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Unterwegs

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15.01.2012
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Unterwegs

Unterwegs

Die deutsche Bahn bietet nicht nur entspanntes Reisen von A nach B – sie verbindet auch ganz unterschiedliche Welten miteinander.
Und so geschah es neulich, dass ein pommersches Mädchen von Stralsund nach Chemnitz reisen wollte.
Na ja „wollte“ ist nicht ganz richtig ausgedrückt, denn der Pommer reist nicht allzu gerne.
Aber nach drei Jahren reiflicher Überlegung war der Zeitpunkt nun gekommen, Ihre Schulfreundin zu besuchen.
So eine weite Reise musste schließlich wohlüberlegt und gut geplant sein.
Eigentlich hatte sie Ihre Freundin nie so richtig verstanden- wie konnte sie nur für einen Job die geliebte Heimat verlassen. Für sie jedenfalls war klar- sie war im Norden geboren und würde im Norden sterben.

Inzwischen hatte der Zug den Stralsunder Bahnhof erreicht, und die wenigen Reisenden stiegen missmutig ein. Wie gesagt ist der Pommer nicht für seine Reiselust bekannt, und selbst kürzeste Strecken werden nur im äußersten Notfall zurückgelegt.

Regina hingegen war voller Neugier und Vorfreude. Schließlich war die Hürde des Kartenkaufens und Taschepackens nun genommen, und sechs Stunden Zeit ganz für sich allein hatte sie schon lange nicht mehr gehabt.

Zwei ältere Damen teilten das Abteil mit ihr, hielten aber reichlich Abstand.
Gottseidank waren die Damen sehr schweigsam, und so konnte sie die vertraute, weite Landschaft ganz in Ruhe genießen.
Bekannte Felder und Dörfer flogen vorbei.
Zu jedem fielen Ihr mindestens ein halbes Dutzend lustige Geschichten, meist von ausschweifenden Trinkgelagen auf Dorffesten, ein.
Zum Beispiel als „ Möhler Schmitt“ auf Knien rutschend im Kreiskulturhaus mit dem vielversprechenden Namen „Treffpunkt“, seine Zähne suchte und dabei laut „ immer Ärger mit die Volkseigenen“ fluchte.
Fast hätte sie laut losgelacht, aber das schwache Hüsteln einer der Damen erinnerte sie daran, dass sie nicht allein war.

Es verging eine Weile als es plötzlich „ nächster Halt- Waren- Müritz“ aus dem Lautsprecher nuschelte.
Diesen Umstand kommentierte eine der beiden sonst so verschwiegenen Mitreisenden sehnsuchtsvoll mit den Worten:
„ Tja Herta, die Müritz ist nicht die Ostsee“ - „ neeeee“ erwiderte die andere verständnisvoll.

Regina musste schmunzeln, denn der uralte Zwist zwischen Mecklenburg und Vorpommern erschien Ihr plötzlich unnötig und kindisch.
Ein kleines, unbedeutendes Flüsschen namens Recknitz war das Zünglein an der Waage.
Schließlich teilte es nicht nur die Kleinstädte Ribnitz und Damgarten, sondern auch die Landesteile Mecklenburg und Vorpommern.
Unglaublich, dass die Ribnitzer den Bewohnern Damgartens die Pest an den Hals wünschten- und umgekehrt- sie jedenfalls konnte keinen wesentlichen Unterschied zwischen den Kleinstädten feststellen.
Beide erschienen ihr gleichermaßen starrköpfig und stur.
Aber wer weiß, vielleicht öffnete das Reisen ja auch den Geist, und dabei war sie noch nicht einmal über die Müritz hinausgekommen.

So sinnierte sie noch eine reichliche Weile vor sich hin, als sie feststellte, dass die herrliche Weite des Himmels plötzlich verschwunden war.
Die dünne Besiedlung Ihrer Heimat hatte sie schon immer als wohltuend empfunden, liebte sie doch Ihre ausgedehnten Wald – und feldwanderrungen, bei denen ihr stundenlang keine Menschenseele begegnete.

