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Stoke Newington
Ich dachte: „So ein Scheiß“. Es war nachts, und es war in London, wo ich mutterseelenallein auf der Straße stand. Der Film „Die Tote aus der Themse“ kam mir in den Sinn. Miriam hatte sich mit ihrem Punk davongemacht, und meine Freundin Dana hatte in dem Klub, vor dem ich jetzt einsam stand, ein niedliches englisches Mädchen aufgerissen. „Hier hast du zehn Pfund“, hatte sie noch zu mir gesagt, bevor sie mit zu ihr ging.
Um mir ein Taxi zu nehmen, musste ich erst Mal wissen, welche Adresse ich dem Taxifahrer nennen sollte. Mein Problem war, dass ich den Namen der Straße, in der das besetzte Haus war, in dem wir seit ein paar Tagen zu Gast waren, vergessen hatte. Der Name einer anderen Straße kam mir in den Sinn. Albion Road. Hier hatten wir zuerst gewohnt, bevor die Besetzer dort uns rausgeschmissen hatten.
Ich stieg in ein Taxi und nannte dem Mann am Steuer die Straße. Zum Glück reichten die zehn Pfund von Dana, denn ich war pleite. So saß ich denn die ganze Nacht vor dem Haus auf der Bordsteinkante. Anzuklopfen traute ich mich nicht, denn sie, die zuerst sehr nett waren, hatten nach ein paar Tagen ziemlich angepisst reagiert, und uns zu verstehen gegeben, dass wir nicht mehr erwünscht waren, wir zwei ehemalige DDR-Bürger, die ein paar Monate nach Mauerfall die erstbeste Gelegenheit am Schopf gepackt hatten, um endlich London kennenzulernen.
Langsam wurde es hell, und mit der Morgenröte tauchte auch wieder der Name der Straße, in der Miriam und ihre Freunde wohnten, in meinem alkoholumnebelten Hirn auf. Darville Road. Gerettet war ich aber immer noch nicht, denn ich wusste nicht, wie man dahin kommt. Jetzt fehlte mir Dana, die einen genialen Orientierungssinn besaß. „Ob das was damit zu tun hatte, dass sie eine Lesbe ist?“, fragte ich mich. So ein präzises Ortsgedächtnis hatte ich bisher nur bei Männern kennengelernt. Vielleicht besteht im DNS-Strang ja eine Verknüpfung zwischen sexueller Prägung und der Fähigkeit, sich zurechtzufinden.
Ich war mir aber sicher, dass es hier in der Nähe sein musste. Ein Autofahrer hielt neben mir an, als ich einsam durch die morgendlichen Straßen von Stoke Newington, einem Stadtteil von London, lief. Er war ein freundlicher Türke. Er setzte mich vor der blauen Tür von dem Haus in der Darville Road, wo unsere englischen Kumpels, alles Freunde von Ben, lebten, ab.
Es war im Sommer nach der Wende, als meine Freundin Dana und ich uns an die Tankstelle in Schöneweide stellten. Unser Ziel war London. Dana war gerade von der Frau ihres Lebens verlassen worden und suchte Ablenkung, und ich wollte endlich die Stadt meiner Träume besuchen. Das war natürlich für alle Musikfreaks aus dem Osten London. Dort kamen sie alle her, die wir verehrten. Ich, als Stonesfan, wollte unbedingt Chelsea besuchen, wo sie ihre erste Wohnung hatten und den harten Winter zweiundsechzig/dreiundsechzig im Bett verbrachten, weil das Geld für die Gasheizung fehlte. Man liest schließlich Biographien. Im Laufe der Jahre habe ich schon so viele Stones-Biographien gelesen, dass ich eigentlich besser über ihr Leben Bescheid weiß als sie selber.
Um wieder auf Dana und mich zurückzukommen, gleich der zweite Autofahrer nahm uns direkt bis London mit. Er war ein junger Mann, der seine russische Heimat besucht hatte und jetzt nach London, wo er arbeitete, zurück wollte. Leider hatte er in seinem Auto nur eine einzige Kassette.
