Was ist neu

...und sein letztes Wort war doch "nein"

Mitglied
Beitritt
02.04.2002
Beiträge
395
Zuletzt bearbeitet:

...und sein letztes Wort war doch "nein"

Der Bus, der ihn brachte, fuhr noch einmal an ihm vorbei, als Moritz seinem Ziel immer näher kam. Keiner konnte mit der furchtbaren Tat des so fröhlich wirkenden jungen Mannes rechnen. Als er in den Bus einstieg, grüßte er den ihm unbekannten Busfahrer noch mit einem fröhlich grinsenden „guten Morgen“.

Da Moritz sich seiner Sache so sicher war, wurde er zu einem überzeugendem Schauspieler, denn in Wirklichkeit sah es in ihm ganz anders aus: Graue Wolken verdeckten ihm die Sicht auf die Realität, es kam ihm so vor, als wenn sich der Boden unter seinen Füßen auflösen würde, ohne dass es irgendjemanden oder irgendetwas geben würde, das ihn hält. Er hatte sich mit seinen Problemen immer mehr versteckt und eine Mauer um sich aufgebaut, so dass niemand mehr an ihn heran kam. Sein Freundeskreis war somit zerstört; er stand mit seinen Problemen ganz alleine da. Der junge Mann fühlte sich einsam, unnütz und irgendwie leer, hatte jegliches Gefühl für wahr oder unwahr, richtig oder falsch verloren. Moritz schaute sich um und erblickte nichts als eine graue, kalte Leere. Auch an seine Familie konnte er sich nicht mehr wenden, denn die hatte genug mit sich selbst zu tun. Alles in seinem Leben schien von Anfang an schief zu laufen. Nichts schien mehr einen Sinn zu machen, alles war so falsch, so sinnlos und es gab keinen Ausweg mehr. Er fragte schon gar nicht mehr warum er sich umbringen sollte, der potenzielle Suizident fragte sich, warum er es nicht tun sollte. Früher hatte der junge Mann sich bei unschönen Erfahrungen immer mit der Möglichkeit beruhigen können einfach alles hinzuschmeißen und seinem Leben ein Ende zu bereiten. Nun war dieser Moment gekommen, an dem er das Leben nicht mehr ertragen wollte.

Die permanent vorhandenen Gegenstimmen in ihm kämpften gegen sein Vorhaben an. Es war wie ein Boxkampf mit einem Ring aus einer hohen Mauer. Niemand konnte von Außen in diesen Ring hineinsehen und ihm blieb der Blick nach draußen verwehrt, sodass seine graue Welt für seine Umwelt verborgen blieb und er die farbenfrohe Welt außerhalb nicht sah. „Bring dich um, es hat doch keinen Sinn mehr“, forderte die dunkle Seite ihn ihm und schlug zu. Am Anfang war Moritz Lebensmut noch stark genug auszuweichen und zurückzuschlagen: „Nein, ich werde nicht aufgeben! Hau´ ab! Hau´ endlich ab!“ Doch die dunkle Seite wurde immer stärker, bis sich sein Lebensmut eingeschüchtert in eine Ecke setzte und „HILFE!“ schrie. – Doch niemand hörte es. Moritz hatte den Kampf gegen sich selbst verloren, gab der dunklen Seite Recht. Diese hatte den jungen Mann davon überzeugt, dass es keinen Unterschied macht ob er sich jetzt selbst tötet oder irgendwann im Alter entschläft. Eine schauderliche Nacktheit der Realität schien Besitz von ihm zu Erlangen: „Wir werden geboren, setzen weitere Menschen in die Welt und sterben wieder in einem nahezu unaufhörlichem Kreislauf der Evolution. Es gibt keinen Sinn im Leben.“ Moritz war sich sicher, dass das Leben nichts weiter zu bieten hat. Seine Vergangenheit schien ihm auch die Zukunft zu weisen. Die Schläge und Beschimpfungen seines Vaters saßen wie eine tonnenschwere Last auf seinen Schultern. Ihm bewusst, dass auch sein alkoholkranker Vater keine schöne Vergangenheit gehabt haben kann, was ihn völlig verzweifeln ließ, denn der immer mehr resignierende junge Mann glaubte daran, dass niemand ein wirklich schönes Leben hat und es somit auch unmöglich sei sein eigenes Leben zu verbessern. „Ich will nicht mehr, ich will nicht mehr“, dachte er immer wieder, bis er sich für diese endgültigen Lösung entschied.

