Was ist neu

Stiefsöhne

Seniors
Beitritt
18.08.2002
Beiträge
1.976
Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

Stiefsöhne

Mein Halbbruder Phillip lehnt gegen das Drahtgitter des Lüftungsschachtes und erwartet rauchend den Ausgang einer Wette. Daneben hockt Joris der Möchtegernfreund und nimmt ihm die Zigarette ab, zieht tief, hustet verhalten. Am Rand des Wohnhausdaches stehe übrigens ich, Joris der Träumer, Joris der leibhaftige Trottel, wie üblich meterweit neben mir selbst. Meterweit? Eigentlich sind Joris und ich durch Millionen Neuronen aneinandergekettet, gefangen in demselben Kopf. Noch – ich sprenge nun diese leidige Bande, schlage sozusagen zwei Fliegen mit einer Klatsche.

Ich stelle mir vor, wie wir über die Steppe reiten. Lucky Phook und Joris, sein Möchtegernsidekick.
»Sieh ihn dir an, den Versager!«, sagt letzterer und sein Esel schnaubt. Blinzelt vor der Abendröte.
»Pass auf, der springt nicht, vielleicht segelt er über den Canyon, zu doof die Schwerkraft zu nutzen!« – Beide lachen auf ihre dreckigste Art.
Und dabei ist es die Gewitterfront, vor der der Versager mit dem krummen Rücken zu ihnen steht, sein Selbstmitleid, seinen Weltschmerz auf den Feierabendverkehr gießt und die Menschheit von oben als Schimmelpilz betrachtet. Sie warten beide darauf, dass er springt. Die Polizei ist noch nicht da. Jeder sieht den doch und denkt, für so einen Versager ruft man sie gar nicht erst, der bringt es nicht, nachher heißt es noch Alarmierung aus Jux, ein saftiges Bußgeld, so etwas.

Leute stehen in einer Traube auf dem Bürgersteig und schauen zu mir empor. Ob sie es schaffen, dem spritzenden Fett auszuweichen?

Phillip und Joris, der Möchtegernbassist von Phillip’s No to Crime, nicken einander zu. Sie stehen auf und hängen sich ihre Luftgitarren um. Die dunklen Wolken über uns scheinen bei den ersten Akkorden zu erzittern.
Grollen.

»Spring, und sie wein’n dir nicht hinterher
Spring, und sie feiern doch nur noch mehr
Spring, du bekommst auch Applaus, jaaa—
Applaus für deinen Salto mortale ...«
Papa holte mich einmal mit dem Streifenwagen von der Schule ab, an meinem zwölften Geburtstag. Da lief dieser miserable Metalsong von Kassette, hin und wieder unterbrochen von Funksprüchen. Er pfiff mit und ich versuchte vergeblich, belustigt zu sein.
Papa sah zu mir und zwinkerte. »Schon gut, nicht gerade was für'n Geburtstag, gell?«, sagte er, lachte und hieb mir fest auf die Schulter.
Ich fragte mich damals nicht, ob er bei dem Lied an Phillip dachte, so wenig er ihn ausstehen konnte. Stattdessen wunderte ich mich, dass er mich so von der Schule abholen durfte. Ein paar Jahre später erzählte er mir, sein Chef hätte beide Augen zugedrückt, es sich danach aber anders überlegt: die Beförderung kassiert, ihm eine disziplinarische Maßnahme aufgebrummt und seitdem wäre irgendwie alles auseinandergebrochen, »die übliche Familienscheiße halt – tschuldige«. Dabei hatte ich den Hörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt und traktierte die PC-Tastatur, um bei abgestelltem Ton irgendwelche Feindscharen zu verblutsumpfen.
»... Spring doch, acht’ der Hölle
strenge Öffnungsstunden ...«
Mein Leben: fürs Ende prädestiniert. Schuld daran ist Karina. Dass sie mich ausgerechnet wegen Phillip verlassen hat, wollte ich eine Zeit lang nicht wahrhaben. Für sie ist der Schulhof eben auch nur ein Strich. Kann gern mein zerfetztes Hirn persönlich vom Gehsteig schrubben, mit einer Zahnbürste am besten.
»... Spring – Summer – Fall in Hell
Winter forever in Paaaradise ...«
Vor meinem Auge im Hinterkopf fliegt die Stahltür auf. Karina kommt wippenden Schrittes auf uns zu, jubelt, lacht, klatscht über dem Kopf wie auf einem Konzert. Doch als hätte sie den Ernst der Lage erkannt, schreit sie plötzlich dramatisch, klischeehaft und falsch: »NEIINN!! Joris! Spring nicht! Was soll ich ohne dich nur machen? Ich liebe dich. Spring nicht«, fleht sie billig. Und setzt sich doch zu Phillip, der sie an sich zieht und ihr die Tränen von den Wangen leckt. »Bitte, geh da weg! Lass uns neu anfangen, spring nicht, ich liebe dich doch, ich liebe nur dich!«
Die ersten Tropfen fallen, über den Dächern zucken vereinzelt Blitze. Karina trägt nur noch Socken. Diese Schlampe lässt sich doch tatsächlich stechen, federt in verdammter Anmut auf und ab. »Spring nicht!«, ruft sie, »Spring nicht!«, stöhnt sie, »Springicht! Springicht! Springich!, aah, oh hmm, hspringch!, hsprngch!, hschrngch! –«

Eine heftige Böe fegt mich beinahe vom Dach. Ich wende den Kopf und sehe Phillip kühl an. Joris, Dr. Phillips Möchtegernpatient, hat sich soeben für gesundet erklärt.

*​

Justus hat es schon immer gewusst. Phillip wird seinen Sohn verderben. Wird Joris irgendwann ...
»Hier EK19-A, ich wiederhole: Ich interveniere am Mann, gehe aufs Dach, verstanden?«
Die Tachonadel wischt über die Neunzig, die Sirene vor ihnen scheucht die Autos beiseite.
»Verstanden. Zivil 2, Sie alle bleiben unten und quatschen dem Lebensmüden gut zu. Der Funkwagen fährt weiter und meldet sich wieder bereit.«
»Du«, meint Justus zum Kollegen am Steuer, »hak dich doch mit der Stoßstange ein bei uns'rem Vordermann.«
»Ja, willst du, dass sich einer zwischenschiebt? Ich fahr, du funkst, gleich ersaufen wir sowieso ...«
Justus hasst diese Mischung aus Erleichterung und Furcht. Hat er es nicht gewusst? Nein, sagt er sich, sagt es sich demonstrativ. Er hatte die Gelegenheit genutzt, einfach mal den Kurs zur psychosozialen Notfallhilfe absolviert, eine gute Tat fürs Weiterbildungskonto, nichts weiter.

»Dass Sie es können, weiß ich, aber es wäre mir lieber, wenn ein Unbeteiligter aufs Dach geht, falls ... ja, falls eben.«
»Prima, trinken wir am besten noch ein Tässchen Kaffee, bis sich ein Psychiater in die Spur setzt. Joris und Phillip sind nur zwei von fünfzig, sechzig Kindern in dem ganzen Block, und wenn die eines nicht machen, dann so was!«
Eine Lüge, wird sich Justus nun klar. Wenn dieser Einsatz mal nicht sein allerletzter ist.
Die Kilian hob die Brauen. »Lassen Sie wenigstens Ihre Dienstwaffe hier, diesmal, das ist nur ein Suizid.« – Denn du weißt aus Erfahrung, das wäre besser so.
»Was, wenn ein Überredungskünstler auf dem Dach ist? Außerdem weiß ich aus Erfahrung, dass es nicht falsch ist, Dienstvorschriften zu beachten. Die Waffe steck ich in den Innenbund, so.«
»Ts, Überredungskünstler ...«

Er nimmt frühzeitig das Blaulicht vom Dach, noch bevor sie in die Parkgasse des Blocks einbiegen, und spürt ein wenig Genugtuung, dass er sich bei der Einsatzbesprechung durchgesetzt hat. Dem Leiterfahrzeug der Feuerwehr stünden allerhand Autos im Weg und Platz für einen Sprungteppich – Fehlanzeige. Ein flaues Gefühl breitet sich in seinem Magen aus. Die Türen haben mittlerweile engmaschige Gitter bekommen, aber schon längst kein Glas mehr.
Im Treppenhaus stinkt wie üblich Kerberos’ Kot aus irgendeiner Ecke, die Steinplatten kleben. Justus würgt, geht hindurch, am ständig kaputten Aufzug vorbei, mit schmatzenden Schritten sowie der klammen Ahnung, dass das Megafon der Kollegen für diese Höhe zu schwach ist, und das bei diesem Wetter, Jungs, vergesst das mit dem Hinhalten.

*​

Wär Karina doch von Anfang an nur Einbildung gewesen, nur ein Pin-up am Kleiderschrank! Dicke Tropfen platschen auf den Teer. Phillip steht auf, ich gehe langsam auf ihn zu. Er knackt mit den Fingergelenken, bereit zu einem Angriff, doch da ist Joris der Möchtelieberfeind längst bei ihm. Mit einer Kraft, wie sie Phillip bei ihm nie für möglich gehalten hätte, stößt er ihn zu Boden. Kniet sich auf ihn nieder, rammt die Fäuste in sein Staunen, bekommt jeden Schlag von Blitz und Donner untermalt. Joris ist in einer sonderbaren Trance. Jetzt hat er es in der Hand, er hat die Macht. Er wundert sich, dass es so schön leicht geht, so mechanisch und servogelenkt. Wieso hat er es nicht schon früher versucht, es Phillip heimzuzahlen, ihm zu zeigen, dass er kein verhätscheltes Nesthäkchen war, mit dem »Phillip der Erste« umspringen konnte nach Lust und Laune, gewisse Spiele spielen konnte unter brüderlichem Geheimhaltungseid, dem sogenannten »Indianerehrenwort«? Ihm einzuhämmern, dass er nicht alles mit sich machen lässt, er, wenn auch polizeiväterliches Erziehungsprojekt unter dem Motto »Liebevoll und gewaltfrei erzogen wird eben niemand zum Verbrecher, sieh doch hin, Juliane!«, Papas »eigen Fleisch und Blut« und dann trotzdem allein. Dass Phillip sich seine Eifersucht, seinen Neid oder was auch immer sonst wohin stecken soll. Joris, ja, gib es ihm, Papa wird ganz bestimmt stolz auf dich sein und Mama wird bloß wieder weinen.

