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Sternennebelnacht

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19.05.2015
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Sternennebelnacht

Ganz still liege ich auf dem Alptraumlaken, nackt und bloß. Ich fröstle, streiche den Schweiß glatt, halte die Augen fest geschlossen, um nach den Stimmen zu suchen, den Erinnerungen, die in mir toben, den guten, schönen zuallererst, finde Bruchstücke von Frühlingstagen und den Schreckenssturm des letzten Jahres. Der Duft der Fliederbüsche vor dem Haus dringt mir in die Nase. Amseln schwatzen miteinander. Ich müsste die Augen öffnen, die angsttränendurchtränkte Decke suchen, wage es aber nicht.
Meine Öffnung, die Scham zwischen den Beinen, kocht, redet mit mir, will mir trotz allem zurufen, dass ich lebe. Ich vergrabe mich tief in ihr, während ich Gedankensplitter zusammensetze, seufze, recke mich ihr entgegen, arbeite mit den Fingern an und in mir, will mich spüren, sacke auf das Kissen zurück, als ich es endlich geschafft habe. Dann öffne ich die Augen und sehe ihn. Das Urlaubsbild auf der Kommode, Karibikglück, erst zwei Jahre her, auf dem wir uns glückstrunken der Kamera entgegenrecken. Peters Augen wirken auf dem Foto wie graugrüne Lichtquellen. Jetzt besucht er mich in der Nacht als Geist und er sieht ganz grässlich rot aus, im Gesicht, selbst in den Augen. Ich frage mich, ob ich das Foto in der Schublade vergraben soll. Ich müsste aufstehen.

Warum hast du dich nicht verabschiedet, keinen Kuss, nichts, frage ich ihn.
Ich ahnte nichts, es geschah ohne Vorwarnung.
Mit dem Tod muss man immer rechnen, Peter!
Ein Unfall, Valerie, ein Unfall, kein einfacher Tod, das weiß man vorher nicht.
Du hast mich nicht umarmt, du hast mich überhaupt nie gern berührt.
Ich konnte nicht. Etwas hat mich abgehalten.
Und was?
Du bist so schön. Vielleicht deswegen.
Du hättest es sagen müssen.
Ja.
Und jetzt bist du seit einem halben Jahr weg.
Ich besuche dich in den Träumen.
Das reicht nicht. Ich bin so allein.

Peters Anwesenheit erschüttert, verwirrt, beseelt mich. Dennoch fühlt sich mein Kopf jedes Mal wie ein Kürbis an, der aus der Erde schwillt und nie zu wachsen aufhört, die Augen als wollten sie sich in die Höhlen versenken. Im Spiegel sehe ich ein Monster, eine Maske. Ich muss die Härchen der Augenbrauen kürzen, ausreißen, vielleicht alle entfernen und einen geschwungenen Bogen tätowieren lassen, überhaupt die ganze Erscheinung verändern, muss dringend zur Kosmetikerin, heute noch. Im Schrank suche ich nach den Manolo-Heels, dem Latex-Suit, den Halterlosen, nach all dem, was ich getragen habe, um ihn und mich selbst zu verführen.
Barfuß schleiche ich über das Parkett. Ich fröstle. Gänsehaut breitet sich aus. Auch die Härchen zwischen den Beinen werde ich mir heute entfernen lassen. Ich wärme mich an dem Wodka, den ich mir in den lauen Kaffee schütte, nehme das Telefon und vereinbare einen Termin. Ich denke pausenlos an Sex, jede Faser, jede einzelne Zelle schreit danach. Alles überwältigend muss es sich anfühlen, mich ganz ausfüllen. Vielleicht sollte ich mir eine Arbeit suchen, irgendetwas, das mich beschäftigt, Kollegen, deren Sorgen und Glück sich jeden einzelnen Tag in die Gesichter gräbt, ohne dass sie es wahrnehmen. Eine öde, vollkommen bedeutungslose Arbeit, am besten in einer Fabrik, das hat etwas Meditatives, eine innere Schönheit, und ließe die Zeit sanduhrenmäßig verrinnen. Frühmorgens zöge ich los, bei Dunkelheit käme ich nach Hause und die Wehmut hätte keine Zeit, sich aus ihrem Versteck zu wagen.
Ich klappe das Macbook auf, warte bis der Desktop erscheint, der gelbrote Herbstwaldhintergrund aufklart, die Steingipfel erscheinen, rufe die Seite auf, ein Anzeigenmarktplatz, wo man eine Putzfrau, einen Handwerker oder eine Affäre suchen kann und fange an zu schreiben.
Ich brauche es heute Nacht. Du kannst mich hart rannehmen, wenn du ein gepflegter Gentleman bist. Bedingungen: keine Namen, Treffen draußen. Du wirst es nicht bereuen. Ich bin attraktiv, meine Haut ist weich. Ich rieche und schmecke gut, bin kein Fake und nehme kein Geld.

Anfangs beschäftigte ich mich, hörte dem Pochen zu, das meinen Bauch durchtobte, den Geigen, die meine Herzblutbahnen füllten, las alle Bücher, die ich nie lesen wollte, kaufte Kleider, rote, schwarze, kurze, lange, ging spazieren, bis ich alle Waldwege kannte, warf mein Smartphone weg, damit keiner mich erreichte, legte die Briefe sorgsam in die Schublade der Frisierkommode, vor der ich mein Haar kämmte, das Gesicht beim Faltensammeln beobachtete.

Ein Nebel aus Traum- und Angstillusionen legte sich über Schattennächte, die sich endlos fortsetzten, bis du anfingst, mit mir zu sprechen.
Wie ist es dort, wo du bist?
Dunkel, sehr dunkel, rot wie der Rothko im Arbeitszimmer. Aber das macht nichts, das ist nicht das Schlimmste.
Warum?
Ich schließe die Augen, schlüpfe durch die Nacht, gehe unter frühlingsblauem Himmel spazieren, höre den Vögeln zu, betrachte die Blumen, die Kinder, flattere mit den Schmetterlingen und lasse mich im Wind treiben.
Das klingt so schön und einfach.
Dennoch fehlst du mir.
Immerhin reden wir miteinander.
Ja.