Moritz stellte einen kleinen Tritt vor die Plexiglasscheibe des Brückengeländers. Er war schon oft an diesem Ort gewesen, da ihn hohe Bauwerke magisch anzogen und so wusste er, dass es ohne Hilfsmittel nicht möglich gewesen wäre über das Geländer zu klettern. Der zu allem Entschlossene stellte den Tritt direkt über der kleinen Straße, die ca. 50m tiefer unter der Brücke lang führte ab und zitterte am ganzen Körper. Moritz hatte große Angst vor dem, was er vor hatte und dennoch klappte er die Stufen des Tritts aus und betrat die erste Stufe, während er anfing zu Weinen.

Die Brücke vibrierte unter den vorbeifahrenden LKWs und er konnte nicht mehr sagen ob die Brücke mehr zittern würde als er selbst. Sein Brustkorb zog sich schmerzend zusammen, als wenn er starke Seitenstiche hätte. Sein Atem wurde intensiver, sein Puls stieg ins Unermessliche. Alles um ihn herum verschwand und wurde grau, er dachte an den Tod und wie nah er ihr war. Ein gewaltiger Platzregen seiner Tränen überwältigte den jungen Selbstmörder als er sich noch einmal in Erinnerung rief, dass dieser alles beendet. Kein Himmel, keine Hölle, kein Paradies oder Wiedergeburt. Einfach gar nichts mehr. Ende. Und doch setzte er seinen Weg unbeirrt fort. Mit zittrigem, ängstlichen und doch sehr direkten Schritt stieg Moritz auf die zweite Stufe, auf den Tritt und schließlich auf das Gelände der Brücke. Er bemerkte nicht, dass mehrere besorgte Autofahrer angehalten hatten und auf ihn zuliefen, während sie ihm zuriefen, er solle es nicht tun. Der Suizident, der eigentlich noch am Anfang seines Lebens stand, stand oben auf dem Gelände, drehte sich zur Straße um und sah durch seine tränengetrübten Augen die Leute, die scheinbar in Panik geraten waren. Mit den flüsternden Worten „Es tut mir leid“ ließ er sich nach hinten fallen.

Ein heftiger Herzschlag ließ ihn wissen, dass er noch am Leben war, doch es war zu spät, die Helfer konnten ihn nicht mehr rechtzeitig erreichen, er fiel.

Kaum hatte die Schwerkraft ihm den Kontakt zum Brückengeländer entrissen, musste Moritz plötzlich an längst vergessene, scheinbar unwichtige, glückliche Sequenzen seines Lebens denken: Sonnenaufgang mit seiner Freundin im Arm – Vereinstreffen am See – das Lächeln seiner kleinen Schwester.

Er dachte plötzlich an nichts Schlechtes mehr, merkte aber, dass er unaufhaltsam auf den Boden zuraste. Seine Gedanken schienen alle Gleichzeitig durch seinen Kopf zu rasten. Und was wird aus seiner kleinen Schwester, die sich jetzt ganz alleine gegen seine Eltern wehren musste? Was tut er dieser kleinen Seele an??? Es wäre nicht unmöglich gewesen sich einen neuen Freundeskreis aufzubauen und vielleicht hätte er sogar seine verlorene Zeit nachholen können. Mit der richtigen Hilfe wäre der einsichtige junge Mann vielleicht auch mit seiner Vergangenheit klar gekommen.

Die grauen Wolken lösten sich und Licht erreichte seine Seele, doch es war zu spät, der Boden war bedrohlich nahe, die Grenze zwischen Leben und Tod verschwand. Ein unglaublich heftiger Impuls durchfuhr Moritz, als er sich dessen bewusst wurde und im letzen Augenblick schrie er aus voller Seele, so dass es durch Mark und Knochen aller Augenzeugen ging: “NEIIIIIIIIIIIIIIIIIIN!!!“

 

Zu spät...!

Gut geschrieben, die Gefühle der Protagonistin nachvollziehbar 'rübergebracht.

Wärst du noch ein bisschen mehr darauf eingegangen, wie der Jugend-und Dynamik-Wahn in das Geschehen mit hineinspielt und Menschen zu Kurzschlusshandlungen wie deine Protagonistin treibt, könnte die Geschichte auch gut als Gesellschaftskritik durchgehen.

Herzlich willkommen auf kg.de

Pip

 

Moin Pipilasovskaya,
danke, dass du meine Geschichte so schnell gelesen und kommentiert hast ! Damit hätte ich nicht gerechnet. Leider weis ich nicht, was "Jugend-und Dynamik-Wahn" ist. Kannst du es mir erklären ?

