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Untergeschoss

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08.03.2011
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Untergeschoss

Es war nicht seine erste Leiche, die er herunterbringen musste. Aber es war doch immer das gleiche, umklammernde Gefühl in der Brust dabei, wenn er es tat. Sich so richtig daran gewöhnen war wohl nicht möglich, auch nach elf Jahren im Pflegedienst nicht.
Mit einem leisen Surren öffnete sich die Fahrstuhltür. Er stemmte sich gegen den Rahmen des Krankenhausbettes und mit einem leichten Ruck bewegte es sich ins Innere des Fahrstuhls. Zielsicher drückte er mit seinem Finger auf U – Untergeschoss.
Die Fahrstuhltüren setzten soeben zum Schließen an, als ihre Bewegungen abrupt unterbrochen wurden. Eine Hand umfasste die Fahrstuhltür.
»Warte, Tom! Ich komme mit.«
Mit einer flinken Bewegung schlüpfte Beate in den Fahrstuhl.
»Bringst Du sie jetzt nach unten?«, fragte sie.
»Ja.«
»Ist das der Darmtumor?« In Beates Augen blitzte die unbändige Neugierde einer Schwesternschülerin im ersten Lehrjahr auf.
»Das ist Frau Berkenmeier.« Tom schaute auf das weiße Bettlaken, das dezent die Silhouette eines weiblichen Körpers wiedergab. Obwohl der Leichnam sorgfältig umhüllt und vor jedem Blick geschützt war, konnte man die Anwesenheit des menschlichen Wesens spüren. Zumindest solange man diese Gefühlsnähe zuließ.
»Aber die ist doch am Coloncarcinom gestorben, oder?«, hakte Beate mit naiver Verwunderung nach.
Tom ließ seinen Blick langsam zu Beates Augen wandern.
»Ja. Colon-CA. Sie haben Sie aufgemacht und gleich wieder zu. Da war nichts mehr zu retten.«
»Wäre gerne dabei gewesen«, seufzte Beate. Tom schaute sie bewegungslos an. »Ich meine natürlich rein wegen der Erfahrungswerte und so.«
»Natürlich«, entfuhr es Tom. Er senkte seinen Kopf und schaute wieder auf das Bettlaken. »Natürlich«, dachte er.

Mit einem leichten Ruck stoppte der Fahrstuhl. Die Türen öffneten sich. Der dunkle Flur dahinter wurde nur durch das trübe Neonlicht der Fahrstuhlkabine erkennbar. Tom trat heraus und fuhr mit seiner Hand über den Lichtschalter. Mit einem lauten Klicken erwachten nacheinander die Leuchtstoffröhren in dem schmalen Flur.
Tom griff nach dem Bettrahmen und zog mit Kraft das Bett aus dem Fahrstuhl.
»Wir müssen Sie nun auf die Bahre umbetten«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Zieh dir Einmalhandschuhe über.«
Beate trat mit vorsichtigen Schritten in den Flur. »Ganz schön gruselig hier.« Sie ließ ihren Blick prüfend durch den gefliesten Flur wandern. In der Mitte stand ein Gestell mit großen Rädern und einer darauf befestigten Bahre. Das Gefährt machte auf Beate einen ziemlich alten und klapprigen Eindruck.
»Hilf mir bitte mit dem Bettlaken. Halt mal den Wäschesack auf«, bat Tom.
»Den hier?«, fragte Beate und hielt dabei einen Leinensack hoch, der auf dem kleinen Tisch neben der Bahre gelegen hatte. »Ja, genau den«, bestätige Tom und zog mit einer langsamen Bewegung das Laken von der Leiche. Er legte es zusammen und stopfte es in den Wäschesack, den Beate ihm, mit beiden Händen fest zupackend, aufhielt.
»Mach ihn zu und stell ihn dort in die Ecke«, sagte Tom und zeigte auf die Raumecke neben der Fahrstuhltür. Beate bugsierte den Sack mit leichtem Schwung an die vorgesehene Stelle. Sie drehte sich herum und trat an das Bett.
»Sieht ganz schön ausgemergelt aus. Kein schöner Tod.«
»Wer bei uns stirbt, hatte keine Chance«, zitierte Tom das Credo des Professors.
»Da bleibt am Ende nicht viel.«
»Wie alt war sie?«, fragte Beate ohne den Blick von den nicht ganz geschlossenen Augenlidern der Leiche abzuwenden.
»87.«
»Stolzes Alter« entschied Beate.
»Komm, hilf mir sie auf die Bahre zu legen. Ich nehme sie am Oberkörper und Du greifst an die Beine«, erklärte Tom während er die Bahre neben das Bett schob.
Beate stellte sich neben ihm auf und griff über die Bahre nach den Beinen der Leiche.
Tom zählte: »Auf drei. Eins – zwei – und zieh!« Mit einem Ruck zogen beide am Körper der Frau und zu Beates Überraschung glitt die Leiche mit wenig Aufwand auf die Bahre.
»Wiegt ja nicht mehr viel, die Gute«, bemerkte sie erstaunt.
»Am Ende bleibt nicht viel«, wiederholte Tom.
»Bleibt sie jetzt so nackt hier liegen?« fragte Beate verwundert.
»Nein, da drüben, der Metalldeckel, den legen wir auf die Bahre.« Tom machte einige Schritte in den Flur und griff die metallene Haube, die an der Wand lehnte.
»Hilf mir mal.«
Tom und Beate hoben den Metalldeckel vorsichtig über den Leichnam und legten ihn langsam auf der Bahre ab. Die Leiche verschwand unter der kalten, eisernen Hülle.
»Die zweite Tür da vorne rechts. Mach die mal auf.« Tom deutete auf eine große Schiebetür in der Mitte des Flurs.
Beate ging darauf zu und drückte den übergroßen Hebel an der Tür mit einiger Mühe nach unten. Dann schob sie die massige Tür langsam zur Seite. Ein Schwall kühler, merkwürdig süßlich riechender Luft kam ihr entgegen.
»Hab ich mir immer ganz anders vorgestellt so einen Raum«, dachte Beate laut. Sie schaute sich um. Hässlich grüne Kacheln bedeckten Boden und Wände in dem kleinen Raum.
»Ich dachte es gibt hier Kühlfächer. Mit Namensschildern dran«. Verwundert blickte sie Tom an.
»Das gibt es im Fernsehen oder in großen Kliniken vielleicht.« Tom zuckte mit den Schultern. »Bei uns muss die Bahre reichen.«
Vorsichtig schob er die Bahre in die Mitte des Raumes.
»Das wars.« Tom zog seine Einmalhandschuhe aus.
»Das wars« wiederholte Beate. »Und jetzt?« Beate schaute Tom fragend an.
»Gleich ist halb neun. Die Patienten haben Ihr Frühstück. Ich würde sagen wir essen auch erst mal was.«

