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Straße und Café
„Hoffnung?“, fragt Pietra. „Klar, Arschfick.“ Als Antwort auf eine Frage, die Priva nicht stellte. Aus einem Gespräch, mit dem er nichts zu tun haben will. Um am Ball zu bleiben, schiebt er die Frage hinterher, was sie hoffen dürften. Sieht sie eine Strähne aus ihrer Stirn pusten, die wieder zurückfällt, ohne dass die verklebten Haare ihre Konturen verlören. Arschgefickte Hoffnung also, auf solche Sätze kann er. Geschwätz von welchen, die sich längst hätten ins Bett verpissen sollen. Wobei Priva selbst nur von Eigenträgheit aufrecht gehalten wird und dem Bierhumpen, dessen schwerer Boden am Tresen klebt.
Er sieht nikotingelbes Licht durch die verstaubten Fenster der Straße das Ende der Nacht heraufdämmern. Nickt Pietra zu, die weiter den Mund bewegt, und verzichtet darauf, Interesse zu heucheln. Als er sie paar Sekunden später wieder ansieht, ist der Crossdresser oder die Transe ohnehin mit jemand anderem beschäftigt. Den kennt er auch. Schlitzauge mit tiefen Taschen, lohnenderer Gesprächspartner.
Gleich die Order: Perignon. Dom Perignon, naturalmente. Priva hat keine Idee, wo der Typ auf einmal herkommt. Per Thai-Move auf den Hocker gebeamt, aus der Nacht geschnitten.
Mario, wie Priva weiß. So heißt der Thai. Stand in seinem Ausweis, in seinem Portemonnaie, in der Innenseite seines Jacketts, als er ihn gegen vor Wochen im Keller der Straße fand. Mario, in embryonaler Haltung, zusammengerollt um ein kaltes Klo. Mario. Kein schlechter Name für einen Hundsfott. Passt schon, nix gegen einzuwenden. Mario selbst nennt sich Mariko, weil wir hier auf Georg sind, die heiligen Straßen und Katakomben der Tattergreis-Schwuchteln und Terrorschwucken, gepflastert mit minderjährigen Strichjungen, Haarrissen im After, vollgespritzten Snapchat-Körpern. Und Bakschisch, viele viele Geschenke, großes Bakschisch. Jedenfalls Mariko.
Mariko. Gespielt von Mario. Die Altschwulen der Straße genießen jeden Exotismus, jeden Eskapismus; ja, es sind Besessenheiten, dafür gibts keine Heilung, kein Exorzismus. Alle wollen so exotische Vögel wie möglich, so exotisch vögeln wie möglich.
Und teuren Rotwein. Große Auswahl, von allem das Beste. So schlicht lässt's sich leben.
Der Einflussreichste ist gepflegt und sehr alt, dünnes Haar, pergamentene Haut spannt über der markanten Schädelform, strahlende Augen, so hell und offen der Blick.
Einen anderen sah Priva, wie er mit seinem Kind der Nacht, dem Kind zur Nacht, nach der Nacht im Café frühstückte, Muttertag, später gab er einer Frau mit Rollator einen Blumenstrauß, "Liebe Muti". Schon am Abend steckte er wieder dem Nachtkind was zu, direkt vor Privas Wohnung, unten auf dem Bürgersteig, vor den Pforten zur Straße.
Der Jüngste, ein Opernsänger, wirkt sympathisch. Beunruhigend. Priva hütet sich, den näher kennen zu lernen. Wer weiß wie sich überträgt, was die tragen. Großzügig? Alle. Dukatenscheißer. Scheißen mit Scheinen um sich, als wüssten sie die Welt geht unter, bevor sie pleite gehen.
Mehr als einmal hat der Oberste Alte das gesamte Café gemietet, geschlossene Gesellschaft gespielt, alle ausgehalten, um sich und das zu feiern, was in dieser speziell hamburgischen Mischung aus Distance, Perversion und Understatement als ausgesuchter Lebenswandel gehandelt wird.
Prahlen mit ihrem Rumgeficke wie Neunjährige, die alle auf einmal und jeder für sich, eben gerade nen prallen Sack Murmeln gewannen. Heißt eh nicht Rumfickerei, Nachtabenteuer sind’s, und die Erzähler, alte Säcke, nein, gleichgesinnte Gelegenheitsjäger.
Vor allem: Big Tipper. Hm, Priva: kein Geld. Arbeit, im Café.
Erst erstaunte ihn, dass die sprechen, als wäre er nicht da, dann ärgerte Priva, dass er in ihren Augen nur Garcon war, kein Mensch, doch war er damals schon ein bisschen geübt, sein Pendel schnell wieder in die Gefühlskälte einzumitten, wenn es was zu sehen und hören gibt, das unangenehm aber interessant ist. Was die ehrenwerten Kaufleute und Maskenträger zum Besten gaben.
