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Treffen mit Simon

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30.03.2010
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Treffen mit Simon

Birke kommt hinter seiner Kamera hervor und zückt ein Taschenmesser mit schwarzem Griff. Als er die Spitze an meine Brust setzt, ziehe ich den Bauch ein.
„Hast du Angst?“, fragt er. Ich schüttele den Kopf, schließe die Augen und warte auf den Schmerz. Er kommt nicht. Ich öffne die Augen und blicke mich in meinem Zimmer um. Keine Kamera und auch kein toter Photograph, der mir Wunden verpasst. Ich bin auf mich allein gestellt.

In der Bibliothek blättere ich durch Birkes Vermächtnis. Hunderte von Körpern auf sechshundert Seiten hochwertigen Papiers. Drei Kilo Essenz von Randgruppenästhetik, die Birke filtriert hat.
„Dir ist klar, dass du einen Auftrag hast?“
Von einem Selbstportrait sieht Birke mich mahnend an, den Kopf ins Halbprofil gedreht, die Haare zurückgestrichen, dunkle Schatten auf seinen hohlen Wangen.
Ich nicke und schiebe den Band zurück an seinen Platz. „Bald hole ich dich.“, flüstere ich und fahre mit den Fingerspitzen über den rauen Leinenbezug.
Hinter mir fällt ein Buch auf den Boden. Ich drehe mich um und sehe einen Jungen, der sich an den Regalen zu schaffen macht. Auf seinem rechten Arm balanciert er drei schwere Bände, den freien streckt er nach oben, um ein Buch an seinen Platz zu stellen. Das Gefallene liegt neben seinen Schuhen. Als er die linke Hand frei hat, legt er den Rest ab und trägt die Bücher eins nach dem andren irgendwohin, stellt sie ab und rückt im Vorbeigehen die Buchrücken alle auf eine Linie.
Ich drehe mich um und ziehe den Birkeband aus der Kunstabteilung und stelle ihn in die Literatursektion. Dann gehe ich.

Am nächsten Tag steht Birke zwischen Arcimboldo und Caravaggio. Ich muss grinsen, doch es vergeht mir bei dem Gedanken, dass es anscheinend jemanden gibt, dem ein Fehlen des Bandes auffiele.
Mit einem Wörterbuch setze ich mich zu ihm an den großen Tisch. Er an einem Ende, ich am andren. Kurz blickt er auf, ein skeptischer Blick, aber nicht in die Augen. Es ist Nachmittag und niemand außer uns noch hier. Ich werfe einen Blick auf das Buch, das vor ihm liegt. Ein Bildband über den Mars.
„Aha …“, mache ich, „Da sind wir also auch schon? Auf der Suche nach Leben? Wir akzeptieren ja nicht mal alle Individuen unserer eigenen Spezies.“ Einen Moment schweige ich, um auf seine Reaktion zu warten, doch da kommt nichts. „Auf der anderen Seite … die Kunst macht auch nichts anderes, als sich neue Räume zu erschließen. Nur sind es eben geistige. Es ist immerhin auch eine Aussage über den Menschen, dass er so was tut. Trotzdem bleibt es paradox, in Anbetracht der Probleme, die wir hier haben.“ Ich gebe auf, als der Junge sein Buch zuschlägt und vor sich hinstarrt. Bis auf seinen hörbaren Atem ist es still. Tiefes Ein- und Ausatmen.
Wahllos schlage ich eine Seite im Wörterbuch auf, blättere, als suche ich nach einem Wort. Dann packe ich Stift und Heft aus, beginne Vokabeln zu notieren. Als ich das tue, steht der Junge genervt stöhnend auf. Wahrscheinlich hat er gehofft, ich würde gehen.
Sorgsam schiebt er den Band, in dem er geblättert hat, zwischen die anderen und beginnt seine Ordnungsrunde. Wenige Momente später nutze ich die Gelegenheit.
„Wer hat dich dazu verdonnert, den Bibliothekar zu spielen?“
Er zögert mit einer Antwort, fährt im Vorbeigehen mit den Fingern über die Buchrücken. „Mich hat keiner verdonnert.“
„Und warum machst du das?“
„Weil Systeme ihren Zweck nicht mehr erfüllen, wenn sie durcheinander geraten. Du sollst Bände mit der Kennzeichnung Ku nicht hinstellen, wo nur welche mit Lit hinkommen.“
„Und was machst du, wenn ein Buch ausgeliehen ist?“
„Dann schaffe ich Platz und sorge dafür, dass er noch frei ist, wenn das Buch nach den geregelten drei Wochen, mit Verlängerung maximal fünf Wochen, zurückkommt.“
Ein paar Minuten bleibe ich sitzen und überlege. Eigentlich kann mir ein verschrobener Fünftklässler egal sein. Stift und Papier verschwinden in der Tasche, dann gehe ich rüber zur Kunstabteilung und packe den Birkeband ein.
Als ich die Bibliothek verlassen will, ruft mir der Junge hinterher.
„Das darfst du nicht. Stell ihn zurück!“
Ich winke, ohne mich umzudrehen und greife gerade nach der Türklinke, als das Kind an der Tasche zieht, mir den Trageriemen von der Schulter reißt und mit meinem ganzen Gepäck in die Kunstabteilung rennt. Bis ich da bin, hat er den Bildband rausgenommen und an sich gedrückt.
„Jetzt hör aber mit deiner scheiß Ordnung auf“, blaffe ich ihn an. Als meine Hand ihm nahe kommt, um die Tasche zu greifen, kneift er die Augen zu und fängt zu kreischen an.
Schnell hebe ich die Hände und entferne mich ein Stück. Ich komme mir dämlich dabei vor, ein kleines Kind zum Heulen gebracht zu haben.
Schlagartig hört er auf zu schreien, stellt schwer atmend den Band ins Regal, sorgt dafür, dass alle Buchrücken auf einer Linie stehen und geht dann an mir vorbei.

„Simon!“, ruft einer durch die Pausenhalle. Der Junge aus der Bibliothek blickt sich um, geht aber weiter. Der andere rennt los und packt Simon an der Schulter. „Bleib mal stehen, oder raffst du’s nicht?“
„Ich habe keine Zeit, Patrick!“ Simon zieht fahrig die Schulter unter seiner Hand weg und läuft unbeirrt Richtung Ausgang.
„Hey Simon!“, Patrick verzerrt das Gesicht, hebt den Arm und schreit „Marsattacks!“ Im nächsten Moment sitzt er auf Simons Rücken und tut so, als reite er auf einem Rodeo-Bullen.
Andere Kinder stehen drum herum und lachen, rufen: „Simon die heiße Herdplatte – nicht anfassen!“ Ich beschließe zurück in die Bibliothek zu gehen um den Birkeband zu holen. Hinter mir wird Simons Schreien immer höher.

Am Abend wühle ich durch Fotomagazine. „Landschaft, Portrait und Stillleben - wie Sie das perfekte Foto schießen“ Mit rotem Stift schreibe ich über die Fresse eines engelsgleichen Models in weichem Licht: „Gleichgeschaltete Photographie – wie sie alle dasselbe Bild machen“
Aus der Schublade ziehe ich das Taschenmesser mit dem schwarzen Griff, lasse die Klinge springen und steche auf den Stapel Zeitungen ein. Mit Kraft schaffe ich es bis zur Tischplatte, halte mich selbst nicht auf dem Stuhl, stoße ihn um und werfe zerfetztes Papier durchs Zimmer. Sehe die scheinheilige Perfektion so wie sie gehört: Zerstört am Boden und ich brülle sie an, die zerknitterten Papierengel.
Plötzlich halte ich inne. Aus meiner Tasche ragt der Bildband. Ich knie mich davor und ziehe ihn raus, schlage die ersten Seiten auf, kann aber nicht sehen, was sie zeigen.
Das schreiende Gesicht Simons schiebt sich vor die Bilder Birkes.

Nach Schulschluss betrete ich die Bibliothek. An seinem großen Tisch sitzt Simon vor dem Bildband. Als ich in sein Blickfeld trete, schaut er auf und direkt an mir vorbei. Ich könnte das gar nicht. Ich sehe Unbekannte an und ernte irritierte Blicke die fragen: „Kennen wir uns?“ Manchmal ist auch ein Hauch von Unwohlsein in den Augen der Gesehenen.
„Simon?“, frage ich und gehe ein paar Schritte auf den Tisch zu. Der Junge weicht zurück, fast tierhaft, nimmt die Hände vom Buch und schiebt den Stuhl nach hinten.
„Du verpetzt mich doch nicht?“, frage ich, „Weil ich den Band genommen habe.“
Mit beiden Händen stütze ich mich auf die Tischplatte, beschließe, das Thema zu wechseln „Ich habe gesehen, wie sie dich angegriffen haben.“
Er blickt auf, scheint diesmal auf meine Schulter zu starren. Ich sehe ihn an, versuche seinen Blick zu fangen, doch er huscht mir davon.
„Du weißt nicht, warum mir die Bilder in dem Buch so wichtig sind. Birke hat das, was keiner sieht zugänglich gemacht. Er hat den Schmerz verkehrt und aus ihm eine produktive Kraft gemacht.“
„Schmerz ist da, um uns vor Gefahren zu schützen“, sagt Simon, wie auswendig gelernt, steht auf und stellt sein Buch weg.
„Ich weiß, und das wird er tun“, flüstere ich, drehe mich um und gehe. Als ich zurückblicke, nimmt Simon ruckartig den Blick von meinem Rücken und starrt ins Regal.

