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Spiegelbild, Ausgabe 24. März 1988:
[...] Der siebzehnfache „Fuxdorf-Ripper“ Nomed T. (22) hat sich in der Nacht vom 22. zum 23. März in seiner Zelle erhängt [...] aus bisher noch ungeklärter Ursache [...] kein Abschiedsbrief [...] Angehörige der Opfer feiern ein Freudenfest [...]
* * *
Ja, nun bin ich endlich tot. Es gibt Menschen, die werden sich freuen und das völlig zurecht. Siebzehn Menschen mussten daran glauben und das nur, weil ich existierte.
Ich bin in die Geschichte eingegangen als der „Fuxdorf-Ripper“, ein Name, den sich dieses Schmierblatt „Spiegelbild“ ausgedacht hat. Ich habe diesen Namen gehasst.
Die ganze Geschichte begann am Freitag, den 14.März 1987. Mir ist, als wäre es gestern gewesen...
* * *
‚Es ist aus!’ So hatte sie es mir gesagt. Einfach so. Aus! Was soll’s? Bin ja nur ich. Mit mir kann man’s ja machen. Wen kümmert das denn schon? MICH! Sie wusste, dass ich auf so etwas sehr empfindlich und sensibel reagiere und trotzdem sagte sie es mir. Es waren kümmerliche zwei Monate gewesen. Das große Glück stand uns doch noch bevor, es war doch alles noch so frisch. Was sollte das alles?
Ich fühlte mich derart beschissen. Die Zeit danach war ich nicht zu gebrauchen. Alles erinnerte mich an sie, jeder Ort, jeder Film, jedes Lied. Ich dachte an nichts anderes. Ich hatte mich komplett zurückgezogen. Wie eine Schnecke in ihr Haus.
Dann kam der 28. Mai. Ich erfuhr, warum sie mich verlassen hatte. Ein Kumpel hatte es mir verraten. Ich selbst war damals zu perplex, um sie zu fragen warum. Sie hatte einen Neuen. Neu, das Gegenteil von alt, ein Synonym für Frische. Einfach was Neues. Weg mit dem Alten, her mit dem Neuen. So einfach ist das. Eine Woche später sah ich sie zum ersten mal gemeinsam in der Stadt. Sie hatte dieses strahlende Lächeln in ihrem Gesicht, das sie auch hatte, als ich ihr ‚Neuer’ war.
Was für ein Hurensohn. Er war der Innbegriff von Scheiße. Das schlimmste war, das er fast genau das Gegenteil von mir war. Er war dunkelhaarig, kleiner als ich, dafür aber breiter im Kreuz. Sie hielt ganz fest seine Hand und strahlte, was das Zeug hielt. Ich wäre am liebsten hingegangen und hätte ihm den Kopf abgehackt. Er wusste sie sicher nicht so zu schätzen, wie ich es tat, er würde niemals so lieb sein wie ich, er würde ihren wahren Wert niemals erschließen können. Das alles konnte nur ich. Niemand anderes. Nur ich.
* * *
‚Ich sollte ihn umbringen.’ Dieser Gedanke zog gemütlich seine Bahnen durch mein Hirn. Einfach auslöschen. Klar. Mein Leben war gelebt, ich hatte alles an Erfahrungen gesammelt, was man so vom Leben zu erwarten hatte. Höhen und Tiefen. Gefängnis war mir egal. Im Gegenteil. Da würde für mich gesorgt, ich hätte Essen und einen Schlafplatz. Also als Obdachloser hätte ich schon längst jemanden umgebracht. Aber es sollte nicht ‚jemand’ sein, es sollte ihr ‚Neuer’ sein. Ich wollte, dass er nie wieder in den Genuss ihres wunderbaren Körpers und ihrer samtweichen Haut kommt. Was ich nicht hatte, das sollte auch er nicht haben.
In einem Kaufhaus kaufte ich ein Rasiermesser für 19,50 DM. Das sollte genügen, um seinen Hals zu durchtrennen, das Blut zum Sprudeln zu animieren. Es erfüllte mich mit unwahrscheinlicher Freude, den Tod meines Nebenbuhlers zu planen. Ich steckte sämtliche Energie und Kreativität in die Planung. Die Umsetzung würde Klimax meines Lebens sein. Ganz schnell werde ich ihn mir packen und um so langsamer werde ich seine Kehle durchtrennen. Köstlich langsam.
Er mochte ja nett sein, aber in meinen Augen war nur Hass. Diesmal wollte ich meinen Hass nicht absorbieren, wie ich es sonst immer tat, diesmal wollte ich ihn rauslassen. Wie ein Löwe, der in Erwartung eines Stück Fleisches aus dem Käfig darf.
Wochenlang verfolgte ich, wenn es meine Zeit zuließ, seinen Tagesablauf. Durch einen glücklichen Zufall erfuhr ich eines Tages, dass er sich am selben Abend um zwanzig Uhr mit ihr im Park treffen wollte. Da sie nicht wirklich die Pünktlichkeit in Person ist und gerne mal zehn Minuten später kommt (die Männer zappeln lassen), nahm ich mir vor ebenfalls den Park aufzusuchen.
