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Tu, was du tun musst!
„Das entscheide ich allein.“
Was für ein grauenhafter selbstsüchtiger Schlachtruf!
Teresa war ein Stück von dir und ein Stück von mir.
Und wo ist es jetzt, dieses Stück? Ein Blutklümpchen, das die Toilette hinuntergespült wurde wie ein Stück Scheiße!
Für ihn hast du diese Zwillinge ausgetragen. Zwei Jungs. Ich habe sie gesehen. Wie du sie getragen hast. Erst in dir, dann an dir. Im Wagen geschoben. Ich beobachte sie beim Wachsen. Ich habe ihre ersten Worte gehört, habe gehört, wie sie irgendwann mehrere zusammenfügen konnten, wie sie irgendwann plapperten mit ihren hellen Stimmen. Ich habe gesehen, wie dein Mann sie auf die Rutsche gehoben hat, als sie noch klein waren. Heute klettern sie längst die Leiter hinauf wie die Wilden. Ich hatte sie im Auge beim Spielen und Lachen und beim Weinen. Einer ist wehleidig. Ich habe ihn hinfallen sehen. Ins Gras. Das kann nicht wehgetan haben. Ich bin sicher, meine Teresa wäre tapferer!
Teresa!
Zumindest die hat er dir nicht eingepflanzt. Das konnte er nicht. Teresa war meine Tochter. Zumindest so viel Anstand hatte er, dir keine Tochter zu machen.
„Tu, was du tun musst!“
Ein Schriftzug zwischen Zeichnungen, sinnlosem Gekritzel, sexistischen Sprüche zwischen Penissen und Kringelhoden. Mittendrin eine akkurate Schreibschrift.
Die Wand ist der Rest eines zerfallenen Gemäuers.
Ich habe sie entdeckt, als ich nirgendwo hinwollte. Ich lasse mich von der Hauptstraße einen Fußweg in mehreren Kehren durch Gestrüpp hinuntertreiben zu einem alten längst nicht mehr befahrenen Gleis. Der Weg ist von Brennnesseln überwuchert. Zwischen den Schienen wächst Gras. Ein löchriger Stacheldrahtzaun führt über sie hinweg. Hier fährt kein Zug mehr.
„Tu, was du tun musst.“
Und ich weiß nicht, woher ich weiß, dass dieser Auftrag an mich geht. Und ich weiß nicht, was ich tun muss. Die Schrift ist frisch. Sie glänzt rot, scheint noch feucht.
Ich schlafe schlecht. Stehe bei Morgengrauen auf. Die anderen liegen noch in ihren alten Militärschlafsäcken. Das kalte Wasser aus dem Fluss im Gesicht hilft ein wenig. Es sind nur ein paar Schritte. Dazu Pulverkaffee aus der Thermosflasche. Auch er kalt. Er ist von gestern und die alte Flasche hält die Wärme längst nicht mehr.
Nur kurz ereilen mich Erinnerungen an früher. An das weiche Bett, den Kaffeevollautomaten, an den Anzug, das Hemd und den Weg ins Büro. Nur kurz!
Es zieht mich an meine Mauer. Die Stadt schläft noch und ich fühle, wie gut das Alleinsein auf den Straßen zu meinem Hier und Jetzt passt. Die Morgenkühle belebt.
Ich überquere die Hauptstraße, ohne auf die Ampel zu achten. Da ist niemand. Es fühlt sich an wie in einem Endzeitfilm, in dem alles noch da ist außer Leben. Und ich.
Ich winde mich den Pfad hinunter, bis ich wieder vor der Mauer stehe.
Der Schriftzug prägt sich mir ein. Nicht ich merke ihn mir. Nicht ich erinnere mich an die Ecken, die Rundungen, die Schnörkel. Es ist die Schrift, die in mich dringt, so als wollte sie sich für immer über die Bilder legen, die meine Augen mir übermitteln.
Sie glänzt immer noch feucht. Ich fahre sie mit meinem Finger nach. Die Kuppe ist rot.
Rot, wie meine Zunge, mit der ich an den Buchstaben lecke. Es schmeckt metallisch.
Ich nehme alle Finger. Tauche sie ein. Entnehme dem Schriftzug seine Nässe und schmiere sie auf meine Wange, auf mein Gesicht, meinen Nacken.
Ich will mehr davon. Brauche mehr für das, was ich tun muss. Ich reibe mein Gesicht an der Mauer. Sie ist rau, rissig, sie zerkratzt meine Wangen, aber ich fühle, wie es mir Kraft gibt, wie es durch die Risse in meiner Haut eindringt. Überall muss es hin. Überall. Ich reiße mir das Shirt vom Leib. Tauche meine Hände in die Schrift. Sie triefen, als ich es auf meiner Brust zerreibe.