»Weißt du, Alter«, rufe ich im Takt gedachter Hiebe, »mein – Vater – hätte wirk–lich ab–drücken sol–len!«
Phillip spitzt die Lippen, als wolle er mir Rauch ins Gesicht blasen, und schnippt die nasse Zigarette weg. »Wer hat ihn denn damals daran gehindert, hä? Bist nicht nur so ’ne Memme wie der, zu feige für diese Scheißwelt, bist auch noch zu fett für den Wind! Da muss ich wohl nachhelfen, dreh dich um, da geht’s lang!«
Er schiebt mich unter Aufgebot all seiner mickrigen Kräfte zur Kante. Und hat recht. Manchmal ist er nett. Endlich können wir unsere Geschichte vollenden, nennen wir sie doch die Geschichte von einem, der mich zog, ihn den salto mortale zu lehren. So nehme ich das Angebot an, fresse es, ja, zerre es ihm aus den Fingern. Renne los, ziehe ihn zur Kante und sehe zu, dass er nicht genau hinter mir ist. Dann schleudere ich meinen Arm mit ihm vor wie ein Olympionike beim Diskuswurf. – Nennt mich Meister im Versagen! Dank dem nassen Metallgitter auf der eingesenkten Regentraufe gleite ich seitwärts weg und knalle mit der Stirn voll gegen das Simsblech. Etwas stößt mich gegen den Fußknöchel und ich höre quietschende Stahlscharniere, das heißt, ein irgendwie mehrstimmiges Nein in die Tiefe stürzen …

*​

»Der Suizid ist weg vom Rand, komm runter, das Haus hat schon einen Blitzableiter«, hört Justus ein paar Treppen tiefer über Funk. Umso schneller jagt er die Stufen hinauf. Hechtet durch die aufgebrochene Tür zum Dach und — sieht erstarrt, was einfach nicht sein kann.

Aus dem Funkgerät dringt lautes Knistern und Knacksen, Stimmen, ein Schrei, unverständliche Worte. Sein Sohn kniet vor dem Rand und schaut hinunter.
»Joris ...«
Der blickt auf, wie durch ihn hindurch, stumm formen seine Lippen »P–p–«. Nein. Soll er ihn doch fortan besser Justus nennen oder ›Stiefel‹, was solls, um sich wie Phillip zuverlässig Ohrfeigen einzufangen.

[highlight]Lizenz: CC BY-SA 3.0 DE (s. Profil)[/highlight]​

 

Diese Geschichte wurde von einem Autor geschrieben, der hier im Forum angemeldet ist, es für diese Geschichte aber bevorzugt hat, eine Maske zu tragen.
Der Text kann, wie jeder andere Text im Forum, kommentiert werden, nach zehn Tagen wird die Identität des Autors enthüllt.

Als Kritiker kann man bis dahin Vermutungen über die Identität des Autors anstellen. Damit man anderen mit einem schlüssigen Rateversuch nicht den Spaß raubt, sind Spekulationen und Vermutungen bitte in Spoiler-Tags zu setzen.
Beispiel [spoiler]Ich vermute, dass der Autor der Geschichte Rumpelstilzchen ist. Der schreibt doch auch immer von güldenem Haar und benutzt so viele Ausrufezeichen![/Spoiler]
Die eckigen Klammern setzt ihr mit der Tastenkombination Alt-gr+8 bzw. Alt-gr+9.
Da dies jedoch kein Ratespiel ist, sind Beiträge ohne Textarbeit, also reine „Vermutungen“, nicht erwünscht.

Viel Spaß beim Raten und Kommentieren!

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Maske,

vielleicht stell ich mich grade doof an, aber ich bin mit dem Text ueberhaupt nicht klargekommen. Hat mich voellig verwirrt. Wie viele Leute sind da jetzt auf dem Dach? Was passiert wirklich, was ist Vision?

Also was ich mir aus den ganzen Wirrwarr zusammengeklaubt habe ist Folgendes:

Mein Halbbruder lehnt am Grill des Lüftungsschachtes und raucht. Daneben hockt Joris und nimmt ihm die Zigarette ab, zieht tief, hustet verhalten.
Am Rand des Wohnhausdaches stehe übrigens ich.
Schon im ersten Absatz verliere ich die Orientierung. Da sind 3 Leute: Der Halbbruder, Joris und Ich, der im Begriff ist, Selbstmord zu begehen. Joris hockt, Philipp (der Halbbruder) lehnt, Ich steht am Dachrand. Eindeutig 3 Personen, moechte man meinen ...

Dann kommt:

Wie ein Western-Cowboy gegen die Abendröte sieht Joris den Loser an, der vor der Gewitterfront mit dem krummen Rücken zu ihm steht.
Da wechselt das Ganze zu Joris' Perspektive und der einstmalige ich-Erzaehler betrachtet sich wie einen Fremden.

Dann sind wir wieder in der Ich-Perspektive:

Leute stehen in einer Traube auf dem Bürgersteig und schauen zu mir empor.

Und dann bricht mir alles zusammen:
Die Stahltür fliegt auf. Karina kommt wippenden Schrittes auf uns zu, jubelt, lacht, klatscht über dem Kopf wie auf einem Konzert. Doch als hätte sie den Ernst der Lage erkannt, schreit sie plötzlich dramatisch, klischeehaft und falsch: »NEIINN!! Joris! Spring nicht! Was sollte ich ohne dich nur machen? Ich liebe dich. Spring nicht«, fleht sie billig.
Ich ist offenbar identisch mit Joris, von dem er bisher in der dritten Person gesprochen hat. Und Karina, die ist jetzt auch auf dem Dach, wahrscheinlich aber doch nicht. Ebenso Vision wie dieser Dachfick mit dem Halbbruder. Vielleicht ist der Halbbruder also auch gar nicht wirklich da. Wer will das an diesem Punkt noch wissen? Vielleicht ist er auch ein weiterer Teil von Ich, der eine multiple Persoenlichkeit hat und in Wahrheit gegen sich selbst kaempft.

Huj, und weil das alles noch nicht kompliziert genug ist, schmeissen wir jetzt noch eine weitere Perspektive hinein. Der Polizistenvater: fokal, 3. Person.

Justus hat es schon immer gewusst. Phillip wird seinen Sohn verderben. Wird Joris irgendwann ...

Zumindest erfahre ich jetzt, dass Justus und Philipp doch zwei unterschiedliche Personen sind:
Joris und Phillip sind nur zwei von fünfzig, sechzig Kindern in dem ganzen Block, und wenn die eines nicht machen, dann so was!

Hier wieder so ein schicker Wechsel von ich (Joris) zu er (Joris):
Phillip steht auf, ich gehe langsam auf ihn zu. Er knackt mit den Fingergelenken, bereit zu einem Angriff, doch da ist Joris, der Mutige, schon bei ihm.

Kniet auf ihn hin und rammt die Fäuste in sein Staunen, jeder Schlag von Blitz und Donner untermalt.
Kniet sich auf ihn

Und dann schmeisst Joris Philipp vom Dach. Sofern Philipp wirklich da ist, nicht nur so ne Art innerer Daemon

Also, ich kann mir vorstellen, dass der Autor hier irgendwas sehr Cleveres versucht hat. Moeglicherweise zu zeigen, wie Joris in dieser Extremsituation aus sich heraustritt und sich tatsaechlich als einen anderen sieht. Aber fuer mich als Leser war das schlimm. Ich hab den Text jetzt 2,5 mal durch und hab's immer noch nicht entwirrt. Das ist frustrierend. Die Sprache ist ok, aber ich hab fuer mich keine besonderen Highlights entdeckt. Und alles was da moeglicherweise an Figurenzeichnung und Bruderkonflik hineingelegt wurde, geht fuer mich in diesem verwirrenden Perspektivexperiment unter.

Insofern ist der Text fuer mich nicht gelungen. Aber ich sag das unter Vorbehalt, denn vielleicht bin ich wirklich doof und andere Leser orientieren sich hier muehelos. Wenn nicht, ist natuerlich ein bisschen ungluecklich, dass der Autor das jetzt 10 Tage lang weder aufklaeren noch klarer strukturieren kann :D

Wer das geschrieben haben soll, weiss ich nicht. Und das liegt nicht daran, dass ich mich nicht nochmal mit falschen Vermutungen blamieren will, sondern daran, dass ich das Gefuehl habe, hier wollte mal jemand experimentieren, was ganz avantgardistisches versuchen. Deshalb hat er selbst wahrscheinlich so eine Art von Text noch nicht geschrieben. Es koennte sogar ein guter Autor sein, dem hier einfach mal was schiefgegangen ist. Maeuser hatte mal so ne Dachgeschichte. Ins Sims "Koerperwahn" gibt es einen Joris und der ist glaube ich auch fett. Aber das heisst alles nichts. Kein Tipp von mir diesmal. Wer hat denn noch neulich diese Frage zur Perspektive gestellt?

lg,
fiz

P.S. "Stiefsoehne" heisst das auch noch. Sind jetzt beide Justus' Stiefsoehne, oder einer ist Justus' Stiefsohn, der andere der seiner neuen Frau? Ich dachte Joris waere Justus' leiblicher Sohn und Philipp der angeheiratete. Dann waere ja schon der Plural Stiefsoehne so ne Perspektivmischung, einmal aus Sicht von Justus, dann aus Sicht von seiner Frau.

ch hatte mich damals nicht gefragt, ob er an Phillip dabei dachte, so wenig er ihn ausstand …
ist das dialektal? Ich kenne nur "nicht ausstehen koennen"

 
Zuletzt bearbeitet:

Also Maskenball,

eine Mord(s)geschichte? Wenn ich das richtig sehe, dann sind das die Gedankengänge zweier Halbbrüder, Phillip und Joris, die sich nicht mögen. Beide sind auf dem Dach ihres Wohnblocks. Der Vater, bzw. Stiefvater, Justus, ist Polizeibeamter und in diesem Moment im Einsatz um (seine) zwei Söhne vom Dach zu holen.
Er kommt zu spät, im Gerangel hat Joris Phillip vom Dach gestossen. Sehr hintergründig spielt da noch die Abneigung des Vaters zu seinem Stiefsohn Phillip mit. So könnte ich hineininterpretieren, dass es ihm nicht ungelegen kommt, dass mit Phillip was passiert, was Endgültiges – also, das lese ich aus dem Gespräch im Auto und dem Liedtext heraus. Und so ein bisschen auch aus den Sätzen:

Papa pfiff mit und ich versuchte vergeblich, meinem Befremden Belustigung unterzumischen. Ich hatte mich damals nicht gefragt, ob er an Phillip dabei dachte, so wenig er ihn ausstand …
Sehr hintergründig und mitreissend das alles. Spannend zu lesen in der ganzen Atemlosigkeit, der Wut, Eifersucht und auch irgendwie Unsicherheit. Jugendliche eben. Es steht viel zwischen den Zeilen und das Gewitter, die flapsigen Dialoge, die jugendliche Sprache, die so schlampig daherkommt, wie es halt so tönt, die Szene mit Karina, sind so Hintergrundsmalereien, die aber für mein Gefühl sehr passend sind.