In Brandenburg sah die Landschaft ganz anders aus.
Sie konnte förmlich spüren, dass Berlin, diese überdimensional große, laute Stadt nicht mehr weit sein konnte.
Jetzt hatte sie das Gefühl, vertrauten Boden verlassen zu haben. Jetzt wurde ihr bewußt, dass sie wirklich unterwegs war.

Auch waren die beiden Damen längst verschwunden als der Zug einen der vielen Bahnhöfe unserer bundesdeutschen Hauptstadt erreichte.
Jetzt wurde es voll im Abteil, und Unmengen wild durcheinanderredender Preußen betraten die Szene.
Vorbei war es mit der behaglichen Ruhe. Sie würde wohl oder übel Platz machen müssen.
Tja, wat mut dat mut....

Mein Gott , nicht nur dass die neuen Passagiere viel redeten, nein, der preußische Dialekt war auch nicht gerade Musik in Ihren Ohren.

„ Spreck Platt, dann verspreckst di nich.“ sagte ihr Großvater allzu oft. Recht hat er dachte sie.

Zum Glück musste sie bald umsteigen.
Berlin Hauptbahnhof- das klang doch schon mal gut, und ein Stündchen Aufenthalt zum Magenfüllen und Bummeln kam Ihr nicht ganz ungelegen.

Geschafft- es war Ihr tatsächlich gelungen, den Zug unbeschadet zu verlassen und ins Freie zu gelangen- oder genauer gesagt, in die untere Ebene des Bahnhofes , welche von ihren Schöpfern den bedeutsamen Namen „ Berlin tief“ erhalten hatte.
Da stand sie nun leicht bedröppelt in „ Berlin tief“ und atmete erst einmal kräftig aus.
Das einheitliche Grau der unteren Ebene ludt nicht gerade zum Verweilen ein.
Aber in den oberen Etagen sollten angeblich tolle Geschäfte sein, hatte sie neulich von Kollegen gehört.

Die Rolltreppe am Ende des Gleises führte sie in eine bunte Warenwelt, welche das Herz der jungen Dame spontan etwas höher schlagen ließ.
Mode, Schuhe, Schmuck, alles konnte man hier kaufen, und gelangweilte Reisende, welche auf verspätete Züge warteten waren bestimmt sehr gut für`s Geschäft.
Auch sie würde die Wirtschaft etwas ankurbeln, hatte sie beschlossen.
Nachdem sie das versprochene Souvenir für ihre kleine Nichte besorgt hatte, würde sie mal ganz unverbindlich nach Riemchensandalen gucken.
Um kostbare Zeit für den potenzialen Schuhkauf zu sparen, beschloss sie die Frau im Zeitungskiosk an der Ecke nach einem Souvenirladen zu fragen.
Aber auf Ihre freundliche Frage erhielt sie nur ein trockenes „dit weess ick och nich“ als Antwort.

„Da sag` noch einer wir Fischköppe seien unfreundlich“ dachte sie sich und ging trotzig auf den nächstbesten Laden zu.
Dieser entpuppte sich interessanterweise als eine allgemein bekannte Kette für Modeschmuck, welche zwar nicht unbedingt für besondere Qualität stand, aber dafür herrlich günstig war.
Sie war sich sicher, dass dieser Umstand keineswegs ein schlechtes Omen für ihre Reise darstellte, schließlich konnte man Schmuck immer gebrauchen.
Eine Halskette, zwei Ringe und drei Armbänder später stellte sie fest, dass die Zeit im Nu verflogen war.
16. 43 Uhr, Gleis 18, Leipzig Hauptbahnhof – fasste sie zusammen.
„ Na denn man tau!“ ermahnte sie sich.
Auf jeden Fall würde sie nicht nocheinmal den Fehler machen, einen Hauptstädter irgendetwas zu fragen.
Stattdessen besann sie sich auf ihre weibliche Intuition.