* * *
Da stand er nun und guckte zähneknirschend auf seine Uhr. Auf sie war Verlass. Ich beobachtete ihn aus meinem Versteck heraus. Ich holte das Rasiermesser heraus und ließ die Klinge blitzen. Urplötzlich überkamen mich heftige Zweifel. Einen Menschen einfach so umbringen nur weil er zufällig das gleiche Glück wie ich hatte? Sie würde todunglücklich sein, sie würde weinen. Ich konnte es nicht ertragen, wenn sie weinte. Einerseits wollte ich, dass sie glücklich ist, auf der anderen Seite sollte nur ich derjenige sein, der sie glücklich macht. Ein innerer Zwiespalt tat sich auf. Ich hasste diesen Typen, ja, aber so sehr, dass ich ihn töten könnte? War das alles nur eine Schnapsidee? Machte ich mich nicht lächerlich als eifersüchtiger ehemaliger Liebhaber?
„Los jetzt, töte ihn!“ Ich drehte mich um. Offensichtlich hatte jemand meinen inneren Kampf beobachtet, jemand, der Gedanken lesen konnte. Da war aber niemand.
„Los, töte ihn!!“ Mein Gott, wer war denn das?
„Hallo?“ flüsterte ich.
„TÖTE IHN!!!!“
Ich drehte mich rundherum im Kreis, da war niemand.
„Wer bist du?“ Ich musste leise reden, er (ihr ‚Neuer’) durfte uns nicht hören, diesen Typen schien das nicht zu interessieren, er brüllte, was das Zeug hielt.
„Jetzt hör mir mal zu, du kleines Sensibelchen, du nimmst jetzt dieses Scheiß-Messer und schlitzt dem Kerl da sein Kehlchen durch, klar?!!!“
„Aber wieso...?“ Ich war total perplex.
„Soll ich dir mal was erzählen? Er hat es ihr gestern richtig besorgt und weißt du was? Er liebt sie gar nicht. Für ihn ist sie nur ein kleiner Fick, ein kleines Flittchen. Er prahlt vor seinen Freunden, wie heftig sie abgegangen ist und...“
„HÖR AUF!!!!!“ Egal, woher diese Stimme kam und wem sie gehörte, das war jetzt sekundär. Ihr Neuer, dieser Wichser, musste sterben. Ein ‚Flittchen’, dieser Hurensohn wagte es, das ehrenwerteste Mädchen dieser Welt ein billiges, kleines Flittchen zu nennen?
Ich vergewisserte mich, dass niemand anderes im Park war, auch sie noch nicht, dann stürzte ich aus meinem Versteck und packte ihn von hinten. Ich trug Latex-Handschuhe und hielt ihm den Mund zu. Seine Augen waren weit aufgerissen. Ich schnitt ihm brutal den Hals durch und ließ ihn blutend zu Boden sacken. Da stand ich nun, er war tot.
„Na also, geht doch...!“ Da war sie wieder, diese Stimme. Jetzt wollte ich mir diesen Typen vorknöpfen, der sich hier versteckte, ich konnte keine Zeugen gebrauchen. Schnell durchsuchte ich das gesamte Buschwerk, in dem ich mich versteckt hatte. Wo war er hin? Mann, ich hatte keine Zeit, wo war der Arsch nur?
„Suchst du was? Sieh zu, dass du hier wegkommst, sie ist jeden Moment da!“
„Wer und vor allen Dingen wo bist du?“
„Ich werde es dir unterwegs erklären, jetzt GEH!!“
Wie? Unterwegs? Wo ist er denn jetzt? Ich fing an zu rennen. Ich hatte mich sehr mit Blut beschmiert, deswegen nahm ich den Umweg durch den Wald in Kauf.
„Da vorne kommt einer, versteck dich hinter dem Baum dort!!“ Ich fuhr zusammen, der Typ hätte neben mir stehen können, so nah war seine Stimme. Jetzt wurde mir alles klar. Wie ein Verrückter hatte er gebrüllt und der neue Freund meiner Freundin konnte ihn nicht hören, ich hatte immer den Eindruck, dass jemand neben mir steht, wenn ich diese Stimme hörte. Nur ich konnte diese Stimme hören. Es war eine innere Stimme, die zu mir sprach.
Ich gehorchte. Tatsächlich kam dort ein älterer Herr mit seinem Köter. Das hatte ich in der Aufregung gar nicht bemerkt. Der bellte sich die Kehle heiser, als sie in meiner Nähe waren.
„Bist du wohl ruhig. Aus! Was ist denn da?“ Der alte Mann schien aufgeregt. Ich saß hinter dem Baum und atmete unruhig, mein Herz klopfte wie wild. Unter keinen Umständen durfte er mich finden. Ich hörte wie der alte Mann den Karabinerhaken an der Hundeleine löste.
„Such! Los Hasso, such!”
Das durfte ja nicht wahr sein. Es dauerte keine Minute und der Hund stand vor mir und verkündete seinem Herrchen lautstark seinen Fund. Der kam auch gleich angehechelt.
„Jesus Christus, was ist denn mit dir passiert, Junge, brauchst du einen Arzt?“ Er war ganz außer sich.
„Äh, ja, ich wurde überfallen...“ Was für eine blendende Ausrede.
