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Und doch eine Todesart vom Wühltisch

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18.08.2002
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Und doch eine Todesart vom Wühltisch

Das singende Licht entfernt sich. Das Schwarz des Tunnels wird zu dem diffusen Rotbraun, das man sieht, wenn die Sonne auf die geschlossenen Augen scheint. Aus dieser Dunkelheit schält sich allmählich das verkrampft gefasste Gesicht einer Frau. Eine tapfere Träne klettert über ihre Wange und verzieht sich ins Auge. Die Frau fasst meine Hand und versucht zu lächeln, steht aber bald auf, um erschrocken und zugleich erleichtert den Raum zu verlassen. Ich bin müde. Leise und wohlig sanft wird mir mit einem Hammermeißel die Schädelwand von innen verputzt. Mich zu strecken ist unmöglich, die Glieder scheinen gelähmt. Schlaf der Erschöpfung umfängt … ja, wen? Und wo? Im Traum fliegen quadratische gleißend helle Lampen über mich hinweg. Jemand ruft aus dem Stimmengewirr »OP sechs!« und da erkenne ich, es sind tatsächlich in zwei Tonlagen schreiende Lachmöwen.

Mit einer Wucht, die mir den Atem raubt, schnippt mich die Leitplanke in die Luft und ich falle in den Sitz der rasenden Hayabusa, die daraufhin zu schlingern droht. Ich umfasse die Lenkergriffe. Die Tachonadel schreckt vor der 300 zurück. Ein Adrenalinquirl taucht auf aus meinem Blut. Marco neben mir zeigt den gestreckten Daumen. Schilder, Autos und Bäume fliehen vor uns zum Abendrot, bordeaux erscheint mir das durchs Visier. Bald fahren wir die Auffahrt hinab und ich denke, ein kleines Helles, was ist schon dabei.

»Ich war irgendwie jedesmal traurig und fasziniert gleichzeitig, wenn das Pendel zurückschwang und ich dachte, die Zeit ginge für diesen Moment rückwärts. Es stieß nämlich gegen die Hand, die der Uhrmacher einfach in den Pendelkasten hielt. Den Uhrmacher hatten wir immer kommen lassen, vor Ewigkeiten, als wir noch die alte Standuhr hatten.«
»Hey, der Philosoph wieder, du redest Stuss!«, meint Marco und spuckt ins Glas.
»Weißt du was? Ich glaube, wenn man stirbt, ist nicht gleich sofort Schluss. Vielmehr, ja doch, das Leben pendelt langsam aus«, sage ich.
»Hey, der Philosoph wieder, du redest Stuss!«, meint Marco und trinkt sein Bier aus.
»Doch, echt mal, das stell ich mir vor wie bei der Standuhr, die wir vor ner Ewigkeit mal hatten. Wenn da der Uhrmacher kam, hatte er einfach seine Hand in den Pendelkasten gehalten, das Pendel war dagegen gestoßen und, wie die Zeit selbst ja auch, dachte ich, zurückgeschwungen und davon war ich irgendwie zugleich fasziniert und traurig.«
»Alter Schwede«, sagt Marco mit einem Blick auf die Uhr und einem Hauch von Erleichterung in der Stimme, »schon um sieben. Los, trink aus, wir müssen.«
Ich stürze den Rest hinunter, dann schnappen wir unsere Helme, zahlen an der Theke und lassen den kleinäugigen Ihr-solltet-nicht-fahren-Blick des Wirtes zurück.

[highlight]Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE (s. Profil)[/highlight]​

 
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Hallo floritiv,

das ist eigentlich nicht meins, die alten Geschichten nach so vielen Jahren zu kommentieren. Hier konnte ich aber nicht vorbeigehen.

Meine Frage, die mich seeeeeeehr beschäftigt hat, war: Warum um Gottes Willen dieser Titel? Warum z.B. nicht "Wühltisch vom Todesart eine doch Und" oder "Irre-Versibilität" oder sonst was?

Wer ist der Autor dieser Geschichte? Warum oder wozu dieses Poetische - wortwährend und ununterbrochen, fast in jedem Satz? Es handelt sich nicht um ROmeo und Julia, sondern um einen Angetrunkenen, der das Zeitliche segnet. War das ein Dichter, dieser Unglückliche? Oder handelt es sich dabei um eine Rede an seinem Grab, die den Toten wiederbeleben soll?

Als ich deine Geschichte fertig gelesen habe, dachte ich aus irgendeinem Grund an das rohe Hackfleisch, das man mit poetischen Mitteln wieder in ein Stück Fleisch zurückverwandeln könnte...

Also, das Poetische fand ich spitzig gut. Den Plot unpassend und flach.


Viele Grüße
Herr Schuster

 

Hallo Herr Schuster,

mit Titeln tue ich mich schwer. Regelmäßig bin ich versucht, einen Text einfach mit "Meine Geschichte Nummer sowieso" zu betiteln. Das wäre allerdings nicht im Sinne der Leserschaft. Soweit ich mich noch entsinnen kann, hab ich mich auch hier schlussendlich für irgendwas entschieden, weil mir partout nichts besseres einfallen wollte. Da macht sich der Protagonist so interessante philosophische Gedanken – fand ich – und hat doch nichts besseres zu tun, als sein Leben unter Gefährdung anderer an einer Leitplanke auszuhauchen. Daher eine Todesart vom Wühltisch, wie beim schnellen Feierabendeinkauf im Supermarkt. Dabei ist es wirklich nicht die beste Lösung, die Wertung des Autors über den Protagonisten im Titel unterzubringen.

Wer ist der Autor dieser Geschichte?
Soweit ich weiß der, der gerade an meiner Tastatur sitzt und diesen Beitrag schreibt. :D

Als ich deine Geschichte fertig gelesen habe, dachte ich aus irgendeinem Grund an das rohe Hackfleisch, das man mit poetischen Mitteln wieder in ein Stück Fleisch zurückverwandeln könnte...
Schade. Ich kenne diese Erfahrung als Leser. Zum Glück ist der Text relativ kurz. Die Lektüre hat hoffentlich nicht trotzdem deine Zeit über Gebühr beansprucht.

Also, das Poetische fand ich spitzig gut. Den Plot unpassend und flach.
Danke dir fürs erste; was das zweite betrifft, tjoa, eine gewisse Anzahl von Rezensionen lautet anders, daher trifft mich das nicht so sehr. :)


Danke für deinen Beitrag,
-- floritiv.

 

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