Gute Geschichte, kurz, spannend, ohne Geschwafel. Hab sie allerdings auch dreimal gelesen. So im ersten Zug bekam ich nicht alles auf die Reihe – aber das ist ja kein Fehler des Autors / der Autorin. Bin jetzt sehr gespannt, ob meine Lesart richtig ist ...

Lieben Gruss,
Gisanne

ich tippe auf sim. Seine Jungsgeschichten, die immer sehr konfliktreich, gehaltvoll und hintergründig sind kommen mir in Erinnerung. Allerdings ist diese Geschichte sehr viel kürzer, dann hat sim eine grosse Veränderung in Richtung Verdichtung (!) gemacht

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Maske,

ein teilweise verwirrendes Spiel mit der Erzählerperspektive, nicht uninteressant, aber die Unschärfe und das verwischen ist mir zu viel. Wenn ich bei einem Text wieder zurück lesen muss, weil ich meine, ich hätte mich verlesen , etwas falsch oder gar nicht verstanden, dann passt der Text nicht so ganz zu mir als Leser, oder ich nicht so ganz als Leser zum Text.

Bröselt man die Story auf und zerlegt sie in ihre Bestandteile, bleibt nach meiner Erkennntnis der Konflikt zweier Brüder (Stiefbrüder) übrig, die Söhne (Stiefsöhne) des Polizeibeamten Justus sind. Zwei ungleiche Brüder, die auch noch um die Gunst der leicht schlampenhaften Karina buhlen.

So, aber all das wird perspektivisch stellenweise stark gegen den Strich gebürstet, so gleich zum Anfang, wo der Ich-Erzähler sich selbst dabei beobachtet, wie er vorn am Dach steht, bereit zu springen, und da fragt man sich irgendwann "Wer ist das, und wenn ja wie viele?" und nebelt sich da nicht gerade auch so ein bisschen der Fight-Club-Effekt mit in die Story rein.

Ich als Leser (ohne zu wissen, ob das andere auch so praktizieren), lote bei manchen Geschichten, wenn ich sie zunächst nicht wirklich verstehe, meine Bereitschaft aus, eventuell nach Symbolik Ausschau zu halten, um nachher nicht als Depp dazustehen, der als Einziger - trotz vieler Hinweise - die Story zwischen den Zeilen verpasst hat. Bei diesem Text kommt es mir fast umgekehrt vor. Du hast das zwischen den Zeilen als Text verfasst, während ich nach den Zeilen Ausschau halte.

An dem Stil gibt es wenig zu bemängeln, und einige Formulierungen haben mir gefallen. Dass der Text so struppig und fast verschlüsselt bleibt, und zu mehrfachem Lesen einlädt, finde ich absolut okay, weil ich selbst erkannt habe, dass auf diese Maskenball-Bühne was Besonderes gehört, etwas Un- oder Außergewöhnliches, etwas auch, auf das man vielleicht einfach mal Bock hat, ohne Rücksicht auf die Leser ;-)

Der Text hat was, und ich habe nicht ganz herauslesen können, was das ist.

Rick

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus,

stünde der Text nicht unter dem Etikett Maskenball, hätte ich ihn möglicherweise gar nicht zu Ende gelesen, so sehr nervten mich schon die ersten Absätze, kein Scheiß, Ich hätte ihn vermutlich mit Verachtung gestraft und mich nicht weiter dazu geäußert.
Ich ahne, dass da da eine wirklich gute Story drinsteckt, aus der man hätte etwas machen können, aber so nicht!
Der Text ist in meinen Augen stilistisch bestenfalls durchschnittlich, sprachlich ausgesprochen schlampig und fehlerhaft und lässt mich daran zweifeln, dass er von einem Routinier geschrieben ist.
Das Wechseln zwischen den verschiedenen Perspektiven mag als Idee interessant sein, die Ausführung finde ich schlicht misslungen, auch deshalb, weil es da immer wieder eine eigenartige, für mich nicht nachvollziehbare Verwendung der Zeitformen gibt.

Ein paar Details, die mich wirklich störten:

Der sein Selbstmitleid auf den Feierabendverkehr gießt
?

Papa pfiff mit und ich versuchte vergeblich, meinem Befremden Belustigung unterzumischen. Ich hatte mich damals nicht gefragt, ob er an Phillip dabei dachte, so wenig er ihn ausstand …
Papa sah zu mir und zwinkerte. »Schon gut, nicht gerade was für'n Geburtstag, gell?«, sagte er, lachte und hieb mir fest auf die Schulter.
… Stattdessen wunderte ich mich, dass er mich in grün von der Schule abholen durfte.
In dieser Rückblende mischt du Präteritum und Plusquamperfekt, Absicht?

so wenig er ihn ausstand … ist das eine Feststellung und der Satz zu Ende? Dann müsste es doch
so wenig, wie er ihn ausstand. heißen,
Und dann dieser Einschub zwischen den Auslassungspunkten (…) und die Gedanken des Prot gehen als neuer Satz weiter:
… Stattdessen wunderte ich mich,
Vom Schriftbild her ist das dermaßen missverständlich, unbedacht, weil ich als Leser sofort mal überlege, verdammt, worauf bezieht sich das stattdessen?
In Grün würde ich groß schreiben.

ihm ne disziplinarische Maßnahme aufgebrummt und seitdem wär irgendwie alles auseinandergebrochen, »die übliche Familienscheiße halt – tschuldige«.

Dass sie mich wegen Phillip verlassen hat, ausgerechnet ihm [seinetwegen], habe ich eine Zeit lang nicht wahrhaben wollen. Für sie ist der Schulhof eben auch nur ein Strich.


Und dann plötzlich Perfekt. Also da sträubt’s mir beim Lesen echt das Hirn (oder stellt das ganze so eine Art nicht gekennzeichnete direkte Rede dar, in der auf alle Rechtschreibgepflogenheiten geschissen wird?)

»NEIINN!!
Steht sowas in einem Anfängertext, gibt’s mit Recht üble Dresche.
(zwei i und dann Doppel-n, wie soll das denn bitte ausgesprochen/ausgerufen klingen?)

wenn ein Unbeteiligter darauf geht,
da rauf

Kniet auf ihn hin
Kniet sich auf ihn

Ihm einzubleuen,
einzubläuen

Dem nassem Metallgitter sei dank.
nassen, Dank

und seine Lippen formen P–p–.

und seine Lippen formen ›F-f- ‹
Der Typ heißt ja nicht Pillip, oder?

Und noch eine Kleinigkeit:

Grill des Lüftungsschachtes
Da gefiele mir persönlich Gitter weit besser als der mehrdeutige Grill.

Noch einmal abschließend: Inhaltlich gäbe die Geschichte genug her, dass ich sie gerne mehrmals lesen und mir auch gerne den Kopf darüber zerbrechen wollte, ich mag inhaltliche Verrätselungen und Mehrdeutigkeiten, aber ich mag keine missverständlichen Formulierungen, ich mag es nicht, zwei Sätze vor, vier Sätze zurücklesen zu müssen. Das nervt irgendwie.

Also die Geschichte in der jetzigen Form taugt für mich gerademal als Entwurf.
Zu schlampig für mein Gefühl.
An mir als Leser vorbeigeschrieben, ja, so kommt’s mir vor.

offshore

 

Hey Maske,

ich hatte mich auch schwer mit dem Text. Für mich ist das auch eher eine experimentelle Übung zu den Perspektiven, als dass mir unterm Strich eine Geschichte erzählt wird. Beim Lesen war ich eigentlich ständig dazu angehalten, der Handlung zu folgen (folgen zu können), auszuklamüsern, wer jetzt was sagt, wer, wer ist. Und unterm Strich habe ich dann recht flache Figuren und ihr Konflikt wird mir in Stichpunkten serviert. Das finde ich schade, denn bei den beiden Halbbrüder da, da muss ja ordentlich was im Vorfeld abgegangen sein, damit das da oben überhaupt stattfinden kann. Ist jetzt subjektiv, aber das hätte mich schon arg interessiert, diese Familienbande.
Ich kann jetzt aber nicht sagen, dass ich es ungerne gelesen habe, es hatte schon was, sich darauf einzulassen und auch sprachlich fand ich es gelungen, nur eben sehr verwirrend und dadurch auch anstrengend zu lesen, immer noch mal einen Satz zurück, Wort für Wort aneinandersetzen, dröseln und bröseln. Ich mach das schon gern, aber dann will ich für meine Mühe belohnt werden und etwas entdecken können und genau daran fehlt es mir hier.

Doch als hätte sie den Ernst der Lage erkannt, schreit sie plötzlich dramatisch, klischeehaft und falsch: »NEIINN!! Joris! Spring nicht! Was sollte ich ohne dich nur machen? Ich liebe dich. Spring nicht«, fleht sie billig. Und setzt sich doch zu Phillip, der sie an sich zieht und ihr die Tränen von den Wangen leckt. »Bitte, geh da weg! Lass uns neu anfangen, spring nicht, ich liebe dich doch, ich liebe nur dich!«

Die Stelle mochte ich. Das ist hübsch fies und so: ich muss das jetzt sagen, weil man das eben so macht in der Situation, aber eigentlich ist mir auch egal. Dieses halbherzige Lügen aus moralischen Gründen, das finde ich gut eingefangen.

»Weißt du, Alter«, rufe ich im Takt gedachter Hiebe, »mein – Vater – hätte wirk–lich ab–drücken sol–len!«

Da war ich wirklich raus. Den Rest habe ich ja gepuzzelt bekommen, aber hier nicht. Wann war die Situation? Wann hatte der Vater einst seine Waffe auf seinen Stiefsohn gerichtet.
Und Punkt zwei den ich nicht verstehe, wenn die Geschichte Stiefsöhne heißt, dann sind beide eingeheiratet. Aber für mich liest es sich, als wäre Joris der eigene Sohn, irgendwie.

»Der Suizid ist weg vom Rand, komm runter, das Haus hat schon einen Blitzableiter«, hört Justus über Funk. Umso schneller jagt er die Stufen hinauf. Plötzlich lautes Knistern und Knacksen und im Hintergrund ein langer Ton, könnte ein Schrei sein. Justus versteht kaum ein Wort aus dem Stimmengewirr, aber das eine hat es in sich: Anlauf.
Hechtet durch die aufgebrochene Tür zum Dach, und schnauft, und sieht seinen Sohn, der da vor dem Rand kniet und hinunterschaut.