 

Als Jugend- und Dynamik-Wahn bezeichne ich die Tendenz unserer Gesellschaft, Menschen nach nützlich oder unnütz zu sortieren. Heißt also, dass wir heute gesellschaftlich nur dann akzeptiert werden, wenn wir jung, erfolgreich, dynamisch, sportlich, gesund, leistungsfähig und - naja -eben "nützlich" sind, sobald wir diesen Ansprüchen nicht mehr gerecht werden, werden wir ausgegrenzt oder abgeschoben. Die Angst vor dem Altern hat ja auch damit zu tun, dass sich die Waagschale mit jedem vergehenden Jahr immer weiter zur Negativseite hin verschiebt. Aus der Angst davor machen beispielsweise die Kosmetikindustrie und die Vertreiber dubioser Anti-Aging-Kuren einen Riesenreibach.

Dass Leute aus Angst vor dem Altern Selbstmord verüben ist auch nicht selten. Nimm als Beispiel nur Rex Gildo, den deutschen Sänger.

Alles klaro, oder habe ich da was falsch verstanden.

 

Ja, alles klar, ich werd mal sehn, was sich tun lässt ! Danke

 

Hallo hastdunmotto!(cooler name)

Mir gefällt deine Geschichte soweit recht gut, sie lässt sich flüssig lesen und die Gedanken, die die Protagonistin hat, als sie stürzt sind für mich auch nachvollziehbar.
Ich habe mich gefragt, wie vielen Selbstmördern es wohl so geht, wenn es schon "zu spät" ist. Wie viele wohl die selben Gedanken haben wie deine "Heldin".

Aber wie Pip schon sagte, die Gründe für die Tat sind nicht ausführlich genug beschrieben worden. Na klar, jeder hat Angst vor dem Alter und davor keine Freunde zu haben, aber deswegen gleich Suizid!?
Die, sagen wir mal "innere Zerissenheit", der Protagonistin hätte noch mehr in den Vordergrund gestellt werden müssen.

Aber ansonsten hat es mir ganz gut gefallen.

Grüsse,
Sam.

 
Zuletzt bearbeitet:

Nagut, ich werde das Ganze noch einmal überarbeiten. Kann aber ne Weile dauern. Danke für den Tipp, hatte Angst die Geschichte wäre ohnehin schon zu lang und somit langeilig zu lesen.

...
Okay, viel verändert habe ich nicht, aber ich hoffe es ist so besser. Ich wollte nichts alzu spezielles schreiben und die Geschichte ziemlich allgemein halten. Außerdem ist es wohl nicht so wichtig warum sie es getan hat sondern ehr, dass sie es nicht hätte tun sollen. Oder ?

 

Hey und hallo auf kg.de.

Ich werde versuchen, den Frust über die Flut fader Selbstmordgeschichten nicht an Dir auszulassen ;)

Erstmal zum Stil und zur Sprache:

Etliche kleine Rechtschreib- und Grammatikfehler, fehlende Absätze und Wortwiederholungen (vor allem die des Personalpronomen 'sie' ist echt aua) machen meiner Meinung nach den Text nicht ganz so gut lesbar wie in den vorherigen Kritiken behauptet. Klar, wirklich große Schnitzer sind nicht drin, aber der Erzählstil ist eher fade. Du erzählst, aber das war's auch schon. Emotionen, Ereignisse, Gedanken werden im Text haufenweise genannt, fast aufgelistet, mir reicht das als Leser nicht. Ich will fühlen, was die Protagonistin fühlt, als sie sich zum Suizid entschließt, will die Fassade sehen, die sie für andere erichtet hat, will die Perspektive, die sie auf dem Geländer hat, mit ihr teilen, und nicht nur von all dem erzählt bekommen. Genau das habe ich nämlich schon in etlichen Stories dieser Art, bla, bla, wenige heben sich wirklich voneinander ab.

Die Art und Weise, in der Du die vielen Gedanken, die ihr während des Sprungs durch den Kopf gehen, schilderst, widerspricht sich mit der eigentlich Handlung. All diese Gedanken spielen sich in Bruchteilen von Sekunden ab, Du solltest einen Weg finden, dies auch sprachlich darzustellen, Stilmittel gibt es da einige, eine andere, sich vom Rest des Textes absetzende Satzstruktur und -länge würde da schon viel ausmachen.

Nichts spezifisches schreiben zu wollen, Dinge allgemein halten und Aspekte für unwichtig deklarieren sind 'Ausreden', die man leider immer wieder nach konstruktiver Kritik sieht. Du hast hier die Chance, ein Publikum zu haben, dass Dir sagt, was es will und erwartet bzw. was ihm fehlt. Würde ich nutzen ;)

San

Ach ja, nochwas... Du hast die vielen anderen Suizidtexte hier nicht gelesen, aber lass Dir sagen, dass die Frage nach dem 'Warum' ziemlich oft gestellt wird, und meist unbeantwortet oder im Dunkeln bleibt. Liegt meiner Meinung nach daran, dass es sehr viel Recherche erfordert, eine Suizidsituation detailliert und nachvollziehbar zu schildern. Für mich liegt darin der einzige Reiz an diesen Texten, verstehen zu können, warum sich ein Charakter zu einer bestimmten Tat, in diesem Falle also dem Suizid, entschließt. Dein Text bietet nur oberflächliche und daher so gut wie keine Erklärung.