Auf der Treppe gegenüber der Jungentoilette warte ich. Der Unterricht wird heute geschwänzt. Die siebte Stunde hat begonnen, für die Fünftklässler ist jetzt Schulschluss.
Nach einer Weile kommt Patrick vorbei. „Hey!“, rufe ich. Er bleibt vor der Treppe stehen und sieht zu mir hoch. Langsam erhebe ich mich und steige die sieben Stufen zu ihm runter.
„Willst du mal was machen?“
„Was denn?“, fragt er und verzieht das Gesicht zu einer abwertenden Grimasse.
„Kleiner Gangster, he? Schon mal geraucht?“
„Klar“, sagt er und verschränkt die Arme vor der Brust.
Ich nehme die Hand aus der Tasche und öffne ein Zigarettenpäckchen, ziehe einen Stängel raus und lasse ihn zwischen den Fingern wandern.
„Komm mit“, sage ich und gehe in die Toilette, strebe die letzte Kabine an.
Patrick folgt mir. „Nach dir“, sage ich und schließe die Tür hinter meinem Rücken. Er sieht mich gespannt an, die Hände in den Taschen seiner zu großen Hose. Erneut hole ich vor seinen Augen das Päckchen aus der Tasche, kippe mir alle Zigaretten auf die Hand, nehme sie zu einem Bündel und zerquetsche sie. Der Tabak rieselt auf die Erde, Patrick starrt mich an. „Bist du dumm, Mann?“
„So reden Fünftklässler?“, frage ich.
„Alter, das sind mehr als fünf Euro. Was machst du?“
Ich starre ihn an, ziehe vor Ekel die Mundwinkel runter, der Unterkiefer schiebt sich vor. „Du Widerling“, flüstere ich.
„Wer hat dir denn ins Hirn geschissen, was bist du denn fürn Freak?“, er lacht auf und will mich zur Seite schieben, fliegt aber gegen die Wand und starrt schielend auf die Messerspitze zwischen seinen Augen. Plötzlich ist er still, atmet nicht mehr, versucht panisch auf die Schüssel zu klettern, rutscht mit dem Fuß ab und landet direkt im Becken. Wasser spritzt hoch, sein Hosenbein saugt sich voll.
Ein weiterer Versuch, er probiert sich an der Trennwand hochzuhieven, ich ziehe am trockenen Hosenbein. Er fällt und steht mit beiden Beinen im Wasser. Tränen oder hochgespitzte Klobrühe rinnen über sein Gesicht.
Ich lehne mich gegen die Tür, hebe mein Hemd und setze einen Schnitt über dem Bauchnabel an.
„Siehst du diese Scheiße?“, sage ich, und fasse in die Wunde, strecke ihm meinen blutverschmierten Zeigefinger entgegen, „Siehst du, was ihr tut? Du und deine Freunde?“
Seine zusammengepressten Beine zittern, seine Augen sehen aus, als wolle er sie ins Klo scheißen.
Der Schmerz ist befriedigend, ich schiebe das Hemd weiter hoch, schneide tief ins Fleisch unter die Rippe, mein Traum ist es, den Knochen einzukerben. Ich stochere mit dem Messer darin rum, in der Wunde, im blutgefluteten Fleisch. Dann nehme ich die Messerspitze von mir und nähere sie langsam Patrick.
„Es fließt wegen dir, der du dich auf die Rücken anderer wirfst und sie knechtest – obwohl du und deines Gleichen die größten Sklaven unter allen seid“, flüstere ich schnell und deutlich, halte ihm das Metall an die Lippen. Meine Finger umschließen die Luft um seinen Hals. Kein Druck, aber er bekommt Atemnot. Ein Stillstand, der nicht meine Schuld ist.
„Placebo-Effekt? Bilde dir nicht ein, ich erwürge dich. Das bist du mir nicht wert.“
Seine kleine, rosa Zungenspitze schiebt sich zwischen den Lippen hervor, ich komme ihm mit dem Metall entgegen, streiche es darüber, bis kein Rot mehr dran ist. Dann hebe ich Patrick an der Hüfte aus dem Klo und öffne die Tür.

Beim Laufen spüre ich das Blut aus den Wunden sickern. Mein schwarzes Hemd durchnässt, klebt an meiner Haut. An der Türklinke zur Bibliothek hinterlasse ich eine rote Spur.
„Bist du hier, Simon?“, rufe ich, ohne eine Antwort zu erhalten. Auf dem großen Tisch liegt der Marsbildband, aufgeschlagenen, daneben Simons Rucksack. In der Ecke liegt ein Schuh. Ich hebe ihn auf und nehme ihn mit. „Simon?“ Ich gehe durch alle Reihen, in der letzten kauert er an der Wand und weint, den rechten Fuß nur von einer Socke bekleidet. „Was ist los?“, frage ich, „Hey, den hast du verloren. Fang!“, ich werfe ihm den Schuh zu, Simon hebt die Arme, verfehlt das Objekt aber.
Neben ihm gleite ich mit dem Rücken die Wand runter. Als ich sitze und die Arme auf die angewinkelten Knie lege, rückt er weg.
„Ist es wegen der Kerle vorgestern? Ich hätte dir helfen sollen, aber …“
Simon schüttelt den Kopf.
„Weil ich komisch geredet habe? Weil ich das Buch weggenommen habe? Ich … war dumm. Wenn es dich so fertig macht, stelle ich es zurück. Simon …“ „Sei still!“
Unter meinem Hemd pulst das Blut in den Stoff, mit dem Fingernagel drücke ich hinein. Ich schließe die Augen und drücke den Hinterkopf gegen die Wand. Ich müsste jetzt nach Hause und fotografieren.
Neben mir steht er auf, ich blicke hoch und rufe: „Simon! Warte.“
Ohne mich anzusehen bleibt er stehen.
„Wärest du gerne Astronaut? Künstler sind welche.“
Ich greife in meine Tasche, wische das Blut an der Jeans ab.
„Du kannst nicht fangen, oder?“, frage ich, „Aber tu mir den Gefallen.“ Mit Schwung werfe ich ihm die Kamera entgegen, panisch blickt er für den Bruchteil einer Sekunde in meine Augen, das erste Mal überhaupt, dann fällt das Buch aus seinen Armen und die Kamera in seine Hände.
„Zeig mir deinen Planeten, Simon“, sage ich, stehe auf, schultere meine Tasche und hebe im Vorbeigehen das Buch zu seinen Füßen auf.
„Fragen und Antworten für Eltern autistischer Kinder“, lese ich den Titel vor, „Habe ich mir fast schon gedacht“, sage ich, „Soll ich es dir ausleihen?“
Er wischt sich mit dem Handrücken über die Augen, nickt leicht und flüstert ein „Danke“
Mit dem Buch gehe ich an den Computer, gebe meinen Schülercode ein und trage die Nummer vom Buchrücken ein. Aus der Mitte ziehe ich ein Bild heraus. Eine Strichmännchen-Familie von der einer sich die Ohren zuhält und statt Punkte, Striche als Augen hat.
„Was soll ich mit der Kamera?“
„Hast du dich darin wiedererkannt?“ Ich halte das Strichmännchen-Bild hoch. Simon sieht zögerlich an mir vorbei, dann nickt er. „Mit der Kamera“, sage ich, „Findest du solche Bilder. Richte sie auf das, was du siehst. Dinge, von denen du denkst, sie sagen was über dich aus, oder Sachen, die andere übersehen.“
Ich gebe ihm das Buch und streife seine Finger, durch die dabei ein leichtes Zucken geht.

Von den Toilettenkabinen vor die Kamera. Immer weniger muss ich schneiden um zu schockieren, weil allein der Anblick meines Oberkörpers der Horror für feige Fieslinge ist. Große Augen, nasse Hosen und erdrückte Schreie. Kleine Menschen in denen das Böse keimt, mit Blut ertränkt. Der Zweite und der Dritte an einem Tag, dem Morgen nach der Premiere. Eine Show, für die ich ausgebucht bin. Sie ist der Hammer, ein Erfolg. Vormittags der Grundstein für die Arbeit am Abend gelegt. Alles in allem den Lohn der Zukunft im Blick.
Mit schwarzer Tinte auf einer glühenden Nadel notiere ich, wem die zukünftigen Narben zuzuschreiben sind. Patrick, Alex, Nils. Für die Bilder reiße ich Altes neu auf, füge hinzu, ziehe Rahmen um die kleinen Werke, die zum Größeren Kunstwerk beitragen.
Laufe durch die Schule und rieche Eisen, spüre Wärme und heftiges Pulsieren. Ich bin der Augenöffner, der Missionserfüller. Im Namen Birkes. Gebe Verstümmelungen einen Sinn. Kritischer Körpereinsatz.
„Schluss! Mit! Verletzungen!“ Ich lasse die Hose runter und beginne auf dem rechten Oberschenkel, presse mich gegen die Tür und beiße auf die linke Hand. Das Messer fällt zu Boden, ich drücke die Hand auf das Loch in meinem Fleische. Ernte den Wein der Erkenntnis und überreiche ihn dem, der zu läutern ist. Diesmal zwinge ich ihn, sein Werk selbst zu unterschreiben. Zitternd stößt er mir die heiße Nadel ins Bein.