Die ersten Nachrichten treffen ein. Ich setze mich an den Schreibtisch, spiele mit Peters Füllfederhalter, frage mich, warum er mit schwarzer Tinte geschrieben hat, lasse ihn durch die Finger gleiten, erschnüffle die Reste des Bergamotte-Zitronen-Rasierwassers, das ich ihm geschenkt habe. Dann sortiere ich die Mails. Einige lösche ich sofort, so dumm, dreist, gierig, klingen die Sätze. Geile Schlampe, Sau, lese ich zitternd. Ein fauliger Geschmack breitet sich im Mund aus. Was habe ich erwartet? Ich beschäftige mich, bevor ich zur Enthaarung fahre, schneide die Triebe der Rosenstöcke, streichle an den Stängeln entlang, wässere die Blumen, den Rasen, atme die feuchte Erde, und versuche den Kopf zu leeren, den Dämonen zu entfliehen. Mein Blick streift die leeren Amselnester zwischen dem Efeu, der sich an der Wand rankt.
Die Kosmetikerin begrüßt mich mit Wangenküssen. Ihre Locken streicheln mein Gesicht. Sie riecht nach Aprikosen. Ihre Spinnenfinger fühlen sich wächsern an. Im Hintergrund läuft zarte Musik. Sie salbt, behandelt mich, sucht nach Unreinheiten, gleitet federnd über die Haut. Ich öffne mich. Sie entfernt die Haare, befreit mich.

Du siehst wie ein Engel aus, höre ich Peter sagen.
Ich habe die Anzeige aufgegeben.
Und?
Frag nicht, Peter! Du darfst mich nicht mehr so oft besuchen.
Ich muss.

Ich stehe auf, blättere Geldscheine auf den Tisch und verabschiede mich. Die Hitze glüht auf der Straße. Das Verdeck surrt vertraut, Scharniere knacken. Staub weht ins Auto. Die Sonne brennt sich auf die Stirn. Zu Hause finde ich weitere Mails. Bis auf eine lösche ich alle. Er nennt sich Jakob.
Sehr geehrte Unbekannte. Dominanter Gentleman möchte mit dir der Lust Flügel verleihen. Ich bin attraktiv und gepflegt, habe Zeit in der Nacht und freue mich auf deine Nachricht.
Ich schreibe ihm, bitte ihn um ein Bild, denke nach, weiß nicht, wie weit ich gehen soll. Dennoch gebe ich ihm die Belle-de-Nuit-Nummer der SIM-Karte, die ich besorgt habe.

Die Nacht wird warm. Ich kenne einen Ort, wo wir ungestört bleiben. Eine Gartensiedlung, schreibt er mir.
Ich will dich vorher beschnuppern.
In der Nähe ist eine Tankstelle. Dort können wir uns treffen.
Wir reden nichts. Und wenn du mir gefällst, komme ich mit. Welches Auto fährst du?
BMW.

Peters Traumweltzimmer liegt im hinteren Teil des Hauses, von der Sonne, vom Garten abgewandt. Die Tür steht offen. Sie blieb verschlossen, wenn er sich dort vergrub, sodass ich den Dielenbrettern zuhören musste, wenn er sich drinnen bewegte. Wahrscheinlich tanzte er, so rhythmisch klang es, wenn er auf und ab ging und ich, ich hörte einfach zu, fragte nicht, was und wie und warum. An den Wänden hängen Gemälde, Reproduktionen, Fälschungen eines Kopisten, keine Drucke, echte Farben. Über und untereinander, ein Mosaik ohne Zwischenraum, Rahmen an Rahmen, ohne erkennbare Ordnung, Farbenmeere neben Strichfantasien, Stillleben oder Fantasiegestalten, Van Eyck neben Kandinsky, Cezanne oder Picasso, zentral ein herzblutroter Rothko, den Peter besonders liebte. Das Bild strahle Energie ab, sagte er. Hier liebten wir uns, sobald sich die Tür öffnete. Nie an einem anderen Ort, nie im Schlafzimmer, nie zart. Die Bilder beobachteten uns dabei und bewahren seither Küsse und Umarmungen im Glanz ihrer Farben und tanzen mit den Erinnerungen, wie ich.
Wir folgten einem Ritual. Peter riss mich an sich, saugte sich fest, entkleidete mich, ein Kleidungsstück nach dem anderen, ganz langsam. Ich stellte mich an die Bilderwand, spreizte die Beine, bot mich an, verschränkte die Arme hinter dem Kopf, sog die Luft auf, füllte meine Lungen, mein Herz, mit Peters Nähe, bis er über mich herfiel. Wie viele Ewigkeiten ist das her? Die Sonnenjahre mit dir, Ferien voller Schweiß, Arbeitstage, die nach Minuten verstrichen, weil du mein Herz in der Nacht so sehr gesättigt hast. Unsere Liebe war ein trunkenes Meer, prall, hautfarben, lüstern, leicht. Erst jetzt verstehe ich, dass du dich auf ewig in meine Seele einbrennen wolltest. Von Anfang an.

Peter besucht mich nicht, bevor ich losfahre. Ich esse Lamm und Gemüse, trinke Riesling, der Quitten- und Zitrusfrüchteduft verströmt. Der Abend vergeht langsam, bedächtig, als wolle die Zeit selbst sich beruhigen. Ich höre Radiomusik, Salsa, Charts, fröhliche Sprecher, die den Sommerabend feiern, träume von sommerwiesensanften Tagen und Getreidefeldern, atme Hoffnung, bis es Zeit wird. Die Nacht weckt Schatten, brennt sich in mich, rot wie meine Lippen, pochend wie die Seidenhaut, die unter dem vorne durchgeknöpften Kleidchen pulsiert. Ich trage Strümpfe, keine Unterwäsche. Er muss mich brutal und ohne Zögern nehmen, schreibe ich ihm.

