Was ist neu

...und sein letztes Wort war doch "nein"

Mitglied
Beitritt
02.04.2002
Beiträge
395
Zuletzt bearbeitet:

...und sein letztes Wort war doch "nein"

Der Bus, der ihn brachte, fuhr noch einmal an ihm vorbei, als Moritz seinem Ziel immer näher kam. Keiner konnte mit der furchtbaren Tat des so fröhlich wirkenden jungen Mannes rechnen. Als er in den Bus einstieg, grüßte er den ihm unbekannten Busfahrer noch mit einem fröhlich grinsenden „guten Morgen“.

Da Moritz sich seiner Sache so sicher war, wurde er zu einem überzeugendem Schauspieler, denn in Wirklichkeit sah es in ihm ganz anders aus: Graue Wolken verdeckten ihm die Sicht auf die Realität, es kam ihm so vor, als wenn sich der Boden unter seinen Füßen auflösen würde, ohne dass es irgendjemanden oder irgendetwas geben würde, das ihn hält. Er hatte sich mit seinen Problemen immer mehr versteckt und eine Mauer um sich aufgebaut, so dass niemand mehr an ihn heran kam. Sein Freundeskreis war somit zerstört; er stand mit seinen Problemen ganz alleine da. Der junge Mann fühlte sich einsam, unnütz und irgendwie leer, hatte jegliches Gefühl für wahr oder unwahr, richtig oder falsch verloren. Moritz schaute sich um und erblickte nichts als eine graue, kalte Leere. Auch an seine Familie konnte er sich nicht mehr wenden, denn die hatte genug mit sich selbst zu tun. Alles in seinem Leben schien von Anfang an schief zu laufen. Nichts schien mehr einen Sinn zu machen, alles war so falsch, so sinnlos und es gab keinen Ausweg mehr. Er fragte schon gar nicht mehr warum er sich umbringen sollte, der potenzielle Suizident fragte sich, warum er es nicht tun sollte. Früher hatte der junge Mann sich bei unschönen Erfahrungen immer mit der Möglichkeit beruhigen können einfach alles hinzuschmeißen und seinem Leben ein Ende zu bereiten. Nun war dieser Moment gekommen, an dem er das Leben nicht mehr ertragen wollte.

Die permanent vorhandenen Gegenstimmen in ihm kämpften gegen sein Vorhaben an. Es war wie ein Boxkampf mit einem Ring aus einer hohen Mauer. Niemand konnte von Außen in diesen Ring hineinsehen und ihm blieb der Blick nach draußen verwehrt, sodass seine graue Welt für seine Umwelt verborgen blieb und er die farbenfrohe Welt außerhalb nicht sah. „Bring dich um, es hat doch keinen Sinn mehr“, forderte die dunkle Seite ihn ihm und schlug zu. Am Anfang war Moritz Lebensmut noch stark genug auszuweichen und zurückzuschlagen: „Nein, ich werde nicht aufgeben! Hau´ ab! Hau´ endlich ab!“ Doch die dunkle Seite wurde immer stärker, bis sich sein Lebensmut eingeschüchtert in eine Ecke setzte und „HILFE!“ schrie. – Doch niemand hörte es. Moritz hatte den Kampf gegen sich selbst verloren, gab der dunklen Seite Recht. Diese hatte den jungen Mann davon überzeugt, dass es keinen Unterschied macht ob er sich jetzt selbst tötet oder irgendwann im Alter entschläft. Eine schauderliche Nacktheit der Realität schien Besitz von ihm zu Erlangen: „Wir werden geboren, setzen weitere Menschen in die Welt und sterben wieder in einem nahezu unaufhörlichem Kreislauf der Evolution. Es gibt keinen Sinn im Leben.“ Moritz war sich sicher, dass das Leben nichts weiter zu bieten hat. Seine Vergangenheit schien ihm auch die Zukunft zu weisen. Die Schläge und Beschimpfungen seines Vaters saßen wie eine tonnenschwere Last auf seinen Schultern. Ihm bewusst, dass auch sein alkoholkranker Vater keine schöne Vergangenheit gehabt haben kann, was ihn völlig verzweifeln ließ, denn der immer mehr resignierende junge Mann glaubte daran, dass niemand ein wirklich schönes Leben hat und es somit auch unmöglich sei sein eigenes Leben zu verbessern. „Ich will nicht mehr, ich will nicht mehr“, dachte er immer wieder, bis er sich für diese endgültigen Lösung entschied.