 

Hallo H.d.m.

Tjaa, hmm, der Schluss ist irgentwie nicht schlecht, aber ich schließe mich San´s Meinung an, und möchte noch hinzufügen, daß ein Absatz, an der richtigen Stelle schon öfter das Lesen erleichtert hat.. :D

Weitermachen, denn Talent ist da.

Lord

 

Hallo, wer hat schon ein Motto?
Ist vielleicht nicht allzu passend, aber ich möchte nichts zur Geschichte, sondern zur Kritik schreiben, denn ich finde die Geschichte gut so, wie sie ist, wahr.
Also, was erwartet ihr, soll tatsächlich jemand, der noch lebt, über die Beweggründe für einen Suizid schreiben? Na gut, gebe zu, das ist zu platt.
Aber ehrlich, es gibt KEINE Gründe. Insbesondere nicht die Angst vor dem Altern. Sobald es Gründe gäbe, wäre auch der freiverantwortliche Selbstmord denkbar, den halte ich für ausgeschlossen. Es ist alles eine Folge der Depressionen. Und wie soll man Depressionen erklären. Ansatzweise, finde ich, hat HDM das schon recht gut gemacht. Gedanken aufzeigen (vorrangig das Alleinsein) und gerade nicht erklären.
Und das Ende finde ich übrigens sehr positiv, jedenfalls nach dem Nachdenken, nicht gleich beim Lesen natürlich.
franki

[Beitrag editiert von: franki am 04.04.2002 um 22:42]

 

Ja Rabenschwarz, das mit dem ausgelatschten Thema stimmt leider... Hätte mir vielleicht vorher die anderen Geschichten durchlesen sollen. Sorry. Das mit den Absätzen werde ich gleich in Angriff nehmen, aber ich finde leider die vielen Rechtschreib- und Grammatikfehler nicht. Kannst du mir bitte die zehn gravierensten nennen ? Ich werde das dann ändern. Aber bedenke bitte, dass ich versuche mich an die neue Rechtschreibung zu halten. Die ständige Wiederholung des Wortes "sie" ist ein Stilmittel. Vielleicht doch nicht so gut gewählt. Ich wollte mich von meiner "Heldin" distanzieren.

Die ausführliche Gefühlsbeschreibung fand ich hier nicht passend, aber ich habe mal eine weitere geschichte, naja, eigentlich mehr eine Art Tagebucheintrag dazu geschrieben. Stell ich bald ins Netz.
("resignierte Wut")

Und nochmal zu der gelöschten Geschichte: Nein, ich ziehe nicht immer gleich den Schwanz ein, ich habe nur selber gemerkt, dass sie scheiße war. Ich hatte mich wohl noch nicht ausreichend mit dem Thema beschäftigt. Aber es folgt bestimmt noch eine ähnliche. Die erste Kritik kam übrigens erst zwei Minuten nachdem ich es gelöscht hatte.

[Beitrag editiert von: hastdunmotto am 08.04.2002 um 20:19]

 

hiya motto,

Ne Korrektur poste ich noch oder mail sie Dir, kein Problem. (Recht angenehm, dass mal jemand fragt ;) )
Du wolltest keinen Namen verwenden, um Distanz zu schaffen, ist in Ordnung. Aber es gibt trotzdem noch Möglichkeiten, dies beizubehalten und wenigestens ein paar der sie's zu killen, indem Du sie ab und zu durch Nomen (das Mädchen o.ä.) ersetzt. Viele Leser stören solche Wiederholung nicht, mich schon, seh' halt selbst mal...

Selbst wenn Du im Nachhinein denkst, eine Geschichte ist nicht gut genug, um gepostet zu werden... lass sie trotzdem stehen, bis eine bessere Version entstanden ist, nutz die Kritiken, häng die neune unten dran und setz in den Titel 'Überarbeitet' oder mache eine Notiz am Anfang des Threads, die auf die neue Version hinweist. Kann ganz interessant sein, als Leser zu sehen, wie eine Geschichte ursprünglich aussah und was aus ihr geworden ist. Nur'n Vorschlag.

Gruß,
San

 

Danke, dass du dir die Mühe machst den Text durchzusehen ! :)

Nagut, das mit dem Löschen lasse ich. Ich meine mit Stilmittel nicht nur keinen Namen benutzen, sondern wirklich häufige Wiederholungen. In etwa so wie bei Lessings "Nathan der Weise" als der Klosterbruder immer wieder sagt: "...sagt der Patriarch"
Naja, ich habe das jetzt trotzdem geändert. Aber ich dachte mir, wenn die Hauptperson schon einen Namen haben muss, sollte er irgendetwas zum Thema aussagen. Da gefiel mir das "mori" in Moritz ganz gut und so wurde aus der jungen Frau ein junger Mann. Außerdem habe ich noch einen Absatz über die Gründe hinzugefügt.

