim vertraulichen Du

Au, da hatte ich in diesem Abschnitt faustdicke Tomaten vor den Augen. Die Szene brachte mich ja völlig in Konfusion. :heul:

Eigenartig, dass sie dies erwähnte. Ein vermögender älterer Herr ist wohl kaum eine Referenz für eine jüngere Frau. … Bestätigt hatte sich dieser vage Verdacht dann allerdings nie.

Schade, den letzten Teil finde ich nicht gut, denn du hast ja vorher so schön gespielt mit seinen Eindrücken, er nahm sie da ja nicht wirklich als Professionelle. Aber als Frau, die erotischen Abenteuern zugeneigt ist, sehr wohl. Ich finde, das machst du ein bisschen kaputt,

Du hast mich da auf Anhieb überzeugt. Das Bild einer Femme fatale löst sich dadurch in Nichts auf, das Geheimnisvolle, das sie umgibt, ist weg. Der letzte Satz ist darum gelöscht.

Selbst hatte er es vermieden, über verflossene Beziehungen zu sprechen, nur eine mehrjährige Partnerschaft gestand er ein.

Das finde ich richtig gut formuliert.

In meiner Vorstellung spielten beide nicht mit offenen Karten, brachten jeweils nur das ein, wie sie sich dem anderen darstellen wollten.

Es war bei unserem zweiten Treffen gewesen, als sie etwas eingeschnappt war, weil ich kein Kompliment zu ihren Beinen einbrachte und sie es selbst erwähnen musste. …

Auch hier wieder, dieses Spiel, die Signale und ihre Interpretation, es durchzieht die gesamte Beziehung. Und wieder würde ich von dem her, wie ich deine Erzählabsicht interpretiere, dir raten, vorsichtig zu sein, wenn er allzu schnell sagt, er hätte etwas falsch eingeschätzt. Man fragt sich erstens nun, was er denn nun falsch eingeschätzt hat, zweitens nimmt es so ein bisschen die Ungewissheit raus.

Ich habe Mitleid mit ihm, denn nun wirkt er noch etwas hohler, doch ich habe den Satz mit dem falsch eingeschätzt gelöscht. Du hast schon recht, das Spiel verliert für den Leser sonst an Reiz.

Und hier setzt sich die Spielerei wieder fort. Die arme Rebecca will ihm in diesem Fall vielleicht wirklich nur einen Cognac einflößen, damit er besser verdauen kann, und er denkt sofort , sie hätte sich eine romantische Stimmung gewünscht. Du bringst da wirklich sehr feine Beispiele, das gefällt mir und der hohle Rolf interpretiert es immer in ein und dieselbe Richtung, ohne, dass du das aufdringlich oder übertrieben gemacht hättest.

Schön, dass du die Feinheiten zwischen ihren unterschiedlichen Charakteren zu deuten vermagst. Das manchmal mehr oder weniger versteckte Augenzwinkern im Text, welches mir unerlässlich ist, in seiner Bedeutung erkennst.

Mir war es schon aufgefallen, als sie es bei ihrer Ankunft auspackte und auf das Bett legte. Sie trug ein Flanellnachthemd. …

Ja und hier ist es. Der ultimative Beweis, dass eine Frau keinen Bock hat. Es sei denn, sie gehört zur absoluten Müslifraktion. Niemals würde eine Frau, die ein Stelldichein mit einem neuen Liebhaber hat, ein Flanellnachthemd mitbringen. Nein, sie trägt hübsche Unterwäsche, reizvolle Nachtsachen je nach Alter und Geschmack, aber ein Flanellnachthemd niemals und das dann auch noch so offensichtlich auf das Kopfkissen legen, das tut sie, wenn sie ganz ausdrücklich sagen will: Finger weg.

Exakt das sah ich in dem Signal. Der Begriff absolute Müslifraktion gefällt mir, urkomische Vorstellung, wie konnte Hohl da nur an Erotik denken. :lol:

Was mir hier, bei diesem seltsam passiven Liebesspiel gut gefällt, das ist, dass sie eben nicht so ganz regungslos ist, sondern die Beine anzieht. Rolf hat die Situation falsch verstehen wollen, falsch interpretiert, sich wie ein absoluter Vollpfosten benommen. Weil er eben gerne vögeln wollte und sonst nichts, hat er eine Menge übersehen wollen. Aber es wäre zu viel des Guten gewesen, wenn sie völlig komatös dagelegen hätte.

Indirekt musste ihr Verhalten da auch den unterschwelligen Gedanken von ihm verstärken, sie könnte eine Professionelle sein. Nicht im Alltagsgeschäft tätig, aber so im Stil wie es eine Vera Brühne (meine Güte, kennt den Namen noch jemand?) war.

«Es ist nicht das erste Mal, dass mich ein Mann vögelte, ohne dass mir danach war.»
Einen Moment glaubte ich mich verhört zu haben oder dachte sie mache einen Scherz. Sie hatte es gewollt und sich selbst über Nacht eingeladen. Ich war schockiert und sprachlos.

Das zeigt das Dilemma deutlich. Hat mir gut gefallen, wie du das zusammengeknüpft hast.

Ich fand es wichtig, an dieser Stelle diese Szene ins Spiel zu bringen. Für ihn mochte es den Eindruck gemacht haben, sie habe es sich im Nachhinein anders überlegt. Da ihr Verhalten im Laufe des Tages wieder „normalisiert“, legte er diese Szene innerlich ad acta, als sei es nur eine der Launen von ihr gewesen.

Stärker fände ich es, wenn du den Satz mehr verdichtest. Du willst dieses untergründige Gefühl beschreiben und tust da aus meiner Sicht zuviel des Guten.

Stimmt schon, der Satz ist zu verschachtelt mit Informationen, die es so nicht braucht. Ich habe es deinem Vorschlag gemäss geändert.

Ich finde, du hast das dargestellt, wie man die scheinbar eindeutigen Signale zum Sex hin zielgerichtet in seinem Sinne interpretiert, so dass mit einer folgenschweren Scheinlogik genau das rauskommt, was man eben so haben will: Klar, sie will doch auch. Und dem Rolf wird das irgendwann am Ende klar.

Das ist die Tragik, welche den Bogen im zwischenmenschlichen Bereich zuweilen spannen kann. Sinnliches wird überinterpretiert wahrgenommen, die egozentrischen Bedürfnisse täuschend, die Situation einer Pseudorealität vorgaukelnd. Solches spielt sich wahrscheinlich in verschiedenen Variationen ab und es ist fraglich, wann die Folgen eines solchen Fehltritts wirklich zu einer Erkenntnis oder wann es zu einem Verdrängen von Schuldgefühlen führt.

Ein bisschen schade fand ich die Auflösung, dass sie die Tabletten geschluckt habe und von daher die Anzeige zurückgenommen wird, es kommt mir ein bisschen so vor, als wolltest du eine Lösung konstruieren. … Eine andere Lösung, die ich im Moment besser fände, aber 100% sicher bin ich mir da auch nicht, das ist, dass das Verfahren niedergeschlagen wird, weil die Vernehmung Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Frau erbracht hat. Dann ist er vor der Welt reingewaschen, die bedenkliche Perspektive der Frau gegenüber würde durch die Juristerei auch noch bestätigt.

Hm, das hat schon was an sich. Wobei die Lösung mit den angeblich vertauschen Tabletten, immer auch die Möglichkeit beinhaltet, dass die Frau hier etwas vortäuscht, um ihren Kopf wieder aus der Schlinge zu ziehen. Auf der Kehrseite ist die Infragestellung ihrer Aussage natürlich auch ein Schachzug, der wiederum als diskriminierend gedeutet werden könnte.
Ich muss mir das noch durch den Kopf gehen lassen und sorgsam überlegen, ob Letzteres dem Stoff mehr und welche Gewichtung geben würde.

Hab in der Zwischenzeit dann noch mal Kubus Antwort gelesen. Ich finde echt spannend, wie er das sieht, wie ich das sehe, einfach wie unterschiedlich man das Verhalten der Personen interpretieren kann.

Ich denke, als Leser bringen wir auch bei fiktiven Geschichten alle unsere eigenen Erwartungen und Interpretationen aufgrund von Erfahrungen, Interessen oder Wissen ins Spiel. Das ist ein Grund mitunter, warum ein Text dann zu verschiedenen Echos führen kann. Den Wenigsten gelingt es wahrscheinlich, annähernd unbefangen an einen Stoff heranzugehen, als ob es etwas noch nie Gelesenes sei und rein am Gegebenem zu urteilen.

Deine Sichtweise, wie du die einzelnen Szenen analytisch präzis angegangen bist, hat mich einmal mehr positiv überrascht. Möglicherweise war es dir ein Vorteil, eben nicht zu verkrampfte Vorstellungen zu haben, wie sich ein philosophisches Lesestück zu präsentieren hat. Ich selbst setze dem in etwa, meist eine mehr oder weniger offene Fragestellung sowie eine annähernde Antwort zugrunde, wobei ein philosophischer Gehalt sich schon ein wenig spiegeln sollte.

Ich danke dir herzlich für deine Auseinandersetzung mit der Geschichte, den bereichernden Kommentar und die Änderungsvorschläge die ich alle bis auf die rauchige Stimme und das Ende – welches ich noch überdenke -übernommen habe.


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Hallo Ane

Dein Kommentar insgesamt überrascht mich. Ich hatte durchaus mit kontroversen Reaktionen gerechnet, unter anderem jenen, die bei einem philosophischen Lesestück eine herzig umschriebene Lebensweisheit erwarten. Der Titel wäre diesen jedoch keine Einstiegshilfe. Auch mein angewandter Stil mag Angriffsfläche bieten. Dass es aber das Faktum nicht erfüllen soll, erwartete ich jedoch eher von abwehrenden Geistern, dies es nicht zu akzeptieren vermögen, was insbesondere die Frauenbewegung in den letzten Jahren diesbezüglich erreichte. Nämlich, dass subtile Gewalt, welche etwa durch Nötigung zum Vollzug führt, als eine solche Gewalttat verstanden wird. Es entspricht darin durchaus heute gängiger Moral- und Rechtsphilosophie, natürlich mit verfeinerten Facetten.

Ich lese hier erstmal nichts von einer Vergewaltigung, sondern von zwei Menschen, die schlecht kommunizieren.
Ohne einsichtige Gründe dafür gibt das der Geschichte eine sperrigen Charakter.

Du hast recht, dass der titelgebende Akt erst nach langem Vorspiel eintritt. Ich interpretiere daraus, dass es mehr in deiner Erwartung lag, wenn ich mit einer Vergewaltigungsszene eröffnete, die dann ihre Verarbeitung gefunden hätte. Dies wäre natürlich ein mögliches Szenario gewesen, doch lag es so nicht in meiner Absicht.

Die verhuschte Frau hat ihre Tabletten nicht richtig eingenommen, der Mann war nicht aufmerksam genug, ups! - vergewaltigt.
Mir erscheint das arg an den Haaren herbei gezogen.

Auch diese Worte sind mir sehr interessant, da sie mir nicht typisch erscheinen. Ich kenne sowohl verschiedene Meinungen von Frauen zum Thema Vergewaltigung, als auch wissenschaftliche Deutungen. Auch Frauen, die eine lockere Haltung dazu zeigten, waren nicht so offensiv, wie du dich hier gibst. Ist dir wirklich ernst damit, was du da sagst, oder hat dir einfach die Geschichte missfallen?

Vergewaltigung hat für mich auch absolut nichts mit schlechter Kommunikation zu tun, sondern wie das Wort sagt, mit Gewalt.

Selbstverständlich ist es immer Gewalt, unabhängig davon, welche juristische Bezeichnung aufgrund des Sachverhaltes dann herangezogen wird. Dass solche Fälle absolut nichts mit Kommunikation zu tun haben könnten, unterliegt jedoch einem Irrtum von dir. Lass dir mal bei einer einschlägigen Beratungsstelle Fallgeschichten vorlegen, es wäre ernüchternd.

