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Sternenkratzers Fantasy-Welt: Nebenwirkungen
Es war eine dunkle Nacht. Wasserschwere Wolken zogen von Norden her auf und verdeckten die Sterne. Ein kühler Wind wehte.
Gato, der Krieger, fröstelte.
"Wenn sie uns nicht aus dem letzten Dorf verjagt hätten", brummte er verdrießlich, "dann könnten wir jetzt an einem warmen Feuer sitzen und wir hätten zu essen und zu trinken."
Er sah auf das neben ihm gehende Mädchen hinunter. Vor einem halben Jahr war Lissa ihm, im Sinne des Wortes, geradewegs in die Arme gelaufen. Eine aufgebrachte, mit Knüppeln und Mistgabeln bewaffnete Menge hatte sie verfolgt. Ohne nachzudenken hatte Gato sein Schwert gezückt und die Meute in die Flucht geschlagen. Seitdem klebte das vielleicht elf- oder zwölfjährige Mädchen an ihm wie eine Klette. Gato war sich nicht sicher, ob er sich darüber freuen sollte oder ob es sein ganz eigener Fluch war.
Lissa fühlte sich angegriffen. Sie fuhr auf: "Der Zauber hat gewirkt! Der Bauer wollte die größten und dicksten Rüben - er hat sie bekommen!"
Gato seufzte. "Ja - und dazu die größten, dicksten und vor allem die gefräßigsten Käfer, die es in den Ländern des Reiches jemals gegeben hat."
Die ersten Regentropfen fielen vom Himmel. Gato zeigte auf eine Scheune am Wegesrand. Lissa nickte und sie beschleunigten ihre Schritte. Sie betraten den Holzbau durch eine schmale, schräg in den Angeln hängende Seitentür.
Gato legte das Bündel mit ihrem gemeinsamen, wenigen Gepäck ab. Er streckte sich und lehnte sich neben der offenen Tür an die Bretterwand. Er sah hinaus. Der Wind wurde stärker und trieb den Regen vor sich her.
"Oder das Dorf davor", nahm er das Gespräch wieder auf. "Sie wollten nur einen neuen Brunnen bohren."
"Ich habe ihnen gesagt, wo sie das Wasser finden. Wie sie es wollten", erwiderte Lissa. Neugierig blickte sie sich um.
"Sie haben Wasser gefunden", stimmte der Mann zu. "Es hat das halbe Dorf weggeschwemmt."
"Woher sollte ich wissen, dass gerade dort ein unterirdischer Fluss war?"
Lissa kauerte nieder. Sie schob Streu und Holzstückchen zu einem Haufen zusammen. Sie hielt ihre Hände darüber und schloss die Augen.
"Brenne, kleines Feuer, brenne!", murmelte sie.
Gato runzelte die Stirn. Er erwartete das Schlimmste. Zu seiner Überraschung geschah überhaupt nichts.
"Ich weiß, dass es brennen wird", sagte Lissa bestimmt. "Ich spüre es."
Ein Geräusch von außerhalb ließ sie verstummen und lauschen. Durch die Lattenritze der Scheunenwand leuchtete die flackernde Flamme einer Fackel herein.
"Der Bauer", flüsterte Gato. Die Hand des Kriegers senkte sich auf den Knauf seines Schwertes.
Das Scheunentor öffnete sich knarrend.
Der Bauer tat ein, zwei Schritte, entdeckte die beiden Fremden und erschrak. Er stolperte zurück. Er verlor das Gleichgewicht. Er suchte nach Halt und die Fackel flog in einem Bogen durch die Scheune. Sie prallte auf einen Ballen Stroh und entzündete ihn.
Gato handelte ohne zu zögern. Er langte nach dem Gepäckbündel, schulterte es, fasste gleichzeitig mit dem anderen Arm das Mädchen unter und hob es hoch.
Ein Funken löste sich von dem brennenden Stroh. Die heiße Luft riss ihn empor. Er wirbelte durch den Raum und landete punktgenau auf Lissas einfacher Feuerstelle.
Gato rannte durch die Seitentür hinaus in die Dunkelheit. Nach ein paar Dutzend Metern stoppte er und sah zurück. Die Scheune brannte lichterloh. Hilflos und mit hängenden Schultern stand der Bauer vor den hochschlagenden Flammen.
"Siehst du!", triumphierte Lissa. "Ich wusste, dass der Zauber wirkt!"
Sie strampelte. Gato lockerte seinen Griff und setzte sie vorsichtig ab.
"Ja", antwortete er, "wie bei der Frau, der du einen Liebestrank gemischt hast."
"Sie wollte, dass die Männer sie beachten", sagte Lissa.
"Und das hast du erreicht", bestätigte der Krieger. "Der Trank hat sie so hässlich gemacht, dass niemand sie mehr übersehen konnte."
Der Regen hatte nachgelassen. Aber es war empfindlich kühl und feucht geworden. Gato kramte eine Decke aus dem Gepäckbündel hervor und legte sie Lissa um die Schultern. Sie lächelte dankbar zu ihm hoch.
Eine Zeitlang wanderten sie schweigend nebeneinander auf dem Weg.
"Oder", fing Gato schließlich wieder an, "wie bei dem Kaufmann, der reicher sein wollte als alle anderen Kaufleute der Stadt und der am Ende der einzige ..."
"Gato?", unterbrach ihn Lissa.
"Ja?"
"Halt den Mund!"
(c) by StarScratcher, Juni 2002