Ja, hier wird schwierig, weil es eigentlich parallel zu dem Geschehen auf dem Dach geschieht, aber so im Nachtrag kommt. Weiß nicht, wie man das hätte geschickter anlegen können, ohne Satz für Satz zwischen den Personen/Orten hin-und herzuspringen, was sicher auch schwierig zu lesen wär.

Ja, also ich mag ja gern so Infopuzzle-Texte, aber hier war mir das eine Spur zu groß und leider auch zum Nachteil der Geschichte. Dem Joris da jetzt noch eine zweite Persönlichkeit unterzuschieben, macht es nicht unbedingt einfacher. Zu viele Dinge angerissen und ausprobiert, so mein Leseeindruck.

Beste Grüße Fliege

 

Servus Maske,

… und seine Lippen formen ›P–p–‹.

Alex wies mich darauf hin, „P-p-“ stünde vermutlich für Papa, ein Gedanke, der mir beim dritten oder vierten Mal (sic) Lesen auch gekommen ist, immerhin blickt Joris dabei zu seinem Vater.
Sollte das zutreffen, ziehe ich die betreffende Kritik zurück, da war ich wohl zu voreilig und unbedacht.
In meinem Kommentar vom Montag drückte ich allerdings meinen unmittelbaren ersten Eindruck aus, und ja, ich muss zugeben, nach der ersten Lektüre war ich der Geschichte gegenüber richtiggehend ungnädig gestimmt, zu hirnverdrehend erschien sie mir und obendrein, in Anbetracht der Kompliziertheit ihrer Konstruktion, viel zu nachlässig geschrieben.
Mag sein, dass meine quasi aus der Hüfte geschossene erste Kritik um einiges weniger treffsicher ist, als eine fundierte Textanalyse, die auf stundenlangem Interpretieren, Sezieren, Herumgrübeln, Abwägen, usw. fußt. Trotzdem, glaube ich, sollte sie für den Autor nicht weniger Gewicht haben, denn dieses spontane und emotionale Reagieren auf einen Text entspricht ja eigentlich dem Verhalten eines Durchschnittslesers. Ich meine, würde ich außerhalb eines Literaturforums eine Geschichte, die noch dazu orthographische Fehler und ein schlampiges Layout aufweist, fünfmal lesen, bis ich sie halbwegs verstehe? Ja, aber dann müsste zumindest ihre Sprache einzigartig, außergewöhnlich, packend, augenverdrehend brillant sein, mindestens.

Abschließend (nach mittlerweile fünfmaligem Lesen) will ich meinen Ersteindruck bestätigen:
Ich glaube, dass eine tolle Story drin steckt und eine tolle Idee dahinter, aber ich finde es nicht besonders toll erzählt.

offshore

 

Hallo Maske,
Die Perspektivenwechsel zwischen Vater und Sohn, die Zeitsprünge und der verkapselte Wechsel von Innen- und Außensicht des Ich-erzählers und des Vaters, und nicht zuletzt die Satzgirlanden, machen es schwer, die Geschichte darin zu verstehen. Im Text sind Symbole versteckt, die vielleicht nicht jedermann geläufig sind, aber zum Textverständnis beitragen sollen.
Dabei hat die Geschichte eine Brisanz, mit der ich anfangs nicht gerechnet habe.
Spektakulär ist, wie dabei die Innensicht des erwachsenen Joris und des Vaters aufgezeigt wird.

Philip ist schon lange tot. Joris hat ihn mit 12 Jahren erschossen. Da er nicht strafmündig ist, wird er nicht bestraft. Nur sein Vater wird mit disziplinarischen Maßnahmen belangt. Als Joris erwachsen ist und seine Beziehung zu Karina zerbricht, spitzt sich eine Seelenkrise zu. Er will Selbstmord begehen. Der Zufall will es, dass sein Vater zu dem Einsatz gerufen wird. Auch der Vater hat eine Entwicklung gemacht. Er ahnt seinen Anteil an dem Tod seines Stiefsohnes, will aber nicht wahrhaben, dass sein leiblicher Sohn durch sein (Nicht)Verhalten gegenüber Sohn und Stiefsohn zerbrochen sein könnte. Seinem Sohn wird dies jedoch klar und er springt nicht vom Dach.
Es fällt mir schwer, darzulegen, wer hinter der Maske stecken könnte.
habe mehrere in Verdacht. Der Autor ist männlich. Verquickt werden in einem unheimlich kurzen Text die Psychologie eines Täters und Rechtliches. Ich wittere auch ein wenig Gesellschaftskritik. In anderen Ländern, werden auch Kinder für ihre Taten zur Verantwortung gezogen. Da auch in der Geschichte das Versäumnis der Erziehungsverantwortlichen, wobei ich es vom Autor ziemlich spitzfindig finde, dass es hier ein Polizist namens Justus, der Gerechte, ist, der als Vater versagt, thematisiert wird, und die Gesellschaft gerne nach Polizei und Strafe ruft, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, die Satzgirlanden schon für einen sehr kompetenten Autor sprechen, könnte es schon ein sim sein, der hinter der Maske steckt. Aber auch einem Friedel traue ich diese Geschichte zu. Was mich stutzig werden ließ, war der dreiköpfige Totenhund und dessen stinkender Kot. Ich vermutete sogar deswegen cerberus als Verfasser. Aber die Namen der Protagonisten verraten anderes: Anakreon steckt hinter der Maske!

Mir hat es Spaß gemacht, die Geschichte zu enträtseln. Aber dafür muss man auch Zeit und Lust haben.
LG
GD

 
  • Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

Wenn Sie mal einen Blick in ihr Programmheft werfen könnten, ... Ich habe ja keines. Meine Frau sagt immer, das Geld können wir sparen, da steht doch nichts drin. Aber wissen Sie, mich interessiert schon welcher Name hinter dem Maskenball steht. Also, wenn Sie vielleicht mal schauen könnten, da wäre ich Ihnen wirklich dankbar. Wie jetzt nicht? Ach später, in der Pause ...

 
  • Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

Hallo ihr,

es ist an der Zeit, die Maske zu lüften. Es lässt sich darunter sowieso schlecht atmen, da alles von Ei und Tomate verklebt ist. :D Sodenn – ich bins, ich habe ihn geschrieben, und tatsächlich abgeschlossen mit der Überzeugung, ich hätte das allgemeine Boah auf meiner Seite, ursprünglich den ersten Preis eines Wettbewerbs. Tja, hab mich wohl geirrt, soll auch vorkommen.

Wie es aussieht, ist die Verständlichkeit der Geschichte meinen Kürzungsorgien zum Opfer gefallen. Es heißt ja, in der Kürze liegt die Würze, aber das nützt nix, wenn man von der Betriebsblindheit, oder hier eher Betriebsgeschmacklosigkeit betroffen ist, da würzt man nach bis zur Ungenießbarkeit. Das Spiel mit den Perspektiven sollte kein Mittel sein, um den Leser in ein Spiegellabyrinth zu schicken. Damit wollte ich eher die psychische Verspanntheit des Protagonisten Joris darstellen. Statistisch – wenn auch neun Kritiker kaum repräsentativ sind – ist mir das nicht gelungen. Ständig Bezüge zwischen den Zeilen herausklauben zu müssen ist dem Leseverständnis abträglich, hier muss ich nachbessern

feirefiz:

Danke für deinen ausführlichen und konstruktiven Kommentar. Meine Antwort darauf fällt nur deshalb so knapp aus, weil ich das meiste davon widerspruchslos abnicke und gelobe besser zu machen, gleich im nächsten Beitrag. Du bist meiner Erzählabsicht ziemlich nahegekommen mit deinen Vermutungen. Schade, dass du damit noch keinen Durchblick gewonnen hast, aber das dürfte in der Tat am fehlenden narrativen Bindematerial liegen.

Gisanne:

Deine Lesart ist richtig. Ich bin nicht so dreist, dich dazu zu beglückwünschen, geht es ja eigentlich nicht darum, das Publikum zu strapazieren, sondern zu unterhalten. Da habe ich eher Glück gehabt, dass du dich, so jedenfalls lese ich aus deinem Kommentar, damit in der Tat unterhalten konntest. Dass ich dreimal einen Text lese, dazu muss er schon sehr gut sein, mir mit jedem Durchgang mehr geben. Selbst habe ich gemeinhin keine große Geduld dabei, Texte zu entschlüsseln :dozey:.

Mich freut, dass dir sim einfällt. Die Geschichte enthält in der Tat an einer Stelle ein Stilmittel, das für sims Texte typisch ist, ich nenne es mal Sim'sche Protagonistenfragen ans Off. Die Namensgleichheit (Joris) kann dagegen kein Grund sein, denn ich wusste schlichtweg nicht mehr, dass es in »Körperwahn« einer Joris hieß.

Rick:

Du hast das zwischen den Zeilen als Text verfasst, während ich nach den Zeilen Ausschau halte.

Cooler Spruch, der gefällt mir :). In der Tat wollte ich mal ein Schlaglicht verfassen, also ein Fragment einer Gesamtsituation, statt ein unfertiges Puzzle, bei dem der Rand schon an allen Seiten zu ist. Ein solches Fragment sollte genug Hinweise enthalten, und nicht allzu subtil, das habe ich hier gelernt, damit der gemeine Leser in der Lage ist, mit seiner Vorstellungskraft das Drumrum zu ergänzen.

ernst offshore:

Danke auch dir für deinen Beitrag. Endlich mal ein ordentlicher Verriss. :D Und – ich habe ihn überlebt, sogar gerade noch tränenlos. Geerdet hat er mich auf jeden Fall und dank ihm bin ich auf der Leipziger Buchmesse cool geblieben, wenn das Gespräch unter KG.de'lern darauf kam (kams zum Glück nicht). Ohne ihn – kenn mich doch – hätte ich eventuell versucht, auf den Text unterschwellig hinzuweisen, um bestenfalls in allgemeiner Bewunderung zu baden.