„Warum humpelst du?“ Simon sieht von seinem Buch auf und schaut mir in die Augen. Ich lächle.
„Zeig mir deine Bilder“, sage ich, und nehme ihm gegenüber Platz. Er holt die Kamera aus seiner Tasche und schiebt sie mir rüber.
„Da ist ein Blutfleck auf deiner Hose“, sagt er, „Er kommt von innen und wird größer. Du blutest.“
Ich winke ab und öffne die Bildansicht auf dem kleinen Monitor der Kamera.
„Tun sie dir noch Gewalt an?“, frage ich wie beiläufig und gehe durch Simons Fotos.
„Du bist verletzt. Damit muss man zum Arzt.“
Nahaufnahmen von Alltagsgegenständen in außergewöhnlichen Bildausschnitten, Kombinationen von Gegenständen. Das Bild eines Knopfes, ein paar Bilder später der Ausschnitt einer Knopfleiste, auf der ein Knopf fehlt. Auf einem Foto erkennt man einen Kühlschrank, von dem jedoch ein Ausschnitt verdeckt ist, was ein Finger auf der Linse der Kamera sein muss.
„Was ist das?“
„Das ist Lauch, der da nicht hingehört.“
Ich drücke die Hand auf die Wunde. „Das sind gute Fotos. Macht es dir denn Spaß?“
Simon klappt das Marsbuch zu und legt die Hände darauf.
„Ja, es macht Spaß. Aber du blutest. Und eine Wunde muss gereinigt, desinfiziert und verbunden werden.“
„Ich muss jetzt gehen. Wir sehen uns morgen“, ich stehe auf, nehme meine Tasche vom Boden und gehe die wenigen Schritte zu Simon. Neben sein Buch lege ich die Kamera. In einer ungeschickten Bewegung zieht Simon die Hände weg und schmeißt sein Buch runter. Ich bücke mich, um es aufzuheben und lege es vor ihm auf den Tisch.
Einen Moment starren wir beide auf den Handabdruck, der jetzt den roten Planeten ziert.
Aus Simons Händen werden Fäuste, kurz, dann lösen sie sich und greifen nach der Kamera, die an mir vorbei, ins Regal hinter mir fliegt.
„Simon! Es tut mir leid!“, schnell versuche ich mit dem Ärmel drüber zu wischen, aber wieder sind Simons Hände schneller und das Buch landet in der Ecke. Mit geschlossenen Augen sieht er mich an, und dieser Nicht-Blick ist das Vorwurfsvollste, das ich je gesehen habe. Dann kommt Simons Schrei.
Irgendwann ist sein Anfall vorbei. Hilflos stehe ich daneben, er zittert, hebt seine Tasche auf, nimmt den Bildband aus der Ecke und schiebt ihn ins Regal, als sei er nicht blutverklebt. Dann höre ich die Büchereitür zufallen. Das letzte Geräusch vor der Stille, in der das Echo von Simons Schrei nicht verklingt.
Meine Tasche gleitet lautlos auf den Boden, meine Schritte höre ich nur gedämpft. Ich gehe zum Regal und nehme die Kamera raus. Sie ist noch intakt. Von draußen höre ich Stimmen. Lehrer kommen. Der Selbstauslöser blinkt, mit jedem Mal öffne ich einen Knopf meines Hemdes.
Es gleitet von den Armen, als ich die Schulleiterin mit einer weiteren Kollegin durch die Glastür kommen sehe. Zur Begrüßung strecke ich ihnen meinen nackten Körper entgegen, der im Blitz hell aufleuchtet.
„Das wurde mir angetan“, sage ich und lasse die ausgestreckten Arme langsam sinken, „Und jetzt, nehmt mich fest.“

 

Sorry, wenn das jetzt Spam ist. Aber nach fünf Tagen ... :confused:
Ises denn so scheiße, dass keiner Bock hat, da was drunter zu setzen?
Oder woran liegts? Keiner muss alle Geschichten lesen, um die hier plausibel werden zu lassen, nicht, dass das die Kritiker abschreckt ... Reicht wenn man die hier liest. Und jetzt :Pfeif:

 
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Hallo Timo,

eine Gleichzeitigkeit - ich habe die gerade gelesen und werd da die nächsten Tage auf jeden Fall was zu schreiben. :) Ein Problem könnte sein, dass du da einen Kommentar drunter geschrieben hast, so fällt die schon mal aus der Nullantworten-Suche raus. Außerdem ist die behandelte Thematik schon ziemlich ausgefallen, anspruchsvoll und für die meisten sicher befremdlich. Da fällt vielen vllt einfach nichts zu ein. Ich finde sie sehr interessant und freue mich darauf, dem Geheimnis um Birke, seinem jungen Fan und dessen Treiben möglicherweise etwas genauer auf die Spur kommen zu können.

Bis die Tage,
Kubus

 

Hallo Kubus und Maria!

Vielen Dank, dass ihr euch ein paar Minuten meiner Geschichte zugewandt habt!

Außerdem ist die behandelte Thematik schon ziemlich ausgefallen, anspruchsvoll und für die meisten sicher befremdlich. Da fällt vielen vllt einfach nichts zu ein.
Das ist hier doch normalerweise nicht das Problem, oder? Und naja, anspruchsvoll würde ich sie nicht nennen. Da trifft befremdlich schon eher zu. :D

Aus meiner Tasche ragt der Bildband
das Band
Liebe Maria, das Haarband, aber der Bildband. Sind zwei verschiedene Sachen, die auch je ihren eignen Artikel haben.


Die Beziehungen der beiden Prots bleibt weitgehend oberflächlich, weshalb ich total nicht verstanden habe, wieso er den Patrick wegen dem Autist erstochen hat
Okay, da liegt wohl ein Missverständnis vor: Patrick wurde nicht erstochen! Ganz wichtig, dass das nicht passiert ist! Patrick wurde nicht erstochen! Sonst funktioniert das ja echt nicht! Der ganze Text beruht doch auf der Selbstzerstörung meines Prots! Mein Prot ritzt sich selbst, und sieht es als Strafe für den andren an, da zusehen zu müssen! Das ist es ja, was er will: Den Fokus auf Verletzungen anderer lenken, in dem Fall stellt er sich als Beispiel für den anderen hin.
Das die Beziehung der beiden Protas "oberflächlich" bleibt, liegt in Simons Natur, nämlich der, Autist zu sein, und dadurch auf soziale Bindungen zu pfeifen. Eigentlich dachte ich, stelle ich den Versuch meines Prots, sich ihm anzunähern gut dar. In dessen Kopf geistert Simon nämlich permanent herum (Das schreiende Gesicht Simons schiebt sich vor die Bilder Birkes.) Dadurch wird Simon für meinen Prot auch zu einer Art Symbol. Er will sich wirklich für ihn einsetzen, sich um ihn kümmern (er gibt ihm eine Kamera, zeigt Interesse für ihn, und will seine Ausdrucksfähigkeiten erweitern)
Gut, das ist jetzt vielleicht so ein Fall, wo andre sagen würden: Der Autor sollte sich zurückhalten, mit der Interpretation, aber wenn das so sehr missverstanden wird ... ehm... ja gut, dann liegts wohl doch an mir, als Autor, und ich sollte an der Geschichte feilen, statt die Sekundärliteratur zu meinen Kurzgeschichten zu schaffen ...

Es ist so, als wäre die Geschichte viel mehr für euch beiden geschrieben
Ja, das könnte wirklich so rüberkommen, stimme ich voll und ganz zu. Wir sind da wohl echt ein wenig um den eignen Planeten :D gekreist. Aber es ist schwieirg, von den eigenen Prots Abstand zu nehmen, und sich aus ihrer Psychologie wieder herauszuversetzen. Demnach ist unser Projekt wohl irgendwo gescheitert.

Ich weiß, es klingt demotivierend, aber wenn du oder ihr an der Geschichte mehr pfeilen würdet, mehr Backgroundinfo, dann würde es sicherlich genug Kritiken rieseln
Also gut. Mal sehen, ob ich was gegen meine Blindheit tun kann, was diese Geschichte angeht. Ich werd sie noch mal lesen, und dabei versuchen, alles Vorwissen auszublenden, so schwer das auch ist.
Danke nochmals.

Grüße: Timo

 

Hallo Timo!

Nein, die ist durchaus nicht schlecht, Timo. Da steckt viel Hingabe und Empathie drin. Es ist nur echt eine Geschichte, die man nicht so nebenbei mal vollkommen verstehen kann. Dafür ist es einfach zu speziell. Ich denke, dass einige die Geschichte gelesen haben und sich dann dachten: Schreib ich vielleicht später was zu, muss ich nochmal lesen. So gings mir auch.