"Hab ich sie nun vergewaltigt oder nicht, bin ich schuldig?", diese Frage ist (auch oder gerade wenn man sie wie der Mann am Ende mit "ja" beantwortet) absurd.

Dem ist eben nicht so. Die rüdeste Form von Vergewaltigung ist sicher, dass jemand überfallen und mit Gewalt zum Geschlechtsverkehr gezwungen wird. Es gibt jedoch sehr viele subtile Formen der Gewalt, die zu gleichen Ergebnissen führen. Es mag sein, dass du in einer sehr geschützten Umgebung lebst und noch nie von solchen Dingen gehört hast.

Wenn man jemanden vergewaltigt, weiß man es, denn ausgemachtes Ziel einer Vergewaltigung ist zu vergewaltigen. Mann stellt das nicht erst Tage später fest, sondern weiß es in dem Moment, in dem man es tut.

Nimm zum Beispiel den Vollzug der Ehe. Erfüllt eine Frau diesbezüglich nicht ihre Pflicht, wird sie vor dem Gesetz zur Täterin, die Ehe kann zu ihren Lasten annulliert werden. Nimmt der Ehemann sein Recht aber wahr, und erzwingt den Verkehr gegen den Willen seiner Frau, so ist es seit Kurzem in vielen europäischen Staaten eine Vergewaltigung. Solche Männer fühlen sich nie als Vergewaltiger. Aber wie gesagt, es gibt da viel subtilere Arten, wie solche Dinge geschehen und die Täter sich keineswegs schuldbewusst fühlen.

Ich denke, deine Erwartungshaltung hat es dir hier nicht ermöglicht es unbefangen wahrzunehmen, wie es geschrieben ist. Auch ist es dein gutes Recht eine eigene Meinung zu haben, was eine Vergewaltigung darstellt. Dass es dir demzufolge nicht gefallen hat, kann ich dir nicht verübeln, doch fühle ich mich für deine Sichtweise auch nicht verantwortlich.

Leid muss es dir nicht tun, dazu besteht kein Grund. Dass du deine Meinung dennoch mitgeteilt hast, dafür danke ich dir, auch wenn sie mich eher beinah etwas ratlos machte.

Schöne Grüsse Euch allen und danke

Anakreon


PS: Aus zeitlichen Gründen muss ich die Beantwortung Eurer Kommentare, lieber Friedel und Asterix, noch hinausschieben. Sie folgen aber baldmöglichst. Ich habe sie schon mal mit grossem Interesse durchgelesen.

 

Ich musste lachen, dass dir die Milady de Winter so vertraut ist, dass du sie dûment zur richtigen Zeit in Erinnerung rufen und assoziieren kannst,

lieber Friedel

Ob auch die Winters in meinem Stück mit Alexandre Dumas, oder spezifischer noch mit seinen drei Musketieren, auf Kriegsfuss stand, dürfte eines der Geheimnisse sein, die sie eben in ihren Tagebüchern verwahrt. Ihr gutes Recht ist es! Männer umgeben sich da eher mit Kacheln, da sie es nicht schätzen, wenn man ihnen in tiefer als in die Wetterkarten schaut.

ist darum ein vertrackter Titel und Bemerkungen über Missverständnisse und gestörte Kommunikation liegen da schon ganz richtig. Da erscheint die gewählte Rubrik sehr gewagt.

Vergewaltigt, als philosophische Abhandlung, gewiss für manche eine Provokation, doch keineswegs fremd. Als Lesestück dieses Genres, mir darum durchaus tragbar, wie pflege ich sonst meinen guten Ruf als Enfant terrible. Wenn ich an Sartres Leben denke, er hatte es nicht nötig, sie lagen ihm dutzendweise zu Füssen, nebst seiner Frau, Simone de Beauvoir. Wohl war sie nicht direkt erfreut, aber akzeptierte vornehmlich seine Eigenart.

Aber was zählt nicht heute alles als Liebe zur Weisheit, gar als besondere Kultur?

Du umgehst da stillschweigend die alten Moritaten, genannt sei nur mal François Villon, wenn ich nicht gar zurückgreifen will auf Bacchus, der schon in der Antike Gleiches tat. Da sind auch die Gedichte von Abt du Resnel, die kaum einer kennt, die doch so manche Jungfer erröten liess, wenn sie die Verse, Der Lockenraub, sich zu Gemüte führte. Die Liebe zur Weisheit erzählt nur immer wieder neu, was sich in der Menschheit seit jeher wiederholt. Eine Endlosschleife, die auch ein Herr Hohl kennenlernte, als er sich fragte, warum.
Ich habe eben kurz im Buch Was Philosophinnen denken II, bei Elfriede Huber-Abrahamowicz nachgeschlagen, in ihrem Beitrag Zur Sprache der Dichtung (Seite 280), der letzte Vers aus dem angeführten Gedicht Schach:

Wo Liebe wird zu einem Spiel der Macht,
ist schon verlorn, eh sie beginnt, die Schlacht.

Man könnte viele Worte drum machen, aber die Philosophin und Dichterin bringt es in ihrem Gedicht auf den Punkt.

Deine werten Hinweise und Vorschläge zu sprachlicher Rundung habe ich bereits vergangene Nacht in den veröffentlichten Text einfliessen lassen. Für deine Auseinandersetzung und deinen Kommentar, der trotz des Ernsts der Lage seinen Humor nicht verliert, danke ich dir herzlich, es hat mich wie stets gefreut.


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Lieber Asterix

Ich musste schmunzeln, als ich letzte Nacht sah, wie du mit kriminalistischem Gespür die Spurensuche in diesem Geschehen analysiertest. Es ist wirklich interessant, wie die Perspektive sich auswirkt, der man folgt.

war es wirklich ihr Körper, der sprach? Ich meine, nicht. Körpersprache ist eine unbewusste Ausdrucksform.

Körpersprache oder nichtverbale Kommunikation, wie es fachlich lautet, ist zu einem guten Teil unbewusst, dies jedoch keineswegs ausschliesslich. So zählt man einen ganzen Katalog an Ausdrucksarten dazu: Körperkontakt, Körperbewegungen und Körperhaltung (inkl. Kinesik), äussere Erscheinung (Kleidung etc.), nicht verbale Aspekte des Sprechens (Paralinguistik), räumliche Faktoren (Proxemik). Ich kann mir aber vorstellen, dass es reihenweise Bücher und Kurse mit dem Begriff Körpersprache gibt, die diese fachlichen Teile schlichtweg ausklammern. Ich selbst habe mich nie spezifisch mit diesem Bereich befasst, meine Interessen sind da anders gelagert. Ein populärer Autor, der sich mit einer spezifischen Ausrichtung von Sprache und nichtverbaler Kommunikation befasste, ist Watzlawick mit seinem theoretischen Konzept der Metakommunikation. Wenn es dich also tiefer interessierte, ein Hinweis. Mich selbst spricht er nicht so sehr an.

Rebecca hat jedoch willentlich ihre Beine gespreizt, und als reife Frau ist sie auch mit dem Wissen ausgestattet, welche Folgen das haben könnte.

Vollkommen richtig, die Konsequenzen mussten ihr bewusst sein. Doch wie sie sich dabei fühlte, ist nicht ausgesagt. Es ist ja alles aus der Sicht des Prot. dargestellt. Sie kann sich genötigt fühlen, oder die Empfindung haben, naiv in eine Falle getappt zu sein. Letzthin las ich zitierte Worte eines rechtspopulistischen Politikers: Ohne Lust kann man nicht schwanger werden. Dies als sein Veto zur Strafbeurteilung bei Vergewaltigung im Rahmen einer politischen Diskussion.

Rebecca macht Rolf ein „Angebot“, so würde ich es bezeichnen. Es steht ihm durchaus zu, es anzunehmen. Ob er es dann auch tun sollte, ist eine andere, wenn auch nicht uninteressante Frage. Vor dem Gesetz jedenfalls wäre er unschuldig.

Subjektiv zögere ich da keinen Moment, dir zuzustimmen. Doch auch wenn Recht keine exakte Wissenschaft ist, ist es doch eines der notwendigen Massstäbe einer funktionierenden Gesellschaft. Da ist das objektive Gewissen in mir, das deshalb Widerspruch einlegt. Nun ich bin kein Jurist und die drei Semester, welche ich mal nebenbei belegte, waren nicht spezifisch dem Strafrecht gewidmet. Daher greife ich zu einem Buch, das ich einst mit Vergnügen las: Juristische Methodenlehre von Ernst A. Kramer. Ein Fachbuch, das mir aber spannend wirkt wie ein Krimi. Es machte mir verständlich, warum die Rechtsfindung und damit das Strafmass bei gleichliegenden Taten doch unterschiedlich ausfallen kann. Eigentlich wollte ich ein teleologisches Argument daraus zitieren, das Untragbarkeitskriterium («argumentum ad absurdum»), aber es würde aufblähen und geht im Geist auch aus meinen nachfolgenden Worten hervor.
Im vorliegenden Fall der Geschichte muss der Richter aus den Aussagen der Beiden seine Rückschlüsse ziehen, prüfen, ob es der inneren Logik widerspricht. Wer sagt die Wahrheit? Was ist subjektive Wahrheit? Oder lügen gar beide?

Ich stelle mir eben den umgekehrten Fall vor: Die Brustwarzen sind steif, das Höschen ist feucht (Körpersprache). Doch die Frau sagt mit Worten: nein. In dem Fall wäre Rolf vor dem Gesetz schuldig.

Auch diese Situation liesse m. E. noch Ermessensspielraum zu, wenngleich das Wort nein unmissverständlich ist. Der Richter kann sich fragen, warum sie dann bereit war, mit ihm das Bett zu teilen. Gutgläubigkeit, Naivität oder ein Umschwenken in ihrer Meinung?

Aber ich denke, das Gesetz sollte hier nicht im Vordergrund stehen. Die Moral erfasst mehr Bereiche des Zusammenlebens als das Gesetz es tut, auch sind (amtliche) Gesetze zum Teil vom Zeitgeist geprägt. Und der Zeitgeist sollte, wenn wir hier über Moral philosophieren, außen vor bleiben. Oder ist das gar nicht möglich?

Du hast recht, das Gesetz kann hier nur die Zügel sein, welches die Moral vorgibt. Doch sie von der Zeit und ihrem Geist zu trennen, scheint mir doch ein Ding der Unmöglichkeit. Auch wenn sich vieles wie ein Kreislauf wiederholt, es gehört zum Menschen sich immer wieder neu zu finden.

Ich meine, die Befolgung dieses (…) recht logisch klingenden Leitgedanken kann immer noch zu dem führen, was Rolf am Anfang als „Missverständnis“ bezeichnet.
Etwas später schalt er sich als unsensibel. Er vollzieht in seiner Zelle etwas, was er, seiner Meinung nach, schon an dem bestimmten Abend hätte tun sollen, er vollzieht, oder besser, er versucht einen Perspektivwechsel.
… Perspektivwechsel gelingt im Roman, nicht im wirklichen Leben. Selbst mit fundierter Ausbildung bleibt das Resultat strittig.

Du vollziehst da Sprünge, die in ihren einzelnen Etappen durchaus stimmig wirken. Auch die Konklusion, dass ein verinnerlichter Perspektivenwechsel sich nicht einfach so vollziehen lässt, ist zweifellos richtig. Doch wenn man an diesem Punkt stagniert, steht einem Schopenhauer mit seiner düsteren Weltsicht näher, als die Wirklichkeit.
Ein Perspektivenwechsel ist ein Blick über den Gartenhag zu des Nachbars Kirschen. Man kann mal hinübergehen und eine klauen, doch kehrt man immer wieder zu seinem Grundstück zurück. Oder anders ausgedrückt, seinen Charakter, seine Werthaltung, sein Gewissen, die kann man nicht einfach ablegen wie ein Hemd. Doch sicher kann man in kleinen Dingen dazulernen, die Sozialisierung richtet sich darauf aus, und das ist das, was man über Erkenntnis gewinnen kann.
Dem Hohl bleibt mit seiner Erkenntnis wohl etwas, das ihn für sein künftiges Leben lehrt. Er wird kein anderer Mensch sein, aber doch die Menschen ein wenig aufmerksamer wahrnehmen, was auch für die Winters gelten mag.

