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Tannhäuser

Liz

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12.07.2002
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Tannhäuser

Ich saß schwitzend über die neuesten Berufsprognose-Daten gebeugt, als Judith anrief und sagte „Los, Mädel, werfen wir für heute das Handtuch. Gehen wir ein paar Punsch trinken.“ Ich konnte diesem Vorschlag einiges abgewinnen und so zogen wir Richtung Christkindl-Markt los. Es war bereits dunkel und irgendwie kam ich so richtig in weihnachtliche Stimmung.

Am Vortag hatten wir vom Leiter unserer Schreibwerkstätte die Aufgabenstellung bekommen, eine Story über eine wildfremde Person zu schreiben, die sich ebenfalls auf dem Christkindl-Markt herumtrieb und die uns interessant genug erschien, in eine Geschichte verpackt zu werden.

An diesem Abend jedenfalls war unser Vorhaben zum Scheitern verurteilt, da wir auf etliche Arbeitskollegen stießen, mit denen wir über alles Mögliche diskutierten, bis wir alle miteinander sternhagelvoll nach Hause wankten.

Aber wir waren zuversichtlich und hartnäckig und beschlossen, nicht aufzugeben.

Diesmal wollte ich eine Reality-Story schreiben, komme was da wolle. Also gingen wir am nächsten Abend wieder auf die Pirsch mit dem festen Vorsatz uns durch nichts - aber auch gar nichts - ablenken zu lassen.

Und dann sah ich sie. Ich sah die Person, über die ich zu schreiben gedachte. Sie war für mich keine Unbekannte, auf meinem täglichen Weg ins Büro ging ich stets durch den Linzer Volksgarten, einem Treffpunkt für viele Obdachlose, die dann und wann mal angerannt kamen, um sich eine Morgenzigarette zu schnorren. Sie hatten ihr Lager unter einer prächtigen Tanne aufgeschlagen, von einem Schachbrett und einigen grün gestrichenen Bänken gesäumt. Ich war jedes Mal aufs Neue völlig baff, weil ich einfach nicht begriff, wie die Leute es im Winter bei dieser Affenkälte den ganzen Tag im Freien aushielten, ohne sich den Arsch abzufrieren. Sicher, es gab Notschlafstellen, aber trotzdem wollte es nicht in meinen Schädel rein. Das war Überlebenstraining pur, ein Wahnsinn.

Die Frau, die den Mittelpunkt dieser Geschichte darstellen soll, stand mit ihren Gefährten etwas abseits, ein kleines Grüppchen von vier Personen. Ich fühlte mich an einen Weihnachtsbaum erinnert, da sie über und über mit billigem Modeschmuck behängt war. Ihr Körper war ausgemergelt, ja beängstigend mager und steckte in schrillen, grellen Klamotten. Natürlich achtete ich penibel drauf, meine Beobachtungen so unaufdringlich wie möglich zu gestalten. Schließlich ist es eines der obersten Gebote, die Privatsphäre seiner Mitmenschen zu achten. Sagen wir mal so, ich möchte auch von niemanden angestarrt werden als wäre ich ein Freak aus einer Sideshow.

Das Alter der Frau konnte ich unmöglich einschätzen. Zwischen 30 und 50 Jahren. Ihr Gesicht war mit Piercings jeder Art und Größe in Nase, Augenbrauen und im Bereich der Unterlippe durchlöchert, aus der so etwas wie ein spitzer Dorn herausragte. Aber nicht einmal das ganze Blech konnte die kranke Verzweiflung in ihren Augen überdecken. Sie wirkten sehr beängstigend – dunkel, leblos und dann auch wieder nicht. Ich kann es nicht besser beschreiben, jedenfalls waren es beunruhigende Augen.

Während ich an meinem Glühwein nippte, ließen die vier Leute mehrere Tetrapack Wein in der Runde kreisen. Obwohl sie in der Nähe des Punschstandes standen, konnte man deutlich fühlen, dass sie nicht dazu gehörten. Nicht, dass irgend jemand eine abfällige Bemerkung gemacht hätte, keine Spur, aber wenn sie sich in Luft aufgelöst hätten, wäre es keinem Menschen aufgefallen. Und mir sicher auch nicht, wenn ich an diesem besagten Abend nicht bewusst darauf geachtet hätte, beziehungsweise nicht auf Beobachtungsposten gewesen wäre.