Das hört sich nach Religösem Fanatismus an

Immer weniger muss ich schneiden um zu schockieren, weil allein der Anblick meines Oberkörpers der Horror für feige Fieslinge ist. Große Augen, nasse Hosen und erdrückte Schreie. Kleine Menschen in denen das Böse keimt, mit Blut ertränkt
Als ob sich da irgendeine Ideologie festgesetzt hat, die alles für ihn bedeutet und er glaubt auch Gutes dadmit zu tun. Aber das sagt er sich wahrscheinlich, um seine Ritzerei vor sich selbst in ein besseres Licht zu rücken. Nun, er will aber schon "böse" Menschen, mit dem Anblick von seinem zerschnittenen Fleisch, auf den richtigen Weg bringen, Oder? Sozusagen abschrecken. Er opfert sich selbst, damit andere (Simon) gerettet werden. Das war glaube ich, was ich gelesen habe. Also der Lehrer opfert seinen Job, seine Gesundheit, um Patrick einzuschüchtern. Patrick hat vorher Simon fertig gemacht und zur Strafe muss er dabei zusehen, wie sein Lehrer sich mit dem Messer in den Bauch schneidet. Auf jeden Fall kein ausgelutschter Plot! :lol:

Also mir hats gefallen, aber du könntest es schon noch etwas verdaulicher für den Leser machen. Ist aber dein Ding.

Gruß

Lollek

 

Hey Timo,

Was ist den hier passiert? Ist das echt der gleiche Typ, wie aus der anderen Geschichte? Für mich ist das hier nur noch ein erbärmlicher Freak. Und genau das stößt mich von der Geschichte ab. In der anderen Geschichte hat er für mich Trost (oder Flucht) in den Bildern gesucht, da waren Menschen drauf, die Schmerz erfahren hatten, wie er selbst. Und er hat eben einen Birke gesucht, der auch seinen Schmerz sichtbar macht. Er hatte sozusagen die Opferrolle inne. Hier drehst Du das Bild. Du gibst ihm die Machtrolle. Zu mindestens glaubt er sich in dieser. Diese Kloszene, wo er Patrick zeigen will, hier - schau Dir das an! Was Du mit Simon machst, das hinterlässt Spuren, unsichtbare, aber ich zeig sie Dir! Und auf Patrick muss das ziemlich verwirrend wirken und auf mich als Leser auch. Patrick hat ja keine Angst, weil der Typ sich da verletzt, er hat ja Angst, weil sich das Messer auf ihn richten könnte. Das entgeht Deinem Prot. aber vollkommen, jedenfalls kommt es mir so vor. Deshalb hat das ganze für mich etwas von einer Freakshow.
Du lässt da zwei sehr eigenwillige Charaktere zusammentreffen, die in ihren eigenen Welten gefangen sind. Eigentlich können die sich gar nicht annähern, und trotzdem willst Du sie zueinanderfügen. Und zwar mit dem Holzhammer, hab ich so das Gefühl. Du verrätst Deinen Prot. zugunsten des großen Showdowns. Das nehme ich Dir übel ;). Das hängt jetzt natürlich mit dem starken Eindruck zusammen, den ich aus Deiner ersten Geschichte mitgenommen habe, die ich ja sehr mochte. Ich kann diese Geschichte auch nicht neutral lesen, von daher bin ich jetzt vielleicht kein guter Kritiker dafür.

Also, Birke ist tot und hat ihm einen Auftrag hinterlassen. Wie er, soll nun der Junge die Wunden der Gesellschaft aufzeigen. Und er tut es auf seine Weise. Er stellt sie nicht vor eine Kamera, lichtet sie ab und präsentiert sie einem großen Publikum, sondern er konfrontiert den Einzelnen, die konkreten Täter damit. Mit welchem Nutzen? Simon damit zu helfen? Ich glaube, dass verspricht er sich davon. Daher ist mir die Bedeutung der Kamera in dieser Geschichte völlig fremd. Dieses werfen, fangen, Simon Bilder machen lassen - wozu? und dann der letzte Satz, der wirklich schön ist, aber überhaupt nicht zu Deinem Prot. und seinen Film passt, den er da fährt - für mich jedenfalls nicht. Mag ja sein, ich habe das alles komplett missverstanden.

Die Figur des Simon ist mir zu eindimensional. Er ist ein eigenwilliger, hilfloser kleiner Engel. Eigentlich spielt er ja die zweite Hauptrolle, aber irgendwie will er die nicht ausfüllen für mich. Er ist eben da. Und eigentlich auch nur, weil er so ein schönes Opfer abgibt, was Deinen Prot. dann dazu benutzt, sich selbst in Szene zu setzen.

Also, dass ist schon alles schön geschrieben, keine Frage, aber mir fehlt hier ein bisschen das Subtile. Mir ist das zu viel Hau Ruck, wenn man das überhaupt sagen darf. Also, dass sind so meine Gedanken zu dieser Geschichte. Und ich bin befangen von den noch frischen Eindrücken der Vorgängergeschichten. Vielleicht würde ich die in einem Jahr ganz anders lesen. Das halte ich für gut möglich.

Ich muss grinsen, doch es vergeht mir bei dem Gedanken, dass es anscheinend doch jemanden gibt, dem ein Fehlen des Bandes auffiele.

Die Frage ist, ob es nur Unordnung ist, die den Jungen stört, oder auch Chaos.

Verstehe ich nicht.

Ich werfe einen Blick auf das Buch, das er liest. Ein Bildband über den Mars.

Das hat eine ungewollte Komik. Erst redest Du davon, dass Simon liest und im nächsten Satz guckt er sich Bilder an.

Der Junge aus der Bibliothek blickt sich um, läuft aber weiter. Der andere rennt los und packt Simon an der Schulter. „Bleib mal stehen, oder raffst du’s nicht?“
„Ich habe keine Zeit, Patrick!“ Simon zieht fahrig die Schulter unter seiner Hand weg und geht weiter.

Auch wenn es nicht direkt nebeneinander steht, so doch nicht weit genug auseinander ;).

Ich drücke die Hand auf die Wunde. „Das sind gute Fotos. Macht es dir denn spaß?“

Beste Grüße Fliege

 

Hallo Timo

Zu Beginn der Geschichte kam ich gleich mal ins Stolpern.

Als er die Spitze an meine Brust setzt, ziehe ich Bauch und Atem ein.

Wenn man den Bauch einzieht, wird der Atem ausgestossen und die Atmung stockt. Folglich eine eher unüberlegte Aussage.

Hast du Angst?“, fragt er, als dürfe ich keine haben. Also schüttele ich den Kopf, schließe die Augen und warte auf den Schmerz. Er kommt nicht. Ich öffne die Augen wieder und blicke mich in meinem Zimmer um. Keine Kamera und auch kein toter Photograph, der mir Wunden verpasst. Ich bin auf mich alleine gestellt.

In diesem Absatz scheint mir gleich mehreres unlogisch. Die Fragestellung schliesst an sich nicht ein, dass der Ich-Erzähler keine Angst haben darf oder soll. Wenn es seine subjektive Empfindung ist, sollte es als eigenständiger Satz stehen. Das also beim Kopfschütteln macht im gegebenen Kontext wenig Sinn. Kein toter Fotograf, der als Messerstecher wirkt, und das allein gestellt sein des Erzählers, lassen den Inhalt nun ins Irreale abgleiten. Gut, ich versuche, es auf der Ebene von Surrealem weiterzulesen.

Drei Kilo Essenz von Randgruppenästhetik, die Birke filtriert hat.

Birke, der Name gefällt mir. Hier hast du ihn, wie ich einfach mal dreist vermute, synonym für Robert Mapplethorpe verwendet.

Am nächsten Tag steht Birke zwischen Acrimboldo und Caravaggio.

Zwei in ihrer Zeit ausgefallene Maler. A. in seinen Bildern ein ein sehr früher und indirekter Vorläufer des Surrealismus. Bei C. wiederum könnte man sich beinah einen Einfluss auf Mapplethorpe vorstellen.

Die Frage ist, ob es nur Unordnung ist, die den Jungen stört, oder auch Chaos.

Welche Differenzierung wolltest du hier treffen? Im allgemeinen Sprachgebrauch sind Unordnung und Chaos identisch. Im antiken kosmogonischen Mythos hat der Begriff jedoch eine Parallelität mit Leere. Ein Moment, das sich in der Philosophie bis Kant hinzieht. So nehme ich an, dass es sinnigerweise auf diesen Ursprung abzielt. Dies scheint mir aber etwas weit hergeholt für diese Situation in der Geschichte.

Ich starre ihn an, ziehe vor Ekel die Mundwinkel runter, mein Unterkiefer schiebt sich gegen meinen Willen vor.

Wieso gegen meinen Willen? Das Herunterziehen der Mundwinkel löst folgerichtig mechanisch das Vorschieben des Unterkiefers aus.

Meine Finger umschließen die Luft um seinen Hals.

Wohl eher die Gurgel.

Dann höre ich die Bücherreitür zufallen.

Büchereitür

„Das wurde mir angetan“, sage ich, und lasse die ausgetreckten Arme langsam sinken, „Und jetzt, nehmt mich fest.“

Ausgestreckten. Nach Sinken ein Punkt, oder mit wörtlicher Rede klein weiterfahren.

