Veteran
- Beitritt
- 15.10.2015
- Beiträge
- 938
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 32
Trinidad
Es gab keinen Knall. Sie seufzte nur kurz, und als ich zu ihr hinüberschaute, sah ich in ihren Augen Verwunderung und Trauer, aber keinen Schmerz. Dann brach ihr Blick, noch bevor das Blut aus ihrer Nase das Kinn erreichte.
Ich lernte Mina in der Wäscherei kennen. Das ist die Wäscherei der St. Trinity Women's High Security Correctional Facility for Southern Maine at Portland, von den Insassen ironisch Trinidad genannt. Ich hatte meinen Mann umgebracht. Na und? Das Schwein hatte es nicht anders verdient.
Wieder und wieder hatte Maury mir Gewalt angetan, immer wenn er besoffen nach Hause kam. Wies ich ihn ab, nahm er mich trotzdem. Wehrte ich mich, schlug er zu. Natürlich wusste ich eigentlich, dass man solche Männer gleich nach dem ersten Mal verlassen muss. Dass man nichts darauf geben kann, wenn sie hinterher flennen und es ihnen leidtut und sie sich bessern wollen und versprechen, es werde nie wieder vorkommen. Dass es trotzdem immer wieder passiert und sich nichts und niemand jemals bessert. Aber ich war eben eine blöde Kuh, da hatte er sogar recht. Und irgendwann kam es mir so normal vor, dass ich aufhörte, mich zu wehren. Dann kam der Abend, an dem er wieder lange in der Kneipe blieb und mir die Weinflasche herunterfiel, mit deren Inhalt ich mich für das Unvermeidliche gewappnet hatte. Ich sammelte gerade die Scherben auf, als Maury zur Tür hereinkam. Er stand über mir und hatte diesen grauenhaften Blick in den Augen. Ich hockte vor ihm und hatte den abgebrochenen Flaschenhals in der Hand. Da machte es Klick. Der Anwalt sagte, ich könnte mit dreißig Jahren davonkommen, wenn ich Reue zeigte. So wurde es eben lebenslänglich.
Mina hingegen war eine Politische. Sie war idealistisch, intelligent und so jung, dass sie fast meine Tochter hätte sein können. Zumindest, wenn ich mich mit fünfzehn in der Highschool von Tommy hätte schwängern lassen. Auch so ein versoffenes Arschloch und dabei gerade mal acht Jahre älter als ich. Wenigstens war ich bei der Verhütung klüger gewesen als bei der Wahl meiner Männer.
Dabei hätte ich eine wie Mina gerne als Tochter gehabt. Ein wahrer Engel, nicht nur vom Aussehen her. Sie war stark und selbstbewusst, aber dennoch freundlich und mitfühlend. Dank Trinidad besaß sie gleichzeitig ein Maß an Lebenserfahrung, das man einer Einundzwanzigjährigen nicht wünscht. Aber wäre sie meine Tochter gewesen, hätten wir natürlich keine Affäre begonnen. "Du siehst traurig aus", war das Erste, was sie zu mir sagte. Hinten im Wäschelager weckte sie Gefühle in mir, die mich keiner meiner Männer jemals erahnen ließ.
Rose war ebenfalls eine Politische. Sie war bei derselben Demo verhaftet worden wie Mina. Für Bürgerrechte hatten sie demonstriert, gerade mal fünfzig Hanseln, als irgendein Idiot anfing, Steine zu werfen. Daraufhin wurde die ganze Gruppe kurzerhand einkassiert und als gefährliche Linksradikale abgeurteilt. Mit den Bürgerrechten war es nicht mehr weit her, seit 2019 der Präsident einem islamistischen Attentat zum Opfer gefallen war. Danach verfiel der Kongress in Panik, winkte die Notstandsgesetze in Rekordzeit durch und verschaffte dem neuen Präsidenten eine nie gekannte Machtfülle, die dieser in seiner Paranoia weidlich ausnutzte.
Rose hätte ich nicht als Tochter gewollt. Die Erfahrung, als Schwarze sich und der ganzen weißen Welt ständig ihre Ebenbürtigkeit beweisen zu müssen, hatte sie zynisch und kratzbürstig gemacht. Hochnäsig und besserwisserisch war sie vielleicht vorher schon gewesen. Sie und Mina waren wie Hund und Katze, aber der Polizeistaat hatte sie zu Schicksalsgenossinnen gemacht.