Der Wagen gleitet über die Straßen, während ich der Klimaanlage und der Navikunststimme zuhöre, an den Ledersitzen rieche und spüre, wie sie nach und nach meine Haut erhitzen. Die Silhouette der Stadt ergießt sich vor mir, Türme, Hochhäuser, bleiche Kirchen. Die Handtasche steht neben mir, darin alles, was ich brauche. Ich parke in der Nähe der Tankstelle, eine Straße weiter. Gleich dahinter liegt die Kleingartensiedlung. Bevor ich aussteige, setze ich die Federmaske auf, verwandle mich in einen Nachtvogel. 2.30 Uhr, wie vereinbart. Die Heels klappern über den Asphalt. Ich strecke den Rücken durch. Den SUV sehe ich von weitem. Neben der Wagentür steht ein hochgewachsener Schatten, an die Tür gelehnt, die Beine gekreuzt. Er schaut in die andere Richtung, wendet sich um und wartet auf mich. Ich streife mir durch die Haare. Der Schatten nimmt Gestalt an, ein Adlergesicht mit lächelnddunklen Ich-will-dich-ficken-Augen.
Da bin ich.
Sehr gut. Steig ein!
Er öffnet die Beifahrertür. Ich wische ein einzelnes, blondes Haar auf dem Sitz weg. Mein Kleid rutscht ganz automatisch hoch, die nackten Beine schimmern. Ich presse die Knie aneinander, winkle die Heels ab und berühre die Flauschteppichfußmatte. Die Armaturen blitzen auf, als der Motor anspringt. Er schnuppert in meine Richtung, nimmt Witterung auf, riecht, was ich will. Sein Gesicht wirkt durchsichtig, wächsern, die Augen rötlichschwarz.
Knie dich auf den Sitz und zeig mir den Hintern!
Ich schlüpfe aus den Schuhen, folge der Stimme, zeige ihm mehr Haut, recke mich ihm entgegen, drücke die Beine zusammen, damit er die Schamlippen erkennt. Anstatt etwas zu sagen, streichelt er mein Fleisch, gleitet über die Wölbungen, zwischen die Ritze. Die Hitze nimmt zu.
Setz dich, die Beine auseinander!
Er enttäuscht mich zum ersten Mal, aber ich sage nichts, ziehe die Heels wieder an, sodass die angewinkelten Knie nach oben ragen, öffne mich. Die Fahrt ist gleich zu Ende. Ich schaue auf die Straße, erkenne die Abzweigung zur Gartensiedlung, die blühenden Sträucher, die in der Nacht ihre Farben verloren haben. Woher kommt der Fliederduft? Aus den Lüftungsschlitzen der Klimaanlage oder von draußen? Der Motor erstirbt am Rand eines Gärtchens, in einer Parkbucht. Die Scheinwerfer gleiten über Büsche und Hecken hinweg. Die Handtasche schiebe ich weiter in den Fußraum, öffne den Verschluss, als suche ich etwas.
Steig aus und stell dich ins Licht!
Ich reiße die Tür auf, atme die Sommerschwüle, wanke los. Grillengezirpe begleitet mich. Dann richte ich mich auf, strecke den Körper dem Wagen entgegen, spüre aus der Ferne seine Erregung. Ich rieche mich selbst, den Chanelduft, den Schweiß, der sich auf der Haut bildet, den Amazonenstolz.
Knöpf das Kleid auf!
Die Stimme tönt, schneidet. Jakob handelt nach dem Drehbuch, das er sich zurechtgelegt hat. Hastig zerre ich an den Knöpfen, genieße das Licht, als der Stoffhauch zu Boden fällt. Ich weiß, was kommt, spüre es zwischen den Beinen. Vornübergebeugt hebe ich das Kleid auf und lege es auf die Motorhaube. Er steigt aus, kommt näher, während ich mich in einen Bogen, eine Brücke verwandle, den Unterarm abstütze und die Augen schließe. Blütenduft umsingt mich, verschleiert den Geruch des Autos. Ich lege den Kopf auf das warme Blech. Er kommt näher, nichts als Schwanz, nichts sonst.
Schlag mich jetzt, schlag mich, flüstere ich, so leise, an mich selbst gerichtet, dass er es nicht hören kann. Er bemerkt die Worte dennoch, zum Glück, vielleicht weil ich meinen Arsch wie eine Waffe schwinge. Dann spüre ich die Hand, rechts, links, im Rhythmus klatscht sie auf die Vulkanhaut. Ich schreie zum Himmel, Laute aus der Tiefe meiner Seele, in einer Tonlage, die ich nicht kenne. Blut schießt mir durch die Adern. Die Kehle trocknet aus, schreit nach Flüssigkeit. Fangarme bedrängen mich. Die Rauschtraumbilder weichen. Meine Seele rührt sich, Feuerströme durchglühen mich. Ich will, dass er den Gürtel nimmt. Stattdessen spüre ich seinen Knüppel. Seine Ausdünstungen, Schweiß, Nikotin, Bier, verscheuchen die Blütenfreuden. Er setzt an, versenkt sich in mir, dringt rasend schnell bis zum Rachen vor. Ich frage mich wie die Striemen aussehen, die er hinterlassen hat, werfe mich ihm entgegen, will, dass er mich hämmert, höre ihn stöhnen, grunzen und schreie lauter, um ihn zu übertreffen, weil ich ganz nah davor bin, der kleine Tod lauert. Ich zucke, zittere, als es geschieht, überrasche ihn, sodass er innehält, abwartet, sich aus mir entfernt.

Sekundenlang schnaufe ich durch, weite die Adern, höre das Herz pumpen und nutze den Moment, um mich von der Motorhaube abzudrücken. Dann öffne ich die Augen, blicke an dem Ich-nehm-dich-mir-Kerl vorbei, der vollständig angezogen an seinem Hosenschlitz herumfummelt, mich reglos beobachtet, zu den Sternen, zu Peter, der nach mir sucht. Nackt stehe ich im Mondsternenlicht, suche nach den Heels, gehe los, ziehe die Autotür auf. Ich greife mir aus der Tasche den Taser, drücke auf den Schalter und reiße mir die Maske vom Gesicht, damit er mich sehen kann. Noch bevor er reagieren kann, treffen ihn die Stromschläge. Er fuchtelt wie eine Aufziehpuppe mit den Armen, will etwas sagen, die Augen züngeln. Gerade als ich die die Maske abgenommen habe, geht er zu Boden und bleibt still liegen. Die linke Hand vergräbt er unter dem Körper, die rechte liegt abgewinkelt auf der Grasnarbe neben dem Schotter. Ich greife mir den Arm, betrachte die Hand. Wie schön sie ist, ebenmäßig, gerade, schmale Finger. Der Zeigefinger gefällt mir am besten, sogar der Nagel glänzt rein, manikürt. Ich nehme die Gartenschere und knipse ihn ab. Etwas Blut rinnt aus dem Stumpf. Das Seidenkleid fühlt sich warm an, als ich es ohne Hast zuknöpfe, die Heels überstreife und mich abwende.