Deine Geschichte, lieber Anakreon, erlaubt keine Lösung im Sinne einer Wertung. Sie zeigt vielmehr Grenzen auf. Sie zeigt, wie grob das „Werkzeug“ Moral sein kann, nachdem wir Handlungen als gut oder schlecht einstufen.

Auch da widerspreche ich dir nicht unumwunden, sehe aber doch Differenzierungen, nämlich dass der Mensch befähigt ist, mit andern behutsamer umzugehen. Eine Lösung, im Sinne von Schuld und Sühne, nein das hat die Geschichte nicht. Doch besitzt sie Vielschichtigkeiten, die erlauben würden, den Faden weiter zu spinnen.

Gesetze regeln nicht alles. Auch die Moral, die tiefer in unser Leben eindringt, als Paragraphen es tun, kann nicht, und ich meine, sie darf auch nicht, alles bis in den kleinsten Winkel des menschlichen Zusammenlebens erfassen. Dann wären wir, oder richtiger, jeder Einzelne von uns, unfrei.

Dem ist ganz klar so. Es sollte aber den Einzelnen nicht hindern, sich selbst zu hinterfragen. Mit der Unterhaltungslektüre von philosophischen Lesestücken wird er dies kaum erringen. Aber vielleicht keimt dem einen oder anderen da ja mal ein Gedanke, der ihn zu eigenem Nachdenken anregt.
Meine Geschichte selbst will nicht mehr sein, als ein Stück Unterhaltung, soweit es dem Leser gefällt.

Für die anregende Auseinandersetzung und deine Kommentierung danke ich dir herzlich. Ich habe mich darüber, einmal mehr, sehr gefreut.

Schöne Grüsse Euch beiden

Anakreon

 

Hej Anakreon,

nun, das nenne ich mal Kommunikationsprobleme.

Ich habe keine "Vergewaltigungsszene als Eröffnung" erwartet. Meine "Erwartungen" bezüglich Vergewaltigungsszenen in Geschichten sind grundsätzlich nicht hoch (alles andere fänd ich, sagen wir mal, bedenklich oder echt schräg), meine Haltung bezüglich Vergewaltigung ist nicht "locker" und ich werde mir nirgendwo irgendwelche Fallgeschichten vorlegen lassen.

Es gibt jedoch sehr viele subtile Formen der Gewalt, die zu gleichen Ergebnissen führen.
Sicher. Aber die beschreibst Du nicht.

Dass es aber das Faktum nicht erfüllen soll, erwartete ich jedoch eher von abwehrenden Geistern
Mir ist das zu harmlos geschrieben. Ich lese da keine Vergewaltigung. Der Mann (Täter) wirkt auf mich unglaubwürdig, seine Betroffenheit leitet sich nirgends her, da gibt es für mich keine nachvollziehbaren Erkenntnisprozess. Dasselbe bei der Frau, die ja kaum anwesend ist, und wenn, dann weil sie beleidigt ist, oder grundlos gereizt. Von dem was in ihr vorgeht, erfährt man nichts.
Er ist unaufmerksam, sie vergisst ihre Tabletten, das hat doch nichts mit den wirklichen Mechanismen und den Gefühlen zu tun, die in diesem Menschen ablaufen.
Am Ende wird die Schuldfrage wie eine Sahnehäubchen oben drauf gesetzt.

Es mag sein, dass du in einer sehr geschützten Umgebung lebst und noch nie von solchen Dingen gehört hast.
Mir scheint es, als würdest Du mir hier etwas unterstellen, um Deine Geschichte zu schützen. Das fänd ich traurig.

Ich denke, deine Erwartungshaltung hat es dir hier nicht ermöglicht es unbefangen wahrzunehmen, wie es geschrieben ist.
Ich denke das nicht. Aber es lohnt nicht, darüber zu streiten.

Hätte ich, doch etwas logisch überlegt,
Das Komma ist zuviel.
Logik hätte ihm da auch nicht geholfen.

Gruß,
Ane

 
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Eiegnetlich wollte ich jetzt nichts zu dieser Geschicte sagen, weil das Thema so emotional aufgeladen ist einfach, und wenn Cube da bereits in die Machofalle getappt ist ... also die Geschcihte ist echt wie eine Falle. Die hat was Trollartiges an sich. Cube hat schon vieles gut zusammengefasst, ich denk hier im Grunde auch wie Ane. Und Ane und ich sind fast nie einer Meinung. Und ich find, das sagt schon was über die Geschichte hier aus, Anakreon. Die Botschaft dahinter ist ja fast: schlechter Sex ist Vergewaltgung. Und auch das hier: Frauen sind schwache, wehrlose kleine Bambis und überhaupt nicht selbstgesteuert und wenn man nur einen Schritt in ihre Richtung macht, dann spreizen sie die Beine, obwohl sie es nicht wollen. Das ist ja fast die Konsequenz, die man hieraus ziehen müsste. Und das passt ja überhaupt nicht zu der Frau in der Geschichte hier.
Also im Grunde passt hier sehr wenig zusammen.


Mir war es schon aufgefallen, als sie es bei ihrer Ankunft auspackte und auf das Bett legte. Sie trug ein Flanellnachthemd. So kalt war es nicht, es war anfangs Oktober. Den Gedanken, wie unerotisch es wirkt, schob ich damals kurzerhand beiseite, das Licht löschend.

Ja und hier ist es. Der ultimative Beweis, dass eine Frau keinen Bock hat. Es sei denn, sie gehört zur absoluten Müslifraktion. Niemals würde eine Frau, die ein Stelldichein mit einem neuen Liebhaber hat, ein Flanellnachthemd mitbringen. Nein, sie trägt hübsche Unterwäsche, reizvolle Nachtsachen je nach Alter und Geschmack, aber ein Flanellnachthemd niemals und das dann auch noch so offensichtlich auf das Kopfkissen legen, das tut sie, wenn sie ganz ausdrücklich sagen will: Finger weg.


Das find ich jetzt komisch, Novak. Der ultimative Beweis, sagst du? Das erinnert mich daran ... ich hab vor kurzem mit einer gesprochen, die hat behauptet, dass sie nie mit einem Typen was anfangen könnte, der Socken und Sandalen trägt. Nie. Und dann hat ihre Freundin gemeint, und was wenn Till Schweiger Sandalen trägt? Oder Brad Pitt? Und sie blieb dabei: Never ever ever...
So klingt deine Aussage für mich. :)
Also wenn Frauen (Menschen) wirklich so einfach wären, wär das ja tragisch, dann ginge ja der ganze Reiz der Romantik verloren. Aha, sie trägt ein Flanellhemd, das bedeutet kein Sex! Und wenn sie Reizwäsche trägt, heißt das etwa, das sie hundert pro mit mir schlafen wird, oder was? Sind Frauen so einfach, ja? Warum überhaupt miteinanader reden, dann? Einfach Unterwäsche an der Tür checken. So funktioniert das doch nicht. Jetzt kannst du vielleicht sagen, ich bin eine Frau, Juju, was weißt du schon? Dann muss ich halt fragen, mit wie vielen Frauen warst du schon im Bett, Novak? ;)
Ich mein zum Wesen von Frauen gehört nun mal auch, dass sie auch mal nein sagen bevor sie ja sagen. Sonst wärs doch langweilig auch. Vielleicht dachte sie sogar, ne, ich schlaf nicht mit ihm, keine Reizwäsche, und dann ist man dort, und alles ist cool und schön und warum eigentlich nicht? Einfach Meinung geändert, kann doch passieren, oder? Geht uns Männern doch genauso. Ich werd nur kurz … scheiße wie ist das schon wieder passiert?

Ich könnt jetzt viel zu diesem Thema schreiben, aber ich find die Geschichte uncool. Ich mag dieses Schuldzuschieben grundsätzlich nicht so. Und das Ganze hat doch auch was von Antisexpropaganda. Da muss man echt Angst haben, denkt man, wenn man das liest. Das Thema ist eventuell interessant, ich find das hat sehr sehr viel mit Sexualneid zu tun. Und dann Hass. Und Sozialscham. Aber diese Geschcihte schrammt da einfach an die Wahrheit vorbei. Ich glaube nicht, dass Männer so denken, wie der Mann hier in der Geschichte denkt. Und ich glaube auch nicht, dass Frauen so handeln, wie die Frau hier handelt. Wo denn? Wer kann sich schon mit den Figuren hier wirklch indentifizieren? Das hier ist nicht meine Welt, so wie ich sie kenne. Das sind keine Figurem, die in sich logisch sind. Sorry. Und am Ende ist hier etwas Kriminelles passiert, und es soll ein philosphischer Text sein. Also ich mags leider nicht, Anakreon, tut mir leid. Das ist nichts gegen dich, ich glaub, du hast dir hier einfach ein sehr schwieriges Themenkomplex ausgesucht, also hut ab davor, du hast es halt nicht so gut hingekriegt.

MfG,

JuJu

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Anakreon

Ja, ist sicher ein schwieriges Thema. Die Abgrenzung von einvernehmlichem vs. erzwungenem Sex, von juristischer und moralischer Schuld. Das Eis ist an den Schnittstellen sicherlich dünn, und dass es lohnt, sich darüber auch mal Gedanken zu machen, zeigt die Realität immer wieder (wie erst vor wenigen Tagen geschehen). Das Beispiel in dem Artikel ist noch ein Stück weit krasser als deine Geschichte, zielt aber, so wie ich die Geschichte verstanden habe, in dieselbe Richtung (wobei der reale Fall, was die moralische Beurteilung angeht, viel einfacher ist als dein Text hier).

Ich will hier an der Stelle nicht gross auf Stilistik oder Grammatik eingehen, ein Punkt nur: Mir hat der Wechsel zwischen Erzähler und Erinnerungen gefallen, wenngleich die Erinnerungen manchmal zu geordnet wirken. Oder anders formuliert: Der denkt, wie andere Leute schreiben. Natürlich weiss ich mittlerweile, dass dies dein Stil ist, dennoch, besser gefallen hätte es mir, wenn sich die Gedanken etwas "chaotischer" eingestellt hätten, sich (noch) mehr von der Erzähltstimme abgehoben hätten.

Ich hab verschiedene Anmerkungen zu dieser Geschichte, vielleicht kannst du die eine oder andere als Denkanstoss nehmen:

Interessant ist zunächst, warum der Prot. sich moralisch in der Schuld eines Vergewaltigers sieht. Es ist nicht die Tat an sich, die ihn selbst-reflektierend zurückdenken lässt, sondern es ist der Vorwurf der Frau. Denn im Text selbst schreibst du nach besagter Nacht:

Zwei Wochen später hatte sie sich mit ihm verabredet, aber dann kurzfristig den Treffpunkt wieder geändert. Statt im Café Relax sollte er nun auf der Strasse warten. Knapp eine halbe Stunde nach der vereinbarten Zeit erschien sie endlich, machte mir öffentlich eine Szene, wobei sie ausdrückte, dass wir nicht zueinanderpassen. Seine beruhigenden Worte erreichten sie nicht, sie wehrte ab, weshalb er sich mit knappen Worten verabschiedete. Derart launisch hatte ich sie noch nie erlebt und dachte mir, vielleicht hatte sie Ärger bei der Arbeit.