* * *
Ich fuhr mit dem alten Mann in seinem Opel. Er wollte mich ins Krankenhaus bringen, das hatte er gesagt. Er und sein Hasso saßen vorne und ich hatte die ganze Rückbank für mich allein.
„Er weiß es! Er fährt dich nicht ins Krankenhaus, er fährt zur Polizei. Er weiß Bescheid. Sieh doch, er hat die Türen verriegelt. Du musst ihn töten. Töte ihn, töte ihn!!“
Tatsächlich bog der ältere Herr in eine andere Straße ein, die nicht zum Krankenhaus führte.
„Entschuldigung Herr-“
„Bekowski.“
„Herr Bekowski, hier geht es aber nicht zum Krankenhaus.“
„Ne Junge, ich fahr dich erst zur Polizei, da kannst du deinen Überfall melden.“
„Er lügt, töte ihn!“
„Ähem, das ist nicht nötig, ich will nur ins Krankenhaus, das mit der Polizei regle ich morgen.“
„Sei doch vernünftig, Junge, je eher desto besser.“
„Töte ihn.“
„Nein, fahren sie mich bitte ins Krankenhaus!“
„Nein, wir fahren erst zur Polizei.“
„Merkst du denn nichts! Töte ihn! Er weiß alles! Er wird dich abliefern, er will eine Belohnung für dich haben. Töte ihn!!“
Im Wagen war eine unerträgliche Spannung. Hasso knurrte mich die ganze Zeit an und Herr Bekowski war ein alter Sturkopf. Langsam wurde ich panisch, ich war komplett nassgeschwitzt. Fordernd fuhr ich Herrn Bekowski an.
„Fahren sie mich ins Krankenhaus!! BITTE!!“
„Nein! Lass dir doch helfen Junge!“
„TÖTE IHN!!!“
„Sie wissen Bescheid. Tun sie nicht so. Sie wissen alles!!“
„Junge, was soll ich wissen? Was ist denn mit dir los? Ich bringe dich jetzt besser zur Polizei.“
„NEIN!!!!“
„TÖTE IHN, VERDAMMT!!!“
Blitzschnell zog ich das Messer und tötete Hasso und Herrn Bekowski. Ich hielt den Kopf von Herrn Bekowski fest, damit er nicht auf die Hupe knallte. Es war bereits dunkel und nur wenige Leute waren auf den Straßen. Der Wagen kullerte nur noch und mit dem Lenkrad lenkte ich ihn mehr oder weniger sicher in eine Seitenstraße, in der wir zum Stehen kamen.
Im Schutze der Dunkelheit machte ich mich auf den Heimweg. Da ich ohnehin dunkle Kleidung trug, war das Blut fast gar nicht mehr zu sehen.
* * *
Ich erreichte unser Haus, ohne gesehen zu werden. Meine Eltern schliefen bereits. Ich zog mein Hemd aus und warf es unter mein Bett. Ich würde es am nächsten Tag beseitigen.
Zwei Menschen waren es. Zwei. Warum hatte ich das getan?
„Jetzt mach dir mal nicht ins Hemd, du Weichei! Du musstest es tun und du weißt es! Oder willst du etwa ins Gefängnis?“
„O.k., jetzt mal ganz von vorne. Wer bist du? Was machst du hier?“
„Ich bin der, der du wünschst zu sein.“
„Wie habe ich das zu verstehen?“
„Du bist sensibel, bist ehrlich, machst im letzten Moment immer einen Rückzieher, ein totaler Versager eben. Ich bin das Gegenteil von dir und dennoch bin ich du. Ich bin dein Wunsch-Ich, ein Produkt deiner Fantasie, aber glaube nicht, dass du mich loswirst. Ich will dir doch nur helfen.“
„Helfen? Der alte Mann wollte mir helfen, er war nett, aber du? Im Übrigen ist es mir scheißegal, ob ich ins Gefängnis muss oder nicht!“
„Nett? Er war ein Kinderschänder. ‚Der nette Nachbar’, verstehst du? Weißt du überhaupt, wie es im Gefängnis abläuft? Bist du schon mal mit einem Fahrrad ohne Sattel über Kopfsteinpflaster gefahren? Du bist das perfekte Opfer. Eigentlich bist du ja ein ganz netter Kerl, aber das wird da schnell als Schwäche angesehen...“
„Aber...ich...was muss ich tun?
„Nun gut. Du bist der einzige, der ein Motiv hat. Wer sonst könnte den Neuen deiner Ex-Freundin abstechen wie ein Schwein? Du brauchst ein Alibi, mein Freund. Geh zu deinem Freund Mirko.“
Mirko war Berufskiffer und derart durcheinander, dass er jegliches Zeitgefühl verloren hatte. Die meiste Zeit schläft er einfach nur vor sich hin. Seine Wohnungstür ist Tag und Nacht auf. Das war natürlich ein großer Vorteil.
* * *
„Was? Wie lange bist du denn schon hier? Ey, wie spät ist das überhaupt? Weißt du welchen Tag wir haben?“
„Ganz ruhig, Mirko. Ich sitze hier seit ungefähr sieben Uhr. Es ist jetzt halb zwölf und wir haben Dienstag, den 3. Juni 1987.“
„1987 ?“ fragte er skeptisch.