Eine zwiespältige Geschichte, die du da auftischst, zwei pathologische Fälle, die aufeinandertreffen. Die Syndrome werden nicht übertrieben und glücklicherweise auch nicht erklärt, sondern stehen als Eigenart der Personen. Inhaltlich nahm ich es spannend wahr, wenngleich der Handlungsspielraum sehr eingeschränkt und eher gewöhnlich ist. Mit Surrealismus hat es nichts zu tun, wenngleich punktuell solche Elemente hineinzuspielen schienen. Insgesamt las ich es eher als eine Krankheitsgeschichte, die vor allem den Ich-Erzähler mit seiner emotionalen Störung (Zwangshandlungen sind darunter subsumiert) betrifft. Simon nimmt eher eine zweckgebundene Nebenrolle ein. Die beiden andern Geschichten, die du im Nachgang erwähntest, habe ich nicht gelesen und werde es vorläufig auch nicht tun. Meine Lesersicht bezieht sich also nur auf das Vorliegende.

Vom Gehalt der Geschichte wird sie mir wohl nicht so tief in Erinnerung bleiben. Sie ist nicht unplausibel, und manche Details, die sich einschieben von amüsanter Konstellation, doch wirkt sie weitgehend allzu gewollt konstruiert.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Herrlollek!

Vielen Dank für deinen Kommentar.

Das hört sich nach Religösem Fanatismus an
Ja, ich denke, so siehts aus. Mein Prot versteigt sich da in eignenen Ideen, die er dann zu etwas Höherem erhebt. Seine Träumr von Birke kommen ihm wie Visionen vor usw...
Wie du die Sache zusammenfasst, das ist der Hauptgedanke.
Aber das sagt er sich wahrscheinlich, um seine Ritzerei vor sich selbst in ein besseres Licht zu rücken
Oder er will dem einen, wenn auch sehr speziellen und weit hergeholten, Sinn geben. Es nicht nur für sich tun. Klar, Selbstverleugnung steckt auch irgendwo drin, und ich denke, er ist selbst hin und hergerissen darin, warum er das tut.

Hallo Fliege!

So, da geht's mir also jetzt ans Fleisch ... ;)

Patrick hat ja keine Angst, weil der Typ sich da verletzt, er hat ja Angst, weil sich das Messer auf ihn richten könnte.
Wirklich? Klar, hat ist das so. Aber denkst du wirklich, das geht spurlos an einem vorbei, wenn man sowas sieht? Es geht jetzt nicht soweit, dass Patrick Zuschauer eines Selbstmordes wird, aber es fließt Blut, jemand erleidet vor ihm physischen Schmerz, und das dürfte etwas sein, dass er so nicht kennt. Ein Schockmoment ist das sicher, auch wenn er von dem Metapher-Geschwafel meines Prots wahrscheinlich nichts versteht. Ich sage nicht, dass dadurch wirklich eine Läuterung eintritt, in dem Sinne, dass er andere jetzt besser behandelt, aber der Junge dürfte auf andere Gedanken kommen.

Du lässt da zwei sehr eigenwillige Charaktere zusammentreffen, die in ihren eigenen Welten gefangen sind. Eigentlich können die sich gar nicht annähern, und trotzdem willst Du sie zueinanderfügen. Und zwar mit dem Holzhammer
Ich dachte, es bestünde eine, wenn auch einseitige Anziehung. Mein Prot wird von Simon angezogen, weil Simon eine Art Gegenentwurf ist zu dem, was er hasst. Die GEsellschaft mit ihren Konventionen, ihrem Normal/Unnormal. Dass Simon abweisend ist, daran lässt sich nichts ändern. Dann wäre jede Geschichte, die einen Autisten und einen Nichtautisten aufeinander treffen lässt, eein Zusammenfügen mit dem Holzhammer.

Du verrätst Deinen Prot. zugunsten des großen Showdowns
Ne, also das sehe ich anders. Für mich ist diese Steigerung der Obsession im Verhältnis zu ersten Geschihte eigentlich natürlich. Er hat nicht genau verstanden, was Birke von ihm wollte, soll er Kunst machen, soll er Kritik an der Gesellschaft üben? Plötzlich begegnet er Simon und entwickelt einen Plan, mit dem er meint, beides zu erfüllen. Wo hier Verrat an ihm begangen wird - sehe ich leider nicht.

Daher ist mir die Bedeutung der Kamera in dieser Geschichte völlig fremd. Dieses werfen, fangen, Simon Bilder machen lassen - wozu?
Simon wird ihm wertvoll. Er will ihn teilhaben lassen an dem, was er selbst liebt, und auf der anderen Seite ist er interessiert an dessen Sicht der Welt. Über diese Kamera als Medium soll sein Interesse und die Zuneigung an und zu ihm verdeutlicht werden. Das klingt jetzt echt, wie ne faule Ausrede, aber so dachte ich's mir, und es ist schade, dass ich das nicht richtig rüberbringen konnte, oder es einfach nicht passt, und deshalb nicht wirkt.

Die Figur des Simon ist mir zu eindimensional. Er ist ein eigenwilliger, hilfloser kleiner Engel.
Und das nennst du eindimensional? :susp: Klar, ist er mehr Auslöser für meinen Prot, zur Tat zu schreiten, als dass er selbstständig agiert. Weiß grad aber auch leider nicht, wie man ihn selbststänidger machen könnte. Er ist halt ein passives Element.

aber mir fehlt hier ein bisschen das Subtile. Mir ist das zu viel Hau Ruck, wenn man das überhaupt sagen darf.
Wieos sollte man das nicht sagen dürfen? Humm... also wenn da Worte wie "Holzhammer" und "Hau Ruck" fallen, dann mache ich mir schon Gedanken.

Ich werfe einen Blick auf das Buch, das er liest. Ein Bildband über den Mars.
Das hat eine ungewollte Komik. Erst redest Du davon, dass Simon liest und im nächsten Satz guckt er sich Bilder an.
Obwohl ich das nicht komisch finde, Bilder in weitestem Sinne zu lesen, werde ich's mal ändern, weil ungewollte Komik nicht das ist, was ich wollte. Aber wenn's so wäre, müsste die Wendung "aus Gesichtern lesen" auch etwas Ulkiges haben.

Vielen Dank Fliege, fürs sezieren meiner Geschichte.

Hallo Anakreon!

Großes Dankeschön für die anatomische Beratung! ;) Werde ich bei der Überarbeitung miteinbeziehen.

Meine Finger umschließen die Luft um seinen Hals.
Wohl eher die Gurgel.
Die Gurgel ist ein Bestandteil des Halses, also finde ich das noch zulässig.

Hast du Angst?“, fragt er, als dürfe ich keine haben.
Die Fragestellung schliesst an sich nicht ein, dass der Ich-Erzähler keine Angst haben darf oder soll. Wenn es seine subjektive Empfindung ist, sollte es als eigenständiger Satz stehen.
Das meinte ich in Bezug auf die, nicht hörbare, Intonation Birkes beim Stellen der Frage. Ist blöd ausgedrückt.

Zwei in ihrer Zeit ausgefallene Maler. A. in seinen Bildern ein ein sehr früher und indirekter Vorläufer des Surrealismus. Bei C. wiederum könnte man sich beinah einen Einfluss auf Mapplethorpe vorstellen.
Ah! Das gefällt mir. Ehrlich gesagt (vielleicht sollte ich das für mich behalten) war die Auswahl der Maler eher zufällig. Es waren die ersten, die mir eingefallen sind, als ich nach einer alphabetischen Einordnung für B wie Birke suchte. Also ABC ... als nächstes käme Dali. :D
Mit Surrealismus hat es nichts zu tun, wenngleich punktuell solche Elemente hineinzuspielen schienen
War so ja auch nicht geplant. Die Anfangssequenz war halt mehr eine Traumvision meines Prots, ganz einfach, der Rest sollte Realität ohne Sur sein.

Die beiden andern Geschichten, die du im Nachgang erwähntest, habe ich nicht gelesen
Das macht deinen Komm besonders interessant, weil die bisherigen Kommentatoren wenigstens eine der beiden Storys gelesen haben.

doch wirkt sie weitgehend allzu gewollt konstruiert.
Nehme ich zur Kenntnis.

Grüße: Timo

 

Hallo Timo

Meine Finger umschließen die Luft um seinen Hals.

Wohl eher die Gurgel.

Oh :sconf:, da habe ich mich zu knapp und dadurch unpräzis ausgedrückt. Was ich damit meinte, es ist nicht die Luft um seinen Hals, sondern in seiner Luftröhre! Doch das stimmt so auch nicht, wie ich eben bemerkte, nachdem ich die Passage nun nochmals nachgelesen habe. Du schreibst:

Kein Druck, aber er bekommt Atemnot. Ein Stillstand, der nicht meine Schuld ist.

Er hat also lediglich seine Finger um den Hals geklammert, ohne Druck auszuüben. Folglich muss die Aussage sein: Meine Finger umschließen seinen Hals. Es ist ja nicht Luft die er umklammert. Ob Gurgel oder Hals bleibt sich dadurch natürlich einerlei.

Schöne Grüsse

Anakreon

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Timo,

Schwierig. Ich habe Peter Frankes Geschichte nicht gelesen, aber die erste Geschichte von dir mit Birke, und mir ging es wieder ähnlich. Ich finde es ein wenig abstoßend.
Was ich mich frage: Welche Rolle spielt Sex bei der Geschichte?