Da merke ich nichts von einem schlechten Gewissen, nicht die Spur eines Zweifels. Das ist eine Schwäche der Geschichte, dass sie die eigentlich interessante Stelle - die Zeit kurz nach der Tat - so überspringt und in Zeitraffer darstellt. Es findet so keine Auseinandersetzung mit dieser Nacht statt, weder von Rolf noch von Rebecca, zumindest zeigst du uns diese Auseinandersetzung nicht. Das ist etwas schade, dreht sich die Geschichte doch gerade um die moralische Beurteilung jener Nacht.
Dass Rolf dann erst durch die Anschuldigung auf die Idee kommt, die Frau tatsächlich vergewaltigt zu haben - und sich selbst diese Schuld auch noch eingesteht! - entblösst einen schwachen Charakter. Die meisten Männer würden wohl anders reagieren und die Anschuldigung als Unsinn abtun - insbesondere, nachdem die Frau frewillig die Anschuldigung zurückzieht. Aber dein Rolf ist anders, er gibt sich - als einziger überhaupt - immer noch die Schuld. Das zeugt von grosser Unsicherheit, die er zuvor nicht ausgestrahlt hat. Es ist dieser Gegensatz - zunächst macht er sich keine Gedanken über die Nacht, dann bezichtigt er sich selbst der Vergewaltigung - die du überzeugender darstellen könntest, wenn du einen inneren Konflikt bereits direkt nach der Tat und lange vor der Anschuldigung schildern würdest.

Auch Rebecca reagiert nach der Nacht eher seltsam. Ihre Wortwahl ist bemerkenswert:

«Es ist nicht das erste Mal, dass mich ein Mann vögelte, ohne dass mir danach war.»

Auch hier lese ich nicht heraus, dass die Figur das Gefühl hat, Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein. Denn sie sagt nicht: "Ich wollte das nicht", sondern: "Mir war nicht danach", was impliziert, dass sie grundsätzlich schon mit ihm schlafen wollte, aber halt nicht zu dem Zeitpunkt (vergleichbar mit der unter Migräne leidenden Ehefrau: "Schatz, mir ist gerade nicht danach."). Auch dass sie sich bereits kurze Zeit später wieder mit ihm trifft (zwar nur, um "Schluss" zu machen, aber immerhin), lässt vermuten, dass sie in dieser Nacht nichts Schlimmeres als schlechten Sex sieht.
Erst sieben Monate später - also eine relativ lange Zeit - wagt sie, diesen Vorwurf auszusprechen und Anzeige zu erstatten. Nun ist es durchaus nicht ungewöhnlich, dass Opfer von Vergewaltigungen lange warten, bis sie über die Taten sprechen können, aus Scham und Selbstzweifel, aber zwei Umstände sind hier doch erwähnenswert: Erstens steht die Frau in keiner Abhängigkeit zu dem Mann (wie es viell. bei Eltern <-> Kindern, Lehrern <-> Schülern, Arzt <-> Patient etc. der Fall ist), was ihr Zögern etwas unglaubwürdiger werden lässt. Zweitens widerruft sie sehr schnell, obwohl sie lange gewartet hat - da frage ich mich schon, wenn sie sich so lange Gedanken über diese Nacht gemacht hat, warum ist ihr nicht früher eingefallen, dass sie schlicht Medikamente verwechselt hat? Hier könntest du mMn die Gründe der Frau ausführlicher schildern, was natürlich eine andere Erzählstruktur erfordern würde.

Die Geschichte wirft zweifelsfrei interessante Fragen auf, wie JuJu schreibt, das ist ein sehr vielschichtiger Themenkomplex, auch weil immer wieder Fälle kontrovers in der Öffentlichkeit diskutiert werden (s. den Artikel oben, oder das Beispiel Kachelmann vor einiger Zeit).

Meine Meinung zum geschilderten Fall: Der Mann ist nicht schuldig. Auch eine moralische Schuld kann ich nicht erkennen, da für mich dazu entweder eine böse Absicht oder zumindest Fahrlässigkeit gehören. Beides kann ich hier nicht erkennen. Er hat ihr die Medikamente ja nicht verabreicht und auch keine Chance, davon zu wissen (sie hätte es ihm ja auch erzählen können, dann sähe die Sache wieder anders aus). Das Flanellhemd und die Passivität reichen mir nicht, um eine moralische Schuld zu rechtfertigen, das hat JuJu sehr gut ausgeführt. Sie hat einen Mund, um zu sprechen, und im schlimmsten Fall Hände, um sich zu wehren - aber sie unterlässt beides, im Gegenteil, sie lässt es sogar noch zu und macht auch zuvor schon ziemlich eindeutige Angebote (schon dass sie die Nacht bei ihm verbringen will, bringt den Mann aus meiner Sicht nicht zu Unrecht auf diesen Gedanken, aber vielleicht denken Männer und Frauen da wirklich unterschiedlich). Und der Mann hat keine Chance, zu erkennen, dass es nicht ihr freier Wille ist. Was soll er machen? Ständig fragen: "Willst du wirklich? Willst du wirklich?" Eher abtörnend ... und selbst wenn, durch die Medikamente könnte sie auch noch "Ja" sagen, obwohl das nicht ihr freier Wille ist. Ist der Mann dann immer noch schuldig?
Aber eben, wenn du noch eine Nuance hinzufügen könntest, bspw. die Erwähnung von Medikamenten - dann gestaltet sich der Sachverhalt schon schwieriger, finde ich. Oder nimm keine Medikamente, nimm den Alkohol. Was, wenn der Mann eine solche Situation ausnutzt (und das geschieht in der Realität vermutlich wesentlich häufiger)? Wenn jemand die Frau abfüllt, um sie ins Bett zu bekommen, und erst dann loslegt, wenn sie quasi im Delirium ist ... ist das eine ganz andere Sache als die hier Geschilderte.

So oder so, der Text regt in jedem Fall zum Nachdenken an. Wo ist die Grenze hier? Ich weiss es auch nicht, es ist ja schon schwer, die juristisch zu ziehen, wo zieht man sie dann moralisch? Da der Text solche Fragen aufwirft, steht er zurecht in dieser Rubrik, und ich hab auch eine Weile darüber nachgedacht, bevor ich zu einem Urteil gekommen bin.

Wesentliche Vorschläge also meinerseits zur Verbesserung:
- schnelleres, ausführlicheres Auseinandersetzen mit der Nacht durch beide Protagonisten - es wäre interessant, wie sie beide diese Nacht am nächsten Tag, in der folgenden Woche etc. sehen
- evtl. die "Unwissenheit" des Mannes aufzuweichen, bspw. durch die Erwähnung von Medikamenten, oder vielleicht hat er mal gesehen, wie sie welche genommen hat - das würde die Beurteilung mehr in die Grauzone verschieben

Ich fand den Text interessant, auch wenn ich ebenfalls dem Prot. nicht immer folgen konnte (so hat Rolf eine Engelsgeduld mit Rebecca - spätestens nach der Szene mit den Büchern würde ich mich schonmal fragen, an was für eine ich da geraten bin).

Und jetzt zum Ende hin doch noch ein paar Anmerkungen, über die man nicht zu diskutieren braucht:

Seine Betonung lag darauf, dass sie sich im gegenseitigen Einvernehmen trennten,

getrennt hatten

Ich machte an diesem Abend die Erfahrung, das Knoblauch die koreanische Küche durch und durch beherrscht.

dass

Da blühte sie wieder auf, war sich selbst, so wie ich sie bis anhin kannte.

war sie selbst

Wie gesagt, ich finde, der Text regt zum Nachdenken über ein schwieriges Thema an, insofern hat er für mich das Ziel dieser Rubrik erreicht.

Viele Grüsse,
Schwups

 

Hallo Ane

Es freut mich, dass du dich nochmals zu Wort meldest.

nun, das nenne ich mal Kommunikationsprobleme.

Das interpretiere ich lieber etwas differenzierter, da gelingende Kommunikation eben eine Form ist, die zwar Meinungsverschiedenheiten nicht immer zu lösen vermag, aber bei vernunftorientierten Menschen zumindest eine Schlichtung erzielen sollte. Doch kurz zu deinen Worten.

Meine "Erwartungen" bezüglich Vergewaltigungsszenen in Geschichten sind grundsätzlich nicht hoch (alles andere fänd ich, sagen wir mal, bedenklich oder echt schräg), meine Haltung bezüglich Vergewaltigung ist nicht "locker" und ich werde mir nirgendwo irgendwelche Fallgeschichten vorlegen lassen.

Ein klare Aussage.

Es gibt jedoch sehr viele subtile Formen der Gewalt, die zu gleichen Ergebnissen führen.

Sicher. Aber die beschreibst Du nicht.

Dies war und ist in der Geschichte nicht intendiert, es ging nur um die aufgezeigte Entwicklung.

Mir ist das zu harmlos geschrieben. Ich lese da keine Vergewaltigung. Der Mann (Täter) wirkt auf mich unglaubwürdig, seine Betroffenheit leitet sich nirgends her, da gibt es für mich keine nachvollziehbaren Erkenntnisprozess. Dasselbe bei der Frau, die ja kaum anwesend ist, und wenn, dann weil sie beleidigt ist, oder grundlos gereizt. Von dem was in ihr vorgeht, erfährt man nichts.
Er ist unaufmerksam, sie vergisst ihre Tabletten, das hat doch nichts mit den wirklichen Mechanismen und den Gefühlen zu tun, die in diesem Menschen ablaufen.
Am Ende wird die Schuldfrage wie eine Sahnehäubchen oben drauf gesetzt.

OK, das ist deine Interpretation, was ich auch als solches akzeptiere.
Was ich noch anmerken kann, wenn es deine Meinung auch kaum beeinflussen wird. Es handelt aus der Sicht des Protagonisten mit einer personalen Erzählform. Folglich muss sein subjektives Denken und Erinnern nicht zwingend die Realität sein. Der Leser hat aber nun mal nur die eine Sicht.

Mir scheint es, als würdest Du mir hier etwas unterstellen, um Deine Geschichte zu schützen. Das fänd ich traurig.

Ich will dir überhaupt nichts unterstellen, nichts läge mir ferner. Wenn es auf dich so wirkte, so tut es mir sehr leid, dies war nicht Absicht.
Ich sehe keinerlei Grund meine Geschichte zu schützen, aber durchaus zu diskutieren. In der Regel passe ich mich bei meinen Antworten den Kritiken an, versuche deren Perspektive nachzuvollziehen und wenn nötig die Abweichungen zu disputieren. Mehr kann und soll es auch nicht. Es ist ein gegenseitiges Nehmen und Geben, manchmal auch austeilen. Doch lernen können beide dabei, sowohl der Autor wie der Kritiker, wenn sie wollen.

Ich denke das nicht. Aber es lohnt nicht, darüber zu streiten.

Streit, oder was man darunter im landläufigen Sinn versteht, mag ich auch nicht. Das Forum wäre m. E. auch der falsche Ort dafür. Disputieren hingegen ist die kultivierte Form, doch bringt es natürlich nur etwas, wenn man sich auch verständigen kann.

Das Komma ist zuviel.
Logik hätte ihm da auch nicht geholfen.

Danke für den Hinweis, ist jetzt geändert.


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Hallo JuJu

Eiegnetlich wollte ich jetzt nichts zu dieser Geschicte sagen, weil das Thema so emotional aufgeladen ist einfach, und wenn Cube da bereits in die Machofalle getappt ist ... also die Geschcihte ist echt wie eine Falle.

Ich finde es schön, dass du dich dennoch zu einem Kommentar entschieden hast. Dass sich die Emotionen an dieser Geschichte derart stark entzünden, hatte ich nicht erwartet. Dass das Thema zu spalten vermag, war mir schon klar, aber eigentlich rechnete ich mehr mit einem Achselzucken auf beiden Seiten. Die einen empört, da sie es nicht goutieren, die andern, weil es ihnen zu wenig scharf umrissen ist und nicht in deren Sinn ausgeht. Dass die Geschichte darüber zur Falle wird, hatte ich ebenso wenig erwartet.

Cube hat schon vieles gut zusammengefasst, ich denk hier im Grunde auch wie Ane. Und Ane und ich sind fast nie einer Meinung.
… Die Botschaft dahinter ist ja fast: schlechter Sex ist Vergewaltgung.