[Beitrag editiert von: hastdunmotto am 11.04.2002 um 15:08]

 

Hier ist nochmal der alte Text zum vergleich:

Der Bus, der sie brachte, fuhr noch einmal an ihr vorbei, als sie ihrem Ziel immer näher kam. Keiner konnte mit der furchtbaren Tat der so fröhlich wirkenden jungen Frau rechnen. Als sie in den Bus eingestiegen war, grüßte sie den ihr unbekannten Busfahrer noch mit einem fröhlich grinsenden „guten Morgen“.

Da sie sich ihrer Sache so sicher war, wurde sie zu einer überzeugenden Schauspielerin, denn in Wirklichkeit sah es in ihr ganz anders aus. Graue Wolken verdeckten ihr die Sicht auf die Realität, es kam ihr so vor, als wenn sich der Boden unter ihren Füßen auflösen würde, ohne dass es irgendjemand oder irgendetwas geben würde, das sie hält. Sie hatte sich mit ihren Problemen immer mehr versteckt und eine Mauer um sich aufgebaut, so dass niemand mehr an sie ran kam. Ihr Freundeskreis war somit zerstört, sie stand mit ihren Problemen ganz alleine da. Sie fühlte sich einsam, unnütz und irgendwie leer, hatte jegliches Gefühl für wahr oder unwahr, richtig oder falsch verloren. Sie schaute sich um und erblickte nichts als eine graue, kalte Leere. Auch an ihre Familie konnte sie sich nicht mehr wenden, denn die hatte genug mit sich selbst zu tun, alles in ihrem Leben schien von Anfang an schief zu laufen. Wenn sie wenigstens mit gutem Gewissen in die Zukunft blicken könnte. – Aber der Gedanke daran alt zu werden, also keinen Sport mehr treiben können, hilfebedürftig werden und exponential vermehrende Falten, die ihr gesamtes Gesicht bedecken würden bis es schließlich so faltig und zerfallen ist, dass sie keiner mehr angucken mag und sie als Grund genommen wird nie alt werden zu wollen, versetzte sie regelrecht in einen Schockzustand. Nichts schien mehr einen Sinn zu machen, alles war so falsch, so sinnlos und es gab keinen Ausweg mehr. Sie fragte schon gar nicht mehr warum sie sich umbringen sollte, sie fragte sich, warum sie es nicht tun sollte. Sie stand ganz alleine da, konnte mit niemandem über ihre Ängste und Gefühle reden. Früher hatte sie sich bei unschönen Erfahrungen immer mit der Möglichkeit beruhigt einfach alles hinschmeißen zu können und ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Nun war dieser Moment gekommen, an dem sie das Leben nicht mehr ertragen wollte. Es gab immer Gegenstimmen in ihr, doch die dunkle Seite wurde immer stärker. „Ich will nicht mehr, ich will nicht mehr“, dachte sie immer wieder, bis sie sich für diese endgültigen Lösung entschied.

Sie stellte einen kleinen Tritt vor die Plexiglasscheibe des Brückengeländers. Sie war schon oft an diesem Ort gewesen, da sie hohe Bauwerke magisch anzogen und so wusste sie, dass sie ohne Hilfsmittel nicht über das Geländer klettern konnte. Sie stellte den Tritt direkt über der kleinen Straße, die ca. 50m tiefer unter der Brücke lang führte ab und zitterte am ganzen Körper. Sie hatte große Angst vor dem, was sie vor hatte, und dennoch klappte sie die Stufen des Tritts aus und betrat die erste Stufe während sie anfing zu weinen. Die Brücke vibrierte unter den vorbeifahrenden LKWs und sie konnte nicht mehr sagen ob die Brücke mehr zittern würde als sie. Ihr Brustkorb zog sich schmerzend zusammen als wenn sie starke Seitenstiche hätte. Ihr Atem wurde intensiver und kräftiger, ihr Puls stieg ins unermessliche. Alles um sie herum verschwand und wurde grau, sie dachte an den Tod und wie nah er ihr war. Ein gewaltiger Platzregen ihrer Tränen überwältigte sie und doch setzte sie ihren Weg unbeirrt fort. Mit zittrigem, ängstlichen und doch sehr direkten Schritt stieg sie auf die zweite Stufe, auf den Tritt und schließlich auf das Gelände der Brücke. Sie bemerkte nicht, dass mehrere besorgte Autofahrer angehalten hatten und auf sie zuliefen während sie ihr zuriefen, sie solle es nicht tun. Sie stand oben auf dem Gelände, drehte sich zur Straße um und sah durch ihre tränengetrübten Augen die Leute, die scheinbar in Panik geraten waren. Mit den flüsternden Worten „Es tut mir leid“ ließ sie sich nach hinten fallen.
Ein heftiger Herzschlag ließ sie wissen, dass sie noch am Leben war, doch es war zu spät, die Helfer konnten sie nicht mehr rechtzeitig erreichen, sie fiel.