„Ja, 1987.“ Ich musste lachen.
„Mann heftig, was führt dich denn hierher? Was hast du denn die ganze Zeit gemacht?“
„Ich habe mit deiner Atari gedaddelt. Hab auch ganz schön die Zeit vergessen.“
Er drehte sich um und schien etwas zu suchen, er schaute wieder in meine Richtung. Eine Art Erleichterung war in seinem Blick zu erkennen. Unruhig rutschte ich auf dem Sessel herum.
„Ob du mir mal die Bong geben kannst?“
Ich drehte mich um. Das hatte er also gesucht. Ich reichte sie ihm und er machte sich daran, alles Nötige in die Wege zu leiten, um zu rauchen.
„Willst du auch?“ fragte er, als er fertig war.
„Och, wieso eigentlich nicht?“ Er reichte mir sein Pfeifchen und ich zog durch.
„Wie geht’s dir eigentlich so, Nomed? Immer noch mit Laura zusammen?“
Ich wurde wütend, ich hasste es, wenn ich darauf angesprochen wurde.
„Falls du es noch nicht gemerkt hast, Mirko, wir sind seit fast drei Monaten auseinander!!!“
Ich griff in die Hosentasche, wo sich mein Messer befand. Ich wartete auf die Stimme, die mir befehlen sollte, ihn zu töten.
„Er ist dein Alibi, denk daran!“ Da war sie die Stimme und verkündete ausnahmsweise mal etwas, was nicht mit Mord zu tun hat. Ja, sie hatte ja recht die Stimme und außerdem war es sicher nicht Mirkos Absicht, mich zu verletzen.
„Traurig?“ fragte er. Ich nickte.
„Noch n’ Kopf?“ fragte er weiter, ich nickte erneut und lachte.
Er wollte mir nur helfen, ich schämte mich, mit dem Gedanken gespielt zu haben, ihn zu ermorden.
„Ja, das ist doch die beste Medizin!“ lächelte er.
Ich fühlte mich gut.
* * *
Spiegelbild, Ausgabe Donnerstag, 5. Juni 1987:
[...] machte Laura C. (19) einen grausigen Fund [...] Leiche ihres Freundes Christoph P. (20) [...] bestialisch ermordet [...] keinerlei Zeugen oder Hinweise [...] Laura C. erlitt einen schweren Schock und wurde ins örtliche Krankenhaus eingeliefert.
In der Nähe des Tatorts [...] die Leiche des Rentners Theodor B. (76) in seinem Auto [...] Hund ebenfalls ermordet [...] Polizei geht von einem Täter aus [...]
* * *
Nun war ich ein gesuchter Mörder. Es war eine Frage der Zeit bis die Polizei an der Haustür klingelte und nach mir verlangte. Laura würde mich als in Frage kommende Person der Polizei melden. Was sollte ich denn jetzt machen?
„Mann, du hast ein Alibi! Jetzt piescher dir doch nicht in die Hose.“
„Sie werden Mirko nicht glauben, er ist zu unzuverlässig, wahrscheinlich wird er behaupten, es sei ein Tag vorher gewesen.“
„Wird er nicht! Vertrau ihm einfach, du dummer Pessimist. Wenn du weiter so redest, kannst du dir gleich ne Familienpackung Vaseline ums Arschloch schmieren.“
„Wieso?“
„Gefängnis, du Idiot! Notgeil! Schwuchteln!“
„Hör auf, ich will das nicht hören!“
„Dann sei einmal in deinem kümmerlichen Leben ein Mann und sei mal nicht ehrlich! Einmal!“
Da klingelte es an der Tür. Meine Eltern waren nicht da und ich hoffte, dass es sich um die Polizei handelte, damit ich die Sache regeln konnte, ohne dass meine Eltern etwas davon mitbekamen. Ich öffnete die Haustür und in der Tat handelte es sich um die Polizei.
„Nomed Torving, ist das richtig?“
„Ja, das bin ich, was kann ich für sie tun?“
„Dürften wir hereinkommen?“
„Aber sicher doch.“
„Siehst du, Nomed, alles ganz easy, das schaffst du schon!“
Ich wies den Beamten den Weg ins Wohnzimmer, wir setzten uns hin und ohne um den heißen Brei herumzureden, fingen sie an, mich zu verhören.
„Herr Torving, sie haben sicher von den beiden Mordfällen hier in Fuxdorf gehört, wo waren sie am Dienstagabend zwischen sieben und neun Uhr?“
„Ja, eine schreckliche Sache ist das. Am Dienstag bin ich um sieben Uhr zu meinem Kumpel Mirko gefahren, bisschen Atari spielen und so...“
„Wann sind sie nach Hause gefahren?“
„Ach, das muss so gegen halb zwei gewesen sein.“
„Aha, dürften wir die Anschrift ihres Bekannten erfahren?“
„Aber sicher, Wesselweg 17, bei ‚Dentok’ klingeln.“
„Kannten sie eines der Opfer?“
„Diesen Christoph kannte ich vom Sehen her, aber diesen alten Mann habe ich noch nie gesehen, nein.“
„Und sie hatten keinerlei Kontakt zu Herrn Pollmann, also Christoph?“
„Nein, das würde ich nicht sagen.“
„Herr Torving, lassen sie uns ehrlich sein, sie hätten ein Motiv. Laura Clarven ist ihre Ex-Freundin, richtig?“
„Richtig.“
„Bei dem Ermordeten Christoph Pollmann handelte es sich um den neuen Partner ihrer Ex-Freundin, war ihnen das bekannt?“
„Ja.“
„Und sie bleiben bei ihrer Aussage?“
„Ich bleibe bei der Wahrheit.“ Sagte ich und machte ein wichtiges Gesicht.
