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Sue
Sue stirbt.
Ich sehe es in ihren Augen. Sie sind noch immer so tiefblau, so voller Leben und doch, langsam werden sie trüb.
Vielleicht ist der Unterschied nur für mich erkennbar, der sich so viele Stunden in ihnen verlieren konnte. Der jede Einzelheit, jede unterschiedliche Färbung genau studierte.
Sue.
Tränen rinnen über meine blassen Wangen.
Das Sternenlicht fällt auf ihr Gesicht und sie lächelt zu mir hinauf, fährt mit ihren zitternden Händen mein Gesicht entlang.
„Mein Liebster“, die Worte sind kaum mehr ein Flüstern, doch sie weiß, ich werde jedes ihrer letzten Worte hören, in mich aufnehmen und nie wieder vergessen.
„Weine nicht. Weine nicht um mich.“, ihr Lächeln kann mir keinen Trost spenden.
Ich spüre schon die kommende Einsamkeit, die leeren Stunden ohne sie. Es wird lange dauern, den Schmerz auch nur irgendwie ertragen zu können.
Wie still wird die Welt sein, ohne ihr Lachen.
Der Zauber in meinem Leben, wird mit ihr sterben.
Alle Farben dieser Erde, mit ihrem Tod verblassen.
Ich lege meinen Kopf auf ihre Brust, vergrabe mein Gesicht. Für einen Moment bin ich umhüllt von ihrem Duft, von dem wunderbaren Veilchenduft meiner Sue.
Wieder kommt mir der Gedanke, dass ich ihr das Leben hätte schenken können. Sie hätte niemals sterben müssen ... wenn ich es gewollt hätte.
Und doch weiß ich, dass diese Gedanken falsch sind.
Sue wäre zu schwach gewesen eine Ewigkeit zu überstehen und sie hat es niemals gewollt, niemals von mir verlangt.
Nur meine Nähe hat sie sich gewünscht.
„Ich bleibe bei dir, Liebes.“, ich drücke sie an mich und sie streicht sanft über mein schwarzes Haar.
Ihr Herz schlägt so langsam.
Am liebsten würde ich es mit meinen Händen fassen und den bald fehlenden Schlag ersetzten, damit Sue lebt.
Ich lege mein Ohr auf ihre Brust und höre ihren rasselnden Atem, der nur in wenigen Momenten von ihrem Herzklopfen unterbrochen wird.
Ganz langsam weicht das Leben aus ihr.
„Ich danke dir.“, flüstert sie leise.
Und sie braucht nichts weiter zu sagen, denn ich spüre ihre Gedanken in mir. Ich weiß, um das Lächeln auf ihren schmalen Lippen, ohne sie anblicken zu müssen.
Bilder aus unserem Leben schleichen sich in meinen Kopf und ich bemerke, dass es doch noch etwas gibt, was ich für sie tun kann.
„Erinnerst du dich noch an dieses Lied? Damals im Café, du warst mit deiner Schwester dort. Dein blaues Kleid hat so wundervoll zu deinen Augen gepasst. Du hast so sehr gelacht.
Weißt du noch, dass sie es gerade in dem Moment spielten, als ich zur Tür herein kam?
Du hast mich angesehen und deine Gedanken standen so deutlich in deinem Gesicht“.
Ich spreche leise, vielleicht habe ich Angst, dass meine Stimme sonst zittert.
„Du warst vom ersten Augenblick in mich verliebt und ich in dich, meine kleine Sue.
Erinnerst du dich noch an dieses Lied?“, ohne eine Antwort flüstere ich die Worte in ihr Ohr und lasse vor ihrem innerem Auge die Bilder unseres ersten Treffens neu erstehen.
Meine Arme sind fest um sie gelegt, auch als ihr Körper kalt und ihre Glieder steif geworden sind. Der Abschied schmerzt mich so, dass ich mich nicht bewegen kann.
Vielen Stunden bleibe ich bei ihr, weine, wiege sie in meinen Armen und flüstere leise Worte in ihr Ohr.
Erst als die ersten Sonnenstrahlen, durch die weiten Fenster ihres Hauses fallen, erst dann kann ich ihre Seele gehen lassen.
Und während sie in die erwachende Welt hinein fliegt, mit den Blättern im Wind tanzt, mit den Vögeln in den Bäumen singt und schließlich eins wird mit dem Sonnenlicht, steige ich hinab in die Tiefen, in die kalte Dunkelheit verlassener Kellergewölbe.