Das kaufe ich dem Prot nicht ab, dass es ihm nur um Kunst und Ästhetik oder die "Gesellschaft" geht. Das ist doch entweder Sadismus/Masochismus, oder Homoerotik oder beides was ihn vorantreibt. Also wenn keine alternativen sexuellen Triebe deinen Prot bewegen, kann ich sein Handeln und seine Faszination für dieses "etwas" gar nicht verstehen.
Das ist glaub auch das Problem mit der Geschichte, also wer nicht irgendeinen Bezug zu dieser Sexualität hat, dem wird es mit der Geschichte auch schwer fallen, weil man nicht nachempfinden kann, was da so toll dran ist. Man will das auch gar nicht.

Mit rotem Stift schreibe ich über die Fresse eines engelsgleichen Models in weichem Licht: „Gleichgeschaltete Photographie – wie sie alle dasselbe Bild machen“

Wie sie alle dasselbe Bild machen ... er meint hier eigentlich etwas anderes oder nicht?

„Alter, das sind mehr als fünf Euro. Was machst du?“
Ich starre ihn an, ziehe vor Ekel die Mundwinkel runter, mein Unterkiefer schiebt sich gegen meinen Willen vor. „Du Widerling“, flüstere ich.

"Widerling" wird doch eigentlich nur im sexuellen Kontext verwendet. Und Flüstern in einem Männerklo eigentlich auch.

„Siehst du, was ihr tut? Du und deine Freunde?“

Was denn eigentlich? Simon hänseln? Das ist doch nicht wirklich sein Problem.


„Das wurde mir angetan“, sage ich, und lasse die ausgetreckten Arme langsam sinken, „Und jetzt, nehmt mich fest.“

Ich bin ein großer Märtyrer, hier nehmt mich fest!

Er kommt sich ja voll geil dabei vor. Warum? Ist das so ein symbolisches Outen? So bin ich! Jetzt habe ich mich entblößt. Ich lasse mich von der Gesellschaft fressen, weil man mich nicht so akzeptiert, wie ich bin.

Diese gesellschaftliche Anklage, die rührt doch daher, dass er wegen seiner Sexualität nicht akzeptiert wird. Die Geschichte spricht das aber nicht direkt genug an. Deswegen kann man sie auch nicht so leicht verstehen.

Auf der Suche nach Leben? Wir akzeptieren ja nicht mal alle Individuen unserer eigenen Spezies.

Genau.

MfG,

JuJu

 

Hallo Timo,

ich mache es ganz kurz. Ich bin noch neu hier, aber ich glaube positives Feedback ist hier eher rar. Mir hat Deine Geschichte sehr gut gefallen. Ich finde Du hast einen guten Stil, Deine Schreibe liest sich sehr schön.

Ein ganz lieber Gruß

 

Moin Timo,

jetzt versuche ich den versprochenen Kommentar zu schreiben, also einen sinnvollen Kommentar, der dir vielleicht auch weiterhilft, das versuche ich; habe mich da ein bisschen vor gedrückt, weil für mich Vieles hier auf ungute Weise im Dunkeln blieb und ich dir nicht nur meine inhaltliche Ratlosigkeit präsentieren wollte. Aber klarer wird es jetzt wohl nicht mehr werden, wenn ich noch länger warte und sie wirken lasse. Ich werde die Geschichte jetzt während des Kommentars ein drittes Mal lesen, habe mit einem Freund, der hier gepennt hat, drüber gesprochen - mehr Beschäftigung mit einer Geschichte wäre vielleicht sogar kontraproduktiv.

Klasse finde ich, dass du dich diesem Thema ein weiteres Mal gewidmet hast. Das ist eine prinzipiell auf KG.de viel zu selten praktizierte Herangehensweise, an Plots und Prots dranzubleiben. Wenn man ein spannendes Thema gefunden hat und Figuren erschuf, die in der literarischen Wirklichkeit lebendig scheinen, was ja beides nicht einfach ist, lohnt es sich doch, dieses Fundament auszubauen. Die Gefahr ist allerdings, dass man den gelungenen Ton der ersten Geschichte nicht wiedertrifft und mit einer mitunter schwächeren zweiten auch die erste schmälert, weil der Leser automatisch beide in Beziehung setzen wird. Im speziellen dürfte diese für den "Normalleser" möglicherweise bizarr anmutende Konstellation (Birke-IchErzähler) und Neigung (Selbstverstümmelung-Homoerotik?) genug hergeben, noch einige Male ausgeleuchtet zu werden; in der Düsterheit, die in deinen Birkegeschichten herrscht, werden sicher noch einige interessante Phänomene ins Scheinwerferlicht geraten, die vielleicht sogar den Autor selbst überraschen werden.

Was jetzt aus dem Gedächtnis noch vorhanden ist, ist die Frage, was der Ich-Erzähler mit seiner finalen Show bewirken will, was du möchtest, das sie bedeuten soll.

Dass ich Simon mit seiner Seltsamkeit für eine Fehlbesetzung halte; ich denke dass eine Figur mit hoher Spezifität für eine Kurzgeschichte genug ist. Sonst kommt man schnell in Gefahr, den Eindruck einer konstruierten Freak-Show hervorzurufen.

Ich beginne zu lesen und schreibe mit.

Als er die Spitze an meine Brust setzt, ziehe ich Bauch und Atem ein.

Ziehe den Bauch ein und halte den Atem an. Das ist es ja, was er tut, den Atem anhalten. Wenn er ihn normal einzöge, atmete er danach gleich wieder aus, aber das willst du nicht beschreiben, wenn ich richtig verstehe.

Ich öffne die Augen wieder

wieder streichen

Ich bin auf mich alleine

allein

In der Bibliothek blättere ich mich durch Birkes Vermächtnis.

mich streichen

Hunderte von Körpern auf sechshundert Seiten hochwertigen Papiers gebannt

gebannt streichen

Drei Kilo Essenz von Randgruppenästhetik, die Birke filtriert hat.

finde ich ungünstig konstruiert. Drei Kilo von Birke filtrierter Essenz der Randgruppenästhetik vllt besser. Es ist inhaltlich seltsam, als Merkmal eines sehr speziellen und für den Erzähler unglaublich bedeutungsvollen Mediums, das Kunst transportiert, sein Gewicht anzugeben. Uralte Schinken, die auf Dachböden verrotten, haben wir im Buchladen nach Gewicht verkauft. Das trifft hier ja ganz und gar nicht zu; ansonsten erinnert es mich an die berühmte Frage des Fleischers. Randgruppenästhetik ist auch ein Wort, dass du eventuell nochmal unter die Lupe nehmen solltest, wenn du dir damit nicht ganz sicher bist. Randgruppe ist nicht sehr spezifisch, davon gibt es viele verschiedene. Und einem unspezifischen soziologischen Begriff würde ich keine Ästhetik zuweisen, das scheint mir an der Stelle eine wohlklingender Hohlkörper zu sein.

Von einem Selbstportrait sieht Birke mich mahnend an,

Mir drängt sich hier ein anderer Aufbau auf. Selbstportrait. Birke sieht mich mahnend an. Zwischendurch kurze, knackige Sätze stehen jedem Text. Warum nicht Einwortsätze? Selbstportrait, Bamm!

Irgendwo fällt ein Buch auf den Boden.

Irgendwo streichen

Mit Blick nach hinten sehe ich einen Jungen

Einfach: Ich sehe einen ...

Das Gefallene liegt neben seinen Schuhen.

Die Substantivierung müsste zwar richtig sein, sieht aber zu unrecht sehr bedeutsam aus. Das Gefallene, buhu! Müsste auch klein gehen, bezieht sich eben auf Buch vor dem Punkt.

Als er die linke Hand frei hat, legt er den Rest ab und trägt die Bücher eins nach dem andren irgendwohin, stellt sie ab und rückt im Vorbeigehen die Buchrücken alle auf eine Linie.

Habe hier den Eindruck von Übererklärung und davon, dass der Autor es hier komplizierter als nötig macht, wodurch es falsch wird, wenn man es durchdenkt. Damit kenne ich mich ein bisschen aus. Aber schöne Stelle mit den Buchrücken auf Kante klopfen, das mache ich auch sehr gern. Du kannst dir nicht vorstellen, wie spannend mein Leben wirklich ist.

Am nächsten Tag steht Birke zwischen Acrimboldo und Caravaggio

du meinst wahrscheinlich Arcimboldo

Die Frage ist, ob es nur Unordnung ist, die den Jungen stört, oder auch Chaos.

geht mir hier ähnlich wie Fliege; ich verstehe nicht, was du sagen willst.

beginne mir Vokabeln zu notieren

mir streichen. ich empfehle dir den guten alten Personalpronomen-Scan vor dem nächsten Posten!

beginnt dann seine Ordnungsrunde. Wenige Momente später nutze ich die Gelegenheit.

dann streichen. die meisten Verlaufsformen sind verzichtbar. wenn Vorgang zwei im Text nach Vorgang eins situiert ist, geht man davon aus, dass Vorgang zwei danach geschieht.

