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Träumen Bossgegner von nackten Elfenpopos?

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15.04.2002
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Träumen Bossgegner von nackten Elfenpopos?

»Schärft Klingen und Verstand, oh meine Freunde!« Gestern, der pixelig texturierte Illusionist Stufe 253, hob seinen Schnörkelstab.
»Lass uns mal beeilen«, schnappte Ancör, die Elfe, Stufe 247 und Körbchengröße D.
»Genau richtig, verdammt«, murmelte Stramm, der ganzhaarige Zwerg. Seine Gesichtsfrisur brachte jede Grafikkarte ins Schwitzen. Er war seit der letzten Queste auf der 276. Stufe und stützte sich selbstzufrieden auf sein teilheiliges Sägezahnschwert.
Ancör fuchtelte mit ihrem zweifach verhexten Bogen. »Nur noch ein Verlies heute, okay? Ich muss nämlich gleich mal kurz aufs Klo.«
»Hast du etwa immer noch keinen Katheter?«, grunzte Stramm.
»Äh ... nee, sowas find ich irgendwie unanständig.«
»Ist doch piepegal, ob man bloß einen Stecker im Kopf hat oder auch im ...«
»Freunde!«, unterbrach Gestern. Er zeigte gen Osten, wo der ewige Dämmernebel ungewöhnliche Risse zeigte. Gleichzeitig quälte ein schrilles Pfeifen die Ohren.
Die Konstrukteure der Dark-Fantasy-Welt DRAEDIC hatten sich nicht um den Unterschied zwischen den Geschwindigkeiten von Licht und Schall geschert. Deshalb hörten und sahen die Helden in der Tempelruine die Katastrophe gleich schnell herannahen.
Die Risse wuchsen fraktal, die ewig braunen Wolken fledderten zur Seite, und flackernde Texturen durchbrachen die Nebel des alten Schattenmoors. Baumskelette schrumpften, windschiefe Zäune kippten um; kahle Hügel stülpten wohnliche Häuschen aus, und die allgegenwärtigen Stufe-1-Schlachtratten verfingen sich in überall wachsenden Sonnenblumenbeeten.
Mit offenem Mund gaffte Ancör den Zauberer an. »Bist du das?«
Gestern schüttelte den Kopf. Er ließ den Stab sinken, als der steinerne Altar des Düstertempels einer bunten Plakatwand wich, die anscheinend für Tierbildpuzzles warb.
»Was geht hier ab?«, entfuhr es Ancör, denn neben ihm galoppierten rosa Ponys aus einer Texturlücke hinunter ins Moor, um dort fröhlich wiehernd im Schlamm zu versinken.
»Bei meinen vermoderten Vorfahren«, hauchte Stramm und starrte gen Himmel. Die drei Abenteurer standen und staunten: Denn in der ewigen Dämmerwelt von DRAEDIC ging zum ersten Mal die Sonne auf.
Und sie zeigte ein lachendes Gesicht.


