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Strafe muß sein
Strafe muss sein
„Und wehe du trittst deine Strafe nicht an!“ Meine Mutter sieht mich böse an. „Ja, Ma“ antworte ich kleinlaut.
Dabei fing alles so gut an! Die Jungs und ich spielten Fußball, fünf gegen fünf, selbstgebaute Tore und unser eigener Bolzplatz. Wir spielten jeden Tag bis es dunkel wurde. Das einzige was störte war das Anwesen vom alten Carter, das gleich an unseren Spielplatz grenzte. Es war riesig, mit hohen Bäumen, völlig verwilderten Hecken und einer uralten Steinmauer eingegrenzt.
Nun, ich hatte gerade das 2:1 für unser Team geschossen und freute mich riesig, da nahm ich den Ball und schoss ihn vor Freude einfach steil in die Luft. Er ging ab wie eine Rakete, wurde vom Wind ergriffen und ging blitzschnell auf das Grundstück vom alten Carter nieder. Schon oft flog der Ball auf sein Grundstück und wir mussten immer über die Mauer klettern, um ihn leise und vorsichtig aus dem meterhohen Gebüsch zu ziehen. Es gab einen riesigen Teich, in dem keine Fische waren und überall standen Statuen aus weißem Marmor im Garten, die schon zu großen Teilen mit Moos bedeckt waren.
Der Ball zischte also auf das Haus zu und zerstörte mit lautem Krach ein riesiges Panoramafenster, das dummerweise in seiner Flugbahn lag. „Oh Shit!“, dachte ich und wollte fliehen, doch in der Rückwärtsbewegung sah ich an einem Turmfenster des Anwesens eine Gestalt am Fenster stehen. Ich konnte seine Augen nicht sehen aber irgendwie konnte ich einen gewaltigen Hass spüren. Noch am selben Abend stand der alte Carter bei uns vor der Tür und petzte meiner Mutter den Vorfall. Dieser alte Sack hätte doch bestimmt genug Geld, um dieses dumme Fenster einfach von einem Glaser reparieren zu lassen, anstatt meine schwangere Mutter mit dieser Kleinigkeit zu belästigen.
Ma kam wutschnaubend in mein Zimmer und sah mich böse und fragend zugleich an. „Also Mr. möchten Sie mir etwas sagen?“ Ich gestand, schob aber die Schuld auf den Wind, dann auf den Ball und zum Schluss auf das dumme Haus vom alten Sack. Meine Mutter schluckte ihre Wut und sagte: „Da ich die Rechnung von Mr. Carter nicht begleichen kann, wirst du mein Freund, ihm vier Wochen zur Hand gehen. Du erledigst alles, was man dir aufträgt. Einkaufen, Waschen, den Garten pflegen und so weiter. Eben alles was so anfällt. Und wenn es Mr. Carter gefällt dass du den ganzen Tag seinen Wagen wäschst, dann tust du das ohne ein Wort der Widerrede. Ist das klar?“ . „Oh Ma, das geht jetzt nicht, wir können Meister werden, aber ohne mich hat meine Mannschaft keine Chance!“. Sie schaute müde zu mir runter. „Du glaubst nicht, wie froh ich bin, dass du eine Schwester bekommst, die hoffentlich mit Puppen spielt und nicht das geringste Interesse an diesem idiotischen Fußball hat! Du fängst morgen mit deiner Arbeit an. Das ist mein letztes Wort!“ Und mit diesem letzten Worte verschwand sie aus meinem Zimmer.
Ich fing an zu heulen und schlug auf mein Kissen ein, dieser alte, runzlige, eklige Mistkerl versaut uns die ganze Meisterschaft! Fußball ist doch viel wichtiger als so ein dummes Fenster!
Jetzt stehe ich hier also vor diesem riesigen Haus und traue mich nicht zu klingeln. Hm, ich könnte mich einfach davon stehlen und meine Pflicht auf dem Fußballplatz erfüllen aber wenn das meine Mutter erführe, wäre das mein letztes Spiel. Ich habe also keine Wahl.
Langsam bewege ich meinen Finger auf einen alten, goldenen Klingelknopf zu, der bestimmt schon Jahre lang nicht mehr benutzt worden war. Eine schrille und surrende Klingel erklingt, die bei so einem Anwesen geradezu lächerlich wirkt. „rrrrrrrrring“
Nichts passiert.
„rrrrrrrrring“.
Mach schon auf, du Schildkröte, ich will hier nicht übernachten.