Moritz stellte einen kleinen Tritt vor die Plexiglasscheibe des Brückengeländers. Er war schon oft an diesem Ort gewesen, da ihn hohe Bauwerke magisch anzogen und so wusste er, dass es ohne Hilfsmittel nicht möglich gewesen wäre über das Geländer zu klettern. Der zu allem Entschlossene stellte den Tritt direkt über der kleinen Straße, die ca. 50m tiefer unter der Brücke lang führte ab und zitterte am ganzen Körper. Moritz hatte große Angst vor dem, was er vor hatte und dennoch klappte er die Stufen des Tritts aus und betrat die erste Stufe, während er anfing zu Weinen.

Die Brücke vibrierte unter den vorbeifahrenden LKWs und er konnte nicht mehr sagen ob die Brücke mehr zittern würde als er selbst. Sein Brustkorb zog sich schmerzend zusammen, als wenn er starke Seitenstiche hätte. Sein Atem wurde intensiver, sein Puls stieg ins Unermessliche. Alles um ihn herum verschwand und wurde grau, er dachte an den Tod und wie nah er ihr war. Ein gewaltiger Platzregen seiner Tränen überwältigte den jungen Selbstmörder als er sich noch einmal in Erinnerung rief, dass dieser alles beendet. Kein Himmel, keine Hölle, kein Paradies oder Wiedergeburt. Einfach gar nichts mehr. Ende. Und doch setzte er seinen Weg unbeirrt fort. Mit zittrigem, ängstlichen und doch sehr direkten Schritt stieg Moritz auf die zweite Stufe, auf den Tritt und schließlich auf das Gelände der Brücke. Er bemerkte nicht, dass mehrere besorgte Autofahrer angehalten hatten und auf ihn zuliefen, während sie ihm zuriefen, er solle es nicht tun. Der Suizident, der eigentlich noch am Anfang seines Lebens stand, stand oben auf dem Gelände, drehte sich zur Straße um und sah durch seine tränengetrübten Augen die Leute, die scheinbar in Panik geraten waren. Mit den flüsternden Worten „Es tut mir leid“ ließ er sich nach hinten fallen.

Ein heftiger Herzschlag ließ ihn wissen, dass er noch am Leben war, doch es war zu spät, die Helfer konnten ihn nicht mehr rechtzeitig erreichen, er fiel.

Kaum hatte die Schwerkraft ihm den Kontakt zum Brückengeländer entrissen, musste Moritz plötzlich an längst vergessene, scheinbar unwichtige, glückliche Sequenzen seines Lebens denken: Sonnenaufgang mit seiner Freundin im Arm – Vereinstreffen am See – das Lächeln seiner kleinen Schwester.

Er dachte plötzlich an nichts Schlechtes mehr, merkte aber, dass er unaufhaltsam auf den Boden zuraste. Seine Gedanken schienen alle Gleichzeitig durch seinen Kopf zu rasten. Und was wird aus seiner kleinen Schwester, die sich jetzt ganz alleine gegen seine Eltern wehren musste? Was tut er dieser kleinen Seele an??? Es wäre nicht unmöglich gewesen sich einen neuen Freundeskreis aufzubauen und vielleicht hätte er sogar seine verlorene Zeit nachholen können. Mit der richtigen Hilfe wäre der einsichtige junge Mann vielleicht auch mit seiner Vergangenheit klar gekommen.

Die grauen Wolken lösten sich und Licht erreichte seine Seele, doch es war zu spät, der Boden war bedrohlich nahe, die Grenze zwischen Leben und Tod verschwand. Ein unglaublich heftiger Impuls durchfuhr Moritz, als er sich dessen bewusst wurde und im letzen Augenblick schrie er aus voller Seele, so dass es durch Mark und Knochen aller Augenzeugen ging: “NEIIIIIIIIIIIIIIIIIIN!!!“

 

Hi Emil,
diese Kritik kam wirklich sehr überraschend. Du hattest zwar gesagt, dass du was von mir lesen wolltest, aber ausgerechnet die älteste Story. Naja, ich habe sie inzwischen im Englischunterricht verfilmt (also auf englisch) Da habe ich die Gewissens-Geschichte verwendet. (Ich erinnere mich nicht wirklich an diese Diskussion, ich hoffe, ich wiederhole mich nicht.)