Mir erscheint es völlig natürlich, dass Leser abweichende Meinungen zu den Intentionen des Autors haben können. Es sind die individuellen Perspektiven, welche zum Tragen kommen. Der Leser macht sich Bilder, bei denen das Geschriebene sich mit den eigenen Vorstellungen vermischt, basierend auf Erwartungen, Erfahrungen, Wissen u. a. m. Wenn ein Autor sich in seiner Schreibe immer schön im Kreis bewegt und seine Leser gefunden hat, kann er sich damit deren Zufriedenheit sichern. Wenn jemand jedoch abweicht, riskiert er vermehrt, dass die ihm zugewandte Leserzahl schwankt. Ich bin zwar nicht unbedingt experimentierfreudig, aber in den Texten verharre ich nicht gern auf der Stelle und riskiere damit eben ab und zu Schelte.
Dass die Botschaft in meinem Text beinah darauf hinausführt, dass schlechter Sex Vergewaltigung sei, kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen. Es ist ein Spiel des Umgangs zweier Menschen miteinander, die die gegenseitigen Signale falsch deuten. Dies geschieht mit andern Vorzeichen und Variablen jederzeit irgendwo, ist also keineswegs derart ausgefallen.

Das find ich jetzt komisch, Novak. Der ultimative Beweis, sagst du? Das erinnert mich daran ... ich hab vor kurzem mit einer gesprochen, die hat behauptet, dass sie nie mit einem Typen was anfangen könnte, der Socken und Sandalen trägt. Nie. Und dann hat ihre Freundin gemeint, und was wenn Till Schweiger Sandalen trägt? Oder Brad Pitt? Und sie blieb dabei: Never ever ever...

Oh je, jetzt verlässt du aber die Ebene der Textkritik. Aber da ich diese Rückmeldung von Novak mit meinem Text verschuldet habe – sie hat es für mein Empfinden sehr gut unterlegt -, werde ich auch dazu Stellung nehmen. Wie bereits heute an Asterix aufgezeigt, geht die Körpersprache weit über das hinaus, was die Allgemeinheit grob darunter versteht. Mit dem Flanellnachthemd hat die Frau ein ganz offensichtliches Signal abgegeben. Ob das nun Otto-Normalverbraucher versteht oder nicht, ist dabei gar nicht das Wesentliche, sondern dass sie es tat. Du zitierst eine Bekannte von dir, die sich in ähnlicher Weise äusserte, eben in Bezug auf Socken und Sandalen. Dies kann ich sehr gut nachvollziehen, da zu einem Sexy-Aussehen doch schon eine gewisse Ästhetik gehört. Ob sie es durchhalten würde, wenn ein von ihr bevorzugter Star dies tragen würde und sich ihr auf dem Präsentierteller servierte, ist natürlich dahingestellt. Aber ich finde der Vergleich hinkt sehr schwer. Es ist wie, wenn die Chemie zwischen zwei Menschen nicht stimmt, da ist ein solcher Vergleich hanebüchen.
Ich kenne deine Erfahrungen mit Frauen nicht, aber auch in der heutigen Generation junger Menschen sind die Reize und der Ekel nicht so grundsätzlich anders als vor zwanzig oder dreissig Jahren. Es gibt Differenzen der Sozialisation, der modischen Entsprechungen und der Lebenseinstellung, wobei zugleich die Prüderie bei jungen Leuten keineswegs abgenommen hat. Nicht jedes Mädchen steigt mit jedem Typen ins Bett. Vereinzelte hat es auch früher schon immer gegeben.

Ich glaube nicht, dass Männer so denken, wie der Mann hier in der Geschichte denkt.

Ich hatte es in einer der vorgehenden Antworten schon erwähnt. Man kann gewisse Typologien des Denkens und des Verhaltens aufstellen, aber solche absolut auf das einzelne Individuum abzugleichen, dies ist nicht Realität, sondern mehr Fiktion. Genauso wie es in der Psychologie die Muster an Persönlichkeitsstörungen gibt, es sind fokussierte Bilder zur Beschreibung der Symptome, aber nicht exakt das Bild des Patienten, der in die Praxis kommt, auch wenn er genau wegen einer dieser Störungen behandelt werden muss. Es kommen da noch ganz andere Anteile hinzu, die seinen Charakter prägen. Ob eine Figur literarisch ankommt oder nicht, hat da schon mit der Erwartung der Leser zu tun. Ist er nicht in deren Normvorstellung, so stellt sich die Frage ist die Figur schlecht gezeichnet oder kommt seine Eigenart zu wenig verständlich durch.

Das Thema ist eventuell interessant, ich find das hat sehr sehr viel mit Sexualneid zu tun. Und dann Hass. Und Sozialscham. Aber diese Geschcihte schrammt da einfach an die Wahrheit vorbei.

Welche Wahrheit meinst du? Ein Gegenstück zu dieser Wahrheit, die du dir hier vorgaukelst, kann ich dir aktuell präsentieren: Vor zehn Tagen tanzte eine Dreiundzwanzigjährige in der Zürcher Disco Kaufleuten mit einem etwa 25-35jährigen Mann, den sie nicht weiter kannte. Gemeinsam gingen sie irgendwann auf die Strasse hinaus, um zu rauchen. Er lockte sie in einen Hauseingang und vergewaltigte sie. Dann machte er sich aus dem Staub. Solche Realität geschieht keineswegs selten, eine gewisse Naivität kann man da dem Opfer nicht absprechen, nicht selten sind aber auch KO-tropfen im Spiel. Dass junge Leute ausgehen wollen, ist nur normal, das war immer so und wird es bleiben. Was sich geändert hat, sind die Verhaltensweisen und darum geht es in der Geschichte, auch wenn sich die beiden anders benehmen, als es die Otto-Normalverbraucher tun. Über diese zu schreiben wäre mir nicht der Wert gewesen.

Das sind keine Figurem, die in sich logisch sind.

Sie sind mir durchaus in sich logisch, aber was sie abhebt, ist, dass sie sich in ihren Eigenarten nicht dem gängigen Verhaltensmuster unterwarfen.

Sorry. Und am Ende ist hier etwas Kriminelles passiert, und es soll ein philosphischer Text sein.

Was es nicht sein will, ist eine philosophische These, die müsste ganz anders aufgebaut sein. Was es aber durchaus ist, ein entsprechendes Lesestück. Wenn jemand das Geschehen jedoch grundsätzlich nicht anspricht, ist es für mein Empfinden nicht abwegig, dass er den Sinn auch nicht erfassen kann.

Also ich mags leider nicht, Anakreon, tut mir leid. Das ist nichts gegen dich, ich glaub, du hast dir hier einfach ein sehr schwieriges Themenkomplex ausgesucht, also hut ab davor, du hast es halt nicht so gut hingekriegt.

Es muss dir nicht leidtun, JuJu, ich nehme dies keineswegs persönlich und respektiere auch, dass es dir absolut nichts gibt. Der Themenkomplex ist sicher diffizil, das wusste ich im Voraus, dennoch bereue ich nicht, es geschrieben zu haben. Es mag die einen vielleicht nachdenklich stimmen, andere aber nur verunsichern, Letzteres bedaure ich.

Für deine Auseinandersetzung mit dem Text und deinen Kommentar und natürlich das Hut ab, danke ich dir herzlich, auch wenn unser Disput bei dieser Geschichte wohl keinen gemeinsamen Nenner mehr findet.

Schöne Grüsse Euch beiden

Anakreon


PS: Oh Schwups. Eben sehe ich noch deinen Kommentar. Ich werde ihn so bald als möglich beantworten, im Moment schaffe ich dies leider nicht mehr, diese Geschichte verdammt mich endgültig zur Schlaflosigkeit, erlösend kommt da die Ohnmacht. Also bis in den nächsten wachen und freien Minuten, wenn möglich im Laufe des Tages.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo,

«Rebecca Winters», ihre Stimme hatte einen leicht rauchigen Klang.
«Rolf Hohl hier», er räusperte sich, kurz überlegend, ob es die richtigen Worte wären. «Wir sind uns gestern in der Central-Bar begegnet, ich stand an der Theke.» Er wartete einen Moment, doch sie reagierte noch nicht. «Vielleicht könnten wir uns mal treffen, ich würde Sie gern näher kennenlernen.»
«Ah, ich erinnere mich. Doch ja, dies wäre eine nette Idee. Diese Woche kann ich allerdings nicht, aber wie wäre es am nächsten Dienstag, am frühen Abend?»
Ein kurzer Blick in die Agenda, obwohl er sich sicher war, dass es ihm möglich war. «Ja, passt mir gut.»
«Haben Sie einen Vorschlag, wo wir uns treffen können?»
In der Central-Bar wollte er so kurz danach nicht mit ihr auftreten und spontan fiel ihm nur ein exklusives Hotel ein. «Wie wäre es mit der Bar des Baur au Lac?»
«Gute Wahl, dort hat es eine angenehme Atmosphäre. Sagen wir um halb fünf, oder besser noch, können Sie mich um sechzehn Uhr abholen?» Sie nannte ihm die Adresse ihres Arbeitgebers, einer Repräsentanz eines amerikanischen Technologieunternehmens.
«Kein Problem, ich werde pünktlich sein.»
«Also dann, bis nächsten Dienstag. Auf Wiedersehen, Rolf.»
«Ich freue mich, bis dann, Rebecca.»
Das Gespräch erfolgt nachdem die Frau ihm in einer Bar einen Zettel mit ihrer Telefonnummer untergeschoben hat!
Das macht mich fertig. Das wirkt für mich wie ein Gespräch in den 60er Jahren, das von den Eltern arrangiert wurde, also in einer festen Gesellschaft, in der Leute verkuppelt werden.
Du tust dir wirklich schwer, deine eigene Sprachebene zu verlassen und in neue Rollen zu schlüpfen, oder?
Dann musst du vielleicht bei Figuren bleiben, die dir ähnlicher sind.
Das machen viele Autoren auch, dass sie Erzählfiguren schaffen, und sie so anlegen, dass sie dem Autor selbst ähneln. Aber auch die gehen, wenn sie andere Figuren schreiben dann wenigstens ein Stück weit in die Figuren rein.

Seine Betonung lag darauf, dass sie sich im gegenseitigen Einvernehmen getrennt hatten, da durch den Zahn der Zeit das Erotische zwischen ihnen erodierte.
Nicht Bilder mischen. „Der Zahn der Zeit“ ist kein Begriff aus der Geologie.
Da ist man eh immer in komischen Gewässern: Der Zahn der Zeit hat an der Libido genagt? Da musste ich schon ein bisschen schmunzeln.

Dass ich nach einem guten Essen eine Zigarre rauchte, störte sie nicht. Sie deutete es, vielmehr dahingehend in Gesellschaft eines Herrn von Welt zu sein.
Diese Abschnitte haben schon was, weil es sich so liest, als würden die beiden nicht miteinander anbandeln, sondern eine Geschäftsverhandlung führen.
„Ich tu so als würde ich koreanisches Essen mögen, dafür darf ich Zigarren rauchen. Du bist eine Zicke zu deiner Nachbarin und liest furchtbare Literatur, dafür hab ich kein Boot.“
Allerdings: So wie du das schilderst, fragt man sich schon, warum zum Geier er da noch mal hingeht. Es klingt furchtbar migränig alles und sehr verkrampft.
Eine total überarbeitete, verkrampfte, wohl Komplex beladene Endzwanzigerin von unscheinbarem Aussehen, offenbar ohne jeden Humor, mit der man auch nach Wochen und Monaten kein bisschen warm wird und die offenbar einen Sugar Daddy sucht – find ich als Idee schon fremd, da immer hinzufahren und mit der auszugehen. Aber ich steh auch auf Intimität eher. Wie das beschrieben wird ist es schon gruselig. Und wie juju sagt: Ob Menschen heute so ticken …

Ach … es wird halt so geschildert, dass man sich gar kein richtiges eigenes Bild von dem Geschehen da machen kann, das ist das Problem. Ich kann als Leser letztlich nicht sagen: Der Mann hat sie bedrängt bzw. Die Frau ist verrückt, weil ich die Beziehung zwischen beiden nicht sehen kann. Das wird nur geschildert. Also wie es geschildert wird, sollten die beiden nicht mal zusammen essen gehen, weil es da offenbar überhaupt keine Anziehung gibt. Die Frau wirkt auf mich – aus diesen Schilderungen – wie jemand, von dem man sich fernhalten sollte. Die hasst sich offenbar auch ziemlich selbst und hat da ernste Probleme mit allem Möglichen (als sie ihn da anfaucht wegen der Tagebücher und dann reden sie nie wieder ein Wort darüber – das sind halt Zeichen, bei denen ich sagen würde: Okay, die Frau ist emotional instabil.)
Dass der Mann dann, nach einem Abend mit Wein und wenn sie bei ihm übernachtet, „ihre Körpersprache“ deuten soll – da müsste man die Körpersprache halt sehen, das fände ich auch schwierig. Aber das Verhalten vorher eben. Das ist ungefähr so, als würde man mit einer Frau schlafen, die große persönliche Probleme hat, von denen man weiß, und dann nutzt man das aus – also es müssen ja nicht nur Medikamente sein oder was weiß ich, die dann eine Vergewaltigung bedingen.