Diese führte sie an allerlei Orte, nur von Gleis 18 war keine Spur.

Da vernahm sie seltsame Laute:
Zwei Frauen ihres Alters unterhielten sich fröhlich, lautstark in sächsischer Mundart.
Sie lauschte ihnen eine kurze Weile, unterdrückte ein Kichern und fragte mutig nach Gleis 18.
„ Geen Problem, da müssmor och hin. Gennse mitgomm`!“
Den Wortschwall, der sich anschließend über sie ergoss, ertrug sie dankbar, denn ohne die netten Sachsenmädels hätte sie bestimmt den Zug verpasst
Sie teilten sich einen der heißbegehrten Vierertische und das ein oder andere Bemmchen.
Die Zeit verging rasend schnell, und wenn man sie erst einmal verstand waren sie unglaublich offen und herzlich die Sachsen.
Wahrscheinlich fühlte sich ihre Freundin deshalb so wohl dort, dachte sie.

In Leipzig angekommen, musste es plötzlich sehr schnell gehen, denn die 10 Minuten Verspätung ließen den Puffer zum entspannten Umsteigen erheblich schrumpfen.
Aber so ein kurzer Sprint am Abend tat dem müden Kreislauf gut, und wieder einmal saß sie dankbar in einem Zug.
Dieser war angenehm leer.
So konnte sie ganz in Ruhe die Landschaft in der Dämmerung genießen.
Sie liebte die Abendstimmung.
Das Licht war besonders und die Betriebsamkeit des Tages war einer wohltuenden Gelassenheit gewichen. Es war spürbar Feierabend in Sachsen- herrlich!
Jetzt war sie einfach nur zufrieden.
Sie wusste, eine Flasche Rotwein und gute Gespräche waren nicht mehr weit.

 

Hallo Nati, sei willkommen in diesen virtuellen Hallen!

Reisezeit ist immer auch Geschichtenzeit - man trifft viel Volk und lernt verschiedenste Menschen sogar kennen, wenn man ein bisschen aufgeschlossen und neugierig ist, tauscht sich mit denen über bereits Erlebtes aus und erlebt Neues. Bei einer Bahnfahrt beweist das vorbeifliegende Land aufs Schönste den Satz, alles ist im Fluss, ohne dass man selbst handeln muss, um das Ziel zu erreichen. Relaxte Dynamik, Züge sind so swaaaaag! Diese Stimmung finde ich hier nachfühlbar rübergebracht, weswegen sich die Geschichte gut weglesen ließ.

Länger allerdings dürfte sie kaum sein. Wenn du mit den vorhandenen Mitteln über die aktuelle Zeichenzahl hinaus unterhalten willst, müsste schreiberisch gehandelt werden! Du könntest dich auf die Pommern-Klischees konzentrieren, die entweder:
- weiter ausgewalzt werden, nach dem Motto, dass ein schlechter Witz wie Eintopf mit wiederholtem Aufwärmen erst richtig Geschmack entwickelt;
- abgewandelt werden, um dem Leser Neuigkeiten bieten zu können;
- überspitzt werden, um sie anschaulicher zu machen und durch die zunehmende Absurdität auch hier - zu unterhalten;
- oder, was in der vorliegenden Erzähltaktik - Erzähler dicht an Figur, die die Vorurteile über die Pommern unkritisch als Tatsachen hinzunehmen scheint - in meinen Augen am interessantesten und sinnvollsten wäre: Drei Pommersche Eigenheiten zu Beginn klar benennen, als erinnerte Sprichwörter des Großvaters beispielsweise (hochplattes Platt aber 'übersetzen'!:D), und die Figur dann in Situationen stecken, in denen sie durch ihr Verhalten Klischees bestätigt und widerlegt. Kann auch sein, dass die Geschichte nach einer Ich-Erzählerin ruft.

