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Sturmzeit
Erst einmal ein großes Hallo an alle von KG.de und an die Besucher
Sturmzeit
Tiadem öffnete die graue Tür und betrat das Labor. Sie schloss die Tür wieder hinter sich und ging zu ihrem Kollegen Starg, einem Deutschem Schäferhund. Er blickte kurz auf, als sie von hinten an hin herantrat und ihm über die Schulter blickte.
„Hast du schon jemals so etwas erlebt?“, fragte er die Graufüchsin und deutete mit seiner Pfote auf die bunt dargestellten Messwerte.
„Nein, eine so grausige Farbmischung habe ich noch nie gesehen. Hättest du mich nicht überredet, dann hätten wir immer noch die guten, alten Programme in schwarzweiß und weißblau“, antwortete Tiadem.
„Das meine ich nicht. Sieh dir doch mal die Werte an! So einen Sturm gab es schon seit Jahrzehnten nicht mehr!“
„Das Ding ist wirklich sehr groß. Größer noch als der angebliche Jahrhundertsturm im vorletzten Jahr“, schaltete sich Weisen, eine schwarzweiße Spitzhündin, in das Gespräch mit ein.
„Dann ist das wohl der Jahrtausendsturm?“
„Viel größer kann ein solcher Sturm wirklich nicht mehr werden. Weiß einer, wie sie ihn genannt haben?“, fragte Weisen.
„Soweit ich weiß haben sie ihm noch keinen Namen gegeben. Ich wäre ja dafür ihn Endzeit zu nennen“, bellte Tiadem.
„Verbesserte Endzeit würde eher passen. Seht euch nur mal die neuesten Satellitenbilder an“, warf Delan, der einzige Kater im Team ein und deutete auf seinen Monitor.
Alle versammelten sich darum und wurden von dem Gezeigten in den Bann gezogen. Nicht einmal Tiadem konnte einen lustigen Spruch darüber machen.
Der Hurrikan nahm den größten Teil des Satellitenbildes ein. Seine Ausläufer waren schon fast an der Küste angekommen, aber noch bewegte er sich parallel zu ihr. Die bisherigen Hurrikans mussten direkt klein wirken und selbst der Sturm aus dem vorletzten Jahr konnte bei weitem nicht mithalten.
„Ich bin sehr froh, dass das Ding nicht über unser Labor hinwegzieht“, miaute Delan und lehnte sich entspannt zurück.
„Wenn Endzeit dreht und auf die Küste zuhält, darüber möchte ich gar nicht nachdenken“, murmelte Tiadem.
Delan schluckte im letzten Moment einen ironischen Kommentar hinunter. Tiadems Familie lebte an der Küste.
„Was hat deine Familie schon zu befürchten? Die alte Eiche wird ihren Bau schon beschützen“, bellte Weisen und drückte die Graufüchsin tröstend an sich.
„Also ich wäre lieber in einem richtigen Haus als in einem Erdloch“, wandte Delan ein und streckte seine Glieder.
„Ich nicht. Was kann schon Beton und Stein gegen das da ausrichten?“, wollte Starg wissen und deutete auf den Bildschirm.
„Du solltest vielleicht etwas mehr vertrauen in die Architekten haben, nicht?“, bemerkte Delan.
„Architekten sind aber nicht vor Ort, wenn so etwas kommt. Da vertraue ich lieber einem Lebewesen, auch wenn seine Zellen Wände haben sollten. Selbst ein Baum kann besser auf einen Sturm reagieren, als ein Stück Beton“, Starg warf dem Kater einen verärgerten Blick zu. Nur weil Delan aus der Stadt kam und in einem Haus aufgewachsen war, war seine Welt noch lange nicht besser als seine, Starg seine Welt.
„Wir wollen uns doch nicht streiten, oder? Wenn ihr beiden nicht lieb seid koche ich den nächsten Kaffee“, drohte Tiadem.
Die Spannung legte sich wieder, nicht so sehr weil die Graufüchsin ihre Drohungen bisher immer war gemacht hatte sondern weil sie wieder in der Stimmung war, solche Drohungen auszustoßen.
„Ich hätte mir doch frei nehmen sollen. Dann könnte ich bei einem der angeforderten Hilfszügen sein“, murmelte Weisen.
„Anstatt darüber zu lamentieren sollten wir endlich einmal mit unseren Forschungen weiterkommen, um die Brüder von Endzeit vorhersagen zu können“, miaute Delan.
„Ich sehe gerade, ich bekomme meine neuen Messwerte rein“, rief Starg und eilte zu seinem Rechner hinüber.
„Wie es aussieht werden die Katzen und Hunde an der Küste doch die Schotten dicht machen müssen“, murmelte Delan, nachdem er einen flüchtigen Blick auf den Monitor geworfen hatte. Er gähnte und ging zu einem Arbeitsplatz zurück.
„Weisen, ich glaube es ist ganz gut, dass du bei uns und nicht bei einem Hilfszug bist“, flüsterte Starg und wühlte sich durch den Datenberg.
„Und wenn dich dein Gruppenführer runterputzt, nur weil du Wissenschaftlerin bist und daher nie kommen kannst, wenn dein Melder aufgeht, dann komm ich mal mit. Kann ja nicht sein, dass der sich beschwert, nur weil du deiner Arbeit nachgehst anstatt zu helfen. Irgendjemand muss doch schließlich forschen!“, rief Delan herüber.
„Weißt du, was er dann sagen würde?“, lachte Weisen, „Er würde sagen: Dann kündige den Job und hilf uns. Es gibt genügend Leute mit wissenschaftlicher Kompetenz, aber nur wenige, die bereit sind zu helfen.“
„Und wenn du die Frage, die sich daraus ergibt immer weiterverfolgst, kommst du zu der elementarsten Frage überhaupt“, bellte Tiadem.
„Warum sind wir hier? Was hat das Leben für einen Sinn? Woher kommt alles und wohin geht alles?“, fragte Starg.
„Vielleicht für euch Rüden. Wir Fähen haben andere elementare Fragen.“
„Und Katzen und Hündinnen?“, fragte Delan.
„Jetzt spiel mal nicht den Biologen“, wies Weisen ihn zurecht.
„Wir sollten uns aber jetzt wirklich mal auf unsere Arbeit konzentrieren, sonst hat Weisens Gruppenführer wirklich noch recht mit seinen Aussagen über uns feige Wissenschaftler“, sagte Starg.
„Rede nicht so über ihn!“, bellte Weisen scharf und gab dem Schäferhund einen leichten Stoß.
„Ich glaube eher, er hat einige Probleme mit unserer Sichtweise. Du solltest ihm weniger oft sagen, wie sich Delan entspannt zurücklehnt, wenn wieder mal ein Hurrikan auf die Küsten zusteuert. Oder über was wir uns sonst immer unterhalten. Da entsteht ein völlig richtiger Eindruck von uns Wissenschaftlern!“, lachte Tiadem.
„Was wissen deine Freunde aus der Vereinigten Hilfsorganisation eigentlich nicht von uns?“, fragte Delan und warf der Spitzhündin einen Sei-Ehrlich-Zu-Mir-Blick hinüber.
„Das Tiadem dir mal aufs Dach gestiegen ist. Obwohl die Geschichte eigentlich wert wäre, sie zu erzählen. Vielleicht beim nächsten Dienstabend. Ansonsten müssten sie eigentlich alles wissen. Eigentlich wissen sie sogar schon mehr als ich selbst, denn sie kramen manchmal wieder Geschichten von euch heraus, die ich längst vergessen habe.“
„Danke, Weisen. Durch dich erlangen wir Unsterblichkeit, weil man noch in tausend Jahren unsere Peinlichkeiten herumerzählt. Ich bin dir wirklich dankbar dafür!“, bellte Starg.
„Gucke mal auf deinen Bildschirm, Weisen. Du solltest langsam mal die Daten weitersenden und nicht nur für dich behalten. Oder ist es normal, wenn da Dutzende Nachrichten und Mahnungen auf deinem Bildschirm auftauchen, deren Inhalt nur mit Großbuchstaben geschrieben sind?“, fragte Delan scheinheilig.
„Verflixtes Netzwerk! Da sollten die mal weiterforschen! Und so etwas nennen die modernste Technik. Das ich nicht lache“, beschwerte sich Weisen und klickte sich durch die ganzen Beschwerdebenachrichtigungen.
„Ich lache schon für dich mit“, bellte Tiadem und setzte sich auf Delans Schoß.
„Und ich fang gleich an zu weinen. Wir erleben gerade den größten Sturm seit Jahrzehnten und ihr habt nichts besseres zu tun als zu lachen. Aber ich darf mich nicht einmal entspannen, oder wie?“, murrte Delan.
„Wenn du dich entspannst hat man aber das Gefühl, dass du gar keinen Anteil nimmst an dem, was um dich herum passiert“, bellte Tiadem und sprang auf und ging wieder auf die Tür zu, durch die sie hereingekommen war.
„Aber wenn ihr Witze macht, dann schon?“
„Wir nehmen doch überhaupt keinen Anteil an irgendetwas oder von irgendetwas. Oder hat einer von euch einen Gehaltsscheck mit mehr als zwei Nullen?“, fragte die Graufüchsin.
Der Kater murmelte etwas, das sich nach „Und so etwas darf sich Wissenschaftler schimpfen“ anhörte.
Tiadem lachte und verschwand durch die Tür und wäre fast mit dem Deutschen Schäferhund Willan zusammengestoßen.
„Da bist du ja. Wir dachten schon, du wolltest überhaupt nicht mehr kommen“, bellte er. Er griff nach den großen Kopfhörern, die auf dem Schaltpunkt lagen und drückte ihr diese in die Pfoten.
Die weiterführende Tür öffnete sich und Willans Bruder Caller kam herein.
„Was machst du denn hier?“, entsetzte sich Willan.
„Das müsst ihr euch ansehen!“, keuchte Caller. Er war ganz aufgeregt und wies mit einem Kopfnicken hinter sich.
Tiadem legte die Kopfhörer zur Seite und ging durch die Tür und blieb wie angewurzelt stehen.
Durch das Fenster hindurch konnte sie Endzeit sehen. Mächtig wie die Erde selbst und mit einem unglaublichem Ausmaße gesegnet erhob er sich vor ihnen. Selbst aus dieser Entfernung konnte man seine Urgewalt spüren, die alles zerschmettern würde, was ihm zu nahe kam.
„Das wird richtig ungemütlich“, flüsterte Willan.
„Ich sag mal den Anderen bescheid“, murmelte Tiadem und kehrte in den Funkraum zurück und schnallte sich fest. Sie setzte sich die Kopfhörer auf und angelte nach der Tür.
„Haltet euch fest, Endzeit ist im Anmarsch!“, rief sie durch den schmalen Türspalt, schloss die Tür wieder und legte den Riegel vor.
Willan und Caller ließen sich auf ihren Pilotensitzen nieder und deaktivierten den Autopiloten. Was gleich kam konnte keine Maschine mehr kontrollieren.
Das Forschungsfugzeug wirkte vor dem Hurrikan wie ein Staubkorn vor einem Gebirgsmassiv
Andreas Klose