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Umstrittener Sozialberuf
"Grüß Gott, der Herr! Bitte setzen sie sich ruhig neben mich, viele freie Plätze gibt`s hier in der U-Bahn nicht. Besonders zu dieser Tageszeit...
Warum schauen Sie mich denn so an? Oh, ich weiß, ich bin vorhin auf der Straße in ein Häuflein eines streunenden Hundes getreten, sei`n sie versichert, dass nicht ich es bin der so stinkt. Und jetzt bleiben sie hier nicht wie angewurzelt stehen und setzen Sie sich, der Gestank verfliegt bestimmt bald.
Sehen Sie, es geht doch. Ist doch viel gemütlicher so rum... Sagen sie auch nicht wahr? Wie meinen Sie? Sie sind im Stress wegen ihrer Weihnachtseinkäufe? Machen Sie sich deshalb keine Gedanken, das geht uns allen so.
Jaja, wie sie sagen, jetzt steht Weihnachten schon vor der Tür, es hat heute bereits begonnen zu schneien, toll oder? Was für mich persönlich an Weihnachten allerdings noch besser ist als der Schnee, ist das zusätzliche Geld. Das kann ich momentan gut gebrauchen. Natürlich werde ich es nicht für Geschenke oder sonstiges rausschmeißen. Nein, da habe ich echt andere Sorgen.
Man verdient ohnehin nicht viel wenn man mit Menschen arbeitet, wissen Sie? In meinem Beruf spürt man das ganz besonders stark.
Manchmal habe ich darüber nachgedacht, deshalb den Berufssektor zu wechseln, doch ich mache den Job hier schon zu lange um noch einmal etwas komplett neues anzufangen. Mag sein, dass ich kein Einstein bin, aber in meiner Arbeit macht mir niemand was vor, auch Sie nicht, selbst wenn Sie schon so lange dabei wären wie ich.
Wenn Sie jetzt denken, dass das Dilemma meines Berufslebens im finanziellen Bereich liegt, dann liegen Sie falsch. Wenn man in einem derart sozial geprägten Job tätig ist, wie ich, dann machen sich Berufskrankheiten wie Rückenschmerzen, diverse Infektionen und ein starker Hang zu stressstillenden Beruhigungsmitteln schnell bemerkbar.
Genau das ist nämlich auch der Grund meiner Besorgnis: Ich bin nun 50 Jahre alt, ein körperliches Wrack und obendrein werde ich von der Gesellschaft für das was ich tue nicht im Geringsten gewürdigt. Aber ich will mich nicht beklagen weil ich weiß, dass jeder Mensch seine Probleme im Leben hat und diese bewältigen muss. Ich merke schon, sie verstehen was ich meine. Diese Weisheit habe ich übrigens von meiner Mutter - Gott hab sie selig. Kein Mensch war mir als Kind wichtiger, doch dann - urplötzlich und ohne Vorwarnung - rief sie unser Herrgott zu sich. Warum starren sie auf einmal so beschämt zu Boden? Ist es Ihnen etwa unangenehm, wenn ich so offen mit Ihnen über persönliche Dinge spreche?
Wie auch immer. Ich sehe, ich bin bereits an meiner Station angelangt. Tja, die Zeit verfliegt eben im Nu, wenn man so einen netten Gesprächspartner hat. Auf Wiedersehen, vielleicht kreuzen sich unsere Wege mal wieder. Wenn Sie wollen, könnten wir am Wochenende zusammen auf ein Bier gehen. Was? Wie sie mich finden? Oh, ich bin zu dieser Tageszeit ohnehin meistens hier auf dieser Station. Sie wissen ja, die Geschäfte... Jetzt muss ich aber wirklich aussteigen, auf Wiedersehen!"
*********** 30 Minuten später ***********
"Achtung, eine Durchsage! Achtung, eine Durchsage! Da bereits mehrere Beschwerden von Passagieren bestehen, möchten wir mit Nachdruck betonen, dass Bettelei auf dem Gelände der öffentlichen U-Bahnen strengstens verboten ist. Der hiermit angesprochene Herr auf Gleis 2a wird gebeten, sich umgehend zu entfernen, bei Zuwiderhandlung sehen wir uns gezwungen, die U-Bahnwache einzuschalten!"