Endlich die Antwort. Ich werde tun, was ich tun muss.
Ich schleiche mich zurück zu unserem Lager. Bin unsichtbar. Nutze Schatten, Deckung. Kein Hund sieht mich, kein Herrchen, kein Frauchen.
Mich, den blutverschmierten, den durstigen Engel, der endlich verstanden hat.
Das Lager ist verlassen. Alle ausgeflogen. Ich wusste das. Es war die Zeit, Essen zu besorgen. Und Fusel. Und das Geld dafür.
Sie hatten aufgeräumt, alle Habseligkeiten aufgeschichtet, aber ich weiß, wo Adi seine Pistole versteckt hat. Im Fußende seines Schlafsackes.
Ich weiß nicht, woher er sie hat, weil ich seiner Geschichte nie geglaubt habe. Der Freund, der sie ihm auf dem Sterbebett vermacht hatte.
„Hast du das nicht gehört, wie so ein Haufen besoffener Glatzen einen von uns abgemurkst hat? Wenn mir so einer kommt, knall ich ihn ab. Sie ist immer geladen.“
Und dann zeigte er mir, wie man sie sicherte und entsicherte.
Ich finde seinen Schlafsack und nehme sie an mich.
Warten. Warten, bis es dunkel wird.
Irgendwann kommen ein paar von den anderen zurück. Adi ist nicht dabei. Das ist gut.
Sie fragen nichts. Das ist so bei uns. Wir fragen nie.
Gottseidank dehnt sich die Zeit nicht. Sie rafft die Stunden, verdichtet sie, formt sie in mir zu einem Geschoß. Der Krieger hat Zeit, Geduld, kann ausharren bis zu seinem Moment.
Dann stehe ich vor ihrem Haus.
Ich kenne es gut. Die Wohnung vom Erbe ihrer Eltern gekauft. Ich bin zu ihr gezogen, weil es wirtschaftlicher war. Weil sie, im Gegensatz zu meiner, auch groß genug war, um ein Kind in ihr großzuziehen.
Ich weiß, wie man in den Hinterhof kommt, an den Tonnen vorbei, an den Fahrrädern. Weiß, dass vom Hof eine Treppe durch eine fast immer offene Tür in den Keller führt. Und von dort in das Treppenhaus.
Wieder wird es Stunden dauern. Aber ich konnte nicht am Tag kommen. Brauchte den Schutz der Dunkelheit so wie ich aussehe.
Sie wohnen im dritten. Sie und Lars und Arne. Und er.
Mein Mädchen sollte Teresa heißen. Wie meine spanische Freundin aus meinen Jugendjahren. Dunkel wie sie, wie ich.
Aber bei ihren Jungs hat sein hünenhaftes, grinsendes Nordblond zugeschlagen.
Ich schleiche die Treppe hoch, an ihrer Tür vorbei. Die Wohnung im vierten ist derzeit unbewohnt und den Eingang in die Speicherräume braucht nachts niemand.
Ich setze mich auf die Stufen, warte, schließe die Augen, ruhe mich aus. Der Griff der Pistole ist warm von meiner Hand, die sich immer wieder überzeugt, ob sie da ist. Sie ist da.
Es wird kein durchgeknallter Rachefeldzug. Es wird kein Amoklauf, keine grausame Strafe. Es wird das Begleichen einer Rechnung. Nicht mehr.
Mit Teresa war alles gegangen.
Sie weiß nicht, wie sich diese Leere anfühlt, von der man spürt, dass sie nie mehr gehen wird. Noch weiß sie es nicht!
Sie drückte auf den Summer und öffnete die Wohnungstür.
Das Paket von Amazon. Endlich. Sie hatte schon befürchtet, es würde nicht mehr rechtzeitig ankommen zum Geburtstag der Zwillinge.
Hans war schon um halb sieben gegangen. Um neun spätestens mussten die Kinder abgegeben werden. Dazwischen lag ihre Zeit.
Hans vergaß nie, sie zum Abschied zu küssen. Auch heute nicht. Eine zärtliche Umarmung, der Wunsch nach einem schönen Tag für sie, Küsschen auf die Wangen und als Krönung einen gehauchten auf ihren Mund, der noch ungeschminkt war. Liebevolle Routine oder war das ein Widerspruch in sich?
Natürlich musste Frühstück gemacht werden, die Kinder angezogen, ausgestattet, abgeliefert. Dennoch blieb Zeit für ein paar Akkorde auf dem Klavier, damit die Finger nicht einrosteten.