Bis zur Tankstelle ist es nicht weit. Die Sterne leuchten heller auf der Heimfahrt. Ich werde Peter fragen, ob ich die Polizei anrufen soll. Schließlich hat der Kerl mich vergewaltigt.
Die Stille in Peters Zimmer halte ich kaum aus. Ich lasse alle Lichter erstrahlen, damit ich die Bilder besser sehen kann, schnüffle an ihnen, bemerke den Terpentinpetergeruch und fühle mich besser.

Wo bist du, Liebster?
Hast du dir geholt, was du brauchst?
Ja. Und ich habe uns was mitgebracht. Noch warm.
Wie letztes Mal?
Ähnlich.
Das ist gut.
Du hast mich nicht umarmt, du hast mich überhaupt nie gern berührt.
Ich konnte nicht. Etwas hat mich abgehalten.
Und was?
Du bist so schön. Vielleicht deswegen.
Du hättest es sagen müssen.
Ja.
Was machst du dort, wo du bist?
Ich schließe die Augen, schlüpfe durch die Nacht, gehe spazieren unter frühlingsblauem Himmel, höre den Vögeln zu, betrachte die Blumen, die Kinder, flattere mit den Schmetterlingen und spüre den Wind.
Das klingt so schön und einfach.
Dennoch fehlst du mir.
Immerhin reden wir miteinander.

Am Morgen verschwindet der Traumnebel. Ich bin allein.

 

Hallo wegen,

vielen Dank für die Anmerkungen und deinen Blickwinkel, der mir wichtige Anregungen mitgibt.

Wow @Isegrims, super Geschichte, dessen größte Stärke ich in der Balance zwischen den drei Stichworten/Genres (Erotik - Horror - Romantik) sehe. Außerdem ist deine Protagonistin so gefühlsbetont in ihrer Trauer über den Verlust und gleichzeitig eiskalt gegenüber dem Rest ihrer Umwelt. Beides kommt absolut glaubhaft bei mir an.
super, dass sie so bei dir ankommt, mich interessieren widersprüchliche, multipolare Charaktere, die sind echt, real.

Manche Beschreibungen könnten für mich reduzierter und subtiler sein, passt aber auch so gut zu dir und deinen Texten.
ich habe den Text kaum ruhen lassen und werde noch das eine oder andere ändern.

Die Wiederholung und Mischung der Dialogzeilen fand echt gut und als Stilmittel interessant.
ein Experiment, umso glücklicher bin ich, dass es funktioniert.

Das passiert, während sie fahren? Oder stehen sie noch bei laufendem Motor? Ich stelle mir den Fahrgastraum vorn nicht geräumig genug dafür vor, dass sie sich elegant und sexy auf ihren Heels auf dem Sitz umdreht und hinkniet, um ihm den Hintern zu zeigen, ohne sich den Kopf zu stoßen.
ja, absolut richtig. Gehört zu den Passagen, die ich gründlich umarbeiten muss.

Liebe Guten-Morgen-Freuden-Grüße
Isegrims

 
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Hallo Isegrims,

Isegrims schrieb:
Um ein Gefühl für die kritisierte Überladenheit (liebe Grüße an @barnhelm) zu bekommen, werde ich in den nächsten Tagen eine Textversion einstellen, aus der ich (fast) alle grenzüberschreitenden sprachlichen Mittel entferne.
Ich hoffe, das ist jetzt keine Trotzreaktion, die dazu führt, dass du ‚das Kind mit dem Bade ausschüttest’. Das fände ich sehr schade und würde deinem Text ganz bestimmt nicht guttun.

Anne49 schrieb:
Der oben zitierten Überladenheit möchte ich - linguistisch betrachtet, ... entgegenhalten, dass es bei deinen Nominalkomposita um eine semantische Unterspezifiziertheit geht. Was heißt das? Das Schweineschnitzel besteht aus Schwein. Und das Kinderschnitzel, woraus besteht das?
EDIT: Übertragen auf deinen Text: Das Alptraumlaken ...
Liebe Anne49, so recht verstehe ich leider nicht, was du mit deiner Entgegnung genau meinst. Was mich betrifft, vielleicht zur Klärung: Wenn ich von Überladenheit gesprochen habe, so meinte ich eigentlich nicht die Isegrimschen Komposita. Ich glaube, man spricht hier von Spontan-Komposita, weil sie ja noch in keinem Wörterbuch zu finden sind. Die finde ich meistens ganz gelungen, nur manchmal scheint mir da eine Diskrepanz zwischen der (vom Autor) gemeinten Bedeutung und der, die ich assoziiere (Beispiel: Zitrusquittenriesling), zu bestehen. Mit dem Alptraumlaken hatte ich z.B. gar keine Probleme. Es ist also wohl auch die Frage, inwieweit sich die neue Bedeutung der Wortneuschöpfung dem Leser unmittelbar mitteilt.

Liebe Grüße
barnhelm

 
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Hallo Isegrims,

kurz vor meinem Urlaub habe ich es jetzt endlich geschafft, deine neue Geschichte zu lesen. Ich bin im Moment so viel draußen und sauge jeden Sonnenstrahl auf, dass ich hier ein bisschen nachgelassen habe ... :hmm:

Ich werde jetzt nicht anfangen, Formulierungen rauszuziehen, die mir besonders gut gefallen haben oder solche, die mir einfach too much waren, was ich dir sagen möchte, ist: Es gab von beidem einige. Ich finde manche Sätze treffen genau das, was sie treffen sollen, andere verlieren sich selbst zwischen Eigenkreationen und zu viel Adjektiven. Ich finde total gut, wie du dich ausprobierst, ehrlich, aber ich glaube auch, dass ein genaues Überarbeiten und Reduzieren viel dazu beitragen könnte, dass deine besonderen Kreationen eben mehr scheinen, wenn sie nur an vereinzelten und passenden Stellen strahlen. Weißt du, was ich sagen will?