Mit dem Satz wollte ich wohl zum Ausdruck bringen, dass ihm nichts mehr von seinem Vorhaben abhielt und dass seine Angst vor dem Sterben in dem Augenblick ausgeschaltet war. Und er sieht eben keine Gründe dafür am Leben zu bleiben.

Ich hatte mal angefangen ne neue Version zu schreiben, aber die paar Sätze vergammeln hier gerade... Vielleicht schau ich doch nochmal drüber...

Hier sind sie:

Moritz bog um die Ecke, um ihren Blicken zu entkommen. Er hatte sich entschieden und sie hatte keinen Einfluss mehr. Moritz dachte noch einmal darüber nach, wer sie war und warum er zu ihr gegangen war. Eine logische Erklärung fand er nicht und dennoch würde er es nie bereuen. Seine Gedanken sind so ungeordnet gewesen und er hatte einfach einen Ort gesucht, an dem er sie sortieren konnte. Aber eine Kirche? Moritz war Atheist und blieb es auch. Dennoch kam er fast täglich her und schaute auf die Statue, die vor dem gekreuzigen Jesus kniete. Sie weinte und Blick war nur halbwegs auf ihren Sohn gerichtet. Sie guckte gleichzeitig zu der Stuhlreihe, in der Moritz sich jedes Mal setzte.

Der Bildhauer hat ihrem Gesicht einen starken Ausdruck verliehen und so fühlte sich Moritz nicht alleine, wenn er ihr gegenüber saß. Maria hatte ihren Sohn verloren und schien zu verzweifeln. Moritz guckte sie immer wieder an und überlegte, ob seine Mutter genauso reagieren würde. Die Frau sah verzweifelt aus und Moritz wollte seiner Mutter dieses Gefühl eigentlich nicht antun.

Ihre Blicke blieben ihm deutlich in Erinnerung. Es kam ihm bereits fast so vor, als wollten sie etwas aussagen, ihm etwas mitteilen. "Moritz, das ist mein Sohn. Er ist tot. Tu deiner Mutter dieses Gefühl nicht an" oder "hilf mir, Moritz, hilf mir"

Er lehnte sich langsam gegen die Kirchmauern und guckte in den Himmel.

 

Hallo Anika,

du hast einen Film daraus gemacht? Wie kann man sich das vorstellen? Mit Freunden und Camrecorder die Szenen nachgestellt? - Gerade die Gedankenszenen werden da eine besondere Herausforderung gewesen sein, schätze ich. Filmst du schon lange? Einige andere bei KG machen dies auch, so viel ich weiß. Als ich jünger war (griiiins) habe ich mit meinen Brüdern ähnliches gemacht: Lustige Szenen aus dem Fernsehen nachgestellt, um sie zu parodieren, z.B. Alf oder Bud Spencer. Naja, lange her.

Dein neuer Ansatz zu dieser Geschichte bringt ja wieder neue Elemente ins Spiel. Allein aus den vorgestellten Absätzen möchte ich dich mal vorsichtig auf eine eventuelle Schwierigkeit aufmerksam machen: Es geht los mit >Er hatte sich zum Selbstmord entschlossen< und geht danach in die Kirche. Gerade dort würde das Mitleid mit dem religösen Geschehen auf ihn übergreifen und sollte ihn normalerweise vom Selbstmord abhalten! In deiner Story soll aber doch die Einsicht von der Sinnlosigkeit des Selbstmordes >zu spät< kommen. So war es doch gemeint?

Schöne Grüße,
Emil

 

Den Film mussten wir im Englishunterricht drehen, nein, ich mache das nicht öfter. Die Gedanken wurden personifiziert. Ich war die Angst :D Dann war da halt noch Moritz und die dunkle Seite. Die beiden Gefühle haben halt auf Moritz eingeredet.

Warum sollte das religiöse Geschehen einen Atheisten vom Selbstmord abhalten? Ich denke schon, dass die Atmosphäre einer Kirche, wo man sich auch mal fallen lassen kann und genug Ruhe hat über alles nachzudenken sich nicht immer positiv auf die Psyche eines Menschen auswirkt.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom