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Teilchen

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18.04.2002
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Teilchen

Nun ist er allein.

Er hört noch die hallenden Schritte des Laborassistenten, dann das Klappern der äußeren Glastür.
Es herrscht Stille.
Nur das Ticken der Wanduhr zerhackt die Ruhe und den Strom der Zeit. Hinter einer Mauer aus Bleiklötzen gibt es noch das unhörbare Pochen des radioaktiven Zerfalls. Ein den Augen verborgenes Bombardement von Teilchen und Energieblitzen, die gelangweilte Zeiger von Messinstrumenten veranlassen, sich widerspenstig aus der Nullstellung zu bewegen. In jeder Sekunde rasen mindestens zweihundert Milliarden Partikel durch den Raum, wühlen sich durch das Dickicht der sie behindernden Luftmoleküle und nach zweihundertvierzigtausend Jahren wird der irrlichternde Tanz der Teilchen noch nicht beendet sein.
In der Stille sitzend, beugt er sich über die glänzende, gelbe Bakterienkultur. Er lächelt beim Anblick der kreisförmigen Kolonie mit ihren mehr als zehn Milliarden Individuen. Für jede Mikrobe eine Sekunde Frieden, denkt er - mehr als eintausendfünfhundert Jahre ohne Krieg.
Wenn „Sie“ jetzt hier wäre? Er denkt an die gelb-blonde Haarsträhne, die ihr immer in das Gesicht fällt. Ein Augenaufschlag, eine zarte Berührung ...
Doch er ist allein, rast auf dem Planeten Erde mit fast dreißig Kilometern pro Sekunde um die Sonne, einen der unzählbaren Sterne, Lichtfleck im Staub des Universums - gleichzeitig mit vielen Energiegiganten, alle von der ungeheuren Ausdehnung des Raumes zu Zwergen geschrumpft.
Er beugt sich über das Mikroskop. Flimmernde Wesen, nur Flecke im Sichtfeld des Okulars. Von Neutrinos durchzischt, durchpulst von dem milliardenfachen Seufzen seiner Neuronen, sitzt er, als Teilchen, eingewürfelt zwischen Teilchen.

Aber er ist doch ein Mensch, erkennt er mich nicht?

 

Hallo Siegbert,

> (zweihundertvierzigtausend Jahren wird der irrlichternde Tanz der Teilchen noch nicht beendet sein)

hier eine Frage: warum diese Zahl?

Ansonsten: den Schlusssatz finde ich gelungen, mir sagt er: Ein Mensch, als Riesenmolekül, erkennt seine Bestandteile. Also erkennen sich die Teilchen selbst. Jedoch ist dies eins der Themen, die im Rahmen der Naturwissenschaften beginnen, nüchtern zu werden, den Magie oder Schöpfer sind hier nicht am Werke!

 

Hallo Silent One,

das ist ja erstaunlich, daß du diese Geschichte aufgestöbert hast.
Die Zahl ist das Zehnfache der Halbwertszeit von Plutonium. Die Radioaktivität ist dann nahezu abgeklungen, aber noch nachweisbar.
Eigentlich wollte ich mit der Geschichte auch aufzeigen, das der Mensch verfangen in seinem naturwissenschaftlichen Denken Gott nicht sieht. (Das gehört auch zu dem Thema `Anthropozentrisches
denken´ ).

Tschüß... Woltochinon

 

Hallo,

ich möchte zu dem oben Gesagten noch ergänzen: Der Mensch in der Geschichte merkt nicht, daß er Teil eines großen, umfassenden Ganzen ist, obwohl er es erschließen könnte. Aus der `Sicht´ der Bakterien ist er ja das Übergeordnete.
Die Spezifizierung des Menschen als Teilchen (wenn auch ein besonderes, dank Gehirn) zeigt seine Verwandtschaft mit toter und anderer lebenden Materie.

Tschüß... Woltochinon

 

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