Kaum hatte die Schwerkraft ihr den Kontakt zum Brückengeländer entrissen, musste sie plötzlich an längst vergangene glückliche Tage denken. Sie erinnerte sich an die Zeit im Kindergarten, an den Spaß am Fantasieren und Basteln, an den ganzen Spaß den sie damals zusammen mit ihren Freunden hatte. Ihr 6ter Geburtstag schien plötzlich als wäre er gestern gewesen. Eine ausgelassene Gruppe Kinder tobte über den Rasen des kleinen Gartens während ihre Mutter den Grill anwarf. Und ihre Einschulung, was für ein unvergessliches Erlebnis ! Sie fühlte sich so groß und war Stolz auf sich selbst. Es gab jede Menge kleiner Geschenke in der großen Schultüte und in der Kirche wurde gesungen. Es war ein sehr aufregender Tag. Dann die Klassenfahrt in der 4ten Klasse, bei der sie zum ersten Mal soooo weit von den Eltern weg war. Sie erinnerte sich plötzlich ganz genau an dieses eigenständige, gute Gefühl, dass sie damals hatte. Und wie könnte sie ihre Freundin Karla vergessen, mit der sie so viel angestellt hatte ? Sie erinnerte sich an die Streiche, die sie damals ausgeheckt hatten und sehnte sich nach dieser Zeit. Dann kamen die ersten Partys, Alkohol und jede Menge schöne Erinnerungen.

Sie dachte plötzlich an nichts schlechtes mehr und merkte aber, dass sie unaufhaltsam auf den Boden zuraste. Ihre Gedanken schienen alle Gleichzeitig durch ihren Kopf zu rasten. Was wird aus ihrer kleinen Cousine, die so unbefangen in ihrer kindlichen Art durchs Leben ging und keine Probleme zu haben schien. Was tut sie dieser kleinen Seele an ??? Und das alt werden war doch noch so weit entfernt, sie hätte auch nie so enden müssen wie es ihr ihre Horrorvorstellungen versprachen, vielleicht wäre sie eine fitte Oma geworden, die jede Menge Spaß am Leben hat. Es wäre auch nicht unmöglich gewesen sich einen neuen Freundeskreis aufzubauen und vielleicht hätte sie sogar ihre verlorene Zeit nachholen können und ihr verlorener Traum einen lieben Freund zu finden, schien nicht mehr unmöglich. Die grauen Wolken lösten sich und Licht erreichte ihre Seele, doch es war zu spät, der Boden war bedrohlich nahe, die Grenze zwischen Leben und Tod verschwand. Ein unglaublich heftiger Impuls durchfuhr sie als sie sich dessen bewusst wurde und im letzen Augenblick schrie sie aus voller Seele, so dass es durch Mark und Knochen aller Augenzeugen ging: “NEIIIIIIIIIIIIIIIIIIN !!!“

 
Zuletzt bearbeitet:

So...

...der Thread "resignierte Wut" wurde auf Wunsch der Autorin geschlossen.
Da es sich bei jener Geschichte um einer Ausführung dieser Geschichte handeln soll, sie aber gleichzeitig auch seperat gelesen werden kann, hier also der Link bei bestehendem Interesse: resignierte Wut

 
Zuletzt bearbeitet:

Ja !
Das mit dem Link ist eine gute Idee ! :D
Ich werd mal den Inhalt der Kritik, in der ich diese Geschichte nochmal geschrieben habe, löschen, damit er leichter zu finden ist. Kannst du ihn dann bitte löschen ? Danke ! ;)

...
Ich habe mich noch einmal mit dieser Geschichte beschäftigt und ihr habt Recht. Viel zu wenig Emotionen. Ist bloß ziemlich schwer sie richtig rüberzubringen. Leute, die versucht haben sich umzubringen erzählen, wenn überhaupt, meist in Berichtsform. Emotionen werden genannt, aber nicht beschrieben. So Ausdrücke wie "Dann hatte ich Schiss und habe zu lange gezögert" sind keine Seltenheit. Meine Ferien sind jetzt fast zu Ende. Aber ich versuche mal in der ein oder anderen langweiligen Wirtschafts- oder DVT-Stunde daran zu arbeiten :D

Jetzt erstmal eine weitere Version, mit der ich versuchen wollte, Moritz Gedanken in der Szene zu beschreiben. Es geht hier um sein Gewissen. So zusagen Engel und Teufel. Gefällt mir noch nicht so gut, ich will mehr beschreiben. Wie gesagt, ich versuchs weiterhin.

