Hallo @Alveus Jekat ,
(sehr hübscher Nick übrigens
), gleich mal vorab: Ich hab die anderen Kommentare nicht gelesen, also sorry, wenn sich was doppeln sollte.
Ich erinnere mich noch gut, als Lilly ihren Traum verlor. Fünf Tage und fünf Nächte trauerten wir. Niemand wusste, was passiert war. Lilly sprach nicht darüber und keiner von uns wollte sie zwingen, was auch immer passiert warK noch einmal durchleben zu müssen.
Eines grauenhaften Morgens öffneten wir das Tor zu Lilliys Reich.
Das ist ein fantastischer, wunderschöner erster Satz, und ein absolut toller Einstieg. Herrlich schräg, ein bisschen tragisch, leichte Ironie, und das alles in diesem trockenen, aber nicht empathielosen Tonfall. Dieses Intro finde ich wirklich gut, es macht mich echt gespannt, wohin die Reise geht, ob es in Richtung klassischer Gespenstergeschichte geht oder mehr zum Surrealismus (der ja dem Magischen Realismus dieser ‚Rubrik‘ Seltsam nahesteht). An dieser Stelle war ich so ziemlich bereit, dir alles zu glauben, was du erzählst, ähnlich wie bei Lewis Carroll oder Edward Gorey.
Dazu kam es dann aber nicht. Denn ab da ändert sich für mich dein Tonfall radikal. Mag sein, dass du alles in einem Rutsch geschrieben hattest, aber alles hiernach liest sich völlig anders: nach dem schön strukturierten Spannungsaufbau kommt jetzt brainstormartig eine unangenehm klischeehafte und hoffnungslos überladene Szenenbeschreibung, und dann ist auch schon Schluss. Im Englischen würde ich sagen, nach dem Intro überschreitest du die Grenze von
pathos zu
pathetic.
und keiner von uns wollte sie zwingen, was auch immer passiert war noch einmal durchleben zu müssen.
Da liesse sich was frickeln. Vllt
damit sie nichts von dem, was sie (was auch immer sie) erfahren haben mag, noch einmal durchleben müsste.
Ich habe absolut nichts gegen old school Drama und gegen einen entsprechenden Stil, aber – wie bei jedem Text – sollte der Tonfall zum Inhalt passen. Auch wenn man Träume doppeldeutig als Nachttraum und Zukunftsvision sehen kann, lässt sich etwas, das vergleichsweise alltäglich und in einem größeren Rahmen folgenlos ist, eben nicht in einem Stil schreiben wie in Beowulf oder Y Gododdin, und auch nicht wie in der Romantik (das Sublime und so). Das liegt auch nicht an der Epoche, in der momentan kurz & knapp angesagt sein mag; das liegt einfach daran, dass Pathos und emotional überhöhtes Drama in alltäglichem, rein persönlichem Kontext / Rahmen einfach lächerlich wirkt. Im Intro lese ich noch eine feine Ironie beim Erzähler heraus (das mag deine Intention sein oder nur mein Eindruck), und das eben gleicht das Dramatische im Stil und der Handlung aus; genau das aber geht dem Text im Folgenden völlig ab.
Außerdem fehlt mir hier eine richtige Geschichte, im Sinne von etwas, das über Protagonist, Szene, Konflikt etc. hinausgeht: eine ausgearbeitete Erzählung, die zu etwas führt, was auch für den Leser und nicht nur für die Prota eine Auswirkung / Nachklang hat. Das ginge auch auf zwei Seiten, aber sicher nicht in zwanzig Zeilen.
Im Detail:
getränkt im Blut ihres Traumes / einst bunter als der Regenbogen / Farbe verloren / gestutzten Flügeln / durchstochenem Herzen / Dunkelheit ….
Herrje, da ist kein einziges unverbrauchtes Bild, kein Satz ohne Phrase und es fehlt nur noch ein Einhorn. Du machst deine Geschichte selbst kaputt mit sowas, das kann man einfach nicht so gehäuft bringen, und erst recht daraus keinen Hauptteil einer Geschichte machen. Finde selbst Bilder, mit denen du beschreiben kannst, was du hier erzählen willst, greif doch nicht in die Mottenkiste der Kitschliteratur für deinen Plot.
Bittere Tränen flehten die Dunkelheit an
Das ist nicht poetisch, sondern purer Nonsense. Guck mal im ganzen Text, ob die Sätze überhaupt etwas aussagen, egal, ob sie "gut" klingen oder nicht. Das ist Drama als 'reim dich oder ich schlag dich'.
Das bricht den Stil so klinisch - auch wenn das vielleicht eine Dopplung der "Fünf Tage" vermeiden soll, ist 'die' ein falscher, weil zu direkter Rückbezug, denn von der Zeiteinheit 'Stunden' hast du vorher nichts gesagt.
Die Dunkelheit verhandelt nicht. Ihre Preise stehen fest.
Unfreiwillig komisch, als ob die Dunkelheit einen Krämerladen hat, in dem sie Zucker und Mehl verkauft. Die Dunkelheit hat wenn nur
einen Preis (für je irgendetwas), allerdings ist das auch schon wieder so eine Mottenkistenphrase, die man Tausend Mal gelesen hat.
Überhaupt ist der Text mit so einem Bilderbrei überladen, dass ich Probleme habe, deine Ikonographie zu entschlüsseln: Was ist diese Dunkelheit und warum müssen ihr gerade jetzt Träume als Auslöse (von was genau?) geboten werden, und was alles bedeutet das für die Figuren im Text?
Auch sie trugen die Schafe über den Horizont.
Das mit dem doppelt genannten Ozean und dem Horizont lasse ich mir noch gefallen, aber hier – wie auch im Schlusssatz - bringst du den ironischen Bruch (Schafe = Schafe zählen vorm Träumen, nehme ich an) viel zu isoliert, als dass es wirken kann. Zum einen fällt damit die Lächerlichkeit des Pathos noch mehr auf, zum anderen kann es so allein als Fremdkörper nicht viel Sinnvolles ausrichten.
Und:
Niemand wusste, was passiert war. Lilly sprach nicht darüber und keiner von uns wollte sie zwingen, was auch immer passiert war noch einmal durchleben zu müssen.
vs.
Doch vor der Dunkelheit gibt es kein Entrinnen. Und so mussten wir Lilliys Traum bestatten. (...)
Dann entließ sie ihn in die Arme des Ozeans und schweigend standen wir, sahen zu, wie die Schafe kamen und den Traum über den Horizont trugen.
Nachdem die 120 Stunden vorüber waren, brach auch Lilly ihr Schweigen. Aber alles was sie tat, war zu weinen. Bittere Tränen flehten die Dunkelheit an, den Traum freizugeben, ihr zurückzuschicken. Doch bekam sie keine Antwort. Die Dunkelheit verhandelt nicht. Ihre Preise stehen fest.
Lügt der Erzähler im Intro, um uns Leser bei der Stange zu halten? Er weiß doch verdammt gut, was passiert, sogar warum, kann das im Detail beschreiben und deuten - wozu also die Behauptung im Einstieg? (Keine rhetorische Frage, das wüßte ich wirklich gern.)
Ich bin sicher, du kannst wirklich gut schreiben, hast interessante Sujets, eine individuelle Sicht und Sprache – aber du lässt dich noch zu sehr von Bestehendem (u.a. auch Antiquiertem, das du noch nicht passend ins Hier & Jetzt holen kannst) beeinflussen. Mit einem ‚Mehr‘ in Drama und Stil löst du nicht automatisch mehr Emotionen im Kopf des Lesers aus – Gesagtes und Stil/Wortwahl müssen zueinander passen, und sollten in einem Tonfall sein, in dem sich der Autor sicher fühlt.
Was genau ich dir raten könnte, damit der Text auch in deinem Sinne und nicht nur meinem funktioniert, ist schwer zu sagen. Er sollte sich auf jeden Fall mehr Zeit lassen, die Geschichte zu erzählen, und einen Plot haben, der über das Metaphysische hinausgeht oder der zumindest eine zweite Ebene andeutet. Es sollte nicht nur ein Ende, sondern auch eine Konsequenz für die Prota geben (außer Trauer/Weinen, das sind nur Begleitumstände). Die Bilder sollten individuell sein, anstatt Klischees aneinanderzureihen, damit man das Gefühl hat, eine Erzählung i.e. Literatur zu lesen.
EDIT zu deiner Antwort unten: Ach vergisses. Hier gibts ein Infofeld, da kannst du reinschreiben: "Das alles kommt so aus mir raus, die Symbolik ist unstimmig, die kann und will ich nicht erklären, und das alles muss auch so bleiben, warum weiß ich auch nicht", dann kann man gleich rausklicken und sich v.a. die Zeit für den Komm sparen.
Solche Texte gehören nicht in ein Forum, in dem Textarbeit gemacht wird.
Zum Symbol: Die Schafe sind kein von mir genutztes Symbol. Sie sind Teil der Geschichte und tragen bestimmt Symbolcharakter, jedoch keinen von mir zuvor ausgedachten.
Blödsinn. Du schreibst den Text, du bestimmst, was darin wie verwendet wird. Solche Ausreden sind albern.
Gruß,
Katla