Ich erinnere mich noch, dass ich bis London mindestens zwanzig Mal "Nothing compares 2 U" hörte, einen Song, den ich überhaupt nicht mochte. Dana dagegen liebte ihn, der mittlerweile eine Lesbenhymne geworden ist, dafür um so mehr. Ich staunte auch, dass an keiner Grenze unsere Pässe kontrolliert wurden. Noch nicht mal auf dem Schiff.
Wenn ich da an die strengen Grenzkontrollen dachte, wenn man zu Ostzeiten in die Tschechei fuhr. In Bad Schandau stürzten Grenzbeamte in den Zug, schrien einen unfreundlich an und forderten von einem, dass man sein ganzes Gepäck vor ihnen ausbreitete. Draußen, in der Nacht, hörte man Hundegebell. „Oh Gott, wenn die mich jetzt festnehmen“, dachte man bei sich. Die Frauen in den hässlichen Uniformen waren noch härter als die Männer. "Passport", bellten sie einen auf der tschechischen Seite an und wollten einem dabei am liebsten ins Gesicht springen.
Endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, fuhr der Zug wieder an, und die zornigen Grenzer verloren sich in der Ferne. Prag wartete auf uns.
Besonders Leute mit langen Haaren mochten sie nicht. Der Basser von unserer Lieblingsband "Freygang" musste aus dem Zug, wurde stundenlang festgehalten und musste sogar eine Analuntersuchung über sich ergehen lassen. Alles nur, weil er lange Haare hatte. Dabei wollte er bloß von einem sozialistischen Bruderstaat in den anderen reisen.
Jemand, der vor Mauerfall, oft im Interzonenzug von Bonn nach Berlin bis zum Bahnhof Zoo reiste, hat mir genau das selbe über die Grenzkontrollen erzählt. Er fürchtete immer, aus dem Zug aussteigen und in der DDR bleiben zu müssen.
Bei dem Trip nach London verlief alles ganz locker. Angekommen in der Stadt, fragten wir uns nach der Albion Road durch. In dem besetzen Haus dort sollten wir nach Ben fragen. Den Tipp hatte ich von jemandem bekommen, den ich im Schliemanncafé im Prenzlauer Berg, ein bekanntes Szenecafé, wo heute merkwürdigerweise ein Familien-Café mit Spielecke drin ist, kennengelernt hatte. Er wohnte in der Wagenburg in der Adalbertstraße.
Ben entpuppte sich als supersympathischer Typ. Er und sein Kumpel, die beide studiert hatten, spielten als Straßenmusiker in der U-Bahn. Sie hatten auch eine Band und einen Bandbus. Natürlich verknallte ich mich. Er hatte aber eine Freundin, und ich glaube, ich war auch gar nicht sein Typ.
Ich war Feuer und Flamme für die Leute in dem besetzten Haus. Es waren fast alles Männer. Nur eine einzige Frau gehörte dazu. Sie mochte Dana und mich nicht. Mit Frauen aus der Szene habe ich schon öfter Schwierigkeiten gehabt.
Die Leute da waren Hundefanatiker. Alles roch nach Hund. Wenn das Mädel vormittags mit den Hunden Gassi ging, sah das aus, als wenn ein Schäfer mit seiner Herde unterwegs war. Ben zeigte auf einen kleinen Hund und sagte: „Er bekommt jeden Tag vier Spritzen, wovon eine zwanzig Mark kostet.“
Stoke Newington war ein Viertel, dass fast ausschließlich aus endlosen Straßenzügen von diesen typischen britischen Reihenhäusern besteht. Auch die Besetzer in der Albion Road wohnten in so einem. Sie hatten sogar einen Kamin und eine winzigen Garten im Hinterhof.
Die Besetzungen wurden wohl vom Staat geduldet, da sonst die ganzen kleinen Häuser, deren Besitzer in der Thatcherzeit die Raten nicht mehr aufbringen konnten, leer gestanden hätten. Die Mieten in London sind sehr hoch. Wir lernten jemanden kennen, dessen ziemlich abgerockte Anderthalbzimmerwohnung pro Woche dreihundert Mark kostete. Das war Neunzehnhundertundneunzig.
Ich sah einen der Besetzer in einem Buch lesen. Es hieß „The Key at the door“ und war von Alan Silitoe. Ich kannte es unter „Der Schlüssel zur Tür“, und es gehörte im Teeniealter zu meinen Lieblingsbüchern. „I know this book and I like at“, sagte ich in holprigem Englisch, die Sprache der Jugend der Welt, zu ihm.
Ansonsten musste ich betrübt feststellen, dass meine Götter, die berühmten englischen Bands, die mein Lebenselixier waren, hier gar nicht gewürdigt wurden. Allein Pink Floyd schienen sie gelten zu lassen.
Vielleicht liegt das daran, dass man viele der Musiker persönlich kannte –wenn einem dort im Pub einer erzählt, dass er mal der Keyboarder von… war, war das meistens nicht gelogen, bei der hohen Musikerdichte in diesem Land - und wusste, dass sie ihre Ideale längst verraten hatten und nur noch hinter Geld hinterher waren.
Viele von ihnen gehörten ja schon zum Establishment. So was sagt man ja auch über die Stones und besonders über Mick Jagger. Aber wer mit seiner Stimme so zärtlich: „Butdon′t play with me'Cause you're playing with fire“, hauchen kann, kann kein schlechter Mensch sein. „Die großen englischen Bands können froh sein, dass sie uns Deutsche haben“, sagte ich zu Dana .„Sonst müssten sie auch in der Subway Gitarre spielen, wie Ben“.
Nach einer Weile kam es so, wie es kommen musste, und wir gingen den Bewohnern auf die Nerven. Als ich ein Mal Ohrenzeuge wurde, wie sich welche von ihnen über uns beide unterhielten, hörte ich den Begriff Kampflesbe fallen und über mich spotteten sie: „Sie hält sich für eine alternative Frau“.
„Wir müssen uns was anderes suchen“, sagte Dana. Der Kumpel von Ben, mit dem er in einer Band spiele, hatte mich in die Darville Road mitgenommen, in ein anderes besetztes Haus. So klopften Dana und ich dort an und wurden freudig aufgenommen. Der Mittelpunkt dort war ein junge Frau namens Miriam. Sie und die drei Männer, die auch in dem Haus wohnten, liebten sich. Anders kann man das nicht ausdrücken, so eng war die Freundschaft, die die vier verband. Sie hatten sich gesucht und gefunden. Leuten, wie diesen, war ich noch nie über den Weg gelaufen. Ich dachte, ich bin im Paradies und wollte eigentlich gar nicht mehr weg.
Das, was der Mann in dem Dokumentarfilm erzählte, der sich um ihn und seine Schwester drehte, jüdische Kinder, die nach England gebracht wurden, kann ich gut nachvollziehen. Ihnen gefiel es in der Gastfamilie, wo das Mädchen war oder in dem Camp, wo der Junge untergebracht wurde, so gut, dass sie nicht mehr zu ihren Eltern zurückwollten, als diesen die Flucht vor den Nazis gelang. Zu seinem Leidwesen, er ist da heute als alter Mann immer noch nicht drüber weg, musste der Junge nach dem Krieg wieder mit den Eltern in seine Heimatstadt.
Seine Schwester kam nicht mit. Sie hatte sich in einen Einheimischen verliebt. „Kein Wunder“, dachte ich bei mir. Die Männer sehen dort wirklich ungewöhnlich gut aus. Im Bus, in der Subway und im Pub wusste ich immer gar nicht, wo ich meine Augen lassen sollte. Überall liefen Nachwuchs-Keith Richards und junge Brians – obwohl man von ihm ja nicht weiß, wie er ausgesehen hätte, wenn er älter geworden wäre - herum. Die Typen auf der Straße sahen wirklich so aus, wie die auf den Plattencovern von den Bands, die ich immer so bewundernd betrachtet hatte.
Genauso, wie den beiden Geflüchteten, ging es mir auch. Ich wollte da nicht mehr weg. Das ließ sich natürlich nicht realisieren.
Ich glaube, der Grund dafür, dass die Engländer so gute Musik machen, liegt in der Aufgeschlossenheit der Leute da.
Was die Leute wohl heute so machen? Ich glaube es ist ihnen gut ergangen, da sie den Wert der Freundschaft zu würdigen wissen. Von Berlin her kannte ich es immer so, dass die Leute das Zusammenwohnen, die meisten kamen ja von außerhalb, als unfreiwillige Gemeinschaft erlebten und dies nur als kurze Zwischenphase sahen, bis das wahre Leben anfängt. Das es aber in Wirklichkeit schon längst angefangen hatte, und dass sie etwas gering schätzten, was sie vielleicht niemals wiederkriegen würden, war ihnen gar nicht bewusst.
So vermüllten sie die Behausung ihres Gastgebers oder auch ihrer Gastgeberin, auch ich nahm viele bei mir auf und waren sich untereinander und besonders dem Wohnungsinhaber gegenüber nach einer Weile spinnefeind und hielten sich und die Anderen für gescheiterte Existenzen. Als Entwurf für ein gelungenes Leben schwebte ihnen das bürgerliche Familienmodell vor, auch wenn ihre Eltern schon damit gescheitert waren - meine Mutter ja auch - , weshalb sie oft alle Brücken hinter sich abbrachen, wenn sie eine feste Beziehung eingingen. Das habe ich oft erlebt.
Wem aber bewusst war, dass sie gerade etwas Einmaliges erlebten, waren Miriam und ihre Freunde.
Es war ein superheißer Sommer, in dem ich durch Stoke Newington spazierte. Mit Dana hatte ich mich inzwischen auch überworfen. -Nicht lange danach versöhnten wir uns wieder. Ich hatte das Gefühl, dass die Angespanntheit zwischen uns daher rührte, dass sie irgendwas von mir wollte. - "Lieber Bi als nie", war ihr ständiger Spruch. Das dachte Miriam auch.
Ich bewunderte die Leute auf der Straße. Die sahen aber auch wirklich ungewöhnlich genug aus. Noch nie hatte ich orthodoxe Juden in Gehröcken und Hüten gesehen. Die Frauen von ihnen trugen alle dieselbe Frisur, stumpfgeschnittenes Haar, das ihnen auf die Schultern fiel – da wusste ich noch nichts von dem Brauch, dass sie nach der Heirat geschoren wurden - und ein knielanges hochgeschlossenes Kleid.
Bildhübsch waren die jungen Inderinnen, die mit Pluderhosen aus Seide und Sarisin Pastellfarben durch die Gegend liefen. Sie trugen ihr glänzendes schwarzes Haar zu einem dicken Zopf geflochten.
Jamaikanische Männer gingen mit Ballonmützen, so groß wie Autoreifen, auf dem Kopf und sehr aufrechter, unnahbarer Haltung an mir vorbei. Ich hatte den Eindruck, diese ganzen Gruppen berührten sich eigentlich nicht. Die Hausbesetzer, bei denen wir untergekommen waren, hatten eigentlich auch nur Kontakt zu ihresgleichen.
Von den Fish und Chips hatte ich schon viel in dem Buch „Der Schlüssel zur Tür“ gelesen, was ich oben erwähnt habe. Enttäuschung pur folgte. Die Chips werden in einer gefalteten Zeitung verkauft und sind gar nicht knusprig, was angeblich gesund ist, wie mir Ben weismachen wollte und werden mit einer Art Essig übergossen. Der Fish zu den Chips ist sehr teurer. Als Ausweichmöglichkeit bietet sich noch ein Art Bratwurst an, die in der Glasvitrine liegt und ihrerseits nach Fisch schmeckte.
Es lag mir auf der Seele, dass ich noch keinen einzigen Stones-Fan getroffen hatte. Der abgeklatschte Spruch: „Der Prophet gilt nichts im eigenen Land“, trifft wohl zu. Da lernte die kontaktfreudige Dana einen Engländer kennen, der als Motorradbote arbeitete. Seine Freunde lebten ebenfalls in einem besetzten Haus in der Nähe, aber gehörten mehr dem Arbeitermilieu an. Dave, Danas neuer Kumpel, hatte früher auch in einer Band gespielt. In England ist es wohl so, dass man den Kindern, kaum das sie über den Tisch kucken können, eine Gitarre in die Hand drückt.
Dave hatte sich total in Dana verliebt und hoffte sie umzudrehen. "I love her. What shouldt I make?, fragte er mich. Ich wusste auch keinen Rat. Inzwischen hatte es sich auch Ben anders überlegt und fand mich jetzt doch nicht so übel. Aber meine Verliebtheit vom Anfang hatte sich in Luft aufgelöst. Wir verstanden uns trotzdem gut.
Hier, in dem besetzten Haus, in dem Dave wohnte, traf ich endlich jemand, der die Stones zu würdigen wusste. Ein Freund von Dave, der ein ähnlich großes Drogenproblem hatte wie Brian Jones, spielte mir dessen letzte Aufnahme auf einem Kassettenrecorder vor.
Auf der Rückfahrt, auf der wir gut voran kamen, stieg Dana einfach bei einem Autofahrer ein, der nur eine mitnehmen wollte. Ich war enttäuscht von ihr. Nicht lange danach hielt ein Truck. Als ich in die Fahrerkabine kletterte, staunte ich, wie gut der junge englische Fahrer aussah. Das Problem war bloß, dass er von lauter Müdigkeit halb tot war. Ständig fiel er in einen Sekundenschlaf. Ich vergewisserte mich, wo Kupplung und Bremse waren.
In dem Zustand zu fahren, war eigentlich unverantwortlich. Er war ja eine Zeitbombe. Ich stellte mir vor, dass er das Haus für seine Familie abzahlen musste, das Geld brauchte und sich nicht traute, sich zu wehren gegen diese Arbeitsbedingungen. Hoffentlich ist er heil nach Hause gekommen. Ich hatte ein mulmiges Gefühl, als ich ausstieg und die Tür zuschlug.
Eigentlich wäre ich lieber bei ihm sitzen geblieben. Ich hatte das Gefühl, dass er da nichts dagegen gehabt hätte. Vielleicht mochte er ja die Stones?
Später, als ich mit einer Freundin nach Frankreich trampte und meist von Trucks mitgenommen wurde, erklärte mir ein Fahrer, wie man das Kontrollsystem für die Ruhezeiten austricksen kann, und dass sein Chef sie zwingt es zu manipulieren. Er klang dabei sehr unglücklich. Harte Sitten. Auf der Straße herrscht ein knallharter Konkurrenzkampf. Was wollen solche Chefs den Angehörigen der Fahrer sagen, auf deren Autos, die im Stau standen, ein Truck aufgefahren war.
Ben und seine Kumpels kamen nach einer Weile auch mit ihrem Bandbus nach Berlin. Der Bus sah so klapprig aus, dass man ihm die weite Fahrt gar nicht zugetraut hätte. Sie wohnten im X-Beliebig in der Liebig-Straße.
Ben erzählte, dass die Anderen aus seinem Haus ihn an die Luft gesetzt hatten, weil er uns für ein paar Tage aufgenommen hatte. „Und solche kleinkarierten Leute wollen die Welt ändern“, dachte ich. Ben war aber kühler zu mir als in London. Der Grund war wohl, dass ich, als er mich und Dana ein Mal zu einem Auftritt seiner Band mitnahm, nicht völlig begeistert reagiert hatte. „So was darfst du einem Musiker nicht sagen“, kritisierte Dana mich.
Eines Tages hing ein Zettel an meiner Tür. Es war der eine aus der Darville Road. Er wollte mich besuchen. Als ich am nächsten Tag von der Spätschicht kam, ich arbeitete in einem Betrieb in Westberlin, kam es mir so vor, als wenn er in der S-Bahn saß. Ich war mir aber nicht sicher, denn in London hatte ich ihn bloß in kurzen Hosen und Jeansweste gesehen. Derjenige, der ihm ähnlich sah, trug einen grauen Mantel und war auch schlanker, als der, den ich kannte. Ich glaube, er war´s. Bin aber nicht sicher. Wahrscheinlich wollte er spontan noch Mal bei mir anklopfen.
Ich hatte im Sommer schon den Eindruck gehabt, dass er mich mochte. Wenn er das wirklich war, muss in dem Moment, in dem er mich erblickte, dass eigenartige Phänomen aufgetreten sein, dass ihm klar wurde, dass er sich geirrt hat, denn er blieb sitzen, als ich am Ostkreuz ausstieg und fuhr weiter. Manchmal ist das in der Liebe so.
Bei google maps streetview habe ich nach der Darville Road und der blauen Tür gesucht und habe das Haus tatsächlich gefunden. „Wer weiß, wie alt das Bild schon ist?“, fragte ich mich. Außerdem werden dort längst andere Leute wohnen.