Sehr interessant finde ich, wie deine Protagonistin mit Sex umgeht, als was er fungiert. Für mich schwingt da viel Einsamkeit mit, Verzweiflung, eine Sehnsucht nach etwas, aber auch etwas Selbstzerstörerisches. Das hat mich gekriegt. Nicht die Formulierungen, wenn es dann zur Sache geht, da hätte ich es mir tatsächlich expliziter, bzw. klarer gewünscht, das driftet für mich teilweise viel zu sehr ins Überbordende ab, so dass ich das Sexuelle dahinter nicht mehr wirklich ernst nehmen konnte. ABER, diese Stimmung, die da in ihr mitschwingt, das gefällt mir. Sie kommt mir vor wie jemand sehr Trauriges, eine Frau, die nach etwas greift, gierig ist, Grenzen übertritt, aber auch jemand, der das Gefühl für sich selbst verloren hat, der durch Grobheit und Anonymität Intimität völlig ausschließt. Sehr ambivalent eben, aber das finde ich interessant und einleuchtend.

Das Ende ... Das hätte für mich sogar noch krasser sein können, um den Horror-Dreh zu kriegen, aber das ist Geschmackssache. Deine Protagonistin hat mich dazu gekriegt, ihr zu folgen und ich konnte nachvollziehen, was da passiert. Das mit der Sprache und deinem Stil ist natürlich allein deine Sache und Entscheidung, ich habe aber eben gemerkt, dass mich so ein "besonderer" Vergleich oder eine deiner Wortkreationen viel eher kriegt, wenn nicht eine auf die andere folgt, sondern wenn ein paar Sätze sehr direkt und klar sind und dann so ein Wort "aufleuchtet".

So viel (wenig) von mir.
Hab noch einen schönen Tag!
RinaWu

 

Hallo barnhelm,

gerade eben habe ich den überarbeiteten Text eingestellt, gestrichen, verändert, gerade die Stellen, die du kritisierst. Dein Kommentar hat mir dabei sehr geholfen, den Überschwang etwas abgebremst, vielen Dank!

Mir geht es um die sprachliche Gestaltung und dem, was du – wenn ich deine Entwicklung verfolge - allmählich zu einem Alleinstellungsmerkmal auszubauen versuchst. Du gehst sehr kreativ mit Worten um, gibst Verben und Adjektiven neue Bedeutungen, suchst nach verblüffenden Vergleichen und generierst überraschende und ungewohnte Komposita. Allerdings haben mich deine ‚Kreationen’ nicht immer überzeugen können.
Alleinstellungsmerkmal, na ja, hört sich technisch, wirtschaftswissenschaftlich an. Dabei geht es mir gar nicht um Unverwechselbarkeit, nicht einmal darum, etwas neu zu gestalten, im Kern eher darum die Wahrnehmung des Lesers zu verändern.

Mal abgesehen davon, dass kein Kürbis aus der Erde herausschwillt, vertiefst du das erste Bild noch mit einem weiteren Vergleich (..., der aus der Erde schwillt, (so,) als wollten die Augen sich in die Höhlen versenken’). Da stimmt für mein Empfinden weder die Syntax noch die Aussage. Und die anschließende Verstärkung durch ‚Monster’ und ‚Maske’ vermitteln mir leider auch keine Vorstellung davon, wie sie ihr Spiegelbild wahrnimmt: Erscheint ihr ihr Gesicht so geschwollen wie ein Kürbis, so furchterregend wie ein Monster oder so undurchdringbar wie eine Maske?
mit dem Kürbisbild wollte ich das enorm schnelle Wachstum zeigen, wie Peter in ihr anschwillt. Und das Monstermaskengesicht gefällt mir zwar immer noch, aber wegen der Karnevalsnähe habe ich es entfernt.

Sicher, Sorgen graben sich ein, bilden auf die Dauer tiefe Falten, aber tut das auch das Glück? Lachfältchen, ja - vielleicht. Aber braucht dieser Gedanke wirklich noch den zusätzlichen Maschinen-Vergleich? Ich halte ihn für nicht gelungen und überflüssig.
okay, der Maschinenvergleich ist too much.

‚Geigen, die meine Herzblutbahnen füllen’ lassen mich an Dali-Bilder denken. Wenn du die von Geigen erzeugte Musik meinst, warum schreibst du das nicht oder suchst dir einen treffenderen Vergleich?
schade ich dachte mir dabei, dass sie mit Musik geflutet wird, der Puls zu Geigentönen wird sozusagen.

Die Überreste der Gier kleben an den Bildern
Wie ist das denn passiert?
okay, weg damit.

Ich empfinde diese Ballung schwärmerischer Begriffe (Ewigkeiten, gesättigtes Herz, weintrunkenes, pralles, lüsternes Meer, auf ewig eingebrannt) leider eher als ‚schwülstig’.)
kann man so empfinden, ich habe deshalb Fahrt rausgenommen.

Die Arme.
‚Quittenzitrusriesling’ klingt nach einem völlig ungenießbaren Wein.
Spielerei, Verkürzung, aber kann auch weg.

Das funktioniert u.a. an den oben angeführten Stellen aus dem einen oder anderen Grund mMn leider nicht. Mal scheint mir der Vergleich nicht zu taugen oder das Geschriebene nicht das Gemeinte zu treffen, mal stimmt einfach die Syntax nicht mit der (beabsichtigten) Aussage überein. Daneben empfinde ich die Sprache insgesamt als zu überladen und in ihren Verstärkungen häufig auch als redundant. Aber das ist ein persönliches Geschmacksurteil und mag anderen anders gehen.
Ich suche nach dem richtigen Maß, gar nicht so einfach, weil ich nicht immer abschätzen kann, was funktioniert, was nicht und mich manchmal selbst abbremsen muss, auf ein paar Ideen verzichten sollte, auch wenn es mich juckt und ich sie unbedingt verwenden will.