 

Hallo Kornblume und willkommen auf kg.de :)

Dein Einstand kommt mit einem sehr alltäglichen Thema daher, aber von dieser Seite wird er selten beleuchtet. Insofern hat mir das Lesen schon mal gefallen, weil es nicht in die üblichen Gefilde ging.
Der Kontrast zwischen deinen beiden Protagonisten ist sehr deutlich, vielleicht etwas zu deutlich, an manchen Stellen schon plakativ. Ich würde da etwas runterschrauben.
Generell vertruast du deinen Dialogen nicht so recht, da kommen zu viele Begleitsätze vor, die dem Leser zu sehr auf die Nase reiben, was denn wie gemeint ist. Da wäre weniger mehr und würde schon etwas von diesem plakativen abtragen.

Bsp:

»Mach ihn zu und stell ihn dort in die Ecke«, bat Tom und zeigte auf die Raumecke neben der Fahrstuhltür. Beate bugsierte den Sack mit leichtem Schwung etwas umständlich an die vorgesehene Stelle. Sie drehte sich herum und trat an das Bett.
»Sieht ganz schön ausgemergelt aus. Kein schöner Tod«, philosophierte sie.
»Wer bei uns stirbt, hatte keine Chance«, zitierte Tom das Credo des Professors, »Da bleibt am Ende nicht Viel.«
»Wie alt war sie?«, fragte Beate ohne den Blick von den nicht ganz geschlossenen Augenliedern der Leiche abzuwenden.
»87.«
»Stolzes Alter«, entschied Beate.
»Komm, hilf mir sie auf die Bare zu legen. Ich nehme sie am Oberkörper und Du greifst an die Beine«, erklärte Tom
das ist zu viel des Guten. Oft können die Begleitsätze ganz weg, sagen und fragen ist oft das beste, weil es nicht überläd und den Leser mit einbezieht

Insbesondere im ersten Teil gehst du auch sehr inflationär mit den Adjektiven/Adverbien um. Da solltest du auf jeden FAll ausdünnen:

Mit einem leisen Surren öffnete sich die silbern glänzende Fahrstuhltür. Er stemmte sich gegen den Rahmen des Krankenhausbettes und mit einem leichten Ruck bewegte es sich ins triste Innere des Fahrstuhls. Zielsicher drückte er mit seinem Zeigefinger auf U – Untergeschoss. Die runde Taste leuchtete prompt auf.
Die Fahrstuhltüren setzten soeben zum Schließen an, als ihre Bewegungen abrupt unterbrochen
weniger ist mehr. Würde den Text danach noch mal durchforsten.

Der Schlusssatz soll wohl eine Anspielung auf den Satz Am Ende bleibt nicht viel sein, den du mehrmals streust. Das zündet bei mir nicht so recht. Durch das Anfügen von Zeit ist das irgendwie zu gekünstelt, bzw die Anlehung wird hier zu sehr strapaziert.
Man könnte es auch so lösen, dass du Zeit weglässt und deine Prota sich fragen muss, ob Tom sich versprochen hat, oder wie er das gemeint hat. Oder so ähnlich. Nur eine erste spontane Idee. Vielleicht hast du den Satz auch gar nicht deswegen gewählt, so oder so würde ich mir das etwas runder wünschen.

