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Vergeben ist göttlich

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02.01.2002
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Vergeben ist göttlich

Es war ein kalter Frühlingstag, als ich das Grab meines Mannes besuchte. Die Beerdigung war zwei Wochen her. Zwei Wochen, in denen ich mich nicht in der Lage gefühlt hatte, den Friedhof zu betreten.

Ich sah den Grabstein bereits von weitem. Meine Schritte wurden langsamer. Meine Hände krampften sich um den kleinen Jasminstrauß. In meiner Unsicherheit hatte ich die Verkäuferin gebeten, mir etwas zusammenzustellen. Dabei war es ganz gleich, was ich ihm brachte. Blumen hatten in unserer Ehe keine Rolle gespielt.

Ich stutzte, als ich ans Grab trat. Die Kränze waren verschwunden, doch ein Rosenstrauß lag vor dem Stein. Zwischen den Blüten steckte ein kleines Stück Papier. Im ersten Moment hielt ich es für ein Preisschild, bis ich die handgeschriebenen Zeilen entdeckte. Ich kniete mich zu Boden und griff danach. Nur wenige Sätze standen darauf. Ich las sie einmal. Noch einmal. Ein drittes Mal. Es waren schöne Worte. Worte, unter denen mein Name hätte stehen sollen. Nicht der einer anderen Frau. Ich erhob mich, ließ den Zettel auf die Erde fallen und ging.

Ich kam nicht mehr zurück. Bis heute nicht. Vielleicht liegen ihre Blumen immer noch dort. Eines Tages werde ich nachsehen. Irgendwann.

 

So. Mal wieder was Ultrakurzes von mir.
Der Plot mag vielleicht dem einen oder anderen geneigten Leser bekannt vorkommen, denn er ist ähnlich einer Geschichte die ich inzwischen hab löschen lassen, weil sie mir absolut nicht mehr gefiel.

 

Hallo Ginny,

bin ich mal wieder der geneigte Leser :D

das ist eine deiner kurzen Kurzgeschichten, bei denen ich sagen möchte, daß sie gar nicht länger sein sollten. Wie auch bei „Die Dinge liegen so nah“ ist der Text schön dicht (hehe, mir fällt grad keine bessere Formulierung ein) und lebt von Andeutungen und knappen Hinweisen, die dennoch genügend Aussagekraft haben, um dahinter eine größere Geschichte erahnen zu können. Geht mir jedenfalls so.
Öhm... also hat mir gefallen :)

Detailanmerkungen:

Es war ein kalter Frühlingstag, als ich mich entschloss das Grab meines Mannes zu besuchen.
Ich würde den Entschluß nicht explizit nennen. Wie wäre:
„Es war ein kalter Frühlingstag, als ich / an dem ich das Grab meines Mannes besuchte.“

Meine Schritte wurden langsamer. Meine Hände krampften sich
Hm, zweimal gleicher Satzanfang.

In meiner Unsicherheit hatte ich die Verkäuferin gebeten, mir etwas zusammenzustellen. Dabei war es ganz gleich, was ich ihm brachte. Blumen hatten in unserer Ehe keine Rolle gespielt.
Ist es zuviel interpretiert, wenn ich daraus lese, daß eine gewissen Entfremdung/Kühle das Ende der Ehe gekennzeichnet hat? Sie weiß nicht, welche Blumen sie ihm bringen kann, er hat ihr auch niemals welche geschenkt. Die beiden haben schlußendlich nur mehr nebeneinander hergelebt (was wohl auch das Fremdgehen des Ehemannes belegt). Ich weiß, klingt sehr weit hergeholt, aber diese Gedanken gingen mir beim Lesen durch den Kopf.

Ich stutzte, als ich ans Grab trat.
Das „Stutzen“ hat mich aus dem Lesefluß gerissen. Ich finde, es paßt überhaupt nicht und sollte ersatzlos gestrichen werden. Da die Prot ja eh auf das Grab zugeht, würde doch auch (sinngemäß) reichen:
„Die Kränze auf seinem Grab waren verschwunden, doch ein Rosenstrauß lag vor dem Stein / an ihrer Stelle lag ein Rosenstrauß vor dem Stein.“
Na ja, so als Vorschlag.