„Weil Systeme ihren Zweck nicht mehr erfüllen, wenn sie durcheinander geraten. Du sollst Bände mit der Kennzeichnung Ku nicht hinstellen, wo nur welche mit Lit hinkommen.“

Obwohl ich gegen zwei "Freaks" in einer Kurzgeschichte bin, ist Simons Besonderheit für mich eine faszinierende. Das aber losgelöst von der Geschichte.
Ein wichtiger Punkt, der dagegen sprechen könnte, zwei so außergewöhnliche Figuren im selben Settung agieren zu lassen, ist, dass sich der Leser fragt, ob die beiden Repräsentanten verschiedener Systeme sind, und ob ihr Handeln eine tiefere Bedeutung enthüllen soll, die der Autor in den Text gelegt hat. Das könnte unbefriedigend sein, wenn man erfolglos sucht und wirkte höchstwahrscheinlich sehr konstruiert, wenn es erkennbar wäre. Diese Geschichte hier winkt schon mit symbolischen Zaunpfählen.

Patrick verzerrt brüllend das Gesicht

so verzerrt er es brüllend. Besser: verzerrt beim Brüllen das Gesicht

Ich beschließe zurück in die Bibliothek zu gehen um den Birkeband zu holen. Hinter mir wird Simons Schreien immer höher.

ziemlich abgebrüht. interessant, Icherzählers Egoismus an der Stelle. später wird er sich für Simon einsetzen, oder ist der Einsatz für ihn nur ein vorgeschobener Grund?

Am Abend wühle ich mich durch Fotomagazine

PP. Am Abend durchwühle ich .... klingt vllt wie Korinthenkackerei, aber die Reduktion überflüssiger Personalpronomina ist enorm wichtig auf dem Weg zum kompakten, schicken Text

Mit rotem Stift schreibe ich über die Fresse eines engelsgleichen Models in weichem Licht:

Fresse stört mich hier enorm, das fällt mir aus der Sprache, wirkt aufgesetzt. Pseudokuhle Schülersprech - an der Stelle NEIN. Ist so ein Gefühl

Mit Kraft schaffe ich es bis zur Tischplatte, halte mich selbst nicht auf dem Stuhl, stoße ihn um und werfe zerfetztes Papier durchs Zimmer.

wieder so ein seltsamer Ablauf, die zeitliche Abfolge scheint nicht zu stimmen. Wenn ich es verbildliche, sieht es unnatürlich aus, übertrieben. Das funktioniert noch nicht so gut, wie du es mit Übung sicher hinkriegen kannst, mit den Handlungsbeschreibungen manchmal.

Ich knie mich davor und ziehe ihn raus,

An der Stelle ist PP nötig, um anzuzeigen, dass er es gerade tut.

schlage die ersten Seiten auf, kann aber nicht sehen, was sie zeigen.
Das schreiende Gesicht Simons schiebt sich vor die Bilder Birkes.

Zirkusdirektor-Smiley! Muss aber nicht schlecht sein, sicher gibt es eine Menge Leute, die auf sowas abgehen, wenn es gut gemacht ist. Mit solchen Sätzen schafft man sich tendenziell mehr Leser, als wenn man auf sie verzichtet, ist mein Tipp. Mir persönlich ist es halt zu effekthascherisch.

mache ein paar Schritte auf den Tisch zu.

gehe

Er hat den Schmerz verkehrt und aus ihm eine produktive Kraft gemacht.

was meint dein Protagonist mit produktiver Kraft, frage ich mich. Was wird da konstruktives produziert?

Ich weiß, und das wird er tun

Er scheint die Idee zu haben, dass sich selbst zugefügte Verletzungen als Waffe gegen andere verwendbar wären. Warum diese komplizierte Konstruktion, die erfahrungsgemäß falsch ist? Er kann sein Gegenüber damit kurzfristig irritieren, das ist richtig, aber im Ergebnis weist er auf einen eigenen Defekt hin und wird sich - vor allem, wenn er sich so öffentlichkeitswirksam verletzt wie zum Schluss - nur einhandeln, in eine psychiatrische Klinik eingewiesen zu werden.

er lacht auf und will mich zur Seite schieben, fliegt aber gegen die Wand und starrt schielend auf die Messerspitze zwischen seinen Augen.

Da sind wir wieder bei der Handlungsbeschreibung. Die sind auch verfuchst schwierig zu schreiben, das gebe ich zu. Konkret fehlt hier was vor "fliegt". Du brauchst einen aktiven Part. "ich schleudere / schubse / werfe ihn gegen die Wand ..." und einen Übergang zu dem schielenden Starren. " ... und halte ihm das Messer vor das Gesicht ..." beispielsweise, ne? Starren würde ich auch wegnehmen, das ist zuviel.

Plötzlich ist er still, atmet nicht mehr, versucht panisch auf die Schüssel zu klettern

Plötzlich, auf einmal usw sind ganz selten wirklich sinnvoll. Solche Phrasen meistens einfach weglassen.

„Siehst du, was ihr tut? Du und deine Freunde?“

Icherzähler verwandelt von anderen verübte Grausamkeiten, in diesem Fall eine vor allem psychische Grausamkeit des Mobbens in äußerliche Verletzungen, um den Tätern ihre Tat bewusst zu machen.

mein Traum ist es, den Knochen einzukerben.

besser : ein Traum

„Hey, den hast du verloren. Fang!“

verstehe nicht, was das mit dem zweimaligen Zuwerfen soll

„Du kannst nicht fangen, oder?“, frage ich, „Aber tu mir den gefallen.“

Gefallen. Ist wohl Icherzählers Versuch, Simon aus seiner Passivität zu zwingen.

Strichmännchen Familie

Üblicherweise mit Bindestrich

Findest du solche Bilder.

Bei dieser Zeichensetzung geht der Satz weiter, "findest" klein.

Kleine Menschen in denen das Böse keimt, mit Blut ertränkt.

Ist stets hochverdächtig, wenn Gut und Böse unironisch verwendet werden

Für die Bilder reiße ich Altes neu auf, füge hinzu, ziehe Rahmen um die kleinen Werke, die zum Größeren Kunstwerk beitragen.

Im Prinzip vergleichbar mit Tätowierungen beziehungsweise Schmucknarben, Icherzählers Narben als Kunstwerk zu bezeichnen, ist natürlich völlig legitim. Der entscheidende Unterschied ist freilich, seine Falschweltperspektive, dass er Selbstverletzung als Waffe gegen andere verwenden könne. Das wäre sehr interessant, weil sehr speziell - überhaupt schon der Gedanke, Kunst als Waffe zu verwenden. Wobei es außerhalb seines Wahns eben nicht funktionieren wird.

Ernte den Wein der Erkenntnis und überreiche ihn dem, der zu läutern ist.

passt gut, dieser religiös anmutende Wortgebrauch. Religiöser Wahn ist bei den verschiedenen Ausprägungen von Wahn in der Häufig- und Heftigkeit sicher weit vorne mit dabei. Ich erinnere Birkes Ankündigung von der Seelenwanderung als übersinnliches Element. Birke selbst ist eindeutig Icherzählers Idol.

Nahaufnahmen von Alltagsgegenständen in außergewöhnlichen Bildausschnitten, Kombinationen von Gegenständen. Das Bild eines Knopfes, ein paar Bilder später der Ausschnitt einer Knopfleiste, auf der ein Knopf fehlt. Auf einem Foto erkennt man einen Kühlschrank, von dem jedoch ein Ausschnitt verdeckt ist, was ein Finger auf der Linse der Kamera sein muss.

Like it!

Macht es dir denn spaß?“

Spaß

Ich bücke mich, um es aufzuheben und lege es vor ihm auf den Tisch.

Nicht so kompliziert. "Ich hebe es auf und ..."

Bücherreitür

Bücherei

in der das Echo Simons‘ Schrei nicht verklingt.

von Simons Schrei

Der Selbstauslöser blinkt, mit jedem Mal öffne ich einen Knopf meines Hemdes.

schicke Parallelität

Es gleitet von den Armen,

das geht nicht. du hast die Tendenz, Beschreibungen unzulässig abzukürzen und Bewegungen von Dingen und Figuren auf eine Art zu beschreiben, die der Alltagserfahrung widerspricht. In diesen sich an der Alltagsrealität orientierten Beschreibungen von Abläufen solltest du genauer sein; freilich gingen auch freiere, wildere Beschreibungen - Literatur darf fast alles; diese Beschreibungen sollten dann aber bewusst eingesetzt werden. Ich kann mir vorstellen, das ein in dieser Richtung kultivierter Stil durchaus reizvoll sein könnte.

„Das wurde mir angetan“, sage ich, und lasse die ausgetreckten Arme langsam sinken, „Und jetzt, nehmt mich fest.“

Die Theatralik passt zu Icherzähler. Fest nimmt nur die Polizei, sicher kein Glied des Lehrkörpers. Im Ergebnis blüht ihm allerdings etwas vergleichbares. Er wird festgehalten und zum Schutz von sich und anderen in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden, wo er zumindest in der ersten Zeit sediert und fixiert werden wird; die er für längere Zeit nicht mehr verlassen dürfen wird. Die von ihm "bestraften", "bösen" Kinder werden sich an ihn mit Unverständnis und Verachtung erinnern. Simon hat niemand mehr, der sich darum bemüht, seine Welt mit ihm zu teilen; keinen, der ihn beschützen könnte. Eine sehr traurige Geschichte über wahnhaft verzerrtes Denken und die Folgen davon; vor allem, weil Icherzähler mit dem Beschützenwollen des anderen Randgrupplers Simon einen sehr sympathischen Zug gezeigt hat.