NEIINN!!
Steht sowas in einem Anfängertext, gibt’s mit Recht üble Dresche.
(zwei i und dann Doppel-n, wie soll das denn bitte ausgesprochen/ausgerufen klingen?)
Zitier mal weiter …
Spring nicht«, fleht sie billig.
Um Billigkeit darzustellen, hat sich diese Neulingsmarotte förmlich angeboten. Okay, ist wohl Geschmackssache.

einzubläuen
Ich habe mich darüber geschüttelt – brrrr! – und dann doch nachgeschlagen, was mein Duden dazu sagt und du hast recht, verdammt, wurde die neue Rechtschreibreform von Hornochsen gemacht? Einbleuen hat eben nichts mit blau zu tun (wenn man von evtl. entstandenen blauen Flecken absieht), sondern etymologisch mit dem Bleuel, einem Holzstab aus Waschtagen. (Quelle: Wikipedia, mein Deutschlehrer hat uns diese Regel auch mit so einem Vorbehalt beigebracht, dass ich mir pflichtschuldig die Variante mit e eingebleut habe). Ich widerstehe hier bewusst einer »Korrektur«. Wenn im Ernst aufs ä bestanden wird, dann nehm' ich halt einschärfen oder einhämmern, liegt es ja auch in meinem Interesse, dass hiesige Texte rechtschreibkonform sind. Zu viel Zeilen werde ich für meinen Ärger aber auch nicht aufwänden, nur noch mal für diesen Rechtschreibfehler aus Trotz, das hóbt's jetz davon. :D

Deine anderen Anmerkungen beherzige ich artig, danke dafür.

Fliege:

Ist jetzt subjektiv, aber das hätte mich schon arg interessiert, diese Familienbande.
Was zum Beispiel da im Vorfeld abgegangen ist, dazu gibt es einen meiner Überzeugung nach deutlichen Hinweis im Text. Wenn dir das Detail durch die Lappen gegangen ist, ist es aber eher der Kompliziertheit des Textes anzulasten.

Da war ich wirklich raus. Den Rest habe ich ja gepuzzelt bekommen, aber hier nicht. Wann war die Situation? Wann hatte der Vater einst seine Waffe auf seinen Stiefsohn gerichtet.
Das ist in meinen Augen nicht der Typ von Geschichten, die ins biografisch-analytische Detail gehen. Ich habe es bewusst der Phantasie des Lesers überlassen, habe mich lediglich darauf beschränkt sie in die ungefähr richtige Richtung zu schicken. Dafür muss ich mir den jetzt sicherlich folgenden Vorwurf gefallen lassen, ich würde Vagheit mit Kunst verwechseln, hätte eine Schockgeschichte geschrieben, rein um des Schockens willen.

Habe den Absatz um einen Aspekt ergänzt. Der Rest soll offen bleiben, dazu stehe ich.

Alexander Schuchmann:

Hah, danke fürs Wiederaufbauen, nach dem offshore den Text so zusammengefaltet hat. :)

Das Gebäude, in dem die Geschichte spielt, scheint irgendwas Leerstehendes zu sein, in dem die Jugend gerne mal feiert. Daher die Gitter, statt der Fensterscheiben, der klebrige Boden und der Hund (?) namens Kerberos.
Gitter haben die Türen zur Straße bekommen, von Fenstern ist nicht die Rede. Bei einem leerstehenden Haus hätte ich wahrscheinlich von Pappen erzählt. Ein Jugendfreizeithaus mit Parkgasse? Hm. Übrigens bin ich mir nicht sicher, ob »Parkgasse« das richtige Wort ist, meine einfach eine schmale Gasse, die an den Aufgängen eines Wohnblocks entlang führt und von Parkplätzen für die Anwohner gesäumt ist, während danebenauf der anderen Seite, lediglich getrennt durch eine (hier eher Pseudo³-)Grünanlage, eine Verkehrsstraße liegt.

Also mein Paps ist auch Polizist und hat mich früher öfter mal in Uniform irgendwo abgeholt. Das war ganz normal, deswegen gabs nie Ärger.
Ich würde viel darum geben, dass ein Polizist den Text liest. Ich habe allerhand recherchiert, es ist die Frage, ob genug. Ich glaube auch nicht, dass es so ein Problem ist, die Uniform auch mal bei privaten Unternehmungen zu tragen. Beim Streifenwagen allerdings sieht das anders aus, schließlich ist der polizeiliche Fuhrpark begrenzt, und da sie jederzeit zu einem Großeinsatz ausrücken können muss, wird es wohl mindestens nicht gern gesehen, die Fahrzeuge als Familienkutschen zu missbrauchen. Für einen Vorwand, um missliebigen Untergebenen Steine in den Berufsweg zulegen, dürfte es allemal reichen. Lange Rede … der Bezug auf die Uniform ist gestrichen, geht auch ohne.

»Du«, meint Justus zum Kollegen am Steuer, »hak dich doch mit der Stoßstange bei Machete ein.«
»Ja, willst du, dass sich einer zwischenschiebt? Ich fahr, du funkst, gleich ersaufen wir sowieso ...«
Also das kapier ich absolut nicht. Bei aller Liebe, das ist wirklich unverständlich. Zuerst dachte ich an eine Verbindung zum Film "Machete", aber das war eine Sackgasse. Meine jetzige Interpretation: Machete ist der Fahrer des Wagens vor dem Streifenwagen.
Du hast recht, sowohl, was deine Deutung betrifft, als auch mit deiner Kritik. Ändere ich.

Warum ist das kursiv? Falls es eine Erinnerung an die Einsatzbesprechung ist, kann ich es nicht verstehen, es gibt doch auch andere Erinnerungen (Abholen zum Geb. mit 12, oder Luftgitarre spielen auf dem Dach), die nicht kursiv sind.
Es ist eine geistige Ablenkung, Versenkung, Rekapitulierung, was auch immer. Von den anderen Erinnerungen unterscheidet es sich durch die Unmittelbarkeit. Da hatte ich einen nicht-kursiven Satz gestrichen und jetzt wieder eingefügt. Den Vorwurf der Inkonsequenz stecke ich ein, die Geschichte hat ihre Macken und nicht alle weiß ich (derzeit) zu lösen, ohne zugleich ihre Qualitäten zu gefährden.

Goldene Dame:

Vielen Dank für deinen interessanten Interpretationsansatz, auch wenn ich ihn nicht ganz nachvollziehen kann. Warum nimmst du an, dass Joris seinen Halbbruder erschossen hat, wenn doch der Vater die Waffe gegen ihn erhob, aber nicht abdrückte? Versteh mich nicht falsch, gerne akzeptiere ich natürlich Deutungen, die meiner Erzählabsicht zuwiderlaufen. Wenn es aber konkrete Stellen im Text gibt, die deine Deutung nahelegen, dann möchte ich schon schauen, ob ich diese »auf Linie« bringen kann.

Dass Kerberos in der Mythologie drei Köpfe hatte, wusste ich nicht, ist hier aber egal (Cerberus81 hat ja auch keine drei Köpfe und sich trotzdem so genannt). Wichtig ist mir in dem Zusammenhang, dass der Leser erkennt: Hund – wird vom Besitzer vernachlässigt – auf Symbolebene Wächter zur Hölle.

Schön auch, dass du den Widerspruch in Justus' Charakter erkannt hast. Zwar als Polizist durchaus erfolgreich, trotz seiner Kratzbürstigkeit und Unkonventionalität, familiär dagegen …

Glückwunsch übrigens zum 2000. Beitrag!


Soweit zu den einzelnen Kritiken. Meine Teilnahme als Autor beim Maskenball hat mir auf jeden Fall Spaß gemacht, okay, verglichen mit den anderen Texten stieß mein Beitrag nun nicht auf solche Begeisterungsstürme. Dennoch ist so ein Von-Null-Anfangen eine wertvolle Erfahrung und mich ehrt besonders, mit wem ihr mich verglichen habt! Ich überlege, ob ich die nächste Geschichte wieder über den Maskenball schleife, nicht zuletzt, weil ich mich da 10 Tage zurücklehnen kann bzw. muss.

Ich finde es sehr erbauend, dass ihr so viel Mühe investiert habt, diese Geschichte zu verstehen, das macht mich aber auch verlegen. Vielen Dank dafür. In der Tat bin ich vom Erzählen auf mehreren Ebenen angetan. Aber zugegeben, eine Geschichte fünfmal zu lesen, nicht zum Genuss, sondern um sie zu kapieren, kann ich allerdings von niemandem erwarten. Wie viele Leser angefangen und irgendwann abgebrochen haben, wage ich gar nicht erst zu fragen, ihre Zahl dürfte den Durchschnitt auf KG.de vielfach übersteigen.

Die aufgrund eurer Kommentare überarbeitete Fassung hänge ich als neuen Beitrag hier an. Gegen die in situ-Bearbeitung habe ich mich entschieden, damit man eure Kommentare auch in Zukunft nachvollziehen kann. (EDIT 4.1.14: Da entsprechender Hinweis am Anfang von #1 im neuen Layout zu leicht übersehen wird, hab ichs wieder umgemodelt. #1 enthält nun die aktuelle Version, die ursprüngliche ist nicht mehr online.)


Viele Grüße,
-- floritiv

 

floritiv schrieb:
einzubläuen

Ich habe mich darüber geschüttelt – brrrr! – und dann doch nachgeschlagen, was mein Duden dazu sagt und du hast recht, verdammt, wurde die neue Rechtschreibreform von Hornochsen gemacht?

Dir die (weitaus hübschere) Schreibweise „einzubleuen“ vorzuwerfen, floritiv, war wirklich fies von mir.
Ich kam mir dabei eh vor wie ein charakterloser, opportunistischer Verräter, wie ein elender, obrigkeitshöriger Wendehals, und tat es trotzdem, wahrscheinlich war’s eine Trotzreaktion auf deinen Text, so in der Art „wenn schon hinhauen, dann ordentlich …“

Einzubläuen - brrrr! Ja, auch mich fröstelt’s, wenn ich das lese …
Lass das einzubleuen stehen!

offshore

 
  • Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

* aus der Kreativwerkstatt nach Sonstige *
;)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo floritiv,

Stiefsöhne in Sonstige.
Ich konzentriere mich einzig auf die überarbeitete Fassung.
Da die Detailchecks bereits bei der Vorgängerversion vorgenommen wurden, gebe ich dir v.a. meine Eindrucksschilderung.

Mein Halbbruder Phillip lehnt gegen das Drahtgitter des Lüftungsschachtes und erwartet rauchend den Ausgang einer Wette. Daneben hockt Joris der Möchtegernfreund und nimmt ihm die Zigarette ab, zieht tief, hustet verhalten. Am Rand des Wohnhausdaches stehe übrigens ich, Joris der leibhaftige Trottel, Joris das wirkliche Weichei, und gedenke zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.