Nur wenige Sätze standen darauf. Ich las sie einmal, noch einmal und ein drittes Mal.
Yo, Geschmackssache, aber mir gefällt an dieser Stelle die Aufzählungsform „ich las sie, noch einmal und noch einmal...“ nicht.
Ich finde, der Schock und das ungläubige Lesen der Zeilen würde besser zum Ausdruck kommen, wenn du die drei „Lesegänge“ durch Punkte in Stücke hackst, ungefähr so:
„Nur wenige Sätze standen darauf. Ich las sie (einmal). Dann noch einmal. Ein drittes Mal.“
Das hat m.M.n. etwas von drei schallenden Ohrfeigen.

Es waren schöne Worte. Worte, unter denen mein Name hätte stehen sollen. Kein fremder. Nicht der einer anderen Frau.
„Kein fremder“ finde ich hochgradig überflüssig. Der Schlag ins Gesicht sitzt viel heftiger, wenn du ihn streichst.

Das Thema deiner Geschichte gefällt mir sehr gut. Wie geht man mit solchen Dingen um? Kann/darf man einen Toten hassen, wütend auf ihn sein? Ändert sich das häßliche Wesen der Untreue, „nur“ weil man es jetzt mit einem Toten zu tun hat? Schwierig zu beantworten, wie ich finde, jedenfalls dann, wenn man eine solche Situation noch nicht durchlebt hat. Himmel, wenn ich mir das vorstelle... nein, lieber nicht.

Gruß,
Some

 

Oh, ein Mitleidskommentar. :D
Ich vermute, mein trauriger Hundeblick am Freitag als ich diese Story erwähnte hat dich dazu gebracht mir zu antworten, hehe ...

Ernsthaft: Danke!
Ich hab deine Vorschläge übernommen weil sie gut sind, nur bei dem "Ich stutzte ..." überlege ich noch, aber kann gut sein, dass ich das in den nächsten Tagen auch noch umändere.

Ist es zuviel interpretiert, wenn ich daraus lese, daß eine gewissen Entfremdung/Kühle das Ende der Ehe gekennzeichnet hat?
Das ist nicht zuviel interpretiert, sondern genau das, was ich damit andeuten wollte. Ich wollte zumindest verhindern dass der Leser bis zu der Pointe das Bild einer perfekten Ehe im Kopf hat. Dieser Hinweis soll eine gaaaanz leichte Vorbereitung auf das Ende sein. Natürlich ahnt man damit noch nicht, dass sie die Blumen und den Brief einer Geliebten finden wird. Aber dass die Ehe wohl ihre Probleme hatte wurde zumindest ganz leicht angesprochen und die Pointe wird nicht vollkommen unvorbereitet aus dem Hut gezaubert.

Es freut mich besonders, wenn dir kurze Texte von mir gefallen, weil ich ja nur zu gut weiß, dass du gerne mal was Längeres von mir lesen würdest. ;-)

Joah ... danke für dein Erbarmen. :D

Ginny

 

Hi Ginny,

Ich bin sozusagen über Deine Geschichte gestolpert. Erst war ich ein wenig erschrocken, weil mein Dad vor wenigen Wochen gestorben ist und meine Mama sehr trauert. Dann habe ich mich in die Situation versucht hineinzuversetzen, und ich finde, ein wenig heftiger könnte die Situation schon dargestellt werden.
Was mich ein wenig irritiert ist, dass Deine Prot zwei Wochen braucht, um überhaupt zum Grab gehen zu können. Und dann die Entfremdung in der Ehe dargestellt wird. Warum zaudert sie solange?

Auch ich würde übrigens aus den dreimal Lesen der Zeilen drei Sätze machen. Damit man spüren kann, wie sie erst mal verarbeiten muss, was sie da liest. Pause braucht. Nochmal liest. Nachdenkt. Das dritte Mal liest und dann schluckt.

Ansonsten, sehr schön. Einen Moment eingefangen. Hingestellt. Die anderen mitspüren lassen. Gut!

Liebe Grüße,

hexy

 

Hallo Ginny!
Mir gefällt deine Geschichte gut.
Eine Anmerkung zu hexys Kommentar möchte ich noch machen: Vielleicht hat ihre Protagonistin nicht gezaudert zum Grab zu gehen, sondern sie hatte einfach besseres vor, als das Grab zu besuchen. Denn, wie Ginny selbst sagte, die Ehe war anscheinend kaputt. Auf mich wirkt es so, als ob es ihr "erst" nach zwei Wochen in den Sinn kommt, ihren Mann einmal zu besuchen. Und vielleicht wirkt es nicht gar so heftig, da die Ehe ja, wie angedeutet, nicht (mehr) alzu intakt gewesen sein dürfte. Natürlich ist man enttäuscht, aber so etwas in der Art hätte sich vermuten lassen.
Ich hoffe, ich habe dich jetzt nicht in irgendeiner Weise verletzt, liebe Grüße, chen_87

 

nein, quatsch, das ist ja genau das, was ich meinte. ich hätte gerne mehr über den grund erfahren, warum sie erst jetzt zum grab gehen kann.

Zwei Wochen, in denen ich mich nicht in der Lage gefühlt hatte, den Friedhof zu betreten.

sie hat sich also nicht in der lage gefühlt, aber warum? waren da doch gefühle da, die sie nicht ausdrücken konnte, und die nun, da sie die blumen gesehen und die worte der anderen frau gelesen hat, offenbar worden?

Grüße zurück,

hexy

 

Schöne Geschichte, erinnert an ein Stück gesamtgesellschaftlich verschwiegene Wirklichkeit. Eines allerdings ist total weltfremd: Nach 14 Tagen setzt kein Steinmetz einen Stein aufs Grab, weil der nach vier Wochen umgekippt ist wegen der Erdbewegungen - das ist genauso wahr, wie dass in Beziehungskisten häufig drei Vampire Leben schlürfen wollen.
Uwe Baumgarten

 

Hallo hexy, chen87 und vita,

danke für die Kommentare. :-)

@hexy: Erstmal mein Beileid wegen deines Dads. :-(

Die Geschichte ist mir zwar nicht selber passiert (das hätte mir grad noch gefehlt), aber ich wurde durch eine reale Begebenheit dazu inspiriert. Eine Frau aus unserer Gegend fand nach dem Tode ihreds Mannes regelmäßig Rosen auf dem Grab - sie weiß bis heute nicht von wem sie sind, aber es ist anzunehmen, dass es entweder von einer Geliebten oder einer heimlichen Verehrerin stammt. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es schon sehr schlimm ist auf einen kranken Menschen wütend zu sein - noch schlimmer ist es aber bei einem Verstorbenen.
Vielleicht fällt mir noch eine geschmeidige Lösung ein, um es für den Leser verständlicher zu machen, warum die Ehefrau erst nach zwei Wochen das Grab aufsucht - und eventuell auch, um die Schockwirkung für die Frau zu verstärken.

@vita:

das ist genauso wahr, wie dass in Beziehungskisten häufig drei Vampire Leben schlürfen wollen.
Aaaahja. :D

Dazu sei noch gesagt: In der Tat ist es recht selten, bereits nach zwei Wochen einen Grabstein zu haben, vor allem, da die Wartefrist für Steinmetze bis zur Anschreibung für die Angehörigen um die vier Wochen beträgt, aber möglich ist es (Stützpfeilern sei Dank) durchaus.

Thnx a lot!

Ginny

 

Hi Ginny-Rose,

ich kann schon verstehen, dass man aus Schmerz, oder Wut, einige Zeit gebrauchen kann, um an ein Grab zu gehen.
Umso schlimmer, wenn man dann einen Beweis der Untreue findet.
Noch schlimmer, wenn dein Prot eine, ihrer Meinung nach, gute Ehe geführt hätte. Wie furchtbar.
Und dann stelle man sich mal vor,die Frau wäre Rachsüchtig, würde der Geliebten am Grab auflauern.
Krimi nicht ausgeschloßen. Was für ein Karma.
Da kann man wirklich nur noch sagen: Vergeben ist göttlich.

eine Geschichte, die meine Fantasie anregt.

glg, coleratio

 

Hallo Ginny-Rose,

grundsätzlich finde ich die Story gelungen, aber aus diesem Thema hätte man meiner Meinung nach mehr rausholen können. :dozey:
Mehr von der Dramatik dieser Situation z.B. und auch ihre Verzweiflung danach hätte man "ausschlachten" können.

Viele Grüße
:shy:

Autor

 

Hi Ginny,

faszinierend, was man (Du natürlich) mit so wenig Sätzen bewirken kann. Kann mich genau in das Leben Deiner Protagonistin hineinversetzen (und das, obwohl ich ein Mann bin).
Deine story ist einfühlsam, schockierend und traurig zugleich. Wirkliches Kompliment, das in einem so kurzen Text zusammenzubringen.

Ups, jetzt muß ich aufpassen, daß mein Kommentar nicht länger wird, als Dein Text selbst.

Es waren schöne Worte.
Fand ich super, daß Du nicht geschrieben hast, was draufsteht. So reicht es vollkommen aus.
Dieser eine Satz steht für all die anderen Sätze, die völlig ausreichend sind für diese schöne (traurige) Geschichte.

Liebe Grüße! Salem

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo coleratio,

eine Geschichte, die meine Fantasie anregt.
Offenbar, ja. <g>
Da krieg ich fast das Gefühl, ich hätte mehr draus machen müssen ... bzw da steckt noch Stoff für genug andere Texte drin.

Hallo Autor,

es ist schon schwer, in so wenigen Zeilen einen Text zu erschaffen der den Leser berührt ... ich habe hier auch meine Zweifel ob ich nicht diesmal zu kurz war. Mal sehen, vielleicht gibt's mal eine längere Version.

Hallo Salem,

(Du natürlich)
Natürlich. :D
Freut mich, dass die Kürze bei dir gut ankam. So hab ich es mir erhofft. :-)

Danke Euch für's Lesen und Kommentieren.

Ginny

 

Hi Ginny!

endlich komme ich auch mal wieder dazu, hier was zu lesen.
Hat mich sehr gefreut, auf Deine KG gestoßen zu sein. Ultra-kurz zwar, aber sehr schön.

Was mir aber aufgefallen ist: An dieser Geschichte fehlt ein Funke, denke ich. Irgendwie könnte sie mehr Feuer vertragen, wenn man das bei so einem Thema sagen darf.

Die Emotionen, die auftreten sind Trauer, Unsicherheit, "Unangemessenheit", ein wenig Verwirrung und letztendlich... Enttäuschung? Eifersucht? Wut? Hass? ...

Ich meine gar nicht, daß Du am Ende eine Erklärung geben solltest, welche Emotion überwiegt...
Was mir aber gefehlt hat, ist dieses unter die Haut Gehende, das Du sonst einbaust... diese Geschmeidigkeit, mit der Du Gefühle vermittelst.

Außerdem ist es ein wenig zu wenig äußere anstatt innere Handlung... eine Prise...

Ein Beispiel?

Blumen hatten in unserer Ehe keine Rolle gespielt.

Ich stutzte, als ich ans Grab trat.

klar soll hier ein Bruch sein. Aber danach könnte es ein wenig "fließender" weiterlaufen...

Ebenso im letzten Absatz.

Klar, gerade ich sollte nicht maulen. Fragment-Sätze sind sowas wie mein Hobby und Stakkato-Ton beim Schreiben auch, ... :D

viel ist es nicht, aber jeweils eine "Konjunktion"?

Wie wäre es zB folgendermaßen:

Ich sah den Grabstein bereits von weitem und meine Schritte wurden langsamer.

oder

Meine Schritte wurden langsamer und meine Hände krampften sich um den kleinen Jasminstrauß.


Was ich mich auch gerade frage... welchen Eindruck hat sie bei der Blumenhändlerin gemacht, um mit einem Jasminstrauß loszuziehen?

Normal für den Ehemann wären wohl sicher Rosen, oder seine Lieblingsblumen, oder so...
und klar: Sie hat kein gutes Verhältnis zu ihrem Mann gehabt. Aber woher weiß das die Blumenhändlerin?
Oder hat sie der - vor lauter kaputtem Verhältnis - gar nicht erzählt, daß das für ihren Ehemann ist...?
Nur eine Anmerkung am Rande...

Meine Gesamtmeinung ist aber mehr als nur positiv!

Lieben Gruß,

Frauke

PS: Somes Verbesserung mit den 3 getrennten Sätzen beim "Lesen" finde ich gelungen.
Das "Stutzen" fand ich ebenfalls nicht soooo gelungen, aber das mehr am Rande.

 

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