„Das werden wir herausfinden...Wesselweg 17 sagten sie wohnt ihr Bekannter?“
„Ganz genau.“
„Gut, Herr Torving, sie werden von uns hören.“
„Hoffentlich im positiven Sinne...“
„Ja, das hoffen wir auch. Auf Wiedersehen!“
„Auf Wiedersehen!“
„Ha, Nomed das war einmalig! Nur eine kleine Sache: dein Entlastungszeuge wirkt wenig vertraulich, wenn Wasserpfeifen um ihn herumstehen.
Das hatte ich total vergessen. Schnell rannte ich zum Telefon, um Mirko anzurufen.
Freizeichen. Gut. Jetzt musste er nur noch wach sein. Schlecht. Wahrscheinlich pennte er gerade vor sich hin. Es tutete. Niemand meldete sich. Doch dann:
„Ja, Dentok?“ Mirko meldete sich tranig wie immer. Kurz und schnell erklärte ich ihm den Sachverhalt.
„Bist du irre!!?“ Er war ganz entsetzt. Während ich mit ihm redete, hörte ich das Zischen einer Spraydose, Raumspray. So aktiv hatte ich ihn lange nicht mehr erlebt.
„Mirko, die denken, ich hätte Lauras neuen Freund umgebracht, du musst ihnen sagen, dass ich bei dir war, nur du kannst mich entlasten!“
„Ah ja, da hab ich von gehört, heftige Sache, und du warst das oder wie jetzt?“
„Nein, ich saß doch bei dir, du sollst mich entlasten!“
„Aber ich hab doch gepennt!“
„Mirko...ich...“
„Mann, ganz locker, Nomed, kleiner Spaß, wenn du sagst, du warst hier, dann warst du hier. Das mit dem Schlafen brauch ich ja nicht zu erzählen.“
„Danke, Mirko, danke!!“
‚Kleiner Spaß’! Die Sache war todernst und er macht einen ‚kleinen Spaß’. Dennoch war ich recht dankbar, dass Mirko kooperierte. Ja, es hat schon was, Freunde wie Mirko zu besitzen.
„War das so schwer?“ fragte die Stimme. Ich zuckte zusammen. Sie war immer noch da.
„Was willst du denn noch?“
„Wie? Der Spaß hat doch gerade erst angefangen! Hast du doch gesehen, die können dir nichts!“
„Meinst du nicht, ich habe Haare oder Textilfasern im Auto von Herrn Bekowski verloren?“
„Ach, du wirst ein wasserdichtes Alibi haben und sie werden nicht mehr weiter gegen dich ermitteln, vertrau mir.“
* * *
Wunderbar! Die Polizei hat Mirkos Aussage geschluckt und die Ermittlungen gegen mich wurden eingestellt. Ich hatte zwei Menschen umgebracht und war einfach so davongekommen, was für ein Glück. Ich besuchte Laura im Krankenhaus.
Sie sah schlecht aus, kein strahlendes Lächeln, ich hatte unerträglichen Kummer, unerträgliches Leid in ihr Leben gebracht, aber das wusste sie natürlich nicht. Sie weinte fast ununterbrochen. Ich bereute keineswegs, Christoph umgebracht zu haben, er hatte es zweifelsfrei verdient. Ich bereute allerdings, Laura zum Weinen gebracht zu haben, das gab mir einen echten Stich.
„Entschuldigung Nomed,“ sagte sie, „entschuldige, dass ich dich verdächtigt habe, Christoph...“
Weiter kam sie nicht, sie weinte erneut, der Rotz lief aus ihrer Nase, kein schöner Anblick, nein, aber ich nahm sie trotzdem in den Arm und das schönste war, sie ließ es zu.
Es war fast wie früher, ich fühlte ihre weiche Haut am Nacken und hätte sie am liebsten geküsst, aber das ging ja in Anbetracht der Situation nicht. Auch ich wurde traurig, aber ich weinte nicht. Ich musste hier raus. Ich konnte es nicht länger ertragen in ihrer Nähe.