Hier die Gewissens-Geschichte:

Fassungslos musste ich mit ansehen, wie du mit dem kleinen Tritt aus der Küche das Haus verlassen hast. Dein Abschiedsbrief lag auf deinem Schreibtisch. Gut sichtbar, aber wenn ihn irgendjemand lesen wird, wird es zu spät sein. Das hattest du schon alles geplant. Ich kann einfach nicht aufhören nach dem Gründen zu fragen. Ich kenne sie, verstehe sie auch, aber... Mir fehlen die Worte.

Tod ? Moritz, tot ? Das Ende. Du wirst nie wieder lachen, dich nie wieder freuen. Moritz, hörst du mich ? Moritz, hör mir zu ! Nein, tu´ es nicht ! Du kannst kein neues Leben beginnen, es wird einfach vorbei sein. Willst du das ? Das kannst du doch nicht wollen !

„Das Leben verschwindet, wird zu einer Farce“, fing deine Erklärung an, die du vor drei Tagen aufgeschrieben und gestern verbrannt hast. Moritz, das Leben, ein billiger Scherz ? Nein Moritz, nein. Ich habe doch sooft versucht es dir zu erklären... Jetzt weiß selbst ich nicht mehr genau was eigentlich.

Steig nicht den Bus ! Nein, geh zurück. Geh nach Hause. Such dir Hilfe. MORITZ ! Hör auf mich zu ignorieren ! Moritz, das kannst du nicht. Ich hole dich immer wieder ein. Moritz bitte. Ich will nicht, dass es dann zu spät ist !!!

Wer ist das ? Kennst du den ? „Bring es hinter dich, dann hast du deine Ruh ?“ – Hör nicht auf ihn ! „Na los, deine schweren Lasten, die du mit dir rumträgst, wirst du nie los !“ – Es gibt Hoffnung ! Greif den rettenden Strohalm. Fahr nicht zur Brücke, fahr ins Krankenhaus ! Es ist doch noch nicht Abend. Moritz, dir kann noch geholfen werden. Nun steig endlich aus ! „Bleib hier, du hast dich bereits entschieden. Hör nicht auf sie !“ Nein, hör nicht auf ihn ! Was hast du zu verlieren, wenn du auf mich hörts ? Hörst du auf ihn, verlierst du ALLES. Werd doch endlich wieder vernünftig. „Seh es doch realistisch Moritz. Was hasst du davon, wenn du jetzt weiterkämpfst ? Du vegetierst noch ein wenig vor dich hin. Besser wird es nie, vergiss es. Alles leere Versprechungen. Du würdest nur weiterhin von Anderen fertig gemacht, in den Boden gestampft und anschließend noch ausgelacht. Niemand wird dich verstehen, du wirst immer mit deinen Problemen alleine da stehen.“ – Nein ! Such dir Hilfe, es ist keine Schande eine Therapie zu machen ! „Eine Therapie ? Moritz, auch die so hoch gelobten hochqualifizierten Therapeuten werden dich nie verstehen. Sie haben nicht das erlebt, was du erlebt hast. Und schon gar nicht so empfunden. Niemand kann dich verstehen, Moritz.“ Moritz, komm zurück in die Realität. Hier und jetzt. Nimm deine Umgebung wahr. Wo bist du, was macht du ? Guck dich an. Jung und voller Zukunft. Willst du das wegschmeißen ? Nein, tuh es nicht. Nutze es. Nutze deine Chance !

„Endstation.“ – Nein, der Bus fährt noch weiter. Moritz, steig nicht aus ! Verdammt noch mal, hör mir endlich zu ! Nimm wenigstens deine Maske ab. Vielleicht hilft dann jemand. Lächle nicht, wenn du weinen willst. Die Anderen denken, du wärst glücklich ! Natürlich verstehen sie dich nicht. Wie auch, wenn du ihnen immer einen falschen Moritz präsentierst ?