Komplett wurde unser Damenkränzchen durch Heather. Sie war die älteste von uns und schon am längsten hier; außerdem war sie eindeutig verrückt. Vielleicht wurde man das automatisch mit dem Namen. Sie war nicht so verrückt wie Ich-bin-Queen-Victoria-und-die-kleinen-weißen-Mäuse-tanzen-für-mich, sondern eher so wie Ich-ramme-dir-den-Suppenlöffel-ins-Auge-weil-du-versucht-hast-dich-bei-der-Essensausgabe-vorzudrängeln. Sie hat uns nie verraten, wofür sie einsaß, aber ich vermutete, dass sie ihre Eltern für ihre Namenswahl erschlagen hatte. Mina, Rose und ich hielten uns an Heather, weil sie uns beschützte. Was Heather an uns fand, ist mir bis heute nicht klar.
Heather war es auch, die die Codes unserer Implantate herausfand. In Trinidad hatte jede Gefangene eines. Je zwei dieser Dinger hatten den gleichen Code, so dass die zwei Besitzerinnen ein Paar bildeten, aber man wusste nicht, wer zu wem gehörte. Und wenn die beiden Hübschen sich zu weit voneinander entfernten, etwa weil eine von ihnen geflohen war, dann explodierten die Implantate, sobald sie den Funkkontakt zueinander verloren. Auf diese Weise konnten die Kosten für herkömmliche Sicherungsmaßnahmen auf ein Minimum gesenkt werden.
Ich musste laut lachen, als mir das der Gefängnisarzt nach der Überstellung erläuterte. Sie hatten sich das offenbar direkt aus den verschissenen alten Achtzigerjahre-Actionfilmen abgeguckt, die Maury immer mittags gesehen hatte, nachdem er verkatert aus dem Bett gefallen war. Damals war das die Horrorvision eines totalitären Zukunftsstaates, den es hoffentlich nie geben würde. Und jetzt hatten sie es einfach gemacht! Das Lachen verging mir, als der Arzt mir mein Exemplar durch die Nase in die Stirnhöhle trieb und dort mit Widerhaken verankerte. Das tat drei Tage lang irrsinnig weh. Aber ich bin ja gut darin, mir einzureden, dass Schmerzen normal sind.
Es gab immer mal Neuankömmlinge, die die Implantate für Attrappen hielten, sowas wie Placebos zur Abschreckung. Wenn so eine ganz Schlaue dann türmte, erfuhren wir nie, was genau aus ihr wurde. Doch wir konnten meist live miterleben, wie es ihrer ahnungslosen Partnerin erging. Der flog dann nicht mitten am Frühstückstisch der Kopf auseinander, das war Hollywood. Aber sie bekam das stärkste und letzte Nasenbluten ihres Lebens. Abschreckung, oh ja.
Jedenfalls war Heather zwar verrückt, aber nicht blöd. Im Gegenteil, sie folgte einem Plan. Über mehrere Wochen hinweg markierte sie immer wieder Magenschmerzen und Verstopfung. Die Pülverchen, die man ihr auf der Sanitätsstation als einzige Hilfe in die Hand drückte, sammelte sie. Bei der nächstbesten Gelegenheit schlug sie mal wieder eine Mitgefangene zusammen, die sie beim Hofgang falsch angeguckt hatte. Als der Direktor sie wie erwartet vorlud, um ihr eine Woche Dunkelhaft zu verordnen, schaffte sie es irgendwie, die Überdosis Abführmittel in seinen Kaffee zu befördern, und während er plötzlich ganz dringend kacken gehen musste, entlockte Heather seinem Computer die Codes. Sie konnte sowas.
Das alles verriet sie uns erst, als sie nach Ablauf der Woche zurückgekehrt war und uns in den hintersten Winkel des Geräteschuppens geschleift hatte, wo niemand zuhören konnte. Dabei trug sie das irrste Grinsen im Gesicht, das ich je an ihr gesehen hatte. "Ladies", verkündete sie, "wir vier kommen hier raus." Auf unsere fragenden Mienen hin erklärte sie: "Die Chance lag bei eins zu hundert Fantastilliarden, aber wir haben die zueinander passenden Codes."