Grüße
Kubus

 

Ich wollte eigentlich noch warten, bis ich die Überarbeitung fertig habe, aber das kann noch ein paar Tage dauern.
Fangen wir an!
Trotzdem erst mal ein herzliches Dankeschön für die Auseinandersetzung mit meiner Geschichte. Im Einzelnen:

Hallo Juju!

Ich finde es ein wenig abstoßend.
Was ich mich frage: Welche Rolle spielt Sex bei der Geschichte?
Eine eindeutig unterdrückte Rolle, würde ich sagen. Man bedenke, dass mein Prot sich obsessiv mit Körpern beschäftigt - ohne je einen echten anzufassen, außer den eigenen. Ich denke, dass das in "Treffen mit Birke" eher rauskommt.
Hier dachte ich, fände er ein (mehr oder weniger geeignetes)Ventil für seine unterdrückten Bedürfnisse. Er lenkt sie um. Es ist eine doppelte Sublimierung. Sex wird zu Schmerz und statt Sperma fließt Blut, und von der Selbstbefriedigung geht er dazu über, sein Blut für was, das er sinnvoll hält zu verspritzen. So - der Trieb ist auch hier natürlich treibende Kraft. Aber die Kraft ist nicht der Grund, sie ist nicht Selbstzweck. Das, wogegen sie sich richtet ist für ihn etwas nicht-sexuelles. Sex ist ja auch kein Selbstzweck.
Diese gesellschaftliche Anklage, die rührt doch daher, dass er wegen seiner Sexualität nicht akzeptiert wird.
Das ist einer der Gründe, warum ich das sexuelle jetzt sogar noch mehr vermeiden würde: Nein, es soll nicht nur an seiner Sexuellen-Identität liegen. Die gibt seinem Protest die Form, aber generell geht es ihm darum, dass andere ausgegrenzt werden, abgestempelt usw. Simon ist das asexuellste Wesen überhaupt für ihn, und es tut ihm weh, dass es nicht angenommen wird. Schade, dass das nicht klar wird.

Das ist glaub auch das Problem mit der Geschichte, also wer nicht irgendeinen Bezug zu dieser Sexualität hat, dem wird es mit der Geschichte auch schwer fallen, weil man nicht nachempfinden kann, was da so toll dran ist. Man will das auch gar nicht.
Das ist aber auch etwas, das ich nicht ändern kann. Jedenfalls ist mir nicht klar, wie das anzustellen wäre. Das ist halt ein Teil meines Prots.
Also stimmt es auch nicht, dass Fremdes ineteressant ist?! Oder liegt es konkret daran, wie ich das aufziehe?
Vielen Dank, Juju, ein wichtiger Punkt, der mich selbst zum Nachdenken darüber gebracht hat.

Hallo Frau Fred!
Danke für das Lob.

Ich bin noch neu hier, aber ich glaube positives Feedback ist hier eher rar.
Deshalb hätte mich auch interessiert, was genau funktioniert hat. Einer der Gründe, warum wir uns hier bemühen, unsre Meinungen zu begründen und Beispiele nennen.
Trotzdem, das ist wie eine Verschnauf-Pause gewesen.

Hallo Kubus!

Mensch, da hast du dir aber echt Mühe gegeben! Ich bin gerade dabei, zu überarbeiten, das kann aber noch ein wenig dauern. Benutzen werde ich deine Anmerkungen aber auf jeden Fall!

Was jetzt aus dem Gedächtnis noch vorhanden ist, ist die Frage, was der Ich-Erzähler mit seiner finalen Show bewirken will, was du möchtest, das sie bedeuten soll.
Das Ende war schon beim Schreiben ein riesen Problem für mich. Jetzt bin ich dran, ein neues zu schreiben, das der Sache einen anderen Ausgang gibt. Einen hoffentlich schlüssigeren als den hier. Ja, ich wollte Anklage darin haben, aber damit Widerholt sich mein Prot nur.

Es ist inhaltlich seltsam, als Merkmal eines sehr speziellen und für den Erzähler unglaublich bedeutungsvollen Mediums, das Kunst transportiert, sein Gewicht anzugeben.
Hum, ich dachte, durch diese Angabe der drei Kilo bekommt man auch das Gefühl einer physichen Präsenz, die dieses Buch für ihn verkörpert

Diese Geschichte hier winkt schon mit symbolischen Zaunpfählen.
Das ist die Sichtweise des Prots, der alles schildert. Für ihn übersteigert sich alles, er ist natürlich nicht immer auf dem Boden der Realität. Aber ich verstehe, inwiefern das nervt und wichtigtuerisch wirkt.

Ein wichtiger Punkt, der dagegen sprechen könnte, zwei so außergewöhnliche Figuren im selben Settung agieren zu lassen, ist, dass sich der Leser fragt, ob die beiden Repräsentanten verschiedener Systeme sind
Ich sah Simon als den Gegenpart zur Gesellschaft, der für meinen Prot das verkörpert, was positiv anders ist, aber keiner haben oder verstehen will, und es stattdessen sogar zerstört.

Fresse stört mich hier enorm, das fällt mir aus der Sprache
Findste? Mir wurde mal gesagt, man könne die Wut meines Prots nicht nachvollziehen, hier dachte ich, durch das krude Wort seine Aggression zu transportieren. Schade wenns dann so … künstlich eingefügt wirkt.

Zitat:
Er hat den Schmerz verkehrt und aus ihm eine produktive Kraft gemacht.
was meint dein Protagonist mit produktiver Kraft, frage ich mich. Was wird da konstruktives produziert?
Ja, das könnte genauso ein Hohlkörper sein wie meine Randgruppenästhetik ... :Pfeif:

Er scheint die Idee zu haben, dass sich selbst zugefügte Verletzungen als Waffe gegen andere verwendbar wären. Warum diese komplizierte Konstruktion, die erfahrungsgemäß falsch ist? Er kann sein Gegenüber damit kurzfristig irritieren, das ist richtig, aber im Ergebnis weist er auf einen eigenen Defekt hin und wird sich - vor allem, wenn er sich so öffentlichkeitswirksam verletzt wie zum Schluss - nur einhandeln, in eine psychiatrische Klinik eingewiesen zu werden.
Ja, er denkt, dass er Leute damit verändern kann. Das ist sein Plan und seine Verblendung. Wenn er eingeliefert wird hat er jedoch nur noch mehr den Beweis, dass die Opfer die Verrückten sind. Ich denke, durch die Ich-Erzählperspektive ist die Geschichte sehr eingeschtänkt. Eigentlich läuft jede Erklärung, die ich geben kann, darauf hinaus, dass mein Prot sich in diese Idee, diese Ausdrucksweise reingesteigert hat, und da nicht mehr rauskommt. Ich gebe an dieser Stelle zu, dass die Geschichte unbefriedigend ist. Ich habs wohl ganz einfach versaut, selbst zu vieles übersehen.
Zitat:
„Hey, den hast du verloren. Fang!“
verstehe nicht, was das mit dem zweimaligen Zuwerfen soll
Das war eine Anspielung auf Peters Geschichte, und ein Motiv daraus, dass Simon betrifft.

Das wäre sehr interessant, weil sehr speziell - überhaupt schon der Gedanke, Kunst als Waffe zu verwenden. Wobei es außerhalb seines Wahns eben nicht funktionieren wird.
Ja, da spielt ein exhibitionistischer Märtyrer-Gedanke mit. Es gibt den Künstler David Wojnarowicz, der sich mit zugenähtem Mund (nicht echt, glaube ich, auch wenns da Leute gibt, die das machen, siehe "lip sewing") fotografieren lassen hat, umso gegen Zensur zu protestieren. Tja, hat's gewirkt? Bis heute wird überall zensiert. Ich weiß nicht, ob ich selbst dran glauben soll, ob Kunst wirklich gesellschaftlich was bewirken kann, oder nur darstellen. Ich denke, ihr kommt eher eine dokumentarische Kraft zu, die Fähigkeit, Metaphern für Zustände zu finden.

du hast die Tendenz, Beschreibungen unzulässig abzukürzen und Bewegungen von Dingen und Figuren auf eine Art zu beschreiben, die der Alltagserfahrung widerspricht.
Das nehme ich als sehr wichtigen Punkt mit aus der Stilistik-Kritik, die du mir gegeben hast. Ich werde dran arbeiten.
Eine sehr traurige Geschichte über wahnhaft verzerrtes Denken und die Folgen davon; vor allem, weil Icherzähler mit dem Beschützenwollen des anderen Randgrupplers Simon einen sehr sympathischen Zug gezeigt hat.
Teilweise hatte ich das Gefühl, dass die Geschichte in deinen Augen gescheitert ist, eben wegen der Beschränktheit der Sichtweise, hier klingt aber an, dass sie dir doch irgendwie gefallen hat, und auch ein wenig wirkt.
Danke für die Mühe!

Grüße: Timo

 

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