Das mit der Recknitz fand ich interessant, das wusste ich nicht! Wobei diese territorialen Streitigkeiten ja kein Merkmal der Meckis oder Pommern sind - die wenigsten Völker kommen ohne solchen Zwist aus. Anders hingegen sieht es mit der Sturheit aus, die wird besonders den Mecklenburgern nachgesagt und ich muss sagen, wenn ich mir mal meinen Freundes- und Familienkreis ansehe, oder einen Spiegel, kann ich das bestätigen. Manche haben richtige kleine Hörner vom ganzen Stursein! Ganz ohne Hut. Dass der Pommer nicht gerne reist, kann ich eingeschränkt bestätigen. Es gibt wohl besonders viele junge Pommern, die so richtig scharf auf Haus und Hof sind, my home ist my castle, aber gleichwohl gibt es auch besonders viele sehr unternehmungslustige Leute dort. Vielen ist das Reisen ein Muss heutigentags, weißte bestimmt, schließlich hat das Bundesland die Landkreise mit der höchsten Arbeitslosigkeit - wer zurück bleibt, hat zumeist keinen Gestaltungswillen für die eigene Zukunft. Aber als Pauschalurteil würde ich das, im Gegensatz zu der Sturheit, nicht unterschreiben.

Jetzt wurde es voll im Abteil, und Unmengen wild durcheinanderredender Preußen betraten die Szene.

in Sarrazins Utopia wäre das sicher so! realiter ist die Menge in Berlin gesellschaftlich und kulturell durchmischt wie kaum sonst in Deutschland. das hier klingt nach einem Berlin zu Zeiten des alten Fritz.

Regina musste schmunzeln, denn der uralte Zwist zwischen Mecklenburg und Vorpommern erschien Ihr plötzlich unnötig und kindisch.

solche Beobachtungen über die Doofheit der Leute lassen sich immer wieder gut unterbringen, die sind häufig wahr und lassen sich schmissig formulieren. Figuren allerdings, die austeilen, sollten den kritischen Blick bisweilen an der eigenen Erscheinung erproben ;-) man könnte sie auch mit fiesen Fehlern oder Schwachheiten ausstatten, um des Lesers Gerechtigkeitssinn zu befriedigen. so ganz gemein und ungerecht deinen Helden durch die Welt klagen und fluchen zu lassen geht natürlich auch, ist aber eher was fürs fortgeschrittene Schreiben und eine ehrlich empfunden und oft erprobte Menschenfeindschaft. aber das führt gerade weit über deinen Text hinaus, die letzten siebeneinhalb Zeilen hättest du eigentlich nicht lesen müssen.

Da stand sie nun leicht bedröppelt in „ Berlin tief“ und atmete erst einmal kräftig aus.
Das einheitliche Grau der unteren Ebene ludt nicht gerade zum Verweilen ein.

ich bin bestimmt nicht das einzige Halblandei, das völlig geflasht war, als es dieses amerikanisch dimensionierte Techno-Babel zum ersten Mal sah. das ist ja der totale Gegensatz zu Reginas gewohnter Umgebung, daraus ließe sich bestimmt mehr rausholen!

Spreck Platt, dann verspreckst di nich. / Na denn man tau! / Wat mut, dat mut.

das riecht nach Ostsee-Wind und alten Fischersleut, die Netze flicken und schwarzen Tee trinken, während sie übers Wetter orakeln! ich kenn leider niemanden mehr, der das richtig sprechen kann. mein Großvater gibt ab und an ein paar Schätze aus dem Platten zum Besten. vielleicht ist dir folgende Weisheit zur angemessenen Lebensführung auf Mecklenburger Art neu:
"freten slopen suppen langsam gahn und puppen"

schöne Zeit noch hier,
Kubus

 

Hallo Kubus,

danke Dir für Deine sehr hilfreichen Anregungen - die kann ich als "Schreiberfrischling" gut gebrauchen!
Witzig ist, daß mein Vater als waschechter Mecklenburger diesen Spruch auch immer wieder gerne sagt:-)
Genauso wie: " Supp di duhn un frett di dick, un hol` din Mul von Politik."
Beste Grüße,
Nati:-)

 

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