"Wie?" sagte ich. "Vier gleiche?"
"Natürlich nicht!" schnaubte Rose. "Zwei Pärchen. Nicht wahr, Heather?"
Diese nickte, immer noch grinsend.
"Und wer von uns gehört zusammen?" fragte Mina.
Heathers Grinsen erstarb. "Das sage ich euch nicht." Wir schauten sie verständnislos an. "Wenn ihr es wisst, hauen zwei von euch ab und lassen mich mit der anderen allein zurück. Ich weiß, dass ihr mich für durchgeknallt haltet und Angst vor mir habt. Ich will nicht, dass ihr einfach so geht." Dabei blieb sie und ließ sich nicht umstimmen. Ich sage ja, sie war nicht blöd. Mina, Rose und ich entschieden, diese Frage später zu klären, wenn wir aus Trinidad entkommen waren.
Auch der eigentliche Fluchtplan konnte nur von Heather kommen. Dabei war er ganz einfach, nachdem sie ihn erklärt hatte. Wir würden uns die Bauarbeiten auf dem Außenparkplatz sowie den Besuchstag zunutze machen. Und natürlich die laschen Sicherheitsmaßnahmen, da sich die Gefängnisverwaltung ja auf die Implantate verließ.
Am Besuchstag kamen die meisten Wärterinnen und Wachmänner mit dem Bus zur Arbeit. Sie hatten es satt, dass die Angehörigen der Gefangenen ihnen regelmäßig die Reifen zerstachen oder "Fuck U" in den Lack ritzten. Als wir beim Abendhofgang unauffällig am Zaun entlang schlenderten, sahen wir nur drei Autos der Spätschichtwachen auf dem Parkplatz außerhalb des großen Tores. Sie waren am tornahen Ende nebeneinander abgestellt; am entfernten Ende stand der Radlader, der tagsüber noch Unmengen Schotter bewegt hatte, um den schlaglochübersäten Platz wieder zu ebnen. "Und du bist sicher, dass du das Ding fahren kannst?" fragte ich Heather. "Kann ja nicht so schwer sein", brummte sie. "Das findet sich dann schon, wenn ich drin sitze."
In der äußersten Ecke des Hofs stand der Geräteschuppen. Rose hatte am Ende der Nachmittagsarbeit dafür gesorgt, dass er nicht abgeschlossen wurde. Als die Hofaufsicht gerade in die andere Richtung schaute, schlüpften wir in den Schuppen. Mina und ich hatten etwas Kleidung aus der Wäscherei mitgehen lassen und hier deponiert. Es waren die zivilen Klamotten einiger Wärterinnen, die sie dort gerne kostenlos waschen ließen, obwohl das gegen die Vorschriften verstieß. Die Sachen würden erst morgen früh vermisst werden, wenn wir schon über alle Berge waren. Wir tauschten unsere Gefangenenoveralls gegen die Zivilkleider und warteten. Zum Ende des Hofgangs riefen die Aufsichten alle Frauen in die Zellen zurück, um sie für die Nacht einzuschließen. Nachdem sich der Hof geleert hatte, blieben uns noch etwa zehn Minuten Zeit, bis unser Fehlen auffiel. Jetzt musste alles schnell gehen.
Der Direktor war der einzige, der sein Auto im Innern des Geländes parken durfte. Wir wussten, dass er heute lange bleiben würde, weil er eine Affäre mit einer drallen Wärterin aus der Spätschicht hatte. Nur ein besserer Maschendrahtzaun trennte uns von dem Fahrzeug, den wir mit den Zangen aus dem Geräteschuppen bald durchtrennt hatten. Während Mina, Rose und ich die Haupttür mit den Mülltonnen zustellten, brauchte Heather weniger als zwanzig Sekunden, um den Cadillac kurzzuschließen. Erneut fragte ich mich, welche Lebensgeschichte sie wohl vor uns verbarg. Heather überließ mir das Steuer und sprang mit Mina auf den Rücksitz, Rose rutschte bereits auf den Beifahrerplatz. Ich wendete den Wagen, gab Gas und hielt auf das Tor zu. Als dieses beim Aufprall mit einem lauten Krachen aus den Angeln sprang, konnten wir sicher sein, dass man uns bemerkt hatte.