Direkt aus ihrer Parallelgesellschaft. Sankt Georgs Lustgreise, die sich in ihren restlichen Jahren nachts durch osteuropäische Straßenkinder arbeiteten.
EU-Osterweiterung, das Lob der Freizügigkeiten.
Manchmal, in diesen Runden, war Mariko dabei, und im Gegensatz zu seiner üblichen Großmäuligkeit, gingen in diesen Runden viele Witze auf seine Kosten. Daher kennt er ihn, ja, Priva erinnert sich träge. Bilder und Geräusche dieser ersten Treffen mit Mariko ziehen wie bernsteinerne Geister durch die immer hellere, immer widerwärtigere Gegenwart des kommenden Tages in der Straße. „Dom Perignon, Magnumflasche, Garcon, schnell!“, bellt Mariko, der so frisch und gesteift in seinem maßgeschneiderten Anzug steckt, als säße er nicht im Nebel billiger Zigarillos, am versifften Tresen und simulierte so was wie einen Flirt mit Pietra, die wenigstens mal für fünf Minuten Toilette machen und sich rasieren könnte.
Mariko kommt von Erika oder aus dem Rondell und nicht nur sein Hemdkragen wurde chemisch gestärkt. Priva lächelt still, dunkel.
Weiter schieben sich bernsteinfarbene Gespensterwesen der Erinnerung durch das Innere der Straße. Als der Kellner nicht sofort reagiert, wiederholt Mariko seinen Satz. Wortwörtlich, sogar leicht veredelt. „Dom Perignon, Garcon, Magnumflasche, pronto!“
Nach einer Weile wird kommentarlos reagiert, hier geschieht so viel Surreales, Ekelhaftes, Überhebliches und trotzdem völlig Unbedeutendes, aber immer Übertriebenes. Wer hier Schichten durchstehen muss, arbeitet mit dem Eigentlichen, ohne auf die Spielchen einzugehen.
Der Raum beginnt zu vibrieren. Priva, Priva spürt - da ist was, aber welche Energien hier walten, kriegt er nicht raus, dafür ist er zu viele Runden gelaufen die Nacht zu meschugge er weiß nicht.
Dann zieht Priva etwas aus dem Erinnern und setzt ihn ins Sehen. Und er sieht: Marikos Augen wandern. Sekundenbruchteile rutschen die an Pietras Fassade ab, blitzen Priva an.
Und die Erinnerung sickert langsam und unaufhaltsam in Privas Körpergedächtnis. Zack. Stocknüchtern. Fixiert er Marikos Blick, der sofort weiter wandert.
Priva, Priva. Erinnert sich an eine Situation, im Café, in geschlossener Gesellschaft, als Mariko schon Ziel jedes spottlustigen Alten war. Nicht Marios bester Abend.
An diesem Abend, in dieser Runde, war er der kleinste Hecht im Teich der schmutzigen alten Männer, mit ihren klugen Krokodilsaugen und den wüstentrockenen Kommentaren.
Nein, es gibt kein Bernstein mehr in der Straße, nur noch das damalige Erleben im Café.
In der Mariko ihn, Priva, der dort für seinen Lebensunterhalt und die kranke Mutti und sechs Schwestern sorgen musste; in der Mariko ihn, Priva, mit den gleichen Worten zu sich zitierte. „Garcon! Perignon, Perignon! Avanti!“ Priva ist noch nie so angeherrscht worden, tat einfach, was Mariko ihm auftrug, und trug den Champus auf.
Schon im Abgang, nach dem Servieren, spürten alle diese Stimmung im Raum. Kam von Priva, dessen heftiges Herz einen Rhythmus schlug, zu dem er des Marikos Schlitzaugenschädel mit der Magnumflasche umdekorieren wollte.
Spotlight on: Alles Augen auf ihn. Die harten, kalten Fischficker der alten Garde wussten genau was abging, und jeder suchte nach einem Satz, um den vor Wut zitternden Priva eskalieren zu lassen.
Nichts Persönliches, Erlebnisorientierung.
Mariko konzentrierte sich auf's umständliche Einschenken des Champagners, seines Statussymbols, auf das die Runde der Rotweintrinker keinen Wert legte. Die riesige Buddel zitterte merklich, als er die Gläser nacheinander füllte. Die wiegt aber auch schwer, wer weiß, dachte ein Krokodil und blinzelte rüber zu Priva, der im Café hinterm Tresen stand und augenscheinlich im Polieren von Gläsern eine neue Leidenschaft zu entwickeln versuchte.
Und jetzt spürt Priva auch, welche Atmosphäre in der Straße herrscht.
Nachdem Mariko bellte, nachdem er Priva musterte.
Dominanzfick.
Pietra fällt vom Stuhl, was nichts mit irgendwas zu tun haben muss, diese dämliche Kuh, rappelt sich auf, ist in Ordnung, murmelt was von verdammten Ausländern, man müsse die KZ wieder eröffnen, alles gehe den Bach runter, jeder ordinäre Barhocker habe zur Zeit einen Linksdrall. So viele Worte hat Pietra die ganze, gemeinsam verbrachte Zeit nicht ausgespuckt. Nicht ein Zehntel. Nicht zusammen genommen. Je mehr sie redet, desto mehr ändert sich die Stimmung. Mariko sieht gerade sehr dankbar aus, dass Pietra doch keine Scheuche ist, sondern sprechen kann und fokussiert sie gnadenlos, weicht also Privas Blick aus, der nicht aufhört, Mariko zu mustern und spürt, wie sich Dominanzfick, aus Versehen, aus einer anderen Zeit, einer anderen Konstellation heraus im Raum manifestierte, und dass es ihm galt, und sich Mariko für einen Moment mit dem Mensch verwechselte, der Privas Arsch in der Straße penetrieren könne, doch dann gab es eben diesen Sekundenbruchteil des Ineinandersehens, Erkennens und Erinnerns und so wie Mariko spürt, dass er etwas entsetzlich Dummes getan hat, so verfolgt Priva fasziniert, wie sich der im Raum stehende Dominanzfick verwandelt, in eine Möglichkeit, die er beobachtet, wie sie zu einem Missverständnis wird, das in Mariko hineinwandert, durch seine Fußsohlen, die Beine hoch, in seine Eier, die verzweifelt versuchen, sich zurück in die Gebärmutter zu stülpen.
Erfreulich, denkt Priva. Und fragt sich, ob er aufstehen kann. Den Humpen Bier hat er schon zwei Stunden nur gehalten, nie mehr gehoben, und weiß auch nicht, ob das möglich ist, steht auf einmal aber neben sich, also neben dem Barhocker, auf dem er die ganze Nacht hockte und sich besoff, mit Pietra, diesem verlogenen Aas, in ihrer räudigen Höhle, einer Heimstatt.
Alles war bestens so gut es eben geht, bis Mariko auftauchte, und sich mit jemand verwechselte, der er nie sein könnte, nicht an seinem besten Tag.
Priva steht, Priva geht, langsam zu Mariko, lächelt mit der Angst, sieht Marikos Augenwinkel seinen Glashumpen fixieren.
Die Magnumflasche steht vor Mariko, er könnte danach greifen, und so wie er vor zwanzig Minuten reinschneite - frisch gewichst, chemisch gestärkt -. hat er alles Wichtige beisammen. Jetzt müsste er nur noch handlungsfähig sein. Doch wer sich einmal verwechselt, muss besser spielen können, um sich in so einer Situation wieder einzuwechseln.
„Dein Schwanzlutscherschädel ist zu ungeordnet“, sagt Priva. Pietra lacht, dass es in den Ohren schrillt. Mariko zwingt seinen Kopf rum, sieht Priva in die Augen. Leere, Leere, alles voller Leere, das sieht Priva. Stellt endlich diesen verfluchten Humpen auf den Tresen, nah am zusammenzuckenden Mariko vorbei, greift die fast volle Dreiliterflasche, nickt Mariko zu, sagt „auf Wiedersehen, Mario“ und geht zum Ausgang - aus der Straße.
Fuck off, die Flasche ist nötig. Priva ist immer noch wieder stocknüchtern und das wird wohl so bleiben, wenn er nicht aktiv dagegen anarbeitet. Nach'm dritten Schluck gehts. Priva dreht noch ne Runde durchs Rondell, setzt sich zu Marikos Saufalter und entwickelt Überzeugungskraft, dass sie es ist, die ihn auf Klo zerrt und durchnimmt, obwohl es sein Plan war, sie aufs Klo zu zerren und durchzubangen.
Als das Ding durch ist, nachdem er sie eine halbe Stunde hart von hinten fickte, an ihren Titten riss, bis sie sich einander beim Kommen wie Tiere an die Kehle gehen, während sein dreckiger, langer Fingernagel ihr Rektum penetriert, weil die Sau so vollgepumpt ist mit Chemie, dass sie verflucht lange braucht, bis was passiert, bis endlich ein Ende ist, was bei anderen Tieren, mit Gefühlen füreinander, ein Orgasmus wäre.
Eine dünne Blutspur läuft ihr Bein herunter und er weiß, das ist okay.
All das hat kaum was mit ihnen zu tun und nichts mit Mariko, dem Schlitzauge, gegen dessen Herkommen nix zu sagen ist, weil dafür kann keiner nichts. Mario, der sich mit jemand verwechselte, der er gern wäre, von dem er vielleicht mal hörte.
Priva hat ein Stück Vergangenheit zurück, das er nicht wollte, und mit dem er nichts anfangen kann, das bald wieder vergessen sein wird. Es ist früh geworden, sie haben die Nacht rumgekriegt. Schon erstaunlich, wie die Zeit vergeht.