Es gibt einen unglaubich guten Film mit John Malkovich (http://de.wikipedia.org/wiki/Schande_(2008)). Da spielt er in Südafrika einen weißen Professor und er fängt etwas mit einer viel jüngeren, schwarzen Studentin an. Die will ihn nicht, aber er sagt, sie wolle ihn nicht, aus einer gesellschaftlichen Kondiitionierung her,aus und das sei gar nicht ihr wahres Wesen und sie müsse sich davon lösen und mit ihm schlafen. Er nutzt da also seine Autorität als Professor, seine Bildung, seinen Einfluss aus, um mit ihr zu schlafen (durch Südafrika hat das natürlich auch eine Kolonialisierungs-Komponente). Das hat verheerende Auswirkungen auf die Studentin. Er wird angezeigt, verliert alles und muss raus auf die Provinz zu seiner Tochter, die als Weiße dort in einem völlig schwarzen Gebiet eine Farm betreibt. Und dort werden dann er und seine Tochter, als es zu Unruhen kommt, von schwarzen Jugendlichen bedrängt und seine Tochter wird vergewaltigt.
Das ist wirklich ein großartiger Film, der diees Thema „Vergewaltigung“ sehr eindringlich behandelt, da wehrt sich der Professor lange gegen die Idee, er habe etwas Unrechtes getan, bis er es dann am eigenen Leib spürt.
Weil ich den Film kenne, habe ich eigentlich, wenn ich über „Vergewaltigung“ lese, immer ein recht hohes Anspruchsdenken, also ich will dann, wenn man sich damit beschäftigt (und es ist eben ein sehr schwieriges Thema), dann auch etwas Starkes sehen, etwas Tiefgreifendes.
Dein persönlicher Stil, wie du eine Geschichte schreibst, schließt mich als Leser letztlich davon aus, mir ein Bild zu dem zu machen, was in der Geschichte hier vor sich geht. Ich bekomme nur die stark gefilterte Version des Erzählers zu hören – und habe nicht, wie vor Gericht, die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Und der Erzähler blendet hier sehr viel aus, alles Sexuelle z.B., alle „Wärme“ zwischen ihnen, wie er selbst tickt, ob er selbst „normal“ ist, ob er den Selbsthass der Frau da hätte erkennen müssen, dass ich nicht sagen kann: Die Geschichte beschäftigt mich auf einer tieferen Ebene.
Du gibst dem Leser letztlich zu wenig zu tun.

Bei einem Thema wie hier, da wird das Intime zwischen Mann und Frau durch die Gesellschaft ein Stück weit reguliert und überwacht. Das ist vielleicht eines der heikelsten Themen unserer Zeit (zusammen mit Euthanasie oder Behinderung oder Inzest), weil sich der Staat dort in den engsten Kern unserer persönlichen Beziehungen zueinander einmischt.
Und weil sowohl Männer als auch Frauen in dieser Situation offenbar unsicher sind, weil so viele Faktoren mit reinspielen. Der Mann sagt: Ja, aber es ist doch normal, dass sie sich ziert, ich muss der aktive Part sein, das wird von mir verlangt, ich muss über leichten Widerstand hinweggehen, ich bin ein Eroberer.
Und die Frau möchte zu jeder Zeit die Möglichkeit haben, sich sicher zu fühlen und das abbrechen können (was weiß ich schon ,was eine Frau will).
Und dann ist das immer heikel.
Du hast hier in der Geschichte, so scheint es mir, eine Konstellation erschaffen, die die Schuld - auch wenn es anders gesagt wird – schon anders verteilt. Die Frau hat - für mich – offenbar so viele Probleme mit sich selbst, dass es gut vorstellbar ist, dass sie mit einem Mann ins Bett geht, es später bereut und es dann so konstruiert, als habe er sie vergewaltigt .
Und das ist ein sehr heikles Thema. Das kommt – in der Realität – wohl durchaus vor, das eine Frau sich auf Sex einlässt und dann sagt: Er hat mich abgefüllt/ er hat mir was in den Drink geschüttet/ er hat mich bedrängt.
Das Problem ist, dass das letztlich diese Stammtischdefinition einer Vergewaltigung ist „Vergewaltigung ist, wenn die Frau es sich hinterher anders überlegt.“
Und dieses Szenario ist natürlich sehr heikel für die „richtigen“ Vergewaltigungsopfer, die dann immer höhere Hemmschwellen haben, das anzuzeigen. Wenn eine Frau denkt: Wenn ich jetzt zur Polizei gehe, dann glauben sie mir nicht. Und da wird eine der sicher schwierigsten Situationen, in der ein Mensch sich befinden kann, noch einmal verschlimmert.
Deshalb sind solche Themen sehr heikel, weil da auch ein Bild unterschwellig transportiert wird vom Vergewaltigungsopfer, das selbst schuld ist.

Gruß
Quinn

P.S.: Ich hab die Kommentare nur überflogen, nur eins: Das ultimative Zeichen einer Frau, keinen Sex zu wollen, ist kein Flanellhemd, sondern wenn sie sagt: "Ich übernachte bei dir, aber ich werde nicht mit dir schlafen."
Eine Frau in Slip und Flanellhemd liegt - bei vielen Männern, behaupte ich mal - relativ hoch auf der "Das ist heiß"-Liste, vielleicht mehr als eine Frau in Dessous. Hab immer den Eindruck, die kaufen sie mehr für die Verkäuferin im Laden oder dem Blick in den Spiegel. :)

 

Hallo Quinn,
die Dame mit dem Signal Flanellnachthemd war ich ... äh... :confused:

Eine Frau in Slip und Flanellhemd liegt - bei vielen Männern, behaupte ich mal - relativ hoch auf der "Das ist heiß"-Liste, vielleicht mehr als eine Frau in Dessous.

Hättest du das nicht vorher sagen können!
Erheiterte Grüße von Novak

 

Hallo Schwups

Ich freue mich, dass du dir auch ein Bild von dem Text – Geschichte wage ich jetzt dann bald nicht mehr zu sagen – gemacht hast, da ich deine Kritiken jeweils mit Interesse lese. Nicht, dass ich Rundwegs immer alles bejahe. Aber doch die Art, wie du dich differenzierend damit auseinandersetzt, schätze ich.

Ja, ist sicher ein schwieriges Thema. Die Abgrenzung von einvernehmlichem vs. erzwungenem Sex, von juristischer und moralischer Schuld. Das Eis ist an den Schnittstellen sicherlich dünn, und dass es lohnt, sich darüber auch mal Gedanken zu machen, zeigt die Realität immer wieder (wie erst vor wenigen Tagen geschehen).

Du bringst es gut auf den Punkt, was mich daran leitete, die Idee letztlich in philosophische Richtung voranzutreiben, obzwar mein erster Gedanke eine soziologische Komponente war, für die Rubrik Gesellschaft.

Mir hat der Wechsel zwischen Erzähler und Erinnerungen gefallen, wenngleich die Erinnerungen manchmal zu geordnet wirken. Oder anders formuliert: Der denkt, wie andere Leute schreiben. Natürlich weiss ich mittlerweile, dass dies dein Stil ist, dennoch, besser gefallen hätte es mir, wenn sich die Gedanken etwas "chaotischer" eingestellt hätten, sich (noch) mehr von der Erzähltstimme abgehoben hätten.

Genau mit diesem Wechsel befürchtete ich eine breite Angriffsfläche zu bieten, was mich wahrscheinlich darin zaghaft machte. Natürlich ist da auch noch das „Eingefleischte“, das einem schon beherrscht. Die Überlegung, dass die Gedanken des Prot. chaotischer sein dürfen, er steht immerhin unter Druck, und dadurch stärker von der Erzählstimme abheben, gefällt mir. Ich werde mir mit etwas Abstand dann mal vertiefter überlegen, wie sich das ausreizen lässt. Ich hatte kürzlich bei einer andern Geschichte die Erzählstimme geändert, was mir auf den ersten Eindruck einfach erschien, erwies sich dann aber als kompliziert, da es die ganze Geschichte beeinflusst. Ich werde mir hier deshalb mehr Zeit lassen, um es genau abzuwägen.

Interessant ist zunächst, warum der Prot. sich moralisch in der Schuld eines Vergewaltigers sieht. Es ist nicht die Tat an sich, die ihn selbst-reflektierend zurückdenken lässt, sondern es ist der Vorwurf der Frau.

Gut beobachtet! Er selbst hatte bei der Kopulation – schreckliches Wort, fügt sich hier aber gut ein – keinen Moment den Gedanken, es könnte gegen ihren Willen sein. Eine sozialisierte Hemmschwelle, Gewalt gegen andere anzuwenden ausser in Notwehr, ist bei ihm normal ausgebildet. Der unerwartete Vorwurf der Frau zieht ihm da den Boden unter den Füssen weg und schafft Raum für Selbstzweifel. Sie hatte sich am Morgen danach zwar geäussert, was er aber mehr als lustlos und launisch interpretierte, denn als ein Akt gegen ihren Willen.

Da merke ich nichts von einem schlechten Gewissen, nicht die Spur eines Zweifels. Das ist eine Schwäche der Geschichte, dass sie die eigentlich interessante Stelle - die Zeit kurz nach der Tat - so überspringt und in Zeitraffer darstellt. Es findet so keine Auseinandersetzung mit dieser Nacht statt,

Es entspricht schon dem Charakter der Frau, den ich vor Augen hatte, dass sie dieses Erlebnis da auf Sparflamme kochen liess, und erst Monate später mit gesteigerter Erinnerung, zum Überlaufen brachte. Wäre dem nicht so, würde dieses letzte Treffen auch keinen Sinn mehr machen, sie entscheidet sich auch erst im letzten Augenblick, mit ihm zu brechen und ihm eine Szene hinzulegen, ohne eigentlich nähere Begründung. Wäre sie sich ihrer Befindlichkeit im Klaren gewesen, dass sie es als Vergewaltigung verstehen will, hätte sie ihn da angezeigt. Es bleibt ja auch offen, ob es nicht einfach ein später Rachegedanke von ihr war. Ihre Erwartungen an ihn, seine Vermögenssituierung, erwähnte sie ja mit dem Offenlegen ihrer früheren Beziehung.
Dass Rolf dies mitmacht, sie in Gedanken nicht gänzlich zur Hölle schickt, gibt Einblick in seine Wesensart.

Aber dein Rolf ist anders, er gibt sich - als einziger überhaupt - immer noch die Schuld. Das zeugt von grosser Unsicherheit, die er zuvor nicht ausgestrahlt hat. Es ist dieser Gegensatz - zunächst macht er sich keine Gedanken über die Nacht, dann bezichtigt er sich selbst der Vergewaltigung - die du überzeugender darstellen könntest, wenn du einen inneren Konflikt bereits direkt nach der Tat und lange vor der Anschuldigung schildern würdest.