„Laura, es tut mir leid, aber ich muss gehen. Wirklich.“
Sie setzte den traurigsten Blick auf, den sie hatte und blickte mich an. Nein, ich hielt es nicht länger aus. Ich ließ es mir nicht nehmen, noch einmal ihre Wange zu streicheln und verschwand mit einem lächerlichen „Mach’s gut!“
* * *
„Ich werde mich der Polizei stellen, ich kann so nicht weiterleben.“
„Red keinen Quatsch!“
„Du hast mir nur Ärger eingebrockt!“
„Ich? Jetzt hör mir mal zu. Du hast mich mehr oder weniger erschaffen, weil du deine Probleme und deine Wut immer absorbiert hast. Tief in deinem untersten Unterbewusstsein hat alles laut ‚Ja’ geschrieen, als du mit dem Messer Christoph aufgelauert hast, du wolltest dir nur noch den richtigen Stoß geben. Auch diesen alten Mann wolltest du umbringen, weil er dich der Polizei übergeben wollte. Du weißt, dass Gefängnis nicht bloß rumsitzen, essen und schlafen bedeutet. In erster Linie musst du dich mit anderen Gefangenen auseinandersetzen, gemeinsam unter eine Massendusche gehen und Kräfte messen. Ein Großteil der Inhaftierten sind grobe Menschen, nicht so ne Sensibelchen wie du. Du würdest eingehen dort und du weißt das!“
„Hast du gesehen, wie traurig Laura war? Sie war am Boden zerstört.“
„Früher oder später wäre die Beziehung sowieso in die Brüche gegangen, früher oder später wäre Christoph sowieso gestorben. Zeit heilt alle Wunden. Hat es Laura interessiert, wie traurig du warst, nachdem sie dich abserviert hat? Hat sie sich bei der Polizei gemeldet, weil sie die Gefühle von Nomed Torving ermordet hat? Jetzt mach dich nicht lächerlich. Du bist ich, Nomed und ich komm bestens mit der Situation klar, also stell dich nicht so an, es war alles so vorherbestimmt!“
Irgendwie hatte sie ja recht. Was soll’s? Bin ich halt verrückt, dann wollte ich eben Menschen umbringen, die Hauptsache ist nur, ich belüge mich nicht selbst und verstelle mich nicht. Ich sollte immer ich selbst sein, ja. Der alte Mann wollte mir zwar helfen, das stimmt, aber früher oder später wäre er ja sowieso gestorben. Ein Spiel mit der Zeit hatte ich gespielt. So gesehen hatte ich den alten Herren ins Jahr 2050 geschickt und da war er leider schon tot. Ja, man kann sich alles schönreden.
* * *
Spiegelbild, Ausgabe Dienstag, 10. Juni 1987:
Fuxdorf und Umgebung fiebert der Ergreifung des „Fuxdorf-Rippers“ entgegen [...] Polizei tappt weiterhin im Dunkeln [...] bittet Bevölkerung um ihre Mithilfe [...] Die Familien beider Opfer haben eine Belohnung von 4000 DM für Hinweise ausgesetzt, die zur Ergreifung des Täters führen [...]
* * *
Nun war ich, natürlich ganz inoffiziell, der „Fuxdorf-Ripper“. Ein dämlicher Name.
Dieses Blatt für Dumme ‚Spiegelbild’ hatte die Hetzjagd auf mich eröffnet. Dabei war ich so gesehen schon aus dem Schneider.
„Sei dir nicht zu sicher, Nomed.“
„Was? Wieso denn nicht?“
„Manchmal wiegt man sich zu sehr in Sicherheit, dann begeht man schon mal Fehler und genau darauf spekulieren die?“
„Du meinst, sie ermitteln noch immer gegen mich, sie haben geblufft?“ Ich drehte mich um, ich fühlte mich so beobachtet.
„Damit musst du rechnen. Es besteht die Möglichkeit, ja.“
Ich dachte nach. Nein, wenn die Polizei das Gespräch von mir und Mirko mitgehört hat, dann wissen sie das Mirko geschlafen hat und mein wasserdichtes Alibi würde undicht werden. Hätten sie mich dann nicht schon festgenommen? Die Beweise reichten scheinbar noch nicht für einen Haftbefehl und deswegen konzentrierten sie sich jetzt voll und ganz auf mich, bis ich einen Fehler mache. Scheiße.
„Jetzt bepiss dich doch nicht immer!“
„Scheiße, die warten nur, dass ich was falsch mache!“
„Dann lass sie warten. Wenn du dich nicht ständig einnässen würdest, hätten wir gar keine Probleme. Sei ganz locker und du wirst schon nichts falsch machen.“
„Das sagst du so einfach...“
„Weil es so ist! Ich merke, wenn etwas nicht stimmt!“
Ein wenig mulmig war mir schon zumute. Ich fühlte mich nicht frei, mir war, als wäre ich eingesperrt. Ich konnte mich nicht frei bewegen, ohne unsicher zu sein.
* * *
Dann kam der Tag, der kommen musste. Der 2. Juli 1987. Der Tag fing an wie jeder andere auch. Mit einem kleinen Unterschied. Ich wollte am Vormittag wie ein normales Mitglied der Fuxdorfer Gesellschaft zur Bank, um Geld abzuholen.
In der Schlange neben mir wartete ein Polizist in seiner senfgelben und kackbraunen Polizeiuniform. Ich hatte das Gefühl, dass mich alle Menschen angucken.
„Sie wissen es, Nomed, sie sind alle eingeweiht. Der Polizist ist nicht zufällig hier. Siehst du das Halfter des Polizisten? Es ist auf, damit er die Waffe schnell ziehen kann. Nomed, du bist schneller. Töte sie alle!“
Ich blickte mich um und zählte die Menschen. Fünfzehn waren es. Wie wild klopfte mein Herz, der Schweiß brach mir aus. Ich blickte kurz zum Polizisten rüber, ihm geradewegs in die Augen. Schnell drehte ich meinen Kopf wieder zurück.
„Nomed, töte sie alle!“
Fünfzehn Menschen. Das geht doch nicht. Mein Herz drohte, meinen Brustkorb zum Platzen zu verleiten. Lange sollte ich das nicht mehr aushalten.
„Sie wünschen?“ Ich zuckte zusammen. Die Kassiererin redete mit mir. Ich begann zu stammeln und da sah ich aus dem Augenwinkel, dass der Polizist seine Hand bewegte.
„Töte sie alle, bevor er dich erledigt, Nomed, TÖTE SIE ALLE!!!“
In Bruchteilen einer Sekunde drehte ich mich herum und entriss dem Polizisten seine Dienstwaffe aus dem Halfter, es erfolgte ein Schuss und er sackte blutend zusammen. Geschrei.
„TÖTE SIE ALLE!“
Ich schoss wie ein Irrer um mich, bis kein menschliches Leben mehr zu vernehmen war. Kein Atmen, kein Reden, nur die absolute Stille.
„Jetzt hau ab hier, Nomed, die Kassiererin hat sicher stillen Alarm ausgelöst.“
Ich rannte und hörte schon die Polizeisirenen, die Kassiererin hatte in der Tat stillen Alarm ausgelöst und die Wache war nur einen halben Kilometer von der Bank entfernt. Wirre Gedanken schossen wie Projektile durch meinen Kopf. Es ist aus.
„Nomed, du kannst es schaffen. Geh zurück in die Bank und leg dich zu den Leichen, stell dich tot!“ Ich gehorchte.
Da lag ich nun zwischen den Toten, deren Leben ich ausgelöscht hatte. Die Tür wurde aufgestoßen.
„Jetzt! Töte sie!“ schrie die Stimme.
Ich erhob mich und war gerade im Begriff auf das Sondereinsatzkommando zu schießen, als mir mit professioneller Präzision in den Unterarm geschossen wurde und ich die Waffe fallen ließ.
* * *
Spiegelbild, Ausgabe Donnerstag, 3. Juli 1987:
[...] Bei dem „Fuxdorf-Ripper“ handelt es sich um den 21jährigen Nomed T. [...] richtete in der Fuxdorfer Volksbank ein Blutbad an [...] Kassiererin löste vor ihrem Tod stillen Alarm aus [...] Prozessbeginn noch unklar [...] Bürgermeister verurteilt die Morde „aufs Schärfste“ und spricht im Namen der Fuxdorfer Gemeinde seine Trauer und sein Mitgefühl für die Angehörigen der Opfer aus [...]
* * *
Nun war es offiziell. Nun wusste es jeder. Nachbarn, Bekannte, meine Eltern und Laura. Ich, Nomed Torving war ein menschenverachtendes Monster, ich war der Mörder, über den sich das ganze Land das Maul zerriss. Siebzehn Menschen hatte ich umgebracht. Einfach so, weil eine Stimme, die nur ich hören konnte, es mir befahl.
* * *
Der Prozess begann am 14. November 1987.
In dem Verlauf des Prozesses gestand ich alle siebzehn Morde, wie ich es auch schon am Tag meiner Festnahme getan hatte.
Mein Verteidiger stellte einen Antrag, dass meine psychische Verfassung und somit meine Schuldfähigkeit überprüft werden sollte.
„Stattgegeben!“ sagte der Richter. Mein Verteidiger warf mir einen vielversprechenden Blick zu. Meine Aussagen, eine Stimme hätte zu mir gesprochen, wurden anfangs vom Staatsanwalt als ‚unglaubwürdig’ und sogar ‚unverschämt’ bezeichnet.
Die ‚Spiegelbild’ druckte jeden Tag einen Bericht über mich und folgte akribisch dem Verlauf der Verhandlung.
„Ein Statement, Herr Torving, wie fühlen sie sich? Glauben sie, ihr psychiatrisches Gutachten hat positiven Einfluss auf das Urteil? Herr Torving...“
Ich hasste sie. Jeden Tag, an dem ich in den Gerichtssaal geführt wurde, belagerten zahlreiche Reporter meinen Weg, dabei waren die Reporter der ‚Spiegelbild’ am dreistesten.
„Mein Mandant wird keine Angaben gegenüber der Presse machen.“ Sagte mein Anwalt immer und kam sich fürchterlich wichtig vor.
* * *
Mein Urteil lautete lebenslänglich. Dieser Amateur von Psychiater hatte ‚ernste Zweifel’ an meinen Ausführungen und bezeichnete mich vor Gericht sogar als ‚Simulanten’.
Selbst während ich mit diesem Hurensohn geredet hatte, hörte ich die Stimme.
„Lass dir das nicht das nicht gefallen, Nomed, töte ihn!“
Wenn ich aber auf ein Gespräch mit der Stimme einging, schien das den sogenannten Psychiater und den beisitzenden Ordnungshüter schwer zu amüsieren. Ich sprang auf und wollte ihn erwürgen, wurde aber vom Polizisten überwältigt.
Der Psychiater ließ also weiterhin im Saal verlauten, dass ich sehr leicht zu Aggressionen neige und daher eine Gefahr für meine Mitmenschen sei.
„Das stimmt doch gar nicht, du Arschloch!“ Empört sprang ich auf, mein Anwalt beruhigte mich.
Der Psychiater grinste selbstgefällig als wollte er sagen „Da sehen sie es, das meinte ich.“
Ich schlug mit der Faust auf den Tisch.
Ich wollte mich beruhigen und schaute in den Zuhörerraum. Meine Eltern blickten mich beide mit leeren Augen an. Ich wich ihren Blicken aus und schwenkte meinen Kopf weiter, bis ich an Lauras Augen hängen blieb. Sie schüttelte ihren Kopf, während sie mich anblickte, Tränen liefen über ihr Gesicht. Was sollte ich tun? Ich saß auf dieser Scheiß-Bank und musste mir diese Wichse anhören. Ohne es zu bemerken, stand ich auf und ging auf Laura zu, ich wollte sie umarmen, ihr meine Taten zumindest versuchen zu erklären. Soweit kam ich gar nicht erst, denn die Wachen drückten mich brutal zurück auf meinen Platz. Wie schön sie war.
Plötzlich sprang sie auf und verließ den Gerichtssaal. Vermutlich war ihr bewusst geworden, dass sie sich vom Mörder ihres Freundes hatte umarmen und streicheln lassen.
Fast genau einen Monat dauerte der Prozess, warum, dass weiß ich heute noch nicht. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte der Prozess einen Tag dauern können. Das hätte gereicht.
Völlig desinteressiert nahm ich mein Urteil auf und verzog keine Mine. Ein Leben ohne Laura war schon Strafe genug.
* * *
Spiegelbild, Ausgabe Freitag, 12. Dezember 1987:
[...] Nach fast einmonatiger Verhandlung [...] zu lebenslanger Haft verurteilt [...] Nomed T. nahm das Urteil ohne jegliche Gefühlsregung auf [...] Tumulte im Zuhörersaal [...] Angehörige der Opfer wollten Selbstjustiz ausüben [...] rechtzeitig vereitelt [...]
* * *
Kommen wir zum Tag meines Ablebens.
Ich hatte am 12. Februar 1988 meinen 22. Geburtstag in völliger Einsamkeit verbracht.. Der Kontakt nach draußen war mir gänzlich verboten worden, nachdem ich eine kleine Auseinandersetzung mit einem Mitgefangenen hatte.
Die Stimme und ich hatten uns mit ihm angelegt, weil er mich angerempelt hatte. Ich wusste, dass uns die Wachen auseinanderziehen würden, deswegen riskierte ich auch eine dicke Lippe und drohte ihm, ihn in ein anatomisches Desaster zu verwandeln, trotz seines physischen Vorteils.
Ganz allein saß ich auf meiner Zelle. Ich dachte an meinen Geburtstag vor einem Jahr. Da war ich noch mit Laura zusammen, da war die Welt noch in Ordnung. Ein Jahr war es her und ich trauerte immer noch. Mann, war ich glücklich damals...und jetzt? Mein Leben war definitiv gelebt, da sollte nichts mehr kommen.
„Nomed, jetzt red nicht so n’ Scheiß! Wir machen das schon. Bekommst du jetzt etwa deinen Moralischen? Nein, oder?“
„Ich weiß nicht, es ist echt scheiße hier. Ich will nicht mehr.“
„Daran sind die hier alle Schuld, bestrafe sie! Töte sie alle! Ich habe einen Plan, wie du an eine Waffe kommst.“
„Ach, ich weiß nicht...“
„Jetzt komm mal aus deiner Lethargie heraus, du Schnarchnase! Töte sie!“
„Ich...“
„Der Wächter, der für dich zuständig ist, der hat Laura letzte Woche auf der Straße gesehen und sich vorgestellt wie es ist, der kleinen Göre es so richtig...“
„FRESSE! HALT DEINE DUMME FRESSE!“
Ich trommelte mit beiden Fäusten gegen meinen Kopf, der Wächter kam herein, den Schlagstock schlagbereit in der Hand. Ich schmiss ihm sämtliche Gegenstände entgegen, bevor ich mich selbst auf ihn stürzte und ihn bewusstlos schlug.
„TÖTE IHN, NOMED, TÖTE IHN!!“
Ein ganzes Kommando kam angerückt und setzte mich mit einem Schlag außer Gefecht. Mit Medikamenten stellte man mich die ganze nächste Zeit ruhig.
Ich ritt mich immer weiter in die Scheiße rein. Ja, das Gefängnis hatte mich mürbe im Kopf gemacht, ich war viel anfälliger. Schluss. Aus. Ende. Ich, Nomed Torving, beschloss am 22. März meinem Leben ein Ende zu setzen. Ich würde gerne sagen, dass dieser Beschluss im vollen Besitze meiner geistigen Fähigkeiten getätigt wurde, aber leider war ich mir dessen nicht so sicher.
Ich nahm meinen Gürtel und erhängte mich in der Nacht vom 22. zum 23. März, trotz der Stimme, die lautstark protestierte:
„Töte nicht dich, Nomed, töte die anderen! TÖTE SIE ALLE!!“
Ich gehorchte nicht.