Wie ein Western-Cowboy gegen die Abendröte sieht Joris den Loser an, der vor der Gewitterfront mit dem krummen Rücken zu ihm steht. Der sein Selbstmitleid, seinen Weltschmerz auf den Feierabendverkehr gießt, die Menschheit von oben als Schimmelpilz betrachtet. Sie warten beide darauf, dass er springt. Die Polizei ist noch nicht da. Jeder sieht den doch und denkt, für so einen Versager ruft man sie gar nicht erst, der bringt es nicht, nachher heißt es noch Alarmierung aus Jux, ein saftiges Bußgeld, so etwas.
Du berichtest im Präsens. Das ist mMn eine gewöhnungsbedürftige Erzählzeit. Am besten geeignet für:
( ) Situation spielt in diesem Augenblick
( ) immerwährende/ -gültige Aussagen
( ) experimentelle Geschichten
( ) Bühnenstücke.
In allen anderen Fällen empfinde ich das Präteritum als lesefreundlicher.

Weshalb 2x Joris? Einmal als Ich-Erzähler und das andere Mal als Loser? Verstehe ich nicht.
Oder wechselt du die Perspektive? Also 1x Joris im Ich u. dann als Er?
Ist auf jeden Fall verwirrend, so wie es da steht

Leute stehen in einer Traube auf dem Bürgersteig und schauen zu mir empor. Ob sie es schaffen, dem spritzenden Fett auszuweichen?

Joris und Phillip nicken einander zu. Sie stehen auf und hängen sich ihre Luftgitarren um. Die dunklen Wolken über uns scheinen bei den ersten Akkorden zu erzittern.
Grollen.
»Spring, und sie wein’n dir nicht hinterher
Spring, und sie feiern doch nur noch mehr
Spring, du bekommst auch Applaus, jaaa—
Applaus für deinen Salto mortale ...«
Papa holte mich einmal mit dem Streifenwagen von der Schule ab, an meinem zwölften Geburtstag. Da lief dieser miserable Metalsong von Kassette, hin und wieder unterbrochen von Funksprüchen. Papa pfiff mit und ich versuchte vergeblich, meinem Befremden Belustigung unterzumischen.
Papa sah zu mir und zwinkerte. »Schon gut, nicht gerade was für'n Geburtstag, gell?«, sagte er, lachte und hieb mir fest auf die Schulter.
Ich fragte mich damals nicht, ob er bei dem Lied an Phillip dachte, so wenig er ihn ausstehen konnte. Stattdessen wunderte ich mich, dass er mich so von der Schule abholen durfte. Später erzählte er mir, sein Chef hätte beide Augen zugedrückt, es sich danach aber anders überlegt: die Beförderung kassiert, ihm eine disziplinarische Maßnahme aufgebrummt und seitdem wäre irgendwie alles auseinandergebrochen, »die übliche Familienscheiße halt – tschuldige«. Dabei hatte ich den Hörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt und traktierte die PC-Tastatur, um bei abgestelltem Ton irgendwelche Feindscharen zu verblutsumpfen.
- Warum miserabel?
- Kassette = Kassettenrekorder?
- Befremden: bei einem Jugendlichen?
- 3x Papa
- Feindscharen verblutsumpfen: hört sich gekünstelt an
- Diese Passage ist im Präteritum formuliert, da Rückblende. Okay

»... Spring doch, acht’ der Hölle
strenge Öffnungsstunden ...«
Mein Leben: fürs Ende prädestiniert. Schuld daran ist Karina. Dass sie mich ausgerechnet wegen Phillip verlassen hat, wollte ich eine Zeit lang nicht wahrhaben. Für sie ist der Schulhof eben auch nur ein Strich. Kann gern mein zerfetztes Hirn persönlich vom Gehsteig schrubben, mit einer Zahnbürste am besten.
»... Spring – Summer – Fall in Hell
Winter forever in Paaaradise ...«
Vor meinem Auge im Hinterkopf fliegt die Stahltür auf. Karina kommt wippenden Schrittes auf uns zu, jubelt, lacht, klatscht über dem Kopf wie auf einem Konzert. Doch als hätte sie den Ernst der Lage erkannt, schreit sie plötzlich dramatisch, klischeehaft und falsch: »NEIINN!! Joris! Spring nicht! Was sollte ich ohne dich nur machen? Ich liebe dich. Spring nicht«, fleht sie billig. Und setzt sich doch zu Phillip, der sie an sich zieht und ihr die Tränen von den Wangen leckt. »Bitte, geh da weg! Lass uns neu anfangen, spring nicht, ich liebe dich doch, ich liebe nur dich!«
Die ersten Tropfen fallen, über den Dächern zucken vereinzelt Blitze. Karina trägt nur noch Socken. Diese Schlampe lässt sich doch tatsächlich stechen, federt in verdammter Anmut auf und ab. »Spring nicht!«, ruft sie, »Spring nicht!«, stöhnt sie, »Springicht! Springicht! Springich!, aah, oh hmm, hspringch!, hsprngch!, hschrngch! –«

Eine heftige Böe fegt mich beinahe vom Dach. Ich wende den Kopf und sehe Phillip kühl an.
*
- Vor meinem Auge im Hinterkopf: innerem Auge (?)
- sollte (in direkter Rede?). Besser: soll
- billig flehen (?)

Justus hat es schon immer gewusst. Phillip wird seinen Sohn verderben. Wird Joris irgendwann ...
»Hier EK19-A, ich wiederhole: Ich interveniere am Mann, gehe aufs Dach, verstanden?«
Die Tachonadel wischt über die Neunzig, die Sirene vor ihnen scheucht die Autos beiseite.
»Verstanden. Zivil 2, Sie alle bleiben unten und quatschen dem Lebensmüden gut zu. Der Funkwagen fährt weiter und meldet sich wieder bereit.«
»Du«, meint Justus zum Kollegen am Steuer, »hak dich doch mit der Stoßstange ein bei uns'rem Vordermann.«
»Ja, willst du, dass sich einer zwischenschiebt? Ich fahr, du funkst, gleich ersaufen wir sowieso ...«
Justus hasst diese Mischung aus Erleichterung und Furcht. Hat er es nicht gewusst? Nein, sagt er sich, sagt es sich demonstrativ. Er hatte die Gelegenheit genutzt, einfach mal den Kurs zur psychosozialen Notfallhilfe absolviert, eine gute Tat fürs Weiterbildungskonto, nichts weiter.
Jetzt wird aus der Perspektive des Kollegen Justus erzählt. Das ist mitunter verwirrend für den Leser.
Wer rettet nun, und wer fährt gerade Auto?

»Dass Sie es können, weiß ich, aber es wäre mir lieber, wenn ein Unbeteiligter dahinauf geht, falls ... ja, falls eben.«
»Prima, trinken wir am besten noch ein Tässchen Kaffee, bis sich ein Psychiater in die Spur setzt. Joris und Phillip sind nur zwei von fünfzig, sechzig Kindern in dem ganzen Block, und wenn die eines nicht machen, dann so was!« Eine Lüge, wird sich Justus nun klar. Wenn dieser Einsatz mal nicht sein allerletzter ist.
Die Kilian hob die Brauen. »Lassen Sie wenigstens Ihre Dienstwaffe hier, diesmal, das ist nur ein Suizid.« – Denn du weißt aus Erfahrung, das wäre besser so.
»Was, wenn ein Überredungskünstler auf dem Dach ist? Außerdem weiß ich aus Erfahrung, dass es nicht falsch ist, Dienstvorschriften zu beachten. Die Waffe steck ich in den Innenbund, so.«
»Ts, Überredungskünstler ...«
- dahinauf (?)
Merkwürdiger Dialog

Er nimmt frühzeitig das Blaulicht vom Dach, noch bevor sie in die Parkgasse des Blocks einbiegen, und spürt ein wenig Genugtuung, dass er sich bei der Einsatzbesprechung durchgesetzt hat. Dem Leiterfahrzeug der Feuerwehr stünden allerhand Autos im Weg und Platz für einen Sprungteppich – Fehlanzeige. Ein flaues Gefühl breitet sich in seinem Magen aus. Die Türen haben mittlerweile engmaschige Gitter bekommen, aber schon längst kein Glas mehr.
Im Treppenhaus stinkt wie üblich Kerberos’ Kot aus irgendeiner Ecke, die Steinplatten kleben. Justus würgt, geht hindurch, am ständig kaputten Aufzug vorbei, mit schmatzenden Schritten sowie der klammen Ahnung, dass das Megafon der Kollegen für diese Höhe zu schwach ist, und das bei diesem Wetter, Jungs, vergesst das mit dem Hinhalten.
*
- Was ist eine Parkgasse des Blocks?
- Leiterfahrzeug: heißen die Dinger tatsächlich so?
- Kerberos‘ Kot: wer o. was ist das? Ein Höllenhund?
- Megafone zu schwach: wie hoch soll das Haus sein? 30 Stockwerke?

Wär Karina doch von Anfang an nur Einbildung gewesen, nur ein Pin-up am Kleiderschrank! Dicke Tropfen platschen auf den Teer. Phillip steht auf, ich gehe langsam auf ihn zu. Er knackt mit den Fingergelenken, bereit zu einem Angriff, doch da ist Joris der Möchtelieberfeind längst bei ihm. Mit einer Kraft, wie sie Phillip bei ihm nie für möglich gehalten hätte, stößt er ihn zu Boden. Kniet sich auf ihn nieder, rammt die Fäuste in sein Staunen, bekommt jeden Schlag von Blitz und Donner untermalt. Joris ist in einer sonderbaren Trance. Jetzt hat er es in der Hand, er hat die Macht. Er wundert sich, dass es so schön leicht geht, so mechanisch und servogelenkt. Wieso hat er es nicht schon früher versucht, es Phillip heimzuzahlen, ihm zu zeigen, dass er kein verhätscheltes Nesthäkchen war, mit dem »Phillip der Erste« umspringen konnte nach Lust und Laune, gewisse Spiele spielen konnte unter brüderlichem Geheimhaltungseid, dem sogenannten »Indianerehrenwort«? Ihm einzuhämmern, dass er nicht alles mit sich machen lässt, er, wenn auch polizeiväterliches Erziehungsprojekt unter dem Motto »Liebevoll und gewaltfrei erzogen wird eben niemand zum Verbrecher, sieh doch hin, Juliane!«, Papas »eigen Fleisch und Blut« und dann trotzdem allein. Dass Phillip sich seine Eifersucht, seinen Neid oder was auch immer sonst wohin stecken soll. Joris, ja, gib es ihm, Papa wird ganz bestimmt stolz auf dich sein und Mama wird bloß wieder weinen.
Jetzt erzählst du wiederum von Joris in der dritten Person.