Isegrims, mich fasziniert, mich welcher Verve und emotionaler Kraft du deine Texte verfasst, da spürt man beinahe durchgängig dein schreiberisches Engagement. Allerdings würde ich dir nach dem ersten eruptiven Schreiben eine zweite Phase wünschen, in der du noch einmal distanzierter und kritischer an deine Wort- und Satzkreationen herangingest, um so die ‚Spreu vom Weizen’ zu trennen.
guter Rat, mal sehen, ob ich geduldig genug bin, ihn umzusetzen.

Liebe Grüße und den Quittenzitrusriesling gibt es übrigens in Kiedrich und Eltville, gar nicht weit von Bad Schwalbach. Der duftet überaus fruchtkomplex und legt sich bleibend über den Gaumen.:Pfeif:
Isegrims

 
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Hallo Matahari,
vielen Dank für deine Anmerkungen, deine Zeit, sehr willkommen!

nach längerer Pause melde ich mich zurück bei den Wortkriegern und werde direkt von deiner Geschichte umgehauen.
Es gibt Kurzgeschichten, die man liest und Stunden später wieder vergessen hat, aber deine mit diesen extrem starken Bildern hat sich bei mir eingebrannt.
Das liegt sicher auch an deiner Wortgewalt, an den tollen Wortkreationen und den auch teilweise offenen Fragen.
schön, dass du wieder da bist. Das Lob nehme ich als Ansporn, mein Schreiben weiter zu entwickeln, die Bildgewaltheit beizubehalten und gleichzeitig die Geschichte, die ich erzählen will, zum Strahlen zu bringen.

Spielt die Prota Szenen ihrer Erotik mit dem Verstorbenen nach, um sich ihm nahe zu fühlen?
wahrscheinlich

Spielt die Prota Szenen ihrer Erotik mit dem Verstorbenen nach, um sich ihm nahe zu fühlen?
ich glaube, ja

Ist alles nur ein Traum oder doch Realität?
muss der Leser für sich entscheiden

Stark auch die Verknüpfung der schönen, friedlichen Natur mit dem Leid der Prota. Es ist nicht so, dass man in leidvollen Situationen, diese Schönheiten nicht wahrnimmt. Im Gegenteil, sie schmerzen besonders, weil die innere und die äußere Welt so differieren.
ich empfinde das auch, gerade in besonders schlimmen Lebenssituationen, verstärken sich die Sinneseindrücke.

Über die von dir genannten Textstellen muss ich noch nachdenken, werde ich ggf. ändern, dankeschön, leider habe ich dieses Wochenende wenig Zeit und morgen nehme ich an einem Lauf (5km), Lauf für Mehrsprachigkeit) teil, also allen anderen antworte ich auch sobald ich kann.

Viele Grüße und ein Freudensonnenwochenende für dich:Pfeif:
Isegrims

Edit: Die beiden Textstellen (als sie wieder in die Heels schlüpft und später als sie die Maske abreißt) habe ich verändert.

Dieses Bild ist mir nicht ganz schlüssig. Das Abreißen der Maske impliziert eine schnelles Demaskieren, gleichzeitig drückt sie den Knopf und betäubt ihn. Warum geschieht dies gleichzeitig, warum riskiert sie erkannt zu werden, falls die Betäubung nicht direkt funktioniert? Das spätere "Maske abgenommen" widerspricht auch etwas dem Herunterreißen.
eine Art Triumphgeste, die Überwindung der Unsicherheit, des Zweifels.

 

Hallo Manlio,

vielen Dank für deinen Besuch, deine Zeit und die Auseinandersetzung mit dem Text.
Deiner Lesart habe ich wenig entgegen zu setzen, will ich auch nicht. Lesen ist ja oft ein Momentum, die Erwartungen spielen eine Rolle, was man sich von einer Geschichte erhofft.

Ich fröstle, streiche den Schweiß glatt
das widerspricht ein bisschen der Aussage, sie liege "ganz still"
mm, für mich wiederspricht sich das nicht ganz, sie liegt still da, unfähig aufzustehen, ohne am Leben, der Welt teilzunehmen.

Mir geht es als Leser ähnlich, d.h. da bleibt eine Distanz zur Erzählerin.
Der Text lässt mich, mit anderen, härten Worten ausgedrückt, kalt; und das finde ich selbst komisch. Wo doch so viel Gefühl, Verlassenheit im Spiel ist.
Die Ursache kann ich nur schwer greifen. Vielleicht liegt es daran, dass sie so extrem reflektiert ist.
klar, die Erzählerin lässt nicht viel Spielraum, will ihrer Gefühle Heer werden, reflektiert, setzt ihre Vernunft ein, vielleicht schaffen auch die Sprachbilder an manchen Stellen Distanz, sonst würde sie komplett ins Traumhafte abrutschen.

Und mir ist er auch zu sehr nach Drehbuch. Gern hätte ich gelesen, wie Jakob sie aus ihrer Schmollecke rausholt. Aber dann ist er auch nur so ein Gierschlund.
ja, den Gedanken hatte ich auch, aber das wäre eine andere Geschichte geworden, viel länger, mit einem ganz anderen Fokus, zumal sich die Jakobepisode ebenso gut in ihrer Fantasie abspielen könnte.

Sprachlich superstark.
:Pfeif:

Liebe Grüße, mit dem Aprilwind verschickt, sonnenfreudenhoffend
Isegrims

 

Hallo Anne49,
Ich freue mich über deinen Besuch und die linguistischen Gedankenspezifizierungen: sehr erhellend!

Ich finde deine Texte mutig und verfolge mit Spannung und Respekt deine Schreiberei und die Ernsthaftigkeit und Vehemenz, mit der du dich hier mit der Kritik auseinandersetzt.
ziemlich diplomatisch ausgedrückt, da weiß ich gar nicht, ob ich das als verschattete Kritik oder Lob auffassen darf. Eins aber glaube ich: wer das eigene Schreiben weiterentwickeln will, braucht Mut und muss sich stellen.

Für mich wird hier deutlich, dass Schreiben Moden unterworfen ist. Ich werde jetzt keine weitere Liste von Formulierungen erstellen, die mich beim Lesen gestoppt haben. Von denen hast du, glaube ich, schon genug bekommen.
wäre jetzt aber unfein, wenn du damit sagen wolltest, dass Stilvarianten Mode seien. Mir zumindest geht’s darum (meine) Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern. Das gab’s schon früher, besonders innovativ ist das nicht. Wenn dich eine Formulierung beim Lesen stoppt, soll es mir recht sein, ja, das ist ein gewünschter Effekt.

dass es bei deinen Nominalkomposita um eine semantische Unterspezifiziertheit geht. Was heißt das? Das Schweineschnitzel besteht aus Schwein. Und das Kinderschnitzel, woraus besteht das?
EDIT: Übertragen auf deinen Text: Das Alptraumlaken ...
also das mit den unterspezifizierten Kinderschnitzel klingt logisch, was aber, wenn es sich um Wienerschnitzel handelt? Und wer viel schnitzelt wacht morgens auf dem Alptraumlaken auf, gell?

Um ein Gefühl für die kritisierte Überladenheit (liebe Grüße an barnhelm) zu bekommen, werde ich in den nächsten Tagen eine Textversion einstellen, aus der ich (fast) alle grenzüberschreitenden sprachlichen Mittel entferne.
Auf die Version bin ich sehr gespannt,
na ja, hat nicht ganz geklappt, die neue Version ist online, manches habe ich gestrichen, aber bei weitem nicht alles.

Liebe Ich-verputz-jetzt-die-Erdbeeren-Grüße
Isegrims

Hallo barnhelm,

danke dir für die Klarstellung:

Wenn ich von Überladenheit gesprochen habe, so meinte ich eigentlich nicht die Isegrimschen Komposita. Ich glaube, man spricht hier von Spontan-Komposita, weil sie ja noch in keinem Wörterbuch zu finden sind. Die finde ich meistens ganz gelungen, nur manchmal scheint mir da eine Diskrepanz zwischen der (vom Autor) gemeinten Bedeutung und der, die ich assoziiere (Beispiel: Zitrusquittenriesling), zu bestehen. Mit dem Alptraumlaken hatte ich z.B. gar keine Probleme. Es ist also wohl auch die Frage, inwieweit sich die neue Bedeutung der Wortneuschöpfung dem Leser unmittelbar mitteilt.
ich entwickle gerade ein besseres Gefühl dafür, welche Assoziationen beim Leser funktionieren können und muss mich daran gewöhnen, dass nicht alles, was sprachlich möglich ist, sich wie gewünscht entfalten kann.

Ich hoffe, das ist jetzt keine Trotzreaktion, die dazu führt, dass du ‚das Kind mit dem Bade ausschüttest’. Das fände ich sehr schade und würde deinem Text ganz bestimmt nicht guttun.
kam gerade rechtzeitig, dein Rat!

Liebe Grüße aus der Rheingauer Sternennacht
Isegrims

 

Huhu Isegrims,

ich nochma …

Ich finde deine Texte mutig und verfolge mit Spannung und Respekt deine Schreiberei und die Ernsthaftigkeit und Vehemenz, mit der du dich hier mit der Kritik auseinandersetzt.
ziemlich diplomatisch ausgedrückt, da weiß ich gar nicht, ob ich das als verschattete Kritik oder Lob auffassen darf. Eins aber glaube ich: wer das eigene Schreiben weiterentwickeln will, braucht Mut und muss sich stellen.

Nö, keine verschattete Kritik, wirklich nicht, und mit dem letzten Satz haste Recht: Deswegen poste ich ja auch meinen Krams hier.:Pfeif:

Für mich wird hier deutlich, dass Schreiben Moden unterworfen ist. Ich werde jetzt keine weitere Liste von Formulierungen erstellen, die mich beim Lesen gestoppt haben. Von denen hast du, glaube ich, schon genug bekommen.
wäre jetzt aber unfein, wenn du damit sagen wolltest, dass Stilvarianten Mode seien. Mir zumindest geht’s darum (meine) Ausdrucksmöglichkeiten zu erweitern. Das gab’s schon früher, besonders innovativ ist das nicht. Wenn dich eine Formulierung beim Lesen stoppt, soll es mir recht sein, ja, das ist ein gewünschter Effekt.

Nicht unfein. Eher unbeholfen formuliert. Aber wir sind uns doch einig, dass sich die Art, wie geschrieben (gemalt, gesungen …) wird, im Laufe der Zeiten immer wieder ändert, oder? Wie ein Text (Bild, Lied) rezipiert wird, hängt doch von mehreren Faktoren ab, nicht nur vom Einzelnen?

Aber wenn ich als Leser andauernd in einem Text stoppe und nachdenken muss, wie ist das jetzt gemeint … Es könnten halt auch Ausstiegsstellen sein, dass der Leser nicht mehr weiterlesen mag. Ist sicher eine Frage der inneren Haltung, der Lesehaltung, mit welcher Aufmerksamkeit ich mich auf einen Text einlasse. Das soll jetzt auch keine Kritik an deinem Text sein, aber ich hoffe, du weißt, wie ich es meine.

dass es bei deinen Nominalkomposita um eine semantische Unterspezifiziertheit geht. Was heißt das? Das Schweineschnitzel besteht aus Schwein. Und das Kinderschnitzel, woraus besteht das?
EDIT: Übertragen auf deinen Text: Das Alptraumlaken ...
also das mit den unterspezifizierten Kinderschnitzel klingt logisch, was aber, wenn es sich um Wienerschnitzel handelt? Und wer viel schnitzelt wacht morgens auf dem Alptraumlaken auf, gell?

:rotfl:
Neiiiiiin! :eek: Ich hab extra nicht das Beispiel mit dem Wiener Schnitzel genommen!!! Jetzt denk doch mal an ernst offshore und Manuela K.!

die neue Version ist online, manches habe ich gestrichen, aber bei weitem nicht alles.

Und wie fühlst du dich mit der neuen Version? Hängst du noch an der alten Fassung (sozusagen dein unplugged Director’s Cut)?

Ich wollte dir nur noch eine Sache sagen, die gleich ganz am Anfang steht: „den Schweiß glattstreichen“. Ich war fest davon ausgegangen, dass dir die ersten Kommentatoren was dazu sagen. Nu steht es immer noch da. Wie soll das denn gehen? Hat der hauchdünne Schweißfilm Falten wie die Bettdecke und die kann ich mit der Hand glattstreichen? Also nur meine ganz private Privatmeinung: Showstopper.

Liebe Genieß-die-Sonne-und-verputz-ruhig-weiter-Erdbeeren-Grüße!
Anne

 

Hi RinaWu,

Ich bin im Moment so viel draußen und sauge jeden Sonnenstrahl auf, dass ich hier ein bisschen nachgelassen habe ...
wenn du die Sonne aufsaugst, strahlt sie bestimmt bis ganz innen und hinterlässt Kreativitätsspuren, nach dem Wintergrau muss man jegliches Schmetterlingswetter unbedingt genießen.

Umso mehr freut es mich, dass du einen Teil der verbliebenen Zeit mit meinem Text verbringst, dankeschön für deine ermutigende Einschätzung.

Ich finde manche Sätze treffen genau das, was sie treffen sollen, andere verlieren sich selbst zwischen Eigenkreationen und zu viel Adjektiven. Ich finde total gut, wie du dich ausprobierst, ehrlich, aber ich glaube auch, dass ein genaues Überarbeiten und Reduzieren viel dazu beitragen könnte, dass deine besonderen Kreationen eben mehr scheinen, wenn sie nur an vereinzelten und passenden Stellen strahlen. Weißt du, was ich sagen will?
zu viele Adjektive versuche ich zu vermeiden, eher mäandern die Sätze, reihen sich aneinander, um Rhythmus zu finden. Und ich selbst lasse mich tragen, freue mich über Einfälle. Klar, ich muss disziplinierter überarbeiten, die Spreu vom Weizen trennen.

Für mich schwingt da viel Einsamkeit mit, Verzweiflung, eine Sehnsucht nach etwas, aber auch etwas Selbstzerstörerisches. Das hat mich gekriegt.
endlich sagt mal jemand was über den Inhalt. :Pfeif:

ABER, diese Stimmung, die da in ihr mitschwingt, das gefällt mir. Sie kommt mir vor wie jemand sehr Trauriges, eine Frau, die nach etwas greift, gierig ist, Grenzen übertritt, aber auch jemand, der das Gefühl für sich selbst verloren hat, der durch Grobheit und Anonymität Intimität völlig ausschließt. Sehr ambivalent eben, aber das finde ich interessant und einleuchtend.
ungefähr das empfinde ich bei ihr auch: Einsamkeit, Sehnsucht, Hoffnung, Verzweiflung.

Das Ende ... Das hätte für mich sogar noch krasser sein können, um den Horror-Dreh zu kriegen, aber das ist Geschmackssache.
bin ich nicht horrormäßig abgezockt dafür, Schwanz abschneiden wäre botschaftsmäßig zu krass gewesen, eine ganze Hand too much, dass sie den Finger nimmt enthält ja etwas Symbolisches.

ich habe aber eben gemerkt, dass mich so ein "besonderer" Vergleich oder eine deiner Wortkreationen viel eher kriegt, wenn nicht eine auf die andere folgt, sondern wenn ein paar Sätze sehr direkt und klar sind und dann so ein Wort "aufleuchtet".
leuchtet mir ein, gutes Konzept.

So: und jetzt wünsche ich dir Münchner Glückstage, hellblau, fröhlich und kreativ
Isegrims

 

Hallo liebe Anne49,

ich danke dir für die Gedanken, die Diskussion und Auseinandersetzung über Stil und Form ist sehr wertvoll für mich und vielleicht ja auch für dich.

. Eins aber glaube ich: wer das eigene Schreiben weiterentwickeln will, braucht Mut und muss sich stellen.
Nö, keine verschattete Kritik, wirklich nicht, und mit dem letzten Satz haste Recht: Deswegen poste ich ja auch meinen Krams hier.
übrigens genau der Punkt, der die Wortkrieger so wertvoll macht, für jeden, der sich ernsthaft beteiligt.

Aber wir sind uns doch einig, dass sich die Art, wie geschrieben (gemalt, gesungen …) wird, im Laufe der Zeiten immer wieder ändert, oder? Wie ein Text (Bild, Lied) rezipiert wird, hängt doch von mehreren Faktoren ab, nicht nur vom Einzelnen?
ja, die Zeitläufte spielen eine Rolle, aber wir erleben eben auch Bedeutungsverflachung, manche Sätze oder einzelne Worte sind derart zerfleddert, dass sie nahezu unschreibbar werden (Glaube, Liebe, Hoffnung beispielsweise), neue Zusammensetzungen, Worte bringen neue Möglichkeiten.

Aber wenn ich als Leser andauernd in einem Text stoppe und nachdenken muss, wie ist das jetzt gemeint … Es könnten halt auch Ausstiegsstellen sein, dass der Leser nicht mehr weiterlesen mag.
dann muss ich die Worte geschmeidiger formulieren, damit ein Sternenblick möglich wird.

Und wie fühlst du dich mit der neuen Version? Hängst du noch an der alten Fassung (sozusagen dein unplugged Director’s Cut)?
mm, solange die Kraft erhaltenbleibt, kann ich gut damit leben, ich weiß ohnehin, dass ich nicht alles, was mir so einfällt, umsetzen sollte.

„den Schweiß glattstreichen“. Ich war fest davon ausgegangen, dass dir die ersten Kommentatoren was dazu sagen. Nu steht es immer noch da. Wie soll das denn gehen? Hat der hauchdünne Schweißfilm Falten wie die Bettdecke und die kann ich mit der Hand glattstreichen? Also nur meine ganz private Privatmeinung: Showstopper.
stell dir vor, du bist in der Sauna, eine Schweißschicht hat sich gebildet, die kann man dann glattstreichen, fast wie Farbe.

Viele Grüße in die Schmetterlingsblütennacht
Isegrims

 

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