»Was für eine Katastrophe«, heulte Ancör. »Ob sie uns wenigstens einen Teil der Monatsgebühren erstatten?«
»Das Ende der Welt, wie wir sie kannten«, verkündete Gestern weihevoll.
»Was macht ihr in meinem Gemüsebeet, hä?« Zu wissen wünschte dies eine zweizopfige Mangafigur mit Supermodelmaßen und Cartoonaugen, die plötzlich zwischen den Abenteurern aufgetaucht war. Sie stemmte ihre Hände in die Seiten und klimperte mit den Lidern.
»Dies ist der Düstertempel des Alten Schattenmoors«, erklärte Stramm fest. »Und kein ... Gemüsebeet.«
»Sind das Tomatensträucher, auf denen ihr steht oder nicht?«
Stramm richtete sich zu seiner vollen Größe auf und reichte dem Mädchen-Avatar damit immerhin bis zur Unterkante des bauchnabelfreien, ananasgelben Tops. »Du hast ja keine Ahnung, bist wohl Stufe Eins?«
»Es ist beides«, sagte Gestern.
»Was redest du?«, wollte Ancör wissen.
Der Zauberer breitete die Arme aus. »Dies ist DAEDRIC. Und gleichzeitig ist es eine andere Simulation ...« Er sah das Gartenmädchen fragend an.
»HAPPYLIFE, die fröhliche Casual-Welt!« Das Mädchen hüpfte auf einem Bein und versprühte rote Herzchen.
Eins davon zerplatzte vor Stramms Nase mit lieblichem Pling. »Das ist ja grässlich«, murmelte der Zwerg.
»Zwei virtuelle Welten durchdringen einander«, hauchte Gestern. »Faszinierend.«
»So ein blöder Bug, verdammt«, fluchte Stramm. »Ich werde die User-Foren mit Verunglimpfungen dieser unfähigen Programmierer fluten!«
Ancör winkte ab. »Ich geh zur Toilette. Wenn ich zurück bin, ist der Zauber sicher schon vorbei.«
»Die armen Ponys!«, rief unterdessen das gelbe Mädchen und tänzelte Richtung Moor, wo die Tieravatare sich immer tiefer in den Schlamm ritten. Von einigen schaute nur noch die Mähne heraus.
»Oh nein«, entfuhr es Ancör. Gestern schüttelte den Kopf, dann fiel sein Blick auf die Elfe. Stramm sprach seine Gedanken aus. »Wolltest du nicht ...«
»Ich kann nicht offline gehen!«, sagte Ancör tonlos. »Es geht ... einfach ... nicht!«
Stramm runzelte die Stirn. »Bei meinen Vorfahren!« Er legte eine Pause ein. »Verdammt!«, fügte er hinzu. »Ich kann auch nicht raus.«
»Aber du musst nicht dringend aufs Klo!«, sagte Ancör verkniffen.
Der Zwerg grinste. »Über die Vorteile eines Katheters redeten wir ja schon.«
Verzweifelt sah die Elfe Gestern an. »Und du?«
Der Zauberer zuckte die Schultern. »Bin Goldkunde beim Gamer-Windel-Online-Versand. Ich kann dir den Link schicken.« Er räusperte sich, als Ancör nicht reagierte. »Na gut, später vielleicht. Meine Freunde, so lasst uns denn diese Welt erforschen, neue Verliese öffnen, mächtige Bossgegner vernichten und unermessliche Schätze heben. Auf zu neuen Stufen!«
»Jawoll«, rief Stramm und sprang einen Zentimeter in die Höhe. Mehr ging nicht, denn sein Eisenharnisch hatte Rüstungsstufe neunzehn.
Und während die Abenteurer mit gezückten Waffen ihres Weges zogen, verklang hinter ihnen das glückliche Wiehern der Ponys, das die Hilferufe eines langsam versinkenden Mädchen-Avatars wirkungsvoll übertönte.


»Entschuldigung«, fragte Gestern einen Pfeife rauchenden Opa, der in einem Schaukelstuhl vor seiner Gartenlaube saß. »Wissen Sie, ob hier in der Gegend irgendwelche geheimnisvollen Artefakte versteckt sind?«
Der Opa paffte wortlos weiter.
»Oder Monster? Verliese? Gefährliche Höhlen? Für Helden ab Stufe 200?«
Wieder keine Antwort, nur Stille.
»Vielleicht ist er ne KI«, schlug Ancör vor.
Stramm trat dem Opa gegen das Schienbein. Das weißbärtige Gesicht mit den freundlichen Fältchen lächelte einfach weiter. »Und abgestürzt.«
»Gehen wir weiter«, drängte Ancör.
Gestern zeigte mit seinem Stab ins Innere der Gartenlaube. »Ich habe da was gesehen«, sagte er.
»Monster!«, zischte Stramm und hob sein Schwert. »Ich gehe voran.«
Während Gestern den Universal-Zauberspruch Kraft der Weisen murmelte, und Ancör einen Pfeil aus dem Köcher zog, wagte Stramm einen Schritt ins hell erleuchtete Innere der Gartenlaube.
»Verdammt«, entfuhr es dem Zwerg. »Seht euch das an!«
Zauberer und Elfe betraten vorsichtig den Raum. Er war voller Pudel, in allen Farben des Regenbogens. Sie saßen auf Tischen, Stühlen, Teppichen, und genossen die Sonnenstrahlen, die unphysikalischerweise durch alle Fenster gleichzeitig herein fielen. Die Pudel glotzten die Helden an, die Rute aufrecht, als würden sie auf etwas warten.
»Ich hab ein ganz mieses Gefühl«, flüsterte Stramm. Mit der Spitze seiner Klinge stupste er einen rosa Pudel an.
»Fass!«, überschlug sich eine Stimme hinter ihnen, und die Hölle brach los. Wie von Sinnen stürzten sich die Pudel auf die Helden. Eine Schranktür klappte auf, und unendlich viele weitere Köter stürmten daraus hervor.
»Bei meinen vermoderten Vorfahren!«, donnerte Stramm und schwang das Schwert. Es zerteilte drei Pudel auf einmal in vordere und hintere Hälfte und hinterließ drei Ziffern 4 und 0, die Kreaturen brachten also läppische 40 Erfahrungspunkte.
Gestern warf Feuerbälle, Ancör ließ den Bogen fallen. Sie fluchte, denn als sie ihre vergifteten Dolche in den Händen hielt, hingen ihr schon die Gebisse von fünf Pudeln in den Körperpixeln. Ihr Lebenspunktebalken verkürzte sich. »Scheißeeeee!«, kreischte sie, zerlegte zig Farbköter, bekam einen Bonus für drei rote hintereinander, wischte die auftauchenden Ziffern mit der Hand zur Seite, eilte Gestern zu Hilfe. Das heißt: Sie versuchte es. Aber der Opa hatte ihre Beine ergriffen und hielt sie eisern umklammert. »Tod allen Fremden!«, quiekte er. Ancör fiel der Länge nach hin, und sofort waren die lärmenden Tiere über ihr.
»Mir gehen die Zauberpunkte aus!«, warnte Gestern. »Wir sollten allmählich ...« Seine Feuerbälle wurden immer kleiner.
»Ich arbeite dran«, schrie Stramm, stürmte mit rotierender Klinge zur Schranktür und knallte sie zu, um dem Feind den Truppennachschub abzuschneiden. Streich um Streich näherte er sich wieder seinen Kameraden, erschlug Pudel, Pudel, noch mehr Pudel – und Opa, für den es immerhin 250 Punkte gab.
Als Ancör befreit war, sich ächzend erhob und eilig einen doppelten Heiltrank einwarf, war vom Zauberer nur noch ein verschnörkelter Grabstein zu sehen. Die Elfe starrte reglos auf die Stelle, wo der Kamerad gefallen war. »Wo bleibt er nur?«
»Vielleicht kann er nicht wieder ins Spiel.« Stramm schnaubte. »Ein Bug kommt selten allein.«
»Aber ... dann ist er ja ... ganz allein ... in der Welt da draußen...«
Stramms Blick verdüsterte sich. »Lass uns hier verschwinden«, sagte er.
Ancör schluchzte, dann nickte sie.
Die beiden verließen die Gartenlaube.


Vorbei an mit Fähnchen und Girlanden geschmückten Geschäften für Hüte, Kleider und Schuhe, eilten Ancör und Stramm über den Kiesweg durch eine Landschaft, die hauptsächlich aus HAPPYLIFE bestand. Gelegentlich begegneten ihnen bunt gekleidete, cartoonäugige Avatare der Casualwelt, aber die blieben auf Abstand. Ab und zu liefen desorientierte Monster niedriger Stufen vorbei: Schlachtratten, Stinkwürmer, Totschweine und Hackwölfe. Abseits des Weges kreiste ein Schwarm Fledermäuse um eine bunt geschmückte Straßenlaterne. In einiger Entfernung hüpfte ein Dutzend Jungs um einen Drachen herum, den sie an einen Maibaum gefesselt hatten.
»Wir müssen das in Ordnung bringen«, sagte der Zwerg.
»Und wie willst du das machen?«, schnaufte Ancör.
»Wir finden den Bug. Und dann killen wir ihn.«
»Klingt einfach.«
»Das ist eine Quest«, behauptete Stramm. »Und wir werden sie bestehen und reich belohnt werden. Noch heute Abend werden wir am Lagerfeuer sitzen und unsere gesammelten Schätze sortieren. Wirst schon sehen.«
»Ich kapier nicht, wonach wir suchen«, zweifelte Ancör. »Warum laufen wir ausgerechnet in diese Richtung?«
Stramm zeigte nach vorn. »Ich habe meinen Quest-Marker eingeblendet.«
»Der führte doch in letzter Zeit immer nur zu ...«
»Da!« Der Zwerg blieb stehen und starrte eine Werbetafel an. In großen Buchstaben hatte jemand »Fantasy-Helden raus!« darauf gemalt.
»Was haben die gegen uns?«
»Wir gehören nicht hierher.« Die Kiefer des Zwergs mahlten. »Wir sind anders. Sie wollen keine Kämpfe, keine Schätze und keine Spritzer Pixelblut. Sie ziehen Langeweile vor, und kreischbunte Farben, tun dir auch schon die Augen weh?« Er spuckte aus. »Ich lass meinen Körper nicht vor der Konsole zum Hikikomori werden, um dann in meinem Spiel unerwünscht zu sein!«
Ancör pflückte einen grün gemusterten Pilz am Wegesrand. »Unbrauchbar! Damit kann ich weder Heiltränke noch Gift brauen.«
Stramm wies mit dem Kinn nach vorn. »Da ist eine Art Türmchenschänke. Mein Questmarker zeigt dorthin.«
»Vielleicht können wir da Heiltränke kaufen?«
»Vermutlich nehmen sie nichtmal unser Gold.« Stramm ging voran, dann betrat er mit Ancör die Gaststätte.
Sie platzten mitten in eine fröhliche Orgie.


Vampire in Lack und Leder kümmerten sich um nackte Mädchen-Avatare mit glasigen Augen. Einige nagten an Hälsen, andere rammelten knackige Popos.
Ancör hob Pfeil und Bogen, wusste aber nicht, wen sie zuerst erschießen sollte.
»Warte«, hielt Stramm sie auf. »Die hab ich bei uns noch nie gesehen.«
Die Elfe ließ den Bogen sinken. »Die Vampire?«
»Ja.« Der Zwerg nickte. »Sie sind nicht aus DRAEDIC.« Er steckte das Schwert in die Scheide. »Unsere tragen Umhänge. Sie haben Niveau. Die hier sind aus HAPPYLIFE«
»Du meinst ... das hier ist normal?«
»Die Software steuert die Kerle. Und die Mädels kommen her, um sich zu vergnügen.« Er näherte sich einem Pärchen, das sich heftig paarte und ihn vollkommen ignorierte. »Sie sind apathisch.«
Ein Schrei ließ ihn herumfahren.
Ein Vampir hatte sich von hinten angeschlichen und hing an Ancörs Hals. Gleichzeitig versuchte er, der Elfe die Hose auszuziehen, aber dergleichen sah die konservative DRAEDIC-Software nicht vor.
»Lass sie in Ruhe!«, donnerte Stramm und zog blank. »Mein Schwert hat +2 gegen Untote!«
Die HAPPYLIFE-Simulation kam anscheinend nicht damit klar, dass sich der weibliche Gast nicht entkleiden ließ, und entsandte weitere Vampir-Avatare zur Unterstützung.
Stramm schrie »Bei meinen vermoderten Ahnen!«, ließ die Klinge kreisen, trennte einem Blutsauger den Schädel vom Körper, tranchierte einem anderen das Verführergrinsen. 120 Punkte, 240...
Als kein Angreifer mehr übrig war, kniete der Zwerg neben der Elfe nieder. Ihr Lebenspunktebalken schrumpfte und pulsierte rot – irgendein Gift tat sein übles Werk.
»Du musst alleine den Bug besiegen«, schluchzte Ancör.
»Red keinen Unsinn.«
Die Elfe schüttelte den Kopf »Ich hab mich nass gemacht«, hauchte sie. »Vorhin, bei den Pudeln.«
»Ich weiß«, sagte Stramm und streichelte ihr Haar. »Ich weiß.«
Dann wurde Ancörs Pixelkörper sanft ausgeblendet, und aus dem Fußboden wuchs ein Grabstein, der ihren Namen und ihre Stufe trug.
Stramm gönnte sich einen Moment spiritueller Sammlung, dann kamen von irgendwoher neue Vampire. Der Zwerg folgte dem Questmarker, die Turmtreppe hinauf.


Von oben sah die Welt wie zwei Puzzles in einem aus.
Stramm atmete schwer, als er den Turm der Tausend Stufen erklommen hatte. Oben erwartete ihn ein Engel mit silbergrauem Bart. Die Einblendung des Spiels kennzeichnete das Wesen als unverwundbar, daher steckte der Zwerg sein Schwert in die Scheide.
»Also gut«, begann er. »Du bist nicht der Bossgegner, aber vermutlich wirst du mir sagen, was ich tun muss, um den zu finden.«
»Willkommen am Ende deines Weges, Wanderer«, grüßte der Engel.
Stramm verengte die Augen zu Schlitzen. »Ich kenne dich«, flüsterte er. »Ich habe dich schon einmal irgendwo gesehen.«
»Natürlich«, lächelte der Engel. »Ich bin eine von über tausend Instanzen desselben Algorithmus.«
»Du bist das Omega«, entfuhr es Stramm. Er spürte, dass er zitterte. Sein anderer Körper zitterte. »Du bist der Überbringer der Letzten Nachricht. Gefürchtet und verhasst, der ultimative Anti-Held.«
»Alle Wege führen zu mir.«
»Alle Questmarker führen zu dir«, korrigierte Stramm. »Deshalb haben wir Spieler sie abgeschaltet. Ich ...« Er hatte einen trockenen Hals. »Ich hatte das ganz vergessen.«
Der Engel fuhr damit fort, freundlich zu lächeln. »Bist du nun bereit, die Letzte Nachricht zu empfangen?«
Langsam drehte sich der Zwerg um. Ließ den Blick schweifen, über die Sümpfe von DRAEDIC und die Hutgeschäfte von HAPPYLIFE. »Ich kenne sie bereits.« Er gab sich einen Ruck und sah entschlossen zu dem Engel auf. »Ungefähr jedenfalls. Also?«
»Verehrte Helden von DRAEDIC. Hiermit teilen wir euch mit, dass dieser letzte verbliebene Spielserver in minus 921 Tagen außer Betrieb genommen wird. Bitte habt Verständnis dafür, dass wir über diesen Zeitpunkt hinaus keine Garantie für das korrekte Funktionieren der Spielwelt übernehmen können, und dass das Spiel nach dem Tod deiner Spielfigur nicht erneut betreten werden kann. Vielen Dank.«
Stramm schloss die Augen. Er glaubte, fahle Lichtstrahlen zu sehen, die durch die Ritzen eines zugezogenen Vorhangs fielen. »Beantworte mir eine Frage.«
»Wenn ich es kann.«
»Bin ich der letzte?«
»Nein«, sagte der Engel. »Denn ich warte hier, bis alle Helden verstorben sind. Und wie du siehst, existiere ich noch.«
Stramm nickte entschlossen. Dann machte er sich auf den langen Weg, die Treppe hinunter.

 

Meine Hoffnung war, dass der Text auch so funktioniert ;)
Anscheinend gilt das aber nur für einen begrenzten Personenkreis. Das verstehe ich.

 

Hallo Uwe!

Übrigens: Nach nochmaligem Lesen deiner Geschichte hab ich den gleichen Spaß gehabt wie beim ersten Mal. :)
Mein erster Beitrag war ja eher allgemein gehalten, daher nun etwas Detailarbeit. Doch keine angst, du wirst keine Beruhigungsspritze brauchen, höchstens etwas Lachgas. :D

Ausmisten ja, aber mit Bedacht, damit die schöne Spielwelt nicht zu sehr der Realität angeglichen wird.
Auch muss auf die Differenzierung zwischen der alten Welt und der eindringenden „Plüschwelt“, sowie zwischen den spielerischen Aufgaben und den realen Problemen, geachtet werden.

»Schärft Klingen und Verstand, oh meine Freunde!«
»Nur noch ein Verlies heute, okay? Ich muss nämlich gleich mal kurz aufs Klo.«

Dieser (ständige) Wechsel zwischen Rollendialog (der selbstverständlich im Spieleifer mittelalterlich klingt) und „Realdialog“ (der jetztzeitig umgangssprachlich ist) zeigt, das da ein Haufen unterwegs ist, der nicht nur die Probleme der Spielwelt zu bewältigen hat. Find ich sehr gelungen, könnte sogar noch intensiviert werden.

Zwerg, Spielstufe und teilheiliges Sägezahnschwert:

Ein Zwerg der Stufe276 hat in gar keinem Fall nur irgendein Schwert (Schwerter sind was für Diebe der Stufe 8, oder so). Er hat ein Sägezahnschwert, und natürlich ein besonderes, also ein teilheiliges (oder was auch immer). Da dieses Schwert über den Zwerg etwas aussagt, nämlich das er kein Anfänger ist, könntest du die Stufe streichen. Die Erwähnung der Spielstufen ist bei allen Spielern überflüssig, sie liegen eh dicht beieinander, sind für die Geschichte nicht wichtig und zerstören die Bilder in meinem Kopf, weil mein blödes Hirn beim Anblick der nackten Zahlen in den „Mathemodus“ fällt und prompt die Differenzen errechnet.

Das war einfach, jetzt wird es knifflig, daher nur einen kleinen Abschnitt als Beispiel:

„Die Risse wuchsen fraktal, die ewig braunen Wolken fledderten zur Seite, und flackernde Texturen durchbrachen die Nebel des alten Schattenmoors. Baumskelette schrumpften, windschiefe Zäune kippten um; kahle Hügel stülpten wohnliche Häuschen aus, und die allgegenwärtigen Stufe-1-Schlachtratten verfingen sich in überall wachsenden Sonnenblumenbeeten.“
„Die Risse wuchsen fraktal“ = fraktal ist hier wichtig für das Bild, das dann aber nicht richtig abgeschlossen wird, weil ich die Risse in den Wolken sehe und so hast du das bestimmt nicht gemeint.

„die ewig braunen Wolken fledderten zur Seite,“ = Ewig kann raus, braun ist okay, weil eine Eigenheit dieser Welt.

„Fledderten zur Seite,“ = Eine sehr fragwürdige Formulierung. Danach würd ich einen Punkt setzen, weil jetzt der Blick in eine andere Richtung geht, zum Nebel.

„alten Schattenmoors“ = Schattenmoore sind generell alt.

„Schattenmoors. Baumskelette schrumpften,“ = Die schrumpfenden Baumskelette gehören zum Schattenmoor, also Punkt und Komma tauschen, denn …
jetzt geht der Blick in eine andere Richtung. Die Zäune(dort) sind windschief, das ist für die Welt bezeichnend, auch wichtig für die Differenzierung zur Plüschwelt (die gewiss nur frisch gestrichene und kerzengerade Zäune kennt), also okay.

„ …; kahle Hügel“ = kahl kann raus, weil die Hügel sind kahl, und nicht bewaldet, sonst stünden dort keine Zäune. Das Semikolon ist nun (nach dem vorherigen Tausch von Punkt und Komma) falsch und durch ein Komma zu ersetzen. Kleiner Scherz: Wie wolltest du denn das Semikolon vorlesen? :D

„wohnliche Häuschen“ = Ich verstehe, Häuschen allein genügt nicht zur Differenzierung der alten Welt zu der „aufkeimenden“ Plüschwelt. Aber wohnlich passt nicht. Es bezieht sich eher auf das Innere der Häuser. Eine Stube kann wohnlich sein. Hier würde vielleicht heimelig (=Heim=Außensicht) oder kunterbunt besser passen. Die Beschreibung eines kleinen, aber aussagefähigen (möglichst schnörkelig überflüssigen) Details wäre auch eine Lösung.

„die allgegenwärtigen Stufe-1“ = Stufe 1 kann raus. Lästige Schlachtratten klingt auch beinahe harmlos, denn so ist das mit der Stufe 1 ja gemeint.
"Allgegenwärtigen" = vielleicht durch Horden oder Rudel ersetzen, weil sich gleich ein überall anschließt (sinngemäße Wortwiederholung).

„wachsenden Sonnenblumenbeeten“ = wachsen ist mir zu langsam. Vielleicht sprießende; so in die Richtung.

Und schon sind wir durch.

LG

Asterix

 

Ich möchte der Vollständigkeit halber zu Protokoll geben, dass ich diese Geschichte (leicht überarbeitet, muss ich noch hier posten) am vergangenen Samstag auf der Cyberpunk-Lesung in Bielefeld vorgetragen habe, und sie kam ganz gut an. Anscheinend ist sie wirklich zum Hören weit besser geeignet als zum Lesen ;)

 

Köstlich. Hat mir gut gefallen. Wer jemals im TS zu einem Online-Rollenspiel war wird vielleicht die fehlende Fiction bemängeln, denn, genauso ist es.

 

TS = TeamSpeak
Server für Konferenzschaltungen mit möglichst zeitnaher Übertragung.
Sie finden in jeglichen teamorientierten Spielen ihre Verwendung, um sich aktiv miteinander abzusprechen und so im Spiel das Team leichter zu koordinieren.

 

Hi Uwe Post
Ich grabe das mal aus, weil es mir schlicht nicht möglich ist, nichts dazu zu schreiben.
Ich habe die restlichen Kommentare knapp überfolgen, bei weitem nicht alle und bin ein wenig von der Verbissenheit und Ernsthaftigkeit schockiert mit der dieses Werk hier teilweise angegangen wird.
Keine Ahnung ob das hier so üblich ist, aber für so einen Text, der ja einen klar definierten Anspruch hat, nämlich humorig zu unterhalten, erscheint es mir etwas abgehoben.

Allgemein gesagt gefällt mir der Text hervorragend. Er greift ein altes, langsam überholtes Genre auf, vermischt es mit modernster Onlinespielecouleur und erzählt dabei eine amüsante, flüssige Geschichte. Einige Gags und Sprüche sind absolut super, einige Idee, wie das Hauptereignis der Weltenverschmelzung ironisch-brilliant. Selten habe ich den Gedanken des Paralleluniversums lustiger umgesetzt gesehen .

Mein Lieblingssatz im Text ist ohne Zweifel;
„Wir finden den Bug. Und dann killen wir ihn“

Soooo:

Aber, und natürlich, es gibt immer ein aber, es ist schon nicht ganz so falsch, wenn kritisiert wird, dass die Figuren ein wenig Kontur missen lassen. Da haben wir die stereotypen Heldengestalten, den Magier, die Elfe und den Zwerg, optisch verankert, altbekannt und die passen hier auch her und müssen so sein. Hinter diesen verbergen sich dann, wie sich das bei einem Online-Spiel gehört, komische Nerds mit zu viel Freizeit, die permanent aus der Rolle fallen und Spielwelt und Realwelt verbal vermischen. Aber das ist nicht sorgfältig genug gearbeitet. Da hätte man sich weit mehr Zeit lassen können. Bei den Stereotypen sticht einzig der Zwerg charakterlich wirklich hervor, die anderen gehen in den jeweiligen Spielercharakteren, die dann allerdings auch nicht besonders nennenswerte Charaktereigenschaften haben, unter. Die Elfe scheint einzig über ihren drang aufs Klo gehen zu müssen und ihren Ekel vorm Katheter definiert zu sein und er Magier zeichnet sich allerhöchstens durch seine Führungsqualitäten aus.(Diesbezüglich ist es auch verwunderlich das er als erstes stirbt.)
Hier hätte man wirklich weit tiefer schürfen und die Eigenheiten von Onlinerollenspielern so wie die Stereotypen nach Herzenslust karikieren können. Naja, dafür bräuchte es allerdings weit mehr Platz und dann würde der Rahmen wahrscheinlich schnell gesprengt werden.
Es ist ein wenig Schade drum, weil viel Potenzial verpufft, das jetzt eben mit diesem Werk besetzt ist, aber was sollst.

Ähnliches gilt für die Geschichte selbst. Der Spannungsbogen funktioniert aber es ist ein kleiner. Hier hätte man weit größer spannen können.
Die Abenteuer die in Happyland bestanden werden müssen sind lange sich groß genug. Happyland, da bin ich mir sicher, könnte weit größere Schrecken für Fantasyfreaks aufwarten als hier gezeigt wurde. Zum Beispiel die User.
Du bringt ein Mangamädchen ins Spiel und lässt sie dann sofort unmotiviert im Moor ersaufen, weil sie für dich nur als Gag nützlich schien und nicht als Antagonist. Das ist Verschwendung. Und später sieht man zwar immer einige User und die Feindseligkeit der Happyländer wird amüsant und sogar gesellschaftskritisch aufgezeigt, aber auch hier bleibt dir das ein Gag, statt es weiter aufzugreifen. Wo ist der Mob aus wilden Mangaschuhlmädchen, der die Helden mit Fackeln verfolgt, weil die sich erdreistet haben ihre Vampire zu erschlagen? Wo sind andere Helden, die ebenfalls auf der Flucht und Suche sind und wo sind positiv gezeichnete Happyländer, die auch versuchen das Mysterium zu ergründen?

Will sagen: Du eröffnest eine Geschichte machst einige gute und lustige Gags und dann hörst du völlig unmotiviert auf. Da war so viel mehr zu erzählen. Die Figuren, die Welt, die Konflikte, du reißt sie an und eröffnest Möglichkeiten und dann ist plötzlich Schluss.

Ach ja und dann der Schluss!!!
Hier hätte ich mir genauere Erläuterung gewünscht. Warum wird der Server geschlossen? Das wird in der Geschichte zuvor nur wenig deutlich. Das die Welt im Niedergang war wurde kaum gezeigt und warum verschmolz sie mit Happyland? Wird auch Happyland geschlossen oder macht die Fantasywelt für Happyland platz?
Mir ist klar, dass hier eine mystische Weltenendeironie erzeugt werden soll und daher wenig Details fallen, aber hier ist das unnötig. Man kennt den Rahmen der Onlinewelten ja eh und da würde ein Einbruch der realen Welt den du ja eh schon hast auch mit mehr Details keinen Schaden anrichten. Es würde das Ende runder machen. Nichts finde ich unbefriedigender, als eine Geschichte, die mit grundlos nicht beantworteten Fragen endet.


Also Fazit: Tolle Geschichte, toller Stil, sauber, gekonnt, aber da geht mehr. Der Stoff gibt so viel mehr her, da kann man tiefer gehen.


Edit: ich habe nach dem Schreiben noch gesehen das du selbst in aussicht stellst das ganze nochmal ausführlicher zu bearbeiten. das wäre toll.

Liebe Grüße Marot

 

Zur Info: Die überarbeitete Fassung dieser Geschichte, die in der SF-Anthologie "Prototypen und andere Unwägbarkeiten" (leider aber nicht hier) erschienen ist, hat den 2. Platz beim Deutschen Phantastik Preis in der Kategorie "Beste Kurzgeschichte" gewonnen.

 

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