Die Begleiter der Frau sahen alle gleich aus. Eingehüllt in schäbige Jacken mit Kapuze, Krater im Gesicht, verfilzte Vollbärte, ausgestattet mit diversen Plastiktüten.
Es stimmte mich traurig, dass ich kurzfristig in das übliche klischeehafte Denken verfiel, als mir der Gedanke durch den Kopf schoss, „Typisches Aussehen, das war ja klar!“

Dabei stellten sie einfach Symbole für eine falsche Arbeitsmarkt- und Wohnungspolitik dar.

Was tat ich hier eigentlich? Was glaubte ich denn, wer ich war? Eine Pseudo-Sozialarbeiterin oder was? Ein Traumfräulein, das fest an Integration glaubte, obwohl so vielen Sozial-Projekten der Geldhahn zugedreht wurde? Hatte ich denn schon jemals ein richtiges Gespräch mit einem Obdachlosen geführt? Nicht mal ansatzweise und es würde mich auch nicht reizen. Ich wollte meine Welt hübsch ordentlich.

Niedergeschlagen schlich ich schließlich davon. Am nächsten Tag machte ich mir keine Gedanken mehr darüber. Meine Sorge galt primär dem Postpaket, das ich aus Köln so sehnlichst erwartete.

Am Abend sah ich mir mit meinem Lebensgefährten „Tannhäuser“ von Wagner an.
Genussvoll lästerten wir in unserer unendlichen Arroganz über das erzkonservative Publikum - das sich so sehr von dem Publikum welches Mozart und Puccini bevorzugte – unterschied, gaben uns dem getriebenen und liebeskranken Tannhäuser hin und nahmen anschließend ein ausgezeichnetes Dinner in der Verdi-Diele ein.

Wir genossen eine Fasanen-Rehterrine mit Kürbischutney und Eierschwammerltatare, dazu tranken wir einen sehr empfehlenswerten Cuvée Reserve, der unsere Gaumen mit einem anfangs zurückhaltendem, dann aufgehendem Bouquet mit sehr feinwürziger, überaus balancierter Frucht erfreute.

Flüchtig dachte ich an jene Frau im Volksgarten und stellte mir vor, wie sie sich gerade eine Dose knorpeliges breiartiges Rindfleisch und diesen grauenhaften Tetrapack-Wein reinzog. Bei diesem Gedanken wurde mir schlecht und ich schaltete die unangenehmen Gedanken, die in meinem Kopf herum schwirrten, erfolgreich aus.

Ich genoss unbeschwert mein Dinner und war sehr zufrieden mit mir und der Welt.

Es war ein guter Tag gewesen.

 

Liebe Liz!

Du darfst mich steinigen, auslachen, in einem Mörser zermalmen und mich schlichtweg für komplett übergeschnappt erklären! Liz, du darfst .... ich könnt mich echt zerwuzeln !

Ich hab die Geschichte nach langem PC-Knotzen noch als Draufgabe gelesen. Und da schreibst du von deinem Lebensgefährten mit dem du zum "Tannhäuser gehst".
Und für mich wurde dein Lebensgefährte zu Tannhäuser. Und das gefiel mir auch noch so gut. Das hat sich so gut eingebrannt in meinem Kopf, dass ich gar nicht begreifen konnte wieso du mi net verstehst. Jetzt hab ich dir die Stelle zitieren wollen und find eine ganz andere Zeile vor. Na super - aber mit 44 darf man ein bisserl daneben sein. Und das ist erst der Anfang - wer weiß was noch kommt.

Was solls - es ist Frühling, die Bäume schlagen aus und mein Geist schlägt ein paar verkalkte Purzelbäume. Nimms nicht schwer was ich aus deinen Zeilen rausfabriziert habe.


Einen ganz ganz lieben Gruß an dich - Eva

 

Hei Eva,

und da hab ich gegrübelt und gegrübelt und mein armes Hirn überbeansprucht! Dabei ist die Lösung so einfach – witziges Missverständnis! Du hast also geglaubt, ich bin die Elisabeth aus der Oper! (Mein Nick ist zwar Liz, was ja auch noch passen würde, aber singen kann ich net, keinen geraden Ton!) Oder dachtest du gar, ich bin die Liebesgöttin vom Venusberg, tsssssss! :cool:

Liebe und amüsierte Grüße!
Liz

 

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