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Todesmelodie

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Monster-WG
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15.07.2004
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Todesmelodie

„Drei“, keuchte George, und sah entsetzt auf Ernies Leichnam. „Drei. Hört das denn nie mehr auf?“
Nigel hatte seine Hände vor das Gesicht geschlagen.
„Ich kann nicht mehr“, wimmerte er. „Nicht auch noch Ernie. NICHT AUCH NOCH ERNIE!“
Big D packte Nigel an den Schultern und schüttelte in fest.
„Bleib ruhig, Mann. Jetzt nur keine Panik, klar? Wir müssen hinter das verfluchte System kommen.“
Nigel kicherte irre.
„Keine Panik? Du bist gut! Ernie ist tot. TOT, MANN! Weil sein Brei zu heiß war! Verdammte Scheiße: Man stirbt doch nicht an zu heißem Brei!“
„Komm runter, Bruder“, fuhr George ihn an. „Er war selbst schuld. Wir haben ihn alle gewarnt, dass er noch warten soll. ,Iß noch nicht’, haben wir gesagt, ,der Brei dampft ja noch.’ Aber er wollte nicht hören. Dabei war er doch sonst so vernün...“
George hielt inne und kämpfte mühsam gegen eine Träne an.
Big D starrte mit finsterem Blick zum Himmel.
„Es ist dieses Lied“, murmelte er. „Dieses verdammte Lied ist schuld.“
Nigel griff mit fahrigen Fingern an seinen Rucksack, in dem er den Proviant verwahrte.
„Ich muss was essen, Jungs. Ich brauche Nervennahrung. Ich steh das sonst nicht durch, Alter. Ich muss unbedingt was essen.“
Big D ignorierte ihn.
„Das ist es“, sagt er grimmig. „Immer wenn das Gesinge anfängt, passiert etwas Schreckliches. Zuerst in der Scheune. Alles war easy, bis plötzlich wie aus dem Nichts diese Stimmen kamen. Gerade sind wir noch alle vergnügt auf dem Dachboden herumgetollt, und plötzlich verliert Louis den Halt und bricht sich das Genick.“
Nigels Wahl war auf ein gekochtes Ei gefallen, das er nun sorgsam von der Schale befreite.
„Was wollten wir eigentlich da oben?“, fragte er ein wenig verwirrt. „Ich mein, warum laufen wir auch mit zehn Mann auf einem Heuschober rum?“
„Als ob das wichtig wäre“, schimpfte George. „Lass Big D weitererzählen. Ich glaube, der blickt endlich durch.“
Big D verzog keine Miene.
„Danach waren wir auf der Jagd. Alles im grünen Bereich. Und dann ...“
„... dann kamen wieder diese irrwitzigen Kinderstimmen und kurz danach hatte Joe eine Kugel im Bauch“, flüsterte George. „Mein Gott, du hast Recht. Ned hat es im Rübenfeld erwischt – ebenfalls nachdem diese... diese Todesmelodie ertönte.“
Nigel hielt kurz mit dem Pellen inne.
„Verdammt. Und dann Dillon. Wer hätte aber auch ahnen können, dass der Gesang diese nette alte Dame in eine blutrünstige Hexe verwandelt. Gefressen hat sie ihn. Mit Haut und Haaren gefressen.“ Er war schon wieder unmittelbar davor, die Fassung zu verlieren. Nervös entfernte er den letzten Rest der Eierschalen.
Big D ballte seine Hände zu Fäusten.
„Jack ist erfroren, weil er ohne Strümpfe gelaufen ist. Erst ist es brüllend heiß, und nach dem Liedchen stehen wir auf einmal meterhoch im Schnee“, fuhr er fort. „Und Bruce hat sich totgesoffen. Normalerweise hat er Bier nicht einmal angerührt. Aber diese Musik hat ihn wahnsinnig werden lassen.“
„Eins nach dem anderen hat er sich reingepfiffen“, sagte George schaudernd. „Und kaum war der letzte Ton verklungen, fiel er um und war hinüber.“
„Aber warum?“, fragte Nigel kläglich und seine Hände zitterten so sehr, dass er kaum in der Lage war, sein Ei zu salzen. „Warum tun die uns das an?“
Big D blickte auf seine schwarzen Arme.
„Rassistenpack“, murmelte er. „Widerliches Rassistenpack.“
„Drei“, wiederholte George. „Wir sind nur noch drei!“
In diesem Moment ertönte wieder die Musik.
Glockenhelle Kinderstimmen sangen einen dämlichen Text. Nigel und George schrieen auf. Nur Big D behielt die Nerven und bemühte sich zu lauschen, was eigentlich gesungen wurde.
„Nein“, kreischte Nigel. „Nicht schon wieder! Ich halte das nicht aus. Meine Nerven. MEINE ARMEN NERVEN.“
Zitternd und bibbernd führte er das Ei zum Mund.
Big Ds Augen weiteten sich, als er die gesungenen Worte verstand.
„Nicht das Ei, Nigel!“, brüllt er außer sich. „NICHT DAS VERDAMMTE EI!“
Aber es war bereits zu spät.
Nigel hatte das Ei bereits verschluckt, das nun tief in seiner Luftröhre steckte. Panisch weiteten sich seine Augen, als er bemerkte, dass er zu ersticken drohte. Einige Male schlug er noch mit seinen Armen um sich, dann fasste er sich an die Brust und brach zusammen. Steif und tot.
Big D und George starrten fassungslos auf den leblosen Körper ihres Freundes.
Die Kinderstimmen waren jetzt fast am Ende des Liedes angelangt und sangen mit penetrantem Vergnügen den letzten Vers der Strophe.
Ohne es zu merken, flüsterte George den Text mit. Salzige Tränen liefen an seinen Wangen hinunter.
„Zwei“, stammelte George mit bebenden Lippen.
„Da waren’s nur noch zwei.“

 

@ all
sorry, dass es solange mit der antwort gedauert hat.

@ löwenmäulchen:
ein dickes dankeschön.

@rosa 91:
siehe antwort an löwenmäulchen ;)

@KaGeb
auch dir vielen Dank. Das doppelte bereits wird gleich eliminiert. Der andere Aspekt gibt mir zu denken. Ich kann gut nachvollziehen, was du meinst, bin mir aber noch nicht sicher, ob ich es wirklich so stark (und schon an dieser Stelle) auflösen will. Eine stärkere Verknüpfung wäre allerdings wahrscheinlich wirklich sinnvoll. Ich denke nach wie vor drüber nach.
Nochmals danke.

@lakita
auch dir nochmals ein dickes Dankeschön für all das Lob. Allerdings scheint es dir ähnlich wie KaGeb gegangen zu sein. Insofern spircht einiges für eine deutlichere Auflösung der Pointe. Hmmmm... was also machen? ;)

An alle nochmals herzlichen Dank

 

Hallo svg!

Meine Güte, die erste Siegergeschichte des Wettbewerbs kurz&gut hatte ich noch gar nicht gelesen. Hat sich aber verdammt noch mal gelohnt. Man sollte halt öfter durch die Hall of Fame wandeln.

Eine Inspiration finden und interessant wie lustig umsetzen, klingt einfach, ist es jedoch nicht. Die Geschichte mag sogar ein Schnellschuss gewesen sein, aber Könner kriegen das hin, wie man sieht.

Ich finds genial, ein Kinderlied als „Deus ex Machina“ einzusetzen!

Lieben Gruß

Asterix

 

Einfach nur genial! Musste echt lachen beim lesen!

Die Idee ist klasse, genauso wie die Umsetzung.

 

Hallo svg :)
Diese Geschichte war einer der ersten die ich auf Kg.de gelesen habe
und sie gefällt mir richtig gut!
Ich hatte auch viel Spaß beim Lesen und kam erst hinter her darauf das es von diesem Kinderlied Handelt.
Dabei kannte ich das Lied schon hin und auswendig.
Als es mir dann bewusst wurde musste ich es einfach noch mal Lesen.

Es wirklich Genial gemacht, die Idee und auch die Umsetzung :)

Liebe Grüße
Mina

 

Lieber Asterix, lieber Marley, liebe Minacat,

danke fürs Kommentieren und gut finden und die Asterix ein dickes Sorry, weil ich deinen Kommentar erst jetzt wahrgenommen habe, der ist irgendwie aufgrund von Arbeitsstress und dann internetfreiem Urlaub komplett an mir vorbeigegangen... Tut mir leid...

LG Sebastian

 

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