Wir überquerten den Außenparkplatz, vorbei an den drei Wagen aus der Spätschicht bis zum Radlader, der kurz vor der Ausfahrt stand. Hier brachte ich den Cadillac zum Stehen, Heather sprang hinaus und kletterte in das Führerhaus des Baufahrzeugs. Dann geschah lange nichts. Zu lange. Heather war unter der Fensterkante des Ungetüms verschwunden, als sie versuchte, auch dieses kurzzuschließen. Anscheinend war das schwieriger als gedacht. Es mochte eine halbe Minute dauern oder eine ganze, mir kam die Zeit endlos vor. Ich stieg aus, um nach Heather zu sehen, obwohl ich wusste, dass ich ihr keine Hilfe sein konnte. Rose und Mina taten es mir nach. Längst drangen Rufe und lautes Poltern aus dem Gebäude zu uns. Die Müllbarrikade würde nicht ewig halten.
Endlich erwachte der Diesel des Radladers zum Leben. Die Schaufel hob sich, und der Koloss setzte sich ruckend in Bewegung. Auf halbem Weg Richtung Tor steuerte Heather den Lader ungebremst in einen Zaunpfosten, dessen Verlängerung als Mobilfunkmast fungierte. Krachend stürzte die Konstruktion ein. Da man es nie für lohnend befunden hatte, die Strafanstalt mit einem Festnetzanschluss auszustatten, konnte vorerst keiner mehr um Hilfe telefonieren. Heather setzte ungelenk zurück und peilte als nächstes die drei geparkten Autos an. Mit gesenkter Schaufel rammte sie seitlich den ersten Wagen, schob ihn in die beiden nebenstehenden und drückte alles zusammen mit Wucht gegen die kurze Mauer, die das vom Cadillac zerstörte Tor umrahmte. Mit diesen Wracks würde uns niemand verfolgen können.
Ab jetzt ging alles schief. Laut Plan musste Heather nur noch aus dem Radlader springen, zu unserem Fluchtwagen zurücksprinten und mit uns abhauen. Doch sie hatte zu viel Zeit mit dem Starten des Laders und ihrer Amokfahrt verloren. Die Wachmänner hatten inzwischen unsere Müllbarriere durchbrochen und waren mit Schrotflinten in der Hand vom Gebäude bis zum Tor gestürmt. Als Heather aus dem Führerhaus zu Boden sprang, waren bereits drei Waffen aus weniger als fünfzig Fuß Entfernung auf sie gerichtet. Wie ein in die Enge getriebenes Tier blickte sie hektisch nach links und rechts; dann ließ sie resigniert die Schultern sacken, und ihr Körper entspannte sich.
Noch einmal sah Heather zu uns herüber. Obwohl sie zu weit entfernt war, glaubte ich in ihren Augen Tränen zu erkennen. "Zwei von drei!" rief sie, ihre Stimme überschlug sich dabei. "Ist doch gar nicht so schlecht!" Dann wandte sie sich um und stürzte mit ausgebreiteten Armen und einem lauten, wahnhaften Lachen auf die Wachmänner zu. Wir konnten nur zusehen, wie drei Schrotladungen ihren Leib zerfetzten.
Fassungslos sahen wir einander an, ich blickte von Mina zu Rose und zurück. Uns allen wurde im selben Moment klar, was Heather mit ihren letzten Worten gemeint hatte: Eine von uns war ihre Partnerin und konnte nicht weiter fliehen, ohne dabei zu sterben. Aber wir wussten nicht, wer von uns zurückbleiben musste. Sollten wir uns alle drei ergeben, um unsere Leben zu retten? Unsere Leben in Trinidad? Ein paar endlos scheinende Sekunden verrannen, dann waren wir uns wortlos einig. Wir sprangen wieder in den Cadillac, und ich trat das Gaspedal durch. Die Wachen schossen wild hinter uns her, doch wir waren schon zu weit entfernt. Ein paar Schrotkugeln prallten wirkungslos vom Blech ab.