„Du tust das Richtige. Geh weiter. Immer weiter. Bis über die Straße. Dann bist du beim Aufprall sofort tot. Keine Angst, du musst nicht leiden. Nie wieder.“ Moritz, nein, nein. Warum weinst du, Moritz ? Überleg es dir genau. Du willst das doch überhaupt nicht tun. Du hast doch Angst. Fühlst du das ? Sind das die vorüberfahrenden LKWs, die die Brücke vibriren lassen, oder bist du es, der vor Angst zittert ? „Denk gar nicht erst darüber nach. Klapp die Stufen aus. Du hast es gleich geschafft.“ Nein, hör auf mich. Ich weiß was du denkst. Deine Kindheit, sie war nicht sehr schön, das weiß ich. Du hast einen alkoholkranken Vater, der dich schlug und dein Onkel hat dich mißbraucht. Das ist ein schweres Trauma, aber auch du kannst glücklich werden. Die Vergangenheit ist nur dann zukunftsweisend, wenn du dich dementsprechend verhälst. Komm da sofort wieder runter ! Nein, geh nicht weiter ! KOMM ZURÜCK !!! „JA, JA, geh weiter. Immer weiter.“ Hör nicht auf ihn ! Siehst du nicht sein böses Grinsen ? Er will dir doch nicht helfen. Er will dich zerstören ! Komm zur Besinnung. Moritz, deine Augen sind tränengetrübt, kannst du überhaupt sehen, was hier los ist ? Guck dir die Leute an. Sie wollen nicht, dass du springst. Genau wie ich. Moritz bitte. Nein, nein, NEEEEEEEEEEEEEIIIIIIIIIIIIIIIIIIN.
Was hast du getan ? Du hast den lebenswichtigen Kontakt zum Brückengeländer verloren.

Was ist denn mit dem Spaß, den du hattest ? Der Kindergarten – dein 6ter Geburtstag – die Einschulung – erste Klassenfahrt – dein Freund Emil – Partys

Jetzt hast du es endlich begriffen, aber der Boden ist bedrohlich nahe, die Grenze zwischen Leben und Tod verschwindet. Moritz, es ist zu spät !

 

Hi hastdunmotto!

Es gibt sehr viele Selbstmordgeschichten, jedoch sind darunter auch viele schlechte. Deine möchte ich herausstellen, als eine der guten, ja, sogar eine der besten!

Daß dem Protagonisten erst im Fall von der Brücke die positiven Dinge seines Lebens bewußt werden, ist außerordentlich schade, doch ist es ein gutes Mittel in Deiner Geschichte, die Sinnlosigkeit eines solchen Tuns aufzuzeigen. - Ich bin beeindruckt!

Auch zu lesen ist sie ziemlich flüssig, was sich noch etwas verbessern ließe, wenn Du noch ein paar Fehler editierst (beachte dazu auch mein Mail):

"zu einem überzeugend Schauspieler" - überzeugenden

"als wenn sich der Boden unter seinen Füßen auflösen würde," - nicht direkt ein Fehler, aber "als wenn" klingt unschön... als würde sich der Boden.....auflösen, tät ich schreiben

"schien Besitz von ihm zu Erlangen:" - erlangen

"in einem nahezu unaufhörlichem Kreislauf der Evolution." - unaufhörlichen

"Mit zittrigem, ängstlichen und doch sehr direkten Schritt" - ängstlichem, direktem

"oben auf dem Gelände," - Geländer

"gute Gefühl, dass er damals hatte." - das

"schienen alle Gleichzeitig durch seinen Kopf zu rasten." - gleichzeitig, rasen

"Ein unglaublich heftiger Impuls durchfuhr den Protagonisten" - durchfuhr Moritz... in der Geschichte liest sich Protagonist nicht gut, finde ich...

Liebe Grüße
Susi

 

Moin Susi, danke für deine Kritik ;) Die Fehler waren mir gar nicht aufgefallen. Ich editier mal...

...Übrigens: Das mit dem "Protagonisten in einer von vielen Suizidgeschichten" am Ende bezog sich auf ne Kritik von San. Ich hatte nichtmehr wirklich damit gerechnet, dass es nochmal jemand liest :D

[ 17.06.2002, 11:39: Beitrag editiert von: hastdunmotto ]

 

Hi Anika!

Habe mal eine deiner Geschichten ausgekramt und gesehen, daß du mit dieser hier viel herumexperimentiert hast. Mir gefällt eigentlich die Urfassung vom 08.04.2002 am besten, nicht zuletzt weil sie detailreicher wirkt.

In der neuen Version ist eine Stelle etwas seltsam:

... der potenzielle Suizident fragte sich, warum er es (sich Umbringen) nicht tun sollte.
Ist das wirklich so? - Mit diesem Gedanken fiele es jedem leicht, seinen Selbstmord zu rechtfertigen. Ich glaube aber, man sollte es umgekehrt formulieren, sinngemäß: Moritz hat schon Gründe dafür, und diese wiegen schwerer als am Leben zu bleiben. Verstehst du was ich meine? - Invertiere den Satz!

Mit Suiziden bin ich ansonsten nie erfolgreich gewesen, daher kann ich hierzu keine guten Tipps geben...

Schöne Grüße,
Emil

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom