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Vergangenheitsbewältigung

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07.02.2001
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Vergangenheitsbewältigung

Zwei ältere Männer sitzen auf einer Parkbank. Sie betrachten die vorbeigehenden Passanten.
Eine junge Frau mit einem Baby in ihren Armen geht den Weg entlang. Sie ist keine Amerikanerin, woher kommt sie?

"Hast du gesehen, wie die junge Frau mich angesehen hat?", fragt der eine.

Seine Stimme klingt tonlos. Emotionslos. Sie klingt tot.

"Ja", erwidert der andere, "sie hat dich angesehen."

"Du weißt, dass ich es nicht wollte."

Es herrscht für kurze Zeit Stille.

"Du bist mein Freund. Du weißt, dass es keine Absicht war. Mensch, du bist mein Freund. Du musst mir glauben."

Seine Stimme scheint sich zu ändern, sie wirkt fast weinerlich, traurig.
Doch in Wahrheit bleibt sie diesselbe.

"Ja, ich glaube dir. Es war schließlich Krieg."

"Ja, es war Krieg." Er blickt in die Luft. Für eine Weile sagt er nichts. " 'Scheiß-Krieg', so wurde er genannt, 'Scheiß-Krieg im Scheiß-Vietnam', so haben sie gebrüllt.
Dabei taten wir doch nur unsere Pflicht. Das stimmt doch, wir taten nur das, was uns befohlen wurde. Du weißt das auch, du bist dabei gewesen, du bist mein Freund"

"Ja. Wir mussten es tun."

"Genau, du verstehst es. Wir mussten es tun. Wir sind schließlich Amerikaner".
Er legt seine Hand auf die Brust. Man könnte meinen, seine Stimme klinge jetzt anders. Nahezu stolz. Doch das tut sie nicht. Sie klingt genauso. Genauso tot.
"Wir sind Amerikaner. Es war Krieg. Außerdem, hätte ich sie nicht erschossen, wäre sie sowieso umgekommen.
Erinnerst du dich? Die Napalm-Bomben. Das weißt du doch noch, sie haben kurze Zeit später Napalm-Bomben abgeworfen. Du erinnerst dich doch noch, du bist doch mein Freund?"

"Ja, Napalm-Bomben haben sie abgeworfen. Gebrannt hatte es, fürchterlich gebrannt hatte es in dem Dorf."

"Sag, dass ich kein schlechter Mensch bin, bitte, sag es.", er stand auf und riß am Hemd des anderen, "sag, dass ich kein schlechter Mensch bin. Du bist mein Freund, mein bester Freund, sag es, bitte!"

"Nein, du bist kein schlechter Mensch. Das bist du nicht, glaub´ mir."

"Ich werde dich nie vergessen, niemals, darauf kannst du dich verlassen."

Seine Stimme klingt tonlos, leer, tot.
Sie hat die ganze Zeit so geklungen.
Er geht fort.

Der andere bleibt auf der Bank sitzen.
Zwei Jungen kommen vorbei. Sie sind keine Vietnamesen, ganz bestimmt nicht. Sie kennen Vietnam gar nicht, sie haben davon noch nie gehört.

Er betrachte sie, wie sie spielen, toben, sich balgen.

Er legt seinen Kopf in seine Hände und beginnt zu weinen.
Es klingt ängstlich, schämend, verzweifelt...es klingt so überaus lebendig.

 

Super Geschichte, @Kritiker! Die geht richtig unter die Haut!!! ;) NOCH MEHR VON DER SORTE!!!!!!!!!!!!!!

Griasle
stephy

 

<IMG SRC="smilies/sad.gif" border="0"> Traumatisches Erlebnis das, wenn man es verdrängt, sich nur weiter in die Seele brennt. Und es haftet, ja wie Napalm könnte man sagen. Es ist die Vergangenheit die uns in der Gegenwart keine Ruhe lässt in die Zukunft zu blicken.

<IMG SRC="smilies/cwm15.gif" border="0"> Die Geschichte hat mich nicht ganz überzeugt was den philosophischen Hintergrund angeht, aber jedem das seine. Immerhin stecken hinter dem Parkbankgeplänkel emotionale Gedanken, wie stephy ja schon sagte.

 

Was ist Napalm eigentlich??? :confused:

Griasle
[die etwas dumme ;) ]
stephy

 

Ohhhhhhhhhhhhh, Stephy, du machst mich glücklich.
:)
Von solchen Kritiken leben Autoren.

Ps.: Napalm-Bomben sind so eine Art Brandbomben. Hast du Forest Gumb gesehen? Da werden auch Napalm-Bomben abgeworfen, als Forest die ganzen Menschen rettet.

 

Hallo Benjamin,
was meinst du mit philosophischem Hintergrund, und was genau hat dich nicht so ganz überzeugt?

 

Hallo,

Die Geschichte finde ich nicht schlecht. Die meisten Vietnam Veteranen haben tatsächlich schwer mit ihren Kriegserinnerungen zu kämpfen. z.B. gibt es in meiner Nachbarschaft einen Penner der Leute anhält und ihnen Gedichte verkaufen will. Er zieht dann sein Sweatshirt hoch und zeigt einem dann seine riesige Narbe auf dem Oberkörper, von einer Minenverletzung. Ein Freund meines Vaters hat z.B. auch immer noch manchmal Panik Anfälle wenn er einen Hubschrauber hört.
Viele (meist weniger Gebildeten und aus der sozialen Unterschicht stammende) Veteranen versuchen sich am letzten Überbleibsel National- oder Pflichterfüllungsstolz festzuklammern (dies wird ausgezeichnet in dem Film The Deer Hunter (auf Deutsch: Die Durch Die Hölle Gehen) - dem besten Vietnamfilm überhaupt - geschildert). Im gegensatz zu den Veteranen des zweiten Weltkrieges, die von allen für ihren Kampf gegen den Faschismus anerkannt und gefeiert werden, tun sich Vietnamveteranen schwer irgendwelche Anerkennung zu finden. Zumall das Thema Vietnam nach 1973 in Amerika vom Staat komplett unter den Teppich gekehrt wurde, und allgemein tabuisiert wurde. Somit fiel vielen auch der soziale wiedereinstieg schwer, und sie verfielen dem Alkohol oder Drogen.
Viele reisen zur Zeit zurück nach Vietnam, um eben zu versuchen ihre Vergangenheit zu bewältigen.
Das einzige was den Vietnamveteranen oft noch geblieben ist, sind ihre Freundschaften...

...und eben das finde ich stellt Deine Geschichte ganz gut heraus. Ich denke aber sie ist ein bisschen zu knapp. Diese komplexen sozialen und psychologischen Einwirkungen auf diese Menschen müssten glaube ich noch klarer herausgestellt werden.

 

Ach ja, und zwei kleine Details sind mir noch aufgefallen.
Wenn die Geschichte in der jetzt-Zeit spielt, dann wären die Männer auch nicht so alt, sondern so um die fünfzig bis sechzig.
Ausserdem. Die Frau die den einen Mann am Anfang der Geschichte anstarrt ist - so können wir wohl vermuten - eine Asiatin, oder sogar eine Vietnamesin. In Amerika käme man aber eigentlich nicht auf die Idee, dass diese Person keine Amerikanerin ist. In Amerikanischen Städten sieht man jeden Tag viele Asiaten, und die meisten sind auch Amerikaner - unter ihnen auch viele Vitenamesen die nach 1975 vor den Kommunisten in die USA flüchteten, und dort eingebürgert wurden.

 

:o An Kritiker

<IMG SRC="smilies/madgo_ron.gif" border="0"> Sorry, vielleicht liegt es an mir, aber wenn ich in der Kategorie "Philosophisches" eine Geschichte lese, dann versuche dort auch derartige sichtbare Muster zu erkennen. Philo. Hintergründe, die uns auf Fragen des Seins, der mysteriösen Verhaltensformen von Universum bis zum Fadenwurm und andere Dinge aufmersam machen.

<IMG SRC="smilies/idea.gif" border="0"> Natürlich ist das Gebiet Philosophie vielschichtig und weitläufig. Alleine deswegen könnte man auch deine Geschichte philosophisch Interpretieren, jedoch habe ich bei dieser Geschichte eine solche konstruierte Absicht nicht entdeckt.

:confused: Was ich mich einfach frage und was mich interessiert .. Was du dir dabei Gedacht hast diese Kategorie hier zu wählen.

<IMG SRC="smilies/cwm20.gif" border="0"> Wie gesagt.. Ich konnte bei dieser Geschichte jedoch deine philosophische Intention nicht erkennen. Bis auf das was ich bei meiner ersten Kritik geschrieben hatte ist mir nichts aufgefallen. Damit meine ich nicht das sie schlecht ist, aber vielleicht in eine andere Kategorie gehört. Wie ich von den anderen hier erfahren konnte wäre es was für Alltag/Sonstige oder ganz besonders Gesellschaft.

<IMG SRC="smilies/thefinger_red.gif" border="0"> Nimm's mir nicht übel ich will ja nicht den Mephisto spielen.

 

Hi, I3en.

Zu den zwei Details:
Es steht ja nirgendwo, dass die Geschichte in der Gegenwart spielt.
Ich hab´ ja auch nicht geschrieben, 'zwei uralte Greise', sondern zwei ältere Menschen.
Und: Sofern die Soldaten 1965 über 24 waren, sind sie auch jetzt schon über 60.

Und es gab genug Soldaten über 24...

Beim zweiten Detail kannst du Recht haben, ich bin mit der Stelle selbst nicht ganz zufrieden.
Ich hatte aber zu dem Zeitpunkt keine bessere Lösung parat.

Die Frau muss übrigens nicht zwangsläufig Asiaten oder Vietnamesin sein...

Ah, für deinen Einwand, die komplexen sozialen und psychologischen Einwirkungen seien nicht deutlich genug herausgestellt worden, bedanke ich mich. Aber das war ja auch gar nicht mein Ziel... ;)

 

Hallo Benjamin P.

Nimm´s mir nicht übel, aber ich halte diese Kategorie für die genau richtige. :D

Allein der Vorgang der Vergangenheitsbewältigung ist ein tief philosophischer...

Und in dieser Geschichte werden viel tiefere, psychologische/philosophische Probleme versucht anzusprechen:
der Sinn der Vergangenheit und die Probleme, die sich daraus ergeben können, wenn man sie nicht kennt( siehe den Schluss )...

Ich will jetzt nicht meine eigene Geschichte interpretieren, aber eigentlich lohnt sich der Streit um diese Frage gar nicht...

Das Problem ist wohl, dass sich die meisten Menschen gar nicht bewusst sein, was Philosophie eigentlich bedeutet.

 

A propos: deine Argumentation ist schon ein wenig merkwürdig.

Erst schreibst du

Die Geschichte hat mich nicht ganz überzeugt was den philosophischen Hintergrund angeht,

jetzt bist du der Meinung, die Geschichte habe gar keinen philosophischen Hintergrund.

Der philosophischer Hintergrund, welcher gar nicht vorhanden ist, hat dich also nicht überzeugt. :confused:

 

Hallo Kritiker!

<IMG SRC="smilies/baby2.gif" border="0"> Ich gebe mich geschlagen, bin hier wohl nur ein Dilettant. Wenigstens weis ich jetzt, dass ich nicht weis was eigentlich Philosophie ist.

:cool: Das mit der Kategorie mag relativ egal sein, denn Psychologie kann in jede Kategorie rein. Ich denke sie bewirkt alleine Schon das wir uns über die Geschichten unterhalten.

<IMG SRC="smilies/afraid_thamorphman.gif" border="0"> Ich habe doch nie geschrieben das die Geschichte "keinen" philosophischen Hintergrund hat. Ich habe es sogar deutlich gemacht das ich mich von so einer Bewertung distanziere.

Natürlich ist das Gebiet Philosophie vielschichtig und weitläufig. Alleine deswegen könnte man auch deine Geschichte philosophisch Interpretieren, jedoch habe ich bei dieser Geschichte eine solche konstruierte Absicht nicht entdeckt.

<IMG SRC="smilies/cwm13.gif" border="0"> Ich sagte nur das Ich keine "konstruierte Absicht"! sah besonders auf philosophische Gedanken aufmerksam zu machen. Deshalb war ich mir selbst nicht sicher, ob ich die Geschichte, oder deren philosophischen Hintergrund, richtig verstanden habe.

<IMG SRC="smilies/cwm27.gif" border="0"> Dieser kleine Disput tut mir leid, aber die Probleme der Welt entstehen nur in unseren Köpfen. Sorry, wegen meiner meist kryptischen Argumentation, aber ich war in Deutsch nie gut.

 

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