»Weißt du, Alter«, rufe ich im Takt gedachter Hiebe, »mein – Vater – hätte wirk–lich ab–drücken sol–len!«
Phillip spitzt die Lippen, als wolle er mir Rauch ins Gesicht blasen, und schnippt die nasse Zigarette weg. »Wer hat ihn denn damals daran gehindert, hä? Bist nicht nur so ’ne Memme wie der, zu feige für diese Scheißwelt, bist auch noch zu fett für den Wind! Da muss ich wohl nachhelfen, dreh dich um, da geht’s lang!«
Er schiebt mich unter Aufgebot all seiner mickrigen Kräfte zur Kante. Und hat recht. Manchmal ist er nett. Ich nehme das Angebot an, fresse es, ja, zerre es ihm aus den Fingern. Renne los, ziehe ihn zur Kante und sehe zu, dass er nicht genau hinter mir ist. Dann schleudere ich meinen Arm vor wie ein Olympionike beim Diskuswurf. Nennt mich Meister im Versagen! Dem nassen Metallgitter sei Dank gleite ich seitwärts weg und knalle mit der Stirn voll gegen das Simsblech. Etwas stößt mich gegen den Fußknöchel und ich höre quietschende Stahlscharniere, das heißt, ein irgendwie mehrstimmiges Nein in die Tiefe stürzen …
*
Was ist da nur los? Ich verstehe mittlerweile bloß Bahnhof bzw. weiß überhaupt nicht mehr, wer nun wen gerade verprügelt oder springen will/ soll

»Der Suizid ist weg vom Rand, komm runter, das Haus hat schon einen Blitzableiter«, hört Justus ein paar Treppen tiefer über Funk. Umso schneller jagt er die Stufen hinauf. Hechtet durch die aufgebrochene Tür zum Dach und — sieht erstarrt, was einfach nicht sein kann.

Aus dem Funkgerät dringt lautes Knistern und Knacksen, Stimmen, unverständliche Worte. Sein Sohn kniet vor dem Rand und schaut hinunter.
»Joris ...«
Der blickt auf, wie durch ihn hindurch, stumm formen seine Lippen »P–p–«. Nein, soll er ihn doch fortan besser Justus nennen oder gar ›Stiefel‹, womit Phillip zuverlässig Ohrfeigen provozierte.
Der Suizid: sagt man das so zu einem potenziellen Selbstmörder?


Floritiv, du spielst in dieser Geschichte mit zwei Zeitebenen und wählst unterschiedliche Perspektiven. Erzähler 1x im Ich, schwenkst dann zum Prota in 3-ter Person. Berichtest abwechselnd aus Joris und Justus Blickwinkel. Und dadurch wird die kleine Geschichte (zu?) kompliziert. Am Ende ist auf jeden Fall jemand vom Dach gesprungen (o. gestürzt? Also eher versehentlich). Keine Ahnung.

Die Dialoge sind nicht so meins. Kann mir nicht vorstellen, dass sich Profis bei einem Einsatz so unterhalten. Das ist aber Geschmackssache. Als Autor stehst du ja nicht mit dem Diktafon daneben, sondern lässt die Darsteller gem. deiner Fantasie reden.

Aus meiner Beobachtung heraus gehen Versuche mit unterschiedlichen Zeiten u. wechselnden Perspektiven häufig schief. Der Autor freut sich zwar über sein Experiment, beim Leser hinterlässt der Text dann aber unnötige Verwirrung. So geht es jedenfalls mir bei dieser Story.:
( ) wer erzählt?
( ) wer ist überhaupt wer?
( ) Philipp als Halbbruder o. Vater?
( ) falls Halbbruder bzw. Stiefsöhne: von verschiedenen Müttern?
( ) wer springt bzw. fällt vom Dach?
( ) was hat Justus mit der ganzen Sache zu tun?

Es handelt sich schließlich – aus meiner Brille als Leser – um eine Geschichte u. nicht ein Rätsel. Von daher lässt mich die Story am Ende etwas unbefriedigt im Regen stehen. Sorry.

Wünsche dir ein schönes WE und Gruß, sinuhe

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo floritiv

Warum nimmst du an, dass Joris seinen Halbbruder erschossen hat, wenn doch der Vater die Waffe gegen ihn erhob, aber nicht abdrückte? Versteh mich nicht falsch, gerne akzeptiere ich natürlich Deutungen, die meiner Erzählabsicht zuwiderlaufen. Wenn es aber konkrete Stellen im Text gibt, die deine Deutung nahelegen, dann möchte ich schon schauen, ob ich diese »auf Linie« bringen kann.

Ja warum bin ich darauf gekommen? Meine Lesart, deinen Text zu verstehen, wird mich dazu verleitet haben. Hauptsächlich bin ich darauf gekommen, weil du den Joris parallel als Ich -Erzähler auftreten lässt. Ich vermutete eine Erinnerung -eine Dissoziation, etwas Psychologisches eben halt, Traumaerfahrungen. Anschließend wird durch eine Überblendung in einen andere Umgebung ( vor dem PC?) wieder retrospektiv erzählt, als Joris im Polizeiwagen von seinem Vater abgeholt wurde, als er 12 war. Und sein Vater anschließend seine Beförderung abschreiben konnte. Es wird ein Sinneswandel des Vorgesetzten beschrieben. Was den Sinneswandel verursacht hat, steht nicht im Text. Vieles wird nur angedeutet. Warum wird mir dies und jenes Detail erzählt? Was wird angedeutet? Wozu die Überblenden. Sollen sie das konfuse Denken eines Verzweifelten wiedergeben. Woran wird gezweifelt? Dazu habe ich mir in meiner Lesart Gedanken gemacht und Lücken des Textes gefüllt. Das Risiko, falsch verstanden zu haben, ist recht hoch, und hat sicherlich auch abhängig davon, wie und worauf der Leser die Lücken füllt, wenn der Text Lücken hinterlässt.

Mit der 2. Version bin ich übrigens keinen Deut schlauer geworden :D

LG
GD

 
  • Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

Lieber sinuhe,

deine Kritik lässt mich wiederum etwas ratlos zurück. Einige Detailanmerkungen sind richtig und ich werde sie berücksichtigen, vielen Dank dafür. Die Punkte, die du aufgezählt hast, um dein Unverständnis zu erläutern, nehme ich dagegen gern zur Kenntnis – zumindest aus dem Stand habe ich leider keine Idee, wie ich sie umsetzen könnte, also in einer Weise, dass die Geschichte besser wird, ohne zugleich ihre Stärken zu verlieren: Kürze, Prägnanz und stilistische Schroffheit. Was diese Stärken betrifft, scheint mir mittlerweile im Licht der Mehrzahl der bisher vorliegenden Kritiken, bin ich über das Ziel hinausgeschossen, »Stärke« ist da tendenziell bloß Wunschdenken. Insofern bin ich es, der sorry sagen sollte um die aufgewandte Lesezeit; eine Eingangsbemerkung von wegen »Achtung, dieser Text fordert hohe Aufmerksamkeit, vielleicht mehr, als er verdient, aber das weiß man erst im Nachhinein« würde indes bestimmt nicht überleben, das Publikum nur verjagen.
Einen experimentellen Charakter kann ich nicht leugnen, zum Glück ist damit nach deiner Darlegung wenigstens das Präsens berechtigt. :D

»dahinauf« ist von der Rechtschreibung her übrigens richtig, hab es extra nachgeschlagen. Ändere ich aber zu »aufs Dach«, denn dahinauf klingt so nach Alpengipfel.

EDIT

  • Befremden entfernt, sinuhe hat recht, das Wort ist recht literarisch und nicht für die wörtliche Rede eines Jugendlichen geeignet.
  • einmal weniger Papa. Habe auch überlegt, das zweitere durch »mein Vater« zu ersetzen, aber … ne, nicht wirklich. Und noch mal »er« würde vielleicht gehen, wenn da kein Absatz wär, aber auf den lege ich wert.
  • sollte →soll, schon recht, auch wenn Joris noch nicht gesprungen ist.
  • dahinauf – aufs Dach.
Die anderen Punkte in sinuhes Kritik habe ich zur Kenntnis genommen, aber nicht umgesetzt. Außerdem habe ich den imaginären Joris weiter herausgestellt, regelmäßig durch den Marker Möchtegern- (zum Schluss Möchtelieber-). Damit wollte ich auch Phillips Phasen nachzeichnen und welche Rolle Joris jeweils dabei spielte. Nun sollte das Verhältnis zwischen dem Ich-Joris und dem Er-Joris eigentlich spätestens mit dem zweiten Lesen klar werden (und ich hoffe, der Text ermutigt dazu beim ersten). Bei wem nicht, liegt es entweder daran, dass der Text es nicht schafft, den Leser zu der nötigen Aufmerksamkeit anzuhalten, oder daran, dass er immer noch zu kompliziert ist. Das nehme ich für meine Folgeprojekte mit: nicht mit der Perspektive und den Zeitebenen gleichzeitig zu jonglieren, da ist der Leserball der erste, der auf dem Boden landet.


Liebe Goldene Dame,

Danke für deine nochmalige Zuwortmeldung. Schade, dass meine Änderungen an der Geschichte dir keine Klarheit schaffen. Allerdings möchte ich dir in einem Punkt »widersprechen« (als ob das der Geschichte helfen würde): Es steht drin, dass Justus bei seinem vorigen Vorgesetzten die Erlaubnis eingeholt hat, seinen Sohn mit einer Streife abzuholen, einfach mal so, als Geburtstagsgeschenk. Hernach konnte er sich aber immer noch auf Bestimmungen berufen und ihm einen Strick daraus drehen, einfach mal so. Reine Schikane mit Folgen.

Das Risiko, falsch verstanden zu haben, ist recht hoch, und hat sicherlich auch abhängig davon, wie und worauf der Leser die Lücken füllt, wenn der Text Lücken hinterlässt.
Das nehm ich jetzt einfach mal hin, also für mich mit. Ich war am Ende so überzeugt respektive betriebserblindet von dem Text, das ist ein Grund, warum ich ihn eingestellt habe. Mein Vorhaben, ihn länger ruhen zu lassen, hat das Maskenballprojekt vereitelt. Aber ich witterte auch Probleme, irgendetwas stimmt nicht mit ihm, ich war scharf auf offene Meinungen und mich hat in der Tat überrascht, dass diese Probleme so gravierend sind.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ich hier den Stoff für eine Nouvelle verkannt habe als einen Stoff für eine Kurzgeschichte, oder vielmehr hatte ich die Nouvelle im Kopf und habe sie brutal auf das Essentielle zusammengestrichen, weil ich darin irrte, dass sie sich der gemeine Leser den Rest hinzudenken kann. Der Perspektivenwechsel, die Trennung einer Figur in einen »realen« und eine »imaginären« Teil (beide Teile in der Überarbeitung minimalinvasiv deutlicher unterschieden), das ist auf so einem kleinen Raum nur was für wenige Hartgesottene, die sich in einen Text regelrecht verbeißen können, welche wie Alexander Schuchmann, wie es scheint.