Mr. Carter öffnet blitzschnell einen Sehschlitz in der Tür und starrt mich an. „Hallo Mr. Carter, ich bin Tim, hab ihr Fenster kaputt gemacht. Es tut mir leid.“ Die Tür wird aufgeschlossen und öffnet sich nun langsam. Oh Gott, ich hatte diesen Menschen noch nie so aus der Nähe gesehen, er muss mindestens 150 Jahre alt sein. Seine weißen Haare zeigen wirr in alle Himmelsrichtungen und an seinem linken Nasenflügel prangt eine riesige braune Warze. „Ah, der kleine Nachbarsjunge, der Fußballstar, der Punk, der Krachmacher und Störenfried.“ Seine Augen sehen mich abgrundtief böse und kalt an. „Ja Mr. Carter, es tut mir leid! Ich wollte kein Fenster kaputt machen, ich habe doch dieses Tor geschossen und da hab ich mich so gefreut und... „Halt die Klappe, Junge!“. Etwas Speichel fliegt ihm aus dem Mund und trifft mich im Gesicht. Angeekelt wische ich mir über die Stirn.
„Aaaaaalfred...!“
Ich zucke zusammen, hätte nicht gedacht, dass der Alte noch eine so feste Stimme hat. Ein Mann, etwa so groß wie King-Kong und genauso behaart, kommt in die riesige Empfangshalle und tupft mit einem Tuch über die Stirn des Alten. „Das hier ist Alfred, mein Diener oder sollte ich sagen Exdiener? Ab sofort wirst du seine Aufgaben erledigen und noch mehr, tust was er dir sagt. Deine heutige Aufgabe besteht darin meinen Garten zu säubern, den Rasen zu trimmen und wieder etwas Glanz erstrahlen zu lassen. Kannst du das?“. Nur schwer kann ich meinen Blick von Alfred abwenden, warum zu Teufel hat noch niemand aus der Nachbarschaft dieses Monster gesehen? Wir hätten uns jeden Tag über diesen Affen lustig machen können, aber ich sehe diesen Neandertaler jetzt zum ersten Mal. „Ja, das kann ich, ja Mr. Carter, Sir!“.
Das Herz rutscht mir in die Hose, ...ich wär jetzt gern zu Haus.
Im Garten drückt mir Alfred eine alte, dreckige und unheimlich schwere Sense in die Hand. „Schneide das Gras und mach es gründlich“, grunzt er. „Ach und noch etwas..., bleib vom Keller weg! Erwische ich dich im Keller, Bursche, spiele ich mit deinem Kopf Fußball!“ Ich sehe ihm nach und umso kleiner er wird, desto mehr verschwindet die Angst. „Dann spiele ich mit deinem Kopf Fußball“, wiederhole ich mit tiefer Stimme und muss lachen.
Die Arbeit ist schwer und ich bekomme Blasen an den Händen vom Holzgriff der Sense. So ein Mist! Und das alles wegen eines Querschlägers. Erst jetzt fällt mir die Holztür auf, die ich freigelegt habe. Zwei schwere Holzklappen über einer Treppe die anscheinend unter das Haus führt. Ich sense noch ein kleines Stück, dann setze ich mich auf den Rasen. Alfred ist schon seit mehr als zwei Stunden nicht zu sehen gewesen.
Ich würd gern wissen, was unten im Keller ist. Vielleicht ein Sarg für den Alten oder eine Kette für Alfred? Ich grinse beim Gedanken daran. Ob ich nachschauen soll? Was kann mir schon passieren? Ich werde ein paar Zeitschriften mit Brüsten drin finden und mich wieder aus dem Staub machen, vielleicht kann ich das sogar gegen den Alten und Alfred verwenden?! Ich werde meiner Mutter sagen, dass sie Playboys im Keller haben und dann wird sie mich nicht mehr hier her lassen und ich kann endlich wieder gegen einen Ball treten!
Also los!
Die Holztür ist verdammt schwer. Sie ist etwas vermodert und knarrt, als ich sie schräg nach oben drücke. Oh leise, verdammt! Hoffentlich hat das niemand gehört. Ich klappe die Tür auf und sehe mich um. Niemand zu sehen. Ein merkwürdiger Geruch kommt aus dem Keller. Scharf und beißend, irgendwie künstlich oder chemisch. Die Treppe sieht auch mitgenommen aus, aber mich wird sie halten, ich bin sehr leicht. Langsam gehe ich die Stufen hinunter, der Geruch wird stärker. Ich suche an der Wand einen Lichtschalter, gleite an der dunklen Wand entlang. Plötzlich krabbelt mir eine große schwarze Spinne den Arm hoch. Ich halte mir den Mund zu, um nicht zu schreien und schüttele sie wild ab. Meine Güte, was für eine riesige Spinne! Der alte Carter scheint alle seiner Untergebenen gut zu füttern. Ich hole tief Luft und überlege wieder nach oben zu gehen. Aber diesem Kerl eins auszuwischen ist zu verlockend. Ah, hier ist der Schalter, ich drehe ihn nach rechts, er klickt und eine Glühbirne geht weit hinten an. Sie erhellt nur spärlich den Raum den ich betreten werde.
Alte Regale stehen dicht an dicht und sind zu großen Teilen mit Spinnennetzen bedeckt. Gläser stehen in den Regalen, dort liegen Weinflaschen in einem Weinfach die schon eine dicke Staubschicht aufweisen. Wonach verdammt noch mal riecht es hier? Ich sehe eine Wand an der viele Zeitungsartikel hängen. Das will ich näher sehen. Auf dem einen steht:
Frau ohne Kopf aufgefunden, Mörder hinterlässt keine Spuren und ist weiterhin auf freiem Fuß, Polizei ratlos...
Dann ein anderer:
...zwei Mädchen sind spurlos verschwunden. Puppen der beiden wurden in einem Wald gefunden, doch keine Spuren die auf den Täter schließen lassen könnten...
Einer ist rot markiert:
Wo ist der kleine Pete?
Die Mutter des kleinen Pete O´Keanzy ist verzweifelt, eben spielte der lebhafte Junge noch im Garten, dann war es plötzlich still, berichtet die aufgelöste Mutter. Ohne eine Spur zu hinterlassen hat man den kleinen Jungen aus dem Garten der Eltern entführt, da sind sich die O´Keanzys sicher...
Was soll das alles? Ist der alte ein Privatdetektiv oder hat er mit diesen Verbrechen zu tun? Plötzlich knallt die Kellertür mit einem dumpfen Knall zu. Ich schreie kurz auf und renne zur Treppe. Ich kann hören, dass sich jemand an der Tür zu schaffen macht. Es rasselt wie eine Kette, die um Metall gebunden wird. „Hey, was soll das? Lasst mich hier raus! Macht die Tür auf, bitte!“ Ich kann hier unten nicht richtig atmen! Dieser Gestank beißt in meinen Augen, ich taumele und falle die Treppe hinunter, dabei stoße ich mit dem Rücken an ein Regal und ein großes Gefäß fällt auf den Boden und zerspringt in tausend Scherben. Jetzt erinnere ich mich an diesen Geruch! In der Schule haben wir Frösche seziert, die in Alkohol eingelegt waren, dort war er auch, nur nicht so intensiv.
Ich sehe ein Kindergesicht das mich mit einem künstlichen Lächeln ansieht. Das war der Inhalt des Gefäßes! Ein echter Menschenkopf, dem man Draht in den Mund gesteckt hat um ein Lächeln darzustellen, erkenne ich. Die Haare sind nass und liegen jetzt im Staub, ich kann nicht mehr hin sehen, mir wird schlecht, kann nicht mehr atmen. Hilfe, oh mein Gott, Hilfe!
„Hörst du mich?“, fragt Mr. Carter von oben. „Ja, ich kann sie hören, bitte lassen sie mich raus, hier unten liegt der Kopf eines Kindes, mir ist schlecht und die Luft ist so schwer! Bitte Mr., lassen sie mich zu meiner Mutter!“ Ich schreie und fange an zu heulen, dann renne ich wieder die Treppe rauf und schüttele an der Tür, doch ich merke, wie ein Schloss die beiden Türhälften zusammen hält. „Ich stelle dir ein Rätsel, Junge, ein kleines Spiel.“ Der alte Mann beugt sich tief runter und spricht leise durch den Spalt der Kellertür: „Was lebt im Dunkeln und sah noch nie das Licht? Atmet keine Luft und ist doch kein Fisch? Ist ein Teil von Dir und doch gehört es mir? Also, weißt du es? Du bist nicht dumm, ich glaube, du weißt es bereits.“ Ich höre wie er sich entfernt und zu seinem Diener sagt: „Mach schnell und kümmere dich danach um den Jungen.“ „Ja Mr. Carter, sofort“, kommt es kalt und einsilbig zurück. Ich verliere den Halt und falle abermals auf den staubigen Boden.
Keine Kraft mehr aufzustehen,
alles vorbei,
Mama es tut mir leid,
Schwester es tut mir leid,
alles meine Schuld.