Immer schneller rasten wir auf die unsichtbare Grenze zu, die der Reichweite von Heathers Implantat entsprach. Minas Finger krallten sich vom Rücksitz aus in meine Schultern, doch ich merkte nicht, ob es wehtat. Rose neben mir starrte geradeaus, ihre Lippen formten unhörbare Worte, als ob sie stumm betete. Gut eine halbe Meile jenseits des Zauns erwischte es sie.
Es gab keinen Knall. Sie seufzte nur kurz, und als ich zu ihr hinüberschaute, sah ich in ihren Augen Verwunderung und Trauer, aber keinen Schmerz. Dann brach ihr Blick, noch bevor das Blut aus ihrer Nase das Kinn erreichte.
Wie ein Automat fuhr ich weiter, den Blick geradeaus gerichtet. Nach einiger Zeit lösten sich Minas Fingernägel aus meinen Schultern. Umständlich breitete sie eine Decke über Rose aus, die sie auf dem Rücksitz gefunden hatte. Dabei weinte sie um unsere Gefährtin, mit der sie sich nie verstanden hatte. Ich weinte vor Erleichterung, dass es nicht Mina getroffen hatte.
Der Rest unserer Flucht ist schnell erzählt. Den auffälligen Cadillac fuhren wir nur bis zur nächsten Siedlung, deren Namen wir nicht kannten. Im Schutz der anbrechenden Dunkelheit versteckten wir die Karre in einem Gebüsch. Auch Rose blieb dort zurück. Zwei Straßen weiter fanden wir einen kleinen Honda, dessen Fahrer dankenswerterweise die Schlüssel am traditionellen Platz auf der Sonnenblende hinterlegt hatte. Ebenso dankbar waren wir für das eingebaute Navi, das uns einen Schleichweg in die Vororte von Portland wies, und für das wenige Bargeld, von dem wir ein paar Busfahrkarten in die Innenstadt bezahlten. Mit mehrmaligem Umsteigen und mehr Glück als Verstand kamen wir den erst spät eingerichteten Straßensperren zuvor und erreichten den alten Hafen.
Mina kannte dort einen bärtigen Umweltschutzfreak, der zwar entsetzt war, zwei gesuchte Schwerverbrecherinnen in seiner Wohnung stehen zu haben, uns aber mit einer Gruppe von Untergrundaktivisten in Kontakt brachte, die er ebenfalls am liebsten nie gesehen hätte. Die versteckten uns eine Zeitlang, gaben uns von ihrem Essen ab und vermittelten uns weiter an einen pickligen Jüngling, der neue Ausweise samt digitalen Identitäten für Mina und mich anfertigen sollte.
Da wir kein Geld zum Bezahlen hatten, ging ich jeden Tag einmal mit dem Knaben in sein Hinterzimmer, um ihm etwas Entspannung für seine harte Arbeit zu verschaffen. Erst hatte ich befürchtet, er würde Mina wollen, aber der Jüngling meinte, eine Latina-MILF wie ich sei eher sein Ding. Er war gar nicht so schlimm, ich war anderes gewohnt. Nur Mina heulte sich jedesmal die Augen aus, während sie im Vorraum wartete. Dabei hätte sie trotz Implantat raus auf die Straße gehen können, statt sich alles anzuhören.
Aber das war das letzte Mal, dass ich mich von einem Mann anfassen lassen musste. Nach einer Woche waren die Papiere fertig, und zwei der Aktivisten brachten uns über die kanadische Grenze, weil wir als Hetero-Pärchen weniger auffielen als zwei allein reisende Frauen, wie sie auf der Fahndungsliste standen.
Inzwischen leben Mina und ich in Vancouver. Dort genießen wir das kleine bisschen Glück, das wir gemeinsam haben. Wir arbeiten beide in einer Wäscherei - gelernt ist gelernt - und lassen uns immer zur selben Schicht einteilen. Einmal im Jahr zünden wir in der Kirche zwei Kerzen an, eine für Heather und eine für Rose.
Wir haben noch niemanden gefunden, der uns die Implantate rausholen kann, ohne dass wir dabei eine Lobotomie riskieren, aber das ist uns mittlerweile egal. Wir bleiben einfach zusammen. Bis dass der Tod uns scheidet.