Und wo wir schon beim letzten Satz sind, mit dem ersten fängst du den Leser schön ein. Allerdings würde ich nach musste einen Punkt setzen, weil er doch recht lang ist und so etwas von seiner Durchschlagskraft einbüßt.

Trotz meiner Kritik ein gelungener Einstand hier :)
Viel Spaß beim Schreiben, Lesen und Kommentieren auf kg.de

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Kornblume

Die Geschichte schildert einen Aspekt nüchternen Alltags in einer Klinik, etwas das man eigentlich eher im Dunkeln lässt. Es ist realistisch geschrieben, einige kleine Anmerkungen dennoch nachfolgend. Einen Moment stutzte ich bei der Figur von Beate, natürlich nicht das Äussere, das blieb verborgen, aber ihre Reaktion auf die Tote. Für eine Auszubildende im ersten Jahr etwas vorlaut. Auch reagieren ja viele Menschen die erstmals einen Leichnam wahrnehmen, eher distanziert. Doch, es hängt natürlich vom Temperament und Charakter ab, bei genauer Betrachtung schien mir ihre Rolle dann doch sehr plausibel.

»Wir müssen Sie nun auf die Bare umbetten«, erklärte er mit ruhiger Stimme.

Bahre, ebenso an weiteren Stellen.

... und ließ dabei ihren Blick prüfend durch den wand gefliesten Flur wandern.

Hier stutzte ich durch die Formulierung wand gefliesten Flur. Sagt man dem so? Ich stellte mir schon vor, das dort auch die Wände mit Fliesen ausgelegt waren, aber ich hätte es anders umschrieben.

Beate bugsierte den Sack mit leichtem Schwung etwas umständlich an die vorgesehene Stelle.

Hier las ich das etwas umständlich beinah so, als sei der Wäschesack nun plötzlich schwer gefüllt und gross, was ja nicht sein kann, wegen einem Leintuch.

»Wer bei uns stirbt, hatte keine Chance«, zitierte Tom das Credo des Professors, »Da bleibt am Ende nicht Viel.«

Nach Credo des Professors würde ich einen Punkt setzen, auch wenn die direkte Rede nochmals einsetzt. Und viel klein.

Mit einem Ruck zogen beide am Körper der Frau und zu Beates Überraschung glitt die Leiche mit wenig Aufwand auf die Bare.

Ich denke, du hast noch nie einen Leichnam hochgehoben, oder? Da ein Verstorbener selbst nicht mehr mithilft, fühlt er sich dadurch schwerer an. Mit wenig Aufwand suggeriert hier eine Leichtigkeit, die es so nicht ist, auch wenn ein Körper relativ ausgemergelt ist. Vielleicht fällt die hier eine etwas andere Formulierung ein, ohne den weiteren Inhalt zu tangieren.

»Nein, da drüben, der Metalldeckel, den legen wir auf die Bare.

Verwendet man heute einfach metallene Hauben? Früher waren es röhrenartige Metallwannen auf Rädern mit seitlich abschiebbarem Deckeln.

»Ich dachte es gäb hier Kühlfächer. Zum Herausziehen. Mit Namensschildern dran.

Ist es in kleinen Kliniken nicht Usus, den Toten je ein Namensschild an den grossen Zehen zu binden, bevor sie dann in die Pathologie kommen? Übrigens gäb dünkt mich Dialekt, vielleicht besser: gibt.

Hat mir gut gefallen die Geschichte, der Blick ins Untergeschoss, wenngleich das am Ende bleibt nicht viel Zeit, beinah etwas pathetisch klingt.

Gruss

Anakreon

 

Hallo zusammen!

vielen Dank für Eure ausführlichen Kritiken. So macht es Spaß den Text zu verbessern und auszubauen!

@weltenläufer:
Sowohl Deine Kritik bezüglich der Begleitsätze, als auch zu den Adjektiven/Adverbien ist sehr hilfreich für mich. Ich war in der Tat unentschlossen, ob die Dialoge aussagekräftig genug sind.
Der Schlusssatz war ein Schnellschuss, das muss ich gestehen.

@Anakreon
Auch Dir vielen Dank für Deine ausführlichen Anmerkungen. Die Ba(h)re ist mir unerklärlich. Werde ich schnell ausbessern.

Gruss

Kornblume

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Kornblume,
auch von mir ein herzliches Willkommen bei kg.de!

Deine Geschichte war flüssig zu lesen und hat auch die Atmosphäre von der Leichenkammer des Krankenhauses gut wiedergegeben.
Dass es solche abgebrühten Lernschwestern wie Beate gibt, denen nichts nahegeht und die nur an dem medizinischen Fall interessiert sind und nicht daran denken, dass dieser Leichnam mal eine Frau mit einer Vergangenheit war und eventuell Angehörige hat, die nun um sie trauern, kann ich mir gut vorstellen.

Gruß
Leia4e

 

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