Er ist kein Luftikus, der keine Gelegenheit zu einem One-Night-Stand entgehen liesse, sondern eher auf eine beständige aber nicht klammernde Beziehung bedacht. Wie bereits erwähnt, setzt sein Konflikt erst mit der Festnahme ein, die für ihn völlig überraschend kam. – Möglicherweise wäre es spannender, wenn ihm unmittelbar nach jener Nacht Zweifel gekommen wären, die ihn in einen Konflikt stürzten. Die Geschichte hätte dann aber konsequenterweise einen andern Verlauf nehmen müssen, was mir eher seicht vorkäme. Der Paukenschlag der Verhaftung und des Vorwurfs der Vergewaltigung ist mir schon das tragende Element.

Auch Rebecca reagiert nach der Nacht eher seltsam. Ihre Wortwahl ist bemerkenswert:

Zitat:
«Es ist nicht das erste Mal, dass mich ein Mann vögelte, ohne dass mir danach war.»

Denn sie sagt nicht: "Ich wollte das nicht", sondern: "Mir war nicht danach", was impliziert, dass sie grundsätzlich schon mit ihm schlafen wollte, aber halt nicht zu dem Zeitpunkt (vergleichbar mit der unter Migräne leidenden Ehefrau: "Schatz, mir ist gerade nicht danach."). Auch dass sie sich bereits kurze Zeit später wieder mit ihm trifft (zwar nur, um "Schluss" zu machen, aber immerhin), lässt vermuten, dass sie in dieser Nacht nichts Schlimmeres als schlechten Sex sieht.


Ihre Wortesind da nicht zufällig gewählt und können verschieden interpretiert werden. Der Prot. unterlässt es dies zu hinterfragen und lässt damit auch den Leser im Regen stehen, dieser kann nur Annahmen treffen.
Beispielweise könnte man es auch so auslegen, dass sie enttäuscht war, als sie merkte, dass Rolf nur in einer gewöhnlichen Wohnung residiert und nicht in einer Villa oder zumindest luxuriösen Eigentumswohnung. Das Gefühl sich in ihren Erwartungen getäuscht zu haben, kann bei einem solchen Menschen schon niederschmetternd sein, was später zu einer Erniedrigung kumuliert. Wären ihre Vorstellungen seines Lebensstils da nicht kollidiert, hätte sie unter Bedingungen dann wahrscheinlich nichts gegen Sex gehabt, auch wenn nicht er es als Mann war, der sie anmacht.
Dies ist aber nur eine der verschiedenen möglichen Varianten.

Zweitens widerruft sie sehr schnell, obwohl sie lange gewartet hat - da frage ich mich schon, wenn sie sich so lange Gedanken über diese Nacht gemacht hat, warum ist ihr nicht früher eingefallen, dass sie schlicht Medikamente verwechselt hat? Hier könntest du mMn die Gründe der Frau ausführlicher schildern, was natürlich eine andere Erzählstruktur erfordern würde.

Der Stoff suggeriert mir als mein eigener Leser, dass das Verwechseln von Pillen eine Notlüge ist, um strafrechtlich unbeschadet aus dieser Situation herauszukommen. Der Untersuchungsrichter ahnt dies, doch vermutet er einen Konflikt zwischen den beiden, den sie nun so ausfechten. Da zudem Aussage gegen Aussage steht, bestehen da kaum reelle Chancen der Wahrheitsfindung, vom moralischen Konflikt des Prot. hat er keine Ahnung. So endet es für die Justiz, ein Vergleich ist in solchen Situationen der beste Ausgang, befriedigend. Nur für Rolf und Rebecca bleiben wohl Erfahrungen zurück, die sie nicht einfach ad acta legen können.
Eine andere Erzählperspektive möchte ich da nicht hineinbringen, da es sich als phil. Lesestück eben dadurch trägt, dass es nur die eine Sicht gibt.

Deiner nachfolgenden Interpretation der Moral und Schuld, wie es aus dem Inhalt abgeleitet werden kann, stimme ich weitgehend zu. Dennoch bleibt ein Vakuum offen, das durch die Sprachlosigkeit diesbezüglich zwischen den beiden aufgeworfen wird. Im Prinzip ist es ein vereinfachtes Bild, das die ungefragt sexuelle Verfügbarkeit eines andern Menschen infrage stellt. Wenn ich mir nur die augenfälligsten Fälle, der letzten Jahre im Raum Zürich vor Augen halte, ist es sehr zahm aufgesetzt (Schülerinnen die durch Gruppen Jugendlicher vergewaltigt wurden; Abschleppung junger Mädchen aus Discos unter Einsatz von KO-Tropfen; Vergewaltigungen auf offener Strasse). Ähnliches kennt man über die gesamte Menschheitsgeschichte. Die Moral- und Rechtsphilosophie kann vor diesem Geschehen nur an die Vernunft und Humanität des einzelnen Menschen appellieren, eine Lösung zu bieten vermag sie nicht. Doch es vermag den Einzelnen anregen, sich über sein Verhalten im Umgang mit andern selbst zu leiten, indem er sich seines Handelns bewusst ist.

So oder so, der Text regt in jedem Fall zum Nachdenken an. Wo ist die Grenze hier? Ich weiss es auch nicht, es ist ja schon schwer, die juristisch zu ziehen, wo zieht man sie dann moralisch? Da der Text solche Fragen aufwirft, steht er zurecht in dieser Rubrik, und ich hab auch eine Weile darüber nachgedacht, bevor ich zu einem Urteil gekommen bin.

Mehr war auch nicht in meiner Absicht. Normalerweise schreibe ich Geschichten einzig zur Unterhaltung. Hier ergab es sich, allein von der Thematik her, dass es sich auf dieses Nachdenken zuspitzte und so sich abrunden musste. Wäre die Entwicklung anders verlaufen, hätte es eine ganz andere Geschichte ergeben.

Deine Verbesserungsvorschläge, die ich allesamt gerne übernahm, habe ich noch vergangene Nacht im Text übernommen.

Wie gesagt, ich finde, der Text regt zum Nachdenken über ein schwieriges Thema an, insofern hat er für mich das Ziel dieser Rubrik erreicht.

Diese Konklusion freut mich sehr.

Für deine Auseinandersetzung mit dem Text und deine wie immer fundiert erarbeitete Kommentierung danke ich dir herzlich. Es gibt mir wichtige Gedankenanstösse, auch wenn ich im Moment nicht verbindlich sagen kann, ob und wie es sich auswirkt.


+​

Hallo Quinn

Dein Beitrag zu diesem Text nahm ich erfreut zur Kenntnis, auch wenn, es Schelte ist. Dies, da ich den Eindruck habe, dass du dich tief in die Texte einlässt und deine Meinungsbildung zwar manchmal emotional besetzt aber doch stets abgewogen einbringst.

Das macht mich fertig. Das wirkt für mich wie ein Gespräch in den 60er Jahren, das von den Eltern arrangiert wurde, also in einer festen Gesellschaft, in der Leute verkuppelt werden.
Du tust dir wirklich schwer, deine eigene Sprachebene zu verlassen und in neue Rollen zu schlüpfen, oder?
Dann musst du vielleicht bei Figuren bleiben, die dir ähnlicher sind.
Das machen viele Autoren auch, dass sie Erzählfiguren schaffen, und sie so anlegen, dass sie dem Autor selbst ähneln. Aber auch die gehen, wenn sie andere Figuren schreiben dann wenigstens ein Stück weit in die Figuren rein.

Es wäre mir sicher schwieriger gefallen, dieses Stück im gegenwärtigen Umfeld zu schreiben, wobei die gezeigten Charakteren grundsätzlich auch darin möglich wären.
Sich in den Figuren selbst zu spiegeln, finde ich bis zu einem gewissen Grad heikel, da es die Distanz des Autors zu den Handlungen verwischt. Wobei Spuren, sind wahrscheinlich immer drin. Aber dass ich den Figuren zu wenig Tiefe gebe, das ist ein Ansatz, den ich auch einsehe und an dem ich generell arbeiten muss. Da hast du recht, die eigene Sprachebene zu verlassen und mich in ein Rollenspiel mit dem mir nicht vertrauten einzulassen, das ist mir noch nicht geglückt.
In der Literaturwissenschaft kursiert die Vorstellung, dass ein Autor in einem gewissen Alter aufgebraucht sei, nicht mehr Vergleichbares zu früher schafft. Dies korrespondiert mit der Meinung, dass im Leben eines Forschers, dieser nur einmal eine bahnbrechende Entdeckung macht und dies meist in mittleren Jahren.
Da fragte ich mich auch schon mal, ob ich da nicht besser einen Rückzieher als Autor machen sollte, da bei einer solchen Annahme eine Steigerung eher auszuschliessen wäre. Da mich dies nicht vom Schreiben abhalten würde, beisse ich mich halt noch an Veröffentlichungen fest.

Nicht Bilder mischen. „Der Zahn der Zeit“ ist kein Begriff aus der Geologie.
Da ist man eh immer in komischen Gewässern: Der Zahn der Zeit hat an der Libido genagt? Da musste ich schon ein bisschen schmunzeln.

Eine Redensart, die der Prot. als Verlegenheitslösung einbringt. Es ermöglicht ihm, auf diese frühere Beziehung nicht weiter einzugehen. Im Moment fällt mir da nichts Treffenderes ein, werde aber darüber nachdenken und bei einem Geistesblitz, diesen dann einbringen.

Dass ich nach einem guten Essen eine Zigarre rauchte, störte sie nicht. Sie deutete es, vielmehr dahingehend in Gesellschaft eines Herrn von Welt zu sein.

Diese Abschnitte haben schon was, weil es sich so liest, als würden die beiden nicht miteinander anbandeln, sondern eine Geschäftsverhandlung führen.


Es zeigt durchaus die gewünschte Ebene, auf der sich die beiden bewegen wollen. Sie erwartet von ihm, dass er vermögend ist und er spielt auch vage die Rolle Mannes von Welt. Ihr Treffen hat sehr viel Förmlichkeit. Für diesen Part führte ich mir das Verhalten eines Paares vor Augen, das ich kenne. Er ist zwar älter als der Prot., ein ausgebooteter Manager aber nicht inaktiv, der sich hinaufarbeitete und mit seinem Jahresgehalt vor nicht allzu langer Zeit noch, die internationale Presse zu angriffigen Artikeln bewegte. Seine Lebenspartnerin war in den letzten Berufsjahren seine Sekretärin. An sich ist dies zwar eine Stufe zu hoch, doch herabgebrochen, ergab es mir dieses Bild.

Eine total überarbeitete, verkrampfte, wohl Komplex beladene Endzwanzigerin von unscheinbarem Aussehen, offenbar ohne jeden Humor, mit der man auch nach Wochen und Monaten kein bisschen warm wird und die offenbar einen Sugar Daddy sucht – find ich als Idee schon fremd, da immer hinzufahren und mit der auszugehen. Aber ich steh auch auf Intimität eher. Wie das beschrieben wird ist es schon gruselig. Und wie juju sagt: Ob Menschen heute so ticken …

Da kann ich dir versichern, die gibt es heute genauso, wie sie es immer gegeben hat. Schau mal bei Anlässen, die sich an ein betuchteres Publikum richten, was sich da so tummelt. Damit ist natürlich nicht gesagt, dass sich diese alle so verhalten, wie die beiden Figuren in der Geschichte.

Ach … es wird halt so geschildert, dass man sich gar kein richtiges eigenes Bild von dem Geschehen da machen kann, das ist das Problem. Ich kann als Leser letztlich nicht sagen: Der Mann hat sie bedrängt bzw. Die Frau ist verrückt, weil ich die Beziehung zwischen beiden nicht sehen kann. Das wird nur geschildert.

Das ist sicher ein Erschwernis an dieser Geschichte. Wäre der Fokus auf nur einen Abend gesetzt, würde es diesen Aspekt intensivieren, obwohl die Perspektive dies auch da eingrenzen müsste. Dennoch bin ich der Meinung, dass es schon Assoziationen zu bekannte Szenarien gibt und wenn man diese nur aus Filmen kennt.

Es gibt einen unglaubich guten Film mit John Malkovich

Vergleicht man diesen kurzen Text mit einem Film, der einen längeren Zeitraum hat und durch das visuell verstärkte Geschehen dem Zuschauer alles noch viel drastischer vor Augen führen kann, muss er total durchfallen. Ich erinnere mich an den ersten Film zu diesem Thema, den ich sah. Das war in den 60er Jahren, die Welt war da nicht gar so heil wie weiter oben meintest. Er war hervorragend inszeniert, langsam aufbauend, der erste Übergriff erfolgte durch einen sympathisch wirkenden jungen Mann, sein Opfer fühlte sich nicht unbedingt als solches, da sie Gefühle für ihn entwickelt hatte. Doch gegen Ende hin wurde es zu einer bösen Beklemmung für die Zuschauer. Die junge Frau wurde durch die Kumpels des jungen Mannes vergewaltigt, sieben der Reihe nach, sie blieb schwer traumatisiert zurück. Doch, auf ein solch krasses Geschehen wollte ich nicht aufwickeln, um dieses Thema anzugehen. Vielleicht wirkt es für viele verfehlt und ungeeignet, doch mir war es der Versuch wert.

Dein persönlicher Stil, wie du eine Geschichte schreibst, schließt mich als Leser letztlich davon aus, mir ein Bild zu dem zu machen, was in der Geschichte hier vor sich geht. Ich bekomme nur die stark gefilterte Version des Erzählers zu hören – und habe nicht, wie vor Gericht, die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Und der Erzähler blendet hier sehr viel aus, alles Sexuelle z.B., alle „Wärme“ zwischen ihnen, wie er selbst tickt, ob er selbst „normal“ ist, ob er den Selbsthass der Frau da hätte erkennen müssen, dass ich nicht sagen kann: Die Geschichte beschäftigt mich auf einer tieferen Ebene.
Du gibst dem Leser letztlich zu wenig zu tun.

Dagegen kann ich nur schwerlich Argumente ins Feld führen. Die Geschichte steht und fällt in dieser Form. Ob es einen Leser anzusprechen vermag oder nicht, hängt sicher weitgehend mit diesen Gegebenheiten zusammen. Doch sie radikal umgestalten, würde ihr den Gehalt, den sie vermitteln will, entziehen. So muss ich wohl mit diesem Makel leben und die Konsequenz daraus ziehen, dass es so nicht gut funktioniert.

Du hast hier in der Geschichte, so scheint es mir, eine Konstellation erschaffen, die die Schuld - auch wenn es anders gesagt wird – schon anders verteilt. Die Frau hat - für mich – offenbar so viele Probleme mit sich selbst, dass es gut vorstellbar ist, dass sie mit einem Mann ins Bett geht, es später bereut und es dann so konstruiert, als habe er sie vergewaltigt .

Aus meiner Sicht hat die Geschichte höchstens vordergründig Schuldzuweisungen, sowohl an Rolf als auch an Rebecca. Deine Interpretation liegt nicht daneben, aber es ergeben sich im Ablauf schon mehr Empfindungen, die nur erahnt werden können und auch die Realität spiegeln. Ein Richter kann zwar wohl Fragen stellen, aber letztlich kommt er an die Grenzen unterschiedlicher Aussagen, die sich bei einer solchen Konstellation kaum erhellen lassen.

Deshalb sind solche Themen sehr heikel, weil da auch ein Bild unterschwellig transportiert wird vom Vergewaltigungsopfer, das selbst schuld ist.

Ich war mir im Klaren, dass die Thematik an sich heikel ist, doch deswegen sie nicht aufzugreifen, erschien mir auch nicht richtig. Wie ich schon aufzeigte, besteht das Problem seit jeher und ist auch aus früheren Jahrhunderten und –tausenden in der Geschichte, Kunst und Literatur dokumentiert. Dass der Text unterschwellig Vergewaltigungsopfer diskriminiert, kann ich nicht nachvollziehen. Vielmehr denke ich, vermag er anzuregen, sich situationsgebundener Verhaltensweisen bewusster zu werden, dies natürlich nur, wenn es zum Nachdenken führt.

Eine Frau in Slip und Flanellhemd liegt - bei vielen Männern, behaupte ich mal - relativ hoch auf der "Das ist heiß"-Liste, vielleicht mehr als eine Frau in Dessous. Hab immer den Eindruck, die kaufen sie mehr für die Verkäuferin im Laden oder dem Blick in den Spiegel.

Auch wenn du es wohl als Humoreinlage bringst, halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass es eine Anzahl aber keine Mehrzahl an Männern gibt, die auf Flanellnachthemd und Slip stehen könnten. Es gibt da ja alle möglichen Spielarten, wenn die Reize sonst erschlaffen. Aber dass eine Frau von sich aus auf diese Idee verfällt, ist doch eher unwahrscheinlich. Den Grund führst du ja auch selbst an, es ist die Selbsteinschätzung der Frauen und das ästhetische Empfinden. Dass sie damit obenauf schwimmen, kann man aus einer einfachen Rechnung ableiten. Wenn zwei Frauen daherkommen, die eine in schludriger Kleidung, die andere sexy aufgemacht, blicken 99 % der Männer sicher nicht dem Trampel nach, es sei denn, einer habe eine eigenwillige Neigung.

Für deine intensive Auseinandersetzung und deinen ausführlichen Kommentar mit der Geschichte danke ich dir herzlich. Es hat mich wiederum in Vielem zum Überdenken des Gegebenen veranlasst.

Schöne Grüsse Euch beiden

Anakreon

 

Hey Anakreon,

schwierige Kiste das :). Ich habe die Kommentare und Antworten nur überflogen, um die Geschichte nicht allzu voreingenommen zu lesen.

Ich kann gut verstehen, dass das Thema einen Reiz hat. Und ich kann gut verstehen, dass die Umsetzung arg schwierig ist, um die Leser damit zu erreichen. Die Entscheidung - war es nun eine "Vergewaltigung" oder nicht, die ist in solchen Fällen nicht leicht zu treffen. Die ist eben nicht eindeutig. Ab welchem Punkt, wenn sie kein "nein" ausspricht, kann man ihm einen Vorwurf draus machen. Und wie soll ein Text dass dann klar beantworten können? Darüber habe ich die letzten Tage nachgedacht. Also, wie würde ich einen Text anlegen, um das zu transportieren. Zu allererst bin ich zu dem Entschluss gekommen, das mir der Schuh eine Nummer zu groß wäre :).
Aber wenn ich mich trauen würde, dann würde ich einen ganz neutralen Erzähler wählen und ausschließlich alles in szenisch erzählen, so dass die Frage am Ende beim Leser liegt, darin eine Vergewaltigung zu sehen oder nicht. Das nimmst Du dem Leser schon am Anfang ab. Er wird verhaftet, mit dem Tatvorwurf konfrontiert und gibt sich letztendlich die Schuld, da er ihre Körpersprache mißgedeutet hat. Du hast Dich also für den anderen, den direkten Weg entschieden und ich weiß nicht, ob Du Dir damit einen Gefallen getan hast. Weil Du die Frage beantwortest, um die sich eigentlich alles dreht und mit der der Leser sich auseinandersetzen sollte.

Und es müssen beide Personen gleich stark sein, die Motivationen für ihr Handeln müssen erkennbar sein und aus beiden Perspektiven für den Leser nachvollziehbar. Und genau hier habe ich für mich entschieden, zu groß. Was für den einen Zuspruch ist, soll für den anderen Ablehnung sein. Das muss man erst mal hinbekommen. Da braucht es schon sehr komplexe Figuren, damit die Empfindungen und die daraus resultierenden Handlungen übereinstimmen.

Nun aber zu Deinem Text und zu dem, wie Du ihn angelegt hast.
Ich sehe zwischen den beiden nicht einen Hauch von Romantik. Für mich sollte sich den beiden die Frage nach Sex eigentlich gar nicht stellen. Das ist wie Geschäftsessen. Es wird auch so beschrieben. Ich merke von Treffen zu Treffen nicht, wie sich da was zwischen den beiden entwickelt. Ich bekomme ja nicht viel Info. Treffen hier, Treffen da, Erzähler sagt, war nett. Ich bin nicht dabei. Ich kann weder die Frau sehen, noch den Mann. Hier fehlt es eindeutig an szenischen Material. An Gesten, an Erregung seinerseits, an Vorfreude auf die nächsten Treffen. Begierde, was weiß ich. Irgendwann kommt sie und lädt sich zu ihm über Nacht ein und ich weiß nicht, warum sie das tut. Was der Text aus sich beantwortet, ist vielleicht die Vermutung, dass sie am nächsten Tag ne halbe Stunde länger schlafen will. Aber dann leg ich mich nicht zu dem Typen ins Bett, sondern frag nach ner Decke und dem Sofa. Da fehlt es eindeutig an Figurenzeichnung. Warum - was ist ihre Motivation sich dahin zu legen. Das ist natürlich aus Deiner Erzählerhaltung auch schwer zu beantworten. Da bleibt nur widersprüchliches Verhalten ihrerseits. Aber das alles dann mit einem Flanellnachthemd erklären zu wollen - puh - das ist wenig, was Du dem Leser da mitgibst.

Das Ende mit den vertauschten Pillen finde ich enttäuschend. Klar, es erklärt vielleicht irgendwas und er sieht sich ja trotzdem in der Schuld, auch wenn er jetzt durch "sie" freigesprochen wird. Also dieser Zwist, der hat natürlich was. Aber es mildert die ganze Sache für den Leser natürlich extrem ab und ich denke, damit kann man nur verlieren. Wenn man ein solches Thema aufgreift und es dann auf vertauschte Pillen hinausläuft.

Mit einer Reisetasche war sie dem Zug entstiegen, freudig mir entgegenkommend.

Ich weiß du magst das ... aber bitte, freudig mir entgegenkommend.
Das klingt nicht nach entgegenkommen, das klingt nach Umweg :) Ständig im Text. Schreib doch mal direkt. Lächelnd kam sie mir entgegen und ich hatte das Gefühl, das Klacken ihrer Absätze waren das einzige Geräusch in der Bahnhofshalle.
Dann wird auch klar, dass er auf ihre Beine guckt, wie sie da Schritt für Schritt auf ihn zustöckelt.

Freundschaftlich reichten sie sich die Hand. Sie hatte sich freigenommen, um mit ihm am nächsten Tag die Messe, ein örtliches Ereignis, zu besuchen.

Sie reichten sich freundschaftlich die Hand. Das ist der Empfang, wo sie palnt die Nacht bei ihm zu verbringen. Ja mein Gott, da steckt Null Begehren oder Erotik drin. Ich bleib bei der Frage. Warum landen die beiden im Bett? Die sind noch im Status von Händeschütteln. Schön Distanz zwischen den Körpern wahren. Eine Armlänge um genau zu sein. Er hätte sie aufs Sofa legen müssen.

«Ich komme am Donnerstagabend», ihre Worte am Telefon waren bestimmt gewesen, keinen Zweifel an ihrer Absicht zulassend.

So ihre Worte. Keinen Zweifel an ihrer Absicht zulassend. Genau das mein ich. Das Thema täte gut daran, es dem Leser zu überlassen, ob man da Zweifel hineindeuten könnte oder nicht. Und genau deshalb ist es so schwierig. Finde mal einen Satz und eine Stimmlage, die genau das transportieren können.
Ein Erzähler der mir das alles abnimmt, da komme ich doch gar nicht in die Situation, mich je wirklich damit auseinandersetzen zu müssen.


Ich weiß nicht, ob es dir hilft, wenn ich schreibe, wie ich das Thema angegangen wäre. Wir sind da ja verschieden. Und ob es am Ende besser wäre, weiß ich auch nicht. Versucht habe ich es ja nicht und will es auch nicht. Aber das sind so meine Gedanken zu deinem Text. Jetzt hast du sie ;).

Aber ich kann verstehen, dass das Thema reizt. Insofern, Hut ab, es überhaupt angegangen zu sein.

Beste Grüße Fliege

 

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