Hans war eine Fünf im Lotto. Er war zärtlich, treu, hatte einen guten Job. Er war Lars und Arne ein liebevoller Vater. Er war sportbesessen, verbrachte viel Zeit damit, seinen Körper zu stählen. Das alles trug dazu bei, dass sie sich behütet, aber nicht eingeengt fühlte. Und bald würde sie wieder in ihren alten Job zurückkehren. Nur noch als Halbzeitstelle, aber das kam ihr entgegen. In drei Monaten würde sie wieder in der Verwaltung ihrer alten Musikschule arbeiten können. Und zu vergünstigten Bedingungen Unterrichtsstunden nehmen. Das war ihr wichtig.
Für die Sechs war Hans zu langweilig. Zu zufrieden, zu gefestigt. Ein Mann für neue Ufer war er nicht.
Aber nach der grauenhaften Zeit mit Thomas hatte sie genau so einen Mann gesucht. Und gefunden.
Sie dachte an ihren Mann, an das Paket, an die neue Praktikantin im Kindergarten, die mit ihr über die Kinder reden wollte. Sollte das nicht heute sein?
Die Tür flog gegen ihren Kopf. Die Wucht des Stoßes riss sie von den Beinen. Als sie aufsah, war sie wieder geschlossen.
Hinter einem Mann.
Einem Mann mit Streifen von Blut im Gesicht. Blut an den Armen, an den Händen.
Ein verfilzter Bart vor seinem Gesicht. Seine Augen betrachteten sie ruhig und hart.
„Wehr dich nicht! Es hat keinen Sinn.“
Der Mann zog eine Waffe aus der Tasche.
Natürlich wehrte sie sich. Sie rappelte sich auf, schrie für ihre Kinder. Sie wusste nicht, was sie schrie, ob es überhaupt Bedeutung hatte. Sie schrie einfach. Schrie ihren Schreck heraus, ihre Angst.
„Wenn du nicht sofort still bist, erschieße ich dich und deine Kinder.“
Die Stimme. Schon die Augen waren ihr bekannt vorgekommen. Aber die Stimme. Sie ließ keine Zweifel daran, dass er nicht nur drohen wollte. Sie wusste, wer er war.
Von einer Bekannten hatte sie erfahren, dass er soff, dass er deswegen seinen Job verloren hatte. Mehr wusste die Bekannte auch nicht und mehr hatte auch sie nie wissen wollen.
Sie hatte diesen Moment geträumt. Oft. Nicht so. Nicht genau so. Mal war er am Spielplatz gewesen. Mal am Kindergarten. Und manchmal hatte sie wirklich geglaubt, ihn gesehen zu haben. Hinter einem Busch, hinter einem Zaun, hinter einem Auto.
Als er an ihr vorbeiblickte, als wäre sie nicht da, wusste sie, dass Arne und Lars hinter ihr standen.
„Bring sie weg!“
Die beiden hatten kein Wort gesagt. Aber jetzt rann das Wasser aus Arnes Augen. Lars blieb ganz still.
Sie nahm die beiden bei der Hand, zog sie den Flur entlang in ihr Zimmer. Noch teilten sie sich eins.
Die beiden weinten nun leise. Stierten vor sich hin, ohne zu sehen. Gut, Lars und Arne! Das macht ihr gut. Hier gibt es nichts zu sehen für euch. Für keinen von euch. Gar nichts. Das hier ist nicht echt. Es ist ein Alptraum! Sperrt ihn weg!
„Der Mann wird euch nichts tun“, sagte sie laut, strich über Arnes Haare, streichelte Lars‘ Gesicht. In ihre Augen kehrte Leben zurück.
„Es ist gleich vorbei, das verspreche ich euch. Ich schicke ihn weg. Aber ihr müsst jetzt ganz still sein und hierbleiben.“
Gut, dass der Flur so schmal war! Sie brauchte beide Wände als Stütze, um auf zitternden Beinen zurück in die Küche zu wanken. Zurück zu diesem wahnsinnigen, hasserfüllten Mann, der zu ihr gekommen war, um zu töten.
„Bist du verrückt, Thomas? Bist du vollkommen durchgeknallt? Warum tust du das? Was haben die Kinder dir getan?“
Angst und Wut flossen in diese paar Worte, der Rest ihrer Entschlossenheit, ihm die Stirn zu bieten. Der klägliche Rest der Kraft einer Mutter.
Sie warf sich an seinen Körper. Schrie ihm ins Gesicht. Trommelte mit ihren Fäusten an seine Brust.
Das Blut war kein Blut. Es war Farbe. Er hatte sich mit roter Farbe beschmiert! Eine Kriegsbemalung. Wie sollte sie diesem Mann beikommen? Diesem Krieger, der ausgezogen war, Rache zu nehmen?
In seinen Augen stand, dass nichts von ihr ihn erreichte. Nicht ihr Schreien, nicht ihre Fäuste, die auf ihn einschlugen.
Ganz leise sagte er es, aber sie verstand jedes Wort. Verstand die Bedeutung.
„Welchen willst du behalten?“
In diesem Augenblick, in diesem kurzen Moment der Klarheit, verstand sie, warum er hier war. Dann begann ein Nebel in ihr aufzusteigen.
Da waren keine Worte mehr, die irgendeinen Sinn machten. Nichts machte Sinn. Auge um Auge. Teresa gegen Lars. Oder gegen Arne. Teresa, diese fixe Idee. Diese Besessenheit. Sie war damals schon da gewesen. Kaum, dass sie von ihrer Schwangerschaft wusste.
„Wie meinst du das?“
Was hätte sie anderes tun sollen, als sich dumm zu stellen? Zeit gewinnen.
„Welcher soll Teresa folgen? Welchen soll ich dir lassen?“
Sie sollte entscheiden, welches ihrer beiden Kinder am Leben bleiben durfte. Lars oder Arne. Lars, der clevere, der so gut gedieh, der alle für sich einnahm. Auch sie. Auch Hans. Alle!
Oder Arne, der ihr so nah am Herzen war in seiner Verletzlichkeit?
Wie sollte sie so eine Wahl treffen können?
Der Gedanke nahm immer mehr Form an, wurde grell und hart, erschlug sie. Er hieb sie in Stücke, riss sie entzwei. Sie konnte dem Wissen nicht mehr entfliehen. Thomas war gekommen, um ihr ein Kind zu rauben. Alles verließ sie. Alles, was sie aufrecht hielt, die Kraft, der Mut. Das Gefühl, Mensch zu sein. Mutter. Dafür hätte sie doch etwas tun müssen! Irgendetwas!
Sie versuchte auf den Beinen zu bleiben.
Es ging nicht. Sie knickten ihr weg, als wären da keine Muskeln, keine Knochen in ihnen.
Sie lag vor Thomas. Sie lag auf dem Bauch vor ihm, umfasste seine Knöchel.
Und sie sprach, sagte ihm alles, was sie in diesem Augenblick fühlen und denken konnte:
„Warum tust du das, Thomas? Ich kenne dich. Du bist verletzt! Du hasst mich, weil ich daran schuld bin, dass du den Boden verloren hast. Weil ich dir Teresa weggenommen habe, an der du dein Leben verankern wolltest. Aber du bist nicht herzlos. Auch nicht, wenn du hasst. Bitte sei du, Thomas! Du weißt, dass ich das nicht kann. Dass keine Mutter das kann. Lars und Arne haben keine Schuld. Bitte, lass sie leben. Bitte! Bitte tu das nicht, Thomas!"
Er blieb einfach stehen. Bewegungslos.
„Ich habe solche Angst! Ich habe Angst, dass du mir Lars nimmst. Ich habe Angst, dass du mir Arne nimmst. Sie sind doch Teile von mir. Du schneidest mir das Herz raus. Und ich habe Angst, dass ich dir nicht antworten kann. Weil ich doch keine Antwort in mir habe. Und dann bin ich schuldig. Schuldig, weil ich keinen gerettet habe. Weil du mir dann vielleicht beide nimmst.“
Und während sie sprach, wurde ihr klar, dass ihre Lippen davon nichts weitergaben an ihn.
Nur immer ein Wort, das sie wiederholte, stammelnd, schluchzend, geschüttelt von Krämpfen, ein Wort, das aus ihrem Mund kroch und das ihre Augen auf seine Füße verströmten:
„Bitte!“, flüsterte sie. Nur immer „Bitte!“.
Und sie hielt seine Knöchel fest, presste ihre Stirn an sie, alles würde sie tun, alles, nicht nur bitten, sie würde flehen, sie würde sich erniedrigen, so sehr, dass sie ihren Leib tief in den Boden wühlen müsste, um ihm zu zeigen, wie sie fühlte.
„Tu, was du tun musst!“
Sie hat mir Teresa genommen.
Meine Teresa, meinen Halt, meinen Sinn. Meine süße kleine Tochter, die ich auf meinen Händen spüren wollte. Wenn ich sie abgenabelt hätte, wenn ich sie gewaschen hätte. Wenn ich sie ins Bett getragen hätte. Später Geschichten vorgelesen. Ihre helle Stimme. „Noch, ein Kapitel, Papa!“ „Noch eines, ja, aber dann wird geschlafen.“
Kein Suchen mehr, kein Jagen mehr, keine zerreißende Rastlosigkeit, endlich ankommen in diesem Leben. Endlich aufhören können, es wie einen milchig nebligen Traum zu fühlen, in dem ich niemals zuhause war.
Ich spüre das Beben ihres Körpers, das sich über ihre Hände überträgt. Höre ihre flehende Stimme.
Warum nur? Warum? Ich wollte es doch werden. Wäre es geworden. Teresas Vater.
„Tu, was du tun musst!“ Es war nicht richtig. Nicht fair. Es war falsch, so sträflich falsch. Die Rechnung war so schmerzlich offen.
Nein! Nichts war richtig. Nichts war wahr. Nichts! Teresa. Man konnte doch noch gar nichts sehen.
Nicht unsere Liebe, nicht meine zu ihr, nicht ihre zu mir.
Nichts war jemals richtig gewesen.
Auch das hier nicht!
Auch nicht der Krieger. Nicht die Botschaft.
Warum ging dieser Nebel nicht weg?
Seine Augen waren noch immer so hart, so kalt. Aber nun glänzen sie. Standen unter Wasser. Was fühlte dieser Mann? Erkannte er, dass er verloren war, wen immer er mitreißen würde?
„Bitte, Thomas! Es bringt dir Teresa nicht zurück.“
Er trat neben sie. Legte seine Waffe auf den Tisch. Setzte sich vor sie. Starrte auf die Tischplatte.
„Thomas! Geh einfach wieder! Geh weg!“, flehte sie stumm.
Aber er ging nicht. Er blieb einfach vor ihr sitzen.
Wandte ihr seinen Rücken zu. Hatte sie ihn erweichen können? War er zu Verstand gekommen? Oder ruhte er sich nur aus, bevor er zur Tat schritt?
Eine Hoffnung keimte auf in ihr. Aber sie war klein. Zu klein, um sich auf sie zu verlassen.
Er richtete sich auf, streifte sein Hemd ab. Ließ es auf den Boden fallen.
Sein Kopf sank nach vorn.
Er murmelte in das trockene Holz des Tisches. Sie sah seinen Mund nicht, sah nicht, ob sich seine Lippen überhaupt bewegten. Aber sie verstand ihn.
„Ich weiß jetzt, was ich tun muss. Jetzt weiß ich es. Bitte hilf mir! Bitte mach, dass ich das nicht tue, nicht jetzt, niemals!“
Hatte er die ihre auch gehört? Ihre wortlose Botschaft an ihn?
Ihre Hand griff nach der Pistole.
Als ob er ihre Bewegung gesehen hätte, zuckte sein Arm nach hinten. Dorthin, wohin er die Waffe gelegt hatte. Nur kurz hatte sein Arm gezuckt. Wieder legte er seinen Kopf auf der Tischplatte ab, als ob bleischwere Gedanken ihn niederdrückten.
Sie stand auf, trat ein paar Schritte zurück, richtete die Pistole auf ihn.
„Bitte, Thomas! Steh auf und geh! Geh einfach! Du warst nie da, ich vergesse es, ich vergesse alles. Ich werde alles versuchen, damit Lars und Arne auch vergessen können. Bitte!“
Langsam richtete er sich auf. Seinen verschmierten Körper, seine Beine, die ihn hierhergetragen hatten. Er sah sie an.
Sie vermochte nicht, in seinen Augen zu lesen. Nahm kein Feuer mehr wahr, keine Glut. Nur noch Leere, Müdigkeit.
Er reckte ihr seine Hand entgegen.
„Gib mir die Pistole!“
Sie trat zur Seite. Machte den Weg zur Tür für ihn frei.
Aber er nahm diesen Weg nicht. Folgte ihr. Kam ihr näher.
„Gib mir die Pistole!“
Nur noch einen Schritt war er von ihr entfernt. Aber er stürzte sich nicht auf sie, machte keine Anstalten, sie zu packen, zu überwältigen. Nur sein Arm war immer noch ausgereckt.
„Gib sie mir!“
Und dann verstand sie. Endlich verstand sie seine Augen, sah in ihnen die verzweifelte Bitte, die er nicht aussprach.
„Verzeih mir, Thomas!“, flüsterte sie.
Der Schuss zerriss keine Stille. Er war für sie so leise wie ihre Worte, wie seine Worte.