Eigentlich, denke ich mir so, hätte ich den Leser allmählich daran gewöhnen müssen, anhand von mehreren Episoden, eine stärker als die andere, dazwischen Verschnaufphasen nach stinknormaler, nüchterner Erzählschule. Bin mit dem Showdown quasi mit der Tür ins Haus gefallen, kann's sein?


Viele Grüße,
-- floritiv

PS: Weitere Kritik oder kurze Meinungsbilder zur nochmals überarbeiteten Fassung↑ sind willkommen. Mich würde interessieren, bei wem der Text funktioniert und bei wem nicht, aber vor allem warum, wenn ihr’s sagen könnt. So kann ich die Geschichte weiter verbessern, noch ist er nicht final. Einfacher Dank oder – auf Wunsch – Rechtfertigungen kommen übrigens per PN.

 

Guten Abend floritiv,

die Geschichte liest sich für mich der Überarbeitung besser. Zum einen hast du stilistisch einige Änderungen vorgenommen, zum anderen werden mir die abrupten Perspektivwechsel nun klarer. Was aber natürlich ebenfalls daran liegt, dass ich deine Antworten auf die Kommentare studiert habe und nun eben weiß, wer wann wo steht, redet, fährt, springt etc.

Ich bleibe bei meiner Behauptung von vorgestern: (zu) viele Zeit- und Perspektivwechsel verwirren den Leser. Ich habe mal die (experimentelle) Geschichte eines jungen Autors kommentiert, die der collagenartig aufgebaut hatte. Lauter fünf- bis zehnzeilige Schnipsel hintereinander geklebt. Ihm hatte die Produktion dieses Textes großen Spaß bereitet. Für denjenigen, der die Story nachher lesen, verstehen und analysieren sollte, bedeutete es hingegen Arbeit, sich durch die KG durchzumanövrieren. Von daher bin ich weiterhin zweifelhaft, ob die Sprünge in Zeit und Blickwinkel vom Leser goutiert werden. Nur Zeit wäre okay; einzig Blickwinkel ebenfalls in Ordnung. Aber beide auf der Wegstrecke einer KG zu verändern? Kann man machen (du hast es ja getan); aber der Autor darf sich nachher nicht wundern, wenn der Leser ihm als Rückmeldung gibt: verstehe den Text nicht so richtig.

Von daher wäre die Geschichte vermutlich in Experimente besser aufgehoben als in Sonstige. Denn in der zweitgenannten Rubrik erwarte ich eher „normale“ Stories, die halt thematisch nicht eindeutig zuzuordnen sind. Während ich in Experimentell auf KGen vorbereitet bin, bei denen der Versuchscharakter im Vordergrund steht. Und nicht so sehr der Inhalt. Denn die Geschichte der beiden Brüder hättest du mMn ebenfalls in herkömmlicher Weise – also ohne die vielen Wechsel – erzählen können.

Ich habe heute den Dracula von Bram Stoker beendet. Da wird ebenfalls oft die Perspektive verändert. Allerdings steht über jedem Kapitel drüber, wer berichtet (und an welchem Tag). Würde mich der Autor darüber im Unklaren lassen, hätte ich nach spätestens dreißig Seiten abgebrochen, weil ich dann nicht mehr wüsste, wer mir jetzt was – und in welchem Augenblick – erzählt. Von daher sollte man mit den Wechseln der Blickwinkel vorsichtig umgehen und sie sparsam einsetzen.

Deine Geschichte ist so, wie sie jetzt vor mir steht, völlig in Ordnung. Weitere Korrekturen brauchst du für mein Dafürhalten daran nicht mehr vorzunehmen. Ist eben ein Experiment gewesen. Beim nächsten Mal erzählst du wieder von Anfang bis Ende, wie das die meisten von uns tun. Und zwar aus dem Hauptgrund heraus, dass der Leser dem Handlungsaufbau möglichst störungsfrei folgen möchte.

Wünsche dir einen schönen Abend und vg, sinuhe

 

Hallo floritiv, die dritte Version bestätigt mir, dass ich mit der Annahme, Phillip sei auf dem Dach nicht existent, richtig war. Allerdings vermutete ich, dass Joris auf dem Dach nur dissoziiert, weil er ein Trauma um einen tatsächlich existierenden Phillip nach erlebt. Der neue Schluss impliziert, dass Phillip und Joris eine Person sind. Quasi wie eine gespaltene Persönlichkeit. Oft verwechselt mit Schizophrenie. An welcher Krankheit leidet der Junge denn nun? An Wahnvorstellungen, oder an einer Identitätsstörung? Jedenfalls ist die Vorstellung einer gespaltenenen Person bei Schizophrenie falsch. Ich glaube auch, dass literarisch das Krankheitsbild nicht über eine Kurzgeschichte abgehandelt werden kann. Ich kenne einen Jugendroman, Feuer im Kopf, da wird die Schizophrenie thematisiert. Den Roman finde ich sehr gelungen. Deine erste Idee, eine Novelle zu schreiben, denke ich, ist besser, als das Thema in einer KG zu verarbeiten. LG, GD

 

Hallo floritiv

Da dein Name unter dem Titelbalken prangte, wurde ich neugierig und liess mich darauf ein. Es wurde mir ein etwas verwirrendes Spiel, Verhaltensweisen wie sie mir unter Halbwüchsigen durchaus denkbar scheinen, doch nicht immer einfach, die Versatzstücke klar zu deuten. Die Denkweise wirkte mir plausibel, wenngleich es mich an einigen Stellen zögern liess, die Sätze und die Handlungen in plastisch wirkende Bilder übersetzend.

Erschwerend waren mir die Szenenwechsel, welche sich miteinander verstrickten, die Unmittelbarkeit der Gedanken des Prot. ausdrückend, doch auch jene des Vaters miteingewoben.

Ob sie es schaffen, dem spritzenden Fett auszuweichen?

Unwirklich schien mir dieser Gedankengang von Joris, seinen zerplatzenden Körper als spritzendes Fett ausdrückend, da entfernt er sich unnötig von der Realität.

Beinah makaber aber gut offeriert sich der Songtext zur Szene, wobei ich meinte, da eine Dissonanz zu hören, als erklang:

strenge Öffnungsstunden ...«

Hier hätte ich dem Texter des Liedes Öffnungszeiten nahegelegt. Die Metalfans werden mich dafür vielleicht in Gedanken zerfetzen oder mich fiktiv vom Dach stossen, dennoch meine ich es klinge natürlicher.

Karina trägt nur noch Socken. Direkt vor meinem Auge im Hinterkopf lässt sich die Schlampe stechen, federt in verdammter Anmut auf und ab, auf und ab. »Spring nicht!«, ruft sie, »Spring nicht!«, stöhnt sie, »Springicht! Springicht! Springich, aah, oh hmm, hspringch, hsprngch, hschrngch –«

Diese Fantasie von Joris in ihrer ganzen Steigerungsform zeugt von akribischem Herangehen des Autors an das Thema. Er schöpft die Verwirrtheit des Jungen aus, lässt ihn Leiden, das Spiel in masochistischen Facetten auf die Spitze treiben, und wieder zurück, wie sein kühler Blick auf Phillip zeigt.

Etwas stößt mich gegen den Fußknöchel und ich höre einen Schrei in die Tiefe stürzen.

Noch ein letzter Schreck für den Leser, bevor sich die Szenerie dann in einem erlösend kindlichen Ausruf auflöst.

Auch nach dem Niederschreiben meiner Eindrücke will sich mir nicht volle Klarheit einstellen, wie ich es für mich werte. Es geht davon eine Faszination aus, doch ist es wie eine Aufführung modernen Theaters, die Fülle der aufgetretenen Bilder sind erdrückend, doch fassbar wird es nur schwer.

Mit Interesse gelesen.

Schöne Grüsse

Anakreon

 
  • Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:
Zuletzt von einem Teammitglied bearbeitet:

Liebe Goldene Dame,

hm, wenn dir zufällig eine Idee, oder besser: Denkanstöße für mich, über den Weg laufen sollten, wie ich Phillip etwas »existenter« ;) machen kann: gerne immer her damit, bitte, vielleicht sehe ich ja dann, wo genau der Hase im Pfeffer liegt zwischen dir als Leserin und meiner Geschichte. Ich schaue dann, ob ich dem Text damit was gutes tun kann unterm Strich.

Was du zur Schizophrenie sagst, ist richtig. Hatte in Bio-LK glaube ich mal ein Referat darüber gehalten, mich darüberhinausgehend aber nicht so beschäftigt.
Was ich hier darstellen wollte, ist auch keine echte, schizoide Dissoziation im engeren Sinne, vielmehr eine extreme psychische Anspannung gepaart mit einer starken Phantasie, die Tagträume gehen mit Joris durch. Vielleicht ist das etwas übertrieben dargestellt, will fast behaupten, expressionistisch. In der Realität habe ich das bei mir noch nicht erlebt, dass ich mich in der dritten Person erlebt habe. Die sogenannte Out-of-body-experience gehört dennoch zu den am häufigsten berichteten Nahtoderfahrungen. Wobei ich nicht sagen will, dass ich diesen Zusammenhang hier herstellen wollte, aber so im Nachhinein betrachtet, doch, hat was.


Lieber Anakreon,

vielen Dank für deinen Kommentar. Ich freue mich, dass du von dem Text anscheinend mehr hattest als leider der überwiegende Teil der bisherigen Kommentatoren.

Ja, sich auf spritzendes Fett zu reduzieren ist schon recht grenzwertig, da muss man schon – ich benutz mal dieses ulkige Assiwort – krass abgedreht sein. Ach, wollte mich ja nicht rechtfertigen, schon vergessen.

An deinen Zitaten ersehe ich, dass du die ursprüngliche Version gelesen haben musst. Eben dort, in der rechten oberen Ecke, habe ich die aktuelle, überarbeitete Fassung verlinkt, vielleicht hast du den Link nur übersehen. Vielleicht magst du diese Version ja noch lesen, auf dass sie dir Klarheit verschaffe.

(Hm, am besten ich mach den Hinweis rot. Immer blöd, wenn man von so Schnapsideen nicht wegkommt, neue Fassungen im selben Thread zu posten, wer macht denn sowas ... :